1 Wenn Magen und Darm gereizt reagieren Wie funktioniert die Verdauung? Intakte Darmflora Reizdarm – eine Modeerkrankung? Verstopfung Warum gibt es immer mehr Allergien? Dauerbrenner Pilzinfektionen Helicobacter pylori Wenn Magen und Darm gereizt reagieren 14 ✚ Darmbeschwerden treten in unseren Breiten so häufig auf, dass sie bereits zu den Volkskrankheiten zählen. Ihre Ursachen sind vielfältig. Nicht immer liegen besondere Befunde wie etwa organische Veränderungen vor. Oft sind die Verdauungsprobleme schlichtweg hausgemacht: Stress und Überforderung, falsches Essverhalten, ungesunde Ernährung und Bewegungsarmut schlagen irgendwann auf Magen und Darm. Verdauung – wie funktioniert das eigentlich? Die Verdauung beginnt bereits im Mund: Durch das Kauen wird die Nahrung mechanisch zerkleinert. Intakte Zähne sind dafür eine wichtige Voraussetzung. Das in den Mundspeicheldrüsen gebildete Verdauungsenzym Amylase leitet die Verdauung von Zuckern (Kohlenhydraten) ein. Mucin macht die Nahrung gleitfähig. 1500 Milliliter Speichel werden täglich produziert. Geschmacksknospen auf der Zunge unterscheiden süße, salzige, saure und bittere Nahrung. Je nach Zusammensetzung der Mahlzeit melden sie süß, salzig, sauer oder bitter über vegetative Nervenbahnen an den Magen. Dort startet sofort die Produktion von Verdauungssäften, bevor die Speisen den Magen überhaupt erreicht haben. Durch den Schluckakt und die Muskulatur der Speiseröhre wird die Nahrung in den Magen transportiert. Dort wird sie mit Säure, Schleim und Pepsin vermischt. Dieser »Magensaft« tötet u. a. Bakterien und leitet die Verdauung der einzelnen Nahrungsbestandteile ein. Alle 20 Sekunden treibt eine langsame Muskelwelle den Magensaft Richtung Pylorus, den Magenausgang, auch Magenpförtner genannt. Im Magen werden vor allem Eiweißverbindungen (Proteine) gespalten. Die Magensäure greift zudem regulierend in den SäureBasen-Haushalt ein. Benötigt der Körper mehr vom Basenpuffer »Natriumbikarbonat«, wird mehr Salzsäure produziert und ausgeschüttet. Diese wird im Zwölffingerdarm neutralisiert und als Kochsalz wieder in den Kreislauf zurückgeführt. Parallel zur Salzsäurefreisetzung wird Bikarbonat in den Kreislauf gegeben und zur Pufferung saurer Stoffwechselendprodukte – wie sie vor allem nach eiweißreichen Mahlzeiten auftreten – eingesetzt. 15 Verdauung – wie funktioniert das eigentlich? Der Darm besteht aus dem fünf bis sieben Meter langen Dünndarm und dem ca. 1,5 Meter langen Dickdarm. Der Dünndarm besteht wiederum aus drei Teilen: Zwölffingerdarm (Duodenum), Leerdarm (Jejunum) und Krummdarm (Ileum). Seine Struktur ist einzigartig: Durch die Kerckring’schen Falten wird die Oberfläche verdreifacht, durch die darauf sitzenden 30 Millionen Zotten verdreißigfacht und durch eine Milliarde Mikrozotten verdreihundertfacht. Der Dickdarm (Colon) besteht aus Wurmfortsatz (Appendix vermiformis), Blinddarm (Caecum), aufsteigendem Dickdarm (Colon ascendens), Querdarm (Colon transversum), absteigenden Dickdarm (Colon descendens) mit »römischem S« (Sigma), Enddarm und Mastdarm (Rectum). An der Schleimhaut des Magen-Darmtrakts entscheidet sich, welche Nahrungsbestandteile für den Körper verwertet und welche als unverdauliche Stoffe oder Stoffwechselendprodukte ausgeschieden werden. Wichtig für den ordnungsgemäßen Ablauf ist das Verdauungsmilieu, das Enzyme, pH-Wert, Darmbakterien und Zustand der Schleimschicht prägen. Im Dünndarm wird der Speisebrei geknetet und vermischt. Dazu bewegt er diesen durch rhythmische Anspannung fort. Wellenförmige Anspannungen der Dünndarmlängsmuskulatur transportieren den Speisebrei pendelnd 1–2 cm/Minute weiter. Zeitweilig auftretende große peristaltische Wellen sorgen für einen Vortrieb von ca. 25 cm/Minute. Über die Darmzotten