Etwas Ökonomie - karl

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Karl Betz
Etwas Ökonomie
Teil 1: Lohn. Preis, Profit
Berlin 2004
Inhalt
S. I
Inhalt Teil 1
Wie entstehen Preise?: Lohn, Preis, Profit ........................................................................ 1
Aussagen, die nicht vom theoretischen Ansatz abhängen ............................................. 2
Das Modell ............................................................................................................ 5
Exkurs: Wahl der Technik .................................................................................. 10
Reallohn und Nominallohn ................................................................................. 13
Profitrate und Zinssatz ........................................................................................ 16
Resümee .............................................................................................................. 19
Drei Wert­ und Verteilungstheorien ............................................................................ 20
Die klassische Variante: Wert der Ware Arbeitskraft ......................................... 20
Wert­ und Verteilungstheorie ..................................................................... 20
Reallohn und Nominallohn ........................................................................ 22
Profitrate und Zinssatz ............................................................................... 24
Tendenzieller Fall der Profitrate? ............................................................... 25
Wer trägt die Steuern? ................................................................................ 26
Die neoklassische Variante: Vollbeschäftigung ................................................. 27
Der Arbeitsmarkt ........................................................................................ 27
Wert­ und Verteilungstheorie ..................................................................... 30
Reallohn und Nominallohn ........................................................................ 32
Tendenzieller Fall der Profitrate? ............................................................... 33
Profitrate und Zinssatz................................................................................ 34
Wer trägt die Steuern? ................................................................................ 34
Die keynesianische Variante: Geld regiert die Welt ........................................... 35
Wert­ und Verteilungstheorie ..................................................................... 36
Tendenzieller Fall der Profitrate? ............................................................... 38
Profitrate und Zinssatz ............................................................................... 39
Reallohn und Nominallohn ........................................................................ 39
Wer trägt die Steuern? ................................................................................ 41
Resümee: Löhne, Preise, Profite, Produktivität .................................................. 41
Verzeichnis der Abbildungen
Abb. 1 Lohn­Profit­Relation ............................................................................................ 13
Abb. 2: Wahl der Technik ................................................................................................. 14
Abb. 3: Arbeitsschutzbestimmungen ................................................................................ 15
Abb. 4: Lohn­Profit­Relation in der Klassik ................................................................... 22
Abb. 5: Marktdiagramm ................................................................................................... 27
Abb. 6: Probleme bei der Findung des Gleichgewichts ................................................. 28
Abb. 7: Arbeitsmarktdiagramm ....................................................................................... 30
Abb. 8: Verteilungstheorie der Neoklassik ...................................................................... 31
Abb. 9: Lohn­Profit­Relation bei Keynes ......................................................................... 37
Wie entstehen Preise? Lohn, Preis, Profit
Es gibt drei sehr unterschiedliche große Preistheorien: die der Klassik, der Neoklassik
und die von Keynes.1 Wirklich bedeutsam ist heute nur der neoklassische Ansatz – die
neoliberale Theorie. Die anderen beiden Ansätze werden nur von wenigen Menschen, im
wesentlichen Dinosaurieren, die noch aus der Zeit der Studentenbewegung übrig
geblieben sind, vertreten und diese werden jetzt so nach und nach biologisch abgebaut,
verschwinden von den Universitäten, weil sie in Rente gehen. Trotzdem möchte ich in der Folge alle drei Theorien abhandeln. Dies deshalb, weil
dies die drei möglichen Varianten sind, mit denen man Preise, Löhne und Profite
theoretisch sauber erklären kann. Eine vierte, noch unentdeckte Möglichkeit kann es aus
logischen Gründen nicht geben – ich kann höchstens noch mit „ historischen Preisen“
arbeiten, also letztlich einfach sagen, die Preise sind halt so wie sie sind, oder auf eine
Preistheorie ganz verzichten – aber das sind eben keine Erklärungen, sondern ein
Zurückweisen der Frage. Wenn man also eine Kritik der herrschenden Theorie versucht,
ist man auf eine der beiden anderen Varianten angewiesen (oder man verzichtet ganz auf
eine Preistheorie) und dieser Sachverhalt macht Klassik und keynesianische Theorie
wichtig, auch wenn sie derzeit kaum noch Vertreter haben. Hinzu kommt natürlich die
zusätzliche Motivation, daß ich selbst ein Dinosaurier bin, ein Anhänger der kleinsten
und unbedeutendsten der drei Schulen: einer an Keynes angelehnten Preistheorie.
Man könnte jetzt der Lehrbuchfolkore aufsitzen und sagen: Die Neoklassik bestimmt
die Preise über Angebot und Nachfrage, die Klassik bestimmt sie über die Produktions­
1 Vertreter der Klassik waren im 18. und 19. Jahrhundert: Adam Smith, David Ricardo, John
Stewart Mill. Als heute lebende Vertreter könnte man z.B. Pasinetti in Italien oder auch
Schefold in Frankfurt nennen. Neoklassiker ist heute praktisch jeder – diese Leute verstehen sich schon gar nicht mehr als
ökonomische Schule, sondern nur mehr als „ die Ökonomie“, der ökonomische main stream.
Dies gilt nicht zuletzt auch für die meisten Neukeynesianer (Blanchard, Mankiw, Romer;
einzig bei Solow und Stiglitz würde ich hier ein Fragezeichen setzen. Ferner bei Hahn, aber
der wird dieser Gruppe sowieso nicht zugerechnet.) die sich halt nur stärker als andere darum
bemühen, kurzfristige Abweichungen zu dem auch von ihnen akzeptierten neoklassischen
Gleichgewicht zuzulassen. Begründer der heutigen neoklassischen Preistheorie war (der
Sozialist) Leon Walras (1870). Hinweise zu einer keynesianischen Preistheorie finden sich bei Keynes (überrascht?, in
jüngerer Zeit bei Rotheim). Systematischer daran weiter gearbeitet hat Hajo Riese in Berlin,
der mittlerweile emeritiert ist und an dessen Institut ich arbeiten durfte.
Falls irgend jemand den Namen Marx in der Aufzählung vermissen sollte: Marx gehört zur
Klassik. Er selbst wies darauf hin, daß das Neue am „ Kapital“ nicht die Erklärung der Höhe
der Preise, der Löhne etc. sei, sondern daß es darin bestehe, daß er die grundsätzlichere Frage
gestellt habe, warum es überhaupt so etwas wie Preise, Löhne etc. gibt – sinngemäß: warum
dieser Inhalt (die gesellschaftliche Arbeit) jene Form (Preis, Geld, Kapital ...) annimmt. Auf diese Frage hat er meines Erachtens in der Tat die richtige Antwort gegeben: Es sind dies
die entfremdeten Vergegenständlichungen eines gesellschaftlichen (Produktions­) Verhält­
nisses. Nur ist dies nicht die Fragestellung dieses Papiers, daher gehe ich auf diesen Zusam­
menhang nicht ein.
Lohn, Preis, Profit
S.2
bedingungen etc. Nur: das trifft den Sachverhalt nicht. Auch die Neoklassik kennt die
Produktion. Bei produzierbaren Waren steht die Produktion (und stehen damit die
Produktionsbedingungen) hinter dem Angebot – und wenn man dem Modell genug Zeit
läßt, damit die produzierten Mengen sich an die Nachfrage anpassen können, bestimmen
auch hier die Angebotsbedingungen die Preise praktisch alleine. Und auch die Klassiker
wissen, daß kurzfristige Schwankungen der Nachfrage (oder des Angebots: Mißernten)
einen Einfluß auf die Preise haben (sowohl bei Mill als bei Malthus findet man längere
Abschnitte zu diesem Thema, auch Marx erwähnt dies an verschiedenen Stellen des
„ Kapital“), nur interessieren sie sich nicht weiter dafür, weil es ihnen um langfristige
Entwicklungen geht und sie diese Abweichungen nur als Störungen begreifen, von denen
sie bewußt abstrahieren.
Daher will ich, um die Theorien so vergleichbar wie nur irgend möglich zu machen –
und so die Unterschiede besonders klar herausarbeiten zu können –, in einem Rahmen
diskutieren, mit dem alle drei Theorien leben können – wenn er für die Neoklassik auch
nur einen Teil der Zustände beschreibt, die sie als Gleichgewicht modellieren kann.
Dieser theorieunabhängige Rahmen soll zunächst vorgestellt werden und es werden
einige Folgerungen aus ihm gezogen, die für alle Theorieansätze verbindlich sind. Erst
anschließend soll dann gefragt werden, wie die drei großen Schulen in diesem Rahmen
Löhne, Preise und Profite erklären. Aussagen, die nicht vom theoretischen Ansatz abhängen
Ich unterscheide zunächst einmal zwischen Ungleichgewicht und Gleichgewicht – 2
Ungleichgewicht: Nehmt an, die globale Erwärmung setzt schlagartig und unerwartet
ein. Dann steigt die Nachfrage nach Speiseeis drastisch und solange keine neuen Fabriken
gebaut worden sind, können die Preise explodieren. Vielleicht nicht in den Supermärkten,
weil die Hersteller eventuell aus Gründen der langfristigen Marketingstrategie eine
Preispolitik betreiben, die keine starken Preisschwankungen vorsieht. Aber dann sind die
Kühlregale leer gekauft und Ihr kriegt das Zeug nur noch teuer auf dem Schwarzmarkt
(Ihr kennt den Effekt bei Konzertkarten) – und dieser Schwarzmarktpreis ist dann der
eigentliche Marktpreis, denn der Preis ist der Geldbetrag, für den ich ein Produkt auch
wirklich bekommen kann. Mittelfristig werden dann aber zuerst Überstunden gefahren
und später zusätzliche Eisfabriken gebaut werden und der Preis wird sich wieder auf
seinen „ Normal­“ bzw. Gleichgewichtspreis zurück bewegen.
2 Damit unterscheide ich mich von formal anspruchsvoller Neoklassik, die auch Prozesse der
Anpassung an die Preise des langfristigen Gleichgewichts noch als Gleichgewichtsprozesse
modellieren würde und stehe einem klassisch­marxistischen Gleichgewichtsbegriff näher (vgl.
Weintraub). Ich halte das für leichter verständlich und es hat inhaltlich keine Konsequenzen,
weil ich sowieso nur im Kontext langfristiger Gleichgewichte argumentieren werde und diese
(stationary oder steady state) Gleichgewichte – jedenfalls für die Preistheorie – in allen
Ansätzen ähnliche Eigenschaften haben (Hahn 1982).
Lohn, Preis, Profit
S.3
Umgekehrt: Nehmt an, es bricht unerwartet eine Eiszeit aus. Dann geschieht das
Umgekehrte: Die Produktionskapazitäten stehen ungenutzt 'r
um, die Kaufhäuser sitzen
auf ihrem Eis und der Preis fällt, um die Lager zu leeren. Irgendwann ist dann aber die
Produktion so weit geschrumpft, daß das wenige Eis, das noch produziert wird, wieder zu
kostendeckenden Preisen verkauft werden kann, wir also wieder mehr oder weniger bei
einem Gleichgewichtspreis angelangt sind.
Gleichgewicht ist hier nix sonderlich Geheimnisvolles, es ist einfach ein Preis, der,
solange es keine neuen äußeren Einflüsse gibt (veränderte Bedürfnisse, veränderte
Produktionsbedingungen), keine Tendenz mehr hat, weiter zu steigen oder zu fallen.
Über das Ungleichgewicht habe ich nix zu sagen, in ihm fällt oder steigt der Preis halt,
und wie genau, hängt von sehr willkürlichen Annahmen ab. Alles was folgt, bezieht sich
auf das Gleichgewicht – auf das Schwankungszentrum, um das herum die Marktpreise
schwanken können. Ein Marxist würde dies vielleicht die „ Werte“ nennen, in der
üblichen ökonomischen Terminologie wird zwischen Werten und Preisen nicht
unterschieden und der Begriff Wert bezeichnet etwas anderes (Wert = Preis mal Menge).
Also, neue Frage: Was bestimmt die Gleichgewichtspreise?
Wenn irgendwelche Dinge nicht (re)produzierbar sind – Land, alte Meister, Schall­
platten mit einer Widmung von Jim Morrsion – werden die Preise über Seltenheit (wie
viel gibt's
von dem Zeug) und Nachfrage, (kaufkräftiges) Bedürfnis (wie viele Leute sind
bereit, wie viel dafür zu zahlen), bestimmt, aber das interessiert nicht weiter, denn
perspektivisch wollen wir ja auf Löhne und Beschäftigung hinaus, also interessieren nur
die Preise produzierbarer Güter.
Also, noch weitere Einschränkung der Frage: Was bestimmt die Gleichgewichtspreise produzierbarer Güter?
So, nach dem jetzt erstmal die Frage so zurechtgestutzt wurde, daß sie sich
beantworten läßt, führe ich ein kleines Denk­Instrument, ein Mini­Modellchen, ein, mit
dem sie diskutiert werden kann. Dieses Modell ist noch völlig theorieunabhängig – es ist eine radikal vereinfachte
Version von Sraffa (1960), dessen Büchlein3 auf Deutsch übrigens zuerst in der DDR
erschien und zunächst als Formalisierung von Marx gefeiert wurde. Die unterschiedlichen
ökonomischen Theorien kommen dann zum Zuge, wenn man das Modell interpretiert.
Das Modell Nehmt an, ein Gut werde mittels Arbeit und mit sich selbst als einzigem Rohstoff
hergestellt. Beispielsweise werde Weizen mit Arbeit und mit Weizen als Saatgut erzeugt.
Ein Produktionsverfahren, eine Technik, kann dann beschreiben werden wie ein
Kochrezept: Man gebe k Kilo Weizen und a Liter Arbeit in einen Topf (den
3 Warenproduktion mittels Waren.
Lohn, Preis, Profit
S.4
Produktionsprozeß) und heraus kommt, nach hinreichend langem Köcheln, das fertige
Gericht, der Produktionsausstoß, eine Portion Weizen : Also:
Einsatzfaktoren ==> Produktionsausstoß
k * Weizen, a * Arbeit ==> 1 Weizen
Das Modell ist zu simpel? Nein, denn es ist beliebig erweiterbar. Daß es nur ein Gut enthält, ist kein Problem: Statt eines einzigen Gutes können auch
jede Menge Güter in eine Produktion als Einsatzfaktoren eingehen, nur muß ich dann halt
auch die Produktionsprozesse betrachten, in denen sie hergestellt werden. Statt eines
Gutes habe ich dann eine ganze Tabelle, eine Input­Output­Matrix, wie sie z.B. in den
USA während des zweiten Weltkrieges für die Planung der Kriegsproduktion verwandt
wurde.4 Hier ist nur Weizen drin und kein Kapital, keine Maschinen ... Ändert nix, auch die
kann man über eine Erweiterung der Systems mit 'rei
nnehmen. Jetzt müssen nur noch die Mengen richtig angegeben werden – sage: ich brauche 0,25
Sack Weizen und vier Einheiten Arbeit, um einen Sack Weizen herzustellen:
0.2 * W + 4 * A ==> 1 * W
Diese Einschränkung auf eine bestimmte Technik – 4 Einheiten Arbeit und 0,2 Sack
Weizen ergeben einen Sack Weizen – ist nicht wichtig. Ich werde später kurz andeuten,
daß man durchaus auch unterschiedliche Verfahren zulassen kann – es kann also auch
arbeitsintensivere Techniken geben: Es wird mehr Arbeit aufgewandt und es ist weniger
Saatgut erforderlich, z.B. könnte man jemanden anstellen, um Saatkrähen zu
verscheuchen. Oder „k apitalintensivere“ 6 Technologien: es wird, um einen Sack Weizen
4 Dafür war das Konzept ursprünglich von Leontief (unabhängig von und zeitgleich mit Sraffa)
entwickelt worden.
Eine Kriegswirtschaft bedeutet in der Regel (solange der Krieg nicht im eigenen Territorium
stattfindet) Vollbeschäftigung, ja, oft sogar Überbeschäftigung. Daher ist die Frage wichtig:
Wie viele Ressourcen und wie viel Arbeit muß ich aus anderen Bereichen abziehen, wenn ich
z.B. ein Kriegsschiff bauen will. Denn ich brauche ja nicht nur den Stahl und die Maschinen
die direkt im Bau des Kriegsschiffs eingesetzt werden, sondern ich brauche auch die
Maschinen und Rohstoffe, die erforderlich sind, um die Maschinen und Rohstoffe zu
produzieren, die ich in der Werft einsetze. Und ich brauche die Maschinen und Rohstoffe, die
erforderlich sind, um die Maschinen und Rohstoffe zu produzieren, die ich haben muß, um die
Maschinen und Rohstoffe und Rohstoffe zu produzieren, die ich in der Werft einsetzen will.
Ich denke, das Problem ist deutlich geworden: Statt einer klaren Antwort kriege ich einen
infiniten Regress. Dieser läßt sich mit Hilfe der Input­Output­Matrix (genauer: mit deren
Kehrwert, der Inversen der Input­Out­Matrix, auch Leontief­Inverse genannt) auflösen.
5 Es ist klar, daß man sinnvoller Weise annehmen sollte, daß weniger Weizen in die Produktion
eingebracht wird, als von dieser hergestellt wird, sonst ist irgendwann der Weizen alle und es
kann nicht mehr produziert werden.
6 Man kriegt dann allerdings bei mehreren Gütern ein systematisches Problem: Ich kann
Kapitalgüter nicht addieren, ohne sie zuvor mit ihren Preisen mal genommen zu heben. Diese
aber ändern sich gerade, wenn ich z.B. die Löhne verändere. Ich gehe hier nicht weiter darauf
ein, aber diese Tatsache bedeutet, daß man z.B. nicht sicher sagen kann, daß eine Absenkung
Lohn, Preis, Profit
S.5
zu erhalten, mehr ausgesät, aber weniger Arbeit eingesetzt – z.B. nicht bewässert, so daß
man eine höhere Menge Saatgut braucht, um auf die gleiche Ernte zu kommen. Es mag
auch Technologien geben, bei denen man von beidem, sowohl von Weizen als von
Arbeit, mehr einsetzen muß, um einen Sack Ernte zu erreichen. Aber solche
Technologien sind ganz sicher zu teuer und daher nur noch für das Museum interessant.
