Diabetes mellitus und Depression - eine

Werbung
Prof. Dr. med. V. Köllner
Fachklinik für Psychosomatische Medizin &
Medizinische Fakultät der Universität des Saarlandes
Mediclin Bliestal Kliniken,
66440 Blieskastel, [email protected]
Fachkliniken für Innere Medizin (Schwerpunkt Kardiologie & Stoffwechsel),
Orthopädie und Rheumatologie sowie Psychosomatische Medizin
 Enge Kooperation mit der Uniklinik Homburg in Forschung, Lehre &
Krankenversorgung
 In der Psychosomatik ca. 1.500 vollstationäre Reha-Maßnahmen/Jahr, Schwerpunkte: chronischer Schmerz (u. a. Fibromyalgie) arbeitsplatzbezogene Störungen,
Depression, Angst/Trauma und Verarbeitung chronischer körperlicher
Erkrankungen, Tagesklinik, Klinikambulanz
 In Kooperation mit der Inneren Medizin: Psychokardiologie, Adipositas


Adherence = Compliance?

Strategien, um Patienten zur
Verhaltensänderung zu motivieren
- Stages of Change
- Motivierende Gesprächsführung

Psychische Komorbidität als Ursache für
Non-Adherence:
Die Bedeutung der Depression

Therapie & Prävention
Drugs don‘t work in patients
who don‘t take them.
C.E. Koop
COMPLIANCE



Therapietreue
Patient befolgt konsequent die ärztlichen
Ratschläge und
Patient passt sich an die
Notwendigkeiten von
Krankheit und Therapie
an
ADHERENCE




informed consent
Patient arbeitet aufgrund
eigener Überzeugung aktiv
mit
Basis: Gemeinsam
vereinbarter Therapieplan
Berücksichtigung der
individuellen Bedürfnisse
und Barrieren des
Patienten







mit dem Patienten Konsens finden, daß ein Probelm
existiert und eine Entscheidung nötig ist
Klären, ob Patient in Entscheidungsprozeß
eingebunden werden will
Ideen, Ängste und Erwartungen explorieren
unterschiedliche Behandlungsoptionen darstellen
Vor- und Nachteile gemeinsam nach individuellen
Patientenbedürfnissen abwägen
Prozess des Informationsverständnisses prüfen
Patient Gelegenheit zur Überprüfung der eigenen
Entscheidung geben







mit dem Patienten Konsens finden, daß ein Probelm
existiert und eine Entscheidung nötig ist
Klären, ob Patient in Entscheidungsprozeß
eingebunden werden will
Ideen, Ängste und Erwartungen explorieren
unterschiedliche Behandlungsoptionen darstellen
Vor- und Nachteile gemeinsam nach individuellen
Patientenbedürfnissen abwägen
Prozess des Informationsverständnisses prüfen
Patient Gelegenheit zur Überprüfung der eigenen
Entscheidung geben

Patienten mit (hypochondrischen) Ängsten scheitern oft am
Beipackzettel (aktuelle Reize & kurzfristige Konsequenzen
wirken stärker verhaltenssteuernd...)

Patienten mit einer Depression haben erhebliche Probleme
mit Adherence bezüglich Terminen, Gesundheitsverhalten
und Medikamenteneinnahme

Frühe Traumatisierung und Vernachlässigung erschweren
einen fürsorglichen Umgang mit sich selbst und sind mit
schlechterer Adherence und höherer Morbidität / Mortalität
verknüpft (Felitti VJ et al., Am J Prev Med, 1998, 14, 245-258)




Symptome sind anfangs nur gering
ausgeprägt = geringer Leidensdruck
Kurzfristiger Benefit der Behandlung oft nicht
auf den 1. Blick erkennbar
Kurzfristige Konsequenzen wirken stärker
verhaltenssteuernd als langfristige
meist sind lebenslange Verhaltensänderungen erforderlich.

beschäftigt sich mit der Bedeutung menschlichen Verhaltens für die Entstehung, Aufrechterhaltung, Prävention, Heilung und Rehabilitation von Erkrankungen.

macht das in der empirischen Psychologie und
Verhaltenstherapie gewonnene Wissen über die
Möglichkeiten, Menschen bei Verhaltensänderungen zu
unterstützen, für die Medizin nutzbar.

Ideales Anwendungsfeld: Psychosomatische Grundversorgung und chronische Erkrankungen, bei denen
Verhaltensbezogene Faktoren bedeutsam sind.






