Roger Scruton Grüne Philosophie Ein konservativer Denkansatz 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 1 07.10.2013 10:23:42 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 2 07.10.2013 10:23:44 Roger Scruton Grüne Philosophie Ein konservativer Denkansatz Aus dem Englischen von Elisabeth Liebl Diederichs 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 3 07.10.2013 10:23:44 Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel Green Philosophy. How to Think Seriously About the Planet © 2012 Atlantic Books, an imprint of Atlantic Books Ltd., London. Verlagsgruppe Random House FSC ® N 001 967 Das für dieses Buch verwendete FSC ®-zertifizierte Papier Munken Premium Cream liefert Arctic Paper Munkedals AB , Schweden. Copyright © 2013 Diederichs Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlaggestaltung: Weiss | Werkstatt | München Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Germany ISBN 978-3-424-35084-5 Weitere Informationen zu diesem Buch und unserem gesamten lieferbaren Programm finden Sie unter: www.diederichs-verlag.de 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 4 07.10.2013 10:23:45 INHALT VORWORT 7 Eins LOKALE ERWÄRMUNG 11 Zwei GLOBALE BEUNRUHIGUNG 45 Drei DAS STREBEN NACH ERLÖSUNG 79 Vier RADIKALE VORSORGE 111 Fünf MARKTLÖSUNGEN UND DIE HOMÖOSTASE 145 Sechs EINE MORALISCHE WIRTSCHAFT 191 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 5 07.10.2013 10:23:45 Sieben HEIMAT UND HABITAT 217 Acht SCHÖNHEIT, PIETÄT UND ENTWEIHUNG 261 Neun KEIN ORT, NIRGENDWO 299 Zehn WIE WIR AUS DEM NIRGENDWO EIN HIER UND HEUTE MACHEN 331 Elf BESCHEIDENE VORSCHLÄGE 379 Anhang I GLOBALE GERECHTIGKEIT 405 Anhang II WIE SOLLEN WIR LEBEN? 411 BIBLIOGRAFIE 417 PERSONENREGISTER 437 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 6 07.10.2013 10:23:45 VORWORT Unsere Umweltprobleme haben ein Ausmaß angenommen, das jede Lösung unmöglich erscheinen lässt. Wir wechseln unsere Standpunkte und Strategien wie die Hemden und haben außer unseren Ängsten und Befürchtungen nichts, woran wir uns halten können. Wir glauben den Panikmachern, denn wer zeichnet ohne Not ein so düsteres Bild? Wir glauben den Skeptikern, die auf eine gewisse Lust am Untergang in den düsteren Szenarien der Panikmacher verweisen und uns so wieder zuversichtlicher in die Zukunft blicken lassen. Und wir sehen den Regierungen, NichtRegierungsorganisationen (NGO ) und Lobbygruppen zu, wie sie unsere Ängste schüren und im selben Atemzug Erleichterung versprechen. Ohne Mitwirkung der Regierung ist es schwierig, Probleme wie Klimawandel, Ölkatastrophen, Plastikmüll und den Verlust der Biodiversität wirksam anzugehen. Andererseits liefert uns die Geschichte genügend Beispiele dafür, wie Probleme einer gewissen Größenordnung unter der Regie von Bürokraten gänzlich aus dem Ruder laufen und staatliche Regulierungsmaßnahmen Nebeneffekte zeitigen können, die schlimmer sind als das ursprüngliche Problem. Darüber hinaus sind es nicht selten ein und dieselben Leute, die gerade noch für saubere Energie und Müllvermeidung eintraten und nun plötzlich Pläne für Flughafenerweiterungen, den Bau neuer Autobahnen und die Förderung der Automobil7 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 7 07.10.2013 10:23:46 Grüne Philosophie industrie aus dem Hut ziehen. Tatsache ist: Geht ein Problem in die Zuständigkeit der öffentlichen Hand über, so wird die Lösung uns aus der Hand genommen. Diese Überzeugung formte sich nicht unter dem Eindruck globaler Unsicherheiten, sondern in der Auseinandersetzung mit konkreten Anforderungen vor Ort: Sie wurde geboren aus der Bewältigung alltäglicher Notsituationen, und die Weisheit, die hinter ihr steht, ist die Weisheit des Überlebens. Doch für all jene, die sich für die Umwelt einsetzen, liegt in dieser Erkenntnis eine klare Botschaft: Kein Projekt wird im großen Maßstab funktionieren, wenn es nicht im kleinteiligen, praktischen Denken verwurzelt ist. Denn letztlich sind wir es, die aktiv werden müssen, die mit den Entscheidungen, die in unserem Namen getroffen werden, leben müssen, die die Opfer bringen müssen, die man im Namen künftiger Generationen von uns einfordert. Es ist mein Eindruck, dass bei den meisten Umweltaktivisten, die internationale Maßnahmen auf Regierungsebene (bei denen offen ist, wie sie realisiert werden sollen) oder eine massive Veränderung unseres Lebensstils fordern, diese Botschaft ungehört verhallt. Ihre Ideen, ihre Alarmrufe erschrecken den Bürger, nur um ihn dann mit seiner Angst allein zu lassen. In diesem ohrenbetäubenden Getöse von Schreckensmeldungen auf sich selbst gestellt, kann er nur hoffen, über all dem Lärm nicht irre zu werden. In diesem Buch möchte ich Ihnen daher einen anderen Weg des Nachdenkens über Umweltprobleme aufzeigen, einen Weg, der, wie ich hoffe, der menschlichen Natur ebenso Rechnung trägt wie der konservativen Philosophie des Bewahrens, die sich in allen Abläufen unseres Alltags zeigt. Mir geht es nicht darum, Lösungsvorschläge für bestimmte Probleme zu erarbeiten. Mein Ziel ist, Sie mit einem Blickwinkel vertraut machen, aus dem heraus klar wird, dass diese Probleme unsere Probleme sind, die wir lösen müssen, mit unserer moralischen Ausrüstung. Denn das ist meines Erach8 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 8 07.10.2013 10:23:46 Vorwort tens die nachhaltige Botschaft des konservativen Denkens. Und wenn dieser Ansatz von denen abgelehnt wird, die die Lösung jedes Problems in schärferen – und nach Möglichkeit unter ihrer Federführung erlassenen – Verordnungen sehen, so ist dies für mich nur ein weiterer Beweis für seine Gültigkeit. Meine Absicht ist es, die Umweltfrage als Ganzes in all ihren Verästelungen anzugehen. Daher ziehe ich hier sowohl Philosophen als auch Psychologen und Wirtschaftsfachleute zurate. Ich verlasse mich auf Ökologen ebenso wie auf Historiker. In meiner Argumentation gehe ich davon aus, dass die Lösung von Umweltproblemen uns selbst als tägliche Pflicht obliegt, dass sie nichts ist, was der Staat an sich reißen darf. Denn ihre Lösung ist nur dann möglich, wenn die Menschen motiviert sind, tatsächlich nach Lösungen zu suchen. Aufgabe der Regierung ist es, die Rahmenbedingungen zu schaffen, welche die entsprechende Motivation hervorbringen und auf sie verstärkend wirken. Diese Motivation (die in Wahrheit nicht eine, sondern zahlreiche Ursachen hat) bezeichne ich als oikophilia, als Liebe zur Heimat, als Gespür für sie. Ich werde die Entstehungsbedingungen dieser Oikophilie beschreiben und aufzeigen, wie der Staat für diese Motivation den erforderlichen Raum schaffen kann. Ich plädiere für lokale Initiativen anstelle von globalen Regelungen, für das Engagement der Bürger statt für politischen Aktivismus, für kleine, nachbarschaftliche Initiativen statt für zweckgesteuerte, riesige Kampagnen. Meine Argumentation weicht von der in den meisten »Umweltbüchern« vertretenen Meinung ab. Sie läuft daher Gefahr, auch von jenen verteufelt zu werden, die meine zentralen Bedenken teilen. Daher habe ich auf der Grundlage der Prinzipien der praktischen Vernunft Wege erkundet, auf denen rationale Wesen zu einer kooperativen Lösung von Problemen gelangen können, die weder vom Individuum noch vom zentralisierten Staat gelöst werden können. 9 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 9 07.10.2013 10:23:46 Grüne Philosophie Meine Kritik richtet sich gegen Verordnungen von oben ebenso wie gegen interessengesteuerte Bewegungen. In meiner Sicht sind unsere Umweltprobleme dem Verlust des Gleichgewichts geschuldet, der sich einstellt, sobald die Menschen aufhören, ihre Umgebung als ihr Heim zu betrachten. Dieser Verlust hat viele Gründe, zu denen unter anderem verfehlte gesetzgeberische Maßnahmen zählen, aber auch die Zersplitterung der Gesellschaft, zu der es unweigerlich kommt, wenn die Bürokraten das Ruder übernehmen. Die Arbeit an diesem Buch wurde mir ermöglicht durch meine Position als Resident Fellow am American Enterprise Institute. Dort habe ich die kollegiale Atmosphäre und den vorurteilsfreien Widerspruch gefunden, den ich brauchte. Ich habe von den Diskussionen mit vielen Kollegen profitiert. Genannt seien hier nur Kenneth P. Green, Lee Lane, Stephen Hayward und Christopher C. DeMuth. Auch Kimberly Hudson und Keriann Hopkins möchte ich danken für ihre unschätzbare Unterstützung bei der Lektorierung des Textes. Ferner schulde ich Dank Tony Curzon Price, Angelika Krebs, Ian Christie, Alicja Gęściňska, Mark Sagoff und David Wiggins, die meine ersten Entwürfe geduldig gelesen haben und mir meine vielen Fehler – die nicht alle korrigiert wurden – ganz zu Recht vorhielten. Scrutopia, Juli 2010 10 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 10 07.10.2013 10:23:46 EINS LOKALE ERWÄ RMUNG Die Umweltbewegung wird gerade in jüngerer Zeit sowohl von Unterstützern als auch von Gegnern als »irgendwie links« angesehen: als Protestbewegung für die Armen und Machtlosen der Gesellschaft gegen Big Business, Konsum und die Strukturen sozialer Macht. Doch dieses Bild ist schlicht irreführend. Die Umweltbewegung in Großbritannien beispielsweise hat ihre Wurzeln im Respekt der Aufklärung vor der Schönheit der Natur und im Widerstand des 19. Jahrhunderts gegen die Industrielle Revolution, an dem Tories und Radikale gleichermaßen Anteil hatten. Unter den ersten Kritikern der industrialisierten Landwirtschaft finden sich eingeschworene Sozialisten wie H. J. Massingham, Tories wie Lady Eve Balfour, weltliche Gurus wie Rudolf Steiner und radikale Exzentriker wie Rolf Gardiner, der bei der Linken wie bei der Rechten ideologische Anleihen nahm und (von Patrick Wright) als eine Art Faschist bezeichnet wurde.1 In der amerikanischen Umweltbewegung fließen die Naturverehrung eines John Mair zusammen, der radikale Individualismus eines Thoreau, der Transzendentalismus Emersons, der »Ökonzentrismus« eines Aldo Leopold und der Sozialkonservativismus der H. J. Massingham, The Wisdom of the Fields, London 1945; ders., The Faith of a Fieldsman, London 1951. Eve Balfour, The Living Soil, London 1943. Patrick Wright, »An Encroachment too Far«, in: Anthony Barnett und Roger Scruton (Hrsg.), Town and Country, London 1999. 