In der ökonomischen Anwendung werden sie ausgerottet, im Extremfall, indem die
Firmen, die sie anwenden, pleite gehen, weil sie zu hohe Kosten haben. Um das Ergebnis gleich allgemeiner zu kriegen, werde ich im Folgenden statt
konkreter Zahlen Variablen verwenden. Es steht
k – für die Menge an Korn, die ausgesät werden muß, um eine Einheit Weizen zu
ernten und
a – steht für die Menge an Arbeitseinheiten, die eingesetzt werden müssen, um eine
Einheit Weizen zu ernten
Damit sind bereits zwei Größen im Modell, denen man gelegentlich begegnet:
Arbeitsproduktivität: Wenn a die Menge an Arbeit ist, die man braucht, um eine
Einheit Weizen herzustellen, dann ist 1/a die Menge an Weizen, die mit einer Einheit
Arbeit hergestellt werden kann. Dies ist die Arbeitsproduktivität. Im Beispiel war a = 4,
es waren 4 Einheiten Arbeit nötig, um eine Einheit Weizen zu erzeugen. Also war die
Arbeitsproduktivität gleich ¼ bzw. 0,25 [Weizen/Arbeit].
Bei der Arbeitsproduktivität, von der man gelegentlich in den Zeitungen liest, werden
alle Güter und Dienstleistungen, die in einer Ökonomie hergestellt wurden, zu einem
Aggregat zusammengefaßt,7 dem (Brutto)Nationalprodukt (in älteren Lehrbüchern heißt
das noch Sozialprodukt) und durch den Arbeitsaufwand, entweder die Zahl der
Beschäftigten oder durch die geleisteten Arbeitsstunden (Stundenproduktivität), geteilt.
Letztere ist das bessere Maß, weil bei ihr der Effekt von Arbeitszeitverkürzungen
herausgerechnet ist. Wenn man von technischem Fortschritt liest, ist in der Regel diese Entwicklung
gemeint – der jährliche Zuwachs der Menge an Gütern, die mit einer Einheit Arbeit
hergestellt werden können.8 Das Wachstum der Arbeitsproduktivität hängt zusammen mit
der Löhne dazu führt, daß mehr Arbeit und weniger Maschinen in der Produktion eingesetzt
werden. Alle Ökonomen, die behaupten, niedrigere Löhne würden über eine arbeitsintensivere
Technik zu höherer Beschäftigung führen, lügen. Und sie wissen dies, denn in ihren eigenen
Lehrbüchern kennen sie diesen Effekt. Aber überspannt das Argument nicht: Man kann
angebotsorientiert schon begründen, warum Lohnsenkungen die Beschäftigung erhöhen
sollten. Nur halt nicht so.
7 Im Kern werden alle produzierten Mengen an Gütern und Dienstleistungen mit ihren Preisen
multipliziert, die Beträge addiert und dann wird noch die Inflationsrate herausgerechnet.
(Reales Nationalprodukt oder auch Nationalprodukt zu konstanten Preisen.) Hier schleichen
sich Fehler ein, das sogenannte Indexproblem, aber diese sind nicht zu vermeiden und müssen
daher in Kauf genommen werden. Darauf einzugehen, würde hier zu weit führen.
8 Arbeitssparender technischer Fortschritt ist definiert als Absenken von a, also als Reduktion
des zur Produktion einer Einheit Output erforderlichen Arbeitseinsatzes bei konstant
Lohn, Preis, Profit
S.6
erstens dem technischen Fortschritt, der auf Grund der Wissenschaftsentwicklung
sowieso stattfindet und zweitens hängt er noch von der Wachstumsrate9 ab.
Dieser Zusammenhang („ Verdoorns Gesetz“) ist von Land zu Land und von Zeitraum
zu Zeitraum unterschiedlich, aber er erweist sich doch für längere Perioden als recht
stabil. In der Bundesrepublik etwa stieg die Arbeitsproduktivität in den letzten 10 bis 15
Jahren pro Jahr um ca. ein Prozent plus der Hälfte der Wachstumsrate des National­
produkts:
Zuwachs der Arbeitsproduktivität = 1% + 0,5 * Wachstumsrate.
Ich komme im zweiten Papier (Abschnitt: technologische Arbeitslosigkeit?) auf diesen
Zusammenhang zurück.
Kapitalproduktivität: Analog zur Arbeitsproduktivität ist die Kapitalproduktivität
darüber definiert, wie viel Kapital man einsetzen muß, um eine Einheit Produktions­
ausstoß zu erzeugen. Im Beispiel läge also die Kapitalproduktivität bei 5 (= 1/k = 1/0,2).
Kapitalsparender technischer Fortschritt liegt dann vor, wenn man, bei gleichem
Arbeitseinsatz, mit weniger Einsatzgütern mehr herstellen kann.
So, damit ist aus dem einfachen Kochrezept erstmal alles an Beziehungen heraus
gekitzelt. Um uns langsam mal in Richtung der Frage nach den Preisen zu bewegen,
müssen wir nun noch die Preise, Löhne und den Gewinn in das Modell einbauen. Weizen habe den Preis p, der Lohnsatz pro Arbeitseinheit sei w (engl.: wages). Und
den Gewinn geben wir nicht direkt an, sondern als Profitrate (r) (engl: rate of profit) auf
das eingesetzte Kapital. Dabei unterstellt man im Allgemeinen, daß die Profitrate nur auf
den Wert des Weizens, nicht aber auf die Lohnsumme gezahlt wird, weil der Lohn erst
am Ende der Produktionsperiode bezahlt wird, der Weizen aber bereits zu Beginn gekauft
– und daher bezahlt – werden muß. Daher steht der Wert des Weizens für den
Kapitalwert, die Löhne gehören nicht dazu. Diese Unterstellung wird gemacht, weil sie
die Rechnerei bei umfangreicheren System vereinfacht. Sie hat aber keine inhaltlichen
Konsequenzen.
Also, mit dieser Erweiterung lautet unser System nunmehr:
Kapitalwert + Profit auf den Kapitalwert + Lohnsumme = Produktpreis.
k * p
+ r * k * p
+
w * a =
p
w * 4
= p
oder, mit den konkreten Werten von oben:
0,2 * p +
r * 0,2 * p +
Laßt uns die Gleichung nochmal zu Fuß durchgehen:
p ­ Auf der rechten Seite dieser Gleichung steht der Produktpreis und nicht der
Umsatz, weil wir ja von Anfang an ein System betrachtet haben, in dem nur ein Sack
gehaltenem Kapitaleinsatz.
9 Die Wachstumsrate ist die jährliche prozentualen Steigerung des Nationalprodukts. Sie wird
häufig auch „das Wirtschaftswachstum“ genannt.
Lohn, Preis, Profit
S.7
Weizen hergestellt wird. Und der Preis von Weizen mal eins ist eben gerade wieder der
Preis von Weizen.
Linke Seite: k * p – um eine Einheit Weizen zu erzeugen, müssen k (im Beispiel: 0,2) Einheiten
ausgesät werden. Also muß der Unternehmer, um produzieren zu können, vor Beginn der
Produktion k Einheiten (0,2 Sack) kaufen und die kosten eben k * p; also 0,2 mal den
Preis von einem ganzen Sack.
r * k * p – das ist der Gewinn, der nach Abzug der Kosten übrig bleibt. Er ist hier
definiert als prozentualer Aufschlag (von r Prozent) auf den Kapitalwert (k * p). Oder,
weil genau hier wird die weitere Überlegung auch einsetzen: als Verzinsung des
Kapitalwerts.
w * a – die Kosten pro Arbeitseinheit (der Lohnsatz) multipliziert mit der Anzahl der
eingesetzten Arbeitseinheiten sind die Lohnkosten des Unternehmens.
Rechte Seite = linke Seite ­ Auf der rechten Seite der Gleichung steht der Erlös aus
dem Verkauf. Dieser Erlös wird entweder verwendet für Lohnzahlungen, ersetzt die
ursprünglich vorgeschossene Kapitalsumme (k*p) und/oder er erlaubt einen Gewinn (r *
k * p).10 Die rechte Seite der Gleichung ist also notwendigerweise genau so groß wie die
linke.
Der Preis von Weizen, p, ist auf beiden Seiten der Gleichung gleich hoch. Das muß
nicht so sein, denn der Weizen wird ja dieses Jahr ausgesät und erst im nächsten geerntet.
Und in der Zwischenzeit könnten sich die Preisverhältnisse ja geändert haben. Diese
Einschränkung macht das Modell aus Sicht der Neoklassik zu einem Spezialfall, dem
„ Produktionspreis­Modell“ , denn die herrschende Theorie kann auch Fälle als
Gleichgewichte modellieren, in denen sich die Preisverhältnisse im Zeitablauf ändern.
Aber wie oben schon gesagt – dies ist kein prinzipieller Einwand, denn auch diese
Modelle schwingen sich, so es nicht immer wieder zu äußeren Einflüssen kommt, die die
Entwicklung aus der Bahn werfen, mit der Zeit auf einen Zustand ein, in dem sich die
Preisverhältnisse nicht mehr ändern. Das allgemeinere neoklassische Modell konvergiert
also zu einem Produktionspreispreismodell. Und deswegen kann in seinem Rahmen auch
die Neoklassik diskutiert werden.11
So, aus diesem Ansatz: Kapitalwert + Profit auf den Kapitalwert + Lohnsumme = Produktpreis.
10 Hinweis: Noch habe ich nichts über r angenommen. Es ist also auch noch nicht sichergestellt,
daß der Unternehmer überhaupt einen Gewinn macht. Ist der Erlös aus dem Verkauf (rechte
Seite) geringer als die Kosten für das Saatgut und die Löhne, dann ist r eben kleiner als Null,
das Unternehmen macht einen negativen Gewinn (erleidet einen Verlust). Aber die Gleichung
ist nach wie vor erfüllt.
11 Zumal solche Feinheiten bei der Theorie der Wirtschaftspolitik sowieso keine Rolle mehr
spielen. Insbesondere Frank Hahn hat immer wieder bewiesen, daß die neoklassischen
Ökonomen, wenn sie über gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge reden, ständig Behaupt­
ungen aufstellen, die von einem sauberen preis­theoretischen Ansatz gar nicht gedeckt werden
können. Lohn, Preis, Profit
k * p
+ S.8
r * k * p
+ w * a =
p
lassen sich durch einfache Umformung zwei Beziehungen herausholen. Einmal kann man sie nach dem Preis auflösen, in dem man den Preis auf eine Seite
der Gleichung bringt:
p * (1 – k – r * k) = w * a <==> p=
1
∗w∗a
1−k−r∗k 
k und a, wie viele Arbeitseinheiten und Saatgut brauche ich pro Sack Korn, sind mir
durch den Stand des technischen Wissens vorgegeben. Eine Größe wird durch die
Gleichung erklärt (p) also fehlen mir noch r, die Profitrate, und w, der Geldlohnsatz, um
den Preis von Korn zu erklären. Wirklich interessant sind allerdings nur die relativen Preise also etwa: Ein Sack Korn
kostet doppelt soviel wie eine Einheit Arbeit. Eine Verdopplung aller Preise im Modell
(inkl. der Löhne, versteht sich, denn der Lohn ist ja auch ein Preis) hat keine
ökonomische Wirkung.12 Daher kann man eine Größe, w oder p, als Einheit wählen (z.B.:
w = 1). Zur Erklärung der relativen Preise fehlen daher nicht zwei Werte, sondern nur
einer. Darüber, wie dieser fehlende Wert erklärt wird, kann man sinnvoll unter­
schiedlicher Meinung sein – und dies macht den Unterschied in der Preistheorie
unterschiedlicher ökonomischer Theorien aus.
Damit ist, wie gesagt, noch keine bestimmte Preis­ oder Profittheorie unterstellt. Marx
kritisiert z.B. Smith dafür, daß dieser zwei Preistheorien habe – Aufschlags­ und
Abzugstheorie des Profits: Lohn + Profit ==> Preis sowie: Preis – Lohn ==> Profit. Diese
Theorien sind bereits eine Interpretation der Gleichung, weil in die Gleichung ein
Ursache­Wirkungs­Zusammenhang hineingelesen wird (aus = wird ==> gemacht). Die
Gleichung, die wir jetzt erarbeitet haben, ist aber noch keine Theorie, denn sie sagt ja
noch nichts darüber aus, in welche Richtung sie gelesen werden muß, welche Größen also
von ihr erklärt werden und welche die Theorie ihr vorgibt.
Weiter kann man die Gleichung so umformen, daß sie den Rahmen für eine
Verteilungstheorie liefert, in der das Verhältnis von Löhnen und Profiten erklärt werden
kann. Interessant sind in diesem Zusammenhang wieder nur die relativen Preise, denn ich
kann, wenn ich irgendwelche Geldlöhne vorgebe, immer noch beliebig hohe Profite
erwirtschaften, wenn ich nur die Preise hoch genug ansetzen darf. Und für den Arbeiter
ist die Höhe der Geldlöhne ebenfalls egal, er muß wissen, wie viel er sich für seinen Lohn
kaufen kann. Ist der Lohnsatz w z.B. 5 und p, der Preis eines Sacks Weizen, ist 10, dann
12 Allerdings Achtung: Ich rede nicht von einer Inflation. Diese kann sehr wohl ökonomische
Wirkungen haben. Sondern z.B. von einer Währungsumstellung, wie z.B. dem Übergang vom
Alten zum Neuen Franc in Frankreich, bei dem verfügt wurde, daß in Zukunft alle Franc­
Preise durch 1000 zu teilen seien. Schon die Umstellung auf den Euro war etwas anderes,
denn hier wurde eine ganz neue Währung eingeführt. Wir haben hier nicht so wirklich viel
davon gemerkt, weil der Euro der DM in der Erwartung der Märkte ziemlich ähnlich war,
aber z.B. in Italien ist das Zinsniveau dadurch drastisch gesunken. Ohne diese Zinssenkung
hätte das Land sein Budgetdefizit nie in den Griff gekriegt.
Lohn, Preis, Profit
S.9
kann er sich für eine Arbeitseinheit, so er sie am Markt los wird, einen halben Sack
Weizen kaufen (w/p = 5/10 = 0,5). Diese Größe, die Kaufkraft des Lohnes, w/p, den Lohn
geteilt durch den Preis (bzw., bei vielen Waren, durch das Preisniveau), bezeichnet man
als Reallohn.
Also, umformen der Gleichung
k * p
+ r * k * p
+ w * a =
p
um den Zusammenhang von Profitrate und Reallohn diskutieren zu können:
k * p + r * k * p + w * a =p | : p
k + r * k + a* (w/p) = 1 | nach w/p auflösen
(w/p) * a = 1 ­ k * (1 + r)
(w/p) = 1/a – (k * (1+r)) /a
w 1 k
a 1 w
= − ∗1r  oder, aufgelöst nach der Profitrate: r= ∗ − −1
p a a
k a p
Wie schon oben beim Preis: Dieser Ausdruck liefert noch keine Verteilungstheorie –
wir kriegen die Verteilung erst dann, wenn wir (mindestens) entweder r oder w/p erklären
können. Er liefert aber a) einen Zusammenhang, der definitorisch richtig ist, und dem deshalb keine
Verteilungstheorie widersprechen darf. Sowie b) er sagt, was erklärt werden muß, wenn man die Einkommensverteilung erklären
will. Und schließlich
c) Er liefert eine interessante Beziehung, die Lohn­Profit­Relation (englisch: die
factor­price­frontier), die im Hinterkopf zu haben beim Nachdenken über viele
Zusammenhänge hilfreich ist. Um diese Lohn­Profit­Relation noch kurz zu diskutieren: Die Gleichung
w 1 k
= − ∗1r 
p a a
sagt uns, daß, bei bekannter Technik (k und a), die Profitrate nur von der Höhe der
Reallöhne abhängt, bzw. daß die Höhe der Reallöhne nur von der Höhe der Profitrate
abhängt.13
Als praktisch gerade noch so denkbare Extremfälle können wir einen Lohnsatz von
Null nehmen (niemand wird noch Geld zur Arbeit mitbringen) sowie eine Profitrate von
Null. (Schließlich kann niemand den Unternehmer zwingen, was zu unternehmen.) 13 Kunststück: Es verdienen ja nur zwei Gruppen an der Produktion: die Bezieher von Lohn­
einkommen und die von Profiteinkommen. Was die eine Gruppe weniger kriegt, muß die
andere mehr haben. Aus einem Modell holt man halt nie mehr heraus, als man zuvor an
Annahmen in es hineingesteckt hat. Aber trotzdem: Dieser Zusammenhang ist jetzt präziser
formuliert und besser diskutierbar als zu Beginn.
Lohn, Preis, Profit
S.10
Bei einer Profitrate von Null ist der maximale Reallohnsatz, der mit dieser Technik
möglich ist:
w 1 0,2
= −
∗10 = 0,25 – 0,05 = 0,2 [Sack Weizen pro Arbeitseinheit]
p 4
4
also nicht etwa ¼ Sack, weil mit vier Arbeitseinheiten ein Sack Weizen erzeugt wird,
sondern etwas weniger, denn es muß ja aus der Ernte noch das Saatgut ersetzt werden,
sonst hätte der Unternehmer Verlust gemacht, weil er nach der Ernte weniger Weizen
zurück kriegt, als er zur Aussaat zur Verfügung gestellt hat. (r wäre dann negativ und
diese Möglichkeit hatte ich ja per Annahme ausgeschlossen).
Bei einem Lohnsatz von Null ist die
maximale Profitrate, die mit dieser
Technik möglich ist, 4 (bzw. : 400%) :
1 0,2
0= −
∗1r 
4
4
0,2
1
∗1r =
4
4
1
4
r= ∗
−1=5−1=4
4
0,2
Abb. 1: Lohn­Profit­Relation
r
400%
Steigt der Reallohnsatz, so fällt die
Profitrate. In diesem speziellen Fall ist
der Zusammenhang eine Gerade:
r = 4 – 20 * (w/p)
Wenn der Reallohn von Null an­
fängt zu steigen, so fällt die Profitrate,
beginnend bei 400%, bis sie schließlich
– bei einem Reallohnsatz von 0,2 (Sack
pro Arbeitseinheit) bei Null anlangt.
