Versuch 6 Zähigkeit (Viskosität) Gesetz von Stokes Wenn zwei feste Körper aufeinander gleiten, so wird ihre Bewegung dadurch gehemmt, dass zwischen den Körpern ein Reibungswiderstand herrscht. Ein ähnliches Verhalten ist auch bei Flüssigkeiten zu beobachten, und zwar vor allem bei solchen, die man als zäh bezeichnet. Zur Ableitung der Gesetzmäßigkeiten sei eine Flüssigkeit betrachtet, die sich zwischen zwei ebenen Platten befindet, von denen die obere mit der Geschwindigkeit v bewegt wird, während die untere Platte sich in Ruhe befindet (Abb. 1). Parallel zu den Platten sei die Abbildung 1 Flüssigkeit nun in Schichten geteilt. Die unmittelbar an der oberen Platte befindliche Flüssigkeitsschicht hat dieselbe Geschwindigkeit v wie die Platte; die Schicht an der unteren Platte besitzt die Geschwindigkeit Null. Innerhalb der Flüssigkeit herrscht also ein Geschwindigkeitsgefälle, dass durch die Änderung der Geschwindigkeit ∆v bestimmt ist, die man beim Fortschreiten um den Betrag ∆y auf der kürzesten Verbindungslinie zwischen den beiden Platten feststellt. Zwischen den beiden Schichten im Abstand ∆y herrscht eine Schubspannung, die dem Geschwindigkeitsgefälle proportional ist (Gl.1). τ = η⋅ ∆v ∆y (1) Wenn man zur infinitesimalen Schreibweise übergeht, d.h. die Schichten unendlich dünn macht, ergibt sich (Gl. 2): 1 τ = η⋅ dv dy Definition der Zähigkeit nach Newton (2) Den Koeffizienten η bezeichnet man als Koeffizient der Flüssigkeitsreibung oder dynamische Viskosität. Die Einheit der dynamischen Viskosität ist die Pascalsekunde (Pa s): 1 Pa s = 1 Nsm-2 = 1 kg m-1s-1. Eine früher, auch oft verwendete Einheit ist g cm −1s −1 , auch Poise genannt (1 Pa s = 10 Poise). Die kinematische Zähigkeit ν wird auch angegeben als der Quotient der dynamischen Zähigkeit η zu der Dichte ρ (Gl. 3)* ν= η ρ (3) Flüssigkeiten, die dem Gesetz (2) folgen, heißen Newtonsche Flüssigkeiten. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass der Koeffizient η unabhängig ist von der Schubspannung τ und dem Geschwindigkeitsgefälle dv/dy. Daneben gibt es viele Flüssigkeiten, bei denen η in komplizierterer Weise von τ abhängt. Aus der Schubspannung τ ergibt sich die Schubkraft F durch Multiplikation der Gl. (2) mit der Fläche A, entlang der die Schubspannung wirkt: F = τ ⋅ A = η⋅ A ⋅ dv dy (4) Die Viskosität von Flüssigkeiten hängt in starkem Maße von der Temperatur ab. In vielen Fällen wird die Abhängigkeit durch die Beziehung wiedergegeben: η = C ⋅ eb / T (5) Hierbei sind C und b empirisch zu bestimmende Konstanten. Normalerweise nimmt die Viskosität einer Flüssigkeit mit steigender Temperatur ab (b < 0). Eine Strömung , bei der die einzelnen Flüssigkeitsschichten bzw. die Stromfäden ihre gegenseitige Lage beibehalten, wird als laminare Strömung bezeichnet. Alle Gesetzmäßigkeiten, von denen hier die Rede ist, nämlich das Newtonsche Gesetz (Gl. 2) und das Gesetz von Stokes sind nur im Bereich der laminaren Strömung gültig. Bei hohen Strömungsgeschwindigkeiten schlägt die Strömung von der laminaren in die turbulente Form über. Das Experiment zeigt, dass eine dimensionslose Größe, die Reynoldsche * Die Einheit der kinematischen Zähigkeit ist 1m2/s. (Die ältere Einheit 1cm2/s wird als 1 Stokes bezeichnet). 