1 Chr.Nelius : Zahlentheorie (SoSe 2017) Einleitung Wir schauen uns einige Probleme an, die wir im Laufe der Vorlesung genauer untersuchen werden. (1) Zahlbereiche Unsere Zahlentheorie spielt sich im Bereich Z der ganzen Zahlen ab. Wir benutzen die folgenden Bezeichnungen für die verschiedenen Zahlbereiche: N N Z Q R Menge der natürlichen Zahlen ohne die Null 0 Menge der natürlichen Zahlen mit der Null Menge der ganzen Zahlen Menge der rationalen Zahlen Menge der reellen Zahlen Diese Zahlenmengen sind ineinander geschachtelt. Es gilt N⊂N 0 ⊂ Z⊂Q⊂R Dabei ist ⊂ das Symbol für die Teilmengenbeziehung, die die Gleichheit ausschließt. Es ist Q = a b | a, b ∈ Z , b 6= 0 die Menge aller Brüche (Quotienten) ganzer Zahlen, bei denen der Nenner ungleich Null ist. In der Zahlentheorie werden Teilbarkeitseigenschaften ganzer Zahlen untersucht. Zu den grundlegenden Begriffen gehören Teilbarkeit, ggT und kgV, Primzahlen und PFZen. (2) Die gekürzte Form einer rationalen Zahl Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, ein und dieselbe rationale Zahl als Bruch zweier ganzer Zahlen darzustellen. Die gekürzte Form, bei der Zähler und Nenner teilerfremd sind und der Nenner positiv ist, ist dagegen eindeutig. a = 60 , b = 78 , a b = a b = 2·2·3·5 2 · 3 · 13 = 2·5 13 = 10 13 Man hat hier die gemeinsamen Primfaktoren aus Zähler und Nenner herausgekürzt, insgesamt also den ggT von a und b . a = 404 045 316 , b = 26 933 999 , a = ? b In √ diesem Beispiel wäre√es sehr aufwändig, die PFZen von a und b zu berechnen. Es ist a ≈ 20 100, 9 und b ≈ 5 189.8 . 2 Chr.Nelius : Zahlentheorie (SoSe 2017) Stattdessen berechnen wir den ggT von a und b mit Hilfe des Euklidischen Algorithmus: a = 15 · b + 35 331 b = 762 · 35 331 + 11 777 35 331 = 3 · 11 777 + 0 g := ggT(a, b) = 11 777 a b = 34 308 · g 2 287 · g = 34 308 2 287 Hierbei gilt ggT(34 308, 2 287) = 1 . Themen: PFZ, ggT, Euklidischer Algorithmus (3) Die Summe rationaler Zahlen Die Brüche werden auf einen gemeinsamen Nenner (= Produkt der Nenner) gebracht, die Zähler dann addiert. Anschließend wird die gekürzte Form bestimmt. 13 30 = + 17 96 + 19 54 = 13 · 96 · 54 + 17 · 30 · 54 + 19 · 30 · 96 30 · 96 · 54 67 392 + 27 540 + 54 720 155 520 = 149 652 155 520 = 4 157 · 36 4320 · 36 = Hierbei ist 36 = ggT(149 652, 155 520) Alternativ: 13 30 + 17 96 + kgV(30, 96, 54) = 4 320 als Hauptnenner: 19 54 Thema: kgV = 13 · 144 + 17 · 45 + 19 · 80 4320 = 4 157 4 320 4 157 4 320 3 Chr.Nelius : Zahlentheorie (SoSe 2017) (4) Irrationale Zahlen Die reellen Zahlen setzen sich aus den rationalen und den irrationalen Zahlen zusammen: R Q R Q = ∪( \ ) √ p für jede Primzahl p eine irrationale Zahl ist. Damit lassen sich Es lässt sich zeigen, dass also unendlich viele irrationale Zahlen angeben. Thema: Eigenschaften von Primzahlen (5) Mersenne’sche Primzahlen Wann ist eine Zahl der Form Mn := 2n −1 eine Primzahl (eine sog. Mersenne’sche Primzahl)? Wenn Mn eine Primzahl ist, so lässt sich zeigen, dass auch n eine Primzahl sein muss. Für Mersenne’sche Zahlen gibt es einen ”einfachen” Primzahltest, den Lucas/Lehmer–Test aus dem Jahre 1930. Dieser Test hat zur Folge, dass die größten bis heute bekannten Primzahlen Mersenne’sche Primzahlen sind. Lucas/Lehmer–Test: Sei p eine ungerade Primzahl. Die Zahlen uk ∈ {0, 1, 2, . . . , Mp −1} seien rekursiv definiert durch die Vorschrift: u0 = 4 uk+1 ist der Rest von u2k − 2 bei Division durch Mp (k = 0, 1, 2, . . . , p − 3) Dann gilt: Beispiel: Mp prim p=7 ⇐⇒ up−2 = 0 . M7 = 27 − 1 = 127 u0 = 4 u20 − 2 = 14 = 0 · 127 + 14 =⇒ u1 = 14 u21 − 2 = 142 − 2 = 194 = 1 · 127 + 67 =⇒ u2 = 67 u22 − 2 = 672 − 2 = 4 487 = 35 · 127 + 42 =⇒ u3 = 42 u23 − 2 = 422 − 2 = 1 762 = 13 · 127 + 111 =⇒ u4 = 111 u24 − 2 = 1112 − 2 = 12 319 = 97 · 127 + 0 =⇒ u5 = 0 Also ist M7 eine Mersenne’sche Primzahl. 