0,2
w/p
Die Lohn­Profit­Relation muß nicht immer eine Gerade sein. Wenn es um mehr als
ein Produkt geht, kann ihr Verlauf auch kurvenförmig sein. Und wenn es mehrere
bekannte Produktionsverfahren und mehrere Produkte gibt, kann es einzelne Punkte auf
der Kurve geben, an denen bei steigenden Löhnen die Profitrate bei einer nur winzigen
Lohnvariation gerade noch so verteidigt werden kann, indem eine andere Technik
gewählt wird. Aber •
nie können Reallöhne und Profitrate gleichzeitig steigen (es sei denn, es gibt neue
Erfindungen, die k und oder a senken) und: •
wenn die Reallöhne etwas mehr als nur ein winziges bißchen steigen, muß die
Profitrate fallen.
Lohn, Preis, Profit
S.11
Exkurs: Wahl der Technik
Ich hatte oben angedroht, kurz etwas über die Technikwahl zu sagen. Dieser Abschnitt
ist für das Verständnis des weiteren Textes nicht erforderlich. Er mag sinnvoll sein, falls
einige von Euch die Annahme eines einzigen bekannten Produktionsverfahrens für zu
restriktiv halten.
In der Abbildung ist zunächst
einmal die Lohn­Profit­Relation der
Technik abgetragen, die wir bisher
diskutiert haben. Dies ist die Gerade,
die auch schon in Abb. 1 zu sehen
war. Abb. 2: Wahl der Technik
r
400%
Nun nehme ich mal an, es gebe
noch eine andere Technik, deren
Lohn­Profit­Relation in Abb. 2 durch
die gestrichelte Linie wiedergegeben
ist. Ich hatte ja schon gesagt: Bei mehr
als einem Produkt muß das keine
Gerade mehr sein und weil ich so
gleich noch ein zweites Phänomen
erläutern kann, nehme ich mal an, es sei eine (hier: konkave) Kurve. 0,2
w/p
Wie hilft uns nun diese Zeichnung bei der Frage der Technikwahl? Nun, nehmt an, wir
haben irgendein Reallohnniveau. Wenn wir nun diesen Lohn auf der Lohnachse suchen
und von diesem Punkt dann senkrecht nach oben schauen, erlaubt die Technik mit der am
weitesten von der Lohnachse entfernten Kurve die höchste Profitrate bei diesem
Reallohn. Da sie am profitabelsten ist, wird sie gewählt. Umgekehrt: Nehmt an, die
Profitrate ist vorgegeben. Dann startet man auf der Profit­Achse und geht so lange nach
außen, bis man die am weitesten entfernte Kurve erreicht. Die Technik, zu der sie gehört,
erlaubt es, bei dieser Profitrate die höchsten Löhne zu zahlen. Natürlich wählt keine
Unternehmerin eine Technik, um die Löhne zu maximieren – aber sie kann ja, solange die
Marktlöhne noch niedriger liegen, die Differenz in die eigene Tasche stecken. Beide Methoden kommen auf das gleiche Ergebnis. Die Technikwahl ist also auch
noch nicht von einer bestimmten Theorie abhängig.
Würde die Lohn­Profit­Relation der zweiten Technik (die gestrichelte Kurve)
durchgängig unter oder oberhalb der (durchgezogenen) Geraden (der Lohn­Profit­
Relation der ersten Technik) verlaufen, wäre nur eine der beiden Techniken effizient –
egal wie hoch die Reallöhne sind, mit der Technik, deren Lohn­Profit­Relation weiter
außen verläuft, kann ich eine höhere Profitrate realisieren.
In der Graphik ist auch ein Phänomen illustriert, das ich schon weiter oben in einer
Fußnote angesprochen habe (FN 6): Startet bei sehr hohen Löhnen und laßt die Löhne
Lohn, Preis, Profit
S.12
dann gedanklich sinken. Dann erlaubt zunächst die Technik mit der durchgezogenen
Linie die höchste Profitrate, sie wird also gewählt. Sinken die Löhne jetzt lange genug,
dann wird die gestrichelte Technik überlegen, wenn sie aber noch weiter sinken, kommt
wieder die Technik mit der durchgezogenen Linie zum Zuge. Dieses Phänomen ist in der
ökonomischen Debatte als re­switching, oder auf deutsch: als Wiederkehr der Technik
bekannt. Wie also könnte man sagen, daß bei fallenden Löhnen arbeitsintensivere
Verfahren eingesetzt werden, wenn eine Technik bei fallendem Lohnsatz zuerst
abgewählt und werden und bei noch weiter fallenden Löhnen wieder erste Wahl werden
kann? Die Geschichte von der notwendigen Lohnsenkung, damit weniger Arbeit weg
rationalisiert wird, ist also, wie oben schon betont, eine Lüge.14
Wir können die gleiche Graphik
auch benutzen, um Arbeitsschutz­
vorschriften oder manteltarifliche
Regelungen der Arbeitsbedingun­
gen zu diskutieren.
Abb. 3: Arbeitsschutzbestimmungen
r
400%
Eine solche Regelung bezweckt,
bestimmte Techniken zu verbieten.
Dies wäre nicht erforderlich, wäre
diese Technik sowieso nicht
gewählt worden. Also muß die
Vorschrift in der Regel dazu
dienen, eine Technik durchzu­
setzen, deren Lohn­Profit­Relation
unterhalb der Technik verläuft, die
0,2 w/p
ohne diese Regelung gewählt
worden wäre. Sie ist also weniger
produktiv: Entweder muß mehr
Arbeit eingesetzt werden (z.B.:
bezahlte Pausen, Sicherheitsbeauftragte, niedrigere Maschinengeschwindigkeit ...) oder es
muß mehr Material eingesetzt werden (Schutzvorrichtungen, Klimaanlagen, größere
Räume, Pausenräume, Beleuchtung ...). Also fallen durch solche Vorschriften entweder
die Reallöhne und/oder die Profite.15 Trotzdem müssen sie natürlich, so lange die
Gesellschaft noch nicht restlos verroht ist, von irgend wem getragen werden, entweder
aus der Lohn­ oder aus der Profitsumme bezahlt werden. (Wer sie letztlich bezahlen
14 In kleinen Volkswirtschaften, welche die eingesetzten Kapitalgüter zum größten Teil
importieren (Holland z.B.) mag sie schon zutreffen, denn dort hat der heimische Lohnsatz
keinen Einfluß auf die Preise der Kapitalgüter. Diese hängen vielmehr von den Löhnen im
Ausland ab, weil sie dort hergestellt werden. Für die BRD ist sie aber sicher falsch.
15 Mit einer wichtigen Ausnahme: dann nämlich, wenn durch schlechte Arbeitsbedingungen
gesellschaftliche Kosten entstehen (Krankengeld, Berufsunfähigkeitsrenten etc.), die der
einzelne Unternehmer nicht zahlen muß und die er daher nicht in seinem Kalkül hat. In
diesem Falle können solche Vorschriften die Kosten der Produktion letztlich im Extremfall
sogar senken und so höhere Reallöhne und/oder Profite erlauben.
Lohn, Preis, Profit
S.13
würde, hängt wiederum vom theoretischen Ansatz ab, ist also erst bei den einzelnen
Theorien diskutierbar. Ich nehme das Thema dort wieder auf.) Reallohn und Nominallohn
Wie schon gezeigt: Für die Arbeiter interessant und für die Profitrate entscheidend ist
die Kaufkraft des Lohnes, der Reallohn, also der durch das Preisniveau geteilte Geldlohn.
Tariflöhne aber sind Geldlöhne, während das Preisniveau von den Unternehmen am
Markt für Güter­ und Dienstleistungen bestimmt wird. Die Reallöhne können also in den
Tarifverhandlungen gar nicht bestimmt werden.16
Sicher, wenn, in Folge der Geldlohnerhöhung, die Profitrate sinkt, weil die Preise
konstant bleiben, dann, aber auch nur dann, steigen die Reallöhne. Aber wieso sollte nach
einer Geldlohnerhöhung nicht mehr die gleiche Profitrate, also der gleiche profit­
sichernde Aufschlag auf die Lohnkosten möglich sein wie zuvor? Oder anders: wenn auch
eine niedrigere Profitrate am Markt durchsetzbar gewesen wäre, wieso mußten dann die
Geldlöhne steigen, damit die Reallöhne steigen konnten? Wieso waren dann nicht von
vorne herein die Preise niedriger?
Tatsächlich können, immer noch ganz unabhängig von der gewählten Theorie, höhere
Geldlöhne nur dann die Reallöhne beeinflußen, wenn entweder die Zentralbank, durch Inflationsbekämpfung via hoher Zinsen
und/oder die Regierung, durch eine Kürzung der Staatsnachfrage
und/oder die Importkonkurrenz
einen Anstieg der Preise verhindern.
Allerdings bedeuten alle drei Varianten einen Anstieg der Arbeitslosigkeit: Die
Inflationsbekämpfung der Notenbank, weil sie die Inflation nur durch Anheben der
Zinsen und damit durch das Abwürgen der Investitionsnachfrage bekämpfen kann. Die
Kürzung der Staatsnachfrage, weil die (staatliche) Nachfrage so direkt sinkt. Und die
Importkonkurrenz, weil die inländischen Unternehmen Marktanteile am Binnenmarkt und
auf den Exportmärkten an ausländische Konkurrenten verlieren.
Dabei kann es sich um einen Anpassungsprozeß handeln, bei dem früher oder später
dann doch die Preiserhöhungen durchgesetzt werden. (Die Notenbank z.B. will ja nur die
Inflation bremsen. Wenn sie die Tendenz zum weiteren Anstieg der Löhne gebrochen hat,
wird sie ein einmaliges Ansteigen der Preise auf das neue höhere gleichgewichtige
Niveau zulassen.) Oder aber es kann sein, daß die Erhöhung der Löhne (und damit die
Reduktion der Beschäftigung) dauerhaft ist – dann nämlich, wenn die außenwirt­
16 Es hilft auch nicht weiter, in die Lohnforderung die erwartete Inflationsrate mit einzuarbeiten.
In die Prognosen über die zukünftige Preisentwicklung gehen nämlich vor allem Annahmen
über die zukünftige Lohn­ und Produktivitätsentwicklung ein. Werden nun diese Annahmen
falsch, weil die Löhne stärker steigen, als in den Prognosen unterstellt, so wird auch die
Prognose falsch.
Lohn, Preis, Profit
S.14
schaftliche Wettbewerbsposition dauerhaft verschlechtert wurde. (Hierzu evtl. in Teil 4
mehr.)
Die schlechte Nachricht also ist, daß die Gewerkschaften über ihre Lohnpolitik die
Reallöhne nicht erhöhen können, es sei denn, es gelingt Ihnen, bei konstantem Wechsel­
kurs die Lohnstückkosten im Vergleich zum Ausland zu erhöhen und so zugleich die
Beschäftigung zu senken.
Die gute Nachricht allerdings ist, daß das Lohnniveau in der Bundesrepublik nicht zu
hoch ist. •
Weder haben wir eine Inflation (also weder steigen die Löhne zu schnell und können
auf die Preise überwälzt werden), •
noch hat die bundesdeutsche Industrie eine geldpolitisch erzeugte Krise (eine Krise
haben wir z.Zt. schon, aber die hat etwas mit dem Wachstum im Ausland, letztlich: in
den USA, und damit mit der Exportkonjunktur zu tun), •
noch gibt es ein Problem mit der außenwirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. Im
Gegenteil: nach einem Einbruch nach dem Anschluß der DDR erzielt die Bundes­
republik wieder einen Überschuß in der Leistungsbilanz von über 50 Mrd. € pro Jahr.17
Wieso sollten denn die Preise steigen, wenn doch die Arbeitsproduktivität steigt? Nun,
dann steigen sie natürlich nicht. Wenn ich in diesem Papier argumentiere, argumentiere
ich immer unter der ceteris paribus Bedingung. Ich ändere, solange ich nicht ausdrücklich
etwas anderes sage, immer nur einen Einflußfaktor – hier also habe ich angenommen, daß
sich an der Technik nichts ändert (daß also Arbeitsproduktivität und Kapitalproduktivität
unverändert bleiben) und die Gewerkschaften die Geldlöhne erhöhen. Bei technischem
Fortschritt haben wir zwei Einflußfaktoren: Der technische Fortschritt senkt die Preise,
die Lohnerhöhung erhöht sie. Gleichen sich die beiden Einflüsse aus, so bleiben die
Preise konstant – deshalb haben die Keynesianer ja in den ersten Jahren nach dem
zweiten Weltkrieg, als das vom Rest der Ökonomen noch nicht so gesehen wurde, die
regelmäßigen Lohnrunden verteidigt. Mittlerweile hatte das sogar der Sachver­
17 Die Handelsbilanz, die hier oft genannt wird, und bei der die BRD noch deutlicher im Plus ist
als bei der Leistungsbilanz, ist kein besonders guter Indikator, weil sie nur einen Teil der
Transaktionen mit dem Ausland erfaßt. (Sie ist nur eine Teilbilanz der Leistungsbilanz.) Ein
Land kann einen Überschuß in der Handelsbilanz aufweisen und trotzdem immer tiefer in den
außenwirtschaftlichen Schlamassel geraten, z.B. weil es mehr Zinsen an das Ausland über­
weisen muß, als es netto über den Außenhandel einnimmt. Die Leistungsbilanz hingegen
erfaßt alle Einnahmen und Ausgaben. Ein Überschuß in der Leistungsbilanz (eine aktive
Leistungsbilanz) bedeutet daher, daß ein Land mehr an Zahlungen aus dem Ausland erhält, als
es an das Ausland leistet. Bedenkt zur Interpretation des Überschusses von 50 Mrd. bitte auch,
daß die Einnahmen eines Landes die Ausgaben aller übrigen Länder sein müssen. (Von wem
kriegt die BRD denn die Einnahmen?) Im Durchschnitt der Welt also muß die
Leistungsbilanz ausgeglichen sein, weder einen Überschuß nach ein Defizit aufweisen. Ein
Überschuß von 50 Mrd. € pro Jahr bedeutet mithin, daß der Rest der Welt bei der BRD Jahr
für Jahr tiefer in der Kreide steht. Das kann nun wahrhaft nicht als ein Indiz für mangelnde
internationale Wettbewerbsfähigkeit, für ein Standortproblem herhalten.
Lohn, Preis, Profit
S.15
ständigenrat zeitweise mal kapiert (Stichwort: produktivitätsorientierte Lohnpolitik), so
daß die Diskussion nicht mehr weiter geführt werden mußte.
Allerdings gibt es auch hier wieder ein Aber: Bedenkt, daß der Anstieg der durch­
schnittlichen Arbeitsproduktivität nur zwischen 1 % und 2 % pro Jahr liegt. Dies ist die
Referenzgröße für eine Geldlohnentwicklung, die mit konstanten Preisen verträglich ist.
Dieser Durchschnitt entsteht durch sehr unterschiedliche Produktivitätsentwicklungen
in den einzelnen Branchen – so steigt die Produktivität der Arbeit eines Lehrers, einer
Psychologin oder eines Kindergärtners gar nicht (es sei denn Ihr wollt größere Gruppen
bzw. Klassen und die Synchrontherapie mehrerer Patienten auf nebeneinander stehenden
Liegen.)
Wenn daher z.B. die IG Metall ihre Lohnforderungen mit der Produktivitäts­
entwicklung nur in ihrer Branche begründet – die eben über dem gesellschaftlichen
Durchschnitt liegt, dann fordert sie entweder, daß die Metallerinnen in Zukunft relativ zu
den Kindergärtnern mehr verdienen sollen, will also die relativen Löhne ändern. Oder sie
fordert, gemessen an Preisstabilität, zu hohe Lohnzuwächse. Ok, praktisch passiert
natürlich was ganz anderes: Man muß anfangs mehr fordern, damit man nachher beim
Kompromiß ungefähr den durchschnittlichen Produktivitätszuwachs rauskriegt. Das
tatsächliche Ergebnis war ja gar nicht zu hoch. Ich weise aber trotzdem darauf hin, damit
Ihr nicht auf die eigene Propaganda hereinfallt.
Noch eine letzte, aber für die Interpretation des Modells wichtige Bemerkung. Auf der rechten Seite der Gleichung Kapitalwert + Profit auf den Kapitalwert + Lohnsumme = Produktpreis.
stehen die Erlöse, auf der linken die Kosten. Das w in der Gleichung sind also die Kosten
des Unternehmens pro Arbeitseinheit. Und das sind nicht die Nettolöhne, sondern alles,
was das Unternehmen für eine Arbeitseinheit zahlen muß, also Bruttolöhne plus dem
Unternehmeranteil an den Sozialversicherungsbeiträgen.
Für die Kosten – und daher für Preise und Reallöhne – ist es völlig egal, wer die
Sozialversicherungsbeiträge nominell zahlt; ob es so geregelt ist wie heute, oder ob die
Bruttolöhne höher sind und die Arbeiter die Beiträge alleine tragen.18 Die aktuelle
Regelung mit dem „ Arbeitgeberanteil“ hat nur zwei Funktionen: eine ideologische: zum
einen soll der Eindruck entstehen: Was sind unsere Unternehmer doch so sozial und zum
anderen wird für die Arbeiter die wahre Höhe ihrer Abzüge kaschiert; und eine politische.
Die „A rbeitgeberbeiträge“ liefern die Rechtfertigung für den Einfluß der Unternehmer­
verbände auf die Sozialversicherungsträger (Drittelparität). 18 Als Ausnahme würde ich die Beiträge zur Unfallversicherung der Berufsverbände gelten
lassen. Da sie in der Höhe von der Unfallhäufigkeit in der jeweiligen Firma abhängig sind,
setzen sie einen kleinen Anreiz zu verbessertem Arbeitsschutz.
