DIPLOMARBEIT Titel der Diplomarbeit Gesund, fit und schlank. Der Ernährungsdiskurs in Österreich seit den 1980er Jahren am Beispiel des kulinarischen Journalismus verfasst von Mag. phil. Philip Vrana angestrebter akademischer Grad Magister der Philosophie (Mag. phil.) Wien, 2014 Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 190 344 313 Studienrichtung lt. Studienblatt: Lehramtsstudium UF Englisch UF Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung Betreuer: Univ.-Prof. Dr. Franz X. Eder Danksagung Ich möchte mich bei allen bedanken, die mir während der Erstellung meiner Diplomarbeit zur Seite standen. Dank gilt im Besonderen meinen Eltern, meiner Freundin und meinem Betreuer Univ.-Prof. Dr. Franz X. Eder. Anmerkung zu den Quellen Der Verfasser hat sich bemüht, sämtliche Inhaber der Bildrechte ausfindig zu machen, und hat ihre Zustimmung zur Verwendung der Bilder in dieser Arbeit eingeholt. Sollte dennoch eine Urheberrechtsverletzung bekannt werden, wird um Meldung ersucht. iii Inhaltsverzeichnis 1. EI LEITU G ................................................................................................................................... 1 2. ER ÄHRU G, GESU DHEIT U D KÖRPERBEWUSSTSEI ............................................................ 6 2.1. Gesundheit als Begriff ............................................................................................................... 6 2.1.1. Gesundheitsvorstellungen im Wandel ................................................................................... 6 2.1.2. Gesundheit und postmodernes Körperbewusstsein als Norm ............................................... 7 2.2. Neues Ernährungsideal und Körperbewusstsein im 19. Jahrhundert ....................................... 10 2.3. Ernährungslehre, Schlankheitstrends und Vitamania zu Beginn des 20. Jahrhunderts ............ 13 2.4. Die Massenkost und das Dilemma der gesunden Ernährung nach 1945 .................................. 15 2.5. Ernährung im Zeichen eines veränderten Körperbewusstseins in der Postmoderne ................ 18 2.6. Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein in Österreich seit 1945 ................................. 23 3. KULI ARISCHER JOUR ALISMUS, ER ÄHRU GS- U D GESU DHEITSKOMMU IKATIO ..... 28 3.1. Die Charakteristik des kulinarischen Journalismus .................................................................. 28 3.2. Das Gusto-Journal als Ernährungs- und Gesundheitskommunikator und als Diskursakteur ... 30 4. METHODE..................................................................................................................................... 33 4.1. Methodische Vorgehensweise .................................................................................................. 34 4.1.1. Korpusbildung ..................................................................................................................... 35 4.1.2. Kontextualisierung .............................................................................................................. 35 4.1.3. Die Beschaffenheit der Aussage .......................................................................................... 36 4.1.4. Die Gestalt des Diskurses .................................................................................................... 41 5. A ALYSE ....................................................................................................................................... 42 5.1. Gesund, fit und schlank: Die Entstehung des Diskurses in den 1980er Jahren ........................ 42 5.1.1. Fit und schlank im Arbeitsalltag (1984) .............................................................................. 43 5.1.2. Die Revitalisierung der Vollwertkost (1984) ...................................................................... 50 5.1.3. Schlank mit Diäten (1984)................................................................................................... 56 5.1.4. Bewusst essen und schlank bleiben (1986) ......................................................................... 63 5.1.5. Bewusste Ernährung: Gesund durch Verzicht (1989) ......................................................... 70 5.2. Gesund, fit und schlank als Diskurs in den 1990er- und 2000er Jahren................................... 78 5.2.1. Satt und Schlank: Ausgewogenheit ohne Diäten (1994) ..................................................... 79 v 5.2.2. Wellness: Das Streben nach ganzheitlichem Wohlbefinden (2007) .................................... 89 6. DIE GESTALT DES DISKURSES..................................................................................................... 98 7. ZUSAMME FASSU G .................................................................................................................. 103 8. LITERATURVERZEICH IS .......................................................................................................... 