Kontinuumshypothese, Ordinalzahlen und transfinite Induktion

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“Logische Grundlagen der Mathematik”, WS
2014/15
Thomas Timmermann
26. Januar 2015
Die Kontinuumshypothese
Die Nummer 1 von Hilberts 23 Problemen
1900 präsentierte David Hilbert auf dem 2. Internationalen
Mathematiker-Kongress eine Liste
von 23 Problemen.
1. Problem
David Hilbert
(1862–1943)
Beweise oder widerlege die sogenannte
Kontinuums-Hypothese (CH):
Für keine Menge X gilt |N| < |X| <
|R|.
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Unabhängigkeit der Kontinuumshypothese von ZFC
Theorem (1938) Ist das Axiomensystem ZFC widerspruchsfrei, so auch
ZFC + CH.
Kurt Gödel
(1906–1978)
Theorem (1963) Ist das Axiomensystem ZFC widerspruchsfrei, so auch
ZFC+¬CH.
Paul Cohen
(1934–2007)
Die Gödelschen Unvollständigkeitssätze
1. Unvollständigkeitssatz
Jedes hinreichend mächtige formale System ist entweder widersprüchlich oder unvollständig.
2. Unvollständigkeitssatz
Jedes hinreichend mächtige formale, widerspruchsfreie System
kann nicht die eigene Widerspruchsfreiheit beweisen.
Zur Lektüre
empfohlen:
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ORDINALZAHLEN UND TRANSFINITE INDUKTION
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Ordinalzahlen und transfinite Induktion
Die natürlichen Zahlen kann man verwenden zum
(i) Abzählen der Anzahl von Elementen einer endlichen Menge,
(ii) Anordnen von endlich oder abzählbar unendlich vielen Elementen einer Menge.
Kardinalzahlen ermöglichen (i) für unendliche Mengen und Ordinalzahlen ermöglichen (ii).
Wir betrachten Ordinalzahlen auch, um das dem Lemma von Zorn zu beweisen,
welches eine Art Induktionsprinzip für überabzählbar große Mengen darstellt und
äquivalent ist zum Auswahlaxiom.
Zur Wiederholung: Eine partielle Ordnung oder Halbordnung auf einer Menge
A ist eine Relation ≤ auf A, die reflexiv, transitiv und antisymmetrisch ist. Eine
Halbordnung auf A heißt Ordnung, falls für alle x, y ∈ A gilt: x ≤ y oder y ≤ x.
Definition. Man nennt eine Ordnung auf einer Menge A Wohlordnung und A wohlgeordnet, falls jede Teilmenge B ⊆ A ein Minimum hat, also ein x ∈ B mit x ≤ y
für alle y ∈ B.
Zum Beispiel ist N0 wohlgeordnet, aber nicht R, weil etwa β := (0, 1) ⊆ R kein
Minimum hat.
Definition. Zwei geordnete Mengen A und B heißen (ordnungs-)isomorph, wenn
es eine Bijektion f : A → B gibt, sodass ∀x, y ∈ A : x ≤ y ⇔ f (x) ≤ f (y )
Offenbar ist Ordnungs-Isomorphie ähnlich wie Gleichmächtigkeit reflexiv, symmetrisch und transitiv und somit eine Äquivalenzrelation auf der Klasse aller wohlgeordneten Mengen. Ordinalzahlen repräsentieren die Äquivalenzklassen für diese
Äquivalenzrelation (wie wir erst später sehen werden).
Definition. Eine Menge α heißt Ordinalzahl, falls sie
(i) transitiv ist, also aus y ∈ x ∈ α folgt: y ∈ α oder, äquivalent, aus x ∈ α
folgt: x ⊆ α;
(ii) durch x ≤ y :⇔ (x ∈ y ) ∨ (x = y ) eine totale Ordnung auf α definiert wird,
d.h. für alle x, y ∈ α gilt x ∈ y , y ∈ x oder x = y .