Lohn, Preis, Profit
S.16
Profitrate und Zinssatz
Da in k * p
+ r * k * p
+ w * a =
p
nur ein einziges Produkt betrachtet wird, es geht um die Produktion von Weizen, ist es
erstmal plausibel, daß wir es nur mit einer einzigen Profitrate zu tun haben. Falls die Höhe der Löhne für alle Weizenproduzenten identisch ist, und falls alle die
gleichen technischen Kenntnisse haben, könnte Betrieb A nur dann eine höhere Profitrate
als Betrieb B an Markt erzielen, wenn er für sein Produkt höhere Preise als seine
Konkurrenten durchsetzen könnte. So etwas kann aber bei einem homogenen Produkt
nicht auf die Dauer gut gehen – seine Kunden würden zur Konkurrenz abwandern, und er
müßte seine Preise entweder senken, oder er verschwände auf die Dauer vom Markt. Es gibt aber doch unterschiedliche Preise für das gleiche Produkt – schau Dir nur mal
die Preise für Zigaretten an, oder die Preise von MS­Windows, bei dem die OEM
Lizenzen einen anderen Preis haben als die Firmenlizenzen und diese wieder billiger
sind, als die Preise für den Privatanwender im Einzelhandel. Nun, das erste Beispiel trifft nicht so recht: In der Ökonomie wird der Begriff Produkt
oder Ware darüber definiert, daß Konsumenten keinen Unterschied zwischen ihnen
sehen. Wenn es gelingt, so etwas wie Markennamen zu etablieren, so daß der Raucher
eben nicht Zigaretten, sondern Players Navycut, R 6 oder Reval raucht, wenn Firmen also
erfolgreich Produktdifferenzierung betreiben, dann würde der Ökonom von unterschied­
lichen Gütern sprechen. Damit ist das Phänomen der unterschiedlichen Preise und damit
evtl. unterschiedlicher Profitraten natürlich nicht aus der Welt, es gehört aber thematisch
an eine andere Stelle, nämlich in die Diskussion der Frage, wie sich die Profitraten
zwischen unterschiedlichen Branchen verhalten. Das Microsoft­Beispiel wiederum ist das
Beispiel eines Monopolisten, der am Markt so stark ist, daß er unterschiedlichen
Abnehmergruppen unterschiedliche Preise vorschreiben kann.
Also, wenn wir es mit unterschiedlichen Firmen zu tun haben, die das gleiche Gut
produzieren, dann müssen diese Firmen die gleichen Preise am Markt nehmen. Mithin
können unterschiedliche Profitraten innerhalb einer Branche nur dann existieren, wenn
die Firmen unterschiedliche Kosten haben. Dann machen Firmen, die billiger produzieren
können als ihre Konkurrenten, natürlich zunächst einen höheren Gewinn, als die anderen.
Aber das kann kein Dauerzustand sein. Denn erstens ist ihr höherer Gewinn ein Anreiz
für die übrigen Firmen, die Technologie ihrer innovativeren Konkurrenten zu
übernehmen. Und zweitens können die Produzenten mit den niedrigeren Kosten ihre
Konkurrenten vom Markt verdrängen, in dem sie diese etwas unterbieten. Sie machen
dann zwar pro Stück einen etwas niedrigeren Gewinn, aber dafür setzen sie aber mehr ab.
Auf die Dauer muß sich also die Profitrate innerhalb einer Branche angleichen.
Zwischen unterschiedlichen Branchen muß, solange es keine zusätzlichen Einfluß­
faktoren gibt, gleiche Tendenz bestehen. Denn ein Unternehmer kann ja, auch wenn das
länger dauert, die Branche wechseln. Z.B. können Gewinne, die in Branche A erzielt
Lohn, Preis, Profit
S.17
wurden, in Branche B investiert werden, so daß Branche B expandiert und Branche A
stagniert oder auch schrumpft. Solange es daher keine Beschränkungen gibt, die Branche
zu wechseln, solange wir es also mit vollständigem Wettbewerb zu tun haben, müssen
sich die Profitraten auch zwischen den Branchen angleichen.
Mit einer, nicht ganz unwichtigen, Einschränkung – sie müssen das nur dann, wenn
nicht die Produktions­ oder Absatzbedingungen die Produktion in einer Branche be­
sonders unattraktiv machen. Nehmt z.B. an, daß in einer Branche besonders starke
Preisschwankungen typisch sind – z.B. weil für den Export produziert wird und die
Wechselkurse stark schwanken. Oder weil das Risiko in der Produktion besonders hoch
ist – z.B. weil (falls) Sprengstofffabriken öfter in die Luft fliegen als Schokoladefabriken.
In diesem Fall wird des einen höheren Anreiz geben müssen, damit in dieser Branche
investiert wird, und daher wird in dieser Branche die Profitrate überdurchschnittlich hoch
sein müssen. Allerdings handelt es sich bei dieser höheren Profitrate wohl in den meisten
Fällen in Wahrheit gar nicht um Gewinn, sondern um versteckte Kosten: So können
Wechselkursrisiken an den Devisenterminmärkten weitgehend abgesichert werden –
wenn ich erwarte, im nächsten Jahr für 1000 $ Autos in den USA zu verkaufen, dann
kann ich entweder das Wechselkursrisiko übernehmen, ein Jahr warten und meine
$­Einnahmen erst in € umtauschen, wenn ich sie erzielt habe. Oder ich kann heute einen
Terminverkauf – von $ gegen € – vornehmen also meine $, lieferbar in einem Jahr, zum
heutigen (und damit: bekannten) Terminkurs verkaufen.19 Oder ich kann eine
Terminoption erwerben – das Recht, in einem Jahr $ zu einem heute bereits festgelegten
Kurs in € umzutauschen. Diese Devisenmarktoperationen sind im hier diskutierten Fall,
eine Versicherung: Eine Versicherung gegen eine Aufwertung des €. Und auch die
Sprengstofffabrik läßt sich versichern. Mehr als die Kosten der Versicherung, also im Falle der Sprengstofffabrik die
Versicherungsprämie und im Falle der Autofabrik die Kosten des Terminkontrakts, kann
ich dann auch nicht am Markt durchsetzen. Letztlich, d.h. wenn man auch die versteckten
Kosten als Kosten thematisiert, können sich daher die Profitraten auch zwischen den
Branchen nicht unterscheiden.
Das gilt allerdings dann nicht mehr, wenn die Annahme vollständigen Wettbewerbs
verletzt wird. Wenn es Marktzutrittschranken gibt, ist es in einer Branche möglich,
höhere Preise und daher höhere Profitraten durchzusetzen. Und wenn es gar Monopole
wie Microsoft gibt, so sind sie dazu in der Lage, ihren Profit noch weiter zu erhöhen, in
dem sie von Kunden mit unterschiedlicher Zahlungsbereitschaft unterschiedlich hohe
Preise nehmen. 19 Dies ist übrigens ein Fall, bei dem die Devisenspekulation Risiko mindernd wirkt – und von
daher die Produktionskosten senkt. Denn der Gegenpart bei diesem Geschäft kann ja ein
amerikanisches Unternehmen sein, das seine, im nächsten Jahr erwarteten, € Erlöse in $
umtauschen will. Dadurch vermindert sich für beide Seiten das Risiko. Für beide Partner ist
aus einem unsicheren ist ein sicherer Wechselkurs geworden. Dies senkt die Preise, weil jetzt
beide statt der Entschädigung für das Eingehen eines Wechselkurs­Risikos nur noch die
Kosten für den Abschluß eines Terminkontrakts am Markt durchsetzen können.
Lohn, Preis, Profit
S.18
Trotzdem diese Phänomene praktisch wichtig sind, würde ich mich nicht von der
Ausgangsannahme verabschieden, unserem Modell, in welchem die Kapitalkonkurrenz
zu einheitlichen Profitraten führt. Ich würde das Modell nur später, z.B. für konkrete
Analysen, so erweitern, daß ich zu den Profitraten in den einzelnen Branchen noch eine
weitere Variable addiere, die davon abhängt, wie hoch die Marktzutrittsschranken in der
jeweiligen Branche sind.20 Für praktische Zwecke könnte man diese Werte gewinnen, in
dem man einfach die tatsächlichen Profitratendifferenzen der letzten Jahre zwischen den
Branchen betrachtet.
Gut. Abgesehen davon, daß die Profitraten zwischen den Branchen bei Marktmacht
differieren können (was beispielsweise über einen brachenspezifischen Aufschlag auf die
Profitrate, der vom Monopolgrad in dieser Branche abhängt, in das Modell 'rei
n­
genommen werden kann), müssen die Profitraten zwischen unterschiedlichen Branchen
gleich sein.
Diese Einschränkung läßt aber unsere bisherigen Ergebnisse nicht zusammenbrechen.
Insbesondere bedeuten höhere Geldlöhne nach wie vor höhere Preise – man kann nicht,
20 Übrigens ist dieser Bereich ein ganz gutes Beispiel für neoliberale Ideologie, im Unterschied
zu neoliberaler Theorie. Denn die neoklassische (und beiläufig auch: die keynesianische)
Theorie weist aus, daß Marktzutrittsschranken, daß insbesondere Monopole schlecht für die
Ökonomie sind, weil sie zu einer geringeren Produktion führen als Konkurrenz: Der Mono­
polist setzt ja höhere Preise durch, in dem er weniger von seinem Produkt anbietet und dieser
Effekt wird nicht dadurch ausgeglichen, daß in anderen Branchen entsprechend mehr
produziert wird (ich zeige dies hier nicht). Das Volkseinkommen ist also mit Monopolen
niedriger als ohne. Neoklassisch heißt das nicht unbedingt, daß Arbeitslosigkeit entsteht (das
wäre nur der Fall, wenn wir es mit Monopolen am Arbeitsmarkt zu tun hätten –
Gewerkschaften z.B.), aber die Vollbeschäftigung ist bei vermachteten Märkten niedriger –
bei den (auf Grund der höheren Preise) niedrigeren Reallöhne wollen einfach weniger Leute
arbeiten.
Erstaunlicher Weise wird dieser Aspekt bei den Diskussionen um geistiges Eigentum nie
diskutiert, sei es beim Patent­ oder sei es beim Urheberrecht ­ obwohl er eine gesicherte
theoretische Aussage darstellt. Diese lieferte ja auch die Motivation für die Etablierung von
Kartellbehörden.
Ich gebe ja gerne zu, daß so etwas wie Entwicklungskosten in den Konkurrenzmodellen aus
formalen Gründen nicht behandelt werden kann. Der technische Fortschritt fällt dort aus
formalen Gründen in der einfachsten Form vom Himmel und in komplizierteren Modellen
vollzieht er sich nicht in Stufen – ich muß nicht 5 Jahre lang ein neues Betriebssystem
entwickeln, sondern kann es ständig in kleinen Schritten verbessern. Insofern gibt es
sicherlich eine Ratio für Patente, deren möglicher Wert ein Anreiz für private Forschung ist.
Aber dieser Vorteil muß abgewogen werden erstens gegen die Nachteile, die sich daraus
ergeben, daß das Patentrecht Monopole schafft und zweitens gegen die Alternative, dann halt,
wenn'
s auf Grund fehlender Anreize privat nicht geht, eine öffentliche Lösung zu wählen
(z.B. in dem der Staat, wenn er nicht gleich selbst forscht, Prämien für Erfindungen auslobt,
die dann frei zugänglich gemacht werden). Eine solche Abwägung aber findet nirgends statt.
Vielmehr wird das Recht auf geistiges Eigentum, und damit auf Monopole und Monopol­
profite, mit den ökonomischen Vorteilen von Privateigentum gerechtfertigt – Vorteilen, die
sich selbst auf dem Boden der neoklassischen Theorie nur in Modellen zeigen lassen, die
solche Monopole gerade ausschließen.
Lohn, Preis, Profit
S.19
wie einige lateinamerikanischen Ökonomen dies tun, den Monopolgrad der Märkte für
Inflation verantwortlich machen: Solange sich an der Vermachtung der Märkte nichts
ändert, steigen auch die Preise nicht. Sie sind dann zwar (relativ zu den Geldlöhnen)
hoch, und die Reallöhne sind entsprechend niedrig, aber sie steigen eben nicht. Unter den getroffenen Einschränkungen müssen die Profitraten also zwischen den
Branchen gleich sein, weil jeder Unternehmer die Alternative hat, in einer anderen als
seiner eigenen Branche zu investieren. Aber nach der gleichen Überlegung muß die
Profitrate auch gleich dem Zinssatz sein. Denn die Alternative zu einer produktiven Verwertung von Kapital ist die Anlage in
Geldvermögen. Statt Eigenkapital kann ich auch Fremdkapital benutzen, um eine
Investition zu finanzieren. Damit muß es eine Verbindung zwischen dem inflationsbereinigten Zinssatz (dem
Realzinssatz) und der Profitrate geben. Im Prinzip müssen beide gleich hoch sein –
allerdings muß dabei berücksichtigt werden, daß
•
die Anlage in der Produktion langfristiger ist als in Geldvermögen und
•
daß sie riskanter ist (denn der Unternehmer haftet ja mit seinem Eigenkapital und
dadurch ist das Risiko für den Kreditgeber geringer als für den Unternehmer.)
Beide Faktoren führen dazu, daß die Profitrate höher sein muß als der Zinssatz, aber
sie ändern nichts daran, daß die beiden Größen in einem festen Zusammenhang stehen.
Ich werde deshalb vereinfachend, solange ich nichts anderes sage, davon ausgehen, daß
die Profitrate und der Zinssatz gleich sind, aber Ihr könnt ja diese Differenz in Gedanken
noch hinzuaddieren. Ob die Profitrate den Zinssatz, oder ob der Zinssatz die Profitrate bestimmt – die
Wirkungsrichtung dieses Zusammenhangs – ist damit noch nicht entschieden, aber geben
muß es diesen Zusammenhang.
Resümee
Eine Technik läßt sich beschreiben wie ein Kochrezept: mit a Einheiten Arbeit und k
Einheiten Weizen läßt sich eine Einheit Weizen herstellen:
k * Weizen, a * Arbeit ==> 1 Weizen Dabei ist 1/a die Arbeitsproduktivität und 1/k die Kapitalproduktivität.
Für eine Preistheorie müssen darüber hinaus die Profitrate, der Lohnsatz und der Preis
von Weizen in das Modell integriert werden. Man erhält dann:
Kapitalwert + Profit auf den Kapitalwert + Lohnsumme = Produktpreis.
k * p
+ r * k * p
+ w * a =
p
Eine Gleichung kann maximal eine Unbekannte bestimmen. k und a sind bekannt,
weil die Technik bekannt ist. Also haben wir drei Unbekannte: r, p und w.
Lohn, Preis, Profit
S.20
Weil aber nur die relativen Preise, hier der Reallohn, wichtig sind, läßt sich diese Zahl
um eins reduzieren. Wir suchen w/p und nicht w. w, der Geldlohnsatz, kann dem Modell
einfach vorgegeben werden – z.B. als in den Tarifverhandlungen bestimmter Geldlohn.
Daraus sieht man, daß ein höherer Geldlohn im Gleichgewicht nur das Preisniveau
ändert. Nach Lohnänderungen wird es in der Regel Anpassungsprozesse geben und diese
können Zeit erfordern. Aber letztlich steigen, ganz unabhängig vom theoretischen Ansatz,
einfach nur alle Preise, solange sich nur der Geldlohn erhöht und sich mit k, a oder r
nichts weiter tut.
Die bisher erhaltene Gleichung können wir jetzt nach p auflösen und für die
Preistheorie benutzen:
p=
1
∗w∗a
1−k−r∗k 
Oder wir können sie nach w/p bzw. r auflösen und sie für die Verteilungstheorie
einsetzen.
w 1 k
= − ∗1r 
p a a
Da wir immer noch eine Variable zu viel haben: r und w/p sind noch unbekannt, ist
die Theorie noch nicht fertig. Der Unterschied zwischen den unterschiedlichen Preis­ und
Verteilungstheorien läßt sich auf die Frage zuspitzen, wo diese die fehlende Variable
hernehmen. Hier sind drei Varianten möglich und diese werde ich jetzt der Reihe nach
durchgehen, wobei ich die Präsentation der Wert­ und Verteilungstheorie gleich mit ihrer
Anwendung auf einige Fragestellungen verknüpfe.
Drei Wert­ und Verteilungstheorien
Die klassische Variante: Wert der Ware Arbeitskraft
In der klassischen Theorie wird von den beiden Größen w/p und r der Reallohn
erklärt. Arbeit(skraft) ist eine produzierte Ware wie jede andere auch. Ergo bestimmt sich
der Wert der Ware Arbeitskraft wie der Wert jeder anderen Ware auch: Durch den für
ihre (Re­)produktion erforderlichen Aufwand an Arbeit und Gütern. Zu diesem Preis paßt
sich die angebotene Menge (evtl.: mit der Zeit) der Nachfrage an.
Wert­ und Verteilungstheorie Praktisch heißt das, daß die Gleichung
k * p
+ r * k * p
+ w * a =
p
um eine weitere Gleichung ergänzt wird, die angibt, wie viel Weizen und Arbeit
erforderlich sind, um eine Einheit Arbeitsleistung bereit zu stellen: Sage also, es seien x
Einheiten Arbeit (Erziehung, Ausbildung etc.) und y Einheiten Weizen erforderlich, um
Lohn, Preis, Profit
S.21
eine Einheit Arbeitskraft zu produzieren, wobei ich der Einfachheit halber mal annehme,
daß in der Reproduktion von Arbeitskraft kein Kapital eingesetzt wird, also auch kein
Profit anfällt:
y * p +
x * w = w
links steht der Bedarf an Lebensmitteln Kleidung etc. und die Lohnkosten z.B. der
Erzieher, aber auch die Entschädigung für die Erziehungsarbeit der Eltern, denn selbst
wenn diese nicht formell entlohnt werden, so müssen doch auch sie, um sich repro­
duzieren zu können, irgendwie ihre Nahrungsmittel erhalten. Die Reproduktionskosten
für die Erziehungsarbeit müssen also im Lohn abgegolten sein, was immer die
gesellschaftliche Form ist, über die sie letztendlich bei den Erziehenden landet.