2 Zahl Re, für den Umschlag maßgeblich ist. Re ist gegeben durch Gl. (6). Re = ρ⋅ v ⋅d v ⋅d = η ν (6) Dabei ist d eine charakteristische Größe von der Dimension einer Länge, z.B. bei dem Stokesschen Kugelfallversuch (Strömung einer Flüssigkeit um eine Kugel) der Durchmesser der Kugel und bei Rohrströmung der Durchmesser des Rohres. Der kritische Wert der Reynoldschen Zahl, bei der der Umschlag von der laminaren in die turbulente Strömungsform erfolgt, liegt bei der Rohrströmung etwa bei Re = 2000, während das Gesetz von Stokes für Re < 0,4 gültig ist. Gesetz von Stokes Die Zähigkeit von Flüssigkeiten und Gasen ist bei allen Strömungsvorgängen von großer Bedeutung, da ein großer Teil des Widerstandes, den Körper bei der Bewegung in einem Medium zu überwinden haben, durch die Zähigkeit des Mediums verursacht wird. Dieser Widerstand ist abhängig von der Geschwindigkeit, mit der der Körper bewegt wird. Bei sehr kleinen Geschwindigkeiten ist der Reibungswiderstand infolge der Zähigkeit ausschließlichwirksam. Unter dieser Voraussetzung hat Stokes für kugelförmige Körper ein sehr einfaches Widerstandsgesetz aufgestellt. Danach wirkt auf eine Kugel mit dem Radius r, die sich mit der Geschwindigkeit v bewegt, eine Reibungskraft nach Gl. (7): R = 6 ⋅ π ⋅ η⋅ r ⋅ v (7) Läßt man nun eine Kugel in einem Medium, z.B. in einem Rohr mit Glyzerin fallen, so wird die Bewegung durch folgende Kräfte bestimmt: 1. Die Anziehungskraft der Erde Diese ist nach Gl. (8) zu berechnen, wobei ρ die Dichte der Kugel und g die Erdbeschleunigung bedeutet. Die Anziehungskraft wird vermindert um den Auftrieb, den die Kugel in der Flüssigkeit erleidet. Der Auftrieb ist gleich dem Gewicht der verdrängten Flüssigkeit (Dichte ρ1 ) und wird durch Gl. (9) gegeben. G= 4 π ⋅ r 3 (ρ − ρ1 )g 3 (8) 4 ⋅ π ⋅ r 3 ⋅ρ1 ⋅ g 3 (9) A= Die nach unten gerichtete Kraft ist gleich der Differenz zwischen Anziehungskraft und Auftrieb. 4 G − A = ⋅ π ⋅ r 3 (ρ − ρ1 )g 3 (10) 3 2. Der Bewegung entgegengesetzt ist die Reibungskraft R. Solange R kleiner als G-A ist, wird die Kugel nach unten beschleunigt und fällt mit wachsender Geschwindigkeit. Dabei wächst aber die Reibungskraft R, bis die beiden entgegengesetzten Kräfte gleich groß sind: R =G−A (11) Die Kugel ändert solange ihre Geschwindigkeit, bis diese Bedingung erfüllt ist. Dann ist die Beschleunigung Null und die Kugel bewegt sich weiter mit konstanter Geschwindigkeit (die Endgeschwindigkeit vE), die aus Gl. (12) zu berechnen ist. Hier ist R aus Gl. 7 und G-A aus Gl.10 in Gl. 11 eingesetzt: 6 ⋅ π ⋅ η⋅ v E ⋅ r = 4 ⋅ π ⋅ r 3 (ρ − ρ1 )g 3 (12) Aus dieser Beziehung kann die Zähigkeit berechnet werden, wenn r, ρ, ρ1 und v bekannt sind. Der Radius des Rohres R, in der sich die Flüssigkeit befindet, geht noch in ein Korrekturglied für die Geschwindigkeit ein, da die angegebene Formel für eine unendlich ausgedehnte Flüssigkeit abgeleitet ist. Die korrigierte Geschwindigkeit c (Gl. 13) wird an Stelle von v in Gl. 12 eingesetzt. Damit lässt sich die Zähigkeit nach Gl. 14 ausrechnen. r ) R (13) 2 r2 η = ⋅ (ρ − ρ1 )g 9 c (14) c = v E (1 + 2, 4 Versuchsanordnung Die Flüssigkeit, deren Zähigkeit bestimmt werden soll, befindet sich in einem