1 11 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 11 07.10.2013 10:23:46 Kapitel Eins Southern Agrarians – einer Gruppe von Schriftstellern, der beispielsweise der nostalgische Dichter Allen Tate angehörte, heute vertreten von Männern wie Wendell Berry.2 Die französische Umweltbewegung hat Väter wie die Pays-réel-Konservativen Gustave Thibon und Jean Giono. Die deutschen Grünen verdanken einen Teil ihres Erbes der Wandervogelbewegung des frühen 20. Jahrhunderts, aber auch den Vorstellungen von »Heimat«, die von den Dichtern der deutschen Romantik so wunderbar ausgedrückt und von einem kurzzeitigen NS -Sympathisanten wie Martin Heidegger aufgenommen wurden. In liberalerer und durchdachterer Form tritt uns diese Idee bei Heideggers jüdischem Schüler Hans Jonas entgegen.3 Außerdem werden die Umweltschützer unserer Tage sich immer stärker bewusst, welch ungeheure Umweltschäden der revolutionäre Sozialismus angerichtet hat – die Zwangskollektivierung, die übersteigerte Industrialisierung und die eines Gargantua würdigen Irrsinnspläne zur Umsiedlung ganzer Bevölkerungsteile, die Umleitung ganzer Flüsse und der radikale Umbau ganzer Landschaften, deren Zeugen wir in China und der Sowjetunion wurden.4 Denker mit Linksdrall weigern sich, diese Art der Ausbeutung als direktes Resultat ihrer Theorien zu akzeptieren. Sie gehen vielmehr davon aus, dass noch mehr dafür getan muss, um das 2 Wendell Berry, The Gift of Good Land: Further Essays Cultural and Agricultural, San Francisco 1981. Auf Deutsch ist von ihm erschienen: Leben mit Bodenhaftung, Degreif 2000. Aldo Leopold, A Sand County Almanac and Sketches Here and There, New York 1949. Dt.: Am Anfang war die Erde. Plädoyer für Umweltethik = Sand County Almanac, München 1992. 3 Heideggers und Jonas’ Ansichten werden im siebten Kapitel eingehender behandelt. 4 Siehe dazu Murray Feisbach, Ecocide in the USSR , New York 1992. Und den vernichtenden Kommentar zu den Informationen, die damals erhältlich waren von John Gray, Beyond the New Right, London und New York 1993, S. 130–133. Die Fakten finden Sie in: World Resources 1992–1993 im Bericht des World Resources Institute, Oxford und New York 1992. 12 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 12 07.10.2013 10:23:46 Lokale Erwärmung »Bewusstsein« des Normalbürgers davon zu überzeugen, dass der Sozialismus die Antwort und nicht Teil des Problems ist. Gleichzeitig sehen sie keinerlei Verbindungen zur »Rechten« und scheinen die Vokabel »konservativ« als schmutziges Wort zu betrachten, das keinerlei Bezug zu den »bewahrenden« Bestrebungen hat, die sie vertreten, denn das ist es, was das lateinische Wort conservare eigentlich meint. Die Erklärung hierfür liegt meiner Ansicht nach darin, dass Umweltschützer konservatives Denken gewöhnlich mit der Ideologie des freien Unternehmertums assoziieren, und dieses wiederum mit dem Plündern der Ressourcen unseres Planeten zur kurzfristigen Gewinnmaximierung. Außerdem neigt die Linke dazu, rationales Eigeninteresse, die Triebkraft des Marktes, zu verwechseln mit Gier, die eigentlich eine Form des irrationalen Überschwangs darstellt. Das Manifest der britischen Green Party von 1989 spricht von den »falschen Götzen der Märkte, der Gier, des Konsums und des Wachstums« und fährt fort: »Eine grüne Regierung würde diese falschen Götzen ersetzen durch Kooperation, Selbstversorgertum, Teilen und Sparsamkeit.«5 In jeder Zeile dieses Manifests tritt uns die weitverbreitete Überzeugung entgegen, dass sämtliche Bestrebungen, zur Lösung unserer Probleme auf den Markt zu setzen, unvermeidlich zur Schaffung unsozialer Zustände führen. Dieser Vorwurf geht Hand in Hand mit der Ansicht, dass es andere, altruistischere Motive des Handelns gibt, auf die eine linke Regierung mit Sicherheit setzen würde. Ich stimme der Tatsache zu, dass es solche Motive durchaus gibt. Doch ich bezweifle, dass eine linke Regierung ihr Handeln danach ausrichten würde. Verantwortlich für diese fehlerhafte Wahrnehmung sind die sogenannten Konservativen des politischen Lagers, die die moderne 5 Siehe The Economist vom 24. Juni 1989. 13 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 13 07.10.2013 10:23:46 Kapitel Eins Politik reduziert haben auf die simple Dichotomie zwischen individueller Freiheit einerseits und staatlicher Kontrolle andererseits. Individuelle Freiheit wird gleichgesetzt mit wirtschaftlicher Freiheit. Diese wiederum steht für die Freiheit, natürliche Ressourcen zur Gewinnerzielung auszubeuten. Der Holzhändler, der einen Regenwald abholzt, das Bergbauunternehmen, das einen ganzen Berg abträgt, der Automobilhersteller, der eine endlose Lawine von Autos auf die Straßen schickt, und der Cola-Produzent, der täglich Millionen Plastikflaschen ausstößt – sie alle setzen (zumindest dem Anschein nach) das Gesetz des Marktes um und zerstören, wenn man ihnen nicht Einhalt gebietet, einen Teil unseres gemeinsamen Erbes. Da in einer Marktwirtschaft die größten Unternehmen auch den größten Schaden anrichten, wenden sich die Umweltschützer vor allem gegen diese und gegen den freien Markt, dessen Produkte sie sind. Schaffen Sie die Marktwirtschaft ab und Sie bekommen im Normalfall Unternehmen, die nicht minder groß und zerstörerisch sind, die nun jedoch – da in staatlicher Hand – keinerlei souveräner Macht mehr verpflichtet sind, die ihre Raubzüge begrenzen könnte. Eine sinnvolle konservative Antwort wäre also, keine wirtschaftliche Freiheit um jeden Preis zu vertreten, sondern zu akzeptieren, dass wirtschaftliche Freiheit ihren Preis hat, und diesen nach Möglichkeit zu vermindern. Wir brauchen das freie Unternehmertum, doch wir brauchen auch Gesetze, die es in seine Schranken weisen, und diese Gesetze müssen mit den Bedrohungen, die es schafft, Schritt halten. Darf aber einzig der Staat als Unternehmen auftreten, so ist die Institution, die das Gesetz kontrolliert, dieselbe, die auch den stärksten Anreiz hat, es zu umgehen – was meiner Ansicht nach eine durchaus hinreichende Erklärung für die ökologischen Katastrophen sozialistischer Wirtschaftssysteme ist. Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass in einer freien Wirtschaft mit ga14 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 14 07.10.2013 10:23:46 Lokale Erwärmung rantierten privaten Eigentumsrechten und durchsetzbaren rechtsstaatlichen Garantien für vergleichbare Waren weniger Energie verbraucht wird als in Wirtschaftssystemen, die kein oder kein gesichertes Privateigentum kennen. Darüber hinaus sind Erstere eher fähig, sich auf die Notwendigkeit sauberer Energie und signifikante Reduktion von Emissionen einzustellen als Letztere.6 Märkte können nicht all unsere Umweltprobleme lösen, einige haben sie sogar erst verursacht, doch die Alternativen sind in den meisten Fällen noch schlimmer. Doch es gibt einen anderen und besseren Grund für die Ansicht, dass konservatives Denken und Umweltschutz von Natur aus zusammengehören. Eine konservative Einstellung, so wie ich sie verstehe, heißt, dass die soziale Ökologie gewahrt bleibt. Es ist richtig, dass individuelle Freiheit ein Teil dieser Ökologie ist, da ein sozialer Organismus ohne sie nicht anpassungsfähig ist. Doch Freiheit ist nicht das einzige Ziel der Politik. Konservatives Denken und »Konservieren« beziehungsweise Bewahren, sind nur die zwei Seiten einer langfristig ausgerichteten Politik, bei der es um das Haushalten mit unseren Ressourcen geht, sodass sie sich immer wieder erneuern können. Zu diesen Ressourcen gehört auch das Sozialkapital, das sich in Gesetzen, Gepflogenheiten und Institutionen zeigt, aber auch das konkrete Kapital in Form unserer Umwelt und das wirtschaftliche Kapital in einer freien, von Gesetzen geregelten Wirtschaft. Vor diesem Hintergrund liegt Sinn und Zweck der Politik nicht darin, die Gesellschaft so zu modellieren, dass sie einem übergeordneten Ideal wie Freiheit, Gleichheit oder Brüderlichkeit gehorcht. Es geht vielmehr darum, den Kräften der Entropie, die Aaron Wildavsky, Adam Wildavsky, »Risk and Safety«, in: The Concise Encyclopedia of Economics, www.econlib.org/library/Enc/RiskandSafety.html. Und: Michiel Schwarz, Michael Thompson, Divided We Stand: Redefining Politics, Technology and Social Choice, University Park 1990. 