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Florian Kraemer
Entzauberung
der Musik
Beethoven, Schumann und
die romantische Ironie
Wilhelm Fink
Publiziert mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für
Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein
Umschlagabbildung:
© Fotografie von Lutz Hammelmann
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© 2014 Wilhelm Fink Verlag, München
(Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn)
Internet: www.fink.de
Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München
Printed in Germany.
Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn
E-Book ISBN 978-3-8467-5594-5
ISBN der Printausgabe 978-3-7705-5594-9
INHALT
Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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GRUNDLAGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1.1 Musik und Ironie. Eine Standortbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2 Was ist „romantische Ironie“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2.1 Blickwinkel und Fluchtpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2.2 Das Parekbasemodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2.3 Rätselhaftes Selbstbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3 „Romantische Ironie“ in der Musik: Rahmenbedingungen . . . . . . . . .
1.3.1 Romantik – Moderne – Selbstreflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3.2 Forschungsstand – Methodische Vorüberlegungen . . . . . . . . . .
1.3.3 Der diskursgeschichtliche Einwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2
MUSIKALISCHE PAREKBASE.
VERSUCH EINER TYPOLOGIE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1 Prämissen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1.1 Zerstreute Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1.2 „Questa poi là conosco pur troppo!“
Spiele mit der Opernbühne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1.3 „Illusion“ und Parekbase in der Musik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1.4 Modellfall Heine: Grabreden und Nachspiele . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.1 Syntaktische Reduktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.2 Doppelhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.3 Versatzstück. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.4 Anti-Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3 Exkurs: „romantischer Humor“ und „romantische Ironie“
in der Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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INHALT
3
FALLSTUDIEN. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
3.1 Musikalische Hypertextualität: 33 Variationen suchen einen Autor . . .
3.2 „Das geistreiche Phlegma“. Beethovens Achte Symphonie . . . . . . . . . .
3.2.1 Heroischer Humor? Probleme der Rezeptionsgeschichte . . . . . .
3.2.2 Selbstreflexive Auswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.3 „Gemeinplätze“ und „Donnerkeile“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3 Schumanns sprachlose Poesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.1 „Masken“ und „lustige Kometen“. Schumanns Ironiebegriff . . .
3.3.2 „Dann ist das Märchen aus.“ Eine Poetik des Verstummens. . . .
3.3.3 Entzauberte Märchenwelt – erstarrte Romanze . . . . . . . . . . . . .
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EPILOG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Abgebildete Musikalien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Textquellen: Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
Verzeichnis der Notenbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
VORWORT
Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen des DFG-geförderten Forschungsprojekts Musikalische Selbstreflexion. Musik über Musik im 19. Jahrhundert am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität zu Köln. Sie wurde im Wintersemester
2011/12 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation
angenommen; die Disputation fand am 9.11.2011 statt.
Mein erster Dank gilt Prof. Dr. Wolfram Steinbeck, der mir die Gelegenheit
gegeben hat, über mehr als zwei Jahre im DFG-Projekt mitzuarbeiten und der
meine Forschungen nicht nur durch viele anregende Hinweise, sondern ganz
besonders auch durch seinen nie nachlassenden Sinn für Humor und Ironie unterstützt hat.
Den diskussionsfreudigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Dienstagskolloquiums danke ich für ihre kritischen, ideen-, wort- und inhaltsreichen Beiträge.
Die von Thomas Fischer und seinen Hilfskräften hervorragend organisierte Bibliothek des Musikwissenschaftlichen Instituts hat meine Forschungen erheblich
erleichtert. Christian Liedtke vom Archiv des Düsseldorfer Heinrich-Heine Instituts stellte mir freundlicherweise hauseigene Scans aus Schumanns Handexemplar
von Heines Buch der Lieder zur Verfügung. Dem Fink-Verlag danke ich für den
Druck dieser Dissertation, sowie für die unkomplizierte Kooperation. Für die
Gestaltung des Umschlagbildes bin ich Lutz Hammelmann zu besonderem Dank
verpflichtet.
Eine unerschöpfliche Quelle der Ermutigung war mir über meine gesamte Promotionszeit hinweg meine liebevolle Frau Anne, der ich dieses Buch widmen
möchte.
Wir sind dem Aufwachen nah, wenn wir träumen, daß wir träumen.
(Novalis)
DER HERR IM PARKETT. Ein Schwindel! Darauf fall’ ich nicht hinein! …
Das ist eines ernsten Theaters unwürdig!
DER DIREKTOR. (Vor dem Souffleurkasten) Mein Herr!
DER DICHTER. Auch ganz vorn, ringt die Hände.
DER HERR. (Weiter nach vorn gehend) Ich lasse mich nicht um den Schluß
betrügen! … (Zum Parkett) Es ist ja evident, dem Dichter ist kein Schluß
eingefallen – Der Skandal ist arrangiert.
DER DICHTER. Ich verbitte mir das!
DER HERR. Ach was! … Sie! … Sie kommen ja auch nur vor!
DER DICHTER. Oho!
DER DIREKTOR. Und Sie? … He! … Sie! … Wollen Sie mir einreden,
daß Sie ein wirklicher Theaterbesucher sind?
(Arthur Schnitzler, Zum großen Wurstel)
EINLEITUNG
Ironie verleiht der menschlichen Kommunikation Witz, intellektuellen Geist, Abgründigkeit und verborgenen Hintersinn – gerade diejenigen Eigenschaften, vor
denen man die Musik oft in Schutz nehmen wollte. Der Schumann-Biograph Richard Batka beispielsweise schrieb über Schumanns Heine-Vertonungen: „Die
Musik, wahrste unter allen Künsten, wäre gar nicht im Stande, ironische Stimmungen auszudrücken.“1 Die Musikwissenschaft hat diese Auffassung lange geteilt.
Zwar forderte Carl Dahlhaus bereits in den 1960er Jahren: „Kategorien wie Ambivalenz, Paradoxie, Ambiguität und Ironie, die in der Literaturkritik längst heimisch
sind, sollten es auch in der Musikästhetik werden.“2 Trotzdem wurde gerade die
„Ironie“ eher spät und zögerlich ins ästhetische Begriffsrepertoire der Musikanalyse
aufgenommen – insbesondere, was die Beschreibung von Instrumentalmusik betrifft (s.u., Kap.1.1). Die Ursache für diese Zurückhaltung mag nicht zuletzt in einem grundsätzlichen Unbehagen liegen, mit dem sich die Musikanalyse häufig
konfrontiert sieht: Einerseits erscheint es oft schwierig, der Instrumentalmusik als
begriffs- und objektloser Kunst „erklärend“ beizukommen; andererseits sind die
Emergenz von Unsicherheit und das Spielen mit dem „Verstehen“ essenzielle
Merkmale des Ironischen. Sollte man also angesichts einer Kunst, in der man schon
über das „Eigentliche“ nur mühsam sprechen kann, über das „Uneigentliche“ (Ironische) lieber schweigen?
Die vorliegende Studie ist von der Überzeugung getragen, dass der riskante Versuch, Ironie „erklären“ oder „verstehen“ zu wollen, sich für die Musikwissenschaft
nicht weniger lohnt als für andere Kunstwissenschaften: Ironie thematisiert spielerisch den Widerstreit zwischen der tatsächlichen Gestalt des ästhetischen Gebildes
und der Eigenleistung, welche die Rezeption dieser Gestalt entgegensetzen muss.
Damit aber berührt sie zentrale Fragestellungen, die letztlich jede Begegnung mit
Kunst betreffen. In der ironischen Ausdrucksform, so darf man vermuten (oder
zumindest hoffen), zeigt die Kunst selbst, was sie zur Problematik ihres Verstehens
beizutragen hat. „Ironie“ auf allzu enge Definitionen und Decodierungen festzulegen, hieße wohl, sie ihrer kreativen Seele zu berauben. Daher erhebt diese Untersuchung keineswegs einen Anspruch darauf, den einzig denkbaren musikalischen
Ironiebegriff zu vertreten. Vielmehr will sie die systematischen Rahmenbedingungen, innerhalb derer Theorieentwürfe zur musikalischen Ironie sich grundsätzlich
1 zitiert bei Synofzik 2006, S. 14
2 Dahlhaus 1967, S. 140
12
EINLEITUNG
zu verorten haben, ebenso ausmessen wie den möglichen Erkenntnisgewinn, den
eine musikwissenschaftliche Ironie-Studie verspricht (Kap. 1.1) – um dann eigene
Zugänge anzubieten, die sich denselben Rahmenbedingungen und erkenntnisleitenden Fragestellungen verpflichten.