Hilfe dabei, Gesundheitsproblem zu verstehen
Information über den Verlauf
Information über Untersuchungsergebnisse
Information über NW von Medikamenten
Information, was sie tun können, um den Verlauf zu
beeinflussen (Langewitz et al., 1998, Psychosom Med 60: 268-276)
Patienten würden durchschnittlich 66 Minuten mehr
Wartezeit in Kauf nehmen für einen Arzt, der ihnen zuhört
(Scott et al., Social Science & Medicine 2003; 56:803–814)

Ein den Patienten einbeziehender Gesprächstil verbessert
Adherence, Patientenzufriedenheit und Zufriedenheit des
Arztes (Langewitz, 2005)

Warten (Pausen zulassen)

Wichtige Aussagen des Patienten wiederholen

Spiegeln (= rückmelden von Emotionen („Sie
wirken sehr beunruhigt, wenn Sie darüber
berichten...“)

Zusammenfassung am Ende von
Gesprächsabschnitten






Pre-Contemplation
Contamplation
Action Planing
Action
Maintenance
Relapse
(Sorglosigkeit)
(Nachdenken)
(Vorbereitung)
(Verhaltensänderung)
(Aufrechterhaltung)
(Was tun bei Rückfall?)
Pre-contemplation
Contemplation
Termination
Relapse
Preparation
Maintenance
Action
Pre-Contemplation
Aufbau kognitiver Dissonanz, Schaffen von Problembewußtsein, Informationsvermittlung, individuell formulierte
Empfehlung, Verhalten zu ändern
Contemplation
Abwägen von für & wider, Informationsvermittlung,
motivierende Gesprächsführung
Preparation
Information über geeignete Strategien, Auswahl einer
Methode, Konkrete Verabredung
Action
Durchführung des Plans (z. B Ernährungsumstellung,
Nordic-Walking-Kurs, Nichtraucher-Seminar ...) Verstärkung
(Lob), engmaschige Konsultation
Maintenance
Verstärkung, Konsultationshäufigkeit zurückfahren
(Selbstmanagement), weitere Unterstützung anbieten
Relapse
Pat. ermutigen, möglichst schnell Kontakt aufzunehmen,
keine Vorwürfe machen, Schadensbegrenzung
Ist - Zustand 

Ziel - Zustand 
1.
Patient hält den Ist-Zustand
für unproblematisch („mir
geht es doch gut; brauche was
zum Zusetzten...“
2.
Patient hält den Ziel-Zustand
für nicht erstrebenswert
(„...dann habe ich keine
Lebensqualität mehr...“)
3.
Patient hält das Ziel für nicht
erreichbar („ich habe schon so
viele Diäten ausprobiert...“)



die positiven Aspekte der gegenwärtigen
Situation nicht aufgeben möchten
die negativen Aspekte einer Veränderung
nicht in Kauf nehmen möchten oder keine
Vorstellung von einem Zielzustand haben
oder weil sie
zwar Veränderungsbedarf sehen, sich diese
Veränderung aber nicht zutrauen



stärker verhaltenssteuernd wirkt, was gesagt
wurde, nicht was gehört wurde!
Argumentiert der Arzt permanent für die
Veränderung, drängt er den Patient in die
Gegenposition.
Alternative: Change talk induzieren, d. h. den
Patienten dazu bringen, für die Veränderung
zu argumentieren.




Was könnte aus Ihrer Sicht für eine Verhaltensänderung
sprechen?
Was könnten gerade Sie von einer Verhaltensänderung
für Vorteile haben:
- jetzt schon
- langfristig?
Was glauben Sie ist Ihr persönliches Risiko, wenn Sie
nichts ändern?
Wenn Sie jetzt noch nicht zu einer Änderung bereit sind
– was könnte der richtige Zeitpunkt sein? Warum gerade
dann?
Wichtig ist, den Patienten seine eigenen
Werte formulieren zu lassen und ihn dann
zu fragen, wo das bisherige Verhalten
diesen widerspricht, z.B. :
 Autonomie vs. Abhängigkeit
 Gesund leben
 Genießen
 Fit & leistungsfähig sein
 Für die Familie da sein
 ....



wenn der Patient sich die Verhaltensänderung
nicht zutraut, sollte der Arzt ihm nicht Selbstvertrauen einreden („Sie schaffen das doch!“)
Alternative: Confidence talk induzieren, d. h.
den Patienten dazu bringen, über seine
Ressourcen zu sprechen:
„Ist es Ihnen schon einmal gelungen, eine ungünstige
Angewohnheit zu ändern? Wie haben Sie das geschafft?“
„Bei welcher der möglichen Änderungen geben Sie sich
die beste Chance, es zu schaffen? Warum gerade hier?“




