Hormontherapie urogenitaler Tumoren

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Fortschritte der Urologie und Nephrologie
FORTSCHRITTE DER UROLOGIE UND NEPHROLOGIE
HERAUSGEGEBEN VON
PROF. DR. W. VAHLENSIECK, BONN
BAND 8
HORMONTHERAPIE UROGENITALER TUMOREN
A
~
SPRINGER-VERLAG BERLIN HEIDELBERG GMBH
1976
Hormontherapie urogenitaler Tumoren
Experimentelle Untersuchungen
Von
Prof. Dr. Jens E. Altwein
Oberarzt der Urologischen Klinik der Johannes
Gutenberg-Universităt
Mit 31 Abbildungen und 10 Tabellen
SPRINGER-VERLAG BERLIN HEIDELBERG GMBH
1976
Mainz
Als Habilitationschrift vorgelegt den Medizinischen
Fachbereichen der Johannes
Gutenberg-Univ'ersităt
Mainz
Alle Rechte vorbehalten
(insbesondere des Nachdruckes und cler Obersetzung)
Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Xerographie, Mikrofilm, unter Verwendung elektronischer Systeme oder anderer Reproduktionsverfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert werden.
© 1976 by Springer-Verlag Berlin Heidelberg
Urspriinglich erschienen bei Dr. Dietrich Steinkopff Verlag, Darmstadt 1976
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CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Altwein, Jens
Hormontherapie urogenitaler Tumoren:
experimentelle Unters.
(Fortschritte der Urologie und Nephrologie; Bd. 8)
ISBN 978-3-7985-0452-3
ISBN 978-3-642-72323-0 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-642-72323-0
ISSN 0071-7975(8)
V
Zweck und Ziel der Sammlung
Urologie und Nephrologie zählen zu jenen Bereichen der Medizin, in denen in den
letzten Jahrzehnten erhebliche diagnostische und therapeutische Fortschritte erzielt werden konnten. Dank intensiver wissenschaftlicher Zusammenarbeit zwischen Genetikern,
Andrologen, Pädiatern, Gynäkologen, Röntgenologen, Pathologen, Chirurgen, Anästhesisten, Urologen und Nephrologen konnten manche Probleme gelöst werden, die
früher unlösbar schienen. Die bestehenden Fachzeitschriften erlauben nur in begrenzter
Weise eine fundierte Information des praktizierenden Arztes und Facharztes, welcher
sich fast täglich einer Vielfalt von Fällen von Nieren- und Harnwegserkrankungen gegenübergestellt sieht.
Die vorliegende Sammlung will in zwangloser Weise aktuelle Themen aus dem Bereich
der Urologie und Nephrologie knapp, aber erschöpfend unter Berücksichtigung der modernen Diagnose und Therapie darstellen. Jeder Beitrag ist in sich abgeschlossen.
Der in der Klinik oder Praxis tätige Arzt kann aus den einzelnen Bänden den jeweils
neuesten Stand der Urologie und Nephrologie kennenlernen, der Medizinstudent Ergänzungen über den knappen Rahmen vorhandener Lehrbücher hinaus finden.
HERAUSGEBER
und
VERLAG
VI
Vorwort
Unter den Tumoren des Urogenitalsystems können das Prostata-Karzinom, das
Prostata-Adenom und hypernephroide Nierenkarzinom als hormonabhängig bezeichnet werden. Aus Gründen der Vollständigkeit müßte noch das Aldosteronproduzierende Nebennierenrinden-Adenom dazugezählt werden, das aber nicht
Gegenstand dieser Arbeit ist. Geschwülste der Samenblasen, der Hoden, der Nebenhoden und des Penis, also Organen mit hormonsensiblem Muttergewebe, sind
hormonresistent. Mit dem Wachstumsabschluß dieser Urogenitalorgane erlischt
ihre Hormonabhängigkeit.
In der konservativen Therapie der Urogenitaltumoren wird ihre Hormonabhängigkeit genutzt. Wegweisend waren Autoren wie Lau1tois, Wugmeister, Huggins,
Bloom und Geller. Für die heutige Behandlung stehen nebenwirkungsarme Depotpräparate der Sexualsteroide zur Verfügung. Aus der Palette der angebotenen
Medikamente gilt es in einem prätherapeutischem Screening die wirksamsten herauszufinden.
Die Arbeit, über die nachstehend berichtet wird, wurde stets unterstützt von
Herrn Prof. R. Hohenfellner, dem ich dafür danken möchte. Für ihre langjährige
enge Zusammenarbeit gilt mein Dank auch Herrn Prof. F. Orestano und Fräulein
H. Kuhlmann. Die Sehering AG, Berlin stellte die Mehrzahl der untersuchten
Sexualsteroide zur Verfügung. Die Helmut Horten Stiftung hat diese Arbeit als
Sponsor gefördert.
Mainz, Januar 1976
Jens E. Altwein
VII
INHALT
Zweck und Ziel der Sammlung
Vorwort. . . .
I. Einführung .
1.1 Hormonsensible Tumoren
1.2 Hormonresistente Tumoren.
1. 3 U ngezielte Hormontherapie .
2. Wirkung einer Hormonose auf hormonsensible Tumoren des Urogenitalsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1. Das Prostata-Karzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1.1 Hormonsensibilität und -resistenz des Prostata-Karzinoms
2.2 Das Prostata-Adenom . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.1 Die Hormonabhängigkeit des Prostata-Adenoms
2.3 Das Hypernephrom. . . . . . . . . . . . . . .
2.3.1 Die Hormonabhängigkeit des Hypernephroms .
V
VI
1
1
1
2
3
3
3
4
5
5.
6
3. Möglichkeiten zur prätherapeutischen Prüfung von hormonell wirksamen
Substanzen bei Urogenitaltumoren .
