Schweiz Med Wochenschr 1999;129:1033–8 Peer reviewed article L. Fischler, R. Ensner, D. Bernhardt Institut für Anästhesiologie, Kantonsspital Chur Kasuistik Präoperativ asymptomatisches Inzidentalom der linken Nebenniere Summary Preoperatively asymptomatic adrenal incidentaloma Since the introduction of new, very sensitive imaging procedures (ultrasonography, CT, MRI) the incidence of incidentally discovered, asymptomatic adrenal masses has clearly increased. These tumours are a new challenge to develop therapy and preoperative evaluation strategies, as the following case report shows. In a 29-year-old asymptomatic female patient a large adrenal tumour on the left side was discovered on abdominal ultrasonography during pregnancy. The further endocrinological examinations were normal. The patient was operated on post partum. During intraoperative manipulation of the tumour we observed an excessive increase in blood-pressure and heart rate. Shortly after removal of the tumour and immediate sympatholytic treatment the situation was under control. The intraoperative clinical situation and histological work-up of the tumour led to the diagnosis of phaeochromocytoma. The problem of adrenal incidentalomas is discussed on the basis of the current literature and an algorithm for preoperative evaluation is presented. Keywords: adrenal incidentaloma; asymptomatic phaeochromocytoma; preoperative evaluation; adrenal gland neoplasms Zusammenfassung Seit der Einführung neuer, sehr sensitiver bildgebender Verfahren (Ultraschall, CT, MRI) hat die Inzidenz von asymptomatischen, inzidentell entdeckten adrenalen Raumforderungen deutlich zugenommen. Diese Befunde werfen neue Fragen bezüglich Therapie, allfälliger präoperativer Evaluation und perioperativem Management auf, wie die folgende Kasuistik zeigt. Bei der bis anhin gesunden, asymptomatischen 29jährigen Patientin wurde im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge als Zufallsbefund ein grosser Tumor der linken Nebenniere gefunden. Die weiteren durchgeführten endokrinologischen Untersuchungen waren unauffällig, und die Patientin wurde post partum ope- riert. Erst intraoperativ kam es bei der Manipulation am Tumor zu einem exzessiven Blutdruck- und Herzfrequenzanstieg, der jedoch nach der sofort eingeleiteten Sympathikusblockade und nach der Tumorexstirpation sistierte. Histologisch konnte der intraoperative Verdacht auf ein Phäochromozytom bestätigt werden. Die Problematik des adrenalen Inzidentaloms wird anhand der aktuellen Literatur diskutiert und ein Algorithmus für die Evaluation solcher Tumoren vorgestellt. Keywords: Inzidentalom der Nebenniere; adrenale inzidentelle Tumoren; asymptomatisches Phäochromozytom; präoperative Evaluation Korrespondenz: Dr. med. L. Fischler Institut für Anästhesiologie Kantonsspital CH-7000 Chur 1033 Kasuistik Schweiz Med Wochenschr 1999;129: Nr 27/28 Einleitung Moderne bildgebende Verfahren haben in den letzten Jahren dank ihrer guten Übersichtlichkeit auch zu immer mehr Zufallsbefunden geführt. Solche zufällig entdeckten Raumforderungen werden in der Literatur als Inzidentalome bezeichnet. Spezialisten stehen heute vor der Situation, bisher asymptomatische Patienten beispielsweise bezüglich einer neu entdeckten Masse zu beurteilen und einen den Verhältnissen entsprechenden Therapievorschlag zu machen, ohne den Patienten allzusehr zu beunruhigen. Griffing [1] spricht gar von einer neuen Epidemie solcher Befunde, die er als «A-I-D-S»-artig bezeichnete: «Absence of Information