kreiszylindrischen, unten geschlossenen Glasrohr. In einem gewissen Abstand unter der Flüssigkeitsoberfläche befindet sich ein Ring, ein zweiter Ring befindet sich am unteren Ende des Rohres. Der Abstand zwischen den beiden Ringen beträgt a cm. Läßt man eine kleine Stahlkugel in die Flüssigkeit fallen, so soll sich vor Erreichen der oberen Marke das Gleichgewicht zwischen den Kräften eingestellt haben, d.h. aus der beschleunigten Bewegung soll eine gleichförmige geworden sein. Wird nun die Zeit t gemessen, die die Kugel zum Zurücklegen der Strecke a benötigt, so beträgt die Geschwindigkeit vE = a/t. Versuchsdurchführung 1. Von einer Anzahl gleicher Stahlkugeln werden mit der Mikrometerschraube die Durchmesser bestimmt und der Mittelwert berechnet. 2. Das Gewicht von je 10 Kugeln gleicher Größe wird auf einer empfindlichen Waage festgestellt. Aus Gewicht und Volumen ist die Dichte zu bestimmen. 3. Die Fallzeiten von 5 Kugeln gleicher Größe werden gemessen und ermittelt. 4 1 ¦ t i wird die Geschwindigkeit vE = a/tm n berechnet. Mit Hilfe der Gl.(13) wird die korrigierte Geschwindigkeit ermittelt, die in Gl. (14) eingesetzt wird. 4. Mit dem Mittelwert der Fallzeit t m = 5. Mit den Mittelwerten - rm für den Radius der Kugel und - tm für die mittlere Fallzeit ist die Viskosität (Zähigkeit) η 2 η= 2 ⋅ t m ⋅ rm ⋅ (ρ − ρ1 ) ⋅ g 9 ⋅ a ⋅ (1 + 2, 4 ⋅ rm / R) (15) zu bestimmen. Wenn man alle Größen in den SI-Einheiten kg, m und s einsetzt, erhält man als Einheit der Viskosität η kg ⋅ m −1 ⋅ s −1 = N ⋅ s / m 2 = Pa ⋅ s Hinweise zur Fehlerrechnung Der Fehler der zu bestimmenden Viskosität ist nicht durch eine kurze Formel anzuschreiben (die Gl. (15) enthält Summen und Produkte von Meßgrößen!); deshalb macht man folgende Annahmen: a) Der Korrekturfaktor im Nenner bleibt als kleine Korrekturgröße unberücksichtigt. b) Die angegebenen Größen g, a und ρ1 (Dichte der Flüssigkeit) werden als fehlerfrei angesehen. c) Man ermittelt zunächst den relativen Fehler der Differenz (ρ − ρ1 ) ∆(ρ − ρ1 ) ∆ρ + ∆ρ1 = ρ − ρ1 ρ − ρ1 ≈ ∆ρ ρ − ρ1 und schätzt den Fehler der Dichtebestimmung für die Kugeln aus den Messungen von Masse und Radius der Kugeln ab zu ∆ρ = ρ ⋅ ( ∆m / m + 3 ⋅ ∆rm / rm ). d) Nach diesen Vorarbeiten ist ∆η ∆t m ∆r ∆ρ = + 2⋅ m + η ρ − ρ1 tm rm (16) 5 Anhang Die Bewegungsgleichung der Kugel unter dem Einfluß der Kräfte R (Gl. 7) und G-A (Gl. 10) R = 6 ⋅ π ⋅ η⋅ r ⋅ v und G−A = 4 ⋅ π ⋅ r 3 (ρ − ρ1 )g 3 m⋅ a = m ⋅ dv = (G − A) − R dt lautet Definiert man k = R = 6 ⋅ π ⋅ η⋅ r und verwendet v E = (A.1) G−A G−A = von (Gl.12), 6πηr k kann Gl. (A.1) umgeformt werden: m dv dv k = k(v E − v) bzw. = − dt dt v − vE m Wir integrieren nun (A.2) unter Berücksichtigung, dass v = 0 für t = 0, (A.2) ∫ v 0 t dv k = ∫ − dt 0 v − vE m und erhalten * ln( v − v E ) v 0 =− k v −v t = ln E m vE Das führt zu der Lösung für die Geschwindigkeit als Funktion der Zeit v(t) = v E (1 − e − ( k / m) t ) (A.3) k 6πηr legt fest, wie schnell sich die Kugel ihrer Endgeschwindigkeit vE = m m nähert. Die Strecke s, die dabei zurückgelegt wird, ist gegeben durch Die Konstante t s = ∫ v(t)dt = v E t + 0 vE vE m ≈ v E (t − ) e − ( k / m)t − (k / m) (k / m) k (A.4) ____________________ * ∫ dy / y = ln y 6