gelangen Nährstoffe in Blut und Lymphe. Der Dünndarm enthält spezielle Rezeptoren für einzelne Stoffe, z. B. für Kalzium, Folsäure oder Vitamin C. Insbesondere im Krummdarm (Ileum) befindet sich an der Darmwand mit den Peyer’schen Plaques eine besonders dichte Ansammlung von Lymphfollikeln. Dieses darmassoziierte Immunsystem beherbergt rund 80 Prozent der für die Abwehrkräfte maßgeblichen Lymphstrukturen. Der Dickdarm weist keine Zotten und Falten mehr auf, stattdessen besitzt er zahlreiche tiefe Lieberkühn’sche Krypten, etwa 0,2–0,4 mm tiefe schlauchförmige, teilweise verzweigte Drüsen im Bereich der Schleimhaut, die nach dem Berliner Arzt Johann Nathanael Lieberkühn (1711– 1756) benannt wurden. Sie dienen der Oberflächenvergrößerung und Sekretion sowie der Steuerung des Eisenhaushaltes im menschlichen Körper durch regulatorische Proteine. Hauptaufgabe des Dickdarmes ist der Entzug von Wasser und Mineralstoffen aus dem Kot. Wenn Magen und Darm gereizt reagieren 16 Wichtig: Darmbakterien und intakte Darmflora Schon nach dem Ersten Weltkrieg begann man, die Darmbakterien zu erforschen. Früh erkannte man deren Bedeutung für die menschliche Abwehr. Man nannte sie deshalb auch »Symbionten«, weil ihr Vorkommen für den Menschen nicht nur nützlich, sondern lebensnotwendig ist. Das wurde damals schon deutlich. Der Wissenschaftszweig der Mikrobiologie machte seine ersten Schritte. Doch die Entdeckung der Antibiotika durch Alexander Fleming 1928 und deren großflächiger Einsatz ab den 40er Jahren ließ diese Erkenntnisse wieder in Vergessenheit geraten. Mit Hilfe der Antibiotika – so glaubte man – erübrige sich jede weitere Erforschung einer alternativen Infektionsbekämpfung. Mittlerweile ist eine Kehrtwendung erfolgt. Die Bakterien-Killer wirken oft nicht mehr so gut, die Keime sind »resistent« geworden. Was viele vergessen: Antibiotika wirken nur bei bakteriellen Infekten, bei den viel häufigeren Virusinfektionen macht ihre Gabe gar keinen Sinn. Dann sind sie sogar kontraindiziert, also eigentlich verboten. Heute weiß man: Wer oft und regelmäßig Antibiotika schluckt, schädigt sein Immunsystem und wird letztendlich sogar immer anfälliger. Trotzdem erfolgen besonders in der Kinderheilkunde rund 50 Prozent der Antibiotika-Verordnungen. Eine Karriere der Infektanfälligkeit und womöglich auch als Allergiker ist damit schon vorprogrammiert. Schuld daran sind aber nicht nur Kinderärzte, die »keinen Fehler« machen wollen. Allzu oft fordern auch ungeduldige Eltern eine rasche Bekämpfung, etwa von Fieber. Nicht bis in alle Ecken hat sich herumgesprochen, dass Fieber eine sinnvolle Heilreaktion ist und deshalb nicht um jeden Preis sofort bekämpft werden sollte. Durch Antibiotika oder andere Arzneien (z. B. Rheumamittel, Magensäureblocker, Kortison) geschädigte Darmbakterien begünstigen vor allem den Eintritt von Viren und potenziellen Allergenen durch die Darmwand. Eine intakte Darmflora ist Voraussetzung für eine normale Darmfunktion als Stoffwechsel- und Immunorgan. Nach Schätzungen beherbergt der gesunde Mensch zehnmal mehr Darmbakterien als der 17 Wichtig: Darmbakterien und intakte Darmflora Gesamtorganismus überhaupt Zellen besitzt. Etwa ein Drittel des Stuhls besteht aus Darmbakterien. Dies hat u. a. Bedeutung für die Behandlung der Verstopfung. Neben der Abwehrfunktion unterstützen sie den Energiestoffwechsel der Darmschleimhaut und regen die Muskelaktivität des Darmes an. Verstopfung kann daher auch in einem Mangel an gesunden Darmkeimen seine Ursache haben. Gesunde Darmbakterien unterstützen außerdem die Vitaminversorgung. Schädigungen der Darmbakterien durch Arzneimittel, radioaktive Strahlung, Röntgenstrahlen oder Fehlernährung (z. B. übermäßiger Zuckerkonsum) führen nicht nur zu subjektiven