Decreases Stress!». Solche «Inzidentalome» kommen z.B. im Bereich der Nebenniere vor und können bezüglich präoperativer Abklärung, Therapieempfehlung und allenfalls perioperativem Management eine Herausforderung für alle beteiligten Disziplinen (Endokrinologen, Chirurgen, Radiologen, Anästhesisten und Intensivmediziner) darstellen, wie die folgende Kasuistik zeigt. Fallbeschreibung Verlauf vor Hospitalisation: Bei einer 29jährigen schwangeren Patientin wurde im Rahmen einer Routine-Ultraschalluntersuchung als Zufallsbefund eine Raumforderung in der Region der linken Nebenniere festgestellt. Die Schwangerschaft und Geburt verlief bei der bisher gesunden Patientin in der Folge ohne Komplikationen. Ambulant wurde postpartal eine CT-Untersuchung des Abdomens durchgeführt, die einen 10҂7,6 cm grossen stark hypervaskulären Nebennierentumor links mit ausgedehnten nekrotisch-zystischen Veränderungen zeigte. Die angedeutete Kapselbildung bei Fehlen von regionalen oder Fernmetastasen/Penetration in die Umgebung sprach eher für eine benigne Läsion (Abb. 1). Bei der ebenfalls vor der Hospitalisation durchgeführten endokrinologischen Abklärung zeigte sich eine klinisch euadrenale, euthyreote Patientin mit unauffälligen chemischen und hämatologischen Abbildung 1 CT Abdomen (mit Kontrastmittel): grosser hypervaskulärer Nebennierentumor, einseitig, inhomogenes Enhancement, unregelmässige z.T. hypodense/zystische Areale, angedeutete Kapsel links. 1034 Tabelle 1 Untersuchung Wert Normbereich Laborwerte präoperativ. BSR (1. Stunde) 8 mm <10 mm Hämoglobin 14,1 g/dl 12–16 g/dl Hämatokrit 41% 37–47% Leukozyten 6,3 ҂ 109/l 4,0–10,0 ҂ 109/l Thrombozyten 237 ҂ 109/l 150–350 ҂ 109/l Quick (INR) 92% (1,1) 70–100% Glukose (nüchtern) 4,7 mmo/l 3,3–6,3 mmol/l Natrium 138 mmol/l 132–148 mmol/l Kalium 4,13 mmol/l 3,6–5,0 mmol/l TSH 1,84 mU/l 0,4–4,0 mU/l freies Kortisol (24-h-Urin) 168 nmol/24 h 69–361 nmol/24 h Dopamin/Kreatinin (Spoturin) 325 nmol/mmol <400 nmol/mmol Noradrenalin/Kreatinin (Spoturin) 23 nmol/mmol <75 nmol/mmol Adrenalin/Kreatinin (Spoturin) 18 nmol/mmol <15 nmol/mmol Schweiz Med Wochenschr 1999;129: Nr 27/28 Abbildung 2 Kasuistik Intubation Vitalparameter während Operationsverlauf. Laborparametern. Das TSH, der 24-h-Urin auf freies Kortisol sowie die Katecholamin/Kreatinin-Quotienten im Spoturin waren im Normbereich (ausser grenzwertig erhöhten Werten für Adrenalin) (vgl. Tab. 1). Hospitalisation: Bei Eintritt wurde eine (mit Ausnahme eines Nikotinabusus von 5 Packyears) unauffällige Systemanamnese erhoben, insbesondere bestanden keine Hinweise auf paroxysmale Tachykardien, Kopfschmerzen, Schweissausbrüche, AZ-Verschlechterung oder Gewichtsabnahme. Es lag eine unauffällige persönliche und bis auf ein Bronchuskarzinom der Mutter blande Familienanamnese vor. Im übrigen handelte es sich um eine 30jährige, normotensive (110/80 mm Hg), normokarde Patientin in gutem Allgemein- und Ernährungszustand (65 kg, BMI 22,7 kg/m2) mit kardiopulmonalem und kursorisch neurologisch unauffälligem Befund. Der übrige Status war bis auf eine leichte Druckdolenz epigastrisch links normal. Die Adrenalektomie (thorako-retroperitonealer Zugang) wurde in einer Inhalationsnarkose mit Thiopental, Fentanyl, Pancuronium, Lachgas und Sevorane durchgeführt. Bei initial unauffälligem Ver- Manip. Esmolol, Tu. Exzision Tumor Extubation lauf kam es nach heftiger Manipulation am Tumor für die Exstirpation zu einem exzessiven Blutdruckanstieg auf Werte bis 225/130 mm Hg und einer Tachykardie bis 120, die auf