3.1 Langzeitkulturen . . . . . . . .
3.2 In vivo-Testsysteme. . . . . . .
3.3 Kurzzeitinkubation von Tumorzellen.
3.3.1 Stoffwechselmodelle . . . . .
3.3.1.1 Nukleinsäure-Stoffwechsel.
3.3.1.2 Androgenstoffwechsel . . .
3.3.1.2.1 Androgenstoffwechsel im Prostata-Adenom.
3.3.1.2.2 Androgenstoffwechsel im Prostata-Karzinom .
3.3.1.2.3 Androgenstoffwechsel im Hypernephrom.
9
9
10
ll
12
12
12
13
16
16
4. Eigene Untersuchungen.
4.1 Material . . . . .
4.2 Methode. . . . . .
4.2.1 Standardinkubation .
4.2.2 Inhibitorstudien . .
4.2.3 Extraktion. . . . .
4.2.4 Trennung und Identifizierung der Steroide .
4.2.5 Derivatbildung und Rekristallisierung . . .
4.2.6 Rekristallisierung zur konstanten spezifischen Aktivität
4.2. 7 Radioaktivitätsmessung
4.2.8 Chemikalien .
4.2.9 Berechnungen
17
17
17
17
18
18
19
19
19
20
20
21
22
5. Ergebnisse . . . . . .
5.1 Simultan-! nkubation mit konstanter Ha. Testosteron-Konzentration am Beispiel des Prostata-Admoms. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
VIII
5.2 Simultan-Inkubation mit steigender Konzentration von HB-Testosteron.
22
5.2.1 Fließgleichgewicht (Steady State). . . . . .
22
5.2.2 Gew~bsbehandlung . . . . . . . . . . . .
23
5.2.3 Aufnahme und Retention von RB-Testosteron
24
5.2.4 Wirkungsgrad . . . . . . . . . . . . . .
26
5.2.5 Leistungsbreite der Prostata-Adenomzellen im Androgenstoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
26
5.3 Präinkubationsexperimente . . . . . . . . . . . .
5.4 Stoffwechsel von nichtandrogenen Delta 4 -3Keto-Steroiden
26
5.5 Inhibitorstudien . . . . . . . . . . . . . .
28
5.5.1 Prostata-Adenom. . . . . . . . . . .
28
29
5.5.1.1 Gestagene und Prostata-Adenom.
5.5.1.2 Östrogene . . .
30
5.5.1.3 Antiandrogene.
30
30
5.5.2 Prostata-Karzinom
31
5.5.2.1 Gestagene.
32
5.5.2.2 Östrogene .
34
5.5.3 Hypernephrom . .
35
5.5.3.1 Gestagene.
6. Diskussion . . . . . . . .
6.1 Inhibitorstudien am Prostata-Adenom
6.2 Inhibitorstudien am Prostata-Karzinom
6.3 Inhibitorstudien am Hypernephrom
44
7. Zusammenfassung .
48
Literatur . . .
Sachverzeichnis. . . .
50
44
46
46
54
1. Einführung
Die Hormontherapie bestimmter Tumoren des Urogenitalsystems kann nur dann
wirksam sein, wenn zugeführtes Hormon und Tumor eine besondere Affinität zueinander aufweisen. Ein Prototyp hierfür ist das Prostata-Karzinom, das als androgenabhängiger Tumor von der eigentlichen Prostata, einem Target-Organ physiologischer,
testikulärer und adrenaler C 19-Steroide seinen Ausgang nimmt. Nowakowski (124)
versteht unter einer derartigen hormonabhängigen Geschwulst einen malignen Tumor,
dessen Wachsturn bis zu einem bestimmten Grad und Stadium von den gleichen Hormonen abhängig ist wie die Muttersubstanz des Tumorgewebes. In der therapeutischen
Konsequenz bedeutet dies ein günstiges Verhältnis zwischen der Hormonwirkung am
gewünschten Organ und systemischer Nebenwirkung des Hormons. Unter solchen Bedingungen wird auch eine hochdosierte Hormontherapie, von Williams (183) auch als
Hormonose bezeichnet, vom Patienten relativ gut vertragen, ist nebenwirkungsarm
und geeignet für die meist unumgängliche Langzeittherapie, die usque ad finem fortgesetzt werden muß,
1.1 Hormonsensible Tumoren
Im Gegensatz zu der engen Begriffsfassung "hormonabhängiger" Tumoren können
als hormonsensibel alle Tumoren. bezeichnet werden, an denen ein Angriff verabreichter Hormone erkennbar ist (113). Bei einem hormonsensiblen Tumor des Urogenitaltraktes würde man unter der Therapie eine Regression des Primärtumors und seiner
Metastasen erwarten. Ein derartiger Effekt tritt allerdings selbst unter der ÖstrogenBehandlung des metastasierenden Prostata-Karzinoms nicht in allen Fällen auf (primäre
Östrogenresistenz). Schließlich können auch primär hormonsensible Prostata-Karzinome
sich in hormonrefraktäre Formen wandeln, etwa bei Therapieunterbrechung, Unterdosierung oder dem Auftreten von Östrogen-Antikörpern. In der praktischen Anwendung ist die Wahl der richtigen Dosierung des Steroids oft schwierig.
1.2 Hormonresistente Tumoren
In hormonabhängigen Organen des Urogenitaltraktes wie Nebenniere, Prostata,
Samenblasen, Hoden, Nebenhoden und Penis entstehen aber auch solche Tumoren,
bei denen kein nachweisbarer therapeutischer Effekt durch eine Hormonase zu erzielen ist. Die Gründe für das Entstehen hormonresistenter Tumoren in hormonsensiblem Muttergewebe sind noch ungeklärt.
Eine derartige Wandlung der Hormonabhängigkeit tritt physiologischerweise am
Penis ein; denn nach Abschluß des hormongesteuerten Wachstums und der Ausdifferenzierung des Penis können auch exzessive Androgen-Dosen keine weitere Größenzunahme bewirken (184 ). Im Gegensatz hierzu bleibt die Hormonabhängigkeit bei
den endokrinen Organen des Urogenitalsystems, deren Leistung hypophysär gesteuert
wird, bestehen. Bei diesen Organen finden sich auch weiterhin leistungsbedingte
Hyper- oder Hypotrophien.
