Seite 1 1 Einleitung und Problemstellung Von den 20 Aminosäuren, die das Reservoir der Proteinbiosynthese des Organismus bilden, nimmt die Iminosäure Prolin eine Sonderstellung ein. Aufgrund der Rezyklisierung der aliphatischen Seitenkette zur Cα-Aminogruppe wird eine Struktur ausgeprägt, die einerseits durch ihre starre Konformation und andererseits durch das verstärkte Auftreten von cis-Isomeren bezüglich der Xaa-Pro-Bindung charakterisiert ist [YARON und NAIDER, 1993]. Darüber hinaus fungiert der Prolinstickstoff nicht als Donor für die Ausbildung von Wasserstoffbrücken. Prolylreste innerhalb von Aminosäuresequenzen sind für die Ausprägung struktureller Variabilität und erhöhter Hydrolysestabilität von Proteinen und Peptiden von Bedeutung [WILLIAMS und DEBER, 1991]. Prolinreiche Regionen wurden aber auch als essentielle Struktur- und Funktionselemente hinsichtlich Protein-Protein- und Protein-LigandInteraktionen beschrieben [WILLIAMSON, 1994]. Darüber hinaus enthalten die Aminosäuresequenzen zahlreicher biologisch aktiver Peptidhormone und Neuropeptide wie β-Casomorphine, Zytokine oder Substanz P einen oder mehrere Prolylreste, die für deren biologische Wirksamkeit essentiell sind [MENTLEIN, 1988]. Der Prozessierung prolinhaltiger Peptide, als wesentlichem Regulationsmechanismus ihrer physiologischen Aktivität [MENTLEIN, 1988], kommt daher eine besondere Bedeutung zu. Die Mehrheit der, in einer Vielzahl auftretenden, proteolytischen Enzyme ist jedoch nicht in der Lage, Peptidbindungen, an denen C- oder N-terminal ein Pro beteiligt ist, zu hydrolysieren. Diese für den Organismus signifikante Funktion wird daher von einigen wenigen auf den Prolylrest hochspezialisierten Proteasen, den prolinspezifischen Proteasen (Abb. 1), übernommen [YARON und NAIDER, 1993; VANHOOF et al., 1995; CUNNINGHAM und O’CONNOR, 1997]. Dipeptidylpeptidase II (EC 3.4.14.2) Dipeptidylpeptidase IV (EC 3.4.14.5) Prolylcarboxypeptidase (EC 3.4.17.16) Carboxypeptidase P (EC 3.4.16.2) H-Xaa-Pro-Xaa-Xaa-Xaa-Pro-Xaa-OH Aminopeptidase P (EC 3.4.11.9) Prolyloligopeptidase (EC 3.4.21.26) H-Pro-Xaa-Xaa-Xaa-Pro-Xaa-Xaa-Xaa-Pro-OH Leucinaminopeptidase (EC 3.4.11.1) Proliniminopeptidase (EC 3.4.11.5) H-Xaa-Pro-OH Prolidase (EC 3.4.13.9) HIV-Protease (EC 3.4.21.-) Angiotensin-Converting-Enzym (EC 3.4.15.1) H-Pro-Xaa-OH Prolinase (EC 3.4.13.8) Abb. 1 Substratspezifität prolinspezifischer Proteasen [nach YARON und NAIDER, 1993] 1 Einleitung und Problemstellung Seite 2 Die im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit stehende membrangebundene Dipeptidylpeptidase IV (DP IV, CD26, EC 3.4.14.5), als prolinspezifische Peptidase, ist aufgrund ihrer Multifunktionalität im Säugerorganismus (3.1.4) und ihrer nahezu ubiquitären Verbreitung (3.1.1) von großer Bedeutung. Die Erarbeitung eines Systems zum hochsensitiven Nachweis und zur spezifischen Differenzierung von DP IV-Aktivität auf Zelloberflächen erscheint daher relevant. Die Charakterisierung enzymatischer Aktivitäten ist an geeignete Enzymsubstrate gebunden. Die eingesetzten Proteasesubstrate bestehen aus einer für das Enzym spezifischen Erkennungsregion und aus einer chromogenen oder fluorogenen Gruppe, die nach enzymatischer Hydrolyse freigesetzt wird und aufgrund ihrer spektroskopischen Eigenschaften leicht nachgewiesen werden kann. Substrate mit chromogenen Gruppen wie dem p-Nitroanilid [NAGATSU et al., 1976], dem p-Phenylazoanilid [BARTH et al., 1974; KATO et al., 1979], dem 3,5-Dibromo-4-hydroxy-anilid [SHIBUYA-SARUTA et al., 1995] sowie dem als Fluorophor und Chromophor eingesetzten 4-Methoxy-2-naphtylamid [SCHARPE et al., 1988] oder dem 1- bzw. 2-Naphtylamid [GOSSRAU, 1985] aber auch Substrate mit fluorogenen Gruppen wie dem 7-Amino-4-methylcumarin [KOJIMA et al., 1979a] und dessen Derivate [LOJDA, 1996] oder dem 6-Aminochinolin [BRYNES et al., 1981] eignen sich für in vitro-Bestimmungen von Enzymaktivitäten. Für sensitive Untersuchungen enzymatischer Aktivitäten auf Zelloberflächen kommen chromogene Substrate aufgrund ihrer vergleichsweise geringen Nachweisempfindlichkeit nicht in Frage. Hinzu kommt, daß die für diese Zwecke ideale Meßtechnik der Durchflußzytometrie [WATSON, 1987] auf die Detektion von Fluoreszenzstreulicht beschränkt ist. Eine wesentliche Bedingung für die Anwendung der Durchflußzytometrie ist eine möglichst stabile Fluoreszenzmarkierung der Zelle, was Penetrations- oder Verankerungseigenschaften des nach der Substrathydrolyse freigesetzten Fluorophors in die oder an der Zelle voraussetzt. Diese Anforderungen erfüllen mit Einschränkungen jedoch nur sehr wenige fluorogene Gruppen. Darüber hinaus enthalten zahlreiche der in der Literatur erwähnten Enzymsubstrate Fluorophore, die im UV-Bereich des Lichtes (340-390 nm) angeregt werden (intramolekulare Quenchsubstrate [YARON et al., 1979], 4-Methoxy-2-naphtylamid [SCHARPE et al., 1988], 6-Aminonaphtalensulfonamid [KNIGHT, 1993; BUTENAS et al., 1997], 7-Amino-4methylcumarin [GALLAGHER et al., 1997], 7-Amino-4-methyl-2-chinolinon [NOULA et al., 1997]. Damit ist eine hohe zelluläre Autofluoreszenz verbunden [DAVIDSON und HILCHENBACH, 1990], die durch die in Zellen vorkommenden und ebenfalls im UV-Bereich des Lichtes angeregten Coenzyme NADH, NADPH, FAD und Pyridoxalphosphat [MULLINS, 1994] hervorgerufen wird. Hinzu kommt, daß die meisten in der klinischen Diagnostik eingesetzten Durchflußzytometer mit einem Argon-Laser (Wellenlängenbereiche um 488 nm und 514 nm) ausgerüstet sind, wodurch der Einsatz von im UV-Bereich des Lichtes angeregten Fluorophoren limitiert ist. Um das schnelle Abdiffundieren des β-Naphtylamins von der Zelle zu verhindern und gleichzeitig eine bathochrome Verschiebung der Emissionswellenlänge zu Seite 3 1 Einleitung und Problemstellung erreichen, entwickelten DOLBEARE und SMITH [1977] einen Assay, bei dem durch Reaktion des nach enzymatischer Hydrolyse freigesetzten aromatischen Amins (Chromogen) mit Nitrosalicylaldehyd ein in der Zelle stabiles Addukt mit einem Emissionsmaximum um 530 nm entsteht. Der Nachteil dieser Methode besteht jedoch in dem sehr schnellen Auskristallisieren des Addukts, was Zellschädigungen, verbunden mit einer hohen Hintergrundfluoreszenz des Mediums, zur Folge hat. Enzymsubstrate mit fluorophoren Gruppen, die im sichtbaren Bereich des Lichtes angeregt werden, wie das 7-Nitrobenz-2-oxa-1,3-diazol (475 nm, [LANCET und PECH, 1977]) oder das in biologischen Systemen bereits eingesetzte Kresylviolett (575 nm, [VAN NOORDEN et al., 1997]) sind durch schlechte Quantenausbeuten charakterisiert (0.24 und 0.40, [ISAK und EYRING, 1992]). Allein das Rhodamin 110-Molekül (R110, Abb. 2, 3.2) scheint alle Anforderungen zu erfüllen. Das Exitationsmaximum liegt bei einer Wellenlänge von 494 nm (Quantenausbeute = 0.91). Es besitzt zwei primäre Aminogruppen, über die mittels einfacher peptidchemischer Synthesemethoden, Proteasesubstrat- und Verankerungs-Strukturen eingeführt werden können. Es penetriert nach ASSFALG-MACHLEIDT et al. [1992] schnell in intakte Zellen, wo es eine stabile Fluoreszenz gewährleisten soll. Weitere vielversprechende Arbeiten von LEYTUS et al. [1983a, 1983b, 1984], ROTHE et al. [1992], und ULBRICHT et