Vertiefen der Narkose nicht ansprachen (Fentanyl, Sevorane). Nach Betablokkade mit Esmolol und der unmittelbar danach durchgeführten Ligatur der Tumorgefässe normalisierten sich die Blutdruckwerte und die Herzfrequenz innert weniger Minuten (Abb. 2) ohne Auftreten einer arteriellen Hypotonie. Während der weiteren Hospitalisation kam es unter ausreichender Analgesie mittels PCA-Pumpe (Morphin) sowohl auf der Überwachungsstation als auch danach zu keinen weiteren Zwischenfällen. Histologie: Makroskopisch zeigte sich eine 470 g schwere, 11҂11҂ 6 cm grosse Tumormasse, mit teils hämorrhagischer, teils solide gelb-brauner Schnittfläche. Histologisch lag das Bild eines Phäochromozytoms vor: solide/trabekulär aufgebautes Gewebe mit direktem Kontakt zur Nebenniere und vereinzelt zystischen Formationen mit Einblutungen, polyedrische Zellen mit reichlich granuliertem Zytoplasma und grossen Kernen (mit z.T. mehreren Nukleolen). Diskussion Zufällig (im Rahmen der Abklärungen bei anderen Erkrankungen) gefundene, klinisch asymptomatische Raumforderungen der Nebennieren (Inzidentalome) werden seit der weiten Verbreitung neuer bildgebender Verfahren (Ultraschall, CT, MRI) immer häufiger beschrieben. Endokrinologen und Chirurgen stehen vor dem neuen Problem, primär klinisch unauffällige Patienten zu evaluieren und einer allfälligen Therapie zuzuführen. Gemäss der aktuellen Literatur [2–4] findet man bei 1–4% der Abdomen-CT-Untersuchungen solche Inzidentalome der Nebenniere. In grösseren Autopsie-Studien liegt die Prävalenz mit 1–10% [2, 5] sogar etwas höher, was vor allem auf die niedrigere Sensitivität der CTTechnik speziell bei kleinen Tumoren (<0,5 cm) zurückzuführen ist. Differentialdiagnostisch muss bei einseitigen Befunden zwischen einer breiten Palette hormonaktiver und -inaktiver Tumoren unterschieden werden (vgl. Tab. 2) [2–4, 6]. Im wesentlichen geht es darum, hormonell aktive oder maligne Prozesse zu erfassen, da nur diese eine Therapie benötigen. Zahlreiche Abklärungsschemata werden in der Literatur hierzu empfohlen und geben immer wieder Anlass zu Kontroversen, vor allem bezüglich Aggressivität der Abklärungen und Kosten-Nutzen-Abwägungen [2–5, 7–13]. An erster Stelle sollte auch bei bisher unauffälliger Anamnese immer ein gründlicher Status stehen, wobei speziell nach einer Hypertonie, Tachykardie, Virilisierung/Feminisierung und einem cushingoiden Aussehen gefahndet werden muss. Ist einer dieser Befunde patholo1035 Kasuistik gisch, sind symptomorientierte, gezielte endokrinologische Abklärungen indiziert. Bei Fehlen solcher Symptome kann der dargestellte Abklärungs-Algorithmus hilfreich sein (Abb. 3, Kontroversen vgl. Ziffern in der Legende). Tabelle 2 Differentialdiagnose der einseitigen Nebennierenraumforderungen. Schweiz Med Wochenschr 1999;129: Nr 27/28 Bei unserer Patientin lag ein Phäochromozytom vor, wobei sie präoperativ keine der klassischen Symptome zeigte (nach Lucon [14]: Hypertonie [98%], Schweissausbrüche [75%], Palpitationen [70%], Kopfschmerzen [68%], Schwindel [23%], Erbrechen [23%], Blässe A. hormonaktive Läsionen adrenales Adenom (v.a. Cortisol, DHEA, Aldosteron, z.T. auch inaktiv) Häufigkeit 33–53% adrenales Karzinom (z.T. auch inaktiv) 0–18% Phäochromozytom 0–23% sich bildgebend einseitig darstellende noduläre Hyperplasie 0–14% B. hormoninaktive Läsionen Ganglioneurom 0–10% Myelolipom 3–8% Hämorrhagie 0–6% Metastasen (v.a. von Mamma, Lunge, Kolon, Magen, Niere, Melanomen) 0,4–21% (Pseudo)zysten (parasitär, endothelial, degenerativ usw.) 