Tumoren in den endokrinen Target-Organen sind in der Regel resistent, wenn ihre
Entstehung nicht mit einem Auftreffen von endogenem oder exogenem Hormon zu-
2
Einfiihrung
sammenhängt. Beispielsweise entsteht das Penis-Karzinom nach heutiger Kenntnis
hormonunabhängig und kann auch nicht mit Hormonen behandelt werden.
1.3 Ungezielte Hormontherapie
Die systemische Wirkung der Corticosteroide ruft bei Tumorpatienten eine Scheinblüte hervor, der eine ergotrope Reaktion mit vermehrtem Angebot an Betriebsmaterial
(Glukoneogenese, 76), eine Hemmung der Bindegewebsproliferation und anderer
Reaktionen des Mesenchyms mit Minderung der Metastasenschmerzen ("antirheumatisch") und ein Einfluß auf das Zentralnervensystem (endokrines Psychosyndrom) zu
Grunde liegen.
Am Tumor selbst fUhren Corticosteroide nicht zu einer regressiven Metamorphose.
Anabolika sind zwar flir eine gezielte Therapie von Tumoren des Urogentialsystems
ungeeignet, können aber im Terminalstadium beispielsweise bei einem Prostata-Karzinom-Träger Anwendung finden. Anabole Steroide steigern den Proteinaufbau, die
Stickstoffbilanz wird positiv, ebenso die Calcium- und Phosphorbilanz (98). Dieser
Effekt läßt sich therapeutisch beim kachektischen Prostata-Karzinom-Patienten nutzen.
Die lokale Wirkung an der Prostata kann bei der palliativen Behandlung in einem fortgeschrittenen Tumorstadium mit anabolischen Substanzen vernachlässigt werden.
Wirkung einer Hormonase auf hormonsensible Tumoren des Urogenitalsystems
3
2.. Wirkung einer Hormonose auf hormonsensible Tumoren des Urogenitalsystems
Vier verschiedene Tumoren des Urogenitalsystems sind einer Hormonbehandlung
zugänglich: das Prostata-Karzinom, das Prostata-Adenom, das Hypernephrom und das
Aldosteronproduzierende Nebennierenrinden-Adenom.
2.1 Das Prostata-Karzinom
Das Prostata-Karzinom war der erste urogenitale Tumor, bei dem eine wirksame
Therapie mit Hormonen der Östrogen-Reihe (C 18-Steroide oder Östrane) bekannt
wurde. Am Beginn dieser Hormonose, die durch endokrinoprive Maßnahmen wie
Orchiektomie, Adrenalektomie oder Hypophysektomie verstärkt wird, standen folgende Überlegungen: Das Prostata-Karzinom entsteht in den drüsigen Epithelien der
Prostata des erwachsenen Mannes. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die
Epithelzellen der prostatischen Drüsen-Alveoli bei Fehlen von androgenen Hormonen
atrophieren, müßte eine Elimination der Androgen-Produktionsstätten im Organismus
durch Kastration und Adrenalektomie oder die Gabe gegengeschlechtlich wirkender
Hormone das Wachstum des Prostata-Karzinoms zurückdrängen. Diese Schlußfolgerungen wurden in einer Serie von Experimenten überprüft und bestätigt (Huggins und
Hodges, 1941 ;Huggins, Stevens und Hodges, 1941 ;Huggins, Scott und Hodges, 1941).
1950 veröffentlichten Nesbit und Baum ( 125) die erste große Prostata-KarzinomStatistik. 1818 Patienten aus 14 amerikanischen urologischen Kliniken wurden gesammelt und die Wirksamkeit der Östrogen-Behandlung bestätigt.
Die 5-J ahres Überlebenszeit der Prostata-Karzinom-Patienten aller Stadien ohne
Hormonzufuhr konnte durch Kastration und Diäthylstilböstrol-Gabe von 10% auf 44%
verbessert werden.
Wegen der Nebenwirkungen dieser kontrasexuellen Therapie wurde nach der Entdeckung der Hormonabhängigkeit des Prostata-Karzinoms nach anderen wirksamen
Steraiden geforscht. In der Gruppe der Gestagene ( Gutierrez, 1949 und Trunnel et al.,
1950) und Anti-Androgene (Scott und Schirmer, 1966) gelang es, eine neue Richtung
einer nebenwirkungsarmen Hormontherapie aufzuzeigen. Mit nicht-hormonalen Zytostatika, die von Yagoda (1973) am Sloan-Kettering Memorial Hospital systematisch
untersucht wurden, kann lediglich bei fortgeschrittenem Prostata-Karzinom, das
östrogen-restistent wurde, eine kurzfristige Lebensverlängerung erzielt werden. Unterstrichen wird die Bedeutung der Hormontherapie durch die Feststellung von Whitmore
( 181 ), daß Spontanregressionen des Prostata-Karzinoms bis jetzt nicht bekannt wurden.
2.1.1 Hormonsensibilität und-resistenzdes Prostata-Karzinoms
Unter den Geschwülsten der Prostata sind nur diejenigen epithelialen Ursprungs
einer Therapie mit Östrogenen, gestagenen und antiandrogenen Hormonen zugänglich.
Die seltenen mesenchymalen Tumoren der Prostata sind hormonresistent. Allerdings
fehlen beispielsweise für die Prostata-Sarkome entsprechende Untersuchungen. Eine
primäre Östrogen-Resistenz besteht auch in 16% aller Prostata-Karzinome (27).
