Die Genetik der idiopathischen Epilepsien

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DIE ÜBERSICHT
Ortrud Steinlein
Die Genetik der
idiopathischen Epilepsien
Idiopathische Epilepsien haben einen Anteil von bis zu 40
Prozent an allen epileptischen Erkrankungen. Genetischen
Faktoren kommt eine wesentliche ätiologische Bedeutung
bei der Entstehung dieser Erkrankungen zu. Allerdings handelt es sich dabei zumeist um oligogene oder multifaktorielle
Erbgänge. So ist es verständlich, daß in den letzten Jahren
die wesentlichen Fortschritte bei der Erforschung der genetischen Ursachen idiopathischer Epilepsien insbesondere bei
den seltenen monogen vererbten Formen erzielt wurden.
Erstmals konnten Gendefekte für bestimmte epileptische
Syndrome nachgewiesen werden. Mutationen im CHRNA4-
Gen, welches für die α4-Untereinheit
des neuronalen nikotinischen Acetylcholinrezeptors kodiert, führen zu einer autosomal dominant erblichen Form der nächtlichen Frontallappenepilepsie,
während Veränderungen im spannungsabhängigen Kaliumkanal KCNQ2 kürzlich als Ursache der benignen familiären
Neugeborenenkrämpfe identifiziert wurden. Beide Erkrankungen können als Modelle für weitergehende Untersuchungen zur Pathogenese epileptischer Erkrankungen dienen.
Schlüsselwörter: Idiopathische Epilepsie, Genetik,
Ionenkanal
Genetics of Idiopathic Epilepsies
Idiopathic epilepsies account for up to 40 per cent of all
epileptic diseases. Genetic factors play an important etiological role. However, most idiopathic epilepsies are due to
oligogenic or multifactorial inheritance. Over the last years,
major progress has been made regarding the analysis of
genetic factors in idiopathic epilepsy, especially in the monogenic forms. For the first time gene defects could be linked to
certain epileptic syndromes. Mutations in the CHRNA4-
gene which codes for the α4-subunit of the
neuronal nicotinic acetylcholine receptor lead
to autosomal dominant nocturnal frontal lobe epilepsy,
while defects in the voltage gated potassium channel gene
KCNQ2 have recently been found to cause benign familial
neonatal convulsions. Both diseases can serve as model for
further analysis of the pathogenesis underlying epileptic
diseases.
Key words: Idiopathic epilepsy, genetics, ion channel
D
ie Erforschung der Ursachen
epileptischer Erkrankungen
hat in den letzten Jahren interessante Fortschritte gemacht. So
wurden die molekularen Ursachen
bei einer Reihe von symptomatischen Epilepsien, bei welchen
Krampfanfälle einen Teil des Symptomenkomplexes bilden, identifiziert. Dazu gehören Mutationen in
der mitochondrialen DNA (MERRFSyndrom) (29), im Cystatin-B-Gen
(progressive Myoklonus-Epilepsie
vom Typ Unverricht-Lundborg) (18)
sowie Gendefekte, welche zu metabolischen Speichererkrankungen
(wie juvenile Ceroid-Lipofuszinose)
(27) führen.
Hierbei handelt es sich um Pathomechanismen, welche in der
Regel mehr als ein Organsystem betreffen oder welche epileptische Anfälle aufgrund von eher unspezifischen Veränderungen hervorrufen.
Für das Verständnis grundlegender
Funktionszusammenhänge im zentralen Nervensystem ist die Untersuchung von Erkrankungen aus der
Gruppe der sogenannten idiopathischen Epilepsien interessanter.
ZUSAMMENFASSUNG
Idiopathische Epilepsien
Als idiopathisch werden von der
Terminologie-Kommission der Internationalen Liga gegen Epilepsie (6)
diejenigen epileptischen Krankheitsbilder bezeichnet, bei welchen weder
klinisch noch apparativ eine nachweisbare Läsion, ein Stoffwechseldefekt oder eine andersartige nachvollziehbare Ursache gefunden werden
kann. Gleichzeitig impliziert dieser
Begriff eine häufig genetische Ätiologie sowie eine zumeist günstige Prognose. Obwohl mit zunehmendem
Verständnis für die zugrundeliegenden Pathomechanismen die strenge
Abgrenzung zwischen symptomatischen und idiopathischen Epilepsien
fraglich wird, soll diese Definition aus
Verständnisgründen hier beibehalten
werden.
