6 Kohlenhydratzufuhr und Prävention der Hypertonie

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Kapitel 6: Kohlenhydratzufuhr und Prävention der Hypertonie
6
Kohlenhydratzufuhr und Prävention der Hypertonie
H. Boeing
6.1
Einleitung
Das Risiko für das Auftreten einer Hypertonie (Bluthochdruck) steigt mit fortschreitendem
Alter stark an. Sie ist dadurch definiert, dass der Blutdruck auch im Ruhezustand bestimmte
Schwellenwerte übersteigt. Nach den Leitlinien der Deutschen Hochdruckliga e. V. und
Deutschen Hypertonie Gesellschaft (2008) zur Behandlung der arteriellen Hypertonie wird
die Hypertonie als Grad 1 (leichte Hypertonie) bezeichnet, wenn der systolische Blutdruck
zwischen 140-159 mm Quecksilbersäule (mm Hg) oder der diastolische Blutdruck zwischen
90-99 mm Hg liegt. Von Grad 2 spricht man bei Werten zwischen 160-179 bzw. 100109 mm Hg und von Grad 3 bei einem systolischen Blutdruck ≥ 180 mm Hg bzw. einem
diastolischen Blutdruck ≥ 110 mm Hg. Zusätzlich gibt es noch eine systolische Hypertonie,
die durch einen hohen systolischen Blutdruck (≥ 140 mm Hg) und einen niedrigen diastolischen Blutdruck (≤ 90 mm Hg) gekennzeichnet ist.
Während der systolische zu diastolische Blutdruck in Deutschland nach dem Gesundheitssurvey von 1998 in der Altersgruppe der 18- bis 19-Jährigen im Mittel 125 zu 72 mm Hg
(Männer) und 117 zu 71 mm Hg (Frauen) betrug, lagen die Durchschnittswerte bei 70- bis
79-Jährigen bei 153 zu 83 (Männer) und 155 zu 83 (Frauen) (Thamm 1999). Nur 50 % der
Männer und 58 % der Frauen über 18 Jahre hatten normotone Blutdruckwerte. Über 17 %
der Bevölkerung nahmen blutdrucksenkende Medikamente ein. Damit gehört die Hypertonie
zu den weit verbreiteten chronischen Krankheiten, die einen wesentlichen Anteil an den
Krankheitskosten haben. Die Krankheit Bluthochdruck gilt als ein bedeutsamer Risikofaktor
für Herz-Kreislauf-Krankheiten.
Etwa 5 % bis 15 % der Hypertoniefälle sind auf renale und hormonelle Störungen zurückzuführen und damit Folge einer bestehenden Erkrankung (sekundäre Hypertonie) (Chiong et
al. 2008). Die überwiegende Zahl der Hypertoniefälle ist primär und als arterielle Hypertonie
diagnostiziert und Folge individueller Risikokonstellationen. Die vorliegende Leitlinie zielt auf
die Prävention der primären Hypertonie. Jedoch ist in vielen Studien der Blutdruck allgemein
untersucht worden, sodass eine Unterscheidung der Aussagen in der Leitlinie zur primären
und sekundären Hypertonie nicht möglich ist. Studien, die spezifisch zur sekundären Hypertonie durchgeführt wurden, wurden für die Leitlinie nicht herangezogen.
107
Kapitel 6: Kohlenhydratzufuhr und Prävention der Hypertonie
6.2
Personen mit einem erhöhten Risiko für eine Hypertonie
Zu den lebensstilassoziierten Risikofaktoren einer Hypertonie zählen Stress, Übergewicht,
mangelnde körperliche Aktivität, Rauchen, Alkoholkonsum und Ernährung (Thamm 1999). Im
Bereich der Ernährung wurde die Hypertonie insbesondere mit der Zufuhr bestimmter
Mineralstoffe in Verbindung gebracht. Sehr intensiv wurde dabei die Rolle des Natriums
(resp. des Kochsalzes) als wesentlicher nutritiver Risikofaktor untersucht und zum Teil
kontrovers diskutiert (Bock 2009). Nach heutiger Ansicht ist bei Personen, die als kochsalzsensitiv einzuschätzen sind, die Zufuhr von Natrium bzw. Kochsalz positiv mit dem Hypertonierisiko assoziiert (Dumler 2009). Ein Gegenspieler des Natriums ist das Kalium, das über
pflanzliche Lebensmittel wie Obst und Gemüse zugeführt wird. Die Zufuhr von Obst und
Gemüse ist ein Ernährungsfaktor, der mit überzeugender Evidenz mit der Absenkung eines
hohen Blutdrucks einhergeht (Boeing et al. 2007). Ebenso wird eine risikosenkende Wirkung
von Magnesium und Calcium diskutiert (Houston und Harper 2008). Weiterhin wird diskutiert,
in wie weit die individuelle genetische Ausstattung bei der Entwicklung einer Hypertonie eine
Rolle spielt. Die Untersuchungen dazu werden dadurch erschwert, dass dem Krankheitsbild
der Hypertonie verschiedene Mechanismen zugrunde liegen können. Daher konnte
einzelnen Genvarianten bisher nur ein geringes Risikopotenzial zugeschrieben werden
(O'Shaughnessy 2001).