105 9. I TER ETQUELLE ................................................................................................................... 111 10. TABELLE - U D ABBILDU GSVERZEICH IS............................................................................ 112 vi Vorwort In den letzten Jahren scheint Essen als Thema allgegenwärtiger zu sein denn je zuvor.1 In Fernseh-Kochshows, Lifestyle-Magazinen und als Freizeitbeschäftigung unter Freunden und Bekannten nimmt das Kochen einen hohen Stellenwert ein. Steht die Zubereitung der Speisen somit in einem durchaus positiven Licht, so sind Diskussionen über die Zutaten von gänzlich anderer Qualität. Es herrschen sowohl Ängste vor dem gesundheitsschädigenden Potential als auch Zweifel über den Nährwert und Nutzen von Nahrungsmitteln vor. Widmete sich meine erste Diplomarbeit dem Thema der Nationalisierung und Regionalisierung in der österreichischen Nahrungsmittelwerbung vor dem Hintergrund eines zunehmenden Misstrauens der Konsumentinnen und Konsumenten seit den 1980er Jahren, so stellte sich bereits während der Recherche der Quellen heraus, dass sich die Frage der Gesundheitszuträglichkeit in ernährungsphysiologischer Hinsicht als ebenso allgegenwärtiger Aspekt von gesellschaftlichem Interesse seit den 1980er Jahren präsentierte. Die folgende Arbeit kann daher als weiterer Schritt in der Offenlegung von Mythen2 der Postmoderne, welche die Lebensrealitäten des Alltags prägen und durchziehen, gesehen werden. 1 Vgl. Köstlin, Konrad, Modern Essen. Alltag, Abenteuer, Bekenntnis: Vom Abenteuer, entscheiden zu müssen, in: Mohrmann, Ruth E., Hg., Essen und Trinken in der Moderne, Münster 2006, 9. 2 Siehe Roland Barthes für das diesbezüglich zugrunde liegende Verständnis von Mythos. Vgl. Barthes, Roland, Mythen des Alltags, Frankfurt am Main 1964, 85-151. vii 1. Einleitung In der Thematisierung von nachhaltiger Gesundheit wird der Ernährung seitens der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als auch auf nationalpolitischer Ebene vieler Staaten eine bedeutende Rolle im Ernährungsdiskurs beigemessen.3 Ernährungsmediziner und -wissenschaftler im deutschen Sprachraum und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) verwiesen bereits seit den 1960er und 1970er Jahren auf die negativen Folgen des Ernährungswohlstandes, die sich in Übergewicht, Fettleibigkeit und Folgekrankheiten des Herzkreislaufsystems, Diabetes mellitus und Krebs äußerten.4 Vor dem Hintergrund der Überernährung und der wahrgenommenen Masse an Übergewichtigen setzte sich ebenfalls in den 1960er und 1970er Jahren mit Fotomodellen wie Twiggi und der medialen Propagierung von Diäten die Idealvorstellung des ästhetischen schlanken Körpers durch, die zunächst vor allem unter Frauen und schließlich auch als muskulössportliche Schlankheit unter Männern Anklang fand.5 Äußerte sich eine schlanke Figur als zunehmend unausweichliches „Mittel der Selbstdarstellung“6 und Voraussetzung für Attraktivität, Leistungsfähigkeit und Dynamik, wie sie in Medien transportiert wurden,7 so erwies sich in den letzten Jahrzehnten auch die Thematisierung einer ganzheitlichen Konzeption von Gesundheit, Schlankheit und Vitalität als immer bedeutender. Dies zeigte sich nicht zuletzt in zunehmender Selbstverantwortung des Individuums gegenüber dem eigenen Körper8 und den präventiven verhaltensmodifizierenden Zielen der Gesundheitsförderung9. Außer Frage steht, dass die Medien zur öffentlichen Sicht auf Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein beitragen und diese auch mitbestimmen. Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Darstellung sich verändernder Ernährungstrends im kulinarischen Journalismus am Beispiel des seit den 1980er Jahren in Österreich durchwegs und auch flächendeckend erscheinenden Gusto-Journals. Die zeitliche Eingrenzung 3 Vgl. Weiss, Walpurga, Gesundheit, in: Brunner, Karl-Michael u. a., Hg., Ernährungsalltag im Wandel. Chancen für Nachhaltigkeit, Wien/New York 2007, 97. 4 Vgl. Holtmeier, Hans-Jürgen, Diät bei Übergewicht und gesunde Ernährung, 5. Auflage, Stuttgart 1972, 920; Heyden, Siegfried, Bewußter Essen. Kostempfehlungen nach neuesten Erkenntnissen der Ernährungsphysiologie, 2. Auflage, Lengerich 1973, 5-19; Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), Ernährungsbericht 1972, Frankfurt am Main 1973, 165. 5 Vgl. Loderhose, Willy/Hamm, Michael, Das große Buch der Diäten, Hamburg 1995, 34. 6 Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), Ernährungsbericht 1992, Frankfurt am Main 1992, 189. 7 Vgl. DGE, Ernährungsbericht 1992, 189. 8 Vgl. Mazumdar, Pravu, Der Gesundheitsimperativ, in: Widerspruch. Münchner Zeitschrift für Philosophie 42 (2004), 16. 