4 Chr.Nelius : Zahlentheorie (SoSe 2017) Liste der bekannten Mersenne’schen Primzahlen Stand: 20.4.2017 Nr. p 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 2 3 5 7 13 17 19 31 61 89 107 127 13 521 14 607 15 1 279 16 2 203 17 2 281 18 3 217 19 4 253 20 4 423 21 9 689 22 9 941 23 11 213 24 19 937 2 Stellenzahl von 2p − 1 Nr. Jahr 1 1 2 3 4 1456 6 1584 6 1588 10 1772 (Euler) 19 1883 27 1911 33 1914 39 1876 (Lucas) 157 183 386 664 687 969 1 281 1 332 2 917 2 993 3 376 6 002 74 207 281 −1 1952 Computer p Stellenzahl von 2p − 1 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 21 701 23 209 44 497 86 243 110 503 132 049 2160 91 756 839 859 433 1 257 787 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 1 398 269 2 976 221 3 021 377 6 972 593 13 466 917 20 996 011 24 036 583 25 964 951 30 402 457 32 582 657 45? 46? 47? 48? 37 156 667 42 643 801 43 112 609 57 885 161 11 185 272 12 837 064 12 978 189 17 425 170 49? 74 207 281 22 338 618 Jahr 6 533 6 987 13 395 25 962 33 265 39 751 65 050 227 832 258 716 378 632 420 921 ab 1996 GIMPS 895 932 1997 909 526 1998 2 098 960 1999 4 053 946 14.11.01 6 320 430 17.11.03 7 235 733 15.5.04 7 816 230 18.2.05 9 152 052 5.12.05 9 808 358 4.9.06 6.9.08 12.4.09 23.8.08 25.1.13 7.1.2016 ist eine Primzahl mit 22 338 618 Dezimalstellen. Diese Zahl ist die größte, zur Zeit bekannte Primzahl! Bis zu Nr. 44 ist die Nummerierung korrekt. Zwischen den folgenden könnte es noch weitere Mersenne’sche Primzahlen geben. Alle Mersenne’schen Primzahlen seit 1996 wurden im Rahmen einer weltweit durchgeführten Suche im Internet gefunden. GIMPS The Great Internet Mersenne Prime Search Informationen findet man unter http://www.mersenne.org Ungelöstes Problem: Gibt es unendlich viele Mersenne’sche Primzahlen? 5 Chr.Nelius : Zahlentheorie (SoSe 2017) (6) Vollkommene Zahlen Eine natürliche Zahl n heißt vollkommen, wenn die Summe der positiven Teiler von n gleich 2 · n ist. Satz (Euler) Eine gerade Zahl n ist vollkommen, wenn n von der Form n = 2p−1 · (2p − 1) ist, wobei 2p − 1 eine (Mersenne’sche) Primzahl ist (und umgekehrt). Ungelöste Probleme: Gibt es ungerade vollkommene Zahlen? Gibt es unendlich viele vollkommene Zahlen? (7) Fermat’sche Primzahlen n Problem: Wann ist eine Zahl der Form Fn = 22 + 1 eine Primzahl (eine sog. Fermat’sche Primzahl)? Die ersten 5 Fermat’schen Zahlen sind 0 F 0 = 22 + 1 = 3 F1 = 2 21 +1 = 5 F2 = 2 22 +1 = 17 F3 = 2 23 +1 = 257 4 F4 = 22 + 1 = 65 537 Dies sind alles Primzahlen und Fermat vermutete (∼ 1650), dass alle Zahlen Fn prim sind. Im Jahre 1732 zeigte jedoch L.Euler, dass 5 F5 = 22 + 1 = 4 294 967 297 = 641 · 6 700 417 keine Primzahl ist. Seitdem versucht man, weitere Fermat’sche Primzahlen zu finden, was jedoch bis heute nicht gelungen ist. Ungelöstes Problem: Gibt es unendlich viele Fermat’sche Primzahlen? 