Prof. Dr. Clarissa Rudolph, OTH Regensburg Gleichstellung wagen

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Prof. Dr. Clarissa Rudolph, OTH Regensburg
Vortrag auf der Fachtagung „Frauen stärken“ in Stuttgart am 24. Juni 2014; DGB BadeWürttemberg
Gleichstellung wagen!
Geschlechtergerechtigkeit als Bedingung modernen Demokratien
In den politischen Theorien und Staatsideen, die unsere heutigen Vorstellungen von
Demokratie immer noch leiten, also bspw. in den Theorien der griechischen Philosophen oder
den Staatsvorstellungen von Thomas Hobbes und John Locke, spielten Frauen keine Rolle und
Fragen der Repräsentation unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen auch keine: es gab ja
nur eine gesellschaftlich relevante Gruppe, nämlich die der freien Männer.
Das ist heute anders. Auf jeden Fall theoretisch und oft auch de facto. Manchmal scheint aber
die „tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung“, wie es im Grundgesetz heißt, immer
noch eine große Aufgabe zu sein, an der die Politik scheitert. Ich möchte im Folgenden der
Frage nachgehen, warum das so ist, aber v.a. warum es so notwendig ist, an dieser im
Grundgesetz gestellten Aufgabe weiter zu arbeiten.
Dass es Elisabeth Selbert 1948/49 nicht leicht damit hatte, den Gleichberechtigungsgrundsatz
ohne irgendwelche Schnörkel im Grundgesetz zu verankern, verwundert aus heutiger Sicht
nicht. Nach den Jahren des Naziregimes und des zweiten Weltkrieges herrschte nicht gerade
ein offenes Bewusstsein für Gleichstellungs- und Emanzipationsprozesse, und letztendlich gab
es Wichtigeres für die Staatsgründung der BRD als eine Verständigung über das
Geschlechterverhältnis. Glücklicherweise für den neuen Staat und seine Bevölkerung sahen
das die wenigen Frauenorganisationen und viele einzelne Frauen (und wenige Männer) anders
und sie schickten die sprichwörtlichen Waschkörbe voller Eingaben an den parlamentarischen
Rat. „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ wurde in den Grundrechteteil des
Grundgesetzes aufgenommen. Auch wenn der Satz in seiner Klarheit eindeutig und
überzeugend ist, fungiert er seitdem eher als Zielvision und nicht immer als
Realitätsbeschreibung.
Auch die Studenten, die sich 1968 folgende an eine Verbesserung und Realisierung der im
Grundgesetz ebenfalls festgeschriebenen Demokratie machten, hatten Wichtigeres zu
erstreiten als die gleichberechtigte Beteiligung der Frauen an der Gesellschaft – oder
zumindest an ihrer Bewegung: mehr Gerechtigkeit, Weltoffenheit und Sozialismus, weniger
traditionelle Moral, Gewalt und Konformität lauteten ihre Ziele und, so könnte man im besten
Sinne ergänzen, wenn all dies verwirklicht wäre, dann hätte dies doch auch positive Folgen für
die Frauen, denn letztendlich sei die Frauenbenachteiligung doch ein Nebenwiderspruch.
Diesmal gab es keine Waschkörbe voll mit Briefen, sondern fliegende Tomaten, und es gab
keinen Grund mehr, sich als Frauen nicht selbst zu organisieren und die Welt zu bewegen.
1
Dem Grundgesetzartikel 3 folgten insbesondere im BGB rechtliche Gleichstellungen, während
sich z.B. das Selbstbestimmungsrecht der Frauen in Sachen Schwangerschaftsabbruch
wesentlich schwieriger durchsetzen ließ.