3–13% Abszesse, Infektionen selten Amyloidose, Sarkoidose selten Pseudoadrenal (v.a. von Pankreas, Niere, Gefässmissbildungen) selten Abbildung 3 Abklärungsalgorithmus beim adrenalen Inzidentalom. Ergänzungen zu den Ziffern im Schema: 1 Die hormonelle Evaluation gibt Anlass zu erheblichen Kontroversen [2, 4, 5, 8, 12, 13]. Als Minimalprogramm wird je nach Literatur empfohlen: 24-h-Urin auf Katecholamine/Metanephrine oder Metabolite und evtl. Katecholamine im Serum (zum Ausschluss Phäochromozytom); Kalium im Serum (zum Ausschluss eines signifikanten Hyperaldosteronismus); 24-h-Urin auf freies Kortisol und evtl. Kortisol mehrmals täglich im Serum sowie hochdosierter Dexamethason-Hemmtest (zum Ausschluss eines präklinischen Cushing); evtl. Plasma DHEA-S oder 17-Ketosteroide im 24-h-Urin (zum Ausschluss eines AndrogenExzess); evtl. 17-OH-Progesteron-Stimulation mittels ACTH bei Patienten <20 Jahre (zum Ausschluss eines verzögert einsetzenden 21-Hydroxylase-Mangels). Falls eine dieser Untersuchungen pathologisch ist, müssen weitere gezielte Abklärungen durchgeführt werden. 2 Die in der Literatur empfohlenen Nachuntersuchungszeitpunkte ergeben sich aus der ungefähren Tumorverdoppelungszeit von adrenokortikalen Karzinomen [5, 13]. Eine allfällige Feinnadelpunktion wird nur nach möglichst sicherem Ausschluss eines Phäochromozytoms mit der Fragestellung nach evtl. Metastasen empfohlen [2, 4, 9]. 3 Ein 21-OH-Mangel sollte während des Follow-up jedoch medikamentös behandelt werden. 4 Die Bedeutung des präklinischen Cushing-Syndroms (= milde Kortisonüberproduktion ohne Klinik) ist noch nicht klar. Obwohl ein späterer Übergang in das Vollbild eines M. Cushing vorkommen kann, scheint eine beobachtende Haltung gerechtfertigt [2, 3]. 5 Copeland [5] konnte 1984 aufgrund der Resultate grösserer Autopsiestudien (12 000 Patienten) nachweisen, dass adrenale Adenome nur selten grösser als 6 cm Durchmesser haben, während praktisch alle Karzinome diesen Wert überschritten und diese zudem sehr selten sind (Inzidenz: 0,06–0,16 auf 100 000). Aufgrund einer Kosten-Nutzen-Analyse setzte er den Grenzwert zum operativen Eingreifen deshalb auf 6 cm Durchmesser. Gemäss Ross et al. [12] ist die Wahrscheinlichkeit, ein Karzinom bei einem Grenzwert von 6 cm zu verpassen, aus diesen Gründen <1 : 10 000. Diverse Autoren empfehlen jedoch niedrigere Grenzwerte um 3,5–4 cm Durchmesser [2, 7, 8, 13], da allfällige Karzinome in diesem Stadium eine bessere Prognose haben. 6 Radiologische Kriterien, die für Benignität sprechen (sie aber nicht beweisen), sind: Hypodensität, Homogenität, scharf und regelmässig abgegrenzt (rund oder oval), Grösse <4–6 cm im Durchmesser [7]. 1036 Schweiz Med Wochenschr 1999;129: Nr 27/28 Kasuistik [20%], Bauchschmerzen [20%] und seltener Dyspnoe, Angina pectoris, Tremor und Konvulsionen). In der Literatur [14] weisen nur 2–4% der Patienten mit einem nachgewiesenen Phäochromozytom keine hyperadrenerge Symptomatik auf. In einer japanischen Vergleichsstudie von Miyajima [15] wiesen inzidentell entdeckte gegenüber aufgrund von Symptomen entdeckten Phäochromozytomen eine niedrigere Hypertonierate auf und waren häufiger völlig asymptomatisch. Gemäss Ross [12] beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass sich bei einem normotensiven Patienten ein inzidenteller adrenaler Tumor als Phäochromozytom herausstellt, 3,5%. Im asiatischen Raum mag diese Wahrscheinlichkeit noch höher liegen, da hier Phäochromozytome in über 20% aller adrenaler Inzidentalome vorliegen [15, 