2 Hochfrequenzforschung Niederfrequenzwirkung auf Nervenzellen 900 MHz verändern Proteine in der menschlichen Haut Neuronale Stammzellen differenzieren stärker durch niederfrequente Felder Um zu untersuchen, ob Mobilfunkstrahlung nicht nur in Zellkulturen, sondern auch in der Haut des lebenden Menschen die Proteinbildung verändert, wurden Freiwillige mit 900 MHz bestrahlt. Tatsächlich konnten deutliche Unterschiede festgestellt werden, zwei Proteine waren sogar bei allen Probanden signifikant verändert. Nur zwei Arbeitsgruppen weltweit (Finnland und China) haben sich der Proteomik-Methoden bedient, um die Einwirkung von elektromagnetischen Feldern auf Proteine zu untersuchen. Bisher wurde in verschiedenen Zellkulturen festgestellt, dass die Bildung von Proteinen in HF-bestrahlten Zellen anders verläuft als in den unbestrahlten Kontrollen. Da von Zellkulturen nicht unbedingt auf lebende Organismen geschlossen werden kann, sollte nun am lebenden Objekt geforscht werden. Da physiologische Prozesse des menschlichen Körpers mit elektrischen Strömen in Zellen und Geweben geregelt und abgewickelt werden, überrascht es nicht, dass genügend große Feldstärken in physiologische Prozesse eingreifen. Ob Mobilfunkstrahlung dies auch tut, ist umstritten. Die meisten Arbeiten konzentrierten sich auf Krebs, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und allergieähnliche Symptome. Die Methoden der Proteomik sind gut geeignet, um die molekularen Angriffspunkte der Hochfrequenzstrahlung zu charakterisieren und später die Mechanismen dahinter zu verstehen. Bei zehn freiwilligen Frauen im Alter zwischen 27 und 65 Jahren wurde je ein kleiner Bereich auf der Haut des rechten Unterarms eine Stunde lang mit 1,3 W/kg (also weniger als 2,0 W/kg, der ICNIRP-Empfehlung als Grenzwert) bei 900 MHz bestrahlt. Sofort nach Ende der Bestrahlung wurde das Gewebe entnommen und bis zur Analyse bei -80 °C eingefroren. Als unbestrahlte Kontrolle diente eine gleiche Hautprobe des linken Unterarms. So war jede Person ihre eigene Kontrolle. Die Proteinbestimmung wurde im Blindverfahren durchgeführt. Nach der Proteinextraktion aus dem Gewebe wurden die Proteine elektrophoretisch aufgetrennt und die Proben mit den Kontrollen verglichen. Unter diesen Testbedingungen (pH 4– 7) fand man 8 Proteine von insgesamt 579, die nach der Bestrahlung signifikante Abweichungen hatten. Zwei davon waren bei jeder der 10 Freiwilligen Frauen entdeckt worden. Dies hier ist die erste Studie weltweit, die am lebenden Menschen untersucht hat, welche Strukturen auf molekularer Ebene durch elektromagnetische Felder verändert werden. Die Ergebnisse zeigen, dass Mobilfunkstrahlung Veränderungen in der Proteinbildung der menschlichen Haut hervorrufen. Es ist aber noch nicht bekannt, was das physiologisch für die Haut bedeutet. Deshalb sollte zur Bestätigung der Befunde weitere Forschung mit einer größeren Personenzahl erfolgen. Als zusätzliche Informationen haben die Experimente ergeben, dass das Proteomik-Screening brauchbare Methoden bereitstellt, mit denen die molekularen Angriffspunkte der Mobilfunkstrahlung untersucht werden können. Ohne Proteomik können die entsprechenden Proteine nicht identifiziert werden, die auf die HF-Strahlung der Mobilfunktechnik reagieren. Quelle: Karinen A, Heinävaara S, Nylung R, Leszczynski D (2008): Mobile phone radiation might alter protein expression in human skin. BMC Genomics 9, 77; www.biomedcentral.com/1471-2164/9/77 Elektrosmog-Report 14 (5) – Mai 2008 In Experimenten mit Zellkulturen von Nervenzellen neugeborener Mäuse (Neuronalen Stammzellen = NSCs) wurde gezeigt, dass niederfrequente elektromagnetische Felder von 50 Hz die biophysikalischen Eigenschaften der Zellmembranen verändern können. Betroffen ist z. B. die Permeabilität für Calcium-Ionen, so dass sich die Regulationsverhältnisse in den Zellen verändern. Die neuronalen Stammzellen wurden durch die NF-Exposition während der Differenzierung gefördert. Frühere Experimente hatten gezeigt, dass elektromagnetische Felder verstärkten Calciumeinstrom in die Zelle auslösen. Dies geschieht durch spannungsabhängige Kanäle (s. S. 4), und dadurch wird die Differenzierung von neuronalen Vorläuferzellen gefördert. Durch EMF wird die Differenzierung von Zellen signifikant gesteigert, und zwar durch Hochregulation der Gene, die für die Calciumkanäle zuständig sind. Man geht allgemein davon aus, dass elektromagnetische Felder die elektrischen Eigenschaften der Zellmembranen verändern, indem die Ionenkanal-Aktivität gesteigert wird. Die neuen Experimente wurden durchgeführt, um zu untersuchen, ob niederfrequente Felder den Prozess auch bei in der Differenzierung befindlichen NSCs verändern, und ob diese Veränderungen mit der Calciumkonzentration assoziiert sind. Neuronale Stammzellen aus der Hirnrinde von neugeborenen Mäusen wurden bis zu 12 Tage mit 50-Hz-Feldern von 1mT behandelt und anschließend mit verschiedenen Methoden untersucht. Fokussiert wurde auf den Calciumeinstrom durch die Plasmamembran bzw. dessen pharmakologische Hemmung. Die Experimente erfolgten mindestens als Dreifachansätze und die Auswertung unter Doppelblindbedingungen. Man wollte nun wissen, ob Cav1-Kanäle bei der Feldbehandlung angesprochen werden. Cav1-Kanäle sind sehr spezifische Regulatoren der Genexpression (durch ihre Lokalisation in der Zelle können Cav-Kanäle Signalketten zum Zellkern aktivieren), des Überlebens und der Differenzierung von Neuronen. Man weiß, sie spielen eine Schlüsselrolle bei der in-vitroDifferenzierung von neuronalen Vorläufern der Stammzellen. Die in diesen Experimenten erhaltenen Daten zeigen, dass der Prozentsatz von undifferenzierten NSCs, die sich in Richtung Neuronen differenzieren, durch 50-Hz-Felder signifikant gesteigert wird. Diese Wirkung geht einher mit gesteigerter Aktivität der Cav1-Kanäle, was durch entsprechende Tests bewiesen wurde. Nämlich, dass chemische Blockierung dieser Kanäle die neuronale Differenzierung von NSCs signifikant hemmt. Die Ergebnisse aus diesen Experimenten könnten Anwendung finden in der Medizin. Die Kombination von elektromagnetischen Feldern mit Medikamenten könnte genutzt werden, um die Reparaturmechanismen bei Verletzungen des Nervengewebes oder bei degenerativen Nervenerkrankungen zu steigern, oder auch zur Förderung der Differenzierung bei der Zellzüchtung für Transplantate. Quelle: Piacentini R, Ripoli C, Mezzogori D, Azzena GB, Grassi C (2008): Extremely Low-frequency Electromagnetic Fields Promote In Vitro Neurogenesis Via Upregulation of Cav1-Channel Activity. Journal of Cellular Physiology 215, 129–139