Als dann 1989 die Mauer fiel und 1990 sich die beiden deutschen Staaten zu einem vereinten,
ruhte die Hoffnung auf den ostdeutschen Frauen und der ostdeutschen Frauenbewegung, weil
nicht nur die Gleichstellung in der DDR weiter fortgeschritten schien, sondern auch das
Abtreibungsrecht freier geregelt war. Indes: erst nachdem alles Wichtige geregelt war, konnte
sich das Parlament mit den weniger wichtigen, nebensächlichen Dingen, also z.B. der
Neufassung des § 218 StGB befassen. Allerdings erst nachdem sich die Parlamentarierinnen
im Bundestag fraktionsübergreifend zusammengeschlossen hatten und für eine Übernahme
der DDR-Regelung eingetreten waren. (Na ja, dann kam wieder das Bundesverfassungsgericht
und bestimmte, dass es Wichtigeres gibt als das Selbstbestimmungsrecht der Frau). Auch in
der gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat, die über
Ergänzungen des Grundgesetzes im Kontext der deutsch-deutschen Vereinigung beriet, war
es dem Zusammenwirken der dort vertretenen Frauen mit Feministinnen der
Frauenbewegung und der Wissenschaft zu verdanken, dass trotz all der überaus wichtigen
Dinge, die dort beraten wurden, auch die schon erwähnte Ergänzung in Artikel 3 GG
aufgenommen wurde, die die Durchsetzung der Gleichberechtigung als Staatsziel formuliert.
Und nun Baden-Württemberg. Als es nach Jahrzehnten CDU-geführter Regierungen zu einem
Regierungswechsel zu einer Grün-geführten Grüne/SPD-Regierung kam, waren die
Hoffnungen auf einen Demokratisierungsschub hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit und
Geschlechterdemokratie groß, gab es doch in diesen Bereichen einen großen Nachholbedarf:
keine gesetzliche Verankerung kommunaler Frauenbeauftragter, unzureichende Befugnisse
und Rechte der Frauenbeauftragten und insgesamt zu wenig Frauen in den
Kommunalparlamenten und im Landtag – bei Ländervergleichen hat Baden-Württemberg
immer wieder die rote Laterne zu tragen. Allerdings – und Geschichte wiederholt sich eben
manchmal doch – scheint es auch hier im Ländle wieder Wichtigeres zu geben. Oder nicht?
Ich denke, wir werden gleich dazu genaueres hören. Auf jeden Fall scheint es mal wieder Zeit
zu sein, dass sich Frauen und Fraueninitiativen zusammenschließen, um gemeinsam nicht nur
die rechtliche Regulierung von Gleichstellung, sondern auch deren Umsetzung zu forcieren. Es
scheint, als ob trotz aller Wehklagen über den Niedergang der Frauenbewegung gemeinsames
politisches Handeln unerlässlich ist.
Denn unerlässlich ist für eine Demokratie, dass sie geschlechterdemokratisch und
geschlechtergerecht ist. Ich möchte dabei in meiner Argumentation deutlich machen, dass es
bei der Verknüpfung von -demokratisch und -gerecht um den komplexen Zusammenhang von
sozialen und politischen Rechten, von sozialer und politischer Teilhabe geht.
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Grundfragen der Demokratie
In der theoretischen und praktischen Auseinandersetzung mit der Demokratie und ihren
Grundprinzipien geht es immer um die Fragen: Wie kann die Selbstregierung der Bürgerinnen
und Bürger organisiert werden, in welcher Form und wie eingeschränkt bzw. umfassend
erfolgt die Partizipation der Bürger_innen, gibt es Themen, Aufgaben und Funktionen, die
delegiert werden, und an welcher Stelle und in welcher Form wird eine direkte Beteiligung der
Bürger_innen durch eine indirekte, repräsentative Beteiligung ersetzt? Gerade bei einer
repräsentativen Demokratie, in der Aufgaben und Funktionen an einzelne
Repräsentant_innen delegiert werden, stellt sich in besonderem Maße die Frage nach der
Begrenzung von Macht und Herrschaft der Repräsentant_innen – insbesondere auch dadurch,
dass alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen Teil an der Repräsentation haben. Sonst
verfestigen sich durch die Art der Repräsentation ungleiche Macht- und
Herrschaftsverhältnisse.
Insofern
sind
Fragen
nach
den
Prinzipien,
den
Funktionsmechanismen und den Teilhabechancen in der Demokratie zentral.
