Dr. med. H.-G. Kugler Vegetarische Ernährung bei Herz-KreislaufErkrankungen und Diabetes mellitus Eine der sinnvollsten und wirksamsten Präventivmaßnahmen überhaupt Dabei ist die vegetarische Ernährung in hervorragender Weise geeignet, die Risiken für ernährungsabhängige Erkrankungen zu vermindern. Sie erfüllt sehr gut die aktuellen wissenschaftlichen Anforderungen an eine gesunderhaltende Ernährung, die lauten: erhöhter Verzehr pflanzlicher Lebensmittel, verminderter Verzehr tierischer Lebensmittel, höhere Zufuhr von Vollkornprodukten, Einschränkung von Auszugsmehlprodukten und raffinierten Produkten, geringerer Verzehr von Fett. Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes mellitus sind weit verbreitete Volkskrankheiten. Deshalb werden im Folgenden der Stellenwert und die Wirkmechanismen der vegetarischen Ernährung bei diesen Krankheiten ausführlicher dargestellt. Herz-Kreislauf-Erkrankungen Vegetarier haben im Vergleich zu Mischköstlern nicht nur ein niedrigeres Risiko, an KHK (Koronarer Herzkrankheit) zu versterben, sondern sie haben auch durchschnittlich ein geringeres Risiko für arterielle Hypertonie. Die Ergebnisse der „CARDIA Study“ (Coronary Artery Risk Development in Young Adults) zeigen, dass die Inzidenz der arteriellen Hypertonie positiv mit dem Verzehr von rotem Fleisch und Fleischwaren korreliert. Vollkornprodukte, Obst und Nüsse hingegen wirken protektiv. Es ist noch nicht definitiv geklärt, weshalb der Blutdruck bei Vegetariern durchschnittlich niedriger ist als bei Fleischessern. Beeinflussende Faktoren könnten eine höhere Kalium- und Magnesiumaufnahme, ein niedrigerer BMI (Body Mass Index) und ein niedrigerer glykämischer Index der vegetarischen Kost sein. Als Basisursache liegt dem ganz überwiegenden Teil der Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine 02/06 Arteriosklerose zu Grunde, die sich aus einer endothelialen Dysfunktion entwickelt. Über verschiedene Wirkmechanismen kann die vegetarische Ernährung die Entstehung der Arteriosklerose verhindern oder zumindest vermindern: Beispielsweise nehmen Vegetarier über die Nahrung meist weniger Cholesterin auf als Mischköstler – es sei denn, es werden sehr viele Milchprodukte und Eier gegessen. Außerdem führt der Verzehr pflanzlicher Proteine dazu, dass die endogene Cholesterinsynthese abnimmt. Dieser Effekt beruht auf Unterschieden in der Aminosäurenzusammensetzung pflanzlicher und tierischer Proteine. Pflanzliche Proteine enthalten durchschnittlich mehr nicht-essenzielle Aminosäuren wie Glycin, Alanin, Serin und Arginin. Diese bewirken eine verstärkte Glukagonsekretion. Glukagon erhöht in den Hepatozyten die cAMPSpiegel. cAMP wiederum reguliert die Synthese der Enzyme herunter, die für die Lipogenese und Cholesterinsynthese erforderlich sind. Traditionell werden pflanzliche Proteine im Vergleich zu tierischen Proteinen als ernährungsphysiologisch minderwertig eingestuft. Diese Einschätzung wurde aus Wachstumsstudien an Tieren abgeleitet. Allerdings haben die Tiere meist einen erheblich höheren Proteinbedarf pro Kilogramm Körpergewicht als der Mensch. Neuere Daten aus Humanernährungs-Untersuchungen zeigen eindeutig, dass durch eine geeignete Kombination pflanzlicher Proteine der Eiweißbedarf des Menschen sehr gut gedeckt werden kann. Beispielsweise ergänzen sich Getreideproteine, die eher lysinarm sind, sehr gut mit den Proteinen aus Hülsenfrüchten, die meist methioninarm sind. Über die Beeinflussung des Insulin-Glukagon-Verhältnisses hat der Verzehr pflanzlicher Proteine einen günstigen Effekt auf Risikofaktoren der Arteriosklerose. Mehrfach wurde nachgewiesen, dass der Verzehr von Sojaprotein sowohl das Gesamtcholesterin als auch das LDL-Cholesterin senkt. Dies gründet wiederum darauf, dass Vegetarier im Vergleich zu Mischköstlern sowohl erhöhte Mengen der Antioxidanzien Vitamin C und E sowie ein Vielfaches an verschiedenen sekundären Pflanzeninhaltsstoffen aufnehmen. In mehreren Studien wurde ein enger, umgekehrt proportionaler Zusammenhang zwischen der Aufnahme dieser