Patientenrechte – gibt es rechtliche Sicherheiten ? Christian Kopetzki Weissensee 9/2013 Ebenen der Fragestellung Die Frage nach „rechtlichen Sicherheiten“ hat mehrere Dimensionen: Begriff der „Rechtssicherheit“ Was erwartet mich (rechtliche) in einer bestimmten Situation – unabhängig vom „good will“ der anderen Vorhersehbarkeit dessen, „was mit mir geschieht“ Ist ein zentrales Element jedes rechtsstaatlichen Systems (im Unterschied zur „Willkür“) Dimensionen der Frage 0. Welche Interessen sind im „materiellen Recht“ überhaupt als „Patientenrechte“ anerkannt und welche nicht? 1. Bestimmtheit, Erkennbarkeit, Klarheit des Rechts Je unbestimmter einer Regelung, desto weniger vorhersehbar / desto er die Auslegungsdesto größ größer Auslegungs- und Entscheidungsvarianten im Konfliktfall / desto weniger Sicherheit Sicherheit 2. (prozedurale) Rechtsdurchsetzung Diese Frage ist logisch vorgelagert, ieS nicht Teil der „Rechtssicherheit“ Rechtssicherheit“ Auch vö völlige „Rechtlosigkeit“ Rechtlosigkeit“ kann „sicher“ sicher“ sein iwS kann man die Frage der „Sicherheit“ Sicherheit“ aber auch auf das Ausmaß Ausmaß der Kongruenz rechtlicher mit moralischen Erwartungen/Schutzinteressen/Werten etc beziehen Wie kann ich meinem Recht (unabhä (unabhängig vom guten Willen des Verpflichteten) zum Durchbruch verhelfen Effektiver Rechtsschutz = Teil des Rechtsstaatlichen Prinzips Organisierte Sanktionierbarkeit unterscheidet Recht von Moral und und Sitte = institutionalisiertes Misstrauen (ist unnö unnötig, solange alle „compliant“ compliant“ sind) 3. (Tatsächliche) Rechtsbefolgung = soziologische Frage, schwer beantwortbar (keine Rechtsfrage) Hängt auch von 1+2. ab: Klarheit des Rechts & effektive Durchsetzbarkeit Durchsetzbarkeit motivieren eher zur Einhaltung des Rechts Ob ich das Recht befolge, ist primä primär eine moralische Frage 0. Welche Patientenrechte werden überhaupt gewährleistet ? Was als schutzwürdig betrachtet wird (und inwieweit), ist historisch/kulturell bedingt Es gibt keine „objektiven“ Werte, sondern nur mehr oder weniger breite gesellschaftliche Konsense Diese werden rechtlich umgesetzt durch parlamentarische Mehrheiten (=demokratisches Prinzip) Alle als wesentlich anerkannten Interessen und sind auch rechtlich geschützt („Rechtsgut“), zB Leben Körperliche Integrität, Gesundheit Selbstbestimmung Informationsrechte Datenschutz, Geheimnisschutz uvam 0. Welche Patientenrechte werden überhaupt gewährleistet ? Aber: Die Probleme beginnen erst jenseits dieser Feststellung, denn Auf der abstrakten Ebene von Schutzgütern gibt es viel Konsens, aber kaum praktische Lösungskapazität Typischerweise geht es gar nicht um das „Ob“ eines bestimmten Rechts, sondern um Fragen der „Feinsteuerung“ und Kollision von Rechten, zB Abwägung zwischen kollidierenden (unstrittigen) Rechten, zB Auslegungsfragen an den „Rändern“ der geschützten Güter, zB Gesundheit vs Selbstbestimmung (Zeugen Jehovas; PatV !) Eigenschutz/Fremdschutz (Behandlungszwang; Seuchenrecht; Datenschutz/Informationsrechte Dritter I) Totenruhe/öffentliche Interessen im Obduktions- und Transplantationsrecht Ab wann beginnt das (unstrittig geschützte) „Leben“ ? Das Problem sind nicht die „Werte“, sondern ihr Verhältnis