al. [1995] charakterisieren R110-Substrate als sensitive Substrate lysosomaler und anderer Proteasen, die unter Nutzung der Durchflußzytometrie gute Einsatzmöglichkeiten eröffnen. H2N O NH2 O C O Abb. 2 Darstellung des Rhodamin 110 Das Ziel der vorliegenden Arbeit bestand darin, nachweissensitive DP IV-Substrate auf der Basis des R110 zu synthetisieren und sowohl analytisch als auch enzymkinetisch zu charakterisieren. Zunächst waren ausgehend von den Arbeiten um LEYTUS et al. [1983a, 1983b, 1984] Substrate der Struktur Xaa-Pro-R110 und (Xaa-Pro)2-R110 mit Xaa als proteinogener Aminosäure variierender Hydrophobizität vorgesehen. Von Interesse war dabei, inwiefern sich die Größe des R110-Moleküls auf die kinetischen Konstanten der enzymatischen Hydrolyse durch isolierte DP IV im Vergleich zu den kinetischen Konstanten der Hydrolyse der Dipeptidp-Nitroanilide auswirkt. 1 Einleitung und Problemstellung Seite 4 Auf zellulärer Ebene sollte die Eignung der Verbindungen für die Bestimmung der DP IVAktivität von Immunzellen mittels Durchflußzytometrie untersucht werden. Eine mögliche Lokalisation der zellulären DP IV anhand der enzymkatalysiert freigesetzten Fluoreszenz der Hydrolyseprodukte unter Anwendung der Fluoreszenzmikroskopie wurde angestrebt. Darüber hinaus sollte untersucht werden, welchen Einfluß unterschiedlich hydrophobe Aminosäuren Xaa auf die Substrathydrolyse durch zelluläre DP IV haben. Von besonderem Interesse war die Bestimmung der Nachweisempfindlichkeit der Hydrolyse dieser Verbindungen im Vergleich zur Nachweisempfindlichkeit der Hydrolyse bekannter Dipeptid-p-Nitroanilide. Für die gezielte Bestimmung membranständiger DP IV-Aktivität war die Synthese von Substraten der Struktur Xaa-Pro-R110-Y (Xaa = Gly oder Ala und Y = funktionelle Ankergruppe) vorgesehen, mit deren Hilfe eine kovalente Fixierung der Substrate bzw. des nach enzymkatalysierter Hydrolyse freigesetzten Rhodaminfarbstoffes an der Zelle erreicht werden sollte. Dabei waren als Reste Y Ankergruppen vorgesehen, die sich sowohl in ihrer Reaktivität unterscheiden als auch eine im Sinne eines Spacereffektes variierende Kettenlänge aufweisen. Auf diesem Wege sollte die enzymatische Quantifizierung zellulärer DP IV und eine gezielte Differenzierung DP IV-reicher und DP IV-armer Immunzellen ermöglicht werden. Die Bestimmung der Enzymaktivität eines membrangebundenen Zelloberflächenenzyms würde für die Synthese von Substraten anderer membranlokalisierter Enzyme wie z.B. APN Ansatzpunkte liefern. Ausgehend von den bekannten Strukturen (Xaa-Pro)2-R110 bzw. Xaa-Pro-R110-Y könnten durch Variation des für das Enzym spezifischen Substratteils Xaa-Pro, diese Verbindungen anderen Enzymen zugänglich gemacht werden. Darüber hinaus wäre die Differenzierung zellulärer DP IV-Aktivität in Hinsicht der DP IV als Tumormarker oder der funktionellen Bedeutung der DP IV bei Autoimmunerkrankungen (3.1.4) innerhalb eines sensitiven Nachweissystems von klinischer Relevanz. Neben R110-Substraten sollten als Weiterführung der Arbeiten von HERMANNS [1995] markierte DP IV-Inhibitoren des Typs Lys-2-cyano-pyrrolidid synthetisiert werden. Als Markermoleküle waren Biotin und 4(5)-Carboxyfluorescein vorgesehen, die an der ε-Aminogruppe des Lysins eingeführt werden sollten. Neben einer enzymkinetischen Charakterisierung dieser Inhibitoren sollte deren hemmende Wirkung auf die Hydrolyse von Dipeptid-p-Nitroaniliden durch zelluläre DP IV untersucht werden. Darüber hinaus war eine zelluläre Enzymlokalisation mit Hilfe dieser Verbindungen unter Nutzung der Fluoreszenzmikroskopie vorgesehen.