Idiopathische Epilepsien haben
einen Anteil von etwa 30 bis 40 Prozent an allen epileptischen Erkrankungen im Kindesalter und 20 ProInstitut für Humangenetik (Direktor: Prof. Dr.
med. Peter Propping), Rheinische FriedrichWilhelms-Universität, Bonn
A-1346 (42) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 20, 21. Mai 1999
SUMMARY
zent im Erwachsenenalter und stellen somit einen ganz erheblichen Anteil aller chronischen Erkrankungen
des Zentralnervensystems. Zwillingsstudien zeigen, daß die Konkordanzrate (das heißt die Häufigkeit,
mit der beide Zwillinge betroffen
sind) bei eineiigen Zwillingen mit 70
bis 80 Prozent sehr hoch ist (3, 7). Die
vergleichsweise niedrigen Konkordanzraten von drei bis zehn Prozent
bei zweieiigen Zwillingen (3, 7) weisen darauf hin, daß es sich nur in
Ausnahmefällen um einen monogenen Erbgang handeln kann. Der Vergleich der Konkordanzraten bei eineiigen und zweieiigen Zwillingen
zeigt, daß genetische Faktoren ganz
wesentlich an der Ätiologie dieser
Erkrankung beteiligt sind.
Man muß davon ausgehen, daß
es sich bei den meisten idiopathischen Epilepsien um eine genetisch
komplexe Krankheit unter Beteiligung unterschiedlicher Gene handelt. Deshalb sind die Wiederholungsrisiken innerhalb von betroffenen Familien auch zumeist moderat
(Tabelle). Die Schwankungsbreiten
der Wiederholungsziffern bei den
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DIE ÜBERSICHT
einzelnen Syndromen erklären sich
zum einen durch die Verwendung unterschiedlicher Klassifikationskriterien in den zugrundeliegenden Studien. Eine wesentliche Rolle spielt
aber sicherlich auch die genetische
Komplexität innerhalb eines definierten Syndroms, wobei der Einfluß
einzelner beteiligter Gene interfamiliär unterschiedlich stark sein kann
und somit Einfluß auf die Wiederholungsrisiken nimmt.
Das immer wieder beobachtete
gehäufte Auftreten von unterschiedlichen epileptischen Syndromen in
einer Familie deutet auf eine zumindest teilweise überlappende Wirkung
der beteiligten Gene hin. Auch findet
sich gelegentlich ein Übergang von
einem Syndrom zu einem anderen
bei demselben Patienten. Da bei genetisch komplex vererbten Erkrankungen das einzelne Gen in unübersichtlicher Weise an der Entstehung
des Phänotyps beteiligt, ist die Erforschung der genetischen Ursachen
äußerst schwierig. Offenbar gibt es
sowohl ätiologische Faktoren, welche die Höhe der Krampfschwelle
bestimmen (wobei diese im Verlauf
des Lebens veränderlich sein kann),
als auch solche, welche die Art der jeweiligen Erkrankung durch den Zeitpunkt der Ersterkrankung beeinflussen (altersabhängige Expression).
Ein Hinweis auf eine solche mehrstufige Vererbung gibt auch beispielsweise die Tatsache, daß sich, je nach
untersuchtem Syndrom, bei gesunden Verwandten von Patienten mit
idiopathischer Epilepsie epileptiforme EEG-Auffälligkeiten beobachten
lassen.
Es finden sich aber immer wieder auch Familien, welche aufgrund
des gehäuften Auftretens einer epileptischen Erkrankung in mehreren
aufeinanderfolgenden Generationen
einen Hauptgeneffekt vermuten lassen. Angaben über mögliche Wiederholungsrisiken setzen deshalb eine
sorgfältige Erhebung der Familienanamnese voraus, da aufgrund der
genetisch komplexen Situation neben Familien mit einer geringen
Wahrscheinlichkeit für ein erneutes
Auftreten epileptischer Syndrome
auch gelegentlich Familien mit höheren Wiederholungsrisiken vorkommen.
