Relativistische Kinematik Bisher haben wir uns nur damit beschäftigt, wie sich Raum- und Zeitkoordinaten transformieren, wenn wir ein inertiales Koordinatensystem gegen ein anderes austauschen. Physikalische Gesetze haben wir dabei nicht in Betracht gezogen. Dem wollen wir uns nun zuwenden 1 . Ein Gesetz von weitreichender Gültigkeit ist das der Impulserhaltung. Sie haben gelernt, dass dies Gesetz in allen kräftefreien Systemen gilt. (Im Rahmen der analytischen Mechanik werden Sie sehen, dass die Impulserhaltung eine direkte Folge der Translationsinvarianz ist.) Es zeigt sich jedoch, dass der in der Newton’schen Mechanik gebräuchliche Impuls ~p = m~v , in dem m eine vom Bewegungszustand unabhängige Größe ist, in der relativistischen Mechanik zu Schierigkeiten führt. Insbesondere kann man mit Hilfe der Geschwindigkeitstransformationen nachrechnen, dass die Erhaltung des Newton’schen Impulses in einem Inertialsystem die Nicht-Erhaltung des Impulses in einem anderern Inertialsystem zur Folge haben kann. Ich will dies an dieser Stelle nicht explizit vorrechnen, da es aus den nun folgenden Überlegungen von selbst klar wird. Wenn wir einerseits an der Impulserhaltung festhalten wollen, andererseits jedoch wissen, dass m~v keine Lorentz-invariante Größe ist, so sind wir gezwungen, eine Größe zu finden, die für nicht-relativistische Geschwindigkeiten in den Newton’schen Impuls übergeht und die andererseits die Impulserhaltung in allen Inertialsystemen gewährleistet. An den relativistischen Impuls stellen wir folgende Forderungen: 1. ~prel ||~v , i.e. ~prel = f (v )~v 2. f (v ) → m0 , falls v c, wobei m0 die Ruhmasse des Körpers ist. Die Forderung (1.) besagt insbesondere, dass der Proportionalitätsfaktor f (v ) = f (|~v |) nur vom Betrag der Geschwindigkeit des Körpers abhängt, nicht aber von dessen Bewegungsrichtung. Wir wollen nun f (v ) aus der Betrachtung eines Stoßprozesses bestimmen. Zu diesem Zweck betrachten wir den elastischen Stoß zweier identischer Teilchen, die sich vor dem Stoß mit umgekehrt gleicher Geschwindigkeit aufeinander zu bewegen. y v0 I0 1 x 2 −v0 vor dem Stoß: v0x (1) = u0 v0y (1) = −v0 v0x (2) = −v0x (1) v0y (2) = −v0y (1) nach dem Stoß v̄0x (1) = u0 v̄0y (1) = v0 v̄0x (2) = −u0 v̄0y (2) = −v0 Im Laborsystem I0 sind Einfalls- und Ausfallswinkel der Teilchen gleich. Wir betrachten nun ein Inertialsystem I, das sich mit der “Horizontalgeschwindigkeit des ersten Teilchens parallel zur x-Achse von I0 bewegt. In diesem Koordinatensystem sieht der Stoß folgendermaßen aus: y 1 v1 I w α 2 x −v2 vor dem Stoß: vx (1) = 0 vy (1) = −w vx (2) = u vy (2) = u tan α nach dem Stoß v̄x (1) = 0 v̄y (1) = w v̄x (2) = u v̄y (2) = −u tan α Teilchen 1 hat nun nur eine vertikale Geschwindigkeitskomponente w , Teilchen 2 hat eine horizontale Geschwindigkeitskomponente u und eine vertikale Komponenten u tan α. Der Betrag seiner Geschwindigkeit sei v . In diesem System ist der horizontale Impuls sicher erhalten, da Teilchen 1 keine x-Komponente der Geschwindigkeit aufweist und für Teilchen 2 die Geschwindigkeit in x-Richtung vor und nach dem Stoß dieselbe ist, px = f (2) (v )u = px0 = f (2) (v )u. Aus dieser Beziehung lernen wir nichts über f (2) (v ). Um f (2) (v ) zu bestimmen müssen wir die Vertikalkomponente der Geschwindigkeit von Teilchen 1 und 2 kennen. (Diese können wir aus der Transformation zwischen I0 und I ermitteln. Das ist jedoch mühsam. Daher gehen wir hier einen anderen Weg.) Um die Funktion f (v ) zu bestimmen, führen wir nun ein weiteres Inertialsystem I 0 ein, das sich gegenüber I mit der Geschwindigkeit u in −x-Richtung bewegt. In dieserm System bewegt sich Teilchen 2 entlang der y 0 -Achse und Teilchen 1 bewegt sich mit der Geschwindigkeit v unter dem Winkel α zur x-Achse. (Aus Symmetriegründen muss auch hier wieder der Winkel α auftreten.) y I’ 1 v’1 α w 2 v’2 x vor dem Stoß: vx0 (1) = −u vy0 (1) = −w /γu vx0 (2) = 0 vy0 (2) = w Nun wissen wir, dass in I 0 gilt: nach dem Stoß v¯0 x (1) = −u v¯0 y (1) = w /γu v¯0 x (2) = 0 v¯0 y (2) = −w Teilchen 1 Teilchen 2 vor dem Stoß vx0 (1) = u vy0 (1) = −u tan qα = −w vx0 (2) = 0 vy0 = w 1− nach dem Stoß v¯0 x (1) = u v¯0 y (1) = uq tan α u2 c2 =w 1− v¯0 x (2) = 0 v¯0 y (2) = −w u2 c2 In I 0 verlangt die Impulserhaltung ∆~p (1) = −∆~p (2), ~ wobei ∆~p = p̄ 0 − p~0 die Differenz der Impulse nach und vor dem Stoß angibt. Dann gilt ∆px (1) = 0 = ∆px (2) r u2 ∆py (1) = 2w 1 − 2 f (v ) = −∆py (2) = 2wf (w ). c Daraus ergibt sich f (w ) = f (v ) r u2 1 − 2. c Wenn w nun sehr klein ist, verlangt unsere zweite Forderung an den Impuls, dass f (w ) → m0 . In diesem Fall geht v → u und f (v ) → f (u) mit m0 f (u) = q 1− u2 c2 =: mu . Wir erhalten damit für den relativistischen Impuls die Beziehung ~prel = γv m0~v = mv ~v .