Der Ausschluss von Frauen von den staatsbürgerlichen Mitwirkungsrechten durchzieht die
Geschichte und Entwicklung der Demokratien auf der ganzen Welt. Dies gilt, ich habe das
schon erwähnt, sowohl für die antike Demokratie als auch für die neuzeitlichen. Sichtbar wird
das sowohl in den geringen, erst späten Partizipationsmöglichkeiten als auch in dem geringen
Anteil an der Repräsentation: vergleicht man die Repräsentationsfunktionen in der
Demokratie mit denen der Aristokratie, so fällt der Vergleich erst in der neuesten Zeit
zugunsten der Demokratie aus.
So war auch der Kampf der ersten Frauenbewegung u.a. ein Kampf um demokratische Rechte
und um Partizipationsmöglichkeiten, worauf die Staaten mit diversen demokratischen
Exklusionsmechanismen reagierten: so galt für Frauen keine Versammlungsfreiheit und war
ihnen bis 1908 die Mitgliedschaft in Parteien und anderen politischen Organisationen
verboten. Und selbst als die Versammlungs- und später dann auch die Wahlfreiheit wirklich
für alle nominell hergestellt war, konnte eine gleichberechtigte Teilhabe nicht durchgesetzt
werden: der Frauenanteil nach der ersten Wahl in der Weimarer Republik betrug 9,6% - im
Übrigen eine Anteil, der in der Bundesrepublik Deutschland erst 1983 wieder erreicht wurde.
Trotz dieser marginalen Partizipations- und Teilhabewerte beschäftigten sich die
Frauenbewegung und die feministische Politikwissenschaft erst spät mit Fragen von
Demokratie und politischer Geschlechtergerechtigkeit – Autonomie war der Leitgedanke
politischen Handelns. Ihre Beschäftigung mit den antiken und modernen Demokratietheorien
begründete dann ein zunächst kritisch-distanziertes Verhältnis zur (repräsentativen)
Demokratie. Theoretikerinnen wie Anne Philipps, Iris Marion Young oder Barbara HollandCunz kritisierten unter der Fragestellung ‚welche Demokratie anzustreben bzw. zu verbessern
sei?‘ den Ausschluss von Frauen und anderen gesellschaftlich marginalisierten Gruppen, die
in der Wissenschaft und in der Politik damit legitimiert wird, dass Geschlecht doch keine Rolle
spiele bzw. spielen dürfe. Zudem führt die klassische Trennung von Öffentlichkeit und
Privatheit nicht nur zu einem Ausschluss von Frauen, sondern auch zu einem Ausschluss
3
geschlechterrelevanter, also auch gesellschaftlich relevanter Themen. D.h. hier hatte zunächst
eine Offenlegung vergeschlechtlichter Exklusionsprinzipien zu erfolgen, bevor dann im
Weiteren Vorschläge für eine gender-orientierte Perspektive auf Demokratie und
Gerechtigkeit entwickelt wurden, indem eine soziale Dimension sichtbar gemacht wurde. Dies
schließt u.a. an Thomas H. Marshall an: nach ihm besteht der Staatsbürgerstatus (citizenship)
aus drei Elementen: den bürgerlichen, individuellen Rechten, die die individuelle Freiheit
gewähren (z.B. Meinungsfreiheit, Gedankenfreiheit etc.), den politischen Rechten, die die
„Teilnahme am Gebrauch der Macht“ (Marshall 1992: 40) gewährleisten und aus den sozialen
Rechten, die auf ein Mindestmaß an Teilhabe an sozialer Wohlfahrt und Sicherheit verweisen.
Erst die Verknüpfung dieser Grundrechte ergibt den Status der Staatsbürger_innen, die als
Freie und Gleiche ihre Position in der Gesellschaft und in der Politik entwickeln und
wahrnehmen können. Daraus ergibt sich auch die gesellschaftliche und staatliche
Anforderung, sich für mehr soziale Gerechtigkeit einzusetzen.