!
Tabelle
Idiopathische Epilepsien: Beispiele für durchschnittliche Wiederholungsrisiken bei Kindern von
Betroffenen
Epilepsieform bei einem Elternteil
ungefähres
Literatur
Wiederholungsrisiko
bei Kindern (%)
Idiopathische Epilepsien mit Absencen
(juvenile myoklonische Epilepsie;
Absencen-Epilepsie des Kindesalters)
6–8
2, 28, 31
juvenile Epilepsie mit primär generalisierten
tonisch-klonischen Anfällen
(Aufwach-Epilepsie)
5–7
1, 2, 28
juvenile myoklonische Epilepsie
Impulsiv-Petit-mal
5–7
2, 9, 12
Rolandische Epilepsie
(Benigne Epilepsie mit zentrotemporalen
sharp waves)
12–15
14
allgemeines Bevölkerungsrisiko
(kumulative Inzidenz bis zum 40. Lebensjahr)
1,8
2
Die Angaben gelten für Familien, in denen nur ein Elternteil und sonst kein weiterer Verwandter betroffen ist. Die angegebenen Widerholungsrisiken enthalten auch andere Epilepsieformen sowie Oligo-Epilepsien (jedoch keine Fieberkrämpfe).
Grafik 1
Chromosom 20
13
D20S20
D20S24
12,3
12,2
12,1
p
11,23
11,22
11,21
CHRNA4
KCNQ2
11,1
11,21
11,22
11,23
12
13,11
13,12
13,13
q
13,2
10 kb
13,31
13,32
13,33
Die Gene CHRNA4 und KCNQ2, welche im mutierten Zustand idiopathische Epilepsien verursachen können,
liegen eng benachbart auf dem distalen Ende des langen Arms von Chromosom 20 (20q13.3). D20S20 und
D20S24 bezeichnen anonyme polymorphe Marker in dieser Region.
Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 20, 21. Mai 1999 (43) A-1347
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Kopplungs- und
Assoziationsbefunde
Zu den am häufigsten auftretenden idiopathischen Epilepsien
zählen
! die juvenile myoklonische
Epilepsie (auch Impulsiv-Petit-malEpilepsie genannt),
! die Absencen-Epilepsie des
Kindesalters (Pyknolepsie),
! die juvenile Absencen-Epilepsie sowie
! die Aufwach-Grand-mal-Epilepsie. Obwohl vorwiegend genetisch
bedingt, konnte bisher noch für keine
dieser Erkrankungen ein verantwort-
33). Allerdings konnte dieser Befund nicht in allen nachfolgenden
Studien reproduziert werden (34).
Diese widersprüchlichen Ergebnisse
könnten durch nicht einheitliche
Krankheitsdefinitionen oder durch
Unterschiede in der jeweiligen ethnischen Zusammensetzung der untersuchten Patientenkollektive bedingt sein.
Weiterhin sind in den letzten
Jahren verschiedene Studien publiziert worden, welche auf mögliche
Genorte für idiopathische Epilepsien
in verschiedenen Chromosomenregionen hindeuten. Hierzu gehören
die chromosomale Region 8q24 in ei-
Grafik 2
COOH
NH2
Zellmembran
TM2
Identifikation von Genen
bei monogenen Epilepsien
Einige seltene epileptische Syndrome zeigen einen monogenen Erbgang. Es bietet sich deshalb an,
zunächst diejenigen seltenen idiopathischen Epilepsien zu untersuchen,
welche tatsächlich auf der Mutation
eines einzelnen Gens beruhen (sogenannte monogene idiopathische Epilepsien). Diesem Ansatz liegt die Hypothese zugrunde, daß die hierbei
identifizierten Gene (beziehungsweise Genfamilien) ebenfalls an der Entstehung der häufigen, komplex vererbten idiopathischen Epilepsien beteiligt sein können. Bisher wurden
Mutationen in zwei Genen gefunden,
welche zu autosomal dominant vererbten idiopathischen Epilepsien
führen: die α4-Untereinheit des neuronalen nikotinischen Acetylcholinrezeptors (CHRNA4) bei der familiären nächtlichen Frontallappenepilepsie (24) und der spannungsabhängige Kaliumkanal KCNQ2 bei den benignen familiären Neugeborenenkrämpfen (4). Beide Gene liegen zufällig in der selben Chromosomenregion 20q13.3 (Grafik 1).