9 Siehe Zielsetzungen der Gesundheitsförderung der WHO, vgl. Weltgesundheitsorganisation Genf (WHO), Glossar Gesundheitsförderung, Gamburg 1998, 6-9. -1- äußert sich deshalb als sinnvoll, weil sich besonders seit den 1980er Jahren ein Gesundheitsverständnis durchzusetzen begann, das den Stellenwert der Prävention betonte.10 Überdies kam es zur Durchsetzung eines flexiblen, fitten und konsumorientierten Körperbewusstseins11 und der Massenmarkt wurde erstmals mit explizit als gesund deklarierten Produkten bedient12. Das Gusto-Journal stellt eine hervorragende Quelle dar, weil das Magazin nicht lediglich Rezepte für seine Leserinnen und Leser bietet, sondern neben thematischen Schwerpunkten und Produktvorstellungen auch Informatives über die Welt des Essens sowie Ratschläge zum Thema Ernährung liefert. Zudem geht aus den Mediadaten aus dem Jahr 2006 hervor, dass für 89 Prozent der Leserinnen und Leser eine gesunde Lebensweise und Ernährung mit Abstand das wichtigste Interessenfeld noch weit vor Urlaub, Mode und Wohnen darstellte.13 Die Redaktion war sich dessen stets bewusst und betonte den Stellenwert, den Gesundheit, Bewegung, eine gute Figur und körperliches Wohlbefinden im Magazin einnehmen.14 Diskursanalytisch werden primär informierende und ratgebende Artikel herangezogen, die in Zusammenschau mit sekundären Texten aus dem Journal, wie beispielsweise dem Editorial, Leserbriefen und Produktinformationen, Aufschluss über die Beschaffenheit des Diskurses geben sollen. Unter Beachtung des Dialoges, den die Redaktion mit ihren Leserinnen und Lesern führte, wird vor dem Hintergrund der redaktionellen Handlungsspielräume das Vorkommen und die Durchsetzung von Gesundheit, Schlankheit und Vitalität im Ernährungskontext eruiert. Sofern es sich als bedeutsam für das Thema herausstellt, wird auch auf gesellschaftliche Determinanten wie soziales Geschlecht und Status und damit einhergehend auf Notwendigkeiten, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten in der Umsetzung von gesunder Ernährung eingegangen. Es ergeben sich folgende Forschungsfragen und Thesen: • In welcher Art und Weise tauchen besondere Formen der Ernährung und deren Veränderung im Kontext von Gesundheit, Schlankheit und Vitalität auf? 10 Vgl. Mazumdar 2004, 13-17. Vgl. Graf, Simon, Leistungsfähig, attraktiv, erfolgreich, jung und gesund: Der fitte Körper in postfordistischen Verhältnissen, in: Body Politics 1 (2013), 141. 12 Vgl. Eder, Franz X., Konsumieren und Verbrauchen, in: Cerman, Markus u. a., Hg., Wirtschaft und Gesellschaft. Europa 1000-2000, Wien 2011, 291. 13 Vgl. Gusto Mediadaten, http://www.gusto.at/prod/720/pdf/Mediadaten.pdf, 9 (25.03.2013). 14 Vgl. Gusto Mediadaten, http://www.gusto.at/prod/720/pdf/Mediadaten.pdf, 12 (25.03.2013). 11 -2- • Inwiefern werden Gesundheit und Schlankheit im Ernährungskontext vertreten und propagiert? • Inwiefern äußert sich das Verhältnis von Genuss und Verzicht in der untersuchten Zeitspanne? • Sind Aspekte einer Selbstregierung gegenüber einer von außen geleiteten Förderung von Gesundheit, Schlankheit und Vitalität in der redaktionellen Darstellung feststellbar? • Inwiefern zeigt sich in Hinblick auf Gesundheit, Schlankheit und Vitalität ein Einfluss des Gesundheitsmarktes und der Lebensmittelwirtschaft auf die redaktionelle Gestaltung? • Äußert sich die Propagierung von Functional Food im Zusammenhang mit Gesundheit und Schlankheit in der anvisierten Zeitspanne? • Welchen Stellenwert räumt man der Herstellung von Nahrung unter biologischen Kriterien und alternativen Küchenpraktiken aus ernährungsphysiologischer Sicht für Gesundheit und Schlankheit ein? • Welche Haltung wird gegenüber verarbeiteten Lebensmitteln und ConvenienceFood eingenommen? Entsprechend den Forschungsfragen ergeben sich folgende Thesen: • In den frühen 1980er Jahren wurden den Leserinnen und Lesern verschiedene Formen der Ernährung nahegelegt, wenngleich Mischkost die uneingeschränkte Grundlage bildete. Gesundheit, Schlankheit und Vitalität ergänzten sich zunehmend ab Ende der 1980er Jahre mit der wachsenden Bedeutung des Gesundheitsmarktes. -3- • In den frühen 1980er Jahren war durchwegs von Schlankheitsidealen aus ästhetischen Gründen auszugehen. Gesundheit betraf vor allem die Fitness für den Arbeitsalltag. Die Leserinnen und Leser wurden über Diäten auf eine sehr grundlegende Art und Weise informiert. Gesundheit und Schlankheit ergänzten sich ab Ende der 1980er Jahre zunehmend und tauchten vermehrt als Selbstverständlichkeit in Verbindung mit Wohlbefinden auf. • Die Diskrepanz von Genuss und Verzicht war ständiger Begleiter, deren Auflösung in einem ganzheitlichen Verständnis von Gesundheit und Ernährung sich zumindest teilweise, jedoch vor allem diskursiv in den 1990er Jahren anbahnte. • Gesundheit, Schlankheit und Vitalität wurden durchwegs von außen geleitet und propagiert, wenngleich mit deren zunehmender Verflochtenheit vermehrt Selbstinitiative, vor allem seit den 1990er Jahren, vorausgesetzt wurde. • Auch wenn Functional Food zu keinem Zeitpunkt dem Selbstverständnis des kulinarischen Journalismus entsprach, so nahmen Light-Produkte und Nahrungsergänzungsmittel vor allem ab