Die Studie konzentriert sich auf eine ganz bestimmte Form der Ironie: die sogenannte „romantische Ironie“, die in Illusionsbrechungen z.B. in den Theaterstücken Ludwig Tiecks oder den Erzählungen E.T.A. Hoffmanns wirksam ist. In
Momenten, in denen der Autor die Bühne seines eigenen Stücks betritt oder in
denen die Figuren aus ihrer Rolle fallen, scheint sich die Illusion als „bloße“ Illusion zu demaskieren. In diesen Momenten ist unsicher, was zur Welt „innerhalb“ der
Illusion gehört und was zur Welt „außerhalb“, zur „Wirklichkeit“. Die Kunst setzt
so ihre eigenen Regeln und Bedingungen mit aufs Spiel und inszeniert in selbstreflexiver Brechung die Frage danach, was „Kunst“ von der Welt „außerhalb“ unterscheidet. Friedrich Schlegels Terminus „Parekbase“ (eine Kombination aus der
Rede ans Publikum „neben“ dem Stück, der „Parabase“, und einem Akt des sichüber-sich-selbst-Hinwegsetzens, der „Ekbase“) soll es im Rahmen der Untersuchung ermöglichen, die Porösität zwischen der „Innen“- und der „Außen“-Seite
ästhetischer Gebilde auch für die Analyse musikalischer Kunstwerke fruchtbar zu
machen. Im Lauf dieser Übertragung ist erstens zu klären, auf welche musikalische
„Illusion“ sich ironische Brechungen beziehen können (Kap. 2.1) und zweitens
darzulegen, welche musikalischen Gestaltungstechniken als Indikatoren dieser Brechung gelten können (Kap. 2.2).
Die Musikwissenschaft profitiert sowohl in historiographischer, als auch in
musikanalytischer Hinsicht vom Konzept der romantischen Ironie. Auf der Ebene
der Musikhistoriographie leistet das Konzept als Erscheinungsform musikalischer
Selbstreflexion einen wichtigen Beitrag zu einer qualitativen Bestimmung sowohl
der musikalischen „Romantik“, als auch der musikalischen „Moderne“ (Kap.
1.3.1). Auf der Ebene der Musikanalyse ermöglicht das Parekbasemodell einen
Blick „hinter“ die Grenzen des musikalischen Gebildes. Denn nicht alles, was phänomenologisch betrachtet zum selben Stück gehört, muss deswegen auch qualitativ
zum selben Stück gehören – man denke z.B. an den „scheiternden“ Beginn des
Finales in Haydns 60. Symphonie (vgl. Kap. 2.1.1). Eben diesen Spielraum eröffnet das Modell der musikalischen Parekbase: Es beschreibt eine Musik, die qualitativ unabhängig neben – oder sogar trotz – der „eigentlichen“ Musik existiert. In der
Oper, wo sich extra- und intradiegetische Musik gegenseitig berühren, thematisieren oder problematisieren können, sind vergleichbare Gestaltungstechniken ohne
allzu große Schwierigkeiten vorstellbar (Kap.2.1.2). Umso faszinierender wirkt
Carolyn Abbates Versuch, einen Symphoniesatz Gustav Mahlers mit denselben
Maßstäben zu messen: „Marsch“ und „Lied“ erscheinen in ihrer Lesart nicht allein
als kontrastierende Charaktere einer kohärenten Sonatenhauptsatzform, sondern
als zwei Musiken, die sich gegenseitig gleichsam „nicht hören“ können.3 Diesen
3 Abbate 1991, Kap.4
EINLEITUNG
13
innovativen Impuls nimmt das Modell der musikalischen Parekbase auf – es lenkt
das Augenmerk der Analyse auf diejenige Musik, die zwar im Notentext steht, aber
trotzdem „jenseits“ des Stücks erklingt.
1 GRUNDLAGEN
1.1 Musik und Ironie. Eine Standortbestimmung
Kann Musik ironisch sein? Als Max Schasler dieser Frage 1881 nachging, definierte er Ironie vorab als „eine gewisse Form des Ausdrucks – sei es durch das Wort, sei
es durch die Geberde – womit das Gegentheil von dem gesagt wird, was im Grunde gemeint ist.“1 Dass Musik diesen Anforderungen genügen könne, erschien ihm
unwahrscheinlich; vielmehr besteht Schasler darauf,
„daß strenggenommen eine Ironisirung der Musik nur dadurch möglich wird, daß
sie entweder durch das untergelegte Wort oder durch die dramatische Situation ein
konkretes Vorstellungsobjekt enthält, gegen das sie sich in ironischen Widerspruch
zu setzen vermag. Denn an sich, als reine Musik, bleibt sie völlig innerhalb der Sphäre der ganz allgemeinen (abstrakten) Empfindung; damit aber gebricht ihr auch das
nothwendige (konkrete) Substrat für die Form des ironischen Ausdrucks.“2
Aus heutiger Sicht mag Schaslers Aufsatz einen insgesamt recht unbedarften Eindruck hinterlassen;3 mit seiner Auffassung zum Verhältnis zwischen Musik und
Ironie ist er jedenfalls keineswegs allein geblieben. Ein Jahrhundert später kommt
Peter Rummenhöller zum selben Urteil:
„Die Musik selbst – sieht man von Äußerlichem, wie zitierenden Anspielungen,
Titeln oder karikierenden Verzerrungen ab – eignet sich als Medium der Ironie
insofern schlecht, als Ironie (komplizierte) Begriffsbildung verlangt, die der Musik
ja völlig abgeht.“4
Legt man denjenigen alltagssprachlichen Ironiebegriff zugrunde, der bei Schasler
ähnlich gebräuchlich ist wie heute, dann scheint „Ironie in der Musik“ also deswegen so schwer vorstellbar, weil Musik, um „ironisch“ zu sein, das „Gegenteil“ von
dem „meinen“ müsste, was sie „sagt“. Der Einwand lautet dann: Musik ist nicht in
der Lage, in derselben Form etwas zu „meinen“ oder zu „sagen“, wie die Sprache es
vermag, jedenfalls nicht hinreichend präzise, um das genaue „Gegenteil“ einer Äußerung darzustellen. Präziser ausgedrückt: Musik formuliert keine propositionalen
1
2
3
4
Schasler 1881, S. 385
ebd., S. 406
so die Kritik bei Tadday 1999, S. 152, Fn. 103
Rummenhöller 1989, S. 17
16
GRUNDLAGEN
Aussagen, weswegen ihr die ironietypische Negation des „Gemeinten“ durchs „Gesagte“ verschlossen bleibt.5
Ob dieser Einwand gegen die Möglichkeit von Ironie in der Musik stichhaltig
ist, hängt offenbar im Wesentlichen von der Definition von „Ironie“ ab, die ihm
zugrunde liegt (und ebenso von der Definition von „Musik“, s.u., S. 24ff.). Das bei
Schasler und Rummenhöller angeführte Begriffsverständnis bildet nämlich in
Wahrheit nur einen Teilbereich aus einem in historischer und systematischer Hinsicht weitaus breiteren, reicheren Spektrum dessen, was „Ironie“ sein kann. Der
folgende kurze Ausblick in die Begriffsgeschichte soll dieses Spektrum provisorisch
ausleuchten.6
In der aristophanischen Komödie begegnet der Begriff εìρων (eiron) als Schimpfwort und bezeichnet einen verschlagenen, hinterhältigen Charakter, der Andere
listig täuscht, um seine eigenen Ziele zu erreichen. Die genauere Etymologie von
εìρων ist allerdings nicht gesichert.7 Im platonischen Dialog wird Sokrates von
seinen Gesprächspartnern, die seiner vorgeblichen Ahnungslosigkeit misstrauen,
mit dem Begriff εìρωνεία in Verbindung gebracht. Die auch heute noch gängige
Rede von der „sokratischen Ironie“ bezeichnet daher ein „sokratisches“ Gesprächsverhalten, in dem der Fragende (Sokrates) seine eigene Unwissenheit vorspielt, um so die eigentliche Unwissenheit dessen, den er befragt, zu enthüllen.8
Mit der Aufwertung der Rolle Sokrates’ streift der Begriff im Lauf der Antike allmählich seinen pejorativen Beigeschmack ab und hält Einzug in die Rhetorik.
Quintilian, der εìρωνεία als „ironia“ ins Lateinische einführt, befestigt zugleich
die rhetorische Definition, die bis in die Neuzeit hinein verbindlich geblieben ist
und als „rhetorische Ironie“ bezeichnet werden kann: Ironie ist für ihn eine codierte Form der Verständigung, bei der „das Gegenteil von dem zu verstehen [ist], was
ausgesprochen wird.“9
In die deutsche Sprache fand der Ironiebegriff allerdings vergleichsweise spät
und zögerlich Eingang: Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts tritt er in
deutschen Wörterbüchern als gebräuchlicher Terminus auf.10 Als umso bedeutender muss die Neubestimmung des Begriffs gelten, die Friedrich Schlegel um 1800
vornahm. Schlegel stellte der rhetorischen Ironie einen Ironiebegriff gegenüber, der
bestimmte poetologische Strategien in literarischen Werken kennzeichnen sollte
und von der frühromantischen Rezeption der Selbstbewusstseinsphilosophie Johann Gottlieb Fichtes geprägt war. Auf den literaturwissenschaftlichen Begriff „ro5 vgl. auch Lissa 1969, S. 125f.; Stille 1990, S. 266.
6 vgl. hierzu die ausführlichen Darstellungen bei Despoix / Fetscher 2001, Behler 1998, Behler 1972, Behler 1997, Frank 1978, Papiór 1989.