6 Chr.Nelius : Zahlentheorie (SoSe 2017) (8) Die Konstruktion eines regelmäßigen n–Ecks Problem: Für welche Zahlen n ist das regelmäßige n–Eck mit Zirkel und Lineal konstruierbar? Bekannt sind Konstruktionen für n = 3, 4, 5, 6 . Satz (Gauß,1796) Ist p eine Primzahl, so ist das regelmäßige p–Eck genau dann mit Zirkel und Lineal konstruierbar, wenn p eine Fermat’sche Primzahl ist. Für die 5 bekannten Fermat’schen Primzahlen ist die Konstruktion des regelmäßigen n–Ecks auch durchgeführt worden: n Konstruktion des regelmäßigen n–Ecks F0 = 3 bereits im Altertum bekannt F1 = 5 bereits im Altertum bekannt F2 = 17 Gauß (1796) F3 = 257 Richelot (1832) F4 = 65 537 Hermes (1879–1889) Konstruktion eines regelmäßigen 5–Ecks D E I H C F A G B Die Längen einer Diagonale (etwa BD) und einer Seite (etwa AB) stehen im Verhältnis √ 5) ≈ 1.62 des Goldenen Schnittes. 1 (1+ 2 7 Chr.Nelius : Zahlentheorie (SoSe 2017) (9) Der kleine Satz von Fermat Satz: Ist a eine ganze Zahl, die von der Primzahl p nicht geteilt wird, so gilt p − 1 rp a = 1 d.h. ap−1 hat den Rest 1 bei Division durch p . Dieser Satz erleichtert die Berechnung der Reste von Potenzen mit großen Exponenten bei Division durch eine Primzahl. Beispiel: Wie groß ist der Rest von 743002 bei Division durch 101 ? Es gilt r101 (74100 ) = 1 nach dem kleinen Satz von Fermat. =⇒ r101 (743000) = r101 ((74100)30 ) = 1 742 = 5 476 = 54 · 101 + 22 =⇒ r101 (742 ) = 22 =⇒ r101 (743002) = r101 (743000 · 742 ) = r101 (1 · 22) = 22 , d.h. 743002 hat den Rest 22 bei Division durch 101 . Dabei ist 743002 eine Zahl mit 5 612 Dezimalstellen! (10) Das RSA–Verschlüsselungsverfahren Das RSA–Verschlüsselungsverfahren ist ein modernes Verfahren, das auf zahlentheoretischen Überlegungen aufbaut. Ein wesentliches Hilfsmittel dabei ist der Kleine Satz von Fermat. Für dieses Verfahren werden ”große” Primzahlen benötigt. (11) Warum Beweise? Im Laufe dieser Vorlesung wollen wir Ergebnisse erzielen, die etwa für alle natürlichen Zahlen oder für alle Primzahlen gelten sollen. Das Problem dabei ist, dass die Menge aller natürlichen Zahlen oder aller Primzahlen unendliche Mengen sind. Es reicht dann nicht, diese Ergebnisse in einigen Fällen zu verifizieren, sondern sie müssen allgemein bewiesen werden. In dem folgenden Beispiel ist eine Aussage für alle natürlichen Zahlen von 2 bis 906 150 256 richtig, aber für 906 150 257 falsch! Das zeigt, dass für Aussagen, die allgemeingültig sein sollen, Beweise erforderlich sind. 8 Chr.Nelius : Zahlentheorie (SoSe 2017) Es bezeichne G(n) die Anzahl aller natürlichen Zahlen ≤ n , die eine gerade Anzahl von Primfaktoren haben, und U (n) die Anzahl aller natürlichen Zahlen ≤ n , die eine ungerade Anzahl von Primfaktoren haben. In der folgenden Tabelle sind diese Größen für n = 1, 2, 3, . . . , 12 berechnet: n PFZ von n G(n) U (n) 1 1 0 2 2 1 1 3 3 1 2 4 2·2 2 2 5 2 3 2·3 3 3 7 3 4 2·2·2 3 5 3·3 4 5 2·5 5 5 11 5 6 2·2·3 5 7 5 6 7 8 9 10 11 12 Wir sehen, dass in diesen Beispielen die Ungleichung G(n) ≤ U (n) für n = 2, 3, . . . 12 gilt. Rechnet man jetzt weiter bis n = 1 000 , so gilt auch in diesen Fällen immer die Ungleichung G(n) ≤ U (n) , so dass man auf die Vermutung kommen könnte, dass diese Ungleichung für alle natürlichen Zahlen n ≥ 2 gültig ist. Das allerdings ist falsch!!! Denn es ist U (906 150 257) = 453 075 128 < 453 075 129 = G(906 150 257) . 906 150 257 ist das kleinste Gegenbeispiel, und es gibt sogar unendlich viele Gegenbeispiele! Fazit: Allein aus der Tatsache, dass eine Formel oder Aussage für die ersten 10 oder 100 oder 1 000 natürlichen Zahlen richtig ist (was man wirklich nachgeprüft hat), kann man noch lange nicht schließen, dass sie dann auch für alle natürlichen Zahlen gilt. Um das sagen zu können, müsste man sie richtig beweisen! Eine Beweismethode, mit der man in vielen Fällen zeigen kann, dass eine Formel oder Aussage für alle natürlichen Zahlen richtig ist, ist die vollständige Induktion.