Um dem Patienten mit einem hormonresistenten Tumor eine nutzlose Hormonzufuhr zu ersparen, wurde nach Parametern des individuellen Prostata-Karzinoms gefahndet, die Voraussagen über das Ansprechen einer kontrasexuellen Hormontherapie
4
Wirkung einer Hormonase auf hormonsensible Tumoren des Urogenitalsystems
erlauben würden. Am geeignetsten erwies sich der Bezug auf histologische Kriterien
von transrektalen oder transperirrealen Stanzbiopsien. Die Östrogen-Empfindlichkeit
des Adenokarzinoms der Prostata ist ausgeprägt im Gegensatz zum anaplastischen oder
szirrhösen Karzinom, d.h. je weiter die strukturellen Eigentümlichkeiten der Prostata
verloren gehen, um so deutlicher scheint sich ein hormonrefraktäres Verhalten des
Tumors auszubilden. Voraussagen über hormonelle Ansprechbarkeit des ProstataKarzinoms scheinen an Zuverlässigkeit zu gewinnen, wenn die von Gleason (1966)
eingeführte histologische Gradeinteilung bei der Östrogen-Therapie zugrunde gelegt
wird.
Pool und Thompson ( 1956) fanden eine deutliche Abhängigkeit zwischen Ansprechen des Tumors auf eine hormonelle und/oder chirurgische Therapie und dem
histologischen Grad (Tab. 1). Schirmer, Murphy und Scott ( 1961) bestätigten die
Korrelation zwischen hoher Differenzierung (Grad 1) und guter Hormonwirkung sowie Entdifferenzierung (Grad 4) und zunehmender Hormonresistenz (Tab. 1).
Tab. 1:
Korrelation zwischen histologischem Grad, Überlebenszeit und gutem Östrogen-Effekt
beim Prostata-Karzinom.
Grad
5 Jahres10 JahresÜberlebenszeit
guter Östrogeneffekt
1
59,5%
90%
71%
65%
52%
2
3
4
34,1%
16,2%
5,6%
40 %
9,8%
3,1%
0 %
Pool und Thompson
(1956)
Schirmer, Murphy und
Scott (1961)
In gleichem Sinne kann auch die Beobachtung von Tavares et. al. ( 1973) interpretiert
werden, daß Prostata-Karzinome mit di- oder tetraploidem Chromosomensatz durch
Östrogene besser beeinflußbar sind als solche mit Triplaidie oder Hexaploidie (37%
gegenüber 3%). Somit ist die Schlußfolgerung erlaubt, daß Prostata-Karzinom-Träger
gut auf eine Hormontherapie reagieren, wenn die drüsige Tumorstruktur eine gewisse
Regelmäßigkeit erkennen läßt, die Epithelien in der Größe den eigentlichen Drüsenzellen der Prostata entsprechen, eine Kernanaplasie fehlt, die maligne transformierten
Drüsen gedrängt gefunden werden und wesentliche Stromveränderungen ausbleiben
(Byar und Mostofi, 1972).
2.2 Das Prostata-Adenom
Die Versuche einer konservativen Behandlung des Prostata-Adenoms sind Legion.
Unter den unterschiedlichsten nicht hormonellen Pharmaka gelang es nicht eine Substanz mit überzeugender Wirkung zu finden. Erst die Entdeckung der Steroid-Hormone
eröffnete neue Wege einer konservativen Therapie des Prostata-Adenoms. Die Kastrationsbehandlung des Prostata-Adenoms, die mit Beginn des 20. Jahrhunderts wegen
besserer chirurgischer Techniken aufgegeben wurd ~. brachte Wugmeister (193 7) auf
den Gedanken, eine kontrasexuelle Therapie des Prostata-Adenom-Kranken mit
Östrogenen zu versuchen. Er injizierte mit gutem Ergebnis bei 23 Prostatikern dreimal
wöchentlich 250 ÖOO E Follikelhormon. Kahle und Mitarbeiter ( 1940) sowie Peirson
(1946) hielten gleichfalls eine östrogen-Zufuhr für zweckmäßig. Es stellte sich dann
Wirkung einer Hormonase auf hormonsensible Tumoren des Urogenitalsystems
5
dllerdings heraus, daß eine Wirkung mit Östrogenen Hormonen nur mit einer Dosis zu
erzielen war, die am Patienten wegen zunehmender Nebenwirkungen nicht realisiert
werden konnte. Diese Schwierigkeit war auch durch eine Östrogen-Androgenkombination nur ungenügend zu überwinden (Kaufman und Goodwin, 1959).
Während die alleinige Androgen-Zufuhr weder zu einer Adenom-Regression noch
zu einer Linderung der obstruktiven Beschwerden führte, gelang es die Pollakisurie
des Adenom-Kranken mit Progesteron zu bessern (Chwalla, 1951). Genau wie beim
Prostata-Karzinom wurde die Progesteron-Therapie wieder aufgegeben, da Progesteron
oral praktisch wirkungslos ist; aber der parenteralen Gabe die schlechte Gewebeverträglichkeit und die Notwendigkeit häufiger Injektionen wegen der kurzen Halbwertzeit entgegenstanden. Das Progesteron kann wegen der beiden Ketogruppen (C 3,
C 20) nicht verestert werden, so daß eine Depot-Form nicht herstellbar war (103).
Diese Schwierigkeit war mit der Synthese des l7a-Hydroxyprogesterons überwunden,
das durch Veresterung zu einem stark und protrahiert wirksamenGestagen wird (86).
GelZer (1964) wendete als erster bei l 0 Patienten mit einem Prostata-Adenom das
l7a-Hydroxyprogesteron Capronat an. Restharn, Uroflow und Adenom-Größe wurden
günstig beeinflußt. Im deutschen Sprachraum konnten Vahlensieck und Gödde ( 1968)
mit einem neuentwickelten Depot-Gestagen, l?a-Hydroxy-19-Nor-Progesteron Capronat (= Gestonoron Capronat, Depostat®)diese Ergebnisse bestätigen.