7 Eine neuere Theorie vermutet den Ursprung des attischen „εìρων“ im spartanischen Begriff ìρήν, der seinerseits im Zusammenhang mit Täuschungsmanövern in paramilitärischen Übungen der spartanischen Soldatenausbildung stand (Opsomer 1998, S. 4, Fn. 11).
8 Platon führte den Begriff aber wahrscheinlich nicht in dieser Funktion ein, vgl. Opsomer
1998.
9 zitiert bei Despoix / Fetscher 2001, S. 205.
10 vgl. Papiór 1989, Kap.2.
MUSIK UND IRONIE. EINE STANDORTBESTIMMUNG
17
mantische Ironie“, der an Schlegel anknüpft und im Zentrum der vorliegenden
Untersuchung stehen soll, wird noch gesondert einzugehen sein (s.u., Kap.1.2). Im
Anschluss an Schlegel wurde der Ironiebegriff in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Gegenstand hitziger philosophisch-literarischer Debatten, die im Nachhinein nur äußerst mühsam zu entwirren sind. Da nahezu jeder Akteur der Debatte (K.W.F. Solger, G.W.F. Hegel, S. Kierkegaard) seinem jeweiligen Vorgänger
erhebliche Unschärfen in der Definition von „Ironie“ vorwerfen konnte, ist es allerdings nicht immer klar, inwiefern sich die Diskussion überhaupt auf einen gemeinsamen Gegenstand bezog.11
Eine Begriffsprägung, die insbesondere im englischen Sprachraum folgenreich
gewesen ist, hat Connop Thirlwall vorgenommen, der 1833 in Sophokles’ Tragödien eine „tragische Ironie“ am Werk sah, die sich besonders deutlich am Beispiel des
Ödipus veranschaulichen lässt: In dem Glauben, sein Geschick frei bestimmen zu
können, trifft der Protagonist des Dramas gerade diejenigen Entscheidungen, die
ihn zum Opfer seines eigenen Schicksals werden lassen. Begriffsprägungen wie
„dramatische Ironie“ und „Ironie des Schicksals“ sind der „tragischen Ironie“ der
Sache nach ebenso verwandt wie Heinrich Heines Vorstellung von einer „Weltironie“, in der die gesamte Menschheit in der Ironie des eigenen Schicksals befangen
bleibt, eine Ironie, die nur vom „externen“ Standpunkt Gottes, des Zuschauers
gegenüber der Welt-Bühne, erfasst werden kann. Im 20. Jahrhundert war der Ironiebegriff einer schier unübersehbaren Vielfalt an Variationen und Neufassungen
unterworfen, von denen sich der im amerikanischen New Criticism aufgekommene Begriff der „strukturellen Ironie“ als besonders einflussreich auf postmoderne
Literaturtheorien erwies: Bei Cleanth Brooks bezeichnet „Ironie“ die prinzipielle
Mehrdeutigkeit einzelner Elemente im dichterischen Kunstwerk, deren Funktion
sich erst aus dem „Druck“ ihres Kontextes heraus erschließt.12 In diesem extrem
weiten Begriffsverständnis wird „Ironie“ allerdings letztendlich „mit der künstlerischen Form [schlechthin] identisch“.13
Da die eingangs dargelegten Bedenken gegen die Möglichkeit von Ironie in der
Musik offenbar ausschließlich das Phänomen der rhetorischen Ironie betreffen
(noch dazu eine eher verengte Fassung derselben, s.u.), wäre es bereits an dieser
Stelle denkbar, sich weitere mühsame begriffssystematische Diskussionen zu ersparen und unmittelbar zur Erläuterung des (ohnehin ausreichend komplizierten)
Begriffs „romantische Ironie“ überzugehen. Zwei Gründe sprechen jedoch dafür,
das Verhältnis von „Musik“ und „Ironie“ etwas genauer zu beleuchten. Erstens gewinnt eine musikwissenschaftliche Untersuchung zur „romantischen“ Ironie einige
Verständlichkeit, wenn sie eine Vermittlung zwischen ihrem Spezialgebiet und all11 de Man 2008, S. 164.
12 Brooks 1951; Brooks 1973
13 Behler 1998, Sp. 623. Brooks ist sich der drohenden Problematik einer zu breiten Begriffsbedeutung durchaus bewusst, erklärt aber, keinen besseren Begriff als den der „Ironie“ zur
Verfügung zu haben, um seine These von der essenziellen Kontextabhängigkeit aller dichterischen Äußerungen auf den Begriff zu bringen, vgl. Brooks 1951, S. 732.
18
GRUNDLAGEN
gemeinen, möglicherweise auch vortheoretischen Intuitionen zum Begriff „Ironie“
herzustellen vermag. Andernfalls drohte ihr nämlich der Verdacht, die Faszinationskraft des Ironiebegriffs gleichsam parasitär zu verwenden, d.h. nur um Sachverhalte beschreiben, die mit dem, was „man“ anscheinend gewöhnlich unter „Ironie“
versteht, in Wahrheit kaum mehr als den Namen gemeinsam haben (s.u., S. 47f.).
Zweitens erscheint es gerade angesichts der Annäherungen, die in der Musikwissenschaft an das Thema „Musik und Ironie“ bereits unternommen worden sind
(s.u.), angebracht, einem weiteren Entwurf (wie dieser Studie) eine Besinnung auf
die ästhetischen Grundfragen vorauszuschicken, innerhalb derer Theorie-Entwürfe
zur „musikalischen Ironie“ sich immer schon verorten müssen. Es wäre nicht der
schlechteste Nebeneffekt der folgenden Überlegungen, wenn sie hilfreiche Denkanstöße für die Konturierung musikbezogener Ironiebegriffe auch jenseits der
romantischen Ironie anbieten könnten.
Die Frage nach den systematischen Prämissen, unter denen die Möglichkeit
„musikalischer Ironie“ diskutiert werden kann, sieht sich mit der Schwierigkeit
einer systematischen Definition von „Ironie“ konfrontiert: Gibt es tatsächlich eine
konstante Grundbedeutung von „Ironie“, die auf alle historisch überlieferten Einzelausprägungen des Begriffs problemlos zutrifft? Die eben skizzierte historische
Bedeutungsvielfalt von „Ironie“ scheint in dieser Frage eher zur Skepsis zu mahnen.14 Auf welcher theoretischen Grundlage kann dann aber nach „Ironie in der
Musik“ gesucht werden? Eine pragmatische Lösung dieses Problems besteht darin,
nicht nach einer allgemeinverbindlichen Definition von „Ironie“ zu suchen, sondern vielmehr nach einzelnen zentralen Merkmalen, die einerseits möglichst viele
der historisch belegten Ironiebegriffe charakterisieren, andererseits in ihrer Übertragung auf die Musikanalyse einen relevanten Erkenntnisgewinn versprechen. Im
Folgenden soll ein Lösungsweg vorgestellt werden, der sich diesen Herausforderungen stellt, wobei freilich offen bleibt, ob nicht auch andere Lösungswege denkbar
sind.
Ein wichtiger Hinweis auf der Suche nach breitenwirksamen Charakteristika der
„Ironie“ lässt sich Friedrich Schleiermachers Platon-Übersetzung entnehmen, die
den Begriff εìρωνεία mit „Verstellung“ wiedergibt.15 In der Tat sind die meisten
Ausprägungen der „Ironie“ ohne irgendeine Form von „Verstellung“ nicht denkbar: Der εìρων bei Aristophanes verbirgt seine wahren Motive, Sokrates spielt
Unwissenheit vor, der ironische Redner äußert das Gegenteil dessen, was er eigentlich meint und in der tragischen Ironie verstellt sich das Schicksal gegenüber dem
Individuum, das ihm ausgeliefert ist. Doch der Begriff „Ironie“ bringt gewöhnlich
mehr ins Spiel als nur die „Verstellung“ an sich: Er bezeichnet „eine Verstellung, die
zugleich ihre Entlarvung provoziert.“16 So, wie die Täuschung des ironischen Redners nur eine „fiktive“ ist – er rechnet ja gerade damit, dass seine Verstellung durch14 vgl. Muecke 1970, S. 7f.; Opsomer 1998, S. 2f.
15 s.a. Behler 1997, S. 26.
16 Preisendanz 1970, S. 92. Diese Bestimmung trifft auf die Semantik der griechischen Wurzel
εìρων / εìρωνεία allerdings nicht ohne Einschränkungen zu, vgl. Opsomer 1998, S. 18f.
MUSIK UND IRONIE. EINE STANDORTBESTIMMUNG
19
schaut wird –, so kann z.B. die Tragik des Dramas erst aus der Außenperspektive
(des Zuschauerraums), welche die „Verstellung“ des Schicksals durchschaut, als
„Ironie“ erkannt werden. Dass Ironie eine durchschaubare Verstellung beinhaltet,
bedeutet ferner, dass sie ein kritisches Verhalten der Rezipienten voraussetzt, die
der vorgeführten „Täuschung“ das entgegenzusetzen vermögen, was „eigentlich“
der Fall sein sollte. Der Begriff der Ironie impliziert offenbar ein gewisses Normbewusstsein: Wer im rhetorischen Sinne ironisch „p“ sagt, meint in Wahrheit nicht
nur „nicht-p“, sondern weist zugleich vor allem darauf hin, dass „eigentlich“ p der
Fall sein sollte. Ähnliches kann für die „Situationsironie“ geltend gemacht werden,
die gewissermaßen das alltagssprachliche Substrat der „tragischen Ironie“ darstellt.