6.3
Bedeutung der Kohlenhydratzufuhr für das Hypertonierisiko
6.3.1
Wirkungsmechanismen mit potenzieller Relevanz für das Hypertonierisiko
Die Hypertonie oder die Behandlung einer Hypertonie ist Bestandteil der klinischen Diagnose
eines Metabolischen Syndroms, zu der auch die abdominale Adipositas, erhöhte Triglyceridund Glucosekonzentrationen sowie niedrige High-Density-Lipoprotein (HDL)-Konzentrationen im Blut gehören (Alberti et al. 2009). Das Vorliegen eines Metabolischen Syndroms ist
wiederum ein Risikofaktor für Diabetes mellitus Typ 2 und Herz-Kreislauf-Krankheiten
(Cameron 2010). Derzeit ist unklar, ob eine Hypertonie auch direkt zu einer schwerwiegenden Störung des Glucosestoffwechsels wie Diabetes mellitus Typ 2 über eine Verschiebung
metabolischer Stellgrößen führen kann, oder ob beide Krankheiten unterschiedliche Folgen
einer ungünstigen Konstellation gemeinsamer Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht und
mangelnde körperliche Bewegung sind. Die enge Verbindung beider Krankheiten in Bezug
auf die Risikofaktoren deutet daraufhin, dass ähnliche nutritive Faktoren als Risikofaktoren
bei Hypertonie und Diabetes mellitus Typ 2 zu beobachten sind. Daher ist es schwierig, bei
den beobachteten Assoziationen von kausalen Einflussnahmen der nutritiven Faktoren auf
das Erkrankungsrisiko auszugehen. Damit gewinnen biologische Begründungen zur Ursache
der Hypertonie und mittels experimenteller Studien abgesicherte Einflussfaktoren bei der
Interpretation der beobachteten Assoziationen an Bedeutung. Aus heutiger Sicht ist die
Mineralstoffversorgung wie zum Beispiel mit Magnesium, Calcium, Kalium und Natrium von
108
Kapitel 6: Kohlenhydratzufuhr und Prävention der Hypertonie
kausaler Bedeutung für das Hypertonierisiko (Reddy und Katan 2004). Eine gesteigerte
Mineralstoffzufuhr erfolgt durch eine überwiegend pflanzliche und damit gleichzeitig kohlenhydratreiche Ernährung.
Besondere Bedeutung bei der Evidenzbewertung haben aufgrund ihres Designs die Interventionsstudien. Interventionsstudien mit einer Änderung der Kohlenhydratzufuhr und dem
Endpunkt Blutdruck werden bevorzugt mit Personen durchgeführt, die bereits an einem
erhöhten Blutdruck leiden. Daher ist nicht immer zu unterscheiden, ob es sich bei diesen
Studien noch um eine Primärprävention handelt oder die Untersuchung als Studie zur
Sekundärprävention zu bewerten ist. In diesem Kapitel wurde auf eine Unterscheidung in
Primär- und Sekundärprävention aufgrund der hohen Prävalenz eines erhöhten Blutdrucks in
der Normalbevölkerung verzichtet. Bei dieser Entscheidung wurde auch bedacht, dass bei
Normotonikern eine zusätzliche Senkung des Blutdrucks mittels nutritiver Maßnahmen
schwieriger zu erreichen ist als bei Personen mit erhöhtem Blutdruck und vermutlich sowohl
eine große Probandenzahl als auch der Einsatz sehr gezielter Maßnahmen benötigt würde.