6 15 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 15 07.10.2013 10:23:46 Kapitel Eins unser soziales und ökologisches Gleichgewicht bedrohen, wachsamen Widerstand entgegenzusetzen. Ziel muss sein, künftigen Generationen jene Ordnung weiterzugeben, deren zeitweilige Treuhänder wir sind, und diese in der Zwischenzeit aufrechtzuerhalten und zu verbessern.7 In den Augen seiner Kritiker ist konservatives Denken in diesem Sinne daher von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil es dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik zuwiderläuft. Der Grad an Unordnung nimmt ständig zu, und jedes System, jeder Organismus, jede spontane Ordnung wird auf lange Sicht irgendwann zerfallen. Doch selbst wenn dies zutrifft, heißt das nicht, dass der Konservativismus als politische Praxis überflüssig wäre, ebenso wenig wie die Medizin überflüssig ist, weil, wie Keynes es ausgedrückt hat, »wir ja doch alle mal sterben«. Wir sollten uns vielmehr an Lord Salisburys knappes Statement halten, in dem er seine ganze Philosophie zusammengefasst hat: »Aufschub ist Leben.« Der Konservativismus ist die Politik des Aufschubs, dessen Zweck darin liegt, Gesundheit und Leben eines sozialen Organismus solange als möglich zu gewährleisten. Denn – auch das lehrt die Thermodynamik – wir können der Entropie entgegenwirken, indem wir dem System auf lokaler Ebene Energie zuführen und so der Auflösung entgegenwirken. Der Konservativismus setzt auf historische Verbundenheit, auf lokale Identität und auf jene Art von Langzeitbeziehung, die zwischen Menschen entsteht, die ihre Neigungen an einem bestimmten Ort und Zumindest ist dies die Auffassung von politischer Ordnung, für die ich in The Meaning of Conservatism, London 1981, eintrete. John Gray hat diese Sicht konservativer Ziele mit der Umweltbewegung in Verbindung gebracht und beides vom »neo-liberalen« Denken der Apologeten des freien Marktes abgesetzt, siehe: »Towards a Green Conservatism«, in: Beyond the New Right, London und New York 1993. 7 16 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 16 07.10.2013 10:23:46 Lokale Erwärmung innerhalb eines wohldefinierten Rahmens ausleben. Während der Sozialismus und der Liberalismus in ihrer Zielsetzung global sind, ist der Konservativismus von Natur aus lokal: Er verteidigt die spärlichen Reste von Sozialkapital gegen die Kräfte anarchischen Wandels. Eben dieser lokale Charakter ist es, der den Konservativismus prädestiniert für die Lösung von Umweltproblemen. Man könnte es auch anders formulieren: Für einen Konservativen ist die Politik dazu da, homöostatische Systeme aufrechtzuerhalten und wiederherzustellen – Systeme, die sich selbst korrigieren, wenn der Wandel sie destabilisiert hat. Märkte sind solche homöostatischen Systeme, aber auch Traditionen, Gepflogenheiten und Gewohnheitsrechte. Ebenso wie Familien und die »zivilgesellschaftlichen Zusammenschlüsse«, die eine freie Gesellschaftsordnung ausmachen.8 Konservative schätzen Märkte und ziehen die Kräfte des Marktes den Eingriffen der Regierung vor, wenn die beiden in Widerspruch zueinander stehen. Aber nicht aufgrund eines quasi-religiösen Glaubens an den Markt als ideale Form sozialer Ordnung oder als einzige Lösung für soziale und politische Probleme. Und schon gar nicht aufgrund irgendeines Kultes um den homo oeconomicus und sein angeblich »rationales Eigeninteresse«. Es geht ihnen vielmehr um den Markt als selbstkorrigierendes soziales System, das mit Erschütterungen von außen durchaus fertigwird und sich im Normalfall auch den Bedürfnissen und Wünschen seiner Teilnehmer anpasst. Doch es gibt noch andere solcher Systeme. Da sind beispielsweise die langfristigen Beziehungen, die die Traditionen und Institutionen selbstregulierender Gesellschaften bilden. Da ist die re- 8 Der Begriff »Zivilgesellschaft« wird von mir im selben Sinne verwendet, wie Michael Oakeshott ihn gebraucht. Siehe dazu den zweiten Teil von On Human Conduct, Oxford 1975. 17 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 17 07.10.2013 10:23:46 Kapitel Eins präsentative Regierungsform, deren Vertreter für ihre Fehler zur Verantwortung gezogen werden. Und da sind die gesetzlichen Vorschriften, die dafür sorgen, dass die Kosten von Fehlern von jenen getragen werden, die sie gemacht haben. In den letzten Kapiteln dieses Buches werde ich mich mit diesen Systemen auseinandersetzen und zeigen, welchen Ideen sie entsprungen sind. Nur wenn wir uns bewusst auf diese beziehen, wird es uns gelingen, eine erfolgreiche Energiepolitik zu schaffen, denn diese Konzepte führen ein wesentliches Element in die menschlichen Beziehungen ein: die Verantwortung des Treuhänders. Ohne eine derartige negative Rückkopplungsschleife verkommt der Markt zu eben jener antisozialen und ausbeuterischen Maschinerie, als die ihn seine Gegner seit jeher sehen. Daraus folgt, dass der Konservativismus viele Spielarten hat. Amerikanische Konservative betonen die Bedeutung der ökonomischen Freiheit, den unbedingten Glauben an das risikowillige Unternehmertum. Konservative in Europa hingegen setzen auf Tradition, Sitten und Gebräuche und die Zivilgesellschaft und weisen darauf hin, dass das Unternehmertum nur dann Erfolg haben kann, wenn es in eine stabile soziale Ordnung eingebunden ist. Diese unterschiedlichen Schwerpunkte führen naturgemäß zu unterschiedlichen politischen Willensäußerungen. Daher gibt es unter den amerikanischen Konservativen immer eine gewisse Neigung zu »Marktlösungen«, ob diese nun eine Bedrohung für traditionelle Formen der Gemeinschaft und das soziale Gleichgewicht darstellen oder nicht. Amerika besitzt als Kollektiv einen Überfluss an Land und natürlichen Ressourcen, was dem Staat erlaubt, Probleme wie Rohstoffverknappung und Überbevölkerung zu verdrängen im Glauben, dass es immer genug Raum und Ressourcen für irgendein neues Experiment geben wird. Europa hingegen ist eine Ansammlung vieler Staaten auf kleinstem Raum, 18 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 18 07.10.2013 10:23:46 Lokale Erwärmung was den Platz für Mensch und Tier gleichermaßen kostbar macht, sodass er seit Jahrhunderten ebenso umsorgt wie umkämpft ist. Europäische Konservative sind sich schmerzlich der Grenzen bewusst, die ihnen auferlegt sind, ebenso wie der Gefahren, die das »Ausbrechen« mit sich bringt. Das bedeutet nicht, dass sie marktwirtschaftliche Lösungen ablehnen. Es heißt nur, dass sie mehr als ihre amerikanischen Kollegen auf jene Dinge achten, die Märkte erst ermöglichen: Gesetz, Tradition und Moral. Auch haben die Europäer, Erben wunderschöner, über die Jahrhunderte gewachsener Städte, nicht dieselbe Einstellung zum menschlichen Lebensbereich wie die Amerikaner. Ich werde auf diese Unterschiede im achten Kapitel eingehen, da die amerikanischen Konservativen einiges von ihrer Sichtweise lernen können.9 Das konservative Politikverständnis, das ich hier vorstelle, orientiert sich an der Idee der Treuhänderschaft statt am Unternehmertum, am Austausch statt am Befehl, an der Freundschaft statt an der gemeinsamen Verfolgung einer Sache.10 Diese Vorstellungen passen recht gut zur Umweltbewegung, und es erstaunt mich immer wieder, dass so wenige Umweltschützer dies erkennen. Für einen Konservativen ist es offensichtlich, dass unser rücksichtsloses Streben nach individuellem Vorteil die soziale Ordnung ebenso aufs Spiel setzt wie das Leben auf diesem Planeten. Im Übrigen liegt es auf der Hand, dass die klügste Politik jene ist, die danach 9 Im amerikanischen Kontext muss man den radikalen Individualismus einer Ayn Rand unterscheiden vom konservativen Freiheitsansatz, wie ihn beispielsweise Milton und Rose Friedman in Chancen, die ich meine (Frankfurt a. M. 1983) vertreten. Erstere steht für eine absolutistische metapyhsische Vision, die die Selbstverwirklichung über alles stellt. Letztere hingegen sehen die Wahlfreiheit ganz unkompliziert als Grundbedingung einer freien Gesellschaft. 10 Meine Vorstellung der Treuhänderschaft verdankt sich Burke, Möser und Gierke, die vom Austausch geht auf Oakeshotts conversation zurück, meine Idee von Freundschaft auf Aristoteles. 19 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 19 07.10.2013 10:23:46 Kapitel Eins trachtet, solche Gepflogenheiten und Institutionen zu schützen, die unserem Verlangen nach mehr Grenzen setzen, die Quellen sozialer Zufriedenheit vor dem Versanden bewahren und uns daran hindern, die Kosten unseres Tuns jenen aufzubürden, die sie nicht verursacht haben. Aus der Umweltperspektive ist das größte Problem wohl, dass soziales Gleichgewicht und ökologisches Gleichgewicht nicht unbedingt dasselbe sind und daher auch nicht harmonieren müssen. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen. Demokratien scheinen Gleichgewicht nur um den Preis stetigen Wirtschaftswachstums erreichen zu können. Zeiten der Stagnation, der zunehmenden Inflation oder Verarmung führen fast immer zu radikaler Unzufriedenheit, während derer Ressentiments und Mangel die soziale Ordnung destabilisieren. Daher streben demokratische Regierungen ständig nach mehr Wirtschaftswachstum, ganz egal, welchen umwelttechnischen Preis dies fordert. Es ist völlig richtig, dass massive Armut ebenso massive Umweltschäden nach sich zieht und dass ein gewisses Wohlstandsniveau nötig ist, damit Menschen Energie und Ressourcen einsetzen können, um die Umwelt zu schützen.11 Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass die KuznetsKurve, die zeigt, wie Einkommensunterschiede sich zu Beginn gesellschaftlicher Entwicklungen zuerst verschärfen, um sich dann einzuebnen, auch für wichtige Umweltfaktoren gilt. Oberhalb eines durchschnittlichen Pro-Kopf-Jahreseinkommens von 4000 bis 5000 US -Dollar verringern sich Umweltschäden kontinuierlich.12 Doch ob man es nun als Vorhersage oder Empfehlung auffasst, das Statement von den »Grenzen des Wachstums« scheint unSiehe W. Beckerman, In Defence of Economic Growth, London 1974. Und Jack M. Hollander, The Real Environmental Crisis, Berkeley 2003. 12 Diese Auffassung wurde im Weltentwicklungsbericht der Weltbank von 1992 noch voller Begeisterung vertreten. Später allerdings geriet sie zunehmend un11 20 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 20 07.10.2013 10:23:46 Lokale Erwärmung willkürlich einleuchtend. Optimisten sehen diese Grenzen weiter in der Zukunft als Pessimisten, und die ständige Auseinandersetzung zwischen den beiden Lagern macht jeden Konsens auf lange Zeit hinaus unmöglich.13 Aber es ist klar, dass über einen bestimmten Punkt hinaus die Lösung möglicherweise nicht in mehr Wachstum liegt, sondern in weniger – und eben dieses Versprechen kann sich keine demokratische Regierung wirklich leisten. Das lässt sich beispielsweise ablesen an der Haltung der aktuellen britischen Regierung zu Flughäfen, Industrieparks und Straßenbau, deren Auswirkung auf die Umwelt regelmäßig vergessen wird, sobald man diese Maßnahmen in die Sprache des Wachstums verpackt. Aber auch die Haltung der amerikanischen Regierung zum Kyoto-Protokoll geht in dieselbe Richtung. Es sind nicht nur die großen Konzerne, die die Ratifizierung solcher Abkommen verhindern, sondern auch der innige Wunsch der Senatoren, in ihren Wahlkreisen wiedergewählt zu werden.14 Das soll nicht heißen, dass das KyotoProtokoll die richtige Lösung für jene Probleme ist, die es bekämpfen soll. Diese Tatsache soll nur auf eine ernsthafte Schwierigkeit hinweisen, auf die alle Versuche, bindende globale Vereinbarungen zur Konsumreduktion zu erzielen, stoßen werden. Warum sollte ter Beschuss: siehe dazu den Artikel von David Stern, »The Environmental Kuznets’ Curve«, auf: www.isecoeco.org/pdf/stern.pdf. 13 Der bekannteste unter den Pessimisten sind zweifellos D. H. Meadows (siehe D. H. Meadows et al., Die Grenzen des Wachstums, Reinbek 1973) und E. J. Mishan (Die Wachstumsdebatte: Wachstum zwischen Wirtschaft und Ökologie, Stuttgart 1980). Die Optimisten hingegen werden repräsentiert von H. S. D. Cole (ders., Thinking About the Future: A Critique of the Limits to Growth, London 1973). Ich gehe auf die »Grenzen des Wachstums« im elften Kapitel näher ein. 14 Einer Studie von William Nordhaus zufolge würde die Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls die USA in den nächsten Jahrzehnten die stolze Summe von 2,3 Billionen US -Dollar kosten, zweimal so viel wie alle anderen Unterzeichner zusammen. Siehe W. D. Nordhaus, »Global Warming Economics«, in: Science 294 vom 9. November 2001, S. 5545. www.iwu.edu/economics/PPE10/alexis.pdf 21 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 21 07.10.2013 10:23:46 Kapitel Eins ein Politiker seine Unterschrift unter einen Vertrag setzen, wenn das zur Folge hat, dass er dadurch sein Amt verliert und sich für die Umsetzung der getroffenen Vereinbarung gar nicht mehr einsetzen kann? Doch das Problem liegt ja nicht nur im demokratischen Prozedere. Auch andere Formen von sozialem Gleichgewicht können eine Bedrohung für die Umwelt darstellen, selbst wenn sie nicht von Wirtschaftswachstum abhängig sind. Möglicherweise brauchen sie Bevölkerungswachstum oder sind auf den Konsum schwindender Ressourcen wie zum Beispiel den Regenwald angewiesen. Sehen wir uns nur einmal die traditionellen islamischen Gesellschaften in Nordafrika und im Nahen Osten an. Diese können ihr soziales Gleichgewicht nur dann aufrechterhalten, wenn Familien private Souveränitätsrechte innehaben und ihnen Patriarchen vorstehen, die ihren sozialen Status stärken, indem sie ihre reproduktiven Kräfte zur Schau stellen. Will eine Familie nicht an Ansehen verlieren, muss sich die Zahl der Söhne vermehren. Unter den Bedingungen der Moderne führt dies zu einem enormen Bevölkerungswachstum, das die Umwelt im muslimischen Arabien und Afrika zerstört und nun allmählich auf Europa übergreift, dessen Institutionen und Traditionen im Widerspruch zum muslimischen Lebensstil stehen. Im Augenblick stellt die Jugend der muslimischen Länder dieser Region ein halbes Jahrhundert geduldeter Diktatorenschaft infrage.15 »[...] der Großteil der armen Bevölkerung in den unterentwickelten arabischen Ländern lebt in ländlichen Gebieten und sichert sein Überleben durch wenig produktive Selbstversorger-Landwirtschaft und die damit verbundenen Aktivitäten. Das Ausbildungsniveau des Humankapitals ist sehr niedrig, die Bevölkerung wächst schnell, was dazu führt, dass es immer mehr gering qualifizierte Arbeitskräfte gibt. Solche Wirtschaftssysteme sind häufig verstrickt in einen Teufelskreis von Bevölkerungswachstum, Umweltverbrauch und Ausbeutung natürlicher Ressourcen, die letztendlich die soziale und politische Ordnung 15 22 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 22 07.10.2013 10:23:46 Lokale Erwärmung Unter Umweltschützern schiebt man die Schuld gerne den Big Playern unter den Marktteilnehmern in die Schuhe: Ölkonzerne, Automobilhersteller, Holzindustrie, Agrar-Multis, Supermarktketten – sie verursachen Umweltprobleme, weil sie Gewinne machen, indem sie ihre Kosten auf andere (auch auf künftige Generationen) auslagern. Doch hier wird die Wirkung mit der Ursache verwechselt. In einer freien Marktwirtschaft sind solche Gewinnmaximierungsstrategien das wie von unsichtbarer Hand geschaffene Resultat von Entscheidungen, die jeder Einzelne von uns trifft. Die Nachfrage nach Autos, Öl, billigen Lebensmitteln und luxuriösen Gebrauchsgütern schafft doch erst die Industrien, die diese produzieren. Es stimmt natürlich, dass Konzerne ihre Kosten auslagern, wo immer sie können. Aber das tun wir doch auch. Wenn wir mit dem Flugzeug reisen, im Supermarkt einkaufen und fossile Brennstoffe verbrauchen, verlagern wir unsere Kosten auf andere, nicht zuletzt auf die künftigen Generationen. Eine freie Marktwirtschaft wird von der individuellen Nachfrage angetrieben. Und in einer freien Marktwirtschaft strebt das Individuum ebenso wie der Großkonzern danach, seine Kosten anderen aufzubürden und den Gewinn nach Möglichkeit selbst einzustreichen. Die Lösung kann keine sozialistische sein, nämlich die Abschaffung der freien Marktwirtschaft, denn dies würde nur enorme wirtschaftliche Macht in die Hände einiger Bürokraten legen, die von niemandem zur Rechenschaft gezogen werden können, ihre Kosten aber genauso auslagern, während sie ihren sicheren Gewinn aus dem Bruttosozialprodukt einstreichen.16 Die Lösung ist die Anpassung destabilisieren können.« In: Arab Human Development Report 2009: Challenges to Human Security in the Arab Countries, Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, Regionalbüro für die arabischen Staaten, S. 118, abrufbar in englischer Sprache auf: http.//www.arab-hdr.org/publications/other/ahdr/ahdr2009e.pdf. 16 Zur Theorie vom Gewinnstreben siehe drittes und viertes Kapitel. 