Soziale Ungleichheiten in der Demokratie
An diesen Gedanken knüpfen viele (feministische) Politikwissenschaftler_innen an:
Demokratie lässt sich nicht nur über politische Konzepte der Teilhabe definieren, sondern
muss auch nach den Bedingungen fragen, die der Teilhabe zugrunde liegen, also was befähigt
oder hindert einen Menschen daran, die Staatsbürgerschaft in all ihren Facetten
wahrzunehmen. Nancy Fraser greift die Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit als eines
der zentralen Probleme der Demokratietheorien auf, weil „im Begriff der Öffentlichkeit
implizit Herrschaftsmechanismen eingebaut (sind), die zu Ungleichheiten führen und daher
kritisiert werden müssen“ (Daniels 2012: 305). Diese Ungleichheiten werden sichtbar in der
ungleichen Teilhabe an politischen und wirtschaftlichen Prozessen, in sozial ungleichen
Lebenslagen und in der mangelnden Anerkennung der ausgegrenzten Gruppen – v.a. Frauen
oder ethnische Gruppen. Fraser knüpft die Verwirklichung der Demokratie eng an die
Gestaltung eines Wohlfahrtsstaates, der auf der Gleichheit der Geschlechter beruht (Fraser
1996: 471) und in dem die „Bedingungen von Arbeit und Reproduktion“ (ebd.) neu
ausgehandelt werden. Dem kann man sich nur dann annähern, wenn es neben der Integration
von Frauen in den Erwerbsarbeitsmarkt auch zu einer Integration von Männern in die
informelle Betreuungsarbeit kommt. Der entscheidende Punkt ist, „daß die Männer dazu
gebracht werden sollen, in einem stärkeren Maße so zu werden, wie die Frauen heute sind“
(ebd.: 492). Notwendig dafür sind Strategien der Umverteilung, der Anerkennung und der
Repräsentation. Nur durch die damit hergestellte Gleichheit bzw. partizipatorische Parität
kann die Positionierung aller Gesellschaftsmitglieder als Gleiche unter Gleichen hergestellt
werden, was die zentrale Voraussetzung für Teilhabe und Demokratie ist. Soziale
Ungleichheiten konterkarieren diese Gleichheit und gefährden somit die Demokratie.
Gleichheit, Gerechtigkeit und Demokratie müssen in diesem Sinne nicht nur
zusammengedacht werden, sondern das Bemühen um soziale Gerechtigkeit in der
gesellschaftlichen Wirklichkeit ist untrennbar mit der Demokratisierung der Gesellschaft als
Ganzes verbunden.
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Demokratie und Arbeit
Im Kontext der Debatten um die soziale Bedeutung der Demokratie und deren teilweisen
Verankerung im Sozialsystem erlangt „Arbeit“ als gesellschaftliches Integrationsmedium eine
immer größere Bedeutung. Nicht nur die Existenzsicherung erfolgt durch Arbeit, sondern auch
die Möglichkeiten zur Teilhabe am politischen System und an den Leistungen des
Sozialsystems. In dieser Kennzeichnung bedeutet Arbeit in erster Linie „Erwerbsarbeit“, durch
sie erwächst die Möglichkeit zur gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Teilhabe.
Dies war nicht immer so, im Gegenteil: In der römischen und griechischen Antike, also den
Geburtsstätten der Demokratie, waren gerade die Arbeitenden, die Frauen und Sklaven, von
der politischen Partizipation ausgeschlossen. Arbeit widersprach dem „Reich der Freiheit“, in
dem Muße, Kontemplation aber auch Politik angesiedelt waren. In der heutigen, zwar
gewandelten aber immer noch aktuellen, Arbeitsgesellschaft ist Arbeit weiterhin ein Medium
der Inklusion und Exklusion. Dies ergibt sich aus der Ausgestaltung der Arbeits- und
Sozialpolitik, findet sich aber konzeptionell auch in den Strukturen der kapitalistischen
westlichen Demokratien, in den Geschlechterverhältnissen und in der subjektiven Bedeutung
von Arbeit wider.