In Deutschland erleiden 12% der Männer und
20% der Frauen in ihrem leben mindestens
eine depressive Episode.
Punktprävalenz 6,3 % der erwachsenen
Bevölkerung
Mittleres Erkrankungsalter 32 Jahre, höchste
Prävalenz > 65. Lebensjahres
Nach WHO & Weltbank ab 2020 nach KHK
„teuerste“ Erkrankung



schwere, mittlere und leichte depressive
Episode ( einzeln oder als Teil einer rez.
depressiven oder bipolaren Störung F32.x/
F33.x)
Dysthymie als schleichend (> 2 Jahre)
verlaufende Depression mit geringerer
Symptomintensität (F 34.1)
Anpassungsstörung als depressive Reaktion
auf belastendes Lebensereignis (F43.2)
Mindestens fünf Symptome während eines
Zeitraumes von mindestens zwei Wochen
 gedrückte Stimmung, Interessenverlust,
Freudlosigkeit
 verminderter Appetit, Gewichtsverlust,
Schlafstörungen, Verminderung des Antriebs, erhöhte
Ermüdbarkeit, Schuldgefühle, Konzentrationsstörung,
Suizidgedanken /-handlungen, vermindertes
Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, negative und
pessimistische Zukunftsperspektiven, deutlicher
Libidoverlust
896 Patienten nach Myokardinfarkt werden ein
Jahr nachbeobachtet: 37 kard. Todesfälle, 48
nichtletale kard. Ereignisse
BDI 10
Kard. Todesfälle
Arrhythmien
Re-Infarkt
harte Events ges.
ja=290
7.6%
4,5%
8,3%
13,1%
nein=606
2,5%
1,5%
5,3%
7,1%

Metanalyse von Anderson et al., 2003 (23 kontr.
Studien): 9% „major depression“ bei Diabetikern,
5% in der Normalbevölkerung; 26,1% vs. 14,4%
haben auffällige Fragebogenwerte

Kruse et al. (2003) bestätigen diese Ergebnisse für
den deutschen Sprachraum

Kein Unterschied zwischen Typ I und II-Diabetes

Studien, die statt klinischen bevölkerungsrepräsentative Stichproben untersuchen, fanden
eine höhere Prävalenz nur bei Diabetikern mit
Folgeerkrankungen.

Keine Evidenz für Depression als RF für Typ IDiabetes (aber Hinweise auf erhöhte
Streßbelastung und Traumatisierung in der Familie
als RF; Sepa et al., 2005)

Erhöhtes Risiko (1,4 - 2,3) v. a. für depressive
Männer, einen Typ II-Diabetes zu entwickeln

Depression steigt an nach schweren
Hypoglykämien, Umstellung auf Insulin und
Auftreten von Folgekomplikationen.

Höhere PTB-Inzidenz bei Diabetikern als in der
Normalbevölkerung (Goodwin & Davidson, 2005)

Gehäuft gewalttätige und sexuelle Übergriffe in der
Kindheit von Typ-II-Diabetikern (Felliti et al., 1998,
2002)

Vermutete Pathomechanismen:
- Streßinduzierte Störung der HHN-Achse
- Reduktion innerer Anspannung durch Essen,
Alkohol und Rauchen
Diabetes mellitus
Mort.-Risiko
(7Jahre)
ohne Depression
mit subklinisch erhöhter Depressivität
1,9
mit Dysthymie/ minor depression
4,9
mit Major Depression
4,6
2,6
Deutlich erhöht war bei depressiven Diabetikern auch
das Risiko für Folgekomplikationen wie Retinopathie,
Mikro- und Makroangiopathie.




Hyperkortisolismus durch Aktivierung der
HHN-Achse bei Depression
Aktivierung von Entzündungsmediatoren (IL6, TNF-A) bei Depression, diese dämpfen die
Insulinreaktion der Zelle
Verminderte Herzratenvariabilität sowohl bei
Diabetes als auch bei Depression
Aktivierung des Gerinnungssystems bei
Depression

erhöhte Depressivität => schlechtere BZ-Einstellung
(Metaanalyse von Lustman et al., 2000, Fehm-Wolfersdorf 2009)

Schlechtere Medikamnenten- und
Ernährungscompliance bei Typ-II-Diabetes (Ciechanowski,
2000)

Schlechteres Ergebnis in Programmen zur
Gewichtsreduktion (Marcus et al., 1992)

Mehr Nikotinabusus, weniger körperliches
Ausdauertraining (Schmitz et al., 2003, 2004)
Diabetiker mit depressiven Symptomen



haben signifikant mehr AU-Tage
sind bei gleicher Stoffwechsellage stärker
durch körperliche Symptome belastet
verursachen um 86% höhere (v. a. indirekte)
Gesundheitskosten
als Patienten ohne Komorbidität (Goldney et al., 2004,
Hanninen et al., 1999, Egede et al., 2004, Ciechanowski et al., 2000).

depressive Patienten eher selten ihre
Emotionen zeigen,

im Gegensatz zu ängstlichen Patienten
eher selten durch ständiges Fragen
„nerven“,

sich häufig in ihr Zimmer zurückziehen und
den Stationsablauf wenig stören

Erfahrene Orthopäden schätzen 125 konsekutive Patienten hinsichtlich psychischer
Belastung ein. Es folgt eine strukturierte
Nachbefragung

96% Spezifität bei der Erkennung nicht
belasteter Patienten.