23 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 23 07.10.2013 10:23:46 Kapitel Eins unserer Bedürfnisse, sodass wir die Kosten dafür selbst tragen können, und ein angemessener Weg, in dieser Richtung auch Druck auf die Unternehmen ausüben zu können. Wir können unseren Lebensstil ändern, wenn wir die nötige Motivation dazu haben – eine Motivation, die stark genug ist, unseren Appetit zu zügeln. Doch damit ist noch nicht klar, wie wir nun konkret handeln müssen, um unser Tun und Trachten umweltkonformer zu gestalten. Wenn wir in einer Gesellschaft, die nach Fast Food, Tourismus, Luxus und Verschwendung regelrecht süchtig ist, für Slow Food, kurze Transportwege und niedrigen Energieverbrauch eintreten, ziehen wir damit nur den Zorn jener auf uns, die wir von der Notwendigkeit solcher Veränderungen noch überzeugen müssen. Denn mit der Forderung nach der Schließung von Flughäfen, Fahrbahnverschmälerungen und dem Verzehr von ausschließlich regional produzierten Produkten gewinnt man nicht nur keine Wählerstimmen. Sie verschlimmert möglicherweise die Situation noch, indem sie Umweltschutz als Sache ewig gestriger Miesepeter erscheinen lässt. Alle Umweltschützer kennen diesen Vorwurf. Daher überrascht es mich immer wieder, dass sie umgekehrt die Parallelen zu den Vorwürfen an die Adresse der Sozial-Konservativen nicht erkennen, wenn diese für eine moralische Ordnung eintreten, die – bis noch vor wenigen Jahrzehnten – ganz selbstverständlich von einer Generation an die nächste weitergegeben wurde. Umweltschützer und Konservative führen denselben Kampf. Sie suchen nach guten Argumenten, um ein gemeinsames, aber bedrohtes Erbe vor dem Raubbau durch seine aktuellen Treuhänder zu bewahren. Der Appell an das rationale Eigeninteresse kann uns hier nicht weiterhelfen, obwohl dieses, wie ich später noch darlegen werde, in dieser Frage eine wichtige Rolle spielt. Rationales Eigeninteresse ist kein Gegenmittel für das altbekannte Gefangenendilemma oder 24 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 24 07.10.2013 10:23:46 Lokale Erwärmung für Trittbrettfahrertum. Es kann die »Tragödie der Allmende«17 nur unter bestimmten Bedingungen abwenden. Die Theoretiker des Gesellschaftsvertrages von Hobbes bis Rawls haben zwar versucht, hier Lösungen zu finden, doch am Ende aller Überlegungen steht immer nur eine neue Version des ursprünglichen Dilemmas: Weshalb soll es vernünftiger sein, sich an den Vertrag zu halten, statt nur so zu tun?18 Wir brauchen also nicht-egoistische Motive, die in jedem normalen Mitglied der Gesellschaft zuverlässig hervorgerufen werden können und sich verlässlich in den Dienst langfristiger ökologischer Zielsetzungen stellen lassen. Edmund Burke trat für das »Erbprinzip« ein, das Institutionen vor Plünderung und Verfall schützen sollte. Er glaubte, Menschen hätten eine natürliche Neigung, die Grenzen zu akzeptieren, die ihnen dieses Prinzip setzt. Hegel hingegen hielt die Verpflichtungen außerhalb des Gesellschaftsvertrags für wichtiger, solche, wie sie die Familie stützen. Er dachte, dass man ähnliche Verpflichtungen auch auf politischer Ebene einführen könne. Eine ähnliche Auffassung vertrat De Maistre, der die Frömmigkeit zum Mittelpunkt seines politischen Denkens machte, da sie göttlich geordnete Traditionen und Einrichtungen über die Versuchungen des Eigennutzes stelle.19 Diese Ideen können in dieser Form heute vielleicht nicht mehr überzeugen,20 doch jede einzelne ist ein Versuch, dem Menschen gute Gründe an die Hand zu geben, weshalb er sein rationales EiSiehe Garrett Hardin, »The Tragedy of the Commons«, in: Science, 162.1, 1968, S. 243–248. 18 Thomas Hobbes, Leviathan (1651), Berlin 2011. John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt a. M. 1979. 19 Edmund Burke, Betrachtungen über die französische Revolution, Zürich 1987. G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Frankfurt a. M. (8) 2004. Joseph de Maistre, Le Principe Générateur des Constitutions, 1809. 20 Ich werde im siebten und achten Kapitel näher auf sie eingehen. 17 25 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 25 07.10.2013 10:23:46 Kapitel Eins geninteresse nicht zur einzigen Grundlage seiner politischen Entscheidungen machen sollte. Doch wir sollten von Burke, Hegel und De Maistre lernen. Wir müssen einsehen, dass der Umweltschutz eine verlorene Sache ist, wenn wir keinen Anreiz finden, der die Menschheit insgesamt und nicht nur ihre selbst ernannten Vertreter dazu motiviert, ihn tatsächlich zu praktizieren. An diesem Punkt sollten Umweltschützer und Konservative gemeinsame Sache machen. Und diese gemeinsame Sache ist das Land selbst – Objekt einer Liebe, die ihren stärksten politischen Ausdruck im Nationalstaat gefunden hat. Den meisten Umweltschützern ist klar, dass lokale Loyalitäten und lokale Besorgnis im Entscheidungsprozess eine Rolle spielen müssen, wenn wir die nachteiligen Effekte der globalisierten Wirtschaft ausgleichen wollen. Nicht umsonst heißt es heute allenthalben: »Global denken, lokal handeln.« Doch die meisten Umweltschützer schrecken davor zurück, diese lokale Loyalität auch auf den Nationalstaat zu beziehen. Sie sehen das Lokale eher als kleinere Version des Universalen. Und doch gibt es gute Gründe, den Nationalstaat hier ins Spiel zu bringen. Denn jede Nation ist eine Gemeinschaft mit einer bestimmten politischen Form. Sie wurde dazu geschaffen, ihre Souveränität auszuüben, indem sie das Zusammengehörigkeitsgefühl in kollektive Entscheidungen und selbst gewählte Gesetze umsetzt. Nationen sind eine Form territorialer Gemeinschaft, aber auch proto-legislative Einrichtungen. Im globalen Entscheidungsprozess sind Nationen der handelnde Arm eines Kollektivs. Nur durch seine Zugehörigkeit zu einer Nation kann das Individuum in globalen Angelegenheiten seine Stimme zu Gehör bringen. Konservative können ihren speziellen Beitrag zum ökologischen Denken eben durch die Weiterentwicklung dieser Idee eines territorialen Zusammengehörigkeitsgefühls leisten, das den Samen der 26 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 26 07.10.2013 10:23:46 Lokale Erwärmung Souveränität in sich trägt. Wenn eine konservative Umweltbewegung sich einen Slogan auf die Fahnen schreiben wollte, sollte es folgender sein: »Fühle lokal, denke national.« Das heißt nun nicht, dass Konservative Nationalisten im Sinne jener romantischen Verfechter des Nationalgedankens im 19. Jahrhundert sind.21 Sie sind sich durchaus der historischen und vergänglichen Natur des Nationalstaates bewusst sowie der Notwendigkeit, seine kriegerischen Attitüden zu mäßigen. Sie sehen, welche Bedrohung er für die zivilgesellschaftlichen Vereinigungen und die lokalen Loyalitäten darstellen kann. Doch die Konservativen erkennen eben auch, dass es in der aktuellen ökologischen Krise keine andere Institution gibt, die die nötigen Maßnahmen treffen und die Loyalität der Bewohner so effektiv zu deren Unterstützung bündeln könnte. Eine praktische Kontrastfolie liefert uns hier George Monbiot, der sich leidenschaftlich für globale politische Lösungen einsetzt, mit deren Hilfe es dem einfachen Bürger möglich werden soll, die Katastrophen abzuwehren, welche ihm die globalisierte Wirtschaft einbrockt. Sie sollen ihm ermöglichen, seinen Wunsch nach einer sicheren, nachhaltigen und fairen Wirtschaftsordnung auszudrücken.22 Ich vermute, dass all jene, die sich eine alte Anhänglichkeit ans sozialistische Lager bewahrt haben und ökologische Rechtschaffenheit mit sozialer Gerechtigkeit verbinden, diesen Weg vorziehen würden. Doch dieser Ansatz beruht auf zwei recht fragwürdigen Grundannahmen: Erstens, dass Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit verbunden werden können. Und zweitens, dass sich der Normalbürger, wenn er die Wahl hat, für NachhalDie Probleme dieser Art von Possenreißerei zeigt sehr schön Adam Zamoyski in Holy Madness: Compatriots, Patriots und Revolutionaries 1776–1871 (London und New York 2001) auf. 22 George Monbiot, United People – Manifest für eine neue Weltordnung, München 2007. 21 27 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 27 07.10.2013 10:23:46 Kapitel Eins tigkeit statt für die Erfüllung seiner momentanen Wünsche entscheiden würde. Unter bestimmten Umständen würde er dies natürlich tun. Doch eben diese »bestimmten Umstände« sind es, die von der globalisierten Wirtschaft ausgehöhlt werden. Die Globalisierung unterminiert eben jene Werte und Erwartungen, von denen ein stabiler Lebensentwurf abhängt, indem sie alte Siedlungsmuster und Techniken des Umgangs mit der Umwelt zerstört. Das gilt gleichermaßen für die globalisierte Politik wie für die globalisierte Wirtschaft.23 Der konservative Ansatz ist vernünftiger, wenn auch weniger ehrgeizig. Statt Umwelt- und soziale Probleme auf globaler Ebene lösen zu wollen, strebt das konservative Denken nach lokaler Souveränität in allen Belangen, die sein unmittelbares Umfeld betreffen, weil es dieses besser als andere kennt. Dazu gehört das Recht der Nation auf Selbstverwaltung und auf die Umsetzung politischer Maßnahmen, die sich den örtlichen Gepflogenheiten anpassen. Dazu gehört auch der Widerstand gegen die allgegenwärtige Neigung moderner Regierungen zu noch mehr Zentralisierung und die teilweise Rückgabe der von der Zentralmacht okkupierten Selbstbestimmungsrechte an die lokale Gemeinschaft – und damit sind auch jene Rechte gemeint, die sich transnationale Institutionen wie die Welthandelsorganisation (WHO ), die Vereinten Nationen und die Europäische Union angemaßt haben. Das Zugehörigkeitsgefühl zu einem bestimmten Territorium und der Wunsch, dieses vor Zerstörung und Verschwendung zu schützen, stellen machtvolle Triebkräfte dar, auf die die Politik regelmäßig zurückgreift, wenn es heißt, die Gürtel müssten enger geschnallt und Op- Eine wortgewandte Untersuchung der nachteiligen Effekte der Globalisierung auf die Identität und damit auf die Umwelt der englischen Nation finden Sie in: Paul Kingsnorth, Real England, London 2008. 