Familiäre nächtliche
Frontallappenepilepsie
Schematische Darstellung der von CHRNA4 gebildeten Untereinheit des neuronalen nikotinischen Acetylcholinrezeptors. Die Positionen der beiden bisher identifizierten Mutationen, welche zur familiären nächtlichen Frontallappenepilepsie führen, sind markiert (oberer Pfeil: 776ins3 in norwegischer ADNFLE-Familie; unterer Pfeil:
Ser248Phe in australischer ADNFLE-Familie). Der nikotinische Acetylcholinrezeptor setzt sich aus fünf gleichen
oder unterschiedlichen Untereinheiten zusammen, wobei die jeweiligen zweiten Transmembrandomänen die
Wände des Ionenkanals bilden.
licher Gendefekt nachgewiesen werden. Dies liegt unter anderem daran,
daß die zugrundeliegenden Erbgänge unklar sind. In bisherigen Studien
wurden sowohl mono- und oligogene
als auch polygene Vererbungsmodelle diskutiert. Genauso widersprüchlich sind die Ergebnisse bisheriger
Assoziations- und Kopplungsstudien. Möglicherweise liegt ein Kandidatengen für die juvenile myoklonische Epilepsie in unmittelbarer
Nähe des humanen LymphozytenAntigen-(HLA-)Komplexes auf dem
kurzen Arm von Chromosom 6 (11,
nem Kollektiv von italienischen Familien, deren Mitglieder unterschiedliche generalisierte idiopathische Epilepsien aufweisen (35) sowie
die Regionen 15q (11) und 6p12-p11
(12), für welche Kopplungen in Familien mit vorwiegend juveniler
myoklonischer Epilepsie gefunden
wurden. Auch könnten Gene, welche
zu Fieberkrämpfen prädisponieren,
in den Chromosomenregionen 8q1321 (30) und 19p (8) vorkommen. Bisher konnte aber noch keine dieser
Beobachtungen in unabhängigen Studien bestätigt werden.
A-1348 (44) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 20, 21. Mai 1999
Die familiäre nächtliche Frontallappenepilepsie (ADNFLE = autosomal dominant nocturnal frontal lobe
epilepsy) ist erstmals 1994 als eigenständiges Syndrom abgegrenzt worden (3). Die Erkrankung ist durch Serien von kurzen motorischen Anfällen gekennzeichnet, welche überwiegend aus dem Schlaf heraus auftreten. Der Erkrankungsbeginn ist auch
innerhalb einer Familie sehr variabel.
Er kann vom frühen Kindesalter bis
zum späten Erwachsenenalter reichen. Etwa 50 Prozent der Patienten
erkranken innerhalb des ersten Lebensjahrzehnts. Iktale EEG-Befunde, soweit nicht unauffällig, weisen
auf einen unilateralen frontalen
Ursprung hin. Gelegentlich werden
mit Bewußtseinsverlust einhergehende sekundäre Generalisationen beobachtet.
Ein erster Genort für die familiäre nächtliche Frontallappenepilepsie
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DIE ÜBERSICHT
wurde 1995 bei einer australischen Frontallappenepilepsie auslösen kön- stens bis zum sechsten Lebensmonat).