Beeinträchtigungen wie Blähungen und breiigem Stuhl. Sie beeinträchtigen Stoffwechselund Immunsystem. Ohne Aufbau eines gesunden Darmmilieus, in dem sich die Darmflora entwickeln kann, ist es kaum möglich, Allergien und chronische Infektneigung wirklich auszuheilen. Reizdarm – eine Modeerkrankung? Peter O. verbringt seinen Urlaub in Nordafrika. Dort treten ohne besondere Vorankündigung nach einigen Tagen Übelkeit und Durchfall auf. Peter O. geht zu einem Arzt, der ihm ein Antibiotikum verordnet und die Diagnose »Gastroenteritis« (Magen-Darm-Entzündung) stellt. Nach rund fünf Tagen hat sich die Symptomatik wieder zurückgebildet. »Nette« Urlaubsbekanntschaft: Postinfektiöser Reizdarm Mittlerweile sind sechs Monate vergangen. Obwohl keine massiven Beschwerden mehr bestehen, hat Peter O. immer noch das Gefühl, dass die Urlaubs-Erkrankung nicht so richtig ausgeheilt ist. Er geht zum Arzt, der verschiedene Blut- und Stuhluntersuchungen durchführt. Sie alle bleiben »ohne Befund«. Offensichtlich leidet Peter O. an einem postinfektiösen Reizdarm. Durch die Infektion – sie mag durch Viren oder Bakterien ausgelöst worden sein – wurde offensichtlich eine langfristige Schädigung der natürlichen Darmbakterien eingeleitet. In Zeiten des Massentourismus zeigt sich der postinfektiöse Reizdarm Wenn Magen und Darm gereizt reagieren 18 immer häufiger. Die klinische Medizin verordnet meist symptomatische Mittel, zum Beispiel gegen Blähungen. Eine Stuhluntersuchung hinsichtlich des Zustands der natürlichen Darmflora erfolgt üblicherweise nicht. Doch Hilfe ist möglich. Führt man eine gezielte Stuhluntersuchung mit Bestimmung der Darmflora durch, finden sich oft erstaunliche Abweichungen: Die gesunde Darmflora ist degenerativ verändert oder teilweise gar nicht mehr vorhanden. Besonders Milchsäurebakterien, Bifidokeime und Colibakterien sind oft reduziert. Unerwünschte Keime dagegen, beispielsweise Proteus oder Klebsiellen haben sich vermehrt. Womöglich sind auch unerwünschte Hefepilze nachweisbar. Unregelmäßiger Stuhl und Blähungen, manchmal sogar krampfartige Beschwerden, sind dafür eine typische Symptomatik. Reizdarmsymptome sind schillernd Reizdarm kann sowohl mit Verstopfung als auch mit Durchfall einhergehen. Auch Schleimabgang kommt häufig vor. Die Symptomatik bessert sich oft nach Abgang von Stuhl und Winden. Zugegebenermaßen sind die Beschwerden alle, wie man so sagt, »unspezifisch«. Sie könnten genauso gut auf eine schwere entzündliche Darmerkrankung, im ungünstigen Fall sogar auf einen Darmkrebs hindeuten. Deswegen steht zunächst eine eingehende Untersuchung, in der Regel durch den Facharzt für Magen-Darm-Krankheiten (Gastroenterologe) an. Meist wird eine Magen- und Darmspiegelung durchgeführt. Ist eine gravierende Ursache ausgeschlossen und auch sonst kein krankhafter Befund feststellbar, kann die Diagnose »Reizdarm« gestellt werden. Einige Fachleute bezeichnen den Reizdarm als ein rein psychosomatisches Phänomen, welches in den letzten Jahren und Jahrzehnten aufgetreten sei, wobei »Stress« eine Hauptrolle spiele. Ganz so einfach ist es aber nicht. Führt man nämlich feingewebliche Untersuchungen der Darmschleimhaut durch, finden sich häufig vermehrte Entzündungszellen. Bei einer Spiegelung kann man so etwas noch nicht sehen. Beim Reizdarm läuft die oben beschriebene Muskelwelle des Darmtrakts nicht harmonisch. Es kommt sogar zu gegenläufigen Muskelwellen, die Verkrampfungen und Schmerzen auslösen können. Die kontinuierliche Muskeltätigkeit des Darms wiederum hängt von der 19 Reizdarm – eine Modeerkrankung? Bereitstellung von Verdauungssäften ab. Hierbei spielen nicht nur der Darm selbst, sondern auch Magen, Galle und Bauchspeicheldrüse eine wichtige Rolle. Deren Verdauungssäfte wiederum