So, durch die zweite Gleichung sind keine zusätzlichen Variablen in das Modell
gekommen, denn x und y sind ja bekannt.21 Also haben wir jetzt zwei unabhängige
Gleichungen und zwei Variablen, r und w/p. Die Chancen stehen also gut, daß das
System sich lösen läßt. Allgemein würde man nun wieder Matrizenrechnung benutzen,
aber so übersichtlich wie unser Beispiel ist, genügt auch die Einsetzmethode:
Die Gleichung für die Reproduktion der Arbeitskraft nach dem Reallohnsatz auflösen:
y * p + x * w = w <==>
y * p = w * (1 – x) <==> w/p = y/(1­x)
Der Ausdruck ist positiv – x muß kleiner als eins sein, sonst müßte ich auf die
Aufzucht der kleinen Arbeiter mehr Arbeit verwenden, als dabei herauskommt. Die
Menschheit würde also langsam aussterben und für die Produktion stünde überhaupt
keine Arbeit zur Verfügung. Und y, die Menge an Weizen, die verzehrt wird, kann
jedenfalls auch nicht negativ werden, sonst hätte man nach dem Essen ja mehr auf dem
Teller als zuvor – und das passiert aller höchstens bei sehr schlechten Köchen und auch
da nur gelegentlich.
So, und damit ist die Profitrate und, wenn ich den Geldlohnsatz vorgebe, der Preis von
Weizen bestimmt. Nehmen wir an, x sei 0,2 und y sei 0,1. Die Technik in der Weizenproduktion ist, wie
bisher, bestimmt durch k = 0,2 und a = 4. Dann ist die Profitrate r = 150%:
1
a∗y
a 1 w
−1 ==> r= ∗ − −1 <==> r= ∗1−
k
1−x
k a p
r=5∗1−
4∗0,1
−1 = 1,5
0,8
und der Preis von Weizen beträgt das achtfache des Geldlohnsatzes:
p=
1
1
∗w∗a ==> p=
∗w∗4 = 8*w
1−k−r∗k 
1−0,2−1,5∗0,2
Damit ist der Reallohnsatz (w/p) = w/(8*w) = 0,125 [Sack Weizen pro Arbeitseinheit].
21 Wenn sie auch, wie ja bereits Ricardo betont hat, historisch und kulturell differieren können,
so sind sie doch für eine bestimmte historische Epoche und Region gegeben. Ich gehe darauf
gleich noch etwas weiter ein, aber zunächst soll die klassische Schließung des Modells zu
Ende diskutiert werden
Lohn, Preis, Profit
In der Preis­ und Verteilungst­
heorie der Klassik wird also die
Lohn­Profit­Relation vom Lohnsatz
zur Profitrate hin gelesen.
Der Reproduktionslohn (der Wert
der Ware Arbeitskraft) bestimmt den
Lohnsatz und dieser Lohnsatz
wiederum bestimmt die Profitrate. In
dieser Logik ist die Profitrate eine
Restgröße: Sie ist eigentlich funk­
tionslos. Die Kapitalistenklasse eig­
net sich, auf Grund ihres Besitzes an
den Produktionsmitteln, den Teil des
gesellschaftlichen Wertprodukts an,
der zur Reproduktion der Arbeiter
nicht erforderlich ist.
S.22
Abb. 4: Lohn­Profit­Relation in der Klassik
r
400%
150%
0,125 0,2
w/p
Das stimmt so zwar nicht mehr
ganz, wenn man annimmt, daß nur
aus den Profiten investiert wird, weil dann eine hohe Profitrate zugleich hohes Wachstum
ermöglicht. Andererseits ist diese Einschränkung auch wieder, jedenfalls für den
Vergleich von Gleichgewichten, ziemlich belanglos: Wenn ein höheres Volkseinkommen
nur dazu führt, daß die Menschheit schneller wächst, ohne daß sich die Lage der
Menschen verbessert, dann ist sein einziges Ergebnis, daß es noch mehr Menschen gibt,
die gerade mal ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Was sollte dann daran so
erstrebenswert sein? Eine Erhöhung der Arbeitsproduktivität (ein Sinken von a) (Marx' Produktion des
relativen Mehrwerts) führt zu einer Erhöhung der Profitrate, weil jetzt jeder Arbeiter bei
konstantem Reallohn mehr herstellt. Damit steigt die Profitmasse, die, durch den Wert
des Kapitalstocks geteilt, die Profitrate ergibt.
Ebenso erhöht eine höhere Kapitalproduktivität (ein Sinken von k), die Profitrate, weil
jetzt in diesem Fall ein konstant gebliebener Profit durch einen niedrigeren Kapitalwert
geteilt wird.
Beide Varianten haben keinen Einfluß auf den Reallohn, es sei denn, eine Real­
lohnsteigerung ist die Bedingung für eine Erhöhung der Arbeitsproduktivität, z.B. weil
eine bessere Ausbildung erforderlich ist, um die Arbeitsproduktivität zu erhöhen. (Auf
den Wert des Reallohns haben sie schon einen Einfluß: Der Wert von Weizen (gemessen
in Lohneinheiten) sinkt ja. Es sinkt aber nicht nicht die Menge an Weizen, die man sich
mit diesem Lohn kaufen kann)
Lohn, Preis, Profit
S.23
Reallohn und Nominallohn
Aus der Preisgleichung folgt, daß auch in der klassischen Preistheorie eine Geldlohn­
erhöhung keine Erhöhung des Reallohnes ermöglicht. p=
1
∗w∗a
1−k−r∗k 
Formal: Verdoppelt man den Geldlohn w, so verdoppelt sich auch das Preisniveau.
Seine praktische Ursache hat dieser Zusammenhang für die Klassik in der Annahme, die
Arbeitskraft sei eine produzierte Ware wie jede andere auch. Steigt der Marktpreis einer
Ware über den Gleichgewichtspreis, so steigt die Produktion an, bis der Preis wieder auf
sein gleichgewichtiges (Produktionspreis­)Niveau zurückgekehrt ist. Ist die Arbeitskraft
eine Ware, so führt ein Lohnsatz, der über den Reproduktionslohn steigt, dazu, daß die
Arbeiter sich vermehren wie die Karnickel, bis es genug von ihnen gibt und der Lohnsatz
wieder auf sein Gleichgewichtsniveau, den Reproduktionslohn, fällt. Und bleibt der Lohn
hinter dem Reproduktionsniveau zurück, so entstehen Hungersnöte und/oder die
Eheschließungen gehen zurück. Die Arbeitsbevölkerung schrumpft, bis sie schließlich
wieder die Größe erreicht hat, die das Kapital benötigt, so daß der Lohnsatz wieder auf
sein Gleichgewichtsniveau hochkonkurriert wird. Auf dem klassischen Arbeitsmarkt
herrscht also Vollbeschäftigung. ­ Wenn auch nicht deswegen, weil der Marktprozeß
dazu führt, daß alle Arbeit suchenden Menschen Stellen finden, sondern deshalb, weil der
Marktprozeß dazu führt, daß es nur so viele Menschen gibt, wie das Kapital benötigt.
Auch bei Marx findet sich keine Theorie der Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosen, die bei
ihm im 23. Kapitel des ersten Bandes diskutiert werden, sind ein Phänomen der Krise,
also des Ungleichgewichts. Dieses „ Eherne Lohngesetz“ (Lassalle22), fanden die Klassiker nicht unbedingt gut.
Besonders Sismondi prangert die Hungerkrisen an, die entstehen, wenn das Kapital keine
Verwendung für alle Arbeit hat. Es gibt aber, aus Sicht der Klassik, nur zwei Wege, die
Lage der Arbeiterklasse zu verbessern. Entweder der Lohnsatz kann über dem Reproduktionslohn gehalten werden. Das ist
nur dann möglich, wenn die Nachfrage nach Arbeit schneller wächst als die Bevölkerung.
Also benötige ich Wirtschaftswachstum. Daher sowohl bei Smith wie bei Ricardo die
Position, nur eine wachsende Wirtschaft ermögliche ein glückliches Land, und bei beiden
der Horror vor einer stagnierenden Ökonomie (dem stationären Zustand bzw. engl.:
stationary state). 22 Es ist einer der weniger sympathischen Charakterzüge von Marx, daß er gerne Leute angreift,
die das Gleiche sagen wie er, wenn sie ihn nicht als Übervater anerkennen. So kritisiert er
Lasalle für dessen „E hernes Lohngesetz“, steht aber mit dem Wert der Ware Arbeitskraft
inhaltlich auf der gleichen Position. Bei ihm findet sich denn auch (am Ende entweder von
„Lohn, Preis, Profit“ oder aber von „Lohn arbeit und Kapital“ ) eine Passage, in der er
sinngemäß sagt, die Gewerkschaften könnten zwar zeitweise (!!!) das Lohnniveau etwas
erhöhen, sie verfehlten aber ihr Ziel völlig, wenn sie sich darauf konzentrierten.
Lohn, Preis, Profit
S.24
Oder aber es gelingt mir, die Reproduktionskosten der Arbeit zu erhöhen. Dies
funktioniert einmal wenn die Menschen, auf Grund besserer Bildung (Smith, Ricardo)
oder durch Beschränkungen der Eheschließung (Malthus) erst bei einem höheren
Einkommen eine Familie gründen. Oder aber, zweite Möglichkeit, wenn ich Teile der
Familie von der Arbeit ausschließe: Verbot der Frauen und Kinderarbeit.
Die Klassik ist deshalb auch die einzige Theorie, in welcher der Marktmechanismus
eine Arbeitszeitverkürzung bei vollständigem Lohnausgleich erlaubt. Eine Verkürzung
der Arbeitszeit senkt ja nicht (oder doch wenigstens: nicht wesentlich) die Reproduktions­
kosten. Ergo muß der Stundenlohn bei einem 8­Stunden­Tag höher liegen als bei einem
12­Stunden­Tag, wenn weiterhin genug Arbeitskräfte nachwachsen sollen.
Der gegebene Reallohnsatz führt ebenfalls dazu, daß die Kosten für Arbeits­
schutzmaßnahmen alleine vom Unternehmen getragen werden, also die Profitrate
mindern.
Profitrate und Zinssatz In der Klassik wird die Profitrate also in der Produktion bestimmt. Also muß der
Zinssatz sich (im Gleichgewicht) an die Profitrate anpassen, denn mit der Kreditauf­
nahme kann ich die Produktion ausweiten, ich tausche mit einer Kreditaufnahme also
Zinseinkommen (das ich dem Kreditgeber zahle) gegen Profiteinkommen (das ich aus der
Produktion beziehe). Daher werden die Unternehmer den Zinssatz mit der Zeit auf die
Höhe der Profitrate hochbieten.23 Ein Ergebnis, auf das auch Marx kommt, wenn er im
dritten Band des Kapital zunächst die Spaltung des Profits in Unternehmerlohn und Zins
betrachtet und dann konstatiert, daß der Unternehmerlohn im Marktprozeß in Richtung
auf einen reinen Lohn für Leitungstätigkeit herunter konkurriert wird.
Daß der Geldzinssatz sich im Gleichgewicht passiv nach der Profitrate richtet,
bedeutet natürlich nicht, daß es immer so ist. Es gab natürlich auch zu Zeiten der
ökonomischen Klassik Geldkrisen, in denen, entweder wegen einer Krise des
Bankensystems und/oder aber wegen einer Politik der Inflationsbekämpfung der
Notenbank der Geldzins explodierte.24 Aber diese Themen sind Themen dies
23 Ich verweise hier nochmal auf die oben (S. 19) gemachten Einschränkungen. 24 Bankenkrisen gab es in England vor 1868 regelmäßig und eine restriktive Geldpolitik der
Bank of England kennzeichnete die ersten 10 bis 15 Jahre des 19. Jahrhunderts, in denen die
Bank von England das, in Folge der Inflation während der Napoleonischen Kriege, entwerte
Pfund wieder auf seine alte Goldparität zurückführte. Die Bankenkrise von 1798 ist der Anlaß
von Henry Thorntons „ Paper Credit“ und die Restriktionsperiode zu Beginn des 19.
Jahrhunderts u.a. war der Anlaß zu sowohl Ricardos „High Price of Bullion“ als zum Bullion­
Report, an dem wiederum Thornton federführend beteiligt war. Nach 1868 verschwinden (in
England) die periodischen Geldkrisen, weil die Bank of England ein anderes Krisenmanage­
ment betreibt. Dies wird in der im gleichen Jahre erschienen „Lo mbard Street“ von Bagehot
analysiert. Wobei vor allen anderen Bagehot, als Herausgeber des Economist, es war, der
diese veränderte Geldpolitik gefordert hatte.
Lohn, Preis, Profit
S.25
Ungleichgewichts.25 Sie können für einige Zeit dominant sein, weil die Kreditnachfrage
der Unternehmen nicht schlagartig zurück gehen kann, wenn der Zinssatz steigt: Die
Unternehmen haben schließlich Zinsen und Tilgung auf ihre bestehenden Verbind­
lichkeiten zu zahlen, und wenn sie, in Folge der Geldkrise, nicht genug verdienen,
müssen sie eben, egal zu welchem Zinssatz, neue Schulden aufnehmen, um ihre alten zu
bedienen. Die Kreditnachfrage geht dann nur langsam zurück, während das Kredit­
angebot schlagartig sinkt. Aber sie geht zurück, und auf die Dauer muß sich wieder ein
Gleichgewicht bei Zinssatz = Profitrate einstellen.
Tendenzieller Fall der Profitrate? Eine der Fragestellungen der Klassik war die nach der langfristigen Entwicklung des
Zinssatzes. Die Merkantilisten hatten schon seit dem 17. Jahrhundert gefragt, wieso das
Zinsniveau der Bank von Amsterdam so deutlich unter dem englischen Zinsniveau lag.
(Eine Konsequenz dieser Debatte war der Vorschlag zur Gründung der Bank of England.)
Und seit etwa Mitte / Ende des 18. Jahrhunderts fiel das Zinsniveau auf Englische Pfund
– ein Trend, der bis zum ersten Weltkrieg andauerte. In dieser Diskussion war es eine
generell akzeptierte Tatsache, daß das Zinsniveau sank, wenn eine Volkswirtschaft
reicher wurde.26 Die zu beantwortende Frage war nicht ob, sondern warum die Zinsen mit
steigendem Einkommen sanken.
Nun, wenn der Zinssatz von der Profitrate bestimmt wurde, dann konnte der Zins nur
sinken, wenn die Profitrate sank. Aus der Frage der Merkantilisten nach der Entwicklung
des Zinssatzes wurde daher für die Klassik die Frage nach der langfristigen Entwicklung
der Profitrate.
Die Bestimmungsgleichung der Profitrate sagt auch sofort, welche Kandidaten hier in
Frage kommen. Wegen:
a 1 w
1
a∗w
r= ∗ − −1 ==> r= ∗1−
−1
k a p
k
p
kann die Profitrate nur fallen, wenn entweder der Reallohn steigt, oder wenn die Technik
weniger produktiv wird, wenn entweder die Arbeitsproduktivität sinkt (a steigt) und/oder
die Kapitalproduktivität sinkt (k steigt). Ricardo wählte den ersten Ansatz: Zwar steigt mit zunehmender Bevölkerung nicht
der Reallohn gemessen in Gütereinheiten, aber die Lohngüter, vor allem Nahrungsmittel,
sage: Korn, müssen auf immer arbeitsaufwändigere Weise hergestellt werden, weil mit
wachsender Bevölkerung immer schlechtere Böden in die Bebauung genommen werden
25 Ich gehe im dritten Teil, Wirtschaftspolitik, im Zusammenhang mit der Geldpolitik auf diese
Themen etwas näher ein.
26 Im 17. und 18. Jahrhundert war das Einkommen in Holland höher als das in England, England
überholte erst im 19. Jahrhundert und die Bank von Amsterdam war von Napoleon geplündert
worden. Die Geschichte der Bank von Amsterdam erstreckte sich also nur auf die Zeit, in der
Holland einen wirtschaftlichen Vorsprung hatte.
Lohn, Preis, Profit
S.26
müssen.27 Korn hat aber am Markt einen einheitlichen Preis. Der Anbau auf schlechteren
Böden erfordert daher einen höheren Marktpreis – und die Grundeigentümer, welche über
bessere Böden verfügen, können sich den Vorteil der geringeren Produktionskosten über
einen höheren Pachtzins entgelten lassen. Eine wachsende Bevölkerung führt daher zu
einer Umverteilung des Vermögenseinkommens weg vom Profit hin zu Mieten und
Pachten. Eine steigende Grundrente führt zu einem Sinken der Profitrate. Daher fordert
Ricardo auch die Aufhebung der Getreidezölle, um über Importe den Anstieg der
Getreidepreise zu bremsen und so die Profitrate zu verteidigen.
Was immer man von dieser Erklärung halten mag – selbst unter den Annahmen der
Klassik wäre es ja möglich, daß die Entwicklung durch den technischen Fortschritt in der
Landwirtschaft neutralisiert wird – sie ist jedenfalls kohärent, wenn man die
entsprechenden Annahmen über die Entwicklung des technischen Wissens in der
Landwirtschaft trifft. Das Gleiche läßt sich von Marx'
These des tendenziellen Falls der
Profitrate nicht sagen. Marx leitet das „ Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate“ her, bevor er die
Grundrente thematisiert. Ihm stehen daher als Argumente nur noch k und a zur
Verfügung. Seine These ist, daß, um die Mehrwertrate zu steigern, also um a zu senken,
der Kapitalaufwand steigen muß. Wenn in der Profitratengleichung k nur schnell genug
steigt, wird jeder Fall von a (jede Steigerung der Arbeitsproduktivität) überkompensiert.
Und Marx postuliert, daß genau dies der Fall sei.