26% Sensitivität bei der Erkennung psychisch
belasteter Patienten

HADS-D = Hospital Anxiety and Depression Scale, dt.
von Hermann-Lingen et al., Sensitivität und Spezifität
etwa 80%, 14 Items, Angst und Depressivität.

Zeitaufwand 2 - 5 Minuten aber: eher Überschätzung
der Prävalenz psychischer Störungen

Alternative: semistrukturiertes Interview

Zeitaufwand 5-10 Min.
1.
2.
Litten Sie während des letzten Monats
unter Gefühlen von Hoffnungslosigkeit,
Erschöpfung oder Depression?”
Waren Sie während des letzten Monats
interesselos und freudlos auch für Dinge,
die Ihnen gewöhnlich Spaß machen?“
Werden beide Fragen mit „NEIN“ beantwortet, kann eine
Depression mit 96%-iger Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen
werden.

10% aller Depressiven haben konkrete Suizidpläne

10-15% aller Patienten mit einer rez. Depressiven
Störung versterben am Suizid, Suizide kommen aber
auch bei allen anderen depressiven Störungen vor.

Das höchste Suizidrisiko haben alleinstehende
Männer > 65 und Patienten nach Entlassung aus stat.
Behandlung

Die Mehrzahl der Betroffenen hatte in den Tagen
zuvor Hilfe im med. System gesucht.

Suizidalität offen erfragen/ansprechen!
Als evidenzbasierte Therapie der Depression stehen
sowohl
- Psychotherapie (Verhaltenstherapie, IPT,
psychodyn. Kurztherapie)
- Antidepressiva und
- Ausdauertraining zur Verfügung.
 Für die Komorbidität von Diabetes & Depression
konnte in ersten Studien die Wirksamkeit von SSRI
und verhaltensmedizinischen Interventionen
nachgewiesen werden (Fehm-Wolfersdorf, 2009).

Trizyklische Antidepressiva verschlechtern die
Stoffwechselsituation und sind nicht
empfehlenswert.
 SSRI sind eher stoffwechselneutral, evtl. auf
Hypoglykämie achten!
 Kurzzeit-VT (Depressionsbewältigung und
Selbstmanagement) führte in einer kontrollierten
Studie zu einer besseren Stoffwechselsituation

(Lustman et al.,1998)

Individualisierte Schulungsprogramme bessern
Depressivität und Stoffwechsellage (Kulzer et al., 2001)

Depression kann gezielt behandelt und die
Lebensqualität hierdurch verbessert werden

Kognitive Verhaltenstherapie kann (wenn sie
diabetesspezifisch angepasst ist) auch die
Stoffwechselsituation verbessern

Verhaltensmedizinische Patientenschulungen
haben sich in Therapie und Prävention (z. B. PRAEDIAS,
Hermanns et al., 2011) bewährt

Zur Prävention der Depression sind soziale Netzwerke (z. B. Selbsthilfegruppen) und körperliches
Ausdauertraining geeignet!





vertrauensvolle Arzt-Patient-Kommunikation
hinreichendes Diabetesspezifisches Wissen
günstige soziale Gegebenheiten (v. a. soziale
Unterstützung)
emotionales Wohlbefinden und Motivation
zur Selbstfürsorge
Selbstwirksamkeitsüberzeugung und
Bereitschaft zur Veränderung.





G. Fehm-Wolfersdorf: Diabetes
Mellitus. Reihe Fortschritte der
Psychotheapie, Hogrefe, 2009
S. Herpertz et al.: Evidenzbasierte
Leitlinie „Psychosoziales und Diabetes
mellitus“ von DDG und DKPM
S. Herpertz & V. Köllner: Themenheft
Gesundheitsverhalten, Psychotherapie
im Dialog; Thieme, 2008
J. Kruse et al.: Review: Diabetes
mellitus und Depression. Z Psychosom
Med Psychother 2006, 52: 289-309
V. Köllner & M. Broda (Hrsg.):
Praktische Verhaltensmedizin,
Stuttgatrt: Thieme, 2005
Herunterladen