Ende der 1980er Jahre Raum im Magazin ein. • Die Vollwertkost wurde bereits zu Beginn der 1980er Jahre mit Vitalität und Gesundheit in Verbindung gebracht. In den 1990er Jahren wurden aturkost, aturküche und Bio nicht nur als immer wichtigere Garanten der Lebensmittelsicherheit thematisiert, sondern als essentielle Bestandteile einer umfassenden Ernährung erachtet. • Obwohl Convenience-Food aus dem Selbstverständnis des kulinarischen Journalismus heraus weitgehend abgelehnt wurde, äußerte sich ab Ende der 1980er Jahre eine zunehmende Vielfalt an Fertiggerichten, die Gesundheit und Schlankheit versprachen. Die Arbeit gliedert sich in ein historisches Überblickskapitel zu Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein, womit einerseits eine Heranführung an das Thema erfolgt und -4- andererseits verdeutlicht werden soll, dass sich diese Thematik keineswegs als lediglich gegenwartsrelevant präsentiert, sondern in mancher Hinsicht auch in den Vorstellungen und Praktiken einer lang zurückreichenden Geschichte vorzufinden war. Des Weiteren wird auf die Rolle der kulinarischen Medien als Verbreiter und Repräsentanten von Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein in den vergangenen Jahrzehnten eingegangen. Auf die Erkenntnis, dass der kulinarische Journalismus sich als ein bedeutender Träger und Akteur von Diskursen äußert, folgt die Erläuterung der methodischen diskursanalytischen Vorgehensweise, um danach mit der Analyse zu beginnen. -5- 2. Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein Ernährungsbezogene Gesundheitsvorstellungen und Lebensstile stellen sich meist als pluralistisch und facettenreich dar15 und äußern sich durchwegs als Ergebnis diskursiver Konstruktion. Im gesellschaftlicher folgenden Kapitel Entwicklungslinien erfolgt zum eine Thema, Darstellung um auf längerfristiger zeitraumspezifische Ausprägungen von Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein im ausgehenden 20. Jahrhundert kontextualisiert eingehen zu können. Zunächst erfolgt eine Grundlegung der Begriffe. 2.1. Gesundheit als Begriff „Die Geschichte des Gesundheitsbegriffes ist die Geschichte einer Idee. Diese Idee steht immer im Zusammenhang mit der medizinischen Praxis und der soziokulturellen Wirklichkeit, mit der Gesundheitspolitik und Gesundheitserziehung eines Landes oder einer Epoche wie auch mit dem Leben des einzelnen Menschen.“16 2.1.1. Gesundheitsvorstellungen im Wandel In der Antike wurde Gesundheit als harmonische Balance und Krankheit als Disharmonie erachtet. Dabei äußerten sich beide Zustände keineswegs als deutlich trennbare Gegensätze, sondern man ging von der Annahme aus, dass es im „Gesundsein Krankheit und im Kranksein Gesundheit“17 gab.18 Um 1800, zur Zeit des Idealismus und der Romantik, kam es zur neuerlichen Akzentuierung der Ganzheitlichkeit von Gesundheit, die in Deutschland zur Naturheilkunde und Lebensreformbewegung führten.19 Die naturwissenschaftliche Sichtweise der Medizin im 19. Jahrhundert stützte sich „auf die Behandlung von Krankheiten und vernachlässigte die Erhaltung der Gesundheit“.20 Diese auch im 20. Jahrhundert vorherrschende schulmedizinische Sichtweise wurde durch eine Lockerung des Bandes zwischen Gesundheit und Krankheit in den ausgehenden Jahrzehnten des Jahrhunderts relativiert. Das Hervorkehren eines ganzheitlichen 15 Siehe diesbezüglich die Vielzahl an gegenwärtigen Gesundheitsmotiven, vgl. Astleithner, Florentina/Brunner, Karl-Michael, Chancen und Restriktionen für nachhaltige Ernährung in Österreich. Ein Resümee, in: Brunner, Karl-Michael u. a., Hg., Ernährungsalltag im Wandel. Chancen für Nachhaltigkeit, Wien 2007, 209-210. 16 Engelhardt, Dietrich von, Der Gesundheitsbegriff im Wandel der Geschichte, in: Widerspruch 42 (2004), 35. 17 Engelhardt 2004, 28. 18 Vgl. Engelhardt 2004, 25-28. 19 Vgl. Frecot, Janos, Die Lebensreformbewegung, in: Vondung, Klaus, Hg., Das wilhelminische Bildungsbürgertum. Zur Sozialgeschichte seiner Ideen, Göttingen 1976, 140. 20 Engelhardt 2004, 32. -6- Zusammenhanges von Gesundheit und Lebensstilen bedingte sowohl im engeren Gesundheitsdiskurs als auch im alternativtherapeutischen Wellness-Bereich eine neue Selbstverantwortung des Individuums gegenüber der Omnipotenz der kurativen Medizin.21 In der Definition des Gesundheitsbegriffes der WHO fand bereits 1948 eine umfassende Definition von Gesundheit: „Gesundheit ist ein Zustand völligen psychischen, physischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen. Sich des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu erfreuen ist ein Grundrecht jedes Menschen, ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der politischen Überzeugung, der wirtschaftlichen und sozialen Stellung.