können optimal nur in einem ausgewogenen pH-Milieu arbeiten. Das Dünndarmmilieu sollte leicht alkalisch sein, im Dickdarm sollten leicht saure Verhältnisse mit einem pH-Wert zwischen 6,3 und 7 vorliegen. Ist diese Situation nicht gegeben, kommt es zu Gärungs- oder Fäulnisprozessen. Das Beschwerdebild ist oft mit anderen funktionellen Störungen gekoppelt. ! FUNKTIONELLE BESCHWERDEN Als funktionell werden alle Beschwerden bezeichnet, bei denen der Arzt nach eingehender Untersuchung keine organische Krankheit feststellen kann. Es handelt sich also um eine so genannte Ausschlussdiagnose. Funktionelle Beschwerden dauern definitionsgemäß länger an als akute. Im Fall von Magen und Darm geht man von mindestens zwölf Wochen Dauer oder immer wiederkehrenden Beschwerden aus. Reizmagen und Reizdarm gehören zu den funktionellen Beschwerden. Milchsuppe und Haferschleim sind out! Es ist schon eigenartig in der modernen Medizin: Einerseits bestätigt die Forschung den Zusammenhang zwischen Ernährung und zahlreichen Erkrankungsbildern – angefangen vom Herzinfarkt über Schlaganfall bis hin zur Arthrose. Ausgerechnet für Erkrankungen, die den Verdauungstrakt betreffen, also jenes Organsystem, das die Nahrung zu verarbeiten hat, wird dies oft nicht so gesehen. »Essen Sie, was Ihnen schmeckt!«, lautet deshalb eine lapidare Empfehlung, die vor allem eines verrät: Unkenntnis. Ein Chefarzt einer Klinik verbreitet auch heute noch die Meinung, schon in der Vergangenheit hätten sich Magen-Darm-Diäten »nicht bewährt«. Sicher, wenn man darunter Milchsüppchen oder Haferschleim versteht, mag dies richtig sein. Doch die moderne Ernährungswissenschaft weiß mehr, auch über den Reizdarm. Danach benötigt der Betroffene regelmäßige Mahlzeiten. Für das Essen sollte ausreichend Zeit zur Verfügung stehen. Bei Stress Wenn Magen und Darm gereizt reagieren 20 sollten Sie also lieber einmal eine Mahlzeit ausfallen lassen, als in Hektik eine Portion Fastfood herunterzuwürgen. Dies knüpft an die Ordnungstherapie an, eine der tragenden Säulen der Naturheilkunde und der hippokratischen Medizin im Altertum. Wer schlecht verträgliche Nahrungsmittel meidet, kann in 50 Prozent aller Fälle mit Besserung rechnen. Und hier sind sie, die Beschwerdeauslöser, wie sie die Ernährungswissenschaft erkannt hat: Milch, Pilze, Weizenerzeugnisse in 30–35 % der Fälle Eier, Kaffee, Schokolade in 20–30 % der Fälle Nüsse, Zitrusfrüchte, Tee, Hafererzeugnisse in 10–20 % der Fälle Man sieht, es geht querbeet. Sowohl tierische als auch pflanzliche Stoffe sind betroffen. Achtung Nahrungsmittelintoleranz! Nahrungsmittelunverträglichkeiten lassen sich häufig nicht mit den herkömmlichen Allergietests ermitteln. Diese werden meist als PrickTest beim Allergologen durchgeführt. Der Betroffene hat trotz häufiger Normalbefunde das Gefühl, eine ganze Reihe von Lebensmitteln nicht gut zu vertragen. Doch wenn es keine Allergie ist, was könnte dann dahinter stecken? Beim Pricktest, dem auch heute noch gängigen Hauttest, werden der Allergieauslösung verdächtigte Substanzen in die obere Hautschicht eingeritzt. Nach 48 Stunden wird das Ergebnis abgelesen. Eine Rötung allein ist noch kein Beweis für eine allergische Reaktion. Es müssen sich Erhabenheiten, sog. Quaddeln mit »Füßchen« ausbilden und diese wiederum müssen eine bestimmte Größe erreichen. Dann kann von einem positiven Testergebnis gesprochen werden. Dieser Allergietest untersucht auf allergische Reaktionen vom Soforttyp. Sie äußern sich meist durch Juckreiz, Atemnot, Quaddeln im Hautbereich – auch als Nesselsucht bezeichnet. In der Realität gibt es aber offenbar eine viel größere Variante möglicher allergischer Reaktionsmuster. Verzögerte Allergien vom Typ IgG4 lösen nach Kontakt mit dem Allergen oft zu21 Reizdarm – eine Modeerkrankung? nächst überhaupt keine Reaktionen aus. Erst nach sechs bis 48 Stunden kann eine solche eintreten. Diese Reaktion ist aber meist anders als bei Reaktionen vom Soforttyp: Nicht Juckreiz und Luftnot sind typisch, es können alle möglichen Symptome von Blutdruckschwankungen über Stuhlveränderungen bis zu depressiven Verstimmungen auftreten. Wegen der zeitlichen Verzögerung lässt sich oft zum tatsächlichen Auslöser keine genaue Beziehung mehr herstellen. Glücklicherweise kann man auch diese verzögerten Allergien heute mit modernen Testmethoden (z. B. AllergoScreen basic oder ImmundPro) untersuchen lassen. Fruktoseintoleranz – fast schon bei jedem Dritten »5 am Tag« lautet eine durchaus gut gemeinte Ernährungskampagne, die das Bundesgesundheitsministerium in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) vor einigen Jahren startete. Die Aktion empfiehlt, jeder Mensch solle fünfmal am Tag Obst und Gemüse essen. Allerdings: Immer mehr Menschen vertragen dies nicht. Doch wie können im Prinzip gesunde Nahrungsmittel Beschwerden auslösen oder ist das alles nur Einbildung? Die Antwort: Sehr viele Menschen haben eine Überempfindlichkeit auf Fruchtzucker erworben! Besonders Reizdarmpatienten zeigen oft Unverträglichkeiten gegenüber Fruchtzucker (Fruktose) und Sorbit, einen Zuckerersatzstoff. Auch Xylit, der gern in Kaugummis als Zuckerersatz Verwendung findet, kann Intoleranzen erzeugen. Sie äußern sich durch Blähungen und dünnen Stuhl. Fruchtzucker befindet sich natürlicherweise in süßem Obst. Zunehmend wird er auch zahlreichen Fertignahrungsmitteln, insbesondere Konfitüren, Getränken und Süßigkeiten beigefügt. Die Inhaltsstoffe müssen nach Mengenanteilen nacheinander aufgelistet werden. Die am häufigsten vorkommende Substanz wird zuerst genannt, dann die zweithäufigste usw. Dabei greifen die Hersteller auf einen Trick zurück: Um die oft enormen Zuckermengen in Fertignahrungsmitteln wie Softdrinks und süßen Brotaufstrichen zu verschleiern, wird »Zucker« einfach in die verschiedenen Zuckerarten aufgeteilt. Dann erscheinen sie in der Auflistung der Inhaltsstoffe nicht an vorderster Stelle und der Konsument vermutet, das Nahrungsmittel könne folglich gar nicht »so schlecht« sein. Wenn Magen und Darm gereizt reagieren 22 Fruchtzucker ist auch Bestandteil im normalen Haushaltszucker. Die Saccharose – wie der Haushaltzucker in der Fachsprache heißt – enthält je ein Molekül Fruchtzucker und Traubenzucker. So gesehen werden wir also ständig mit Fruchtzucker aus unterschiedlichsten Quellen bombardiert. Irgendwann schaffen es die Verdauungssäfte nicht mehr, diese Fruchtzuckermengen zu verarbeiten. Es kommt zu Überempfindlichkeitsreaktionen, die sich vor allem durch Blähungen und durchfallartige Symptome äußern. Schon ein Testessen gibt erste Hinweise auf eine Fruchtzuckerunverträglichkeit. Essen Sie zwei Birnen mit Schale oder 14 Pflaumen hintereinander weg. Treten dann Blähungen und in der Folge Stuhlveränderungen auf, legt dies den Verdacht auf eine Fruchtzuckerintoleranz nahe. Weiteren Aufschluss liefern Laboruntersuchungen. Dafür stehen ein spezieller Atemtest und eine Stuhluntersuchung, welche die Fruchtzuckerspaltungsaktivität der Verdauungsenzyme untersucht, zu Verfügung. Findet sich ein positiver Befund, muss die Aufnahme von Fruchtzucker zwar eingeschränkt, aber in der Regel nicht ganz auf null zurückgefahren werden. Denn »Intoleranz« bedeutet nicht »Allergie«. Das heißt, bestimmte Mengen, oft bis zu 10 g pro Tag werden vom Organismus durchaus noch toleriert. Erst, wenn diese Schwelle überschritten wird, treten entsprechende Reaktionen auf. Milchzuckerintoleranz Milchzuckerintoleranzen testet man in der Regel durch einen Atemgastest (bei entsprechenden Labors