6.3.1.1
Kohlenhydratanteil
In den Auswertungen der Kohortenstudien war die Kohlenhydratzufuhr (als relativer Anteil an
der Energiezufuhr) nicht mit dem Blutdruck assoziiert (Alonso et al. 2006, Ludwig et al. 1999,
Stamler et al. 2002, Stamler et al. 1997; alle EK IIb). In einer Interventionsstudie mit 662
Mädchen und Jungen und dem Ziel über 3 Jahre durch eine gezielte Ernährungsumstellung
das Lipoproteinmuster zu verändern, gab es keine mit der Veränderung der Kohlenhydratzufuhr assoziierte Änderung des Blutdrucks (Simons-Morton et al. 1997, EK Ib). Eine MetaAnalyse hat die Ergebnisse von 10 Interventionsstudien zusammengefasst, in denen im
cross over-Design von 3 bis 14 Wochen isoenergetisch die Zufuhr von Kohlenhydraten auf
Kosten von einfach ungesättigten Fetten erhöht wurde (Shah et al. 2007, EK Ia). Das
Ergebnis der Meta-Analyse war, dass die im Austausch gegen einfach ungesättigte Fettsäuren erhöhte Zufuhr der Kohlenhydrate den Blutdruck erhöhte (systolischer Blutdruck
p = 0,02; diastolischer Blutdruck, p = 0,05). Jedoch gab es hinsichtlich dieses Ergebnisses
eine große Heterogenität zwischen den Studien, die die Autoren auf die unterschiedlichen
Kohlenhydratfraktionen, mit denen interveniert wurde, zurückführten.
Es besteht mit möglicher Evidenz keine Beziehung zwischen dem Anteil der Kohlenhydrate
in der Ernährung und einem erhöhten Blutdruck. Trotz der Übereinstimmung der Ergebnisse
der Kohortenstudien und der Interventionsstudie bei Kindern hinsichtlich einer Nichtbeziehung ist die Meta-Analyse der Interventionsstudien bei Erwachsenen und der Austausch von
Fett gegen Kohlenhydrate mit einer Risikoerhöhung der Grund, die Nichtbeziehungen vorsichtig zu bewerten. Weiterhin gibt es die mögliche Evidenz, dass der Austausch von einfach ungesättigten Fetten durch Kohlenhydrate kurzfristig zu einem Blutdruckanstieg führt.
109
Kapitel 6: Kohlenhydratzufuhr und Prävention der Hypertonie
6.3.1.2
Mono- und Disaccharide
Eine Auswertung der Nurses‘ Health Study I, der Nurses‘ Health Study II und der Health
Professionals follow up Study ergab keinen Hinweis darauf, dass die Zufuhr von Fructose mit
der Entwicklung einer Hypertonie zusammenhängt (Forman et al. 2009, EK IIb). In der
MRFIT-Studie war die Zufuhr von Saccharose nicht mit dem Blutdruck assoziiert (Stamler et
al. 1997, EK IIb). Während einer 10-wöchigen Intervention mit entweder Saccharose oder
künstlichen Süßungsmitteln bei 41 Erwachsenen (n = 21 in der Saccharosegruppe, n = 20 in
der Gruppe mit künstlichen Süßungsmitteln) und gleich bleibender Zufuhr anderer Kohlenhydrate war eine Steigerung der Saccharosezufuhr (von 11 auf 27 EN %) mit einem Anstieg
des Blutdrucks und des Gewichts verbunden (systolischer Blutdruck: 3,8 mm Hg; diastolischer Blutdruck: 4,1 mm Hg). Bei der Zufuhr von mit synthetischem Süßstoff gesüßten
Lebensmitteln traten sowohl ein Gewichtsverlust als auch eine Senkung des Blutdrucks ein
(Raben et al. 2002, EK Ib). Die nachfolgende multivariate Analyse ergab den Hinweis, dass
der Anstieg des Blutdrucks nicht nur eine Folge der Gewichtsveränderung war, sondern auch
direkt mit der Zufuhr von Saccharose zusammenhing. Die Auswertung der Framingham
Heart Study ergab keinen Hinweis darauf, dass zuckergesüßte Getränke den Blutdruck
beeinflussen (Dhingra et al. 2007, EK IIb).