23 28 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 28 07.10.2013 10:23:46 Lokale Erwärmung fer müssten gebracht werden.24 Denn diese Beweggründe haben eine starke Wurzel, nämlich die Liebe jedes Menschen zu seiner Heimat. Wie ich im siebten Kapitel zeigen werde, ist dies kein banales oder eindimensionales Motiv. Seine Vielschichtigkeit offenbart vielmehr einiges über die seelische Archäologie des menschlichen Strebens nach Sesshaftigkeit. Und wir können dieses Motiv und seine zahlreichen Facetten beschreiben, es erweitern und unter den neuen und bedrohlichen Bedingungen einer sich verändernden Welt nutzbar machen. Im zehnten Kapitel gehe ich auf zwei konkrete Beispiele aus England und Nordamerika ein, um zu zeigen, in welcher Weise patriotische Gefühle unter Rückgriff auf das Motiv der Treuhänderschaft fragile Umweltsysteme geschützt haben. Und wie eben dieses Prinzip nicht-staatlicherseits genutzt beziehungsweise staatlicherseits nicht selten sogar unterminiert wurde. Meiner Ansicht nach hat das Gefühl territorialer Zugehörigkeit dazu beigetragen, ein ererbtes soziales und ökologisches Gleichgewicht zu bewahren. Seine Außerkraftsetzung in den letzten Jahrzehnten ist einer der Hauptgründe, weshalb die Entropie in unserer Umwelt zunimmt. Auf dieser lokal-nationalen Ebene fallen die Interessen von Umweltschutz und konservativer Politik zusammen. Hoffnung auf Besserung ist daher auch nur auf lokaler Ebene realistisch. Denn es gibt keinen einzigen Beleg dafür, dass globale politische Institutionen nur das Geringste getan hätten, um der globalen Entropie Einhalt zu gebieten. Ganz im Gegenteil, durch die vermehrte weltweite Kommunikation, durch den Abbau nationaler Souveränität und der entsprechenden gesetzlichen Barrieren haben sie zur globalen Entropie sogar noch beigetragen und die einzigen wirksamen Gegenkräfte ausgeschaltet. Ich kenne viele 24 Siehe Roger Scruton, The Need for Nations, London 2004. 29 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 29 07.10.2013 10:23:46 Kapitel Eins Umweltschützer, die wie ich der Ansicht sind, dass Weltbank und WHO eine potenzielle Bedrohung für die Umwelt darstellen, weil sie nicht nur autarke ländliche Selbstversorgergemeinschaften zerstören, sondern auch weil sie die nationale Souveränität beschneiden, wann immer diese den Zielen des Freihandels im Wege steht.25 Die meisten scheinen auch meinen Standpunkt zu teilen, dass traditionelle Gemeinschaften vor plötzlicher Veränderung von außen geschützt werden müssen. Und zwar nicht nur in dem Sinne, dass sie ihre nachhaltigen Wirtschaftsformen beibehalten können, sondern vor allem, damit sie weiterhin ihre Werte und Loyalitäten leben können, die schließlich die Summe ihres Sozialkapitals darstellen. Merkwürdig ist nur, dass so wenige Umweltschützer diesen Gedanken zu Ende denken und anerkennen, dass auch wir vor der globalen Entropie geschützt werden müssen, dass auch wir um die Verbundenheit kämpfen müssen, die uns mit unserem Territorium verbindet und so aus diesem »Territorium« unsere Heimat macht. Denn Versuche, die Woge der Umweltzerstörung einzudämmen, waren bislang nur erfolgreich, wenn sie aus nationalen oder lokalen Initiativen hervorgingen, aus dem Wunsch, ein Territorium zu schützen, das in irgendeiner Form als das »unsere« galt – anders ausgedrückt: auf das wir ein ererbtes Anrecht besitzen. Ich rede hier beispielsweise vom Druck auf den amerikanischen Kongress zur Einrichtung von Nationalparks, der von amerikanischen Naturliebhabern ausging; von Islands Gesetzen zum Schutz der Laichgründe des Kabeljaus; dem Gesetz, das Irland von Plastik25 Die Kritik dieser Institutionen seitens der politischen Linken findet sich sehr schön zusammengefasst auf den Webseiten des Global Justice Center und des Global Justice Ecology Center. Weitere Kritikpunkte aus berufenem Munde finden Sie zum Beispiel in den Büchern von Joseph Stiglitz: Die Schatten der Globalisierung, München 2004, und Die Chancen der Globalisierung, Bonn 2006. 30 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 30 07.10.2013 10:23:46 Lokale Erwärmung tüten befreite; den Bemühungen um saubere Energie in Schweden und Norwegen; der Schweizer Gesetzgebung, die den Gemeinden volle Kontrolle über ihre Umwelt gibt, damit diese im Sinne aller bewirtschaftet wird; der britischen Green-Belt-Bewegung, die der ausufernden Siedlungspolitik der großen Städte entgegenwirkt; den Bemühungen um eine nachhaltige Fischereipolitik zur Erhaltung des Hummers in Maine und des Kabeljaus in Norwegen. Dies sind kleine Bewegungen, doch sie sind durchaus wirkungsvoll und könnten, wenn sich diese Art des Engagements weiter verbreitet, das Antlitz der Erde verändern.26 All diese Initiativen waren erfolgreich, weil sie auf einen ganz natürlichen Beweggrund setzten – die gemeinsame Liebe zu einem Ort, den man miteinander teilt. Mir will scheinen, dass eben dies das Ziel ist, das ernst zu nehmende Umweltschützer und ebenso ernst zu nehmende Konservative gemeinsam haben – nämlich unsere Heimat, den Ort, an dem wir leben und den wir miteinander teilen, den Ort, der uns ausmacht und den wir für unsere Nachkommen bewahren und deshalb nicht zerstören wollen. Viele der Intellektuellen, die diese gegebene Verbindung zwischen konservativem Denken und Umweltschutz erkannt haben wie zum Beispiel Patrick Wright, stehen ihr gleichwohl misstrauisch gegenüber.27 Die Liebe zur heimatlichen Erde war in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen – vor allem in Deutschland – natürlicher Teil jenes allgemeinen kollektiven Impetus, der sich damals – wenn auch nur kurzfristig – ganz Einige dieser auf Konsenslösungen ausgerichteten Bewegungen wurden von Elinor Ostrom wissenschaftlich untersucht. Ich möchte im fünften Kapitel näher auf ihre Argumentation eingehen. Andere dieser Initiativen finden sich dargestellt im fünften Kapitel von William A. Shutkins Buch: The Land That Could Be: Environmentalism and Democracy in the Twenty-First Century, Cambridge, Massachussetts, 2001. 27 Siehe »An Encroachment too Far«, in: Barnett und Scruton (Hrsg.), Town and Country, London 1999. 26 31 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 31 07.10.2013 10:23:46 Kapitel Eins vor den Wagen nationalistischer Kräfte spannen ließ.28 Doch allmählich ist es an der Zeit, eine offenere und fantasievollere Vision dessen zu entwickeln, was konservatives Denken und die Umweltbewegung einander geben können. Denn bislang scheint noch niemand der Umweltbewegung ein zugkräftigeres Motiv geliefert zu haben, als es die gemeinsame Liebe zu unserer Heimat darstellt. Ein Gefühl im Übrigen, das jeder nachvollziehen kann. Es bietet eine verlässliche Grundlage für das konservative Bestreben, bestimmte Institutionen zu bewahren, wie auch für die Bemühungen um die Erhaltung unseres Landes. Diese Grundlage erlaubt uns vielleicht wirklich, die demokratische Teilhabe mit der Achtung der Rechte künftiger Generationen und den Pflichten der Treuhänderschaft in Einklang zu bringen. Meiner Ansicht nach ist dies die einzig wirklich sinnvolle Ressource, die uns in unserem Kampf um die Bewahrung der lokalen Ordnung vor dem Ansturm globaler Verfallstendenzen zur Verfügung steht. Denn, das soll hier noch angefügt werden, wenn uns die Thermodynamik etwas zu sagen hat, dann dies. Ich bezeichne diese Motivation (oder vielmehr diesen Motivationskomplex) als oikophilia, als Liebe zum oikos, zum eigenen Haushalt. Eben dieses griechische Wort bildet die semantische Grundlage für Begriffe wie Ökonomie oder Ökologie. Ich möchte mit diesem Begriff aber eine tiefe Schicht der menschlichen Psyche beschreiben, die der Deutsche als Heimatgefühl29 kennt. Selbst ernannte Konservative wurden – nicht zu Unrecht – dafür kritisiert, dass sie alle politischen Entscheidungen als ökonomische Entscheidungen und den Markt als Allheilmittel sehen. Doch die Siehe dazu die stellenweise ungebrochene Geschichte der Ökologiebewegung in Deutschland, die Anna Bramwell zeichnet: Ecology in the 20th Century. A History, New Haven 1989. 29 Im Original deutsch. (A.d.Ü.) 28 32 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 32 07.10.2013 10:23:46 Lokale Erwärmung konservative Betonung der Ökonomie hat durchaus ihren Sinn, wenn wir sie auf den oikos zurückführen, der sich in dem Begriff versteckt. Achtung vor dem oikos, dem eigenen Haushalt, ist der eigentliche Grund, weshalb Konservative sich den gegenwärtigen Umweltschutzaktivitäten nicht anschließen mögen. Radikale Umweltschützer hingegen reagieren mit Irritation auf jede Form von Nationalgefühl. Sie lehnen die alten Hierarchien ab und versuchen, die Toten aus ihrer Planung herauszuhalten, uneingedenk der Tatsache, dass sie damit, wie Burke meinte, auch die Ungeborenen aus ihren Überlegungen streichen. Sie definieren ihre Ziele auf globaler, internationaler Ebene, unterstützen Nicht-Regierungsorganisationen und Interessengruppen, die sich mit den multinationalen Konzernen auf deren ureigenstem Gebiet anlegen, und versuchen, diese mit ihren eigenen Waffen zu schlagen – ohne jeden Rückgriff auf nationale Souveränität. Noch weiter geht der deutsche Generalverdacht gegen das Heimatgefühl. Viele deutsche Intellektuelle würden sicher Bernhard Schlink zustimmen, der meint, den jüngsten Evokationen des Begriffes Heimat liege ein gefährlicher Utopismus zugrunde. Denn Heimat sei letztlich ein »Nichtort«, entstanden aus unerfüllbaren emotionalen Sehnsüchten, die unweigerlich an der bloßen Wirklichkeit zerschellen müssen, sodass der Sehnende enttäuscht zurückbleibt.30 Edgar Reitz’ Filmreihe Heimat mit ihren fünfundfünfzig Stunden Dauer kann diesen Eindruck nicht ganz ausräumen, zeigt aber recht schön, worum es in diesem Buch geht. Ich werde dem Gefühl der Oikophilie in ihren existierenden modernen Formen nachgehen. Und ich werde herausarbeiten, was die eigentliche Aufgabe des Umweltschutzes ist: nämlich dieses Gefühl zu erhalten und es zu bewahren vor allem, was es unterminieren könnte – von 30 Siehe Bernhard Schlink, Heimat als Utopie, Frankfurt a. M. 2000. 