Familie der Chromosomenregion nen, zeigt die Erkrankung in einer Die tonischen oder tonisch-kloni20q13.3 zugeordnet (19). Inzwischen norwegischen Familie (26). Hier fand schen Krampfanfälle sind generalihat sich gezeigt, daß die Erkrankung sich eine zusätzliche Aminosäure am sierten oder multifokalen Ursprungs,
genetisch heterogen ist. In einigen äußeren Ende der zweiten Transmem- entsprechend dem unreifen EntwickFamilien ist offenbar ein anderer brandomäne. Auch diese Mutation lungsstand des frühkindlichen GeGenort verantwortlich, welcher bis- führt zu einer deutlichen Funktions- hirns. Zusätzlich können Apnoen,
her noch nicht gefunden werden einschränkung des betroffenen neu- Augenbewegungen und motorische
konnte. Als mögliches Kandidaten- ronalen nikotinischen Acetylcholin- Automatismen auftreten. Die übergen bot sich die α4-Untereinheit des rezeptors.
wiegende Anzahl der betroffenen
neuronalen nikotinischen AcetylchoKinder macht trotz der Anfälle eine
linrezeptors (CHRNA4) an, welche
normale psychomotorische Entwickbereits früher innerhalb der Region
lung durch, nur in wenigen Fällen
Benigne familiäre
20q13.3 identifiziert worden war (23).
wird über eine verzögerte SprachentNeugeborenenkrämpfe
Der neuronale nikotinische Acetylwicklung oder eine beeinträchtigte
Für die benignen familiären Neu- schulische Leistung berichtet. In 10
cholinrezeptor ist ein Proteinkomplex, welcher sich aus fünf Unterein- geborenenkrämpfe BFNC (benign bis 15 Prozent kommt es im Kindesheiten zusammensetzt. Man kennt familial neonatal convulsions) wurde oder Jugendalter erneut zu vereinzelheute mindestens elf verschiedene bereits 1989 ein Genort in der Chro- ten Anfällen, möglicherweise als AusUntereinheiten, von denen
Grafik 3
CHRNA4 eine der am häufigsten im Gehirn vorkommenden ist.
Pore 2
Es zeigte sich, daß dieses
+
+
Gen bei den Betroffenen aus
1
3
Zellmembran
S1
S2
S3
S4 ++
S5
S6
A
der oben erwähnten australi+
+
schen Familie mit nächtlicher
aa534
Frontallappenepilepsie mu5bp Insertion
tiert ist (24). Innerhalb
4
der zweiten Transmembran5
domäne, welche an der Bildung der Pore des eigentli∆ 308 Aminosäuren
chen Ionenkanals beteiligt
ist, fand sich ein Austausch
der Aminosäure Serin in Position 248 zu Phenylalanin
(Ser248➞Phe (Grafik 2). Das KCNQ2-Gen bildet die Untereinheit eines gehirnspezifischen spannungsabhängigen Kaliumkanals. Eingezeichnet ist die
Durch diesen Austausch Position der fünf zusätzlichen Nukleotide (aa534) in einer australischen BFNC-Familie, welche aufgrund einer Leserasterkommt es zu einem erheblich Verschiebung zum Verlust von 308 Aminosäuren führen. Weitere, bisher noch nicht funktionell charakterisierte Mutationen
veränderten elektrophysiolo- des KCNQ2-Gens in unverwandten BFNC-Familien sind markiert: 1: Insertion von zwei Nukleotiden; 2 und 3: Aminosäugischen Verhalten des Rezep- reaustausch; 4: Deletion von 13 Nukleotiden; 5: Splice-site-Variante. Das KCNQ3-Gen, welches vermutlich für die seltenen
tors. Aufgrund von beschleu- Fälle von BFNC verantwortlich ist, die mit Chromosom 8q-assoziiert sind, hat eine fast identische Struktur und ist deshalb
nigter Desensitisierung (ab- nicht gesondert abgebildet. Die Position der einzigen bisher gefundenen Veränderung in diesem Gen, welche zu dem Ausnehmende Empfindlichkeit tausch einer Aminosäure führt, ist markiert (A).
des Rezeptors gegenüber
Acetylcholin) und verlangsamter Re- mosomenregion 20q13.3 beschrieben druck einer aufgrund des Gendefekts
sensitisierung ist der Ionenfluß durch (15). Auch diese monogene Erkran- allgemein gesenkten Krampfschwelle.