im Konfliktfall (Luhmann: Die „Verkabelung der Werte“) 1. Bestimmtheit, Erkennbarkeit Vorhersehbarkeit setzt ausreichende inhaltliche Bestimmtheit des Rechts voraus (Determinierungsgebot) 100%ige Determinierung gibt es nicht Abwägung zwischen Genauigkeit / Flexibilität Unbestimmte Gesetzesbegriffe sind unumgänglich, aber tendenziell schädlich Weil nahezu beliebig auslegbar, zB „Menschenwürde“, „Sittenwidrigkeit“ Daher einigt man sich schnell darauf („Formelkompromiss“) Je ethisch strittiger ein Problem, desto bestimmter muss das Recht sein Realpolitisch ist es idR umgekehrt, aber nicht immer (Beispiel Fristenlösung) 1. Bestimmtheit, Erkennbarkeit Bestimmtheit von Patientenrechten? Extrem heterogener Determinierungsgrad Manches relativ exakt Manches so gut wie gar nicht Beispiel: Weitergabe von Ärztedaten gem DSG Forschungsrecht Wertungswidersprüche zB Aufklärung = weitgehend „Richterrecht“ Breite „weiße Flecken“, zB Forschung Klarheit und Transparenz oft fraglich zB Unterbringungsrecht, DatenschutzG, FMedG zB PND/PID Bewusste Irreführung durch „Beschwichtigungsgesetze“ zB Klinischer Unterricht in KAKuG vs Patientencharta 1. Bestimmtheit, Erkennbarkeit Ursachen dieser Defizite? Rechtszersplitterung Keine systematische Kodifikation von PatR Bereichsspezifische Regelungen aus unterschiedlichen historischen Epochen Föderalismus: im Krankenanstaltenrecht zT 9 Landes-Antworten auf dieselbe Frage (zB Einsicht in die Krankenakte; Patientenentschädigungsfonds ua) Die meisten Lösungen ergeben sich erst aus einer Zusammenschau aus vielen Normen Es gibt kein Patientenrechtsgesetz (und kann keines geben) Kodifikation scheitert an Kompetenzlage Bund (Gesundheitsberufe) / Länder (stationär) (Notlösung: „Patientencharta“ ohne unmittelbare Anwendbarkeit) wohl auch am politischen „Gesamtplan“ Gegenbeispiel: Tierschutz als Bundessache Kodifikation lässt Fragen nach dem Verhältnis zu Sondernormen meist offen Politischer Trend zur symbolischen Gesetzgebung, zB Beschwichtungsgesetze und politische Lyrik (zB „Gesundheits-Zielsteuerung“) BVG Nachhaltigkeit BGBl I 2013/111 § 2: Die Republik Ö „bekennt sich zum Tierschutz“ § 6: Die Republik Ö „bekennt sich zur Bedeutung der Grundlagenforschung und zur angewandten Forschung“ Testfrage: Was folgt daraus konkret für das Tierversuchsrecht? 2. Rechtsdurchsetzung Rechte sollen im Konfliktfall auch gegen den Willen des Verpflichteten durchsetzbar sein Ist nur nötig, wenn 3 (=Befolgung) versagt, hat aber Motivierungsfunktion! Durchsetzungswege und ihre Effizienz sehr unterschiedlich Hoheitsbereich VwgH, VfGH, EGMR I. Relativ engmaschiger Rechtsschutz gg Rechtswidriges Staatshandeln (siehe zB Unterbringungsrecht) Nicht-hoheitlicher Bereich Betrifft fast die gesamte Medizin (=idR nicht hoheitlich) Primär zivilrechtliche Instrumente Sonderlösungen (zB Patientenanwaltschaften etc) 2. Rechtsdurchsetzung Instrumente der Rechtsdurchsetzung im Medizinbereich Strafhaftung („Spitze des Eisbergs“) Für Pat idR nicht zielführend Nicht alles rechtswidrige ist auch strafbar; sehr hohe Beweis- und Verschuldensanforderungen (je nach Delikt) Zivilrechtliche Haftung Schadenersatz, uU Unterlassungsklage idR nur ex post; setzt Schaden und Verschulden