“22 2.1.2. Gesundheit und postmodernes Körperbewusstsein als Norm Die Ausdehnung des Gesundheitsbegriffes auf die Gesamtheit des psychischen, physischen und sozialen Wohlbefindens ging vor allem in den letzten 40 Jahren einher mit einem Streben nach körperlicher Schlankheit und Fitness.23 Die individuelle Selbstverantwortung gegenüber der eigenen Gesundheit und die Aufrechterhaltung des eigenen Körpers wurden durch die Krise der fordistischen Produktionsverhältnisse und die Heterogenisierung der Arbeitsverhältnisse forciert. Diese beinhalteten nun ein „Gebrauchswertversprechen“24 des fitten und somit leistungsfähigen Körpers.25 Der gesunde, ästhetische und daher repräsentative und leistungsfähige Körper wurde zum zentralen Anliegen von Unternehmen und staatlichen Präventionszielen und zum sozialen Distinktionsmerkmal des Individuums gegenüber vermeintlich selbst verschuldeter Krankheit, Fettleibigkeit und Alter.26 In diesem zentralen Aspekt äußert sich, was Michel Foucault „Gouvernementaliät“ – die Verschränkung der „Technologien der Beherrschung anderer“ mit den „Technologien des Selbst“ – nannte.27 21 Vgl. Mazumdar 2004, 15-16. Bundesministerium für Gesundheit (BMG), http://www.bmg.gv.at/home/Schwerpunkte/Praevention /Gesundheit_und_Gesundheitsförderung, (20.11.2013). 23 Vgl. Graf 2013, 139. 24 Graf 2013, 152. 25 Vgl. Graf 2013, 151-152; vgl. Kreisky, Eva, Fitte Wirtschaft und schlanker Staat: das neoliberale Regime über die Bäuche, in: Schmidt-Semisch, Henning/Schorb, Friedrich, Hg., Kreuzzug gegen Fette. Sozialwissenschaftliche Aspekte des gesellschaftlichen Umgangs mit Übergewicht und Adipositas, Wiesbaden 2008, 148. 26 Vgl. Graf 2013, 145-147. 27 Foucault, Michel, Technologien des Selbst, in: Defert, D./Ewald, F., Hg., Ästhetik der Existenz, Frankfurt am Main 2007, 289. Selbst- und Fremdführung äußern sich als wesentliche Determinanten von Regierung. Vgl. Foucault, Michel, About the Beginning of the Hermeneutics of the Self, in: Political Theory 21/2 (1993), 203-205. 22 -7- Einhergehend mit der Vorstellung vom gesunden, schlanken und fitten Körper entstand ein Gesundheits- und Wellness-Markt, der gegenwärtig von einer Gesundheitsindustrie, von Dienstleistern, von Fortschritten in der Medizin, von der Bio- und Informationstechnologie und der enorm steigenden Nachfrage der Konsumentinnen und Konsumenten bestimmt wird.28 Dieser Markt fokussiert die Themen Schönheit, Ernährung, Gesundheit und Fitness und beinhaltet neben Food-Produkten und Functional Food Yoga, Massagen, Gesundheitschecks, freiwillige chirurgische Eingriffe und andere für den Körper gewinnbringende Maßnahmen (siehe Abbildung 1).29 Abbildung 1: Aspekte des Wellnessmarktes30 Nach Ilona Kickbusch, der Direktorin der Abteilung für Gesundheitsförderung, Bildung und Kommunikation der WHO in den 1990er Jahren, äußert sich gegenwärtig eine Gesundheitsgesellschaft mit den Säulen Gesundheit als Empowerment, Emanzipation, Marktorientierung und ultimativen Umsetzbarkeitsvorstellungen.31 Für Kickbusch trägt der Staat Verantwortung für die Gesundheitsförderung und für eine neue gesundheits- 28 Vgl. Kickbusch, Ilona, Die Gesundheitsgesellschaft. Megatrends der Gesundheit und deren Konsequenzen für Politik und Gesellschaft, Gamburg 2006, 84. 29 Vgl. Kickbusch 2006, 83-84. 30 Quelle: Kickbusch 2006, 84. 31 Vgl. Kickbusch, Ilona, Die Gesundheitsgesellschaft zwischen Markt und Staat. Vortrag Technische Universität Berlin am 24. Juni 2003, http://www.wellnessverband.de (24.11.2013); vgl. Kickbusch 2006, 146. -8- orientierte Gesellschaftspolitik, wobei eine neue Art der Gesundheitspolitik gefordert wird, die sich nicht ausgabenorientiert an der Krankheitsversorgung, sondern investitionsorientiert an Gesundheit ausrichtet.32 Des Weiteren sei ein Umdenken der Bürgerinnen und Bürger gefordert, die weiterhin lediglich medizinische Dienste in Anspruch nehmen, ohne etwas für ihre Gesundheit zu tun.33 Der Gesundheitsmarkt soll in die gesellschaftliche Verantwortung mit einbezogen werden, denn auf dem Markt zeige sich die Bereitschaft der Konsumentinnen und Konsumenten, in Gesundheit zu investieren.34 Konkret wurden von politischer Seite in den letzten Jahrzehnten – nicht zuletzt vor dem Hintergrund steigender Kosten in den kurativen Gesundheitssystemen35 – Akzente zur Umsetzung einer präventiven Gesundheitsorientierung gesetzt.36 Das Health-for-AllKonzept der WHO, welches 1977 in Genf auf der 30. Weltgesundheitsversammlung in die Wege geleitet wurde,37 strebte ein Gesundheitsniveau der Menschen an, das ein „sozial- und wirtschaftlich produktives Leben“ ermöglicht.38 Die Umsetzung einer nachhaltigen Gesundheit39 unter Miteinbeziehung umweltbezogener, sozioökonomischer Aspekte in Hinblick auf Settings – den Orten und Kontexten des Alltags, an bzw. bei denen individuelle, umweltbezogene und organisatorische Faktoren zusammenwirken – wurde dabei vor allem seit Mitte der 1980er Jahre von der WHO als Zielsetzung verfolgt.40 Die Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung (1986) verankerte schließlich die Gesundheitsförderung: „Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozeß, allen Menschen 32 Vgl. Kickbusch 2006, 110-112. Vgl. Kickbusch 2006, 113 u.155. 