Und schließlich spiegeln sich in den bestehenden Arbeitsverhältnissen auch die bestehenden
Geschlechterverhältnisse wider, so z.B. in den anhaltenden Entgeltungleichheiten (Vollzeit
erwerbstätige Frauen verdienen 22% als Männer; vgl. Statistisches Bundesamt 2013), ihre
Erwerbsquote ist nicht nur geringer als die der Männer: über die Hälfte davon wird in Teilzeit
geleistet; die Ausbildungs- und Berufswahl erfolgt weiterhin geschlechtersegregiert. Die
geringe Vertretung von Frauen in Führungspositionen führt immer wieder zu politischen
Debatten über die Notwendigkeit von Frauenquoten; gleichzeitig stellen Frauen die Mehrheit
der Beschäftigten im Niedriglohnbereich und bei den Mini-Jobs (zwei Drittel). Gleichwohl wird
im Verhältnis von Arbeit und Geschlecht auch ein tiefgreifender Wandel deutlich, da sich die
klassischen Stereotypen vom Nur-Ernährer und der Nur-Hausfrau weitgehend vervielfältig
und aufgelöst haben, Erwerbstätigkeit von Frauen ist mittlerweile zur kaum noch
hinterfragten Norm geworden; Lebens- und Arbeitsverhältnisse haben sich pluralisiert. Was
allerdings bleibt, ist die Fokussierung von Arbeit, gerade auch als gesellschaftliches
Integrationsmedium, auf Erwerbsarbeit. ‚Private‘, unbezahlte Arbeit dient weder der
gesellschaftlichen Anerkennung noch werden darüber Ansprüche an das soziale
Sicherungssystem erworben.
Es geht nun also darum, sich an den nächsten Schritt der Gleichstellung zu wagen: nämlich die
Gleichstellung der Care-Arbeit, im Care-Bereich. Initiativen wie das Care-Manifest1 und die
Care-Revolution 2 sind Zeichen dafür, dass sich die Debatten über die Erwerbsintegration
hinaus weiten und es nicht mehr nur um Gleichstellung auf Führungsebenen geht. Diese
Debatten werden in den verschiedenen Netzwerken und Initiativen geführt, auf politischer
1
2
http://care-macht-mehr.com/
http://care-revolution.site36.net/
5
Ebene sind sie bisher noch nicht angekommen – man könnte sagen, die Politik hat Wichtigeres
zu tun. Und wieder einmal und immer wieder müssen sich Frauen unabhängig und
außerparlamentarisch zusammenschließen und versuchen, den Debatten und politischen
Diskursen einen Schub zu verleihen. Denn wenn Care nicht an gesellschaftlicher Anerkennung
gewinnt und eine Umverteilung von Fürsorgetätigkeiten nicht stattfindet, wird die Erfüllung
dieser gesellschaftlichen Aufgaben immer schwieriger werden.
Aktuelle Partizipation – gleiche Machtverhältnisse?
Nach der Bundestagswahl 2013 und den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD
wurden im Dezember 2013 die neuen Minister_innen der großen Koalition vorgestellt.
Besondere Aufmerksamkeit erhielt die Personalie Ursula von der Leyen als
Verteidigungsministerin. Kein Mensch fragte den bisherigen Innenminister nach seinen
Kompetenzen für das Agrarministerium oder den bisherigen CDU-Generalsekretär nach
seinen gesundheitspolitischen Erfahrungen. Ursula von der Leyen musste sich hingegen
ausführlich rechtfertigen („nein, ich habe nicht gedient“), einen umfassenden Shitstorm im
Internet über sich ergehen lassen3 und sah sich merkwürdigen biologistischen Zuschreibungen
ausgesetzt (‚Als Mutter von sieben Kindern werden Sie die ja nicht in den Krieg ziehen lassen
wollen und werden so vielleicht zur Anti-Kriegsministerin‘, so sinngemäß der Linke-Politiker
Gregor Gysi in der ARD-Talkshow von Günther Jauch, 15.12.2013). Dieses Beispiel spiegelt
hervorragend die beiden Seiten der Geschlechterverhältnisse in der Demokratie wider: So ist
es Frauen mittlerweile möglich, in hohe und höchste Regierungsämter aufzusteigen; sie
werden aber überwiegend auf die sog. weichen Ressorts verwiesen („Familie und Gedöns“)
bzw. mit geschlechtsspezifischen Zuweisungen und Rollenmodellen konfrontiert („Mutti
Merkel“). Eine Normalität einer gleichberechtigten Partizipation von Frauen in der Politik gibt
es immer noch nicht.