sekundären Pflanzeninhaltsstoffe und dem Erkrankungsrisiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen nachgewiesen. Diese haben nicht nur einen antioxidativen Effekt, sondern auch antiinflammatorische Eigenschaften (hier z. B. Flavonoide, Phenolsäuren und Sulfide). Flavonoide z. B. vermindern die Aktivierung des Transkriptionsfaktors NF-Kappa-B und damit die Bildung proinflammatorischer Zytokine. Neben freien Radikalen und einer Dyslipoproteinämie spielt die Entzündungskomponente bei der Entstehung der Arteriosklerose eine wichtige Rolle. Der Fachverlag für Complementär-Medizin Ernährungsmedizinische Präventivmaßnahmen sind also bedeutender denn je. Das oxidierte LDL ist ein wichtiger Risikofaktor für die Arteriosklerose. Chemisch modifizierte LDL-Partikel werden von Makrophagen aufgenommen, wodurch sich letztere in Schaumzellen verwandeln. Bei Vegetariern ist die Oxidationsstabilität der LDL-Partikel höher als bei Mischköstlern. Dies dürfte wesentlich auf die höhere antioxidative Kapazität des Blutserums zurückzuführen sein. Statistische Untersuchungen im Rahmen der Nurses Health Study haben gezeigt, dass viel Zucker und Weißmehlprodukte sowie verarbeitete Fleischwaren die Entzündungssituation fördern. Der Verzicht auf Fleisch und Wurst beispielsweise vermindert über geringere Arachidonsäurekonzentrationen die Bildung entzündungsfördernder Prostaglandine, insbesondere PGE2. Die chronische „Low grade inflammation“ ist zugleich eng mit einer Insulinresistenz assoziiert. Obst und Gemüse aus biologischem Anbau enthält dagegen häufig nennenswerte Mengen an Salicylsäure, die bekanntlich entzündungshemmend wirkt. Weiterhin senkt ein hoher Verzehr von Obst und Gemüse das hochsensitive C-ReaktiveProtein (hsCRP), das inzwischen als etablierter Laborparameter zur Beurteilung des kardiovaskulären Risikos gilt. Bei langjährigen Vegetariern wurden demnach generell niedri- 1 Der nachfolgende Artikel ist mit freundlicher Genehmigung entnommen aus Ernährungsabhängige Erkrankungen nehmen in allen modernen Industriestaaten und in vielen Entwicklungsländern weltweit zu und stehen in einem engen Zusammenhang mit dem „Western-Diet-Ernährungsstil“. So belaufen sich beispielsweise in Deutschland die Behandlungskosten für ernährungsabhängige Erkrankungen auf rund 80 Milliarden Euro jährlich. Angesichts der Übergewichtsepidemie werden diese Kosten weiterhin drastisch ansteigen. Ausgabe 02/06. Fordern Sie Ihr Probeheft an! Tel.: 0 61 46 - 90 74 - 0 • Fax: 0 61 46 - 90 74-44 • www.comedverlag.de Ernährung / Nahrungsergänzung Ernährung / Nahrungsergänzung Dr. med. Hans-Günter Kugler ist ärztlicher Leiter eines Mikronährstofflabors, verantwortlich für den Bereich Orthomolekulare Medizin der HG Naturklinik Michelrieth.Zahlreiche Publikationen zum Thema Orthomolekulare Medizin, insbesondere biochemische und medizinische Bedeutung von Aminosäuren; Experte für vegetarische Ernährung. sundheitswesens erheblich gefährden. Der Typ II-Diabetes ist eine typische Lifestyle-Erkrankung und wird im Wesentlichen durch Bewegungsmangel, Falsch- und Überernährung verursacht. schen, dass sich diese Erkenntnisse der modernen ernährungsmedizinischen Forschung auch zunehmend in unserer Gesellschaft etablieren und positive Früchte tragen können. Kontakt: Löwensteinstr. 7- 9, D-97828 Marktheidenfeld Tel.: 09394 / 97030 gere hsCRP-Konzentrationen festgestellt als bei Mischköstlern. Es gibt Hinweise aus Studien, dass auch eine höhere Zufuhr an Arginin die CRP-Konzentration vermindert. Arginin ist überdies bekanntlich die Ausgangssubstanz für die Bildung von Stickoxid, das für die Endothelfunktion und Gefäßregulation von zentraler Bedeutung ist. Gute Argininquellen sind Nüsse, die auch auf Grund ihres Fettsäurenmusters hervorragende kardioprotektive Nahrungsmittel sind. Mehrere Dutzend Studien haben belegt, dass Nussliebhaber ein geringeres Risiko für HerzKreislauf-Erkrankungen haben. Die amerikanische FDA empfiehlt, an vier bis fünf Tagen wöchentlich fünfzig Gramm Nüsse zu verzehren. Die Bundesforschungsanstalt für Ernährung rät, täglich eine Handvoll Nüsse zu essen. Weitere eigenständige kardiovaskuläre Risikofaktoren sind: Homocystein: entsteht als Zwischenprodukt aus Methionin, das seine Methyl-Gruppe überträgt, und wird innerhalb kurzer Zeit wieder zu Methionin umgebaut. Unter den an diesem Prozess beteiligten Vitaminen hat Folsäure die wichtigste Bedeutung. Sie übt damit einen endothelprotektiven Effekt aus. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass Folsäure mit verschiedenen freien Radikalen reagiert, so dass dieses Vitamin auch eine erhebliche antioxidative Kapazität besitzt. Leider ist die Folsäureversorgung in der Bevölkerung generell als kritisch einzustufen, Vegetarier haben aber eine höhere Folsäureaufnahme als Mischköstler. Fibrinogen: Gerinnungsfaktor, erhöht bei Entzündungen. Bei Vegetariern findet man niedrigere Fibrinogen-Konzentrationen als bei Mischköstlern. Diabetes mellitus Diabetes mellitus ist inzwischen die Volkskrankheit Nummer 1. Die Zahl der Diabetiker in Deutschland hat sich seit 1960 verzehnfacht. Experten der deutschen Diabetesgesellschaft gehen davon aus, dass jeder zehnte Deutsche einen zu hohen Glukosespiegel hat. Die Zahl der Diabetiker nimmt jährlich um 5% zu – bei steigenden Behandlungskosten; die die Finanzierbarkeit des deutschen Ge- 2 Auch hier ist eine der sinnvollsten vorbeugenden und therapeutischen Maßnahmen die vegetarische Ernährung. Der Hauptvorteil dieser Ernährungsweise liegt darin, dass meist mit ihrer Hilfe eine Normalisierung des Körpergewichts bzw. eine Gewichtsreduzierung erreicht werden kann. Jedenfalls haben Vegetarier durchschnittlich einen niedrigeren BMI als Mischköstler und dadurch auch ein deutlich vermindertes Diabetesrisiko. Der regelmäßige Verzehr von rotem Fleisch und Fleischprodukten erhöht das Risiko, an Diabetes zu erkranken, sowohl bei Männern als auch bei Frauen signifikant. Verantwortlich dafür dürften erhöhte Werte des Eisenspeicherproteins Ferritin sein; dies zeigen Daten der „Nurses Health Study“, die 2004 in „JAMA“ publiziert wurden. Literaturhinweise 1. Heinrich Kasper: Ernährungsmedizin und Diätetik. Urban & Fischer 2004, 10. Auflage 2. H. Koula-Jenik et al.: Leitfaden Ernährungsmedizin. Urban & Fischer 2006, 1. Auflage 3. Maurice E. Shils et al: Modern Nutrition in Health and Disease. Lippincott Williams & Wilkins 2006, tenth edition 4. Joan Sabaté: Vegetarian Nutrition. CRC Press 2001 5. Lopez-Garcia E. et al.: Major dietary patterns are related to plasma concentrations of markers of inflammation and endothelial dysfunction. Am J Clin Nutr. 2004 Oct; 80(4): 1029-35 6. Ahuja IM: Prudent diet and preventive nutrition. Indian Heart J. 2003 Jul-Auf; 55(4): 31038 Weitere Literatur beim Verfasser Darüber hinaus können gesättigte Fettsäuren die Empfindlichkeit der Insulinrezeptoren herabsetzen. Vegetarier haben normalerweise eine höhere Insulinsensitivität als Mischköstler, was sich positiv auf das Krankheitsbild auswirkt. Vegetarische Ernährung ist nicht nur sinnvoll zur Prävention des Diabetes, sondern auch hilfreich bei der Behandlung dieser Erkrankung: Pflanzliche Proteine belasten die Nieren weniger als tierische, wodurch das Auftreten einer diabetischen Nephropathie verhindert oder zumindest verlangsamt werden kann. Außerdem kann eine hohe Zufuhr an Ballaststoffen die Blutzuckereinstellung wesentlich verbessern. Ähnlich wie bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben auch bei Diabetes mellitus die Nüsse einen vorteilhaften Effekt auf den gestörten Fettstoffwechsel des Diabetikers. Diabetes mellitus ist eine der typischen „free radical diseases“ (Freie Radikalen-Krankheit), dies hat einen Mehrbedarf an antioxidativen Verbindungen zur Folge. Auch hierfür ist die vegetarische Kost besser geeignet als die Mischkost. Fazit Vegetarische Ernährungsformen gehören zu den wirksamsten und sinnvollsten Präventivmaßnahmen gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabete mellitus und sind auch bei deren Behandlung hilfreich. Es bleibt zu wün- 02/06