Man schreibt On für die Klasse aller Ordinalzahlen (sie bilden keine Menge!).
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ORDINALZAHLEN UND TRANSFINITE INDUKTION
Beispiel. (i) Eine natürliche Zahl ist eine Ordinalzahl genau dann, wenn jede
nichtleere Teilmenge ein Minimum und Maximum hat.
(ii) N0 ist eine Ordinalzahl.
(iii) s(N0 ) = N0 ∪ {N0 } ist eine Ordinalzahl.
Satz. Jede Ordinalzahl α ist wohlgeordnet.
Beweis. Sei β ⊆ α. Nach dem Fundierungsaxiom existiert ein x ∈ β mit x ∩ β = ∅.
Gäbe es ein y ∈ β mit y < x, so wäre y ∈ x und somit y ∈ x ∩ β, Widerspruch.
Satz. Sei α eine Ordinalzahl.
(i) Jedes β ∈ α ist eine Ordinalzahl.
(ii) Sei β ⊆ α transitiv. Dann ist β = α oder β ∈ α;
(iii) Sei γ eine Ordinalzahl. Dann gilt α ∈ γ oder γ ∈ α oder α = γ.
(iv) s(α) = α ∪ {α} ist eine Ordinalzahl.
Bei der Veranschaulichung und dem Beweis hilft schon das Beispiel der natürlichen
Zahlen, für die wir ähnliche Aussagen bewiesen hatten.
Beweis. (i) Sei β ∈ α. Dann ist β
• wie α durch ≤ geordnet, weil β ⊆ α;
• transitiv, weil aus y ∈ x ∈ β ∈ α folgt: y ≤ x ≤ β, also y ≤ β, also y ∈ β.
(ii) Sei β 6= α. Wir zeigen: β = r =: min(α \ β) ∈ α.
“⊇”: Aus x ∈ r folgt x < r = min(α, β), also x ∈ β.
“⊆”: Aus x ∈ β ∈ α und x 6∈ r folgt r ∈ x (r und x sind vergleichbar) und aus
r ∈ x ∈ β folgt r ∈ β (β ist transitiv), Widerspruch.
Definition. Eine Ordinalzahl α heißt Nachfolgezahl, wenn α = β ∪ {β} für eine
Ordinalzahl β, und sonst Limeszahl.
Beispiel. ω := N0 ist eine Limeszahl, denn wäre N0 = β ∪ {β}, so wäre β ∈ N0
und s(β) 6= N0 .
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ORDINALZAHLEN UND TRANSFINITE INDUKTION
Lemma. Eine Ordinalzahl λ 6= ∅ ist genau dann eine Limeszahl, wenn λ =
(die Vereinigung aller Elemente von λ).
S
λ
Beweis. Ist α = s(β) eine Nachfolgezahl, so folgt aus der Transitivität von β:
S
S
α = (β ∪ {β}) = β 6= α.
Ist λ eine Limeszahl und β ∈ λ, so ist s(β) = β ∪ {β} ⊆ λ, also s(β) ∈ λ und
S
S
S
somit β ∈ {β} ⊆ λ, also λ = λ.
Satz. (Prinzip der transfiniten Induktion) Sei φ eine Eigenschaft von Ordinalzahlen
und es gelte:
(i) φ(0) ist wahr,
(ii) ∀α : φ(α) wahr ⇒ φ(s(α)) wahr
(iii) (λ Limeszahl und ∀α < λ : φ(α) wahr) ⇒ φ(λ) wahr.
Dann gilt φ(α) für alle α ∈ On.
Proof. Angenommen, φ(α) ist falsch für ein α ∈ On. Sei µ := min{ξ ≤ α : φ(ξ)
falsch}. Dann ist µ 6= 0 und für alle ξ < µ ist φ(ξ) wahr. Ist µ eine Nachfolgerzahl,
folgt ein Widerspruch zu (ii); ist µ eine Limeszahl, folgt ein Widerspruch zu (iii).
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