Allerdings ist sein Argument nur scheinplausibel. Schon seine Behauptung im ersten
Band des „ Kapital“, eine Erhöhung der Mehrwertrate erfordere eine „ steigende
organische Zusammensetzung des Kapitals“ (eine Zunahme des Kapitalwertes relativ zu
den Lohnkosten), ist nicht schlüssig hergeleitet. Rechnet man Marx'
eigene Annahmen
nach, so kann alles herauskommen: Die organische Zusammensetzung des Kapitals kann
steigen, fallen oder gleich bleiben, eine zwingende Tendenz in irgend eine Richtung läßt
sich nicht herleiten. Und das wird nicht besser, wenn man bedenkt, daß auch bei Marx
mit dem Übergang von der Wert zur Produktionspreistheorie im dritten Band des Kapital
nicht der Mehrwert, sondern die Profitrate die Kalkulation des Kapitalisten bestimmt.
Wie die Überlegungen zur Technikwahl oben auswiesen, kann die Technikwahl nie zur
Wahl einer weniger produktiven Technik führen. Wenn eine neue Technik gefunden
wird, so wird sie nur dann eingesetzt, wenn sie, beim gegebenen Reallohnsatz, eine
höhere Profitrate abwirft.
Wer trägt die Steuern? Generell gilt, daß derjenige, der die Steuern zahlt, noch lange nicht diejenige sein
muß, die sie in letzter Instanz auch trägt. Denn Steuern kann man über die Preise
weitergeben. 27 Neben der hier erläuterten Grundrente I kennt Ricardo noch eine Grundrente II, Aber um die
Logik des Arguments vorzuführen, ist es nicht nötig, auch auf diese einzugehen.
Lohn, Preis, Profit
S.27
In der klassischen Theorie ist es egal, bei wem die Steuern erhoben werden. Sie sind
stets Abzug vom Profit (oder aber der Grundrente). Der Grund dafür liegt darin, daß der
Nettolohn funktionales Einkommen ist, Profit und Rente hingegen Surpluseinkommen,
funktionsloses Überschußeinkommen sind. Werden Steuern auf die Löhne erhoben, so fällt das Arbeitseinkommen unter das
Repoduktionsniveau. Die Zahl der Arbeiter geht zurück und das Kapital muß die Brutto­
Löhne auf eine Höhe hochbieten, bei der die Arbeiterinnen Netto wieder ihren
Reproduktionslohn erzielen. Bei indirekten Steuern (Konsumsteuern) ist dies nicht
anders: Sollen die Arbeiter sich nach der Erhebung der Steuer weiter reproduzieren
können, so müssen sie sich soviel kaufen können, wie zuvor.
Jede Steuer führt deshalb, so lange sie nicht von den Grundbesitzern erhoben wird, zu
einer Reduktion der Profite. Daher die Forderung der späteren Bodenreformbewegungen,
die Staatsausgaben nur durch Besteuerung von Grundvermögen zu finanzieren. (Henry
George, Adolf Damaschke)
Die neoklassische Variante: Vollbeschäftigung Die Neoklassik ist, wie bereits bemerkt, die heute konkurrenzlos dominierende
ökonomische Theorie. Im Unterschied zur Klassik liefert sie eine formale Theorie auch
für die Erklärung der Preise nicht produzierter Güter und Dienstleistungen. Da Arbeit von
ihr als ein solches nicht­produziertes Gut (und die Bereitstellung von Kapital als nicht
produzierter Dienst, als Verfügung über knappes Vermögen) gefaßt wird, ist es sinnvoll,
zunächst kurz auf die Modellierung des Arbeitsmarktes einzugehen.
Der Arbeitsmarkt
Ein Markt wird generell verstanden
als ein Raum, in dem Mengen von
Gütern oder Dienstleistungen in Abhän­
gigkeit von deren Preis bereitgestellt
und nachgefragt werden. Die Bereitstellung in Abhängigkeit
vom Preis wird durch die Angebots­
kurve, die beim jeweiligen Preis nachge­
fragte Menge durch die Nachfragekurve
angegeben. Mit p für den Preis, X für
die Menge, D (demand) als Exponent für
die Nachfrage sowie S (supply) für das
Angebot und * als Zeichen für das
Gleichgewicht ist in der nebenstehenden
Graphik ein Beispielmarkt abgetragen.
Abb. 5: Marktdiagramm
p
XS
p*
XD
X*
X
Lohn, Preis, Profit
S.28
Bei „ normalem“ Verlauf steigt die Angebotskurve (zu höheren Preisen wird mehr von
X angeboten als bei niedrigeren Preisen) und fällt die Nachfragekurve (bei einem
niedrigen Preis wird mehr X nachgefragt als bei einem hohen Preis). Ist der Preis höher
als p*, so ist das Angebot größer als die Nachfrage, die Anbieter bieten die Preise
herunter, und der Preis fällt. Bei einem Preis unterhalb von p* geht ein Teil der
Nachfrager leer aus, die Preise werden hochgeboten, weil die Nachfrager, die leer
ausgingen, höhere Preise bieten, um doch noch an das Produkt zu kommen. Wie gesagt,
Ihr kennt das Phänomen wahrscheinlich von Konzertkarten. Sind die Preise höher als p* gibt es also einen Druck auf die Preise, sie fallen. Sind sie
niedriger als p* gibt es eine Tendendenz zu Preissteigerungen. Damit bewegen sich die
Preise und Mengen normaler Weise in Richtung auf das Gleichgewicht (p*, X*), solange
sich nichts an den Kurven tut.
X*, die Gleichgewichtsmenge, ist die größte Menge, die am Markt umsetzbar ist.
Liegt p über p*, so nehmen die Nachfrager weniger als X* ab. Liegt p unterhalb von p*,
so stellen die Anbieter weniger als X* her. Die Kurve, die der Preisachse am nächsten
liegt, gibt also an, wieviel umgesetzt werden kann – oder, auf fachchinesisch: die kurze
Marktseite rationiert den Markt.
p* ist deswegen der Gleichgewichtspreis, weil er keinen Anlaß zu weiteren Preis­
änderungen mehr gibt. Zu p* wird alle zu diesem Preis geplante Nachfrage befriedigt und
die Anbieter können soviel absetzen, wie sie bei diesem Preis anzubieten planen. Im Marktgleichgewicht, bei dem Preis p* und der umgesetzten Menge X*, sind also
die Pläne der Anbieter und Nachfrager kompatibel, der Preismechanismus koordiniert
die Pläne. Abb. 6: Probleme bei der Findung des Gleichgewichts In diesem simplen Bildchen steckt mehr, als man ihm auf dem ersten Blick ansieht:
Hinter den Nachfrageplänen der Haushalte steht der Wunsch, einen möglichst hohen
Nutzen zu erzielen. Hinter den Angebotsplänen der Unternehmen steht der Wunsch nach
Maximierung des Profits. Im Marktgleichgewicht gehen diese Pläne, für den Preis p*,
gleichzeitig auf. Im Marktgleichgewicht sind also gleichzeitig die Haushalte in ihrem
Lohn, Preis, Profit
S.29
Nutzenmaximum (bei diesem Preis) und die Unternehmen in ihrem Gewinnmaximum (bei
diesem Preis).28
Damit es ein solches Gleichgewicht gibt, muß man nicht unbedingt bestimmte
Kurvenverläufe annehmen. Solange die Kurven nicht gerade parallel verlaufen, schneiden
sie sich ja irgendwo, also gibt es auch einen (oder mehrere) Gleichgewichtspunkte. In
Sonderheit ist es kein Problem, wenn die Angebotskurve, wie in unserem Produktions­
preismodell, flach (parallel zur X­Achse) verläuft. Solange die Nachfragekurve fällt,
bestimmt dann einfach das Angebot den Preis und die Nachfrage bei diesem Preis
entscheidet über die Menge, die hergestellt wird.
Allerdings sollten die Angebots­ und Nachfragekurven keine Sprungstellen aufweisen
(weil sie sonst vielleicht gerade an der Stelle springen, wo sie sich sonst treffen würden)
und sie sollten sich bei positiven Preisen und Mengen schneiden. Außerdem wäre es gut,
wenn nicht gerade das Angebot mit steigendem Preis zurückginge und gleichzeitig die
Nachfrage mit steigendem Preis steigt. Denn in diesem und ähnlichen Fällen würde das
System explodieren, wenn wir nicht gerade zufällig im Gleichgewicht sind: Wäre die
Nachfrage größer als das Angebot, so würden die Preise steigen. Dadurch stiege aber die
Nachfrage noch weiter an und das Angebot ginge weiter zurück. Die Preise würden jetzt
noch weiter steigen u.s.w. Und umgekehrt bei einer zu Beginn zu hohen Nachfrage. Hier
würden die Preise fallen, das Angebot stiege weiter, die Nachfrage ginge weiter zurück
etc.
Noch ein Hinweis ist wichtig: Beide Kurven geben nur die bei unterschiedlichen
Preisen geplanten Angebots­ und Nachfragemengen wieder. Ändert sich irgend ein an­
derer Einfluß als der Preis, so verschieben sich die Kurven, der Gleichgewichtspunkt
ändert sich also. Solche Einflüsse kann man durchaus im Marktdiagramm diskutieren.
Man muß dann nur fragen, welche der beiden Kurven wohl in welche Richtung vers­
choben wird. Dies wird spätestens im Abschnitt zur Wirtschaftspolitik wichtig werden.
Beiläufig können so auch unangenehme Marktprozesse entstehen, Prozesse, die weg
vom Gleichgewicht führen. Bei Aktien z.B. hängt die Nachfrage von Preiserwartungen
(Kursentwicklung) ab. Haben jetzt die erwarteten Kurse etwas mit der bisherigen Preis­
entwicklung zu tun, so führen steigende Kurse zur Erwartung weiterer Kursanstiege und
28 Man darf das nicht zu apologetisch interpretieren: Das Nutzenmaximum eines Obdachlosen
(bei gegebenen Preisen) ist eben erreicht, wenn er unter einer Brücke schläft, weil er sich die
Miete nicht leisten kann. Auch im Kapitalismus können Menschen verhungern, aber dies eben
„ optimal“. Aber der Marktmechanismus erzeugt eine hohe Systemstabilität. Wenn ich in der DDR keine
Wohnung bekam, war Günter Mittag daran schuld. Der Fünf­Jahres­Plan hatte nicht genügend
Wohnraumbau vorgesehen. Über den Marktmechanismus wird eine Menge an Kritik aus
Systemkritik in Selbstvorwürfe transformiert: Wenn ich mir im Kapitalismus keine Wohnung
leisten kann, bin ich selbst daran schuld. Es sind ja „ genug“ da, nur ich verdiene nicht genug,
also bin ich unfähig, der Nachbar kriegt'
s doch auch hin. Wobei das genug gar nicht mal
impliziert, daß im Kapitalismus mehr Wohnungen angeboten werden. Sie sind nur einfach so
teurer, daß die Nachfrage so niedrig ist, daß die Menge (bei diesem Preis) die Nachfrage
deckt.
Lohn, Preis, Profit
S.30
dadurch zu einer steigenden Nachfrage (die Nachfragekurve würde sich nach außen
verschieben). Und diese wiederum führt zu steigenden Kursen. So funktioniert eine
Börsenblase. Umgekehrt kann eine Deflation funktionieren. Wenn fallende Preise zur
Erwartung auch weiterhin fallender Preise führen, so regt dies zum Aufschieben der
Nachfrage an. (Ihr kennt das von der Überlegung: Kauf ich mir den neuen PC oder warte
ich noch, bis der Preis des neuen Prozessors gesunken ist.) In diesem Falle würden
fallende Preise zu einem Rückgang der Nachfrage (einer Verschiebung der Nach­
fragekurve nach innen) führen und dies würde wiederum die Preise weiter fallen lassen.
Die Arbeitsmarkttheorie ist nun
letztlich nichts anderes, als das
Übersetzen dieses Marktdiagramms
auf den Arbeitsmarkt. Aus XD, der
Nachfragekurve der Haushalte nach
Gütern, wird AD, die Nachfragekurve
der Unternehmen nach Arbeit oder
die Arbeitsnachfragekurve. Aus XS,
der Angebotskurve der Unternehmer
an Gütern, wird AS, die Arbeits­
angebotskurve der Haushalte. Die am
Arbeitsmarkt bestimmte Menge ist
die Beschäftigung A und der relevan­
te Preis ist der Reallohn w/p.
Abb. 7: Arbeitsmarktdiagramm
w/p
AS
(w/p)*
AD
A*
A
Der Markt ist geräumt, es herrscht
Vollbeschäftigung, wenn der Reallohn eine Höhe erreicht hat, bei der die Haushalte
gerade genau das Arbeitsvolumen (in Stunden) loswerden, das sie zu diesem Lohnsatz
anbieten wollen. Und bei dem die Unternehmen gerade soviel Arbeit bekommen, wie sie
bei diesem Lohnniveau einsetzen möchten. Wert­ und Verteilungstheorie
Vom Arbeitsmarktdiagramm führt eine recht einfache Überlegung auf die Wert­ und
Verteilungstheorie: Hinter der Arbeitsangebotskurve steht die Wahl der Haushalte
zwischen Arbeit und Freizeit. Was aber steht hinter der Arbeitsnachfragekurve? Nun, um
Arbeit einzusetzen, sind Arbeitsmittel, ist (im Kapitalismus) Kapital erforderlich. Im
einfachen Modell: Der Farmer hat auch eine Wahl, er kann seinen Weizen essen, oder ihn
für die Aussaat bereitstellen. Er wird umso mehr aussäen, und daher umso weniger essen,
je höher die Profitrate ist, die er in der Produktion erzielt.29 Und in komplexeren
29 Marx Kritik an dieser Profittheorie, die den Profit als Lohn für Sparen ausgibt, ist, die
Kapitalisten müßten wohl nicht dafür entschädigt werden, daß sie ihre Maschinen nicht essen.
Nur: Diese Kritik trifft nicht, denn eine höhere Nachfrage nach Konsumgütern und eine
geringere nach Maschinen würde bewirken, daß weniger Maschinen und mehr Konsumgüter
produziert werden. In Zukunft wären dann weniger Maschinen „da“. Das heißt aber nicht im Umkehrschluß, daß die „ Entsagungstheorie des Profits“ die Klassik
Lohn, Preis, Profit
S.31
Zunsammenhängen: Um die Produktion auszuweiten, sind die Unternehmen, zumindest
zum Teil, auf Kredit angewiesen. Ein höheres Kreditvolumen erfordert aber, unter sonst
gleichen Umständen, einen höheren Zinssatz.
So, und damit haben wir die Arbeitsnachfragekurve zusammen: Um mehr Arbeiter
einzusetzen, brauchen die Unternehmer mehr Kapital. Mehr Kapital aber erfordert mehr
Kredit und dafür sind höhere Zinssätze erforderlich. Um höhere Zinsen zahlen zu können,
brauche ich aber eine höhere Profitrate. Und eine höhere Profitrate, das sagt mir die
Lohn­Profit­Relation, bedeutet niedrigere Reallöhne. Deshalb muß – unter sonst gleichen
Umständen – eine höhere Arbeitsnachfrage einen niedrigeren Reallohn implizieren. Sehen wir uns vor dem Hintergrund des Arbeitsmarktes also nochmal das Lohn­Profit­
Diagramm an: Abb. 8: Verteilungstheorie der Neoklassik
r
400%
zu wenig Arbeiter:
Lohn steigt, Profit
rate fällt
Vollbeschäftigung
r*
zu wenig Kapital:
Lohn fällt,
r steigt
w*
0,2
w/p
Bei hohen Löhnen ist die Profitrate niedrig. Die Unternehmen könnten zwar viel
Arbeit zu diesem Lohnsatz bekommen. Aber da sie nur wenig Kapital einsetzen können,
brauchen sie nur wenig Arbeit. Es ist einfach nicht viel Korn auszusäen, also wird wenig
Arbeit beschäftigt. Bei hohen (Real)Löhnen ist die Beschäftigung also gering, weil die
Nachfrage nach Arbeit zu niedrig ist, es herrscht Arbeitslosigkeit. Die Löhne sinken und
die Profitrate steigt.
widerlegt hätte: Wenn die Löhne durch den Reproduktionslohnsatz die Profitrate bestimmen,
kann diese ohne weiteres über dem Niveau liegen, das als Entschädigung für Konsumverzicht
erforderlich wäre. Der Klassiker könnte z.B. durchaus argumentieren, daß, weil mit
Vermögensbildung soziale Sicherheit und Prestige einhergeht, der erforderliche Zins für
Kapitalbildung Null oder gar negativ ist. (Ein Beispiel für einen negativen Zins sind
Kontoführungsgebühren.) In diesem Falle bliebe der Profit reiner Surplus, funktionsloses
Einkommen.
Keine der beiden Theorien kann der anderen nachweisen, daß sie falsch sei.
Lohn, Preis, Profit
S.32
Bei niedrigen Löhnen ist die Profitrate hoch. Die Unternehmer können zwar an viel
Kapital kommen, aber bei diesen niedrigen Löhnen finden sie nicht genug Arbeiter. Das
Korn verrottet in den Speichern, weil niemand es aussät. Also müssen die Unternehmen
das Lohnniveau hochbieten – und damit sinkt zugleich die Profitrate.
Für Neoklassik sind beide Einkommensarten, Lohn­ und Profit, funktionale
Einkommen – ist der Lohnsatz zu niedrig, arbeiten zu wenige Menschen. Und ist die
Profitrate zu niedrig, so sind nicht genug Machinen und Rohstoffe da, um alle zu
beschäftigen, die gerne arbeiten möchten. Daher wird in der Verteilungstheorie sowohl
der Lohn als auch der Profit bestimmt. Aber oben hatte ich doch gesagt, daß, weil die Verteilungsgleichung a 1 w
r= ∗ − −1
k a p
nur zwei Unbekannte aufweist, nur eine der beiden Größen bestimmt sei, wenn die andere
bekannt sei. Richtig. Es sei denn, man hat noch eine weitere Größe, die man gleichzeitig
bestimmt. Und diese zusätzliche Größe ist in der Neoklassik die Beschäftigung bzw. das
Volkseinkommen. (Weil das Volkseinkommen gleich Produktion pro Arbeitsstunde mal
Anzahl der Stunden ist, also gleich Arbeitseinsatz mal Arbeitsproduktivität ist.)