den Kanal im Vergleich zum norma- kung ist genetisch heterogen; ein
Kürzlich konnte in einer australilen Rezeptor deutlich reduziert (32). zweiter Genort findet sich auf Chro- schen Familie mit BFNC eine genetiNicht geklärt ist bisher, wie dieser in- mosom 8q24 (16, 25). Allerdings hat sche Veränderung in einem bisher unitiale Defekt, vermutlich über eine letzterer nur eine untergeordnete Be- bekannten spannungsabhängigen Kanachgeschaltete Kaskade von Folge- deutung, da sich bisher nur einzelne liumkanal gefunden werden (4). Das
reaktionen, zu einer Senkung der Familien diesem Genort zuordnen für diesen neuen Kaliumkanal kodieKrampfschwelle und schließlich zum ließen. Die klinische Diagnose von rende Gen, KCNQ2 genannt, liegt
epileptischen Anfall führt und wie ein BFNC beruht auf dem dominanten in der Chromosomenregion 20q13.3
ubiquitär im Gehirn vorkommendes Erbgang, dem Ausschluß anderer Ur- und ist nur maximal 30 kb (KilobaProtein eine lokalisierte, schlafbezo- sachen für neonatale Krämpfe sowie sen) vom CHRNA4-Gen entfernt.
dem zeitlichen Muster von Anfallsbe- KCNQ2 zeigt eine nahe Sequenzvergene Erkrankung auslösen kann.
Daß auch andere Veränderungen ginn (zumeist in der ersten Lebenswo- wandtschaft mit einem anderen Kaliim CHRNA4-Gen eine nächtliche che) und spontaner Remission (späte- umkanal, KVLQT1 beziehungsweise
Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 20, 21. Mai 1999 (45) A-1349
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DIE ÜBERSICHT/FÜR SIE REFERIERT
KCNQ1 genannt, welcher auch für einen Teil der Fälle von erblichem QTSyndrom verantwortlich ist. Hierbei
handelt es sich um eine seltene erbliche Erkrankung, welche durch eine
Verlängerung der QT-Zeit im EKG
und rezidivierend auftretende Synkopen gekennzeichnet ist (13).
Bei der Mutation in der australischen BFNC-Familie handelt es sich
um den Einbau von fünf zusätzlichen
Nukleotiden. Dies führt zu einer Verschiebung des Leserasters und infolge
eines Stop-Kodons zur Verkürzung
des gebildeten Proteins um über 300
Aminosäuren (4). In anderen BFNCFamilien werden einzelne Aminosäureaustausche sowie größere Deletionen im KCNQ2-Gen beschrieben
(22). Kaliumkanäle haben vermutlich
eine wichtige Steuerungsfunktion im
zentralen Nervensystem, indem sie
von anderen Ionenkanälen erzeugte
Aktionspotentiale durch Repolarisation aufheben. Ein genetischer Defekt
in einem Kaliumkanal könnte somit
zu unkontrollierter neuronaler Aktivität führen.
Der für die BFNC-Familien, die
dem Chromosom 20 zugeordnet werden können, verantwortliche Kaliumkanal KCNQ2 findet sich nahezu ausschließlich im Gehirngewebe. Ein fast
identisches Gen, KCNQ3, verursacht
die Erkrankung in den wenigen
BFNC-Familien, welche sich der
Chromosomenregion 8q24 zuordnen
lassen (5). Insbesondere aufgrund der
Größe der beiden Gene (KCNQ2 und
KCNQ3 zeigen Transkriptgrößen bis
zu 9,5 kb im Northern-Blot) ließen
sich bisher nur in einem Teil der Familien die ursächlichen Mutationen
nachweisen.
Sind idiopathische
Epilepsien
Ionenkanalerkrankungen?