Es besteht mit möglicher Evidenz keine Beziehung zwischen der langfristigen Zufuhr von
Fructose oder Saccharose und einem erhöhten Blutdruck. Weiterhin gibt es mit möglicher
Evidenz keine Beziehung zwischen der Zufuhr zuckergesüßter Getränke und dem Risiko
einer Hypertonie. Diese Bewertung beruht nur auf einer Kohortenstudie, wird jedoch durch
die Bewertung der Einzelkomponenten gesüßter Getränke wie Fructose und Saccharose
gedeckt.
6.3.1.3
Polysaccharide
In der MRFIT-Studie konnte ein positiver Zusammenhang zwischen der Zufuhr von Stärke
und der Höhe des Blutdrucks über 6 Jahre beobachtet werden (systolischer Blutdruck
p < 0,001; diastolischer Blutdruck p < 0,001) (Stamler et al. 1997, EK IIb). Andererseits
konnten Kohortenstudien keine Beziehung zwischen dem Verzehr von Getreideprodukten
aus Mehl mit niedrigem Ausmahlungsgrad und der Höhe des Blutdrucks beobachten (Steffen
et al. 2005, Wang et al. 2007; jeweils EK IIb) bis auf die Studie von Sahyoun et al. (2006,
EK IIb) mit 535 Teilnehmern, in der eine direkte positive Beziehung zwischen der Zufuhr von
Getreideprodukten aus Mehl mit niedrigem Ausmahlungsgrad und der Höhe des systolischen
Blutdrucks gefunden wurde (p = 0,05).
Die Datenlage zur Zufuhr von Polysacchariden bzw. Getreideprodukten aus Mehl mit
niedrigem Ausmahlungsgrad und der Höhe des Blutdrucks umfasst nur wenige Studien und
ist uneinheitlich; damit ist der Härtegrad der Evidenz unzureichend.
110
Kapitel 6: Kohlenhydratzufuhr und Prävention der Hypertonie
6.3.1.4
Ballaststoffe
In einigen Kohortenstudien wurde der Zusammenhang zwischen der Ballaststoffzufuhr und
der Entwicklung des Blutdrucks bzw. des Hypertonierisikos untersucht. In der Regel konnten
inverse Zusammenhänge zwischen der Ballaststoffzufuhr und dem Blutdruck beobachtet
werden (Alonso et al. 2006, Ascherio et al. 1996, Ascherio et al. 1992, Ludwig et al. 1999,
Stamler et al. 1992, Witteman et al. 1989; alle EK IIb). Zum Teil verschwanden diese Zusammenhänge, wenn statt der Entwicklung des Blutdrucks die klinische Diagnose einer Hypertonie in den Studien untersucht wurde. In diesen Studien spielten die Ballaststoffquellen nur
eine untergeordnete Rolle (Alonso et al. 2006, Ascherio et al. 1996, Ascherio et al. 1992, alle
EK IIb). In der CARDIA-Studie von Ludwig et al. (1999, EK IIb) zeigten sich inverse
Assoziationen nur bei weißen Studienteilnehmern (systolischer Blutdruck p = 0,01; diastolischer Blutdruck p < 0,001), nicht bei schwarzen. In einer dänischen Interventionsstudie mit
18 Männern führte eine Erhöhung der Ballaststoffzufuhr bei gleichzeitiger Absenkung der
Fettzufuhr über 8 Monate zu einer Absenkung des systolischen Blutdrucks (von 123 auf
119 mm Hg, p = 0,002), nicht aber des diastolischen Blutdrucks (Sandström et al. 1992,
EK Ib). Ein damit übereinstimmendes Ergebnis ergab eine amerikanische Interventionsstudie
mit 74 übergewichtigen Erwachsenen über 16 Wochen. Hier wurde mittels Lupinenkernmehl
der Ballaststoff- und Proteingehalt in der Nahrung erhöht (systolischer Blutdruck p = 0,03)
(Lee et al. 2009, EK Ib).
Zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie die Studien, in denen Ballaststoffe der Expositionsfaktor waren, kamen auch die Studien, die Vollkornprodukte untersucht haben. Bis auf eine
kleine Kohortenstudie mit 535 Teilnehmern (Sahyoun et al. 2006, EK IIb) konnte in den übrigen Studien bei steigendem Verzehr von Vollkornprodukten ein verringertes Risiko an
Hypertonie zu erkranken festgestellt werden (Flint et al. 2009, Steffen et al. 2005, Wang et
al. 2007, jeweils EK IIb). Die Auswertung einer Interventionsstudie mit 6- bis 11-jährigen
Kindern ergab eine inverse Beziehung zwischen der Zufuhr von Ballaststoffen und der Höhe
des Blutdrucks (Simons-Morton et al. 1997, EK Ib). Zwei Meta-Analysen aus den Jahren
2004 und 2005 haben die Wirkungen der Ballaststoffzufuhr in randomisierten Interventionsstudien, darunter auch viele Studien mit Personen mit unterschiedlichen Blutdruckwerten,
zusammengefasst (Streppel et al. 2005, Whelton et al. 2005; jeweils EK Ia). In beiden MetaAnalysen, deren Datenbasis größtenteils überlappte, senkte bei Personen mit erhöhtem
Blutdruck eine durchschnittliche Mehrzufuhr von 11 g Ballaststoffen/Tag den systolischen
wie auch den diastolischen Blutdruck. Bei normotensiven Personen gab es einen anderen
Befund. Während bei diesen Personen in der Meta-Analyse von Streppel et al. ein Absinken
des diastolischen Blutdrucks beobachtet wurde, war in der Meta-Analyse von Whelton et al.
diese Beziehung auch zu sehen, aber nicht mehr signifikant. In einer Interventionsstudie mit
36 Männern mittleren Alters, die zusätzlich 14 g Ballaststoffe/Tag entweder in Form von
Hafer oder Weizen über 12 Wochen erhielten, zeigten sich keine Veränderungen im Blutdruck (Davy et al. 2002, EK Ib).
111
Kapitel 6: Kohlenhydratzufuhr und Prävention der Hypertonie
Aufgrund der Ergebnisse der vorliegenden Studien ist die Evidenz dafür wahrscheinlich,
dass in einer Bevölkerung mit unterschiedlichen Blutdruckwerten ein erhöhter Ballaststoffverzehr das Risiko für eine Hypertonie absenkt. Dies gilt auch für die Lebensmittelgruppe der
Vollkornprodukte.
6.3.1.5
Glykämischer Index (GI) und glykämische Last (GL)
Ähnlich wie der Kohlenhydratanteil war auch die GL nicht mit dem Hypertonierisiko in einer
spanischen Kohortenstudie assoziiert (Alonso et al. 2006, EK IIb). Eine Interventionsstudie
mit 38 Personen konnte nachweisen, dass eine Ernährung mit einem niedrigen GI nach
6 Monaten zu einer Abnahme des 24-h systolischen Blutdrucks führte (Phillippou et al. 2009,
EK Ib). Die Intervention mit einer Ernährung mit einem hohen GI blieb dagegen ohne Auswirkungen auf den Blutdruck (Phillippou et al. 2009, EK Ib).
Es liegen nicht genügend Daten vor, um die Beziehung zwischen einer Ernährung mit unterschiedlich hohem GI bzw. GL und dem Blutdruck bewerten zu können, sodass die Evidenz
als unzureichend bewertet wird.
6.4
Bewertung der Evidenz zur Kohlenhydratzufuhr und Prävention von Hypertonie
Die Datenlage zur Bewertung der Beziehung zwischen Kohlenhydratzufuhr und
Hypertonierisiko ist im Vergleich zu anderen Krankheiten, die in der Leitlinie betrachtet
werden, durch eine geringe Zahl von Studien, die zur Evidenzbewertung herangezogen
werden konnten, gekennzeichnet. Trotzdem ergeben die Studien ein klares Bild für die
Beziehung zwischen dem Verzehr von Ballaststoffen bzw. Vollkornprodukten und dem
Hypertonierisiko. Sowohl eine hohe Zufuhr von Ballaststoffen als auch von Vollkornprodukten ist mit einem gesenkten Risiko für eine Hypertonie verbunden (wahrscheinliche
Evidenz). In wie weit sich diese Beobachtung auf den GI ausdehnen lässt, bleibt aufgrund
mangelnder Daten undeutlich. Hinsichtlich der Kohlenhydratzufuhr einschließlich der Mono-,
Di- und leicht verdaulichen Polysaccharide zeigen Kohortenstudien zum überwiegendem Teil
keine Risikobeziehungen, während teilweise in den kurzfristig angelegten Interventionsstudien (und auch 2 Kohortenstudien) eine Erhöhung des Kohlenhydratanteils (teils
auf Kosten von Fett) zu einem Blutdruckanstieg führte. Dieser Hinweis auf eine Risikoerhöhung konnte aufgrund der Mehrheit der Studien ohne Risikobeziehungen nur bedingt in
den Evidenzbewertungen berücksichtigt werden.