voraus; Beweisprobleme; hohes Kostenrisiko etc IdR nur Ausgleichsfunktion für Rechtsverletzung, „restitutio in integrum“ selten möglich Als Rechtsdurchsetzungsinstrument nur begrenzt tauglich Ausweichtendenzen mangels Alternativen (zB Rsp zur Aufklärung) 2. Rechtsdurchsetzung Alternativen der Rechtsdurchsetzung via Haftung Systeme der verschuldensunabhängigen Medizinhaftung (via Versicherungslösung) sind politisch gescheitert Patientenanwaltschaften (Länder) Patientenentschädigungsfonds „Ombudsman“-Funktion Keine verbindliche Entscheidung Aber uU präventiv wirksam Selbst wieder sehr (föderal) zersplittert Geldersatz für Schäden, bei denen Haftung nicht „greift“ Kein Rechtsanspruch; „josefinisches Modell“ In jedem Land völlig anders Schlichtungsstellen (Wildwuchs) etc OPCAT (Nationaler Präventionsmechanismus gem AntiFolter-Konvention – betrifft nur Freiheitsentzug) Medien, Politische Stimmung etc 3. Rechtsbefolgung Wichtigste Ebene aus Sicht des Patienten Ausmaß der „compliance“ ist nicht beantwortbar 100%ige Rechtsbefolgung gibt es nicht = rechtssoziologische Frage Wohl auch keine empirischen Daten vorhanden Test: nächtliches Radar auf Stadtautobahn Gilt (je nach Akzeptanz des materiellen Rechts) mitunter sogar als gefährliche Drohung („Dienst nach Vorschrift“) Inwieweit Menschen das Recht befolgen, ist ihre moralische Entscheidung (unter Inkaufnahme allfälliger Rechtsnachteile) Dieses „rechtliche Risiko“ hängt wieder stark von der Effizienz der Durchsetzbarkeit ab Typische Hindernisse ./. 3. Rechtsbefolgung Typische Ursachen für Nichtbefolgung von Rechtspflichten und mögliche Gegenstrategien: Gilt grds generell, nicht nur in der Medizin Hier allenfalls zugespitzt durch starke Betonung des „ärztlichen Ethos“ Hohe fachliche „Eigenlogik“ der Medizin = ist gegenüber externer Steuerung und Kontrolle tendenziell abwehrend Legitimationseffekt des „Heilenzwecks“ („Wer heilt hat Recht“) Aufeinandertreffen von „Zwei Eliten mit Definitionsmacht“ / Fakultätenstreit Recht/Medizin 3. Rechtsbefolgung 1. Unwille, Hochmut 2. Ethische Widerstände „Moral“ wird gegen „Recht“ ausgespielt Entweder bei mangelnder Akzeptanz des Rechts und/oder Wenn rechtliche Bindung überhaupt als Zumutung erlebt wird Beispiele: (Vom Pat) abgelehnte PEG-Sonden in Heimen Anfangsphase des Widerstands gegen PatientenV Schwangerschaftsabbruch in Tirol. I 3. Rechtsbefolgung 3. Unkenntnis über rechtlichen Rahmen Sehr unterschiedlich, zT immer noch groß Rechtsausbildung im Studium nicht flächendeckend Probleme der Aus- und Fortbildung Beruht zum Teil aber auch auf Defiziten des Rechts selbst (siehe Pkt 1) Unsinnige, widersprüchliche oder unklare Rechtsnormen behindern die Akzeptanz Manches ist einfach „strittig“ 3. Rechtsbefolgung 4. Unmöglichkeit der Rechtsbefolgung „ultra posse nemo tenetur“ Beseitigt uU das Verschulden (das tröstet den Patienten aber nicht) Graduell viele Abstufungen, zB Anstaltsinterne Zwänge Überforderung, Zeitmangel (Doku!) Ressourcenmangel zB Dienstplan vs subjektive Leistungsfähigkeit (ArbeitszeitG!) zB „gelindere Alternativen“ zu physischem Zwang im Heim, wenn die personellen Mittel fehlen Lösungen oft nur auf „Makro“-Ebene möglich (zB Organisationsverantwortung des KH-Trägers)