2.2.1 Die Hormonabhängigkeit des Prostata-Adenoms
Werden die Androgen-Bildungsorte durch Orchiektomie reduziert, daim atrophieren
die periurethralen Drüsen. Eine Beobachtung, die bis zur Jahrhundertwende zur
Therapie des obstruierenden Prostata-Adenoms erfolgreich angewendet wurde (Launois,
1894; White, 1895). Buggins und Stevens (1940) lieferten durch bioptische Kontrollen
an 3 Prostata-Adenom-Trägern den Beweis. Sie fanden deutlich verkleinerte DrüsenAcini, eine Verminderung der Epithelhülle und eine Zunahme der epithelialen Sehichtung als Kastrationsfolge.
Die Wirkung von Östrogenen in Kombination mit Orchiektomie wurde in einer ausgedehnten Untersuchung von Prostatae, die autoptisch entnommen worden waren, von
Wendel et al. ( 1972) untersucht. Die Hyperplasie der periurethralen Drüsen nahm ab,
gefolgt von einer vikariierenden Vermehrung des Stromas. Epithelleisten der Acini
und sekretorische Aktivität der Drüsenzellen fehlten nach der Behandlung in 86% bzw.
92%. Das Epithel wurde unter der Östrogen-Therapie flach kubisch im Gegensatz zum
hohen Zylinderepithel der unbehandelten Kontrollen. Bioptische Verlaufskontrollen
von Patienten mit gestagenbehandelten Prostata-Adenom offenbarten regressive Veränderungen der adenomatösen Abschnitte, Pyknose und Hyperchromasie der Zellkerne
und eine Verschiebung der Kern-Plasma-Relation (148).
2.3 Das Hypernephrom
In ähnlicher Weise wie beim Prostata-Karzinom konnten Behandlungsversuche des
hypernephroiden Nierenkarzinoms mit Zytostatika wenig überzeugen (65, 163, 186).
Auf der Suche nach neuen Möglichkeiten fand Bloom ( 1960) einen günstigen Einfluß
von Progestagenen und Androgenen auf Patienten mit inoperablem metastasierendem
Hypernephrom. Im Rückblick auf einen 13jährigen Behandlungszeitraum scheint die
Gestagentherapie des metastasierenden Hypernephroms (vereinzelt in Kombination
mit einem Androgen) in 15% von 291 in der Literatur mitgeteilten Fällen günstig gewirkt zu haben (21; Tab. 2).
6
Tab. 2:
Wirkung einer Hormonase auf hormonsensible Tumoren des Urogenitalsystems
Progesteron-Behandlung (vereinzelt auch Androgen) des metastasierenden Hypernephroms. Literaturübersicht.
Autor
Jahr
Progestogen Androgen
Anzahl
obj.
Besserung
Woodruff et al.
Melander et al.
Jenkin
Samuels et al.
Talley et al.
Papac
Paine et al.
Wagle et al.
WerfMessing et al.
Bloom
Eisen et al.
1967
1967
1967
1968
1969
1969
1970
1971
1971
1971
1973
+
+
4
20
15
23
27
12
15
43
33
80
19
1
4
1
4
2
4
3
8
2
13
2
291
44
+
+
(+)
+
(+)
+
+
+
+
+
+
+
+
(+)
+
(+)
Zus.
Natürlich kann man bei die'sen 15% nicht von einer Heilung sprechen, sondern es
handelt sich lediglich um eine Lebensverlängerung auf maximal 3 Jahre. Von diesen
15% müssen auch noch bislang mitgeteilte Spontanregressionen von Hypernephromen
abgezogen werden (Tab. 3).
Tab. 3:
Bisher mitgeteilte Fälle von Spontanregression beim Hypernephrom.
Autor
Jahr
Spontanregression
Gonick et al.
Andrews
Everson et al.
Mimset al.
Hudgins et al.
Adolfsson
Markewitz et al.
Robinson
Ridings
Bloom
DeGeorgi
Garfield et al.
1964
1965
1966
1966
1966
1967
1969
1971
1971
1972
1972
1
1
26
1
1
2
1
1
1
2
1
':.I.
Zusammen
40
19_~
2.3.1 Die Hormonabhängigkeit des Hypernephroms
Geschlechtshormone scheinen im Laboratoriumstier "renotrop" wirken zu können
(Selye, 1941): Kastration führte zur Atrophie der Nieren mit meßbarem Rückgang des
spezifischen DNS-Gehaltes, wohingegen Androgen-Zufuhr eine Hypertrophie mit Zunahme des Nierengewichtes und Normalisierung der DNS-Konzentration der Niere bedingte. Östrogene rufen degenerative Veränderungen hervor., die durch gleichzeitige
Gabe von Progesteron verhindert werden (39, 97, 152). Progesteron scheint andererseits in der Lage zu sein, eine Vermehrung des Nierenparenchyms auszulösen (152).
Unter Verwendung von radioaktivem Progesteron konnten Chatterton et al. (1969)
zeigen, daß die Niere aufgrund ihrer Enzymausstattung Progesteron inaktivieren kann.
Wirkung einer Hormonase auf hormonsensible Tumoren des Urogenitalsystems
7
Die Wirkung von Testosteron (25 mg/die) auf die Nierenfunktion des Menschen
wurde von Lattimer (1942) untersucht. Es fand sich eine Zunahme der Inulin-Clearance,
die beim Testosteron-substituierten Kastraten sogar um mehr als 20% anstieg. Schließlich scheint auch eine gewisse Geschlechtsdetermination durch das unterschiedliche
spezifische Nierengewicht von Mann und Frau zu bestehen.
Die Sexualsteroide wirken offenbar unmittelbar auf die Niere, da eine gleichsinnige
Veränderung auch am hypophysektomierten Tier beobachtet werden konnte (153).
Würde beim Hypernephrom in gleicher Weise wie bei der normalen Niere eine
Hormonabhängigkeit bestehen, dann wäre von therapeutisch verabreichten renotropen
Steraiden auch eine "onkotrope" Wirkung zu erwarten.