Denn wer es für „ironisch“ hält, dass p der Fall ist, der meint damit, die Situation
p sei gleichsam ausgerechnet deswegen eingetreten (bzw. das „Schicksal“ habe
p eintreten lassen), um zu demonstrieren, dass „eigentlich“ nicht-p der Fall sein
sollte.17
Versteht man unter Ironie eine Verstellung, die in ihrer Durchschaubarkeit die
Distanz zwischen dem vorführt, was geäußert wird (bzw. was der Fall ist) und dem,
was „eigentlich“ geäußert werden sollte (bzw. was „eigentlich“ der Fall sein sollte),
so erhält man zwar vielleicht keine vollständige, verbindliche Definition von „Ironie“, wohl aber eine Beschreibung von Merkmalen, die für mehrere ideengeschichtlich bedeutenden Ironiebegriffe charakteristisch sind. Aus dieser Beschreibung
ergeben sich bereits zwei methodische Konsequenzen, die für die Frage nach der
Möglichkeit musikalischer Ironie von Bedeutung sein werden.
Erstens ist Ironie, näher betrachtet, keine Eigenschaft propositionaler Sätze –
wovon die eingangs zitierten Positionen zur (Un)Möglichkeit musikalischer Ironie
ausgegangen waren (s.o., S. 15f.) –, sondern vielmehr eine Form des Verhaltens.
Dies ist für die „sokratische“ Ironie, die ja ein Gesprächs-Verhalten bezeichnet,
ebenso evident wie für die „tragische Ironie“, die mit Verhalten dramatischer
Akteure befasst ist, gilt aber im Grunde genommen auch für die rhetorische Ironie,
die bereits in der antiken Rhetorik als „eine Redeweise“ definiert wird, „die einen
Sachverhalt durch sein Gegenteil ausdrückt, in Verbindung mit einer ausdrucksvollen Betonung oder Haltung.“18 Denn um eine Äußerung als „ironisch“ zu verstehen, bedarf es ergänzender Hinweise, die ihrerseits nicht allein aus der Aussage
selbst hervorgehen können. Es liegt folglich nahe, solche „Ironiesignale“ in der
performativen Situation der Äußerung zu verorten, statt in ihren propositionalen
Gehalten – eine Strategie, der noch Johann Christoph Gottscheds Ausführliche
Redekunst von 1736 folgte.19 Eine ähnliche Klassifikation (nicht nur) der rhetori17 vgl. Miller 1976, ferner die theoretischen Vorüberlegungen bei Zemach / Balter 2007.
18 So die Bestimmung bei Tryphon von Alexandrien, zitiert bei Frank 1989, S. 344.
19 Gottsched versteht Ironie als „Gattung der verblümten Redensarten“ und erklärt: „Auch
hier hat es Statt, daß die Wörter neue Bedeutungen bekommen: indem man in der Ironie
gerade das Gegentheil von dem saget, was man denket. Der Zuhörer muß es aber aus den
Umständen schon wissen; oder aus dem Tone der Sprache abnehmen können, wie es gemeynet ist.“ (zitiert bei Despoix / Fetscher 2001, S. 212f.)
20
GRUNDLAGEN
schen Ironie ergibt sich auch aus linguistischer Perspektive: Im Anschluss an Paul
Grices Konversationslogik20 hat es sich als ergiebig erwiesen, „Ironie“ in einer spezifischen Konstellation von Sprechakten zu lokalisieren, bei der bestimmte Kooperationsprinzipien, die gewöhnlich jeder Kommunikationssituation zugrunde liegen, in einer „simulierten Unaufrichtigkeit“ vorübergehend außer Kraft gesetzt
werden und von den Rezipienten auf eine implizierte Intention zurückbezogen
werden müssen.21 Auch hierbei ist „Ironie“ nicht als Eigenschaft des geäußerten
Textes zu verstehen, sondern vielmehr als Eigenschaft des Verhaltens derjenigen, die
an der Kommunikation beteiligt sind.22
Zweitens ist eine graduelle Abgrenzung der „Ironie“ gegenüber den Begriffen
„Satire“ und „Parodie“ zumindest in Grundzügen greifbar. „Satire“ und „Parodie“
scheinen transitive Begriffe zu sein: Eine „Satire“ / „Parodie“ ist gewöhnlich Satire
/ Parodie von etwas anderem (z.B. einem Werk oder einem Stil); folglich fasst
Gérard Genette beide Begriffe als Typen „hypertextueller“ Bezugnahmen auf.23
Essenziell für das „ironische“ Verhalten ist dagegen nicht so sehr die Kopräsenz
eines Anderen (auf das satirisch oder parodistisch Bezug genommen wird), sondern
vielmehr die Absenz eines Eigenen, nämlich das Verschweigen dessen, worauf die
ironische Botschaft eigentlich abzielt. Trotzdem (oder vielmehr: gerade deshalb) ist
es im Einzelfall problemlos denkbar, dass Satire (bzw. Parodie) und Ironie koinzidieren können, bzw. dass Satire als Modus der Ironie oder umgekehrt Ironie als
Modus der Satire fungiert.
Auf diesen Ergebnissen aufbauend, seien nun einige Überlegungen zu den
potenziellen ästhetischen Funktionen ironischer Strategien bzw. ironischer Ausdruckshaltungen skizziert. An dieser Stelle können solche Überlegungen zwar
höchstens den Status spekulativer Ausblicke beanspruchen; trotzdem kommt ihnen
im Rahmen der Frage nach „Ironie in der Musik“ eine wichtige Funktion zu. Da
die vorliegende Untersuchung nämlich die Übertragung eines Konzepts außermusikalischen Ursprungs auf die Musik inauguriert, scheint es angezeigt, den absehbaren hohen methodischen Folgekosten dieser „Fusion“ eine Vorkalkulation ihrer
zu erwartenden Gewinnspanne entgegenzusetzen: Zu fragen ist nicht nur, ob (und
wie) „Ironie in der Musik“ nachweisbar ist, sondern vor allem auch, warum nach
ihr gesucht werden soll. Bereits vorab sind mindestens drei Funktionen der Ironie
denkbar, die sich für die Musikwissenschaft als fruchtbar erweisen könnten.
Erstens rückt Ironie die Rolle der Rezipienten ins Zentrum der Kunst. Zwar
sind alle ästhetischen Konzepte auf ein Publikum angewiesen, das entsprechende
Verstehens-Leistungen vollzieht. Die Ironie jedoch, deren Ausdruckspotenzial
gerade auf ihrem Nicht-Sagen, auf ihrer verschwörerischen Verschwiegenheit be20 Grice 1989
21 Lapp 1992; vgl. hierzu ferner die Darstellung bei Opsomer 1998, S. 18-31, die zugleich einen detaillierten Abgleich mit dem antiken εìρωνεία-Begriff vornimmt.
22 Brown 1980, S. 115: „Verbal irony is not a property of linguistic objects, but of linguistic
acts.“
23 Genette 1993
MUSIK UND IRONIE. EINE STANDORTBESTIMMUNG
21
ruht, trägt ihre Abhängigkeit vom verstehenden Rezipienten förmlich auf der Zunge. Denn in dem Maße, in dem es den Rezipienten überlassen bleibt, gegen den
offenkundigen Anschein das „eigentlich“ Gemeinte aus dem Werk „herauszulesen“, inszeniert die Ironie, frei nach Roland Barthes, den „Tod des Autors“ und
somit zugleich die „Geburt des Lesers“. In der Unbestimmtheit der Ironie, die
nämlich immer auch im Auge des Betrachters liegen muss, besteht zugleich ihr
Abgrund: Einmal in Gang gesetzt, vermag das Misstrauen des Rezipienten prinzipiell alles als „ironisch“ aufzufassen.24
Zweitens kann das ironische Hintergehen der gewöhnlichen Kommunikationsspielregeln eine Aussage über dieselben Spielregeln, bzw. über die aktuale Kommunikationssituation implizieren. Heinrich Heine erkannte beispielsweise in der
„humoristischen Ironie“, die er in der literarischen Produktion seiner Zeit vorfand,
„ein Zeichen unserer politischen Unfreiheit“:25 Was nicht offen gesagt werden darf,
wird ironisch ausgedrückt – und somit gleichsam im Modus des Schweigens wieder
ausgesprochen. Andererseits verweist die Ironie in Heines eigener Lyrik auf das
Ungenügen lyrischer Sprache und kritisiert so wiederum diejenige Kommunikationssituation, der sie selbst zugehört (s.u., Kap.2.1.4; 3.3). In der Ironie werden Probleme der aktualen Kommunikationssituation nicht beschrieben, sondern
ausgedrückt. Im Umkehrschluss ließe sich der ironischen Kunst folglich eine Beschreibung (bzw. Bewertung) der Kommunikationssituation entnehmen, in der sie
steht.