34 Vgl. Kickbusch 2006, 154. 35 Vgl. Spiekermann, Uwe, Übergewicht und Körperdeutungen im 20. Jahrhundert – Eine geschichtswissenschaftliche Rückfrage, in: Schmidt-Semisch, Henning/Schorb, Friedrich, Hg., Kreuzzug gegen Fette. Sozialwissenschaftliche Aspekte des gesellschaftlichen Umgangs mit Übergewicht und Adipositas, Wiesbaden 2008, 35. 36 Aufgabe von Public Health ist die „Förderung und Erhaltung der Gesundheit auf Bevölkerungsebene“. Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Wien (IfEUW), Österreichischer Ernährungsbericht 2008, Wien 2009, 351. 37 Vgl. WHO Health Report, Executive Summary, http://www.who.int/whr/1998/media_centre/ executive_summary6/en/ (20.11.2013). 38 Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Wien (IfEUW), Österreichischer Ernährungsbericht 2003, Wien 2003, 295. 39 Alle Mitgliedstaaten der WHO waren in Ziel 16 dazu angehalten, gesunde Lebensgewohnheiten bis zum Jahr 2000 aktiv zu fördern, und in Ziel 22, die Lebensmittelqualität sicherzustellen. Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 295. 40 Vgl. Weiss 2007, 97. 33 -9- ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie dadurch zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen.“41 2.2. Neues Ernährungsideal und Körperbewusstsein im 19. Jahrhundert In der Antike charakterisierte die Diätetik, die „Lehre von der Lebensweise“42, einen selbstbestimmten präventiven Zugang zur Aufrechterhaltung der individuellen Gesundheit.43 Diese alteuropäische Tradition diente bis in die Neuzeit als Grundlage in den vielfältigsten Ernährungslehren44 und wurde erst im Zuge der natur- wissenschaftlichen Ernährungsforschung durch eine neue Ernährungslehre zu Beginn des 20. Jahrhunderts ergänzt und teilweise ersetzt.45 Im Schatten der modernen Ernährungslehre etablierte sich im 19. Jahrhundert mit Rückbesinnung auf die Humoralpathologie und die Lehre von der Lebenskraft die Naturheilbewegung.46 Diese berief sich auf die Naturphilosophie des Jean-Jacques Rousseau und die Makrobiotik des Christoph Wilhelm Hufeland.47 Ausgehend von den Axiomen der Naturheilkraft und der Ganzheitlichkeit des Menschen sollte Krankheiten ohne Arzneimittel durch naturgemäße, vorrangig vegetarische Ernährung und durch Wasserkuren, Licht- und Luftbädern vorgebeugt werden.48 Der Naturheilkundler Johannes Schroth ergänzte seine Wassertherapien für Heilzwecke mit vegetarischer Ernährung.49 In der Naturheilkunde des Theodor Hahn diente bereits 1852 die vegetarische Diät als Therapieform.50 Hahns erste vegetarische Schrift, Die naturgemäße Diät, beeinflusste Eduard Balzer, den wichtigsten Koordinator des deutschen Vegetarismus, der 1867 den Verein für natürliche Lebensweise gründete.51 In den USA verbanden Hydrotherapeuten wie William Andrus Alcott und Sylvester Graham die Wasserkur mit einer strengen vegetarischen Ernährung, im Sinne einer 41 WHO, Glossar Gesundheitsförderung 1998, 1. Klotter, Christoph, Von der Diätetik zur Diät – Zur Ideengeschichte der Adipositas, in: Schmidt-Semisch, Henning/Schorb, Friedrich, Hg., Kreuzzug gegen Fette. Sozialwissenschaftliche Aspekte des gesellschaftlichen Umgangs mit Übergewicht und Adipositas, Wiesbaden 2008, 21. 43 Vgl. Klotter 2008, 21-22. 44 Vgl. Briesen, Detlef, Das gesunde Leben. Ernährung und Gesundheit seit dem 18. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2010, 29. 45 Vgl. Briesen 2010, 33f. 46 Vgl. Briesen 2010, 26-27. 47 Vgl. Rothschuh, Karl E., Naturheilbewegung, Reformbewegung, Alternativbewegung, Stuttgart 1983, 15. 48 Vgl. Krabbe, Wolfgang R., Gesellschaftsveränderung durch Lebensreform. Strukturmerkmale einer sozialreformerischen Bewegung im Deutschland der Industrialisierungsperiode, Göttingen 1974, 79. 49 Vgl. Merta, Sabine, Schlank! Ein Körperkult der Moderne, Stuttgart 2008, 26. 50 Vgl. Krabbe 1974, 56; vgl. Merta 2008, 28-29. 51 Vgl. Krabbe 1974, 56-58. 42 - 10 - physischen und moralischen Erlösung, die im Falle der Wasserkur und Ernährungsreform des John Harvey Kellogg adventistische religiöse Züge annahm.52 Die Naturheilbewegung stellte in gewisser Hinsicht den Nukleus der Lebensreformbewegung dar.53 Sie trat ein für „eine Rückkehr zu einer naturgemäßen Lebensweise, die die Kulturmenschheit von den in ihr vorhanden geglaubten Zivilisationsschäden befreit“.54 Neben Bestrebungen der Bodenreform, Wohnungsreform, dem Impfgegnertum, dem Antialkoholismus, der Kleidungsreform, der Nacktkultur und Vivisektionsgegnerschaft befasste sich die Lebensreform vor allem mit Fragen der Ernährung.55 Der Vegetarismus sollte dabei nicht die unmittelbare Gesellschaftsveränderung bewirken, sondern in individueller Hinsicht dem Menschen „in seiner physischen und psychischen Disposition eine harmonische Übereinstimmung mit der Natur“ bieten.56 Die Rohkostlehre, vertreten von Emil Debber, Adolf Just und Oskar Bircher-Benner, sah als vegetarische Therapie den Verzehr von rohem Obst und Gemüse