Aus der klinischen Beobachtung ist bekannt, daß vorwiegend Männerein Hypernephrom bekommen. Nach Ochsner ( 1965) schwankt das Verhältnis von männlichen
zu weiblichen Tumorträgern zwischen 2,5 : I und 8 : I. Bemerkenswert ist ferner, daß
Spontanregressionen von Hypernephromen ebenfalls beim Mann wesentlich häufiger
(Verhältnis 4: I) als bei der Frau auftreten (Tab. 4 ).
Tab. 4:
Geschlechtsverteilung der mitgeteilten Fälle von Spontanregression am Hypernephrom.
Autor
Jahr
Anzahl
0
Gonick et al.
Andrews
Eversen et al.
Mimset al.
Hudgins et al.
Adolfsson
Markewitz et al.
Bloom
Ridings
DeGeorgi
Garfield et al.
1964
1965
1966
1966
1966
1966
1967
1971
1971
1972
1972
1
1
26
1
1
2
1
2
1
1
2
21
1
1
2
1
1
1
1
1
9
1
5
Schließlich fällt auf, daß Hypernephrome zur Zeit einer endokrinen Hyperaktivität
beispi'elsweise während der Schwangerschaft extrem selten vorkommen.
Die klinische Anwendung von gestagenen C 21-Steroiden zur unterstützenden
Tumortherapie geht auf die onkostatische Wirkung dieser Progestagene am renalen
Modelltumor bestimmter Laboratoriumstiere zurück. Matthews, Kirkman und Bacon
(194 7) beschrieben einen adenomatösen Nierentumor beim syrischen Goldhamster
(Mesocricetus auratus) nach Stilböstrol-Gabe. In einer Serie von Experimenten, die
Kirkman und Mitarb. (92, 93, 94, 95), Horning (71, 72, 73), Horning et al. (74),
Polkina ( 136) und Bloom et al. ( 18, 19) durchführten, wurden Pathologie, Histogenese
und hormonale Beeinflußbarkeit geklärt. Nach s.c. Stilböstrol-lmplantation entwickelten sich nach 7 Monaten kleine, multiple corticale Knoten beider Nieren bei männlichen Goldhamstern. Etwa 75% der Tiere wiesen nach I Jahr bereits durch die Flanke
tastbare Nierentumoren auf, die sich per Cantinuitatem in das perirenale Gewebe ausbreiteten und hämatogen in Leber und Lunge metastasierten. Auch regionale Lymphknotenabsiedlungen traten auf. Histologisch handelte es sich um Adenome und AdenoKarzinome, die höchstwahrscheinlich vom Epithel der proximalen Tubuli contorti
ihren Ausgang nehmen.
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Wirkung einer Hormonase auf hormonsensible Tumoren des Urogenitalsystems
Wurde zusammen mit Stilböstrol Testosteron oder Progesteron verabreicht, entstanden keine derartigen Tumoren. Entzug der Östrogene führte zu einer Tumorrückbildung, die jedoch reversibel war. Der weibliche Goldhamster mit regelrechter Progesteronsekretion ist resistent gegen das Auftreten dieser renalen Tumoren.
Der Nierentumor konnte erfolgreich auf tumorfreie Hamster überpflanzt werden.
Nachdem über 5 Jahre derartige Reihenüberpflanzungen vorgenommen worden waren,
verlor das Adeno-Karzinom seine ÖstrogenabhängigkeiL Bei diesen hormonunabhängigen Geschwülsten konnten Bloom et al. ( 18, 19) zeigen, daß mit 20-40 mg Medroxyprogesteron Azetat/Tag eine Suppression erzielt werden konnte; jedoch erwies sich
Medroxyprogesteron Azetat in niedrigerer Dosierung als unwirksam.
Dieser Modelltumor, obwohl sich manche Ähnlichkeiten mit dem Hypernephrom
nicht bestreiten lassen, unterscheidet sich allerdings in ätiopathogenetischer Hinsicht
grundsätzlich vom menschlichen hypernephroiden Nieren-Karzinom, das zweifelsohne
zumindest nicht durch Sexualsteroide induziert werden kann. So ist bislang die Entstehung eines Nierentumors als unmittelbare Folge einer Östrogengabe zum Beispiel
beim Prostata-Karzinom-Patienten nicht beobachtet worden. Auch hochdosierte
Stil ben-Zufuhr hatte keine derartige Tumorentwicklung zur Folge ( 10).
Ein weiterer Modell-Tumor, ein spontan entstandenes Adeno-Karzinom der Mäusenierenrinde, wurde von Soloway et al. (1973) untersucht. Angehrate und Wachstum
dieser transplantierbaren Geschwulst wurden durch Diäthylstilböstrol gehemmt. Diese
suppressive Wirkung war sowohl beim männlichen als auch beim weiblichen Tier nachweisbar. Medroxyprogesteron Capronat konnte weder die Tumorinokulation nach das
Wachstum unterdrücken.
Beide renalen Transplantattumoren weisen ein grundsätzlich verschiedenes Reaktionsmuster auf Sexualsteroide auf. Der eine ist östrogen-induzierbar, der andere
supprimierbar; das Wachstum des einen sistiert nach Gestagenanwendung, der andere
reagiert nicht. Somit scheint es fraglich, ob überhaupt einer der Modelltumoren zur
Testung von klinisch relevanten Steroidhormonen geeignet ist.
Möglichkeiten zur prätherapeutischen Prüfung
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3. Möglichkeiten zur prätherapeutischen Prüfung
von hormonell wirksamen Substanzen bei Urogenitaltumoren
Mannigfach ist die Anzahl der Hormone oder Hormonomimetika (166), die zumindestens theoretisch zur Behandlung des Prostata-Adenoms, des Prostata-Karzinoms
oder des Hypernephroms angewendet werden können. Diesem therapeutischen Arsenal
steht eine Vielzahl von behandlungsbedürftigen urologischen Tumoren mit interindividuell unterschiedlichem Ansprechen auf eine Hormonzufuhr gegenüber. Die vom
Standpunkt des Therapeuten günstigste Paarung Pharmakon-Tumor herauszufinden,
würde ein rasterartiges Überprüfen aller möglichen Paarungen erforderlich machen.