Für die Neoklassik entscheidet sich also die Höhe des Volkseinkommens am
Arbeitsmarkt. Und zugleich versteht man die Fixierung der Neoklassik auf
Vollbeschäftigung – außerhalb der Vollbeschäftigung funktioniert bei diesem Ansatz
nichts mehr, weder die Preis­ noch die Verteilungs­ noch die Beschäftigungstheorie.
Dies ist die eigentliche Ratio, die den Neoliberalen dazu führt, zumindest die
durchschnittliche Beschäftigung im Konjunkturzyklus (hierzu mehr in den Teil II und III)
als Vollbeschäftigung, und die gemeldeten Arbeitslosen als freiwillig Arbeitslose zu
interpretieren.
Technischer Fortschritt führt hier zu einer Ausweitung der Beschäftigung bei
gleichzeitig steigenden Löhnen und steigender Profitrate – denn die Lohn­Profit­Relation
verschiebt sich nach außen und daher können sowohl höhere Löhne als eine höhere
Profitrate gezahlt werden – und wegen der höheren Löhne kann die Beschäftigung
steigen. Die genaue Aufteilung des Zuwachses hängt vom konkreten Verlauf der
Arbeitsangebots­ und ­nachfragekurve ab.
Arbeitsschutz bewirkt, weil Verschiebung der Lohn­Profit­Relation nach innen, das
genaue Gegenteil: Beschäftigung, Löhne und Profitrate sinken – es sei denn, der bessere
Arbeitsschutz erhöht die Arbeitsbereitschaft, so daß man auch bei niedrigeren Löhnen
soviel Arbeit bekommt, wie zuvor. Dann würden evtl. nur die Löhne sinken.
Reallohn und Nominallohn Auch hier gilt, daß, solange sich sonst nichts tut, ein höherer Geldlohn einfach ein
höheres, ein niedrigerer Geldlohn ein niedrigeres Preisniveau bedeutet. Lohn, Preis, Profit
S.33
Zu dieser Aussage gibt es eine Einschränkung, die auf die Quantitätstheorie des
Geldes zurück geht. Wenn der von der Notenbank emittierte Bestand an Zentralbankgeld
fest vorgegeben ist und wenn es eine feste Beziehung zwischen diesem Geldbestand und
dem Volumen an Käufen gibt, die er ermöglichen kann, dann legt quasi die Notenbank
das nominale Nationalprodukt fest. (Also die jährlich produzierte Menge an Gütern und
Dienstleistungen mal ihren Preisen.) Hohe Preise (auf Grund hoher Löhne) würden dann bedeuten, daß entsprechend
weniger Produkte umgesetzt werden können und deshalb die Beschäftigung niedriger sein
wird. Diese Idee hört man gelegentlich noch von Mitgliedern des Sachverständigenrates,
wenn sie sagen, die Notenbank gebe die Entwicklung des „ Geldmantels“ vor und die
Tarifparteien könnten, über die Höhe der Tarifabschlüsse, darüber bestimmen, wie viel
davon Preiserhöhung und wie viel zusätzliche Beschäftigung werde.
Dies ist allerdings Quatsch, denn die Notenbank bestimmt nicht die Geldmenge,
sondern den Zinssatz.30 Mittlerweile hat sich das 'r
umgesprochen und kein seriöser
Neoklassiker benutzt dieses Argument mehr. (Diese Aussage ist kein Widerspruch zur
Feststellung, daß Mitglieder des SVR gelegentlich immer noch auf dieser ollen Karmelle
herumreiten. Allerdings sollte sich das jetzt geben, weil Bofinger neu im SVR ist, und der
hat das in seinem Lehrbuch zur Geldtheorie ebenfalls mitgekriegt.)
Tendenzieller Fall der Profitrate? Ein tendenzieller Fall der Profitrate ist denkbar, wäre aber Gleichgewicht, nicht
Krisenphänomen. Man stelle sich eine arme Ökonomie mit konstanter Bevölkerung vor.
Diese Ökonomie produziert und dadurch steigen langsam Einkommen und Vermögen.
Der Zuwachs an Vermögen bedeutet, daß Kapital mit der Zeit reichlicher wird, während
die konstante Bevölkerung impliziert, daß sich am Arbeitsangebot nichts ändert – eher
geht es sogar zurück, weil das höhere Vermögen bedeutet, daß die Menschen sich mehr
Freizeit leisten können. Kapital wird also mit der Zeit relativ zur Arbeit entknappt und
daher billiger angeboten werden. Dadurch sinken die Zinsen und die Profitrate kann
fallen, die Löhne steigen.
Der Prozeß ist zu Ende, wenn die Zinsen so weit gefallen sind, daß die Gesellschaft
kein weiteres Vermögen mehr bilden will, daß also die jährliche Netto­Ersparnis Null
wird. Die Gesellschaft hat ihren optimalen Vermögensbestand und das optimale
Einkommensniveau erreicht. Die Ökonomie wächst nicht mehr weiter.
Allerdings wirken diesem Prozeß praktisch nicht nur das Bevölkerungswachstum
sondern auch der technische Fortschritt entgegen, der ja eine gleichzeitige Erhöhung der
Löhne und der Profitrate ermöglicht (die Lohn­Profit­Relation verschiebt sich nach
außen). Daher kann ein solcher Fall der Profitrate eintreten, er muß aber nicht.
30 Zentralbänker wußten das schon immer, im Zweifelsfall spätestens seit Goschen (ca. 1860)
(vgl. auch de Kock). Riese hat 1991 in einem ausführlichen Papier darauf hingewiesen und,
oh Wunder, so langsam merkt das sogar die herrschende Lehre. Ich gehe spätestens in Teil III,
im Abschnitt Geldpolitik, ausführlicher darauf ein.
Lohn, Preis, Profit
S.34
Profitrate und Zinssatz
Auch hier bestimmt die in der Produktion erwirtschaftbare Profitrate den Zinssatz.
Letztlich wird daher der Reallzinssatz am Arbeitsmarkt bestimmt – gleichgewichtig ist
der Realzinssatz, der der Profitrate entspricht, die sich bei dem Reallohn ergibt, bei dem
der Arbeitsmarkt geräumt ist, also Vollbeschäftigung herrscht. Der Nominalzinssatz, also
der Zinssatz, der von der Bank gezahlt wird und der in den Börsenteilen der Zeitung
notiert ist, ist dann der Realzinssatz plus die Inflationsrate. Die Notenbank paßt ihren Zinssatz passiv diesem Marktzinssatz an. Tut sie dies nicht,
entsteht entweder Inflation (wenn sie einen zu niedrigen Zins wählt) oder Deflation
(wenn sie einen zu hohen Zinssatz wählt). Den Zinssatz, bei dem Preisniveaustabilität
herrscht, nennt Wicksell (1898) den „ natürlichen Zins“. Diese Zinstheorie war zwar
zwischenzeitlich einmal ein wenig aus der Mode, weil die Notenbank in der
Quantitätstheorie gar keinen Zins nahm, aber mittlerweile feiert sie zu Recht ein come
back (Romer, Laidler). Wer trägt die Steuern?
Wenn wir die wohlfahrtstheoretischen Details weglassen, ist es auch in der Neoklassik
egal, bei wem die Steuern erhoben werden: Getragen werden sie immer von beiden
Parteien, von Lohnarbeit und Kapital, und in allen Fällen führen sie zu einem Rückgang
der Beschäftigung. Lohnsteuer: Die entscheidende Größe für das Arbeitsangebot ist der Nettolohn – denn
der Haushalt wählt, wenn er über sein Arbeitsangebot entscheidet, zwischen Lohn und
Freizeit. Und Freizeit wird nicht besteuert. Also geht, wenn eine Steuer auf Löhne
erhoben wird, das Arbeitsangebot beim alten Bruttolohn zurück. (Die Arbeitsangebots­
kurve verschiebt sich nach links.) Die Unternehmen müßten, wollten sie so viel Arbeit
beschäftigen wie zuvor, höhere Bruttolöhne zahlen. Dafür aber müßte ihre Profitrate
sinken. Also geht der Kapitaleinsatz zurück, damit die Zinsen sinken können, und die
Beschäftigung sinkt. Im Ergebnis werden die Bruttolöhne etwas steigen, die Profitrate
wird etwas sinken und die Beschäftigung ist geringer als ohne Steuer. Gewinnsteuer (nicht anders: Umsatzsteuern): Durch die Besteuerung der Profite geht
die Nettoprofitrate zurück. Entsprechend können die Unternehmen weniger für Kredite
zahlen. Die Kreditnachfrage geht zurück, also wird weniger Kapital eingesetzt. Daher ist
die Arbeitsnachfrage niedriger. Entsprechend müssen die Löhne und die Beschäftigung
niedriger sein. Eine Steuer auf Zinseinkommen hilft auch nicht weiter. Hier sinkt das Kreditangebot.
Wollten die Unternehmen nun soviel Kredite aufnehmen wie zuvor, müßten sie höhere
Zinsen zahlen – was sie aber nur könnten, wenn die Profitrate höher wäre. Entsprechend
geht auch hier die Arbeitsnachfrage zurück, die Löhne sinken, die Beschäftigung sinkt,
die Profitrate und die (Brutto­)zinssätze steigen.31
31 So führte etwa die Einführung einer 10%igen Zinsabschlagssteuer in der BRD Mitte der
Lohn, Preis, Profit
S.35
Wer die Hauptlast einer Steuer trägt, Arbeits­ oder Kapitaleinkommen, hängt vom
konkreten Verlauf der Kurven ab und läßt sich daher nicht allgemein beantworten. Sicher
ist aber, daß stets beide Gruppen von einer Steuer getroffen werden, egal, worauf diese
erhoben wird, und daß in Folge der Steuer die Beschäftigung sinkt. Dies, nicht die
(scheinplausiblen, hierzu später) Argumente zur Konsumnachfrage, ist die theoretische
Rechtfertigung der Absenkung der Einkommensteuer. Die Ausnahme bilden wieder, wie in der Klassik, die Einkommen aus Grundvermögen
sowie sonstige Monopol­ bzw. Knappheitsrenten. Sie könnten, jedenfalls, wenn man es
geschickt anstellt, ohne Wirkung auf die Beschäftigung besteuert werden.
Die keynesianische Variante: Geld regiert die Welt Tatsächlich gibt es keine keynesianische Lehrbuchversion einer Wert­ und
Verteilungstheorie. Was es in diesem Zusammenhang gibt (Robinson/Eatwell oder
Rotheim) bezieht sich meist auf Sraffa (der schließlich zum Kreis um Keynes gehörte).
Dies hat einen systematischen Grund: Im Prinzip bleibt nur noch eine Möglichkeit offen:
die Vorgabe der Profitrate – und es gibt eine Reihe von Kapiteln in der Allgemeinen
Theorie von Keynes (Kapitel 12, 16 und 17), die auch in genau diese Richtung gehen. Aber darüber, wie genau diese Theorie auszusehen hat, in Sonderheit wenn doch
eigentlich die Zentralbank den Zins setzt, herrscht keine Einigkeit. Hinzu kommt, daß
Keynes schon früh, eigentlich schon mit einem Aufsatz von Hicks aus dem Jahre 1936, so
uminterpretiert wurde, daß er in die Neoklassik paßte.32 Über lange Zeit waren daher die
Lehrbücher so aufgeteilt, daß die Neoklassik für die Preise und die Keynesianer für die
Beschäftigung zuständig waren – und die Keynesianer fanden sich darein und erklärten
die Preistheorie zu unwichtigen Glasperlenspielen (Robinson), die sie gerne den anderen
überließen, während sie sich um die wichtigen Themen, Arbeitslosigkeit und Verteilung,
kümmerten.33
Nur funktioniert diese Arbeitsteilung nicht, denn, ich erinnere an das Preis­Mengen­
Diagramm, wenn die Neoklassik Preise bestimmt, bestimmt sie immer zugleich auch
Mengen. Also führt die Preistheorie immer gleichzeitig auch auf die Beschäftigung. Und
Achtziger zu einer schlagartigen Erhöhung des Zinsniveaus für Wertpapiere. Wenn man
bedenkt, daß die Steuerehrlichkeit in diesem Bereich nicht gerade übertrieben ausgeprägt ist,
wird die Zinssteuer für den Staat so zu einem Verlustgeschäft, weil er über die höhere Ver­
zinsung der Staatsschuld mehr zusätzliche Ausgaben hat, als er an Zinssteuer einnimmt.
32 Wo genau das Problem liegt, werde ich in Teil II erläutern.
33 Ich will nicht unterschlagen, daß es eine sehr wichtige Forschung im Anschluß an Clower
gibt, die „ Mikrofundierung der Makroökonomie“ (Hahn/Solow ist das jüngste wichtige Werk
in dieser Traditionslinie). Clowers Unterscheidung von effektiver und notionaler Nachfrage,
die in Teil II eingeführt werden wird, ist meines Erachtens unverzichtbar für jeden nur
denkbaren keynesianischen Ansatz. Aber auch Clower versteht seinen Ansatz nur als
Abweichung vom neoklassischen Gleichgewicht. Ungleichgewichte können bei ihm stabiler
sein, aber „ letztlich“ muß der Markt doch eine Tendenz zur Rückkehr zum neoklassischen
Gleichgewicht bei Vollbeschäftigung aufweisen.
Lohn, Preis, Profit
S.36
sie ist zwingend gleichzeitig Verteilungstheorie, weil Lohnsatz und Profitrate Preise sind.
Dieses nicht­Funktionieren der Arbeitsteilung führte schließlich zum Niedergang des
Keynesianismus in der akademischen Diskussion – er lieferte einfach keine komplette
Theorie, erklärte lückenhaft, und er wies Widersprüche zur Preistheorie auf. Kurz,
keynesianische Argumentation war unsauber, unsolide, schlechte Theorie.
Ich werde in der Folge meinen eigenen Ansatz skizzieren, mit dem ich versucht habe,
einen konsistenten keynesianischen Ansatz zu basteln, einen Ansatz der damit begann,
daß ich fragte, wie denn eine Wert­ und Verteilungstheorie aussehen müßte, die
keynesianische Ergebnisse liefern kann. Auf dem Niveau, auf dem ich hier Theorien präsentiere, wird dieser Ansatz ebenso
komplett wirken, wie Klassik und Neoklassik. Ich will aber der Ehrlichkeit halber nicht
verhehlen, daß ich weder im Alleingang gegen die gesamte ökonomische Forschung
anstinken kann, noch die mathematischen Fähigkeiten eines Frank Hahn habe. Daher ist
der Ansatz praktisch formal weit weniger ausgearbeitet, als die beiden anderen Theorien.
Wert­ und Verteilungstheorie Kapital ist nicht knapp, es ist sehr viel richtiger zu sagen, daß knapp gehaltenes Geld
Kapital knapp hält, sagt Keynes sinngemäß im 16. Kapitel der Allgemeinen Theorie. Eine
Passage, die viele Kommentatoren für eine der (neben dem fabulösen 17. Kapitel)
dunkelsten Stellen der Allgemeinen Theorie halten (so z.B. Alvin Hansen). Dabei ist die
Idee in Termini unseres Produktionspreismodells doch sehr simpel – anstatt daß die
Profitrate den Zinssatz bestimmt, bestimmt eben der Zinssatz die Profitrate. Damit
entscheidet im Unterschied zur Klassik und Neoklassik nicht der Reallohn des
Arbeitsmarktes über die Profitrate, sondern der Zinssatz erzwingt eine (zumindest) gleich
hohe Profitrate. Damit lautet die Ableitungskette: An den Vermögensmärkten bestimmter Zins ==> Profitrate ==> Reallohn. Eine keynesianische Preis­theorie startet deshalb bei einem von den
Vermögensmärkten bestimmten Zinssatz.34
34 Ich weiß, das löst Bauchschmerzen aus, weil „ hinter den Zinseinkommen doch letztlich
produzierte Güter stehen müssen“. Aber, Leute: so what? Natürlich stellt das Geldkapital die
Güter nicht her – es bestimmt aber über ihre Verteilung. Muß ich Euch denn wirklich etwas
über Entfremdung, Verdinglichung und den Fetischcharakter des Geldkapitals erzählen? Und
bedenkt bei der Interpretation des Fetischbegriffs bei Marx: Fetische sind Gegenstände, denen
die Gesellschaften Macht verleihen – sie haben diese Macht zwar nicht aus sich selbst, aber
wenn sie auf sie übertragen wird, wirkt diese Macht auf die Gesellschaften zurück (vgl. das
Exzerpt zum Fetischbegriff – wenn ich mich nicht irre, steht das den „G rundrissen“) .
Lohn, Preis, Profit
Dieser Zinssatz bestimmt die
Profitrate – und wenn wir erstmal
die Profitrate haben, ist der
Lohnsatz über die Lohn­Profit­
Relation bestimmt.
S.37
Abb. 8: Lohn­Profit­Relation bei Keynes
r
400%
Keynesianische Theorie
macht so den Reallohnsatz zur
Restgröße und stellt damit die
Klassik (nun ja: zumindest aus
150%
meiner Warte) vom Kopf auf die
Füße. Nicht das Kapital bekommt
das, was die Arbeiter ihm übrig
lassen, sondern die Arbeiter
0,125 0,2 w/p
verdienen das, was die Verwer­
tungsinteressen des Kapitals
ihnen übrig lassen. Nicht das
Profiteinkommen ist die Restgröße, das Surpluseinkommen, sondern der Lohn. Eine solche Theorie weist einen entscheidenden Unterschied zu den andern Ansätzen
auf: Die Preis­ und Verteilungstheorie ist nicht an Vollbeschäftigung gebunden. Weder
muß sich, wie in der Klassik, das Arbeitsangebot an die Beschäftigung anpassen, noch
müssen, wie in der Neoklassik, alle Haushalt, die dies wollen, eine Beschäftigung finden.
Keynesianische Preis­ und Verteilungstheorie funktioniert bei Arbeitslosigkeit.
Keynesianisch ist also das Skandalon eines Gleichgewichts bei Unterbeschäftigung
zumindest denkbar. Und tatsächlich wird es der theoretisch zu erwartende Normalfall sein.
