Fachwissen - Kinder mit Asperger

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Krenz, Armin (Hrsg.)
Handbuch für ErzieherInnen
SC
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in Krippe, Kindergarten, Kita und Hort
Ausgabe: 58
Thema: Umgang mit Kindern: Medizinische Probleme
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Titel: Kinder mit Asperger-Syndrom spezifisch fördern (33 S.)
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eDidact - Fachwissen
Asperger-Syndrom 19
Teil 3
Kinder mit Asperger-Syndrom
spezifisch fördern
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Inhaltsverzeichnis
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Dr. Brita Schirmer
1
Was ist das Asperger-Syndrom?
1.1 Auffälligkeiten in der Kommunikation
1.2 Das Sozial- und Kontaktverhalten
1.3 Das eingeschränkte Spektrum an Aktivitäten und Interessen
2
Ein Kind mit Asperger-Syndrom fördern
2.1 Das Spiel der Kinder mit Asperger-Syndrom
2.2 Die Integration in die Kindergruppe unterstützen
2.3 Social Stories und Comic Strip Conversation
2.4 Spezifische Lernvoraussetzungen
2.5 Strukturiertes Visualisieren
2.6 Zeit lassen und Pausen geben
2.7 Pädagogensprache kontrollieren
2.8 Individuelle Motivationssysteme nutzen
2.9 Intensive Zusammenarbeit mit den Eltern
3
Was sind entwicklungsfördernde Rahmenbedingungen der Förderung?
3.1 Räumliche Bedingungen
3.2 Zeitliche Bedingungen
4
Zusammenfassung
5
Literatur
1
Handbuch für ErzieherInnen, 58. Ausgabe
Schule, Kita, Seniorenbetreuung, Religion Interessierte: Handbuch, Nachschlagewerk, Hintergrundwissen
(c) OLZOG Verlag GmbH
eDidact - Fachwissen
19 Asperger-Syndrom
Teil 3
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Kai ist ein fünfjähriger Junge. Er besucht den Kindergarten noch nicht lange. Den
Erzieherinnen fällt auf, dass Kai wenig Kontakt zu den anderen Kindern aufnimmt. Meist
spielt er allein in einer Ecke mit seinen Matchboxautos. Dabei reiht er sie immer wieder in
einer bestimmten Reihenfolge auf. Er kennt alle Autotypen und kann sie auch benennen,
wenn man ihn fragt. Wenn aber andere Kinder mitspielen wollen und ein Auto in die Hand
nehmen oder seine Ordnung verändern, beginnt er wütend zu schreien.
Viel Zeit verbringt Kai auf der Toilette, wo er immer wieder die Spülung betätigt. Dabei
flattert er oft aufgeregt mit seinen Armen und manchmal hüpft er auch auf der Stelle.
Kai spricht gut, aber er sagt oft ungewöhnliche Dinge. Unbekannte Menschen fragt er
grundsätzlich nach ihrem Geburtsdatum, kann ihnen dabei aber nicht in die Augen sehen.
Auch die Begrüßung der Erzieherinnen fällt ihm sichtlich schwer.
Treten Veränderungen im gewohnten Tagesablauf auf, gerät Kai oft in Panik. Er beginnt
dann zu weinen und ist kaum zu beruhigen. Das geschieht auch, wenn seine Eltern ihn
früher als üblich vom Kindergarten abholen.
Die Erzieherinnen haben von Kais Eltern erfahren, dass er das Asperger-Syndrom hat. Was
ist das Asperger-Syndrom und wie können sie ihn optimal fördern?
1 Was ist das Asperger-Syndrom?
Das Asperger-Syndrom ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die genetisch bedingt
ist. Erziehungsfehler der Eltern führen nicht zu einem Asperger-Syndrom! Man versteht
es als eine leichte Form aus dem Spektrum autistischer Störungen. Namensgeber ist Hans
Asperger, ein österreichischer Pädiater (1906–1980), der die Symptomatik dieser Störung
im Jahre 1938 zum ersten Mal beschrieben hat (vgl. Asperger, H., 1938).