Drittens hängen die Funktionen der Ironie im Wesentlichen von der Ambiguität ab, die ihr zugrunde liegt. Das ironische Lob und der ironische Tadel können
eine wohlwollende Haltung vermitteln und zugleich Kritik üben (oder umgekehrt).26 Diese Ambiguität allerdings könnte nicht nur Mittel, sondern auch Zweck
der Ironie als ästhetischer Ausdrucksstrategie sein: Indem Ironie das, was sie ausdrückt, zugleich verschweigt, eröffnet sie der Kunst eine zweite Sinnebene der
Kommunikation und bereichert so die Rezeption um einen „alternativen“ Raum
der ästhetischen Erfahrung. In dieser Ambiguität eignet der Ironie ein spielerisches
Moment, ein Rätselcharakter, der auf eine spezielle Form intellektuellen Vergnügens abzielt.27
Nach diesen Vorüberlegungen zur Ironie als ästhetischer Ausdrucksform wäre
nun der Anwendungsfall „Musik“ ins Auge zu fassen. Auf Robert Schumanns
Musikkritiken, in denen mehrere der eben skizzierten ästhetischen Funktionen von
24 Besonders Paul de Man war von diesem Aspekt fasziniert (de Man 2008); vgl. ferner Muecke 1970, S. 43f.: „there is nothing that a ‚polemically developed‘ ironist with a well-stored
mind could not see as ironic if he wished […] while we may legitimately question whether
or not something has been said or done with ironical intent, we cannot question anyone’s
right to see something as ironic. We may question his sense or taste though.“
25 HSA 8,62 [Fn.]
26 s.a. Miller 1976.
27 Opsomer 1998, S. 31
22
GRUNDLAGEN
„Ironie“ zur Sprache kommen, wird später einzugehen sein;28 an dieser Stelle interessiert vor allem, unter welchen systematischen Rahmenbedingungen man von
„musikalischer Ironie“ sprechen kann. Wenn Ironie nicht zwingend als Eigenschaft
propositionaler Aussagen, sondern vielmehr als eine Form des Verhaltens aufzufassen ist, wird die Möglichkeit von „Ironie in der Musik“ zumindest in Grundzügen
plausibel. Denn selbst wenn Musik keine propositionalen Aussagen darzustellen
vermag, so ist es doch keineswegs abwegig, von „täuschenden Verhaltensweisen“ in
der Musik zu sprechen.29 Namentlich die Instrumentalmusik Joseph Haydns war
bereits bei ihren Zeitgenossen für ihre raffinierten Täuschungen und Abwege
bekannt, die – ebenso wie verschiedene Spielarten der Ironie – kritisch mitdenkende, gewissermaßen „proaktive“ Rezipienten erfordern.30
Täuschung und Irreführung sind allerdings nur Voraussetzungen des ironischen
Verhaltens. Um in einem verbindlicheren Sinn von „musikalischer Ironie“ sprechen zu können, müssen mindestens zwei methodische Rahmenbedingungen
geklärt werden. Auf ästhetischer Seite ist erstens der eigene Ironiebegriff genauer zu
spezifizieren: Wer „verstellt“ sich gegenüber wem, worin genau besteht die Verstellung und welchen Zweck verfolgt sie? Auf analytischer Seite ist zweitens darzulegen, welche musikalischen Gestaltungstechniken aus welchen Gründen die Kriterien des jeweils gewählten Ironiebegriffs erfüllen. Esti Sheinberg, die eine ähnliche
Forderung erhebt, kommt bei ihrer Auswertung der bisher unternommenen Annäherungen an das Problemfeld „musikalischer Ironie“ zu einem recht ernüchternden
Ergebnis:
„In spite of this apparent abundance, the analyses quite often lack not only explicit
criteria fort the depiction of musical irony, but also any definition of what they actually mean by ,irony‘, consequently ending with a confused set of terms that overlap
and inconsistently replace each other […].“31
In der Tat führen Versuche, den Ironiebegriff musikanalytisch auszubuchstabieren,
schnell in Aporien. In verschiedenen Theorieansätzen zur musikalischen Ironie
28 Musikalische „Ironie“ kennt Schumann sowohl als intellektuell hintergründiges Spiel, als
auch als Verdachtsmoment des misstrauischen Rezipienten, sowie als Kritik der musikalischen Kommunikationssituation (s.u., Kap.3.3.1).
29 Peter Gülke erhob hiergegen Bedenken: „Weil Musik, mit Nelson Goodman zu reden, mehr
exemplifiziert als denotiert, sind ihre doppelbödigen Möglichkeiten begrenzt. Ohne doppelten Boden gibt es aber keine Ironie.“ (Gülke 2010, S. 114) Die Logik dieses Arguments
bleibt jedoch unklar. Denn die Exemplifikationsfunktion geht für Goodman gerade nicht
eindeutig aus der exemplifizierenden „Probe“ selbst hervor, sondern ist vielmehr von kulturellen Konventionen und den Kontexten der Exemplifikation im Einzelfall abhängig
(Goodman 1997). Im Rahmen von Goodmans Theorie ist es daher problemlos denkbar,
dass die Frage, was eine bestimmte Musik exemplifiziert (z.B. welchen Stil, welches Genre
etc.), im Einzelfall mehrdeutig sein kann. Auch wenn Mehrdeutigkeit noch nicht dasselbe
ist wie Ironie, so bildet der „doppelte Boden“ doch offenkundig eine essenzielle Voraussetzung des Ironischen.
30 vgl. z.B. Wheelock 1992.
31 Sheinberg 2000, S. 60
MUSIK UND IRONIE. EINE STANDORTBESTIMMUNG
23
spielt z.B. der (naheliegende) Begriff des „Gegenteils“ eine gewichtige Rolle. Was
aber könnte diesem Begriff in der Musikanalyse entsprechen? Sind Tanz- und Liedformen tatsächlich das „Gegenteil“ der Sonatenform, wie Robert Samuels es in
seiner Mahler-Studie vorschlägt?32 Da Fragen dieser Art bisher keineswegs erschöpfend beantwortet sind, soll hier zumindest kursorisch auf einige der vielfältigen
Bemühungen hingewiesen werden, welche die Musikwissenschaft in neuerer Zeit
in der Theoriebildung zur musikalischen Ironie unternommen hat.
Robert Hatten skizzierte in seiner semiotischen Untersuchung zur Konstitution
musikalischer Bedeutung eine Theorie der „musikalischen Metapher“, aus der er
auch ein Konzept musikalischer Ironie ableitete.33 Die musikalische Metapher entsteht laut Hatten aus der Kombination heterogener musikalischer Bedeutungskorrelationen, die für sich jeweils „stabil“ sind und im Prozess ihrer Kombination eine
eigene, synthetisierende Interpretationsleistung erfordern. Ironie sei nun als eine
Art Spezialfall der Metapher zu denken, nämlich als „intentionale Unangemessenheit“, in der die fraglichen Bedeutungskorrelationen diametral entgegengesetzt
sind, so dass ihre Synthese unmöglich bleibt und der Widerspruch selbst bedeutungstragend wird.34 Esti Sheinberg knüpfte in ihrer Schostakowitsch-Studie explizit an Hattens semiotische Überlegungen an und fasste Ironie als „strukturellen
Prototyp musikalischer Ambiguität“ auf, der sich seinerseits entweder im Modus
der „Satire“, in der die „verborgene“ Bedeutung als „eigentliche“ erscheint, konkretisiert, oder aber im Modus der „Groteske“, in der keine musikalische Bedeutungsschicht mehr als „eigentlich“ Gültige ausgemacht werden kann.35 Eddy Zemach
und Tamara Balter dagegen konzipierten ihren Theorieansatz zur musikalischen
Ironie von der modalen Semantik der analytischen Philosophie aus (wobei der
Begriff der Metapher wieder einen wichtigen Ausgangspunkt der Argumentation
bildet).36 Ironie entsteht ihrer Lesart zufolge durch die widersprüchliche Konfrontation zwischen der möglichen Vorstellung, die durch eine bestimmte Äußerung
oder einen bestimmten Sachverhalt ausgelöst wird und dem, was dieser Vorstellung
in der aktualen Welt korrespondiert. Verschiedene denkbare Modi dieser Konfrontation führen dann, soweit sich zu ihnen musikanalytisch triftige Pendants aufweisen lassen, zu „Situationsironie“, „dramatischer Ironie“ usw. in der Musik. Julian
Johnsons Mahler-Monographie andererseits verpflichtet sich wieder stärker der
rhetorischen Tradition: „Ironie“ macht Johnson an der Differenz zwischen dem
tatsächlich Gesagten und dem Tonfall des Sprechens fest.37 In dem Maß, in dem
Konventionen semantischer Referenz für Mahlers Musik geltend gemacht werden
32 Samuels 1995, S. 116
33 Hatten 1994, Kap. VII
34 Musikalische Analysen, die diese allgemeine Begriffsbestimmung verdeutlichen, bringt Hatten erst anhand des Spezialfalls „romantische Ironie“ ins Spiel, weshalb auf seine Vorschläge
erst später eingegangen werden soll, s.u., S. 49f., S. 168.