Die einzigen bisher identifizierten Gene für idiopathische Epilepsien, CHRNA4 und KCNQ2/KCNQ3,
kodieren für Ionenkanäle. Dies legt
die Frage nahe, ob es sich hierbei um
ein grundlegendes Prinzip handeln
könnte. Wenn man andere Ionenkanalerkrankungen zum Vergleich heranzieht, wie die hyper- oder hypokalämischen Paralysen (Natriumund Kalziumkanäle) oder die kongenitale Myotonie vom Typ Thomsen
(Chloridkanäle) (20), so läßt sich eine
Gemeinsamkeit feststellen. Trotz ihrer sonstigen Unterschiedlichkeit
weisen alle diese Erkrankungen einen episodischen beziehungsweise
paroxysmalen Charakter auf, wobei
längere Phasen der Unauffälligkeit
durch mehr oder weniger plötzlich
Einfluß des Abstands zwischen Schwangerschaften auf das perinatale Ergebnis
Um ein zweites gesundes Kind zu
bekommen, ist offenbar ein Abstand
von 18 bis 23 Monaten zwischen den
Schwangerschaften optimal. Dies ist
das Ergebnis einer Studie, bei der die
Geburtsurkunden von 173 205 Kindern im Hinblick auf Frühgeburt
(weniger als 37 Schwangerschaftswochen), niedriges Geburtsgewicht
(leichter als 2 500 Gramm) oder intrauterine Mangelentwicklung (unterhalb der zehnten Perzentile im
Hinblick auf Größe und Gewicht für
das entsprechende Gestationsalter)
überprüft worden waren. Einbezogen
wurden lebend geborene Einlinge in
Utah in der Zeit von 1989 bis 1996,
deren Mütter vorher bereits ein le-
bendes Kind geboren hatten. Kinder,
die im Abstand von 18 bis 23 Monaten nach einer vorausgegangenen Lebendgeburt gezeugt worden waren,
erzielten dabei die günstigsten Ergebnisse. Sowohl bei den Neugeborenen,
die weniger als sechs Monate nach einer Lebendgeburt gezeugt wurden als
auch bei denjenigen, bei denen der
Abstand größer als 120 Monate war,
erhöhte sich das Risiko für Frühgeburten, niedriges Geburtsgewicht
oder intrauterine Mangelentwicklung. Der Zusammenhang zwischen
Schwangerschaftsabstand und perinatalem Ergebnis blieb auch dann bestehen, nachdem die Daten auf Einflußfaktoren wie Alter der Mutter,
A-1350 (46) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 20, 21. Mai 1999
auftretende Krankheitsschübe unterbrochen werden. Angesichts dieses
auch für Epilepsien charakteristischen Erkrankungsverlaufs könnte es
möglicherweise kein Zufall sein, daß
BFNC und ADNFLE ebenfalls durch
Mutationen von Ionenkanälen entstehen.
Seit Einreichung des vorliegenden Manuskripts ist für eine dritte
idiopathische Epilepsie, welche als
„generalisierte Epilepsie mit febrilen
Anfällen plus“ bezeichnet wurde, eine
Mutation in einer β-Untereinheit des
spannungsabhängigen Natriumkanals
nachgewiesen worden (Nature Genetics 1998; 19: 366–370).
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1999; 96: A-1346–1350
[Heft 20]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf
das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über die Internetseiten (unter http://www.aerzteblatt.de)
erhältlich ist.
Anschrift der Verfasserin
Priv.-Doz. Dr. med. Ortrud Steinlein
Institut für Humangenetik
Rheinische Friedrich-WilhelmsUniversität Bonn
Wilhelmstraße 31
53111 Bonn
Zahl der vorausgegangenen Geburten, Fehlgeburten, Schwangerschaftsabbrüche, Schwangerschaftsvorsorge, Bildung der Mutter, Alkohol oder
Zigarettenrauchen während der
Schwangerschaft ausgeglichen worden waren. Die Autoren apellieren an
Gesundheitsämter und Gynäkologen,
Mütter über den Einfluß der Länge
des Schwangerschaftsabstands auf die
Gesundheit ihres nächsten Kindes
aufzuklären und insbesondere Frauen
mit anderen Risikofaktoren auf den
optimalen Abstand hinzuweisen. silk
Zhu B-P, Rolfs RT et al.: Effect of the interval between pregnancies on perinatal
outcomes. N Engl J Med 1999; 340:
589–594.
Dr. Bao-Ping Zhu, Division of Epidemiology Services, Michigan Department
of Community Health, 3423 Martin Luther King Jr Blvd, Lansing, MI 48909,
USA.
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