33 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 33 07.10.2013 10:23:46 Kapitel Eins der Oikophobie (der Verleugnung der Heimat) über die Technophilie (den Drang, Heimat durch allerlei technische Errungenschaften zu ersetzen) und den Konsumwahn (den Triumph der instrumentellen Vernunft, die aus dem »Hier« ein gnadenloses »Überall« macht) bis hin zur Lust an der Zerstörung und Banalisierung, die zu den chronischen Krankheiten der menschlichen Natur gehört. Seit seinen Ursprüngen in den Schriften eines Hume, Smith oder Burke hat der intellektuelle Konservativismus stets die Bedeutung kleiner Gemeinschaften, autonomer Institutionen, Unternehmungen und Universitäten betont, die sich dem Zugriff des Staates entziehen. In Europa waren es vor allem De Maistre und Hegel, die diese Ansicht teilten. Bei Tocqueville ist sie der Drehund Angelpunkt seiner Analyse der amerikanischen Demokratie. Was diese Denker im Hinterkopf hatten, war eine zivile Gemeinschaft: Zusammenschlüsse von Menschen, die nur um der Kooperation willen bestanden – manchmal, doch keineswegs immer mit einem gemeinsamen Ziel – und die ihre Angelegenheiten ohne staatliche Einmischung regelten und gewöhnlich keinerlei politischen Einfluss suchten. Solche Gemeinschaften sind der Stoff, aus dem die Zivilgesellschaft besteht, und Konservative legen deshalb so enormen Wert auf sie, weil sie die Garantie für die Fähigkeit zur Erneuerung des Gemeinwesens darstellen, ohne dass diese durch den Staat gesteuert und kontrolliert werden müsste.31 Obwohl der »kleine Haufen, der uns zunächst umgibt«, wie Burke dies nennt, sozusagen ebenfalls eine Nicht-Regierungsorganisation ist, ist er doch ganz anders aufgebaut als das, was wir heute unter diesem 31 Daher die klare Unterscheidung zwischen staatlicher und bürgerlicher Gesellschaft, die Hegel in seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts (a.a.O.) vornimmt. 34 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 34 07.10.2013 10:23:47 Lokale Erwärmung Begriff kennen und was die die Umweltdebatte weitgehend dominiert. Eine Nicht-Regierungsorganisation signalisiert schon mit ihrem Namen, dass sie nicht zur Regierung gehört. Doch bereits diese Selbstbezeichnung macht deutlich, dass die NGO s es sich zur Gewohnheit gemacht haben, mit den Regierungen um Einfluss zu konkurrieren. Viele von ihnen verfolgen darüber hinaus politische Ziele beziehungsweise streben mit ihren Anhängern Veränderungen an, die nur durch umfassende gesetzliche Verordnungen erreicht werden können. Der Unterschied liegt offen auf der Hand: Existieren zivile Gemeinschaften hauptsächlich um ihrer Mitglieder willen, so existieren die großen NGO s häufig nur um ihrer Ziele willen. Ihren Mitgliedern bringen sie weiter nichts außer regelmäßigen Spendenaufrufen. Diese Unterscheidung soll hier an einigen Beispielen erläutert werden. Eine dieser typischen großen Nicht-Regierungsorganisationen ist der International Fund for Animal Welfare (IFAW). Diese NGO wurde 1969 gegründet und setzt sich weltweit für Tiere ein. Er gewinnt Mitglieder vorzugsweise durch schockierende Anzeigen wie zum Beispiel von jenen leidenden Bären, denen man in China zur Gewinnung von Gallenflüssigkeit Katheter in den Bauch treibt. Oder vom blutigen Robben-Schlachtfest, das Jahr für Jahr an der kanadischen Küste stattfindet. Oder von irgendeinem anderen geeigneten Motiv, das den gewöhnlichen Tierliebhaber dazu bringt, dem Geld zu spenden, der verspricht, diesem Leid ein Ende zu bereiten. Einer der Mitbegründer des IFAW erhielt, als er sich aus der Organisation zurückzog und in Rente ging, 2,5 Millionen US -Dollar vom IFAW , nur damit dieser den Namen weiter benutzen durfte – ein Recht, das viele gar nicht erst ausüben möchten. Der IFAW finanziert weiterhin politische Kampagnen weltweit. Eine davon war erst kürzlich von Erfolg gekrönt: In Großbritannien wurde die Hundejagd verboten. (Der politische 35 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 35 07.10.2013 10:23:47 Kapitel Eins Flügel des IFAW spendete 1 Million Pfund an die Labour-Partei im Gegenzug für das Versprechen, ein entsprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen. Diese Art Verfälschung des politischen Prozesses ruft keinerlei Protest hervor, wenn ihre Akteure dem linken politischen Spektrum zuzuordnen sind. (Der IFAW hat einen jährlichen »Umsatz« von 100 Millionen US -Dollar.) Der IFAW ist ein extremes Beispiel für eine NGO , die Ziele verfolgt, über die keine Diskussion stattfindet, da es innerhalb der Organisation selbst kein Forum dafür gibt. Was mitunter sogar den selbst gesteckten Zielen schadet. So könnte die Tatsache, dass die Robben in Kanada nun nicht mehr jährlich dezimiert werden, sich durchaus negativ auf die dortige Tierpopulation und das Habitat der Menschen vor Ort, die Küsten-Inuit, auswirken.32 Der IFAW aber ist nur seinen Leitern gegenüber zur Rechenschaft verpflichtet. Er ist ausschließlich auf politischer Ebene tätig, doch eine Debatte über die langfristigen Auswirkungen seiner kurzfristigen Zielsetzungen findet nicht statt. Er fordert von seinen Unterstützern nichts weiter als Geld und agiert als kompromisslose LobbyGruppe für ein einziges Thema, wann immer er die Szene betritt. Der IFAW ist international organisiert und ausschließlich mit der Verfolgung seiner selbst gesteckten Ziele beschäftigt. Er untergräbt also die Fundamente demokratischer Politik, deren Ziel es ist, Konfliktparteien auszusöhnen, sinnvolle Kompromisse zu schließen und kollektive Verantwortung für eine bestimmte Gemeinschaft und ihre verschiedenen Interessen zu übernehmen. Dasselbe gilt für die großen multinationalen Umweltschutzorganisationen wie Zumindest ist dies die Argumentation der kanadischen Regierung, die nicht nur die wirtschaftliche Bedeutung des Robbenschlachtens sieht, sondern auch dessen Funktion für die Erhaltung der Umwelt und der Ökosysteme, von denen die Robben abhängig sind. Siehe: www.dfo-mpo.gc.ca/fm-gp/seal-phoque/ reports-rapports/facts-faits/facts-faitsSE -eng.htm. 32 36 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 36 07.10.2013 10:23:47 Lokale Erwärmung Greenpeace, Friends of the Earth und Earth First!, die sich – eben weil sie sich nationaler Jurisdiktion und der Bürde einer realistischen Politik entziehen – schnell zu einer Bedrohung für das homöostatische System entwickeln können, das sie eigentlich schützen wollen. Ein schönes Beispiel dafür bietet die Auseinandersetzung zwischen Greenpeace und Shell über die Entsorgung der Ölförderplattform Brent Spar. Shell wollte sie im Meer versenken. Greenpeace versuchte mit einer massiven Hasskampagne gegen Shell, die mithilfe von Boykottaufrufen, einer Werbekampagne, Flugblättern und nicht zuletzt Druck auf die Anteilseigner geführt wurde, die Versenkung zu verhindern. Es hieß, die Plattform enthielte mehrere Tausend Tonnen Öl und würde auf Jahre hinaus eine Bedrohung für die Umwelt darstellen: Diese Aussage erwies sich in der Folge als falsch. Es kam nie zu Gesprächen, in denen Greenpeace und Shell die unterschiedlichen Standpunkte hätte klären können. Die Auseinandersetzung wurde geführt als tödlicher Kämpfe der Mächte des Lichts gegen die Mächte der Finsternis. Greenpeace gewann. Die Plattform wurde aus dem Meer geholt und in einem norwegischen Fjord entsorgt, ein unansehnliches Wrack, das schließlich für die stolze Summe von 43 Millionen Pfund zerlegt wurde. (Die Versenkung hätte 3 Millionen Pfund gekostet.) Da für die Entsorgung enorme Mengen Energie verbraucht wurden und dabei jede Menge Giftstoffe frei wurden, war dies auch aus umwelttechnischer Sicht der schlechteste mögliche Weg, das Problem zu lösen. (Heute empfehlen mehrere Umweltorganisationen, diese alten Ölförderplattformen sollten im Meer versenkt werden, damit sie dort eine nützliche Funktion als Lebensraum für Fische entfalten können.) Die ganze Angelegenheit hatte Shell Millionen gekostet und den Ruf der Firma nachhaltig beschädigt. Nachdem nachgewiesen worden war, dass die Plattform deutlich 37 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 37 07.10.2013 10:23:47 Kapitel Eins weniger Öl enthielt als von Greenpeace angegeben, ließ die Organisation eine windige Entschuldigung vom Stapel und zog