Dies drückt sich auch in der noch immer geringeren Repräsentation von Frauen in
Parlamenten und Regierungen aus: So beträgt der Frauenanteil bei den Mandaten in
Länderparlamenten 2011 im Schnitt 32,3%, wobei er in Baden-Württemberg aktuell bei knapp
20% liegt und in Bremen bei 43,4%; in Kommunen liegt er deutlich niedriger, nämlich bei
26,1%, wobei es auch hier wieder deutlich Länderunterschiede gibt bzw. Unterschiede
zwischen Städten und dem ländlichen Raum (vgl. BMFSFJ 2012: 8ff.). Im Bundestag liegt der
Frauenanteil nach der Bundestagswahl 2013 bei 36,5%. Auch in den Landes- und
Bundesregierungen hält sich der Frauenanteil deutlich in Grenzen, verbessert hat er sich bei
den Ministerpräsident_innen (2014: 4 von 16).
Aber auch in dem, was als politisch gilt, zeigen sich noch immer unterschiedliche
Anerkennungsstrukturen. So nehmen bspw. viele das Engagement in der Elternarbeit in
Kindergärten und Schulen nicht als politisch wahr, womit eine Frauendomäne politischen
3
„Frau von der Leyen, bitte, bitte ersparen Sie dem Generalstab die Lachanfälle über Ihre Inkompetenz, und
lehnen Sie das Amt ab! Sie haben doch in Ihrem ganzen Leben noch nie eine Patrone in der Hand gehabt,
geschweige denn kennen Sie die Dienstgrade der Ihnen Untergebenen!“ (www.spiegel-online.de, Forum,
16.12.2013).
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Engagements aus dem Fokus der öffentlichen Wahrnehmung und damit Anerkennung fällt.
Und schon gelten Frauen als unpolitisch, als nicht an Politik interessiert.
Frauenbewegungen – Frauen machen Politik
Hinzu kommt, dass die Frauenbewegung stark an Bedeutung verloren hat, sowohl hinsichtlich
des quantitativen Engagements als auch hinsichtlich der Sichtbarkeit und der Relevanz ihrer
Argumente. Die Frauenbewegungen erscheinen oftmals als gestrige Bewegungen, denen
Männerfeindlichkeit und Gleichheitswahn unterstellt wird und von der sich jüngere Frauen,
aber auch ehemals Aktive deutlich abgrenzen. Feministische Bewegungen befinden sich
folglich in einem Dilemma, weil sie gleichzeitig auf die andauernde Bedeutung
androzentrischer Strukturen in der Demokratie und auf die erzielten Erfolge und
Veränderungen hinweisen müssen – muss frau sich also noch engagieren und lohnt sich das
dann überhaupt oder verweist nicht die zunehmende Partizipation von Frauen auch in
relevanten Positionen auf eine durchaus erreichte Demokratisierung der
Geschlechterverhältnisse?
Trotz aller Unkenrufe über den Niedergang und die Bedeutungslosigkeit der Frauenbewegung
zeigt sich immer wieder, dass das Prinzip der Selbstorganisation und der Politisierung von
Geschlechterkonflikte unabdingbar ist für die Demokratisierung der Gesellschaft. Frauen- und
Gleichstellungsbeauftragte sind die Garanten für die Artikulation und die Lösungssuche von
Geschlechterkonflikten; sie tragen dazu bei, dass Geschlechtergerechtigkeit nicht nur eine
Frage der besseren Markt- und Verwertungschancen ist. Junge Studentinnen, feministische
Wissenschaftlerinnen und junge Auszubildende im Betrieb sorgen dafür, dass dem Streben
nach Gleichstellung und der Verwirklichung der Vielfalt von Lebenswegen nicht immer wieder
etwas Wichtigeres voran gestellt wird. Aktivistinnen zeigen auf der Straße, dass das Problem
der Gewalt gegen Frauen – trotz aller Frauenhäuser, Gewaltschutzgesetze und Runden Tische
– immer noch nicht gelöst ist. Sie alle weiten auch den Blick für neue Fragen und Konflikte,
neue Perspektiven und – manchmal – auch neue Koalitionen.