Zwar wird die Theorie der Beschäftigung erst Gegenstand von Teil II sein, aber ich
muß hier doch ein wenig vorgreifen, um zu erklären, wie der Zinssatz erklärt werden
kann. Um zu investieren, brauchen Unternehmen (jedenfalls auch:) Kredit. Das ist zunächst
kein größeres Problem, denn Kredit ist Geld und Buchgeld kann man einfach auf Konten
schreiben (schöpfen) und Zentralbankgeld kann man drucken. Das Problem besteht aber
darin, daß Kredite und Guthaben zwei Seiten einer Medaille sind: Mit jedem Kredit
entsteht zugleich ein Guthaben (das das Unternehmen an seine Lieferanten oder an seine
Arbeiter überweist). Und dieses so entstehende Geldvermögen muß auch von irgendwem
gehalten werden. In offenen Volkswirtschaften ist die Alternative zum Halten von Landeswährung das
Halten von Auslandswährung – das aber würde, so die Zentralbank nicht interveniert,
eine Abwertung bedeuten. Und in einer geschlossenen Volkswirtschaft, die keine Fremd­
währung kennt, gibt es immer noch die Möglichkeit der Flucht in Sachwerte (Grund­
stücke, Gebäude – zu Beginn der siebziger Jahre wurde der Slogan vom „ Betongold“ pro­
minent) – das aber bedeutet steigende Preise. Will die Zentralbank ihre Währung
verteidigen – weder eine Inflation noch eine Abwertung hinnehmen (und letztere könnte
Lohn, Preis, Profit
S.38
über die Preise der Importgüter auch wieder eine Inflation lostreten), dann muß sie, bei
einer Ausweitung des Geldvermögens in ihrer Währung, höhere Zinsen durchsetzen.
Denn nur dann wird das zusätzliche Geldvermögen auch freiwillig, ohne Gefahr für die
Geldwertstabilität, von den Vermögenseigentümern gehalten.
Unter sonst gleichen Umständen erfordert also eine höhere Produktion ein höheres
Zinsniveau.
Andererseits aber bedeuten höhere Zinsen niedrigere Löhne und damit eine
Einkommensumverteilung von der Arbeit zum Kapital. Wenn nun Reiche durch­
schnittlich mehr sparen wollen als Arme, dann muß die Nachfrage langsamer steigen als
das Angebot, wenn ein höheres Angebot höhere Zinssätze erfordert.
Ein Gleichgewicht zwischen Güter­ und Vermögensmarkt stellt sich daher bei dem
Zinsniveau her, bei dem das Angebot von Gütern und Dienstleistungen (das
Volkseinkommen) gleich der Nachfrage ist. So, wunderschön. Nun haben wir alles bestimmt: Das Volkseinkommen, daher die
Beschäftigung – denn wenn ich 10 Sack Weizen pro Jahr produziere ((Brutto­)
Nationalprodukt), brauche ich, das sagt mir meine Technik, 40 Arbeiter. Den Zinssatz
und damit die Profitrate – also auch die Reallöhne. Damit habe ich beides: Reallöhne und
Beschäftigung, ehe ich auch nur ein Wort über den Arbeitsmarkt verloren habe.
Sicher, eine Restriktion gibt es: Ich muß zu diesem Reallohn genügend Arbeiter
finden, sonst lande ich in einer Inflation (Lohn­Preis­Spirale). Aber es können ruhig mehr
da sein, als ich brauche. Es kann also ohne weiteres Massenarbeitslosigkeit herrschen und
die Volkswirtschaft ist trotzdem im Gleichgewicht – solange es Institutionen gibt,
(Gewerkschaften, Mindestlöhne, Sozialleistungen) die eine Deflation, ein Abstürzen der
Geldlöhne und ­preise ins Bodenlose verhindern. Sicher, Vollbeschäftigung ist ein
denkbarer Extremfall. Aber er wäre zufällig, es gibt keinen Marktprozeß dorthin und
nichts macht ihn wahrscheinlicher als irgend ein anderes denkbares Niveau an
Arbeitslosigkeit größer Null.
Tendenzieller Fall der Profitrate?
Da die Zinssätze vorgegeben sind, führt technischer Fortschritt unter sonst gleichen
Bedingungen zu einer Erhöhung der Reallöhne (Ob er die Beschäftigung erhöht oder
senkt, ist in Teil II noch zu diskutieren).
Demzufolge werden die Kosten von Arbeitsschutzvorschriften von den Reallöhnen
getragen. Die Logik manteltariflicher Forderungen besteht also darin, daß die
Arbeiterinnen bessere Arbeitsbedingungen gegen Realeinkommen tauschen. Dies ist,
darauf wird in Teil III noch einzugehen sein, nur kollektivvertraglich möglich.
Einen tendenziellen Fall der Profitrate gibt es nicht – wohl aber unterschiedliche
Zinsniveaus für unterschiedlich starke Währungen. Eine stärkere Währung führt, unter sonst gleichen Bedingungen, auf niedrigere
Zinssätze, eine niedrigere Profitrate und daher höhere Reallöhne. Ferner steigen die
Lohn, Preis, Profit
S.39
Reallöhne (nicht aber: die Profitrate) durch technischen Fortschritt (steigende Kapital­
oder Arbeitsproduktivität). Der Keynesianismus hat also, statt eines tendenziellen Falls
der Profitrate, eine Theorie des tendenziellen Anstiegs der Reallöhne. Natürlich, auch das sei noch vorweggenommen – die Stärke einer Währung ist relativ.
Der Erfolg einer Währung ist daher der Niedergang anderer. Die ökonomische Stagnation
Großbritanniens in der Zwischenkriegszeit ist nicht zuletzt dem Aufstieg des $
geschuldet. Und die (relative) Stärke des $ hat einen großen Anteil an den ökonomischen
Problemen Lateinamerikas. Aber dazu mehr in Teil IV.
Die (monetär)keynesinanische Antwort auf die Fragestellung der Klassiker lautet
daher: Die klassische Theorie saß mit ihrer Fragestellung einer optischen Täuschung auf,
die auf die falsche Frage führte: Nicht die Profitrate (der Zinssatz) ist im Trend gesunken,
sondern lediglich das englische Zinsniveau ist gesunken. Im 17. Jahrhundert war der
Gulden der Bank von Amsterdam die internationale Leitwährung, im späten 18.
Jahrhundert begann der Aufstieg des Pfundes (weil Großbritannien zum Weltgläubiger
wurde) und daher sanken die Zinsen der Bank of England. Zeitgleich ist u.a. das
holländische gestiegen. Aber im 19. Jahrhundert schaute niemand mehr auf das
Zinsniveau in Amsterdam. Profitrate und Zinssatz
Es dürfte bereits klar geworden sein, daß in diesem Modell im Gleichgewicht der
Zinssatz die Profitrate bestimmt. Also sind auch hier – wie übrigens aus guten Gründen in
allen anderen Theorien – Zinssatz und Profitrate im Prinzip (abgesehen von Risiko­
prämien etc.) gleich hoch – andernfalls könnte ich mir Geld zu 10% leihen und es zu 20%
anlegen. Die Kreditnachfrage würde explodieren und den Leihzins in die Höhe treiben.
Zwar kann es auch hier, im Zuge von Geld­ Finanz­ oder Währungskrisen, zu einer
kurzfristigen Entkoppelung von Zinssatz und Profitrate kommen. Aber das ist ein
Phänomen der Krise, auf das ich in Teil III (Geldpolitik) sowie in Teil IV (Abschnitte
Schuldenkrise und Dollarisierung) eingehe. Für das Gleichgewicht und für die
durchschnittliche Entwicklung kann dies nicht vorkommen.
Reallohn und Nominallohn
Auch hier folgt, daß der Nominallohn nicht den Reallohnsatz sondern nur den
Geldpreis des Produkts bestimmt. Diese Theorie des Reallohnes, die wir hier
mikroökonomisch, über die Preistheorie bestimmt haben, gibt es in einer
makroökonomischen Form schon seit Keynes'
„ Vom Gelde“. Es ist die sogenannte mark­
up­Gleichung. Nach ihr bestimmt sich das Preisniveau durch einen Aufschlag (mark­up)
der Unternehmer auf die Lohnstückkosten, der ihren Profit sichert.
Lohn, Preis, Profit
S.40
Die Lohnstückkosten sind Geldlohn geteilt durch Arbeitsproduktivität (diese ist ja
Stück pro Arbeitseinheit). Die Arbeitsproduktivität ist 1/a (S. 5). Also lautet die mark­up
Gleichung:
P = [w/(1/a)] + [w/(1/a)]*m ==> P = [w/(1/a)] * (1 + m) oder P = (1+m) * w * a Inhaltlich genau die gleiche Beziehung wurde hier mikroökonomisch entwickelt :
p=
1
∗w∗a
1−k−r∗k 
Auch hier ist das Preisniveau gleich den Lohnstückkosten (w * a) mal einer Größe, die
größer eins ist (im Nenner des Bruchs steht ja weniger als eins) und die, solange sich
nicht der Kapitaleinsatz (k) pro Stück ändert, konstant ist. Daß der Kapitaleinsatz hier
auftaucht, ist sinnvoll – wenn mehr Kapital eingesetzt wird, sind die Kapitalkosten pro
Stück höher, also muß ein höherer Preis durchgesetzt werden. Dies ist ein Zusammen­
hang, den man in der mark­up­Gleichung nicht sieht. Er ist in den Annahmen über m
versteckt. Ansonsten sind die Verhältnisse wie in der mark­up­Gleichung: Ein höherer
Geldlohn bedeutet, unter sonst gleichen Umständen, höhere Preise, eine höhere
Arbeitsproduktivität niedrigere und ein (wegen gestiegenem k oder gestiegenem r)
höherer mark up verlangt höhere Preise.
Einige Keynesianer verteidigen diese mark­up­Gleichung mit dem Argument, die
Keynesianer hätte eine andere Theorie des Unternehmerverhaltens als die Neoklassik, für
Keynes würden die Unternehmer nicht den Profit maximieren, sondern eine Aufschlags­
kalkulation auf die Lohnkosten vornehmen (vgl. Spahn). Ich habe gezeigt, daß diese
Verhaltens­Annahme nicht erforderlich ist – die mark­up Beziehung läßt sich aus dem
gleichen mikroökonomischen Modellrahmen entwickeln, in dem wir die neoklassische
Preistheorie diskutiert haben. Nicht die Annahmen über das Verhalten der Unternehmer
sind anders, sondern die Annahmen über die Funktionsweise des Wirtschaftssystems
Kapitalismus.
Dieser Zusammenhang, daß der eigentliche Preis der Arbeit, der Reallohn, gar nicht
am Arbeitsmarkt bestimmt werden kann, erlaubt eben die Preistheorie auch für einen Fall
der Unterbeschäftigung. Der Arbeitsmarkt ist für die Bestimmung der relativen Preise
und der Verteilung völlig entbehrlich. Er legt mit dem Niveau der Geldlöhne nicht mehr
fest, als den Numeraire, die Zähleinheit, in der die Geldpreise ausgedrückt werden – und
diese ist in allen Theorien ökonomisch unwesentlich. Deshalb muß er auch nicht geräumt
sein, muß die Preistheorie nicht Vollbeschäftigung unterstellen. Es ist egal, ob ich in €,
Cent, oder, wie wohl noch die meisten von uns, in Gedanken noch in Mark rechne, alle
Preise mal zwei nehme. Dadurch kann ich mir weder mehr noch weniger leisten. Der
wichtige Preis, der Reallohn, wird eben nicht am Arbeitsmarkt durchgesetzt, sondern am
Gütermarkt, weil die Preise, gegeben den Geldlohn, auf das Niveau herunter­ oder
hochkonkurriert werden, bei dem die gleichgewichtige Profitrate, und nur diese, realisiert
werden kann.35 35 Auch hier erinnere ich für die gleichgewichtige Profitrate wieder daran, daß diese durchaus,
wenn wir die Annahme vollständiger Konkurrenz aufgeben, auch Monopolprofite
berücksichtigen kann.
Lohn, Preis, Profit
S.41
Wer trägt die Steuern?
Ich kann mich kurz fassen – da die keynesianische Verteilungstheorie das Spiegelbild
der klassischen ist – klassisch sind die Gewinne Restgröße, keynesianisch die Löhne –, ist
es hier genau umgekehrt wie in der Klassik: Die Steuer wird immer von den Arbeitern
getragen, egal, wer sie abführt: Lohnsteuern zahlen die Arbeiter direkt, Gewinn. und
Umsatzsteuern tragen sie über höhere Preise.
Die Ausnahme bilden auch hier, wie in den beiden anderen Theorien, Knappheits­
renten, also Erträge aus Grundbesitz oder aus sonstigen knappen Angeboten.
Resümee: Löhne, Preise, Profite, Produktivität
Nochmal ein kurzer Überblick über die wesentlichen Unterschiede in den drei
Theoriegebäuden: Preis­ und Verteilungstheorie:
Klassik: Der Reproduktionslohn (mithin: der Netto­Reallohnsatz) wird vorgegeben.
Bestimmt wird die Profitrate.
Neoklassik: Am Arbeitsmarkt wird die Kombination von Profitrate und Reallohnsatz
gefunden, bei der Vollbeschäftigung herrscht.
(monetärer) Keynesianismus: Die Profitrate wird (über den Zinssatz) vorgegeben.
Bestimmt wird der Brutto­Reallohnsatz (sowie das Nationalprodukt).
Zinstheorie
Klassik: Die Profitrate bestimmt den (Real­)Zinssatz auf Geldvermögen.
Neoklassik: Die Profitrate bestimmt den (Real­)Zinssatz auf Geldvermögen.
(monetärer) Keynesianismus: Der (Real­)Zinssatz auf Geldvermögen bestimmt die
Profitrate.
Vollbeschäftigung für das Gleichgewicht erforderlich?
Klassik: Ja, Arbeitsangebot paßt sich an die Arbeitsnachfrage an.
Neoklassik: Ja, Gleichgewicht des Arbeitsmarktes bestimmt Reallohnsatz und
Profitrate.
(monetärer) Keynesianismus: Nein. Wozu?
technischer Fortschritt
Klassik: erhöht die Profitrate
Neoklassik: erhöht Profitrate, Reallöhne, Volkseinkommen und Beschäftigung
(monetärer) Keynesianismus: erhöht die Reallöhne. Die Wirkung auf die
Beschäftigung hängt von der Wirkung auf die Nachfrage ab. Mehr hierzu in Teil II.
Lohn, Preis, Profit
S.42
Steuern
Klassik: Alle Steuern werden aus den Profiten gezahlt. Keine Auswirkung auf die
Beschäftigung.
Neoklassik: Alle Steuern belasten sowohl die Reallöhne als die Profitrate. Sie senken
die Beschäftigung und das Einkommen.
(monetärer) Keynesianismus: Alle Steuern werden aus den Löhnen gezahlt. Für die
Wirkung auf die Beschäftigung verweise ich auf die Teile II und III. (Vorab: Nutzt der
Staat die Steuereinnahmen zur Nachfrage, so erhöhen sie Nationalprodukt und Beschäfti­
gung).
Bei ökonomisch funktionalem Einkommen bewirkt eine Steuer, daß weniger als zuvor
von der entsprechenden Leistung angeboten wird. Dadurch kann die Steuer überwälzt
werden. Daher treffen in der Klassik alle Steuern die Profite, während im
Keynesianismus alle Steuern die Löhne treffen. Einzig in der Neoklassik sind sowohl
Löhne wie Profite funktionales Einkommen. Das Gesagte gilt sowohl für direkte wie für
indirekte Steuern.
Ökonomisch funktionsloses Einkommen, reine Knappheitsrenten – wie die Pacht­
erträge von Grundstücken, die Differenz der Mieten von Geschäften in „ guter Lage“ zu
gehobenen Durchschnittsmieten, Extra­Profite von Monopolen, „w indfall­profits“ von
Erdölfeldern oder Mienen oder die Gehälter von Fußballern – kann man in allen Theorien
durch eine Steuer treffen.36 Dies deshalb, weil die entsprechenden Leistungen auch zu
einem niedrigeren Preis bereit gestellt würden:37 Grundstücke sind nun mal „ da“,
gleichgültig, wie viel man mit ihnen erlösen kann. Eine höhere Steuer bewirkt lediglich
eine Umverteilung der Knappheitsrenten vom Eigentümer hin zum Staat – mit der
einzigen ökonomischen Konsequenz, daß der Vermögenswert dieser Objekte durch die
Steuer sinkt. 36 Allerdings bleibt natürlich die Möglichkeit der Steuervermeidung – sei es durch Ausnutzen
der Steuergesetze, sei es durch Steuerflucht – oder, wie die Neoliberalen das so euphemistisch
nennen, durch den Steuerwettbewerb zwischen Staaten. Das ist aber ein praktisches, nicht ein
prinzipielles Problem.
37 Eine extreme Anwendung dieses Zusammenhangs ist die Kopfsteuer, bei der Steuern völlig
unabhängig vom Einkommen erhoben werden. Da man nun mal „da“ ist, ohne daß man dafür
bezahlt werden müßte, kann (außer in der Klassik) die Kopfsteuer wie die Grundsteuer nicht
überwälzt werden, was sie für die Neoklassik besonders attraktiv macht. In Großbritannien ist
Thatcher nicht zuletzt über die Einführung der poll­tax gestürzt und auch in Deutschland, das
ja ganz gerne die Fehler der anderen mit mehrjähriger Verspätung als neuesten Schrei nach­
vollzieht, kommt sie scheinbar langsam in Mode – denn nichts anderes als eine Kopfsteuer
stellt der Vorschlag dar, die Krankenversicherungen über einkommensunabhängige Pflicht­
Beiträge zu finanzieren. Die Kopfsteuer ist nur für die Neoklassik attraktiv, denn in der Klassik müßte der (Brutto­)
Lohnsatz steigen, wie bei jeder Steuer auf die Löhne auch, da sonst der Reproduktionslohn
nicht mehr gewährleistet wäre. Und Keynesianisch ist sie uninteressant, weil das Argument
nur bei Vollbeschäftigung zum Zuge kommt: Wenn ich sowieso Massenarbeitslosigkeit habe,
was schadet es dann, wenn Einige auf Grund der Steuern etwas kürzer arbeiten wollen?
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