Zusammenfassend ergibt sich bei Hypertonie folgende Evidenz:
Es besteht mit möglicher Evidenz keine Beziehung zwischen dem Anteil der Kohlenhydrate
in der Ernährung und einem erhöhten Blutdruck. Trotz der Übereinstimmung der Ergebnisse
der Kohortenstudien und der Interventionsstudie bei Kindern hinsichtlich einer Nichtbeziehung ist die Meta-Analyse der Interventionsstudien bei Erwachsenen und der Austausch von
112
Kapitel 6: Kohlenhydratzufuhr und Prävention der Hypertonie
Fett gegen Kohlenhydrate mit einer Risikoerhöhung der Grund, die Nichtbeziehungen
vorsichtig zu bewerten. Weiterhin gibt es die mögliche Evidenz, dass der Austausch von
einfach ungesättigten Fetten durch Kohlenhydrate kurzfristig zu einem Blutdruckanstieg
führt.
Es besteht mit möglicher Evidenz keine Beziehung zwischen der langfristigen Zufuhr von
Fructose oder Saccharose und einem erhöhten Blutdruck. Weiterhin gibt es mit möglicher
Evidenz keine Beziehung zwischen der Zufuhr zuckergesüßter Getränke und dem Risiko
einer Hypertonie. Diese Bewertung beruht nur auf einer Kohortenstudie, wird jedoch durch
die Bewertung der Einzelkomponenten gesüßter Getränke wie Fructose und Saccharose
gedeckt. Die Datenlage zur Zufuhr von Polysacchariden bzw. Getreideprodukten aus Mehl
mit niedrigem Ausmahlungsgrad und der Höhe des Blutdrucks umfasst nur wenige Studien
und ist uneinheitlich; damit ist der Härtegrad der Evidenz unzureichend.
Aufgrund der Ergebnisse der vorliegenden Studien ist die Evidenz dafür wahrscheinlich,
dass in einer Bevölkerung mit unterschiedlichen Blutdruckwerten ein erhöhter Ballaststoffverzehr das Risiko für eine Hypertonie absenkt. Dies gilt auch für die Lebensmittelgruppe der
Vollkornprodukte.
Es liegen nicht genügend Daten vor, um die Beziehung zwischen einer Ernährung mit unterschiedlich hohem GI bzw. GL und dem Blutdruck bewerten zu können, sodass die Evidenz
als unzureichend bewertet wird.
6.5
Forschungsbedarf
Aufgrund der weiten Verbreitung der Hypertonie in der Bevölkerung sollten mehr Auswertungen in bestehenden Kohortenstudien mit diesem Krankheitsbild als Endpunkt durchgeführt
werden. Wie aus der Darstellung der Evidenz hervorgeht, bleibt es weiterhin offen, ob die
Zufuhr von Mono- und Disacchariden – wie bisher in den meisten Kohorten zu beobachten
war – den Blutdruck nicht erhöht. Daher sollte diese Frage in kontrollierten Interventionsstudien weiter geklärt werden und auch weitere Kohortenstudien dazu ausgewertet werden.
Wichtig wird es sein, die Mechanismen der Wirkung der Ballaststoffe und Vollkornprodukte
auf die Blutdruckregulation besser beschreiben zu können. Derzeit ist unklar, ob die beobachteten Effekte einer ballaststoffreichen Ernährung auf ein verändertes Körpergewicht und
die Verteilung des Körperfetts (viszerales und subkutanes Fett) zurückgehen, oder ob sie
einem veränderten Insulin-/Glucosestoffwechsel zuzuschreiben sind.
113
Kapitel 6: Kohlenhydratzufuhr und Prävention der Hypertonie
6.6
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