vor. Zentral in der Lehre Bircher-Benners erschien dabei die Bedeutung des Sonnenlichts in Form von Lichtquanten in den Früchten, die der Theorie zufolge beim Verzehr von rohem Obst und Gemüse auf den Menschen übergingen.57 Für die Lebensreformer versprach die vegetarische Diät eine gesunde Alternative zur kalorienreichen Ernährung, die im Zuge der Mechanisierung und dem damit einhergehenden Ersatz der Schwerarbeit durch Kontroll-, Aufsichts- und Bürotätigkeiten hinfällig wurde. Vegetarische Diätprodukte wie Müsli, Margarine und Vollkornprodukte wurden als Naturkost von Lebensreformern hergestellt und in Reformhäusern verkauft. Bircher-Benner beispielsweise erachtete Korpulenz als Verstoß gegen die menschliche Triebkontrolle und propagierte die Selbstbeherrschung. Generell galt Fettleibigkeit schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Gesundheitsrisiko, während Schlankheit bereits mit körperlichem und seelischem Wohlbefinden in Verbindung gebracht wurde. Überdies machte letztere als Ausdruck eines neuen Körperbewusstseins vor allem dem gängigen weiblichen Schönheitsideal des rundlichen Körpers erstmals Konkurrenz.58 In 52 Vgl. Briesen 2010, 31. Vgl. Frecot 1976, 140; Der Begriff ‚Lebensreform‘ ist erstmals zur Mitte der 1890er Jahre nachzuweisen, vgl. Krabbe 1974, 12. 54 Krabbe 1974, 14. 55 Vgl. Krabbe 1974, 13 u. 48. 56 Krabbe 1974, 49. 57 Vgl. Briesen 2010, 95-97; vgl. Merta 2008, 68 u. 75. 58 Vgl. Merta, Sabine, „Weg mit dem Fett“. Kulturphänomen einer Wohlstandsgesellschaft. Wege und Irrwege zur schlanken Linie, in: Der Bürger im Staat 52/4 (2002), 201-205. 53 - 11 - der Nacktkulturbewegung manifestierte sich die Ästhetik des schlanken Körpers, indem dieser ständig präsentiert wurde. Die Normalisierung des neuen Körperideals vollzog sich dabei durch die Blicke von außen als auch die eigene Selbstkontrolle.59 Paradoxerweise schlossen sich zivilisationskritische, nacktgymnastische und der Arbeitswelt zuträgliche Körpernormalisierungen nicht aus, sondern ergänzten sich.60 Der dynamische moderne Körper, der den neuen Anforderungen der Arbeitswelt im Zuge der Industrialisierung gewachsen sein musste, äußerte sich als Schlankheitsideal des sehnigen und muskulösen Mannes und der anmutigen schlanken Frau.61 Von einer unumschränkten Etablierung des Schlankheitsideals kann jedoch selbst bis nach dem Ersten Weltkrieg nicht ausgegangen werden.62 Auch stellte der Vegetarismus im 19. Jahrhundert und zur Jahrhundertwende keineswegs ein flächendeckendendes Phänomen dar. Für breite Schichten war die vormoderne Unterversorgung mit Fett63 und damit das – als „evolutionäre Programmierung“64 – einhergehende Verlangen danach entscheidend für einen vermehrten Fleischkonsum.65 Dementsprechend begann für weniger Wohlhabende der Konsum von Fleisch – zunehmend Schweinefleisch66 – im deutschsprachigen Raum überhaupt erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts.67 Überdies war für viele Neureiche Völlerei und zur Schau getragene Fettleibigkeit nach wie vor anzustreben. Demzufolge ließ das Schlankheitsideal bürgerlicher Schichten zwar erste gesellschaftliche Veränderungen im Entstehen einer neuen Norm erahnen,68 wenngleich es sich bei dessen Durchsetzung im Wesentlichen um soziale Distinktion vor dem Hintergrund eines 59 Vgl. Möhring, Maren, Nacktheit und Sichtbarkeit, in: Martschukat, Jürgen, Hg., Geschichte schreiben mit Foucault, Frankfurt/New York 2002, 155. 60 Möhring verdeutlicht für die 1920er Jahre, dass der Taylorisierung des Körpers und der Nacktgymnastik zwar unterschiedliche Wertvorstellungen zugrunde lagen, diese aber dieselbe Motivation beziehungsweise diskursive Grundstruktur zwischen Disziplinierung und Selbstkontrolle teilten. Vgl. Möhring, Maren, Marmorleiber. Körperbildung in der deutschen Nacktkultur, Köln 2004, 103-105. 61 Vgl. Merta 2002, 204; vgl. Spiekermann 2008, 49. 62 Vgl. Spiekermann 2008, 50. 63 Vgl. Montanari, Massimo, Der Hunger und der Überfluss. Kulturgeschichte der Ernährung in Europa, München 1993, 198. 64 Klotter 2008, 27. 65 Montanari meint diesbezüglich, dass „das Privileg, viel zu essen“ vom „Privileg des Fleischessens“ begleitet war und der „Neid auf Fett“ sich als „Neid auf Fleisch“ äußerte, vgl. Montanari 1993, 202. 66 Vgl. Teuteberg, Hans-Jürgen, Der Fleischverzehr in Deutschland und seine strukturellen Veränderungen, in: Teuteberg, Hans J./Wiegelmann, Günter, Hg., Unsere tägliche Kost. Geschichte und regionale Prägung, Münster 1986, 72. 67 Vgl. Teuteberg 1986, 71. 