Schritte in dieser Richtung sind auf drei verschiedenen Wegen möglich:
l. Langzeitkulturen von Tumorzellen (Gewebe- und Organkultur).
2. In vivo-Testsysteme.
3. Kurzzeitinkubation von Tumorzellen (Stoffwechselmodelle).
3.1 Langzeitkulturen
Die Anzüchtung von Tumorzellen auf fester Unterlage (Glas oder Plasmaclot) oder
in rotierender Suspension ist das älteste Verfahren, um Wachstumshemmung oder
Toxizität onkostatischer Substanzen untersuchen zu können (36, 40, 132).
Züchtungen des Prostataadenoms in vitro wurden erstmals von Burrows et al. (1917)
unternommen.
Eine Hormontestung wurde durch die kurze Überlebenszeit derartiger Explantate,
die niedrige primäre und sekundäre Angehrate und das spontane Auftreten von degenerativen Zellveränderungen oder Plattenepithelmetaplasien behindert (Allgöwer, 1949;
Röhl, 1959; Bregman et al., 1961 und Schrodt et al., 1971; Orestano u. Altwein, 1972).
An einem Prostata-Adenomdauerstamm konnten Fraley u. Mitarb. (1970) demonstrieren, daß zwar mit jeder weiteren Subkultur fibroblastäre Zellelemente verschwinden, aber ebenso in den verbleibenden Epitheloidzellen Chromosomenaberrationen
auftreten mit neoplastischer Transformation nach Implantation in die HamsterBackentasche. Resistenzteste haben zumindestens an diesem Beispiel keinen Sinn.
Der Einfluß von Sexualsteraiden auf Prostata-Adenom-Explantate wurde erstmals
systematisch von Brehmer et al. ( 1972) geprüft. Prostata-Adenomgewebe wurde
durch Trypsin-Behandlung desintegriert. Eine bestimmte Zellzahl wurde nach Zusätzen von Testosteron, Androsteron, Östron und Diäthylstilböstrol angezüchtet.
Nach 8 - 10 Tagen Inkubation wurden mikroskopisch die in Monolayer gewachsenen
Zellkolonien ausgezählt und als Prozentsatz aller Kolonien, die theoretisch aus jeder
einzelnen Zelle hervorgehen können, angegeben (Plating Efficiency).
Diäthylstilböstrol und Östron hemmten in hohen Konzentrationen (20 mcg/ml
Medium) das Angehen der explantierten Zellen ·vollständig, während 0,1 mcgfml<ohne
Effekt war. Testosteron wirkte in einer Dosis von 20 mcg/ml stark unterdrückend,
Androsteron dagegen nur gering. Für Testosteron konnte 6 Stunden nach Zusatz eine
Steigerung des H3-Thymidin-Einbaus in die DNS der Zellen gemessen werden.
Der entscheidende Nachteil derartiger Prüfungen liegt in der Unmöglichkeit, Tumorzellen von Zellen mesenchymaler Herkunft eindeutig unterscheiden zu können. Beispielsweise fehlen typische biochemische Merkmale für Prostata-Adenomzellen in
Kultur (52). Tumorfremde Zellen können von Tumorzellen nicht abgetrennt werden,
so daß sie mitgetestet werden (150, 165). So überrascht es nicht, daß erst 1974 die
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Möglichkeiten zur prätherapeutischen Prüfung
Kontamination von Gewebekulturen mit Heia-Zellen (nach Helen Lane, einer amerikanischen Negerin, von der 1951 erfolgreich Karzinomgewebe aus dem Zervikalkanal
explantiert worden war) in Laboratorien aufgedeckt wurde. Offenbar genügt eine einzige
Hela-Zelle.um die verunreinigte Kultur unbemerkt überwuchern zu können (Culliton,
197 4 ). Überdies hängt der Testzeitraum von der sehr schwer zu bestimmenden Generationszeit der Tumorzellen ab.
Außerdem ist es erforderlich, bei dem Ablesen des Stereiddefektes auf die Plating
Efficiency eine lokale Zytotoxizität des Hormones zu berücksichtigen, die nur bei
"unphysiologischer" Konzentration auftritt (Hurley et al., 1965; Orestano, Altwein u.
Planz, 1971; Altweinet al., 1972; Volm et al., 1974).
Die Kultivation des Prostata-Karzinoms wurde erstmals von Burrows et al. ( 1917)
versucht und sehr exakt von Röhl ( 1959) beschrieben. Eine Studie der Wirkung von
Steroide auf explantierte Prostata-Karzinomzellen - Tumorgewebe wurde durch
perineale Stanzbiopsie entnommen - wurde von Brehmer et al. ( 1972) unternommen.
Da allerdings die Morphologie der gewachsenen Prostata-Karzinomzellen sich nicht
von der der Prostata-Adenomzellen in Kultur unterscheidet, erscheint eine Interpretation einer Stereidwirkung sehr problematisch. Als Hindernis der Beurteilbarkeit erweist sich weiter, daß histologische Techniken nicht zur Unterscheidung der gewachsenen Zellen herangezogen werden können. BeeiNträchtigt wird die Deutung etwaiger
Steroidhemmeffekte überdies durch das Vorliegen des Zellgemisches, das die Monolayer
zusammensetzt, und die eintretende Zelldedifferenzierung mit Veränderung der funktionellen und metabolischen Eigenschaften wie Verlust der Androgenabhängigkeit
(Schroeder, 1973).
Das hypernephroide Nier~n-Karzinom konnte erstmals von Richter und Akin (1957)
über 5 Tage in Kultur gehalten werden. Das Angehen ausgepflanzter Hypernephrome
wurde schließlich auf 40% gesteigert (82). Die Identifizierung der Karzinomzellen, die
in vitro gewachsen waren, basierte auf Kriterien in Analogie zur Zytologie (188 ). Das
Ansprechen der Kultur auf die zugesetzte Substanz wurde mikroskopisch ermittelt.