erhältlich). Wird eine Milchzuckerintoleranz nachgewiesen, sind Milchprodukte aller Art weitgehend zu meiden. In manchen Gegenden Asiens leiden übrigens fast 100 Prozent der Bevölkerung an einer Milchzuckerintoleranz. Sie ist genetisch bedingt, also angeboren. Auch bei uns werden – erworbene – Milchzuckerunverträglichkeiten immer häufiger. Man schätzt, dass schon bis zu 30 Prozent der Menschen darunter leiden. Sollten sich die Verdachtsmomente bestätigen, heißt dies: Die entsprechenden Nahrungsmittel sollten weitgehend gemieden werden. Geringe Mengen werden jedoch in der Regel toleriert. Erst, wenn ein gewisser Schwellenwert überschritten ist, treten typische Symptome auf. 23 Reizdarm – eine Modeerkrankung? Glutenunverträglichkeit und »echte« Zöliakie Die klassische Lehrbucherkrankung einer Glutenunverträglichkeit heißt Zöliakie bzw. »einheimische Sprue«. Betroffene leiden dauernd an Durchfall. Gesichert wird die Diagnose durch eine Darmspiegelung, bei der eine Gewebeprobe aus dem Dünndarm entnommen wird. Dabei findet sich typischerweise ein Abbau der Darmzotten, so dass eine normale Darmfunktion gar nicht mehr möglich ist. Die Therapie ist klar: lebenslange streng glutenfreie Kost. Der Nachweis einer (latenten) Glutenunverträglichkeit bedeutet: Umstieg auf überwiegend glutenfreie Getreidesorten. Im Mittelpunkt der Ernährungsumstellung steht zunächst das Getreide. Gluten steckt als Klebereiweiß vor allem in unseren einheimischen Getreidesorten. Es gibt dem Brot die notwendige Festigkeit. Glutenfreie Getreidesorten sind: Hirse, Reis, Mais, Amaranth, Quinoa, Buchweizen. Sie können unbesorgt gegessen werden. ! ACHTUNG: FERTIGNAHRUNGSMITTEL Gluten wird wegen seiner guten Bindeeigenschaften für Wasser und Aromastoffe in zahlreichen Fertignahrungsmitteln eingesetzt. Und dies bedeutet mehr als nur glutenhaltige Brotsorten zu meiden: Alle Nahrungsmittel mit dem Aufdruck »Stärke« (beispielsweise Puddings, Joghurts) enthalten Glutenanteile und sind deshalb vom Speisezettel zu streichen. Man muss es sogar umgekehrt formulieren: Der Zöliakie-Patient darf nur diejenigen Fertignahrungsmittel zu sich nehmen, die ausdrücklich als »glutenfrei« deklariert sind. Glutenunverträglichkeit geht oft mit einem Laktasemangel einher. Das ist das Enzym, welches den Milchzucker verdaut. Betroffene sollten deshalb vor allem in der Anfangsphase auch milchzuckerhaltige Speisen meiden! Sicher glutenfrei sind neben den oben genannten Getreidesorten Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Milch- und Milchprodukte, Obst, Gemüse, Fleisch, Fisch, Ei, Butter, Öl, Margarine (nach R. Kruse, c/o Labor GanzImmun). Wenn Magen und Darm gereizt reagieren 24 Problemfall Brot Ernährungstechnisch bereitet der Verzicht auf Brot einige Probleme. Alternative glutenfreie Brotsorten aus Hirse oder Kastanienmehl gibt es zwar, sind aber von der Konsistenz und auch geschmacklich gewöhnungsbedürftig. Reiswaffeln, eine typische Kost für Menschen, die an echter Zöliakie leiden, erinnern an Wärmedämmplatten aus Styropor, sicherlich auch nicht das geschmackliche Nonplusultra. Allerdings: Das Umsteigen auf glutenfreie Getreidesorten im Rahmen eines Müslis oder als schmackhafte Beilage zu einem Hauptgericht (gebackene Hirse, Quinoa) ist nicht nur Ersatz. Hirse, Amaranth, Quinoa sind hochwertige Nahrungsmittel mit reichlich wertvollem Silizium (für Haut, Haare und Nägel) und Zink. Latente Unverträglichkeiten Neben der echten Zöliakie diagnostizieren Mediziner heute immer häufiger eine latente Unverträglichkeit. Die Betroffenen zeigen nicht das typische Lehrbuchbild der Zöliakie mit Durchfall und zerstörten Darmzotten. Gleichwohl reagieren sie offenbar überempfindlich auf Gluten. Sowohl körperliche als auch psychische Symptome können auftreten