16]. Bezüglich laborchemischer Untersuchungen wurden bei unserer Patientin im Rahmen des präoperativen Screenings leider nur SpoturinUntersuchungen auf Katecholamine durchgeführt, die mit Ausnahme einer grenzwertigen Erhöhung des Adrenalins unauffällig waren. Spoturin-Untersuchungen für Katecholamine eignen sich jedoch nur für Patienten mit paroxysmaler Klinik, wenn sie bei oder unmittelbar nach einer hypertensiven Krise durchgeführt werden.Auch 24-h-Urin-Untersuchungen sind jedoch nicht 100% sensitiv für ein Phäochromozytom: Für Adrenalin betrug in einer Studie von Lucon [14] die Sensitivität 64%, für Dopamin 66%, für die Vanillinmandelsäure 87%, für Noradrenalin 93% und für Metanephrin 97%. Neben Verdünnungseffekten und renaler Vasokonstriktion vor allem bei paroxysmalen Verlaufsformen [17] sowie Fehlern beim Sammeln und Ansäuren können hier auch Sekretionsstörungen und Enzymdefekte des Tumors selbst eine Rolle spielen. So berichtet Manelli [18] über ein völlig asymptomatisches Phäochromozytom mit mehrfach negativen Katecholaminen im Sammelurin bei nachgewiesenem Enzymdefekt der Dopaminβ-Hydroxylase. Nur beim Vorliegen pathologischer Katecholaminwerte (positiver prädiktiver Wert bloss etwa 70% für Vanillinmandelsäure!) oder bei dringendem klinischen Verdacht werden weitere hormonelle Abklärungen empfohlen (Katecholamine im Serum während Attacken, Clonidin/Phentolamin-Hemmtest, Lokalisationsdiagnostik mittels 131-I-MIBG-Szintigraphie und selektiver venöser Blutentnahmen) [4, 12, 18]. Stimulationstests zur weiteren hormonellen Evaluation (z.B. mit Metoclopramid, Glucagon oder Tyramin) sind jedoch nicht ratsam, da sie recht riskant sein können (Todesfälle beschrieben). Bei unserer Patientin handelte es sich um einen sehr grossen (10҂7,6 cm) Tumor, was für Phäochromozytome relativ selten ist. Die Indikation zur operativen Entfernung wurde auf Grund der Grösse des Tumors gestellt. Anscheinend hat der Tumor zuwenig Katecholamine produziert/sezerniert, um symptomatisch zu werden und im Spoturin nachweisbar zu sein, jedoch genug, um bei der chirurgischen Manipulation eine adrenerge Krise zu verursachen. Gerade grosse Phäochromozytome neigen dazu, das produzierte Katecholamin innerhalb des Tumors zu metabolisieren, während kleinere einen niedrigeren «Turnover» haben und mehr Katecholamine in die Zirkulation abgeben [15, 19]. Dank der raschen Gefässligatur und Tumorentfernung, der kurzen Halbwertszeit der freigesetzten Katecholamine im Serum und der eingeleiteten β-Blockade normalisierten sich bei unserer Patientin die Kreislaufparameter glücklicherweise rasch. Die perioperative Therapie eines sezernierenden Phäochromozytoms ist in der Fachliteratur mehrfach beschrieben und gut etabliert [14, 15, 20–22]. Hingegen existieren in der von uns durchsuchten medizinischen Literatur bisher keine Empfehlungen oder Richtlinien über das perioperative Management eines hormonell nicht sezernierenden adrenalen Tumors (aus anästhesiologischer Sicht ist dabei in erster Linie das präoperativ stumme Phäochromozytom problematisch). Aus pathophysiologischen Überlegungen sollten präoperativ nicht sezernierende Phäochromozytome nur akute (medikamentös beherrschbare) Probleme verursachen (v.a. Hypertension/Tachykardie intraoperativ), da kein chronischer Katecholaminexzess mit nachfolgender Vasokonstriktion, Hypovolämie oder Kardiomyopathie vorliegt. Solche Patienten sollten aus diesen Gründen nach der Tumorentfernung auch keinen (üblicherweise bei Phäochromozytomen beobachteten) ausgeprägten