Eine Skala von 0 (keine Zellschädigung) bis 4 ( 1OO%iger Zelltod) wurde zur Bewertung
herangezogen (82, 118). An 4 7 explantierten hypernephroiden Nieren-Karzinomen
prüften König u. Mitarb. ( 1973) Gestonoron Capronat, das in 70% der Kulturen ohne
morphologisch erkennbare Wirkung blieb.
Die Problematik der in vitro Resistenztestungen (Onkobiogramm, Tanneberger et al.,
156) in Analogie zum Antibiogramm wurde bereits geschildert. Ein reproduzierbares
Verhältnis von Wachstumsverhalten in vitro, histologischer Tumordifferenzierung und
klinischem Verlauf konnte bislang nicht gesichert werden (83, 84). Demzufolge lassen
sich auch keine zuverlässigen Korrelationen zwischen Testergebnis in vitro und klinischer
Ansprechbarkeit des Tumors auf die Therapie durchführen. Selbst wenn Hurley und
Yount (1965) nur in 35% eine Diskordanz zwischen in vitro-Test und in vivo-Ergebnis
(25% Volumenverkleinerung des Tumors) antrafen, kann nur dann die Zuverlässigkeit
der Resistenzteste bestimmt werden, wenn jedes in vitro-Ergebnis auch in vivo überprüfbar ist. Dies würde eine Mehrzahl von Modelltumoren voraussetzen, um simultane
Behandlungen vornehmen zu können. Versuche in dieser Richtung wurden mit der
Tumortransplantation auf Laboratoriumstiere unternommen.
3.2 In vivo-Testsysteme
Die Heterotransplantation menschlicher Tumoren hat eine Ausschaltung des
Immunsystems des Empfängertieres zur Voraussetzung. Bereits durch diese Maßnahme
Möglichkeiten zur prätherapeutischen Prüfung
II
werden völlig andere Wachstumsverhältnisse für das Implantat geschaffen, als sie im
menschlichen Spenderorganismus vorliegen. Die ektope Inokulation der Geschwulst,
im Hinblick auf die Lokalisation des Muttergewebes, beeinträchtigt die Deutung zytostatischer regressiver Effekte getesteter Hormone.
Senge u. Mitarb. (I 970, I 973) verpflanzten Prostata-Adenomgewebe in die Oberschenkelmuskulatur neonataler Ratten. Das Implantat war auch unter Immunosuppression mit Anti-Lymphozytense rumnicht länger als 3 Wochen vital zu erhalten. Volumenzunahme konnte nur in 3/ I 7 Implantaten erzielt werden. Häufig traten Plattenepithelmetaplasien auf. Testosteron förderte die proliferative und sekretorische Aktivität der
adenomatösen Bezirke, während Cyproteron Azetat und Testosteron zu einer hydropischen Zelldegeneration der metaplastischen Epithelien führten ( 156). Es konnte
nicht ausgeschlossen werden, daß der beobachtete Effekt lediglich Folge einer Ernährungsstörung der innersten Zell-Lagen unter den Bedingungen der Implantation war.
Immunosuppressive Maßnahmen, die die Abwehrreaktion des Empfängertieres
dämpfen sollen, können auf ein Minimum beschränkt werden, wenn die Tumorimplantation in Regionen mit gering ausgeprägter Lymphdrainage vorgenommen wird.
Hovenanian u. Mitarb. ( 1948) führten deshalb ihre Heterotransplantation sstudien an
der vorderen Augenkammer des Meerscheinchens durch. Es gelang auf diese Weise Gewebe einer Prostata-Karzinommetastase vital zu erhalten. Androgenzufuhr begünstigte,
Kastration verhinderte das Anwachsen des Transplantattumors. Histologisch konnte
der inokulierte Tumor nicht vom ursprünglichen Prostata-Karzinom unterschieden
werden, histochemisch war der Gehalt an saurer Phosphatase allerdings deutlich erniedrigt. Die Testosteron-Konzentr ation oberhalb eines Basiswertes schien für das Angehen des Karzinomgewebes unwichtig zu sein.
Ebenso wie aus der vorderen Augenkammer ist der Lymphabfluß aus der Wand der
Backentasche des Goldhamsters niedrig.
Kaufman et al. (1969) nutzten diesen Umstand, um menschliches Hypernephromgewebe zu übertragen. Es gelang Nierentumorgewebe über 18 Hamstergenerationen
ohne Verlust der histologischen Merkmale am Leben zu erhalten. Das Wa(;nstumsverhalten des implantierten Hypernephromgewebes wurde durch die Injektion des Progestagens Medroxyprogesteron Azetat nicht beeinflußt.
Durch die ektope Heterotransplantation ändert sich das Wachstumsverhalten der
Geschwülste entscheidend. Beispielsweise werden Metastasen der Malignome im
Empfängertier ausgesprochen selten beobachtet. Regressive Schädigungen am Implantat-Tumor, die nach Behandlung des Wirtstieres mit einem Zytostatikum aufgetreten
waren, sind entsprechend nur mit erheblichen Vorbehalten auf den Menschen zu übertragen (175).
3.3 Kurzzeitinkubation von Tumorzellen
Die Schwierigkeit, die morphologisch beobachteten Hemmeffekte auf das explantierte oder implantierte Tumorgewebe als meßbare Größe anzugeben und somit vergleichbar zu machen, wird überwunden durch die Anwendung radioaktiv markierter
Stoffwechselvorläufer. Als weiterer Vorzug derartiger "Stoffwechselmodelle " erweist
sich die kurze Inkubationszeit (meist I -4 Stunden).
Je kürzer das Intervall zwischen Gewebsentnahme und Ablesen eines suppressiven
Effektes, um so weniger machen sich Sekundärveränderungen der Tumorzellen (Oedifferenzierung) nachteilig bemerkbar (189).
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