oder sich verschlimmern. Bei entsprechendem Verdacht können Auslassversuch oder der Nachweis von Antikörpern im Stuhl (Antigliadin-Antikörper, Antitransglutaminace-Antikörper) die Diagnose erhärten. Pseudoallergien können ähnlich wie eine echte Allergie mit Quaddeln, Jucken, Migräne, Herzrhythmusstörungen, Muskelschmerzen, ständigem Nasenlaufen, verschiedenen Magen-DarmBeschwerden, rheumatischen Beschwerden und Asthma einhergehen. Ein typisches Beispiel für eine Pseudoallergie ist die Histamin-Unverträglichkeit. Histamin ist ein Gewebshormon. Es wirkt entzündungsfördernd. Es erweitert Blutgefäße, so dass bestimmte weiße Blutkörperchen verstärkt in das Gewebe eindringen können. Bei allergischen Reaktionen wirkt Histamin verstärkend. Deswegen stellen »Antihistaminika« eine wichtige (symptomatische) Behandlungsmöglichkeit bei allergischen Symptomen wie Heuschnupfen dar. Histamin wirkt auch auf innere Organe. Es verkrampft die Gebärmutter und die Bronchien. Asthma kann die Folge sein. Histamin wird nicht nur durch bestimmte Prozesse im Organismus freigesetzt, sondern steckt auch natürlicher25 Reizdarm – eine Modeerkrankung? weise in Nahrungsmitteln. Typische Beispiele histaminreicher Nahrungsmittel: Camembert, Rotwein, Sauerkraut, Spinat, Räucherfisch, Schweinefleisch. Es handelt sich also teilweise um Lebensmittel, die wir als »gesund« einstufen würden. Bei entsprechendem Verdacht auf Histamin-Unverträglichkeit gilt es jedoch, sie zu meiden, am besten gleich für mehrere Wochen. Danach kann ein Provokationstest durchgeführt werden: Das oder die fraglichen Nahrungsmittel werden wieder zugeführt. Anhand der Reaktion kann der Verdacht auf eine Histaminreaktion entkräftet oder bestätigt werden. Es besteht überdies die Möglichkeit, einen Bluttest oder speziellen Urintest durchzuführen. Warum gibt es immer mehr Allergien? Doch mit dem Nachweis von Intoleranzen und Pseudoallergien ist eine entscheidende Frage noch nicht beantwortet: Warum antwortet der Organismus überhaupt mit einer Allergie? Weshalb reagieren immer mehr Menschen selbst auf natürliche Nahrungsmittel wie Früchte oder Nüsse? Warum bekommen in den letzten Jahren Erwachsene, die in Kindheit und Jugend nie damit zu tun hatten, Heuschnupfen? Sie ahnen es bereits. Das menschliche Fass ist voll und läuft über. Stoffwechsel und Immunsystem sind überlastet. Die unterschiedlichsten Faktoren tragen hierzu bei. Was kann man tun? Die Meidung eines Allergie auslösenden Stoffes ist sicher sinnvoll. Aber was, wenn ein Mensch auf Dutzende von Nahrungsmitteln gleichzeitig reagiert? Sie alle zu meiden, ist kaum möglich. Besser und ursächlicher ist eine andere Strategie: Ziel muss die Verminderung des »Allergendrucks« insgesamt sein. Hinzukommen muss die Aktivierung und gezielte Stärkung der Ausscheidungsorgane. Dann wird eine ursächliche Behandlung auch bei Allergien möglich. Wichtig: die gesunde »Polizeikette« aus Bakterien An erster Stelle therapeutischer Möglichkeiten steht das Heilfasten. Kein Verfahren reduziert Allergene nachhaltiger und wirkt damit stärker »antiallergisch«. Bei Kindern ist es zwar kontraindiziert. Bei Wenn Magen und Darm gereizt reagieren 26 Jugendlichen aber kann es durchaus einige Tage, vielleicht eine Woche, durchgeführt werden. Für den Erfolg entscheidend ist immer die Langfriststrategie. Schauen wir uns in diesem Zusammenhang noch einmal die Schleimhautbarriere an: Der gesamte Schleimhautbereich vom Mund über Nasennebenhöhlen und Bronchialtrakt bis hin zum After stellt ein zusammenhängendes Schleimhautgebiet dar. Diese Schleimhaut ist mit Trillionen von Bakterien besiedelt, deren Aufgabe es u. a. ist, die Produktion von Abwehreiweißen in die Wege zu leiten. Diese gesunden Bakterien muss man sich wie eine Art