35 Sheinberg 2000, besonders S. 27ff.
36 Zemach / Balter 2007
37 Johnson 2009, S. 134ff.
24
GRUNDLAGEN
können, in dem Maß also, in dem seine Musik tatsächlich „etwas“ sagt, kann der
„Ton(fall)“ der Musik wiederum auf das, was sie „sagt“, eine ironische Perspektive
einnehmen.
Alle bisher skizzierten Problemstellungen und Lösungsansätze teilen dieselbe
methodische Perspektive: Wer die Frage nach der Möglichkeit von „Ironie in der
Musik“ von einer Begriffsanalyse der „Ironie“ her angeht, setzt offenbar mehr oder
weniger fest umrissene Vorstellungen von demjenigen Gebiet voraus, auf das der
analysierte Begriff übertragen werden soll. Ob Musik ironisch sein kann, hängt aber
nicht nur davon ab, was „Ironie“ ist, sondern auch davon, was „Musik“ ist. Unter
den Rahmenbedingungen einer historischen Musikwissenschaft, deren Musikbegriff sich – insbesondere, was das 19. Jahrhundert betrifft – stark an der Geschichte
musikalischer Kompositionen orientiert, ist es freilich wenig verwunderlich, dass
die Diskussion um die Möglichkeit musikalischer Ironie sich bislang ausschließlich
auf die Verortung ironischer Strategien im Notentext einzelner Werke konzentriert
hat. „Ironisch“ ist unter dieser Prämisse immer der Komponist „ironischer“ Musik.
Weitgehend unbeachtet blieb dagegen häufig das weite Feld der musikalischen Aufführungs- und Interpretationsgeschichte. Dabei könnten bereits deren Grundbegriffe, wie etwa „Vortrag“ oder „Inszenierung“, vielfältige Anknüpfungspunkte für
Formen des „Ironischen“ bieten – „ironisch“ wäre in dieser Perspektive z.B. ein
mögliches Verhaltensattribut der ausübenden Musizierenden. Nicht zuletzt die performativen Erklärungsansätze, die in der Linguistik diskutiert worden sind (s.o.),
bieten hierzu womöglich fruchtbare Anknüpfungspunkte. Eine Untersuchung wie
die Vorliegende hingegen, die ausdrücklich nach kompositorischen Strukturen musikalischer Ironie sucht, kann performative Aspekte zumindest dort in die eigene
Argumentation einbeziehen, wo der „ironische“ Charakter musikalischer Vorführungen selbst intentional im Notentext nachweisbar erscheint (s.u., Kap.2.1.1).38
Zuletzt verdient noch ein weiterer Aspekt, der den Anteil der „Musik“ an der
untersuchten Proposition „Ironie in der Musik“ betrifft, einige Beachtung. Die
Auffassung, Ironie sei ein essenziell sprachliches Phänomen (genauer gesagt: sie sei
von denotativen Bedeutungszuweisungen abhängig), hat die Suche nach musikalischer Ironie lange Zeit auf Interaktionen von Musik und Sprache konzentriert.39
Wohl nur durch die starke rhetorische Tradition des Ironiebegriffs ist es zu erklären,
dass Peter Jost ausgerechnet in einem Beitrag zur romantischen Ironie von Beginn
an voraussetzt, Ironie könne sich „in einer Komposition im eigentlichen […] Sinne
nur [!] als Reagens auf ein Vorgegebenes, insbesondere einen zu vertonenden Text
äußern.“40
Legt man der Musikanalyse (explizit oder implizit) einen essenziell sprachlich
verfassten Ironiebegriff zugrunde, so könnte Vokalmusik in der Tat erst dann an
38 Die performative Dimension musikalischer Ironie erschließt sich mithin dann, wenn man
die Partitur eines Werks als „Skript“ seiner Aufführung auffasst; vgl. hierzu Cook 2001,
[15].
39 so z.B. Lissa 1969, S. 125f.
40 Jost 1990, S. 30
MUSIK UND IRONIE. EINE STANDORTBESTIMMUNG
25
„Ironie“ partizipieren, wenn die Musik die „ironischen“ Wendungen des Textes
herausarbeitet.41 Verschiedene Untersuchungen zu Schumanns Heine-Liedern vertreten indessen einen deutlich weiteren Ironiebegriff, der musikalische Merkmale
auch unabhängig von unmittelbar textausdeutenden Funktionen einbezieht.42 Ihre
Strategie besteht im Wesentlichen darin, zu zeigen, dass diejenigen Eigenschaften,
die den Text als „ironisch“ charakterisieren, auch für die textlich-musikalische
Gesamtstruktur des „Lieds“ geltend gemacht werden können. Insofern das „Lied“
als komplexe Zusammensetzung aus Text und Musik seinerseits wieder als „Musik“
zu bezeichnen ist, bildet das „ironische Lied“ folglich ein Beispiel für „ironische
Musik“. Damit ist allerdings noch nicht die Möglichkeit einer „rein“ musikalischen Ironie nachgewiesen, einer Ironie also, die auch in Musik als text- und gegenstandsloser Kunst auftreten könnte. Denn aus einer möglichen Analogiebildung
zwischen musikalischen und literarischen Merkmalen folgt nicht automatisch, dass
diejenigen Merkmale, die auf literarischer Seite die Voraussetzungen sprachlicher
Ironie erfüllen, auf der kompositorischen Seite der Analogie die Voraussetzungen
musikalischer Ironie erfüllen. Vielmehr wäre erst eigens zu begründen, warum die
im Kontext der Heine-Lieder häufig angeführten Gestaltungsmittel wie z.B. plötzliche Kontraste, Instabilitäten, harmonische Abwegigkeiten, „Zitate“ usw. auch
ohne Heine-Text ausgerechnet „ironisch“ genannt werden sollten, genauer gesagt,
worin die spezifisch musikalische „Verstellungskunst“ besteht, die der Ironiebegriff
in systematischer Hinsicht impliziert.43 Solange Fragen dieser Art nicht systematisch geklärt werden, liegt der Verdacht nahe, dass es in letzter Instanz doch wieder
allein der Text ist, der Lieder „ironisch“ macht.
Falls es dagegen gelingt, einen „genuin“ musikalischen Ironiebegriff zu entwickeln, so wird damit im Umkehrschluss zugleich ein reicheres und feiner ausdifferenziertes Verständnis von „ironischer Vokalmusik“ greifbar. Wenn nämlich auch
Instrumentalmusik „ironisch“ sein kann, dann könnten sprachliche und musikalische Ironie im ironischen Lied unabhängig voneinander untersucht und anschließend auf ihre Wechselbeziehung hin befragt werden. (Mindestens) zwei Modi dieser Beziehung sind prima facie denkbar: Die „musikimmanente“ Ironie könnte
einerseits die Ironie des Textes auf einer rein klanglichen Ebene erneut nachvollziehen, oder aber andererseits als aktives Gegenüber auf das Spiel der sprachlichen
Ironie reagieren. Beide Modi werden sich im Laufe dieser Studie an Schumanns
Heine-Vertonungen untersuchen lassen.44
41 In diesem methodischen Rahmen bewegen sich beispielsweise Brauner 1981, Finson 1994,
Emans / Schmitz-Emans 2007.
42 Pfingsten 1987, Dinslage 1993, Brandl-Risi / Risi 1998, Synofzik 2006 (v.a.S.168f.)
43 Einen Schritt in diese Richtung unternahm Berthold Höckner mit seiner Unterscheidung
zwischen literarischer und musikalischer persona in Schumanns Heine-Liederkreis op.24.
Ironie im Sinne einer Haltung von „Uneigentlichkeit“ macht Höckner nicht nur an der
Wechselwirkung beider personae fest, sondern auch an der musikalischen persona allein und
ihrem „uneigentlichen“ Singen in Warte, warte wilder Schiffsmann op.24,6, vgl. Höckner
1993, S. 30f.
44 vgl. z.B. die Analyse auf S. 151f. zum ersten Fall, S. 96ff. zum zweiten.
26
GRUNDLAGEN
1.2 Was ist „romantische Ironie“?
1.2.1 Blickwinkel und Fluchtpunkte
„Es gibt alte und moderne Gedichte, die durchgängig im Ganzen und überall den
göttlichen Hauch der Ironie atmen. Es lebt in ihnen eine wirklich transzendentale
Buffonerie. Im Innern, die Stimmung, welche alles übersieht, und sich über alles
Bedingte unendlich erhebt, auch über eigne Kunst, Tugend oder Genialität: im
Äußern, in der Ausführung die mimische Manier eines gewöhnlichen guten italiänischen Buffo.“45
Im Anschluss an Friedrich Schlegels Äußerungen zur „Ironie“, wie sie z.B. im 42.