weiter zur nächsten Kampagne.33 Damit will ich nun nicht unterstellen, dass NGO s mit ihren Behauptungen immer falsch liegen oder dass multinationale Konzerne sich stets verantwortungsbewusst verhalten. Ganz im Gegenteil, Greenpeace und Friends of the Earth haben die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nicht selten auf tatsächliche Missbrauchsfälle gelenkt und ihre Glaubwürdigkeit in gutem Sinne genutzt, um ein Umdenken in der Öffentlichkeit zu bewirken. Die Konzerne werden immer größer und können sich ihrerseits juristischer Kontrolle entziehen, weil sie ihre Pflichten gegenüber den Staaten, in denen sie Niederlassungen haben, nicht erfüllen. Ihre Rechenschaftspflicht schwindet somit. Anteilseigener stellen ohnehin selten Fragen, und schon gar nicht über die Umweltfolgen jener Aktivitäten, die ihnen Gewinn einbringen. Es ist eine der großen Schwächen der konservativen Position, dass ihre nachvollziehbare Begeisterung für das freie Unternehmertum, wie sich gerade in Amerika zeigt, selten begleitet wird von der Einsicht, dass freies Unternehmertum unter den Bürgern eines Nationalstaates etwas ganz anderes ist als freies Unternehmertum eines multinationalen Konzerns an Orten, an die weder der Konzern noch seine Anteilseigner durch Beziehungen gebunden sind. Dieses Desinteresse am »Andernorts« ist es, das hinter Umweltkatastrophen wie der von BP zu verantwortenden Ölpest im Golf von Mexiko oder der Politik von Kahlschlag und Brandrodung des Regenwaldes durch multinationale Holzkonzerne steht. BBC News vom 25. November 1998. Siehe dazu auch die Presseverlautbarung von Shell: »Shell welcomes the letter of apology from Greenpeace«, in: Brent Spar Dossier, 2008, S. 112. Abrufbar unter: http://www-static.shell.com/content/dam/ shell/static/gbr/downloads/e-and-p/brent-spar-dossier.pdf 33 38 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 38 07.10.2013 10:23:47 Lokale Erwärmung Und doch sind auch die Umweltschutz-NGO s niemandem Rechenschaft schuldig. Das ist die natürliche Konsequenz ihrer Arbeitsweise. Der Unterschied zu anderen Formen bürgerlichen Engagements soll hier am Women’s Institute (WI ) aufgezeigt werden, einer Organisation, die 1915 zur Unterstützung der britischen Landfrauen während der schwierigen Monate des Ersten Weltkriegs gegründet wurde. Diese Initiative zählt heute über 205 000 Mitglieder in Großbritannien, die in lokalen Gruppen organisiert sind und sich über das ganze Land verteilen. Ihr Beispiel wurde in zahlreichen Ländern der englischsprachigen Welt nachgeahmt. Das WI hat keinen anderen Zweck, als Leute zusammenzubringen, die sich um sozial sinnvolle Projekte kümmern und sich gegenseitig unterstützen wollen. Die Organisation ist für Vorschläge aus der Basis offen, muss ihren Spendern gegenüber Rechenschaft im Hinblick auf die Verwendung der Gelder ablegen und lässt die Finger von der Politik. Sie prägt die ethische und soziale Grundeinstellung ihrer Mitglieder, die sie als dauerhafte Institution über Zeit und Raum hinweg vereint. Sie fördert deren lokalpatriotische Gefühle und bietet ihnen in schweren Zeiten Freundschaft und Unterstützung. Kurz gesagt ist das WI ein Instrument des Friedens, das, da es unpolitisch ist, den konservativen Instinkt anspricht und jenen Trost bietet, die keine Revolution anzetteln, sondern einfach nur ihr Leben weiterführen wollen. Und doch hat das WI ganz sicher viel Gutes getan, und zwar nicht nur für seine Mitglieder, sondern für die Gesamtheit der lokalen Bevölkerung. Es spielt eine große Rolle bei der Werbung für regional produzierte Lebensmittel, und zwar nicht mithilfe großer Werbekampagnen, sondern durch die Möglichkeiten, die es den örtlichen Farmern und ihren Familien eröffnet. Seine Mitglieder fördern Bürgerinitiativen zum Umweltschutz in der unmittelbaren Nachbarschaft. Trotz seiner landesweiten Organisationsstruk39 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 39 07.10.2013 10:23:47 Kapitel Eins tur legt man beim Women’s Institute großen Wert auf lokale Aktivitäten, auf alles, was »daheim« vor sich geht. Umgekehrt hege ich keinerlei Zweifel, dass der IFAW mindestens ebenso viel Schaden angerichtet wie Gutes bewirkt hat, und dies nicht nur in den ländlichen Gemeinden Englands, sondern bei den Inuit in Kanada und den Küstenjägern Namibias, Bevölkerungsgruppen, gegen die der IFAW mobil gemacht hat. Es ist gut möglich, dass es der Wildtierpopulation insgesamt betrachtet nicht besser, sondern schlechter geht, seit es den IFAW gibt. Die Tiere, die am meisten von seiner Arbeit profitiert hätten, die armen chinesischen Bären mit dem Gallenkatheter, sind aber völlig außer Reichweite seiner Kampagnen. Wie im Fall von Greenpeace lässt sich auch beim IFAW sagen: Das letzte Urteil ist noch nicht gesprochen. Doch nicht bei jeder NGO ist diese Art von Kritik angebracht. Viele der bekannteren NGO s mischen sich nicht in politische Angelegenheiten. Sie übernehmen Aufgaben, um die sich sonst der Staat kümmern müsste – das Rote Kreuz zum Beispiel oder die auf dem Gebiet der Medizin und Bildungsförderung tätigen Wohltätigkeitsinitiativen, die so viel dazu beigetragen haben, in Europa und Amerika eine funktionierende Zivilgesellschaft zu begründen. Ich benutze hier bewusst den Begriff der »Wohltätigkeit«, um diese Institutionen zu beschreiben. Seit dem »Charitable Uses Act« von 1605 und seiner Präambel erkennt das englische Recht die soziale Bedeutung solcher Organisationen an, indem es sie beispielsweise von der Steuer befreit, da eine Steuerpflicht ihre Aktivitäten vielleicht behindern würden.34 Tatsächlich verwenden wir kaum je den Begriff NGO für diese gemeinnützigen Organisationen. Das hat einen einfachen Grund: Wir sehen sie nicht in Konkurrenz mit der 34 Auch in Deutschland sind Organisationen, die ganz oder teilweise dem Gemeinwohl dienen, von Steuern befreit. (A.d.Ü.) 40 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 40 07.10.2013 10:23:47 Lokale Erwärmung Regierung, da sie keine politischen Zwecke verfolgen. Sie sind zwar aktiv, doch nicht aktivistisch. Natürlich gibt es enorme Unterschiede darin, wie man den Bedarf an Zusammenarbeit und gemeinsamem Engagement zum Wohle der Allgemeinheit formuliert beziehungsweise ihn erfüllt und nutzbar macht. Neben der versuchsweisen Unterscheidung in aktivistische NGO s und zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse gibt es eine noch viel interessantere Trennlinie, die zwischen zwei verschiedenen Sichtweisen von Politik verläuft. Es gibt jene, die in der Politik ein Mittel sehen, die Gesellschaft auf ein bestimmtes Ziel hin zu mobilisieren. Und die, die Politik als Prozess betrachten, in dessen Verlauf Konflikte gelöst und Interessen versöhnt werden, ohne dass dieser Prozess deshalb einen Wert an sich darstellen würde. Zur ersten Gruppe gehören alle Revolutionäre, viele demokratische Sozialisten, die das Ziel ihres politischen Handelns in der Errichtung einer gleichen und brüderlichen Ordnung sehen, und möglicherweise ein paar von denen, die John Gray die »NeoLiberalen« nennt und deren oberste Sorge es ist, alle Gemeinschaften und Institutionen nach den Prinzipien des freien Marktes zu organisieren – ohne Ansehung der Tatsache, dass sie vielleicht in eine ganz andere Richtung tendieren.35 Zur zweiten Gruppe gehören die meisten Konservativen und die »klassischen Liberalen«, zumindest in der Typologie der politischen Wissenschaft. Ich werde in diesem Buch für die zweite Definition von Politik plädieren. Eine kluge Regierung sollte meiner Ansicht nach kein anderes Ziel verfolgen als das, die Interessen ihrer Bürger nach bestem Wissen und Gewissen miteinander in Einklang zu bringen. Nur in absoluten Notfällen sollte eine Gesellschaft einem bestimmten Zweck untergeordnet werden, und diese Notfälle sind ohnehin meist das 35 Siehe John Gray, Beyond the New Right, London und New York 1993. 41 453-35084_Scruton-gruene-Philosophie_001-448_U4_c_Imprimatur.indd 41 07.10.2013 10:23:47 UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE Roger Scruton Grüne Philosophie Ein konservativer Denkansatz Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 448 Seiten, 13,5 x 21,5 cm ISBN: 978-3-424-35084-5 Diederichs Erscheinungstermin: November 2013 Der Umweltschutz liegt herkömmlich im Hoheitsgebiet der politischen Linken. Die Bedrohung der Natur ist ihr zufolge dem internationalen Kapitalismus, dem Konsumverhalten und der unbegrenzten Ausbeutung natürlicher Ressourcen zuzuschreiben. Roger Scruton entblößt dieses Grundverständnis als gefährlichen Trugschluss, der in sich zerstörerisch auf die Ökosysteme wirkt, von denen unsere Zukunft abhängt. Der konservative Denker würdigt traditionelle Prinzipien als offensichtlichste und wirksamste Mittel, den Erhalt unseres Planeten zu sichern. Lokalismus und Bürgerverantwortung schlagen dabei die Bemühungen schwerfälliger Nichtregierungsorganisationen und internationaler Komitees. Die Zukunft ist mitnichten gesichert, aber Roger Scruton beweist mit dieser gedankenreichen Schrift, dass ein Fortbestand des Ökosystems Erde möglich ist.