Das Asperger-Syndrom wird von einem Psychiater diagnostiziert. Er beobachtet das Kind
und spricht mit seinen Eltern. Folgende Merkmale sind dabei für die Diagnose zentral:
»A. Qualitative Beeinträchtigungen der sozialen Interaktion, die sich in mindestens zwei
der folgenden Bereiche manifestieren:
• ausgeprägte Beeinträchtigung im Gebrauch vielfältiger nonverbaler Verhaltensweisen,
wie beispielsweise Blickkontakt, Gesichtsausdruck, Körperhaltung und Gestik zur Steuerung sozialer Interaktionen,
• Unfähigkeit, entwicklungsgemäße Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzubauen,
• Mangel, spontan Freude, Interessen oder Erfolg mit anderen zu teilen (z.B. Mangel, anderen Menschen Dinge, die für die Betroffenen von Bedeutung sind, zu zeigen, zu bringen oder darauf hinzuweisen),
• Mangel an sozio-emotionaler Gegenseitigkeit.
B. Beschränkte, repetitive und stereotype Verhaltensweisen, Interessen und Aktivitäten
in mindestens einem der folgenden Bereiche:
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Schule, Kita, Seniorenbetreuung, Religion Interessierte: Handbuch, Nachschlagewerk, Hintergrundwissen
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Asperger-Syndrom 19
Teil 3
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• umfassende Beschäftigung mit einem oder mehreren stereotypen und begrenzten Interessen, wobei Inhalt und Intensität abnorm sind,
• auffällig starres Festhalten an bestimmten nichtfunktionalen Gewohnheiten oder Ritualen,
• stereotype und repetitive motorische Manierismen (z.B. Biegen oder schnelle Bewegungen von Händen oder Fingern oder komplexe Bewegungen des ganzen Körpers),
• ständiges Beschäftigen mit Teilen von Objekten.
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C. Die Störung verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Beeinträchtigungen in sozialen,
beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
D. Es tritt kein klinisch bedeutsamer allgemeiner Sprachentwicklungsrückstand auf (es werden z.B. bis zum Alter von zwei Jahren einzelne Wörter, bis zum Alter von drei Jahren kommunikative Sätze benutzt).
E. Es treten keine klinisch bedeutsamen Verzögerungen der kognitiven Entwicklung oder
der Entwicklung von altersgemäßen Selbsthilfefähigkeiten, im Anpassungsverhalten (außerhalb der sozialen Interaktion) und bezüglich des Interesses des Kindes an der Umgebung
auf.
F. Die Kriterien für eine andere tiefgreifende Entwicklungsstörung oder für Schizophrenie
sind nicht erfüllt« (Saß, H.; Wittchen, H. U.; Zandig, M.; Honben, I., 1998, S. 57 ff.).
Man kann also grundsätzlich davon ausgehen, dass drei Bereiche der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes beeinträchtigt sind: die Kommunikation, das Sozial- und
Kontaktverhalten und das Spektrum an Aktivitäten und Interessen.
Über die Häufigkeit des Asperger-Syndroms gibt es verschiedene Angaben. Man rechnet
etwa mit 1:280 bis 1:210 betroffene Menschen (vgl. Attwood, T., 2008, S. 58). Da durch
eine große Medienpräsenz des Themas die Allgemeinheit über das Syndrom zunehmend
besser informiert ist, werden in den letzten Jahren auch mehr Kinder mit dem AspergerSyndrom diagnostiziert. Eltern, Erzieher, aber auch Kinderärzte und Kinder- und
Jugendpsychiater wissen mehr über das Erscheinungsbild des Asperger-Syndroms und ziehen es bei auffälligem Verhalten eher in Erwägung.