Geschlechtergerechtigkeit und Geschlechterdemokratie
Aus feministischer Perspektive, dies sollte bisher deutlich geworden sein, verbinden sich in
der Forderungen nach Geschlechtergerechtigkeit und Geschlechterdemokratie soziale und
politische Prinzipien: eine Demokratisierung der Geschlechterverhältnisse, eine
emanzipatorische Perspektive auf Demokratie ist untrennbar mit den Forderungen nach
sozialer Gerechtigkeit und geschlechtergerechten Teilhabemöglichkeiten verknüpft. Insofern
richten sich die Forderungen nicht nur nach einer „Demokratisierung der Demokratie“,
sondern auch nach Umwandlung des kapitalistischen Wirtschaftssystems – umso mehr wenn
die amtierende Bundeskanzlerin auf die Frage nach der Wirksamkeit demokratischer
Mitwirkungsrechte in der europäischen Finanz- und Wirtschaftskrise mit der Ankündigung
antwortet, dass man „Wege finden (werde), die parlamentarische Mitbestimmung so zu
gestalten, dass sie trotzdem auch marktkonform ist“ (Bundeskanzlerin Merkel 2011, zitiert in
Vogel 2013: 9). Dies verweist darauf, dass Geschlechterdemokratie nicht einfach bedeuten
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kann, mehr Partizipation zu fordern, sondern sich auch mit den veränderten (post)demokratischen Bedingungen auseinanderzusetzen. D.h. der Blick richtet sich nicht nur auf
die institutionalisierten Beteiligungsformen, sondern auch auf die außerparlamentarischen
Gruppen, Netzwerke und Diskursarenen. Birgit Sauer und Stefanie Wöhl fassen aus dieser
Perspektive drei Voraussetzungen für mehr Geschlechterdemokratie zusammen: Erstens
„braucht es öffentliche Räume der Diskussion über ‚Fraueninteressen‘“, um damit die Vielfalt
der unterschiedlichen Interessen widerzuspiegeln, zweitens „bedarf es Mechanismen der
Vermittlung von frauenbewegten deliberativen Öffentlichkeiten in die Institutionen des
politischen Systems hinein“, also von Frauenbeauftragten, Frauenministerien etc. und drittens
umfasst ein feministischer Demokratiebegriff „ganz zentral die Herstellung von gleichen
sozialen Bedingungen der Partizipation von Frauen und Männern: Politische Demokratie
erfordert somit notwendig soziale Gleichheit. Geschlechterdemokratisierung muss also vor
allem an der Verteilung von Arbeit, das heißt von Erwerbs- wie auch von Fürsorgearbeit und
den bisher damit verbundenen Ungleichheiten ansetzen“ (Sauer/Wöhl 2012: 17f.).
Weiterdenken: Gleichstellung wagen!
Es zeigt sich, dass im Bereich der Gleichstellung immer noch viel zu tun ist. Es zeigt sich aber
auch, dass Gleichstellung nicht zu trennen ist von der Weiterentwicklung der Demokratie –
die vielleicht nicht die beste aller möglichen politischen Ordnungen ist, die es geben könnte,
aber die beste, die wir haben. Und wenn wir sie also besser machen wollen, dann gibt es nichts
Wichtigeres als Gleichstellung, im Gegenteil: nur mit mehr Gleichstellung, mehr
Geschlechtergerechtigkeit kann es auch ein Mehr an Demokratie bzw. eine Einlösung
demokratischer Versprechen geben.
Damit bin ich wieder am Anfang meines Vortrags.
Und nun lese ich gerade, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der DAX-Konzerne zur
Steigerung der Frauenanteile in den Führungspositionen kläglich gescheitert ist. Und ich lese,
dass sich die Konzerne weiterhin gegen eine gesetzliche Quotenregelung wehren, sondern
dass sie den „positiven Weg“ – also die Steigerung des Frauenanteils bspw. von 6,8 auf 7% –
weiter beschreiten wollen. Es gibt halt auch im Jahre 2014 Wichtigeres für die führenden
Wirtschaftsunternehmen als mehr Gerechtigkeit in ihren Konzernen.
Die Zurückhaltung der Politik im Hinblick auf die Gleichstellung der Geschlechter in der
Privatwirtschaft ist mithin nicht zu akzeptieren. Genauso wenig ist zu akzeptieren, dass die
politischen Voraussetzungen für mehr politische Teilhabe nicht weiter verbessert werden.