Blutdruckabfall aufweisen, da wie bei unserer Patientin der Körper nicht an hohe Katecholaminspiegel gewöhnt ist und sich so keine Entzugssymptomatik einstellt. Aufgrund dieser Aspekte und der niedrigen Inzidenz von Phäochromozytomen unter den adrenalen Inzidentalomen (zumindest in unseren Breitengraden) scheint uns eine prophylaktische präoperative α-Blockade (wie beim präoperativ hormonell sezernierenden Phäochromozytom) nicht indiziert. Das Anstreben einer Normovolämie präoperativ sowie eine ad1037 Kasuistik Schweiz Med Wochenschr 1999;129: Nr 27/28 Tabelle 3 Mechanismus Beispiele Medikamente, die bei Phäochromozytomen eine hypertensive Krise auslösen können (modifiziert nach [21]). Histaminfreisetzung Morphin, Alcuronium, Atracurium vagolytischer oder sympathomimetischer Effekt Atropin, Gallamin, Pancuronium, Succinylcholin Myokardsensibilisierung für Katecholamine Halothan erhöhte Freisetzung oder gehemmter «re-uptake» von Katecholaminen DHBP, trizyklische Antidepressiva, Chlorpromazin, Glukagon, Ephedrin, Metoclopramid, Ketamin äquate Anästhesietiefe zur Verminderung der nozizeptiven Stimulation sind jedoch einfach durchführbare und wichtige Massnahmen bei diesen Patienten. Bei intraoperativ auftretenden Blutdruckspitzen empfehlen sich wie beim sezernierenden Phäochromozytom gut steuerbare Medikamente wie Phentolamin, Nitroprussid, Nicardipin und zur Behandlung allfälliger Tachyarrhythmien kurzwirksame Betablocker (z.B. Esmolol) oder Lidocain. Eine Blutdruckanhebung mit exogen zugeführten Katecholaminen nach der Tumorentfernung ist bei diesen Patienten aus oben genannten Gründen wahrscheinlich kaum je erforderlich. Über intraoperativ zu vermeidende Medikamente informiert Tabelle 3 [20–22]. Schlussfolgerungen 1 Griffing GT. Editorial: AIDS: the new endocrine epidemic. J Clin Endocrinol Metab 1994;79:1530–1. 2 Ambrosi B, Passini E, Re T, Barbetta L. The clinical evaluation of silent adrenal masses. J Endocrinol Invest 1997;20: 90–107. 3 Chidiac RM, Aron DC. Incidentalomas – a disease of modern technology. Endocrinol Metab Clin North Am 1997;26: 233–53. 4 Cook DM, Loriaux DL. The incidental adrenal mass. Am J Med 1996;101:88–94. 5 Copeland PM. The incidentally discovered adrenal mass. Ann Surg 1984;199:116–22. 6 Cotran RS. Adrenal cortex, adrenal medulla. In: Cotran RS, Kumar V, Robbins SL, editors. Robbins pathologic basis of disease. Philadelphia: WB Saunders Co; 1989. p. 1248–68. 7 Angeli A, Osella G, Ali A, Terzolo M. Adrenal incidentaloma: an overview of clinical and epidemiological data from the National Italian Study Group. Horm Res 1997;47:279–83. 8 Caplan RH, Kisken WA, Huiras CM. 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Insgesamt sind zufällig entdeckte Tumoren der Nebenniere ein – dank der neuen bildgebenden Verfahren – immer häufiger werdendes Problem. Eine exakte präoperative Evaluation des Patienten unter Berücksichtigung der relevanten Differentialdiagnose ist eine conditio sine qua non. Jedoch kann auch bei der in der Literatur empfohlenen Abklärung ein Phäochromozytom nicht immer 100% ausgeschlossen werden, weshalb man auf Überraschungen gefasst sein muss. Eine prophylaktische präoperative Gabe von α-Blockern bei jedem Patienten mit adrenalem Inzidentalom scheint jedoch in unseren Breitengraden (aufgrund der relativ niedrigen Inzidenz, der geringen Wahrscheinlichkeit, bei exakter Evaluation ein Phäochromozytom zu verpassen und der speziellen pathophysiologischen Situation) unserer Ansicht nach nicht indiziert. Literatur 1038