1.1 Auffälligkeiten in der Kommunikation
Obwohl der Wortschatz und der Gebrauch der Grammatik im Wesentlichen altersgerecht
sind, gibt es doch bei Kindern mit Asperger-Syndrom ganz spezifische Auffälligkeiten in
der Kommunikation. Dazu gehören Probleme, die Mimik und Gestik anderer Menschen
zu verstehen. Generell besteht jede Aussage einer Erzieherin (also z.B. der Ruf »Bitte anziehen, wir wollen in den Garten gehen!«) nur zu einem geringen Teil aus deren verbalem
Inhalt, zu einem wesentlich größeren aus der Intonation (z.B. ob sie energisch, wütend oder
flehend ruft) und zu fast der Hälfte aus ihrer Mimik und Gestik. Meist unterstützt sie ihren
Appell mit einer weit ausladenden Geste oder zeigt schon mit dem Finger in die Garderobe.
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Handbuch für ErzieherInnen, 58. Ausgabe
Schule, Kita, Seniorenbetreuung, Religion Interessierte: Handbuch, Nachschlagewerk, Hintergrundwissen
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19 Asperger-Syndrom
Teil 3
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Ihr Gesicht kann eine freundliche Einladung, aber auch Unmut zeigen. Das Kind versteht
eine verbale Botschaft, indem es die nonverbalen Anteile, also die Intonation, Körpersprache usw., zur Interpretation der Aussage mit heranzieht.
Damit haben Kinder mit dem Asperger-Syndrom, wie Kai, Schwierigkeiten. Sie können
nonverbale Zeichen nicht »lesen«. Andere Menschen wiederum können ihre Körpersprache nicht verstehen. Die Folgen sind Verunsicherungen und Missverständnisse auf
beiden Seiten. Eine junge Frau mit Asperger-Syndrom erklärt ihre Probleme, selbst eine
erwartete Körpersprache zu zeigen:
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»Für mich ist es sehr schwer, mehrere Dinge auf einmal zu tun und Bewegungsteile
miteinander in einem Fluß zu verbinden. Gleichzeitig jemandem die Hand geben,
Blickkontakt suchen und dann noch ›Guten Tag‹ zu sagen, sind für mich zu viele verschiedene Dinge auf einmal, die ich nicht miteinander zu einer Einheit verbinden
kann. Für Normale ist der Ablauf der Begrüßung eine einzige, automatische
Bewegung. Sie müssen nicht bei jeder neuen Begrüßung überlegen, wie sie diese
fließende Geste neu zusammensetzen müssen. Ich habe dies alles nie richtig automatisiert.
Deshalb bin ich viel, viel langsamer als mein Gegenüber. So bin ich bei einer
Begrüßung immer noch beim Auftakt, während mein Gegenüber schon beim Ende
ist« (Empt, A., 1996, S. 27).
Diese Geste der Begrüßung wird vor allem durch Imitation gelernt. Damit eine Begrüßung
gelingt, ist es wichtig, die Hand zeitgleich mit einer anderen Person auszustrecken, zeitgleich die jeweils andere zu erfassen und zu schütteln.
Warum gelingt dies der jungen Frau mit Asperger-Syndrom nicht? Sie verweist mit ihrer
Darstellung auf ihre Schwierigkeiten bei der Herstellung eines Handlungsflusses. Jede
Handlung besteht aus einer Kette aufeinanderfolgender Bewegungen. Die zunächst voneinander unabhängigen Impulse verschmelzen im Laufe der Zeit infolge wiederholter
Übungen, so dass ein Handlungsfluss hergestellt wird. Verfestigt vorliegende Handlungen
laufen üblicherweise ohne Aufmerksamkeitszuwendung, schnell und ohne Anstrengung ab.
Bei der Begrüßung müssen die meisten Menschen der Bewegung ihrer Hand keine weitere
Aufmerksamkeit schenken. So bleibt ihnen ihre Aufmerksamkeit, um sich auf die
Reaktionen ihres Gegenübers konzentrieren zu können.
Viele Kinder mit dem Asperger-Syndrom können das nicht. Sie automatisieren einige
alltägliche Handlungen, wie die Begrüßung, das An- und Ausziehen, das Essen oder die
Körperhygiene nicht. In der Konsequenz sind sie dabei langsamer als andere Kinder, brechen die Handlungen ab, weil sie »den Faden verloren haben«, müssen sich sehr dabei
konzentrieren und können nicht mehrere Dinge gleichzeitig tun, wie z.B. die Hand geben und dabei noch jemanden ansehen.
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