Lyceums-Fragment vorliegen, hat der Begriff „romantische Ironie“ auf zwei Wegen
Eingang in die Literaturwissenschaft gefunden. Theoriegeschichtlich umschreibt
„romantische Ironie“ den Ironiebegriff der frühromantischen Kunstauffassung
Friedrich Schlegels. In kunstgeschichtlicher Perspektive andererseits46 dient „romantische Ironie“ häufig als Bezeichnung für illusionsstörende Gestaltungstechniken in Drama, Erzählkunst oder Lyrik, wie sie Schlegels Rede vom „italiänischen
Buffo“ andeutet, die ans illusionsbrechende Aus-der-Rolle-Fallen einzelner Charaktere in der italienischen Stegreifkomödie erinnert. Diese Doppelbelegung des
Begriffs „romantische Ironie“ scheint freilich zu implizieren, dass frühromantische
Theorie und illusionsbrechende Praxis als zwei Seiten desselben Phänomens gelten
können. Und in der Tat legt z.B. der Schlegel-Forscher Ernst Behler einen solchen
Zusammenhang nahe:
„Nun trat gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts ein völlig neuer Ironiebegriff in
Erscheinung […]. Das Verhältnis des Autors zu seinem Werk, sein ‚Heraustreten‘
aus den dichterischen Strukturen der Fiktion, sein Durchbrechen und Transzendieren der Dichtung, worin sich eine Problematisierung der literarischen Mitteilung
anzeigt, wurden als die eigentlichen Merkmale der Ironie angesehen.“47
Über die genaue Beziehung zwischen „Ironie“, frühromantischer Ästhetik und
Phänomenen der Illusionsstörung herrscht in der Literaturwissenschaft allerdings
kein einheitliches Bild. Die Probleme beginnen bereits bei Friedrich Schlegel selbst,
der seinen Ironiebegriff nur in fragmentarischen Einzeläußerungen statt in systematisch zusammenhängenden Theorien entwickelte und seinen Exegeten somit ein
beträchtliches Maß eigenständiger Rekonstruktionsleistung überließ. Doch auch
der Abgleich von Schlegels Ironiebegriff mit der ästhetischen Praxis wirft Fragen
auf: Raymond Immerwahr hat darauf hingewiesen, dass der Illusionsbruch in vielen Fällen, in denen Schlegel selbst ausdrücklich von literarischer „Ironie“ spricht,
45 KSA 2, 152 [42]
46 Der Terminus „kunstgeschichtlich“ bezieht sich hier und im Folgenden auf die Geschichte
von Kunstwerken (bzw. die von Kunstwerken handelnde Geschichtsschreibung) im Allgemeinen, nicht etwa auf die Geschichte der bildenden Kunst im Besonderen.
47 Behler 1997, S. 8
WAS IST „ROMANTISCHE IRONIE“?
27
keine nennenswerte Rolle spielt.48 Beruht die Bezeichnung der Illusionsstörung als
„romantische Ironie“ also letztlich nur auf einem „banalen Mißverständnis“?49 Die
Offenheit von Schlegels Ironiebegriff – sowohl hinsichtlich seiner theoretischen
Formulierung, als auch hinsichtlich seiner Übertragbarkeit auf die ästhetische Praxis – führte in der Literaturwissenschaft zu ausgedehnten, kontroversen und oft
nur schwer entwirrbaren Debatten, in denen der Begriff „romantische Ironie“ immer wieder kritisiert, überarbeitet und neu bestimmt wurde.50 Das innovative Potenzial dieser Revisionen tritt vor allem dort zutage, wo der Kontext der idealistischen Philosophie51 oder der dekonstruktivistische Aspekt der frühromantischen
Sprachtheorie52 einbezogen werden konnte.
Angesichts der Vielfalt an (teils widersprüchlichen) Auslegungen, die der Begriff
im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte erfahren hat, steht seine musikwissenschaftliche Verwendung vor der schwierigen Frage, woran genau sie überhaupt anknüpfen soll.53 Da „romantische Ironie“ offenbar nicht zu denjenigen Konzepten zählt,
die mit einer kleinen Auswahl „einschlägiger“ Zitate aus der Sekundärliteratur
unmittelbar in den eigenen Argumentationszusammenhang importiert werden
können, führt auch für die Musikwissenschaft an einer grundlegenden Auseinandersetzung mit den bereits in der Literaturwissenschaft verhandelten Problemstellungen kein Weg vorbei.
Eigentümlicherweise ist die terminologische Konstellation „romantische Ironie“
kaum jemals zum Gegenstand ausführlicher begriffsgeschichtlicher Untersuchungen geworden54 – trotz aller Kontroversen um das, was der Terminus tatsächlich
bezeichnet und trotz der durchaus umfangreichen begriffsgeschichtlichen Forschung zum Terminus „Ironie“. Bezeichnenderweise heißt es bereits bei Hermann
Hettner, dessen Studie Die romantische Schule (1850) den wahrscheinlich „erste[n]
ernsthafte[n] Versuch einer literarhistorischen Würdigung“ des Begriffs unternimmt,55 über „die viel besprochene romantische Ironie“ herrsche inzwischen „die
unsäglichste Begriffsverwirrung“.56 Hier kann freilich weder den terminologischen,
48 vgl. Immerwahr 1951. Zu Gegenpositionen s.u., S. 37, Fn. 91.
49 so Allemann 1969, S. 50, ähnlich Mennemeier 1980, S. 244f.
50 Positionen aus der Forschungsgeschichte bis in die frühen 1970er Jahre nennt Prang 1972;
dringend zu ergänzen wäre in Prangs Auflistung Walter Benjamins 1920 veröffentlichte
Dissertation (Benjamin 1973), sowie Paul De Mans Aufsatz The Concept of Irony (de Man
2008). Einer der jüngsten Versuche der inhaltlichen Neubestimmung ist ein 2007 publizierter Aufsatz von Oliver Kohns (Kohns 2007).
51 Frank 1989, Götze 2001
52 So die Arbeit von Winfried Menninghaus, die sich nicht zuletzt als methodische und inhaltliche Rehabilitation von Walter Benjamins Dissertation versteht. (Menninghaus 1987; Benjamin 1973)
53 vgl. Appel 1981, S. 84f., Baricelli 1988, S. 310f.
54 vgl. immerhin Furst 1981, S. 30f.
55 Allemann 1969, S. 51
56 Hettner 1850, S. 53f. Die Begriffskonstellation „Romantische Ironie“ tritt zwar in wenigen
Fällen auch bei Schlegel selbst auf; Ingrid Strohschneider-Kohrs hat jedoch zurecht betont,
28
GRUNDLAGEN
noch den inhaltlichen Voraussetzungen, die Hettner mit dem Ausdruck „romantische Ironie“ verbindet, nachgegangen werden.57 Aufschlussreich ist jedenfalls die
Zielstellung von Hettners eigener Begriffsfassung. So, wie er die „Romantische
Schule“ ausdrücklich zugleich als „Doctrin und Praxis“ definiert (nämlich „der
subjectiv auf sich gestellten, gegenstandslosen, phantastischen Phantasie“),58 so
bestimmt Hettner auch die „romantische Ironie“ durch eine Parallele zwischen
ästhetischer Theorie und ästhetischer Gestaltung im Phänomen der Illusionsbrechung:
„Damit nur ja die Form als reine Form, als bloßes Gaukelspiel der Phantasie erscheine, verneint hier der Dichter zu guter Letzt seine eigenen Gestalten und ist sorgfältig
darauf bedacht, durch übermüthige Selbstparodie die Illusion, die er hervorgebracht
hat, absichtlich immer wieder selbst zu vernichten. Und hiermit kehren wir wieder
zu Tieck’s dramatischen Mährchen zurück, in denen diese romantische Ironie
hauptsächlich und am eigenthümlichsten auftritt und in denen daher auch einzig
und allein der Grund und das Wesen jener Schlegel’schen Doctrin zu finden ist.“59
Wie bei Hettner, so war es auch bei den meisten späteren Autoren vor allem die
Frage nach Kongruenzen zwischen frühromantischer Theorie einerseits (nämlich
den Schriften Friedrich Schlegels) und der literarischen Praxis „romantischer“ Autoren andererseits (v.a. dem Lustspiel Ludwig Tiecks), welche den Begriff „romantische Ironie“ in den Fokus literaturwissenschaftlicher Forschungen rückte.60 Die
„romantische Ironie“ verdankt ihr Dasein mithin einer ideengeschichtlichen Rekonstruktion, die versucht, theoriegeschichtliche und kunstgeschichtliche Aspekte
der „Romantik“ auf ihre Gemeinsamkeiten zu befragen. So banal dieser Befund
anmuten mag, so weitreichend sind seine Implikationen für die Romantik-Forschung: Der Name „romantische Ironie“ muss überall dort unklar bleiben, wo Theoriegeschichte und Kunstgeschichte isoliert betrachtet oder gar gegeneinander ausgespielt werden. Ist man jedoch an der Rekonstruktion ideengeschichtlicher
Parallelen zwischen ästhetischer Theorie und ästhetischer Praxis der Romantik in-
57
58
59
60
dass sich aus den betreffenden Stellen schwerlich eine eigenständige Begriffssemantik ableiten lässt, vgl. Strohschneider-Kohrs 1977, S. 7, Fn. 1.
Die scharfen Ausfälle Hegels gegen Schlegels Ironiebegriff, auf die Hettner sich ausdrücklich bezieht (ebd.), sind bereits mehrfach untersucht worden, vgl. z.B. Behler 1997, Kap.5.