Und noch weniger ist verständlich, dass diejenigen, die sich aktiv in den Kommunen für mehr
Geschlechtergerechtigkeit einsetzen, nicht mehr Instrumente an die Hand bekommen, um
ihre Arbeit noch besser verrichten zu können.
Neben allen wichtigen Perspektiverweiterungen geht es in der Demokratie aber auch und
immer wieder um Fragen der Repräsentation, also darum, ob die verschiedenen
gesellschaftlichen Gruppen angemessen repräsentiert sind. Und dabei können wir immer
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noch davon ausgehen, dass bei einer Geschlechterverteilung von etwa 50 : 50 ein Frauenanteil
in den Kommunalparlamenten in Baden-Württemberg von 24 Prozent und im Landtag von
nicht einmal 20 Prozent eben nicht angemessen ist und das Prinzip der Repräsentation nicht
angemessen umgesetzt wird. Und dann ist es auch Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass
sich das Verhältnis verbessert und sich damit die Idee der Repräsentation besser umsetzt.
Dafür sind dann sowohl symbolische Politiken notwendig als auch konkrete Maßnahmen und
Regelungen. Der Druck, den es dafür zu entfalten gilt, muss, so scheint es, immer noch und
immer wieder von den Zusammenschlüsse von Frauen in allen Bereichen und auf allen Ebenen
kommen.
„Gleichstellung wagen“ habe ich den Vortrag genannt, weil ich – wenn ich mich derzeit auf die
Suche nach publizistischen Debatten und öffentlichen Meinungsäußerungen begebe – den
Eindruck habe, dass Viele Angst vor Gleichstellung haben. Und vielleicht ist die Angst ja auch
berechtigt, wenn man in traditionellen Dimensionen denkt; es geht um die Umverteilung von
Ressourcen und Macht, weil beides nicht unbegrenzt vorhanden ist und deshalb gerechter
verteilt werden muss. Es geht aber vor allem um Wandel, um Veränderungen. Die Frauen, die
seit 40 Jahren den Wandel vorantreiben, weil sie sich als Teil der Gesellschaft verstehen und
sichtbar sein wollen, wissen, dass Wandel oft anstrengend, aber letztendlich beglückend ist.
Dies gilt es auch in allen Bereichen der Demokratie umzusetzen.
Zitierte Literatur:
BMFSFJ (Hg.) 2012: 2. Atlas zur Gleichstellung von Frauen und Männern, Berlin
(http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/2.-Atlas-zur-Gleichstellung-inDeutschland,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf, Zugriff 3.7.2014).
Daniels, Detlef von 2012: Zwischen sozialdemokratischer Praxis und neomarxistischer Theorie. Zur kritischsozialen Demokratietheorie, in: Lembcke, Oliver W./Ritzi, Claudia/Schaal, Gary S. (Hg.): Zeitgenössische
Demokratietheorie. Band 1: Normative Demokratietheorien, Wiesbaden, S. 285-316.
Fraser, Nancy 1996: Die Gleichheit der Geschlechter und das Wohlfahrtssystem: Ein postindustrielles
Gedankenexperiment, in: Nagl-Docekal, Herta/Pauer-Studer, Herlinde (Hg.): Politische Theorie. Differenz und
Lebensqualität, Frankfurt/M., S. 469-498.
Marshall, Thomas H. 1992: Bürgerrechte und soziale Klassen. Zur Soziologie des Wohlfahrtsstaates,
Frankfurt/New York.
Sauer, Birgit/Wöhl, Stefanie 2012: Demokratie und Geschlecht, in: Mörschel, Tobias/Krell, Christian (Hg.):
Demokratie in Deutschland. Zustand – Herausforderungen – Perspektiven, Wiesbaden, S. 341 – 362.
Statistisches Bundesamt 2013: Verdienstunterschiede von Frauen und Männern bleiben bestehen, Wiesbaden
(https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2013/03/PD13_108_621pdf.pdf?__blo
b=publicationFile, Zugriff 06.09.2013)
Vogel, Steffen 2013: Europas Revolution von oben. Sparpolitik und Demokratieabbau in der Eurokrise, Hamburg.
9
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