Polizeikette vorstellen. Sie schützt davor, dass unerwünschte Eindringlinge in den Organismus gelangen. Wird diese Polizeikette durch Fehlernährung, Antibiotika, Stress und Genussmittel in Mitleidenschaft gezogen, können mehr und mehr Allergene in den Organismus eindringen. Stoffwechsel und Immunsystem können der Allergene nicht mehr Herr werden und reagieren über. Das nennt man »Allergie«. Biologische Impfung Ursächliche Aufgabe einer antiallergischen Therapie ist es deshalb immer, die erwähnte Polizeikette wiederherzustellen. Dazu gehört eine möglichst vollwertige, frischkostbetonte Ernährung, die gleichzeitig aber auch bekömmlich sein sollte. Gleichzeitig müssen die Milieuverhältnisse im Darm optimiert werden. Ein zu saurer Darm sollte alkalisiert werden, ein zu alkalischer und damit fäulnisbetonter Darm leicht angesäuert werden. Dann können gesunde Darmbakterien zugeführt werden: Bifidokeime sind vor allem für das Milieu des Dickdarmes wichtig, Milchsäurebakterien vor allem für den Dünndarm. Enterokokken und Colibakterien stärken die Immunabwehr. Die Wirkung zugeführter Darmbakterien erfolgt anders, als man es sich laienhaft vorstellt. Eine Kapsel des Präparates Mutaflor® beispielsweise enthält Milliarden von Colibakterien. Die Wirkung entsteht nicht über die bloße Ansiedlung dieser Colibakterien an der Darmwand. Der entscheidende Wirkeffekt der Gabe gesunder Darmbakterien besteht in einer Art biologischen Impfung: Die vorhandenen Darmbakterien müssen sich mit den zugeführten neuen Darmbakterien auseinandersetzen. Dabei werden Stoffe gebildet, die das Darm27 Warum gibt es immer mehr Allergien? immunsystem stärken und aktivieren, gleichzeitig Nahrungsbausteine für gesunde Darmwandzellen geliefert. Tatsächlich stellt diese auch als »Immunmodulation« bezeichnete Therapie eine wichtige Säule für die erfolgreiche Behandlung jedweder Allergien dar. Leider hat sich das noch nicht herumgesprochen. Weitere Hilfen Besteht eine Allergie schon länger und ist sie sehr intensiv, kann man meist von einem weiteren Aspekt ausgehen: Die Betroffenen werden »dünnschalig«, und dies in einem durchaus übertragenen Sinn. Eine psychovegetative Stabilisierung ist deshalb von Bedeutung. Bei Kindern helfen oft homöopathische Mittel wie Zincum valerianicum D3/ D4 oder Chamomilla D6. Und besonders bei Kindern empfiehlt sich auch eine Variante der Eigenbluttherapie: die Eigenblutimmunisierung nach Imhäuser. Zu diesem Zweck wird aus einem Blutstropfen eine homöopathische Verdünnungsreihe hergestellt und diese dann in Tropfenform eingenommen. Der Blutstropfen enthält dabei ein bestimmtes Spektrum von Antikörpern, deren Verabreichung die Körperimmunität ausbalancieren hilft. Dringend zu empfehlen ist die Ausschaltung von Stressoren jeglicher Art. Elektrosmog spielt dabei eine Rolle und kann deshalb das Immunsystem unmittelbar beeinträchtigen. Der gefährlichste Elektrosmog befindet sich in unserer Wohnung: An erster Stelle sind moderne Schnurlostelefone vom Typ DECT zu nennen. Das Kürzel steht für »digital european cordless telephone«. Die Basisstation sendet ständig elektromagnetische Wechselfelder und zwar auch dann, wenn Sie nicht telefonieren. Diese Wechselfelder sind so stark, dass sie selbst Mauerwerk durchdringen können. Sollten Sie also ein solches Schnurlostelefon im Hause haben (gemeint ist nicht ein Handy, sondern ein Schnurlostelefon im Festnetzbetrieb), empfielt es sich, dies unbedingt stillzulegen – und wenn es unbedingt schnurlos sein muss – durch den älteren analogen Typ CT1 plus ersetzen. Auch diese Geräte sind noch im Handel erhältlich, mitunter aber in veraltetem Design. Sie entwickeln kritische gepulste elektromagnetische Felder nur während des Telefonates. Wenn Magen und Darm gereizt reagieren 28