Hettner 1850, S. 49
Hettner 1850, S. 66
Diese Fragestellung bestimmt z.B. die Aufteilung der Arbeit von Strohschneider-Kohrs nach
demjenigen Modell (Erster Teil: Die Theorie der romantischen Ironie / Zweiter Teil: Die romantische Ironie in der Gestaltung, Strohschneider-Kohrs 1977), das bereits der Dissertation
von Fritz Ernst zugrundeliegt (Ernst 1915). Auch später blieb die Frage nach der Parallele
zwischen Theorie und Praxis maßgeblich (vgl. z.B. Szondi 1964). Walter Benjamin spricht
bezüglich der Parallele zwischen Schlegels Ironiebegriff und den Illusionsstörungen in
Tiecks Lustspiel von einer „Ironisierung der Form“ statt von „romantischer Ironie“ (Benjamin 1973, S. 78). Gleichwohl stellt seine Darstellung bereits denjenigen Problemkern der
„romantischen Ironie“ heraus, an dem sich die spätere Literaturwissenschaft abarbeitete,
vgl. Menninghaus 1987, S. 247ff.
WAS IST „ROMANTISCHE IRONIE“?
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teressiert, so lässt sich „romantische Ironie“ weder allein theoriegeschichtlich, noch
allein kunstgeschichtlich definieren; vielmehr gewinnt der Begriff in dem Maße an
Erklärungspotenzial, in dem er beide Seiten produktiv aufeinander zu beziehen
vermag.
Rekonstruktionen sind immer auch Konstruktionen. Daher fallen einzelne Definitionsversuche der „romantischen Ironie“ notwendigerweise heterogen aus – nicht
(wie Helmut Prang resümierte) „obwohl“, sondern gerade weil „man sich seit etwa
1800 [immer wieder] darum bemüht.“61 Da die Bezeichnung „romantische Ironie“
eine Konstruktion der Romantik-Forschung darstellt, steht ihr Bedeutungsgehalt
nicht unabhängig von den Fragestellungen und Rahmeninteressen fest, welche die
Romantik-Forschung mit dieser Begriffskonstruktion im Einzelfall verfolgt. Je
nach Gewichtung des theoriegeschichtlichen bzw. kunstgeschichtlichen Aspekts
sind prinzipiell zwei Blickwinkel der wissenschaftlichen (Re-)Konstruktion unterscheidbar: Betrifft das Erkenntnisinteresse in erster Linie theoriegeschichtliche Fragestellungen, so ist zunächst nach einer möglichst umfassenden, präzisen Darstellung des frühromantischen Ironiebegriffs zu fragen, um dann zu erörtern, welche
Phänomene der ästhetischen Praxis den Intentionen der Theoretiker am ehesten
entsprechen.62 Möchte man dagegen vor allem eine bestimmte „ironische“ Praxis
in der Kunst untersuchen – z.B. diejenige der Illusionsstörung –, so ist umgekehrt
zu klären, welche Elemente des frühromantischen Theoriebildung zur Deutung der
betreffenden Phänomene einen konstruktiven Beitrag leisten könnten.63 Statt theorie- und kunstgeschichtliche Perspektiven gegeneinander auszuspielen und (weiterhin) der ebenso freudlosen wie sophistischen Frage anzuhängen, wie „die“
romantische Ironie nun „in Wahrheit“ definiert werden müsse, wäre die RomantikForschung folglich gut beraten, beiden Blickwinkeln ein eigenes Daseinsrecht einzuräumen. Denn gerade aus der wechselseitigen Ergänzung beider Perspektiven
wäre zuletzt ein reichhaltigeres, differenzierteres (und hinsichtlich seiner methodischen Voraussetzungen transparenteres) Bild derjenigen Kongruenzen zwischen
ästhetischer Theorie und ästhetischer Praxis zu erwarten, welche für die Romantik
charakteristisch und konstitutiv sind.64
61 Prang 1972, S. 105
62 Diese Perspektive nehmen z.B. – bei ganz unterschiedlichen Voraussetzungen und ebenso
unterschiedlichen Ergebnissen – Immerwahr 1951 und Kohns 2007 ein, sowie v.a. Frank
1989, auf dessen Ergebnisse noch gesondert eingegangen werden soll (s.u., S. 46ff.).
63 Dieser Perspektive folgen z.B. Kluge 1963, S. 50-56, Tatar 1980, Frischmann 2005, sowie
(zumindest implizit) Beda Allemann, wenn dieser „Schlegels eigene frühromantische Ironiekonzeption“ in Pirandellos illusionsbrechendem Theater weiterleben sieht (Allemann 1970,
S. 11).
64 Werner Wolf setzt sich ebenso bündig wie fundiert mit einigen widersprüchlichen Annahmen auseinander, die in der Literaturwissenschaft zum Zusammenhang von Illusionsstörung und „romantischer Ironie“ kursieren; dabei versucht er allerdings immer noch, eine
bereits vorliegende, „eigentliche“ Grundbedeutung „der“ romantischen Ironie aufzuspüren
(Wolf 1993, S. 564-568). Symptomatisch für das dogmatische Festhalten an einer „wahren“
Grundbedeutung der „romantischen Ironie“ ist ein kurzer Aufsatz von Lilian F. Furst, die
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GRUNDLAGEN
Bereits Ingrid Strohschneider-Kohrs hat nachdrücklich darauf hingewiesen, dass
das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis der romantischen Ironie eher als Entsprechung, denn als Deduktion gedacht werden muss. Um unnötige Begriffsverwirrungen zu vermeiden, gilt es, dieser Prämisse wieder stärkeres Gewicht zu verleihen:
„Es läßt sich – und das gilt als erkenntniskritische Voraussetzung für nicht wenige
geistig-geschichtliche Phänomene zumal im ästhetischen Bereich – keine Verbindungslinie wie in einer Wirkungsgeschichte zwischen der Theorie der Ironie und
den sprachlich-dichterischen Gestaltungen der Ironie nachweisen oder behaupten.
Theorie und Gestaltung sind gleichursprüngliche Dokumentationen, die gleichwohl
in ihrer inneren Zusammengehörigkeit und gegenseitigen Entsprechung zu erkennen sind; sie müssen beide als jeweils unabhängiger Ausdruck einer gleichgerichteten ästhetischen Intention gelten.“65
Der Anspruch der folgenden Darstellung besteht keineswegs darin, die romantische Ironie mit wieder „neuen“ Definitionen zu beglücken, sondern vielmehr
darin, für ein komplexes, bereits mehrfach bearbeitetes (und mittlerweile nahezu
unübersichtlich gewordenes) Themenfeld einen Zugang vorzuschlagen, der die Bedingungen und Chancen einer kunstgeschichtlichen Verwertung des Begriffs transparent hält. Als Teil einer musikhistorischen Untersuchung verpflichtet sie sich also
ausdrücklich dem zweiten genannten Blickwinkel, d.h. sie fragt nicht zuerst danach, auf welche Weise Friedrich Schlegel selbst seinen Ironiebegriff für die poetische Praxis zu konkretisieren bestrebt war, sondern umgekehrt danach, welche Aspekte der Schlegelschen Theoriebildung das in der Kunstgeschichte vorfindliche
Phänomen der „Illusionsbrechung“ als genuin „romantisch“ ausweisen könnten.
Insofern sich nämlich auch in der Musik artverwandte ästhetische Gestaltungstechniken nachweisen lassen (Kap.2), erscheint es plausibel, die entsprechenden musikalischen Merkmale demselben ideengeschichtlichen Zusammenhang namens „romantische Ironie“ zuzuordnen.66 Zu diesem Zweck sei zunächst eine kleine
„Phänomenologie“ der Illusionsstörung skizziert und mit Schlegels entsprechenden Äußerungen abgeglichen (Kap.1.2.2). Erst danach werden die Ziele, die Schlegels Ironiebegriff im Rahmen des frühromantischen Programms verfolgte, kurz
den Terminus zwar korrekt als Konstruktion der Literaturgeschichtsschreibung identifiziert,
seinen eigentlichen Bedeutungsgehalt dann aber restlos mit Schlegels Ironiebegriff gleichsetzt, mit seiner theoriegeschichtlichen Komponente also, was seine kunstgeschichtliche
Komponente – die Illusionstörung – zugleich unter der Hand suspendiert (Furst 1981). Ein
deutlich flexibleres Verhältnis zwischen literarischem Phänomen und theoretischem Überbau formuliert dagegen Winfried Menninghaus, wenn er betont, dass Walter Benjamins
Lesart der frühromantischen Kunsttheorie die Illusionsstörung „zumindest als eine [mögliche] Erfüllung“ des Schlegelschen Ironiebegriffs auffasst (Menninghaus 1987, S. 248, Hervorh. v. Autor).
65 Strohschneider-Kohrs 1977, S. 247, s.a. ebd., S. 8; S. 242ff.
66 Diese Strategie schlug bereits Barricelli vor: „Romantic Irony may be more wisely deduced
from the practices than assambled from the theories.“ (Barricelli 1988, S. 311)
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