68 Vgl. Montanari 1993, 200-201. - 12 - zunehmenden Wohlstandes und der Partizipation breiterer Schichten an der Konsumgesellschaft handelte.69 2.3. Ernährungslehren, Schlankheitstrends und Vitamania zu Beginn des 20. Jahrhunderts Mit den nicht zuletzt von Justus von Liebig geprägten ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen propagierten die Vertreter einer neuen Ernährungswissenschaft wie Carl von Voit, Jacob Moleschott und Max von Pettenkofer eine Ernährungslehre auf Basis der Zerlegung der Nahrung in Eiweiß, Fett und Kohlenhydrate an Stelle der traditionellen Ernährungslehren – den Ideen der Humoralpathologie und des Vitalismus.70 Gesundheit wurde nun durch stofflich-physiologische Funktionalität der Ernährung gewährleistet. Carl von Voit führte beispielsweise mittels eines Respirationsapparates Umsatzstudien durch, die ein genormtes Kostmaß zum Ziel hatten und somit die Festlegung universeller Ernährungsziele boten.71 Uwe Spiekermann betont in diesem Zusammenhang, dass sich die systematische Regulierung – der „(bio)politische Zugriff auf den Körper“72 – in Form von Ernährungszielen, in örtlich und zeitlich abweichender Form, seit der Mitte des 19. Jahrhunderts als Zusammenspiel der naturwissenschaftlich orientierten modernen Ernährungswissenschaft und den politischen Rahmenbedingungen ergab.73 Die Verwissenschaftlichung des Körpers brachte eine weitreichende „Systematisierung abseits individueller Besonderheiten.“74 Die medizinisch-naturwissenschaftliche Ernährungslehre erachtete, ebenso wie die Ernährungsreform, die durch veränderte gesellschaftliche Bedingungen vorherrschende Fettleibigkeit als Gesundheitsrisiko.75 In der Praxis empfohlen Schulmediziner, entgegen der naturheilkundlichen vegetarischen Kost, eine Fleischdiät als Entfettungsdiät.76 Erst die Erkenntnisse Horace Fletchers und des Physiologen Russell Chittenden nach der Jahrhundertwende bewirkten einen Wandel in der Ernährungslehre dahingehend, dass ein Übermaß an Eiweiß und daher ein 69 Vgl. Klotter 2008, 27; vgl. Montanari 1993, 201. Vgl. Briesen 2010, 33-35. 71 Vgl. Spiekermann, Uwe, Historischer Wandel der Ernährungsziele in Deutschland – Ein Überblick, in: Oltersdorf, Ulrich/Gedrich, Kurt, Hg., Ernährungsziele unserer Gesellschaft: Die Beiträge der Ernährungswissenschaft. Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, Karlsruhe 2001, 97-98. 72 Graf 2013, 152. 73 Vgl. Spiekermann 2001, 97 u. 99. 74 Spiekermann 2008, 44. 75 Vgl. Merta 2002, 201. 76 Vgl. Merta 2002, 201; eine gängige Diät war beispielsweise die Bantingkur, die als reine Fleischdiät den Verzehr von Eiweiß unter Ausschluss von Stärke und Zucker vorsah. Vgl. Merta 2008, 137. 70 - 13 - übermäßiger Fleischkonsum für die Gesundheit als nicht zuträglich erachtet wurden.77 Das Schlankheitsideal betreffend entwickelte man bereits im späten 19. Jahrhundert Diätpräparate und Entfettungsmittel zur Erhaltung des gesunden, ästhetischen und leistungsfähigen Körpers. Zur Jahrhundertwende erfolgte im Anschluss an Diättherapien oftmals die Verabreichung von Präparaten aus ärztlichen Diätpraxen. Besondere Diätformen wurden zumeist, ungleich der individuellen naturkundlichen Erfahrungsmedizin, in normierter Form der Allgemeinheit präsentiert.78 Dies betraf zum Beispiel die Einbettung der Kalorienlehre in Diätratgeber, wobei Kalorientabellen den Diäten die nötige wissenschaftliche Glaubwürdigkeit verliehen.79 Körpermaße gewannen als Körpernormen, als Indikatoren des Gesundheits- und Ernährungszustandes, für die Sozialpolitik, für Schul- und Kinderärzte sowie für die Eugenik an Bedeutung und fanden als Vorstellungen über das Normal- und Idealgewicht Eingang in die Werbung und Populärkultur der 1920er Jahre.80 In den 1920er Jahren trat der ästhetische Gesichtspunkt des Schlankseins, beispielsweise in Form der weiblich reduzierten knabenhaften Garconette, immer mehr gegenüber den gesundheitlichen Überlegungen in den Vordergrund. Wundermittel wie abführende Schlankheitspräparate und Abmagerungskuren als Neuinterpretationen von Gesundheitsdiäten, wie Schroth-Kuren, Obstkuren, Buchinger-Fasten und die Rohkost von BircherBenner, boomten. Das Phänomen der Magersucht – das Empfinden, dass der eigene Körper zu dick sei – tauchte als „Dickenwahnsinn“81 vermehrt unter Frauen in den 1920er Jahren auf.82 Machten die Weltwirtschaftskrise mit ihren Nähr- und Aufbaupräparaten und das Ideal des kräftigen Körpers der NS-Zeit den frühen Schlankheitstrends im deutschsprachigen Raum vorläufig ein Ende,83 so wurden in den USA der 1930er Jahre, wo sich der Mangel in Grenzen hielt,84 Diäten noch populärer. Howard Hay präsentierte zur Gewichtsreduktion die Trennkost, die auf die gesonderte Zufuhr von Eiweiß, Kohlenhydraten und Alkalinen setzte, während die von Obsterzeugern geförderte 77 Vgl. Briesen 2010, 150. Vgl. Spiekermann 2008, 44-48. 79 Vgl. Merta 2002, 202. 80 Vgl. Spiekermann 2008, 45-47. 81 Merta 2002, 206. 82 Vgl. Merta 2002, 204-207. 83 Vgl. Spiekermann 2008, 50. 84 Vgl. Briesen 2010, 164. 78 - 14 - Hollywood Eighteen Day Diet durch den Verzehr von Obst die tägliche Zufuhr auf 600 Kalorien reduzierte.85 Nach der Jahrhundertwende trachteten in den USA vor allem städtische Mittelschichten nach einer vermeintlich hygienisch-effizienten und gesunden Kost, die beispielsweise erste Convenience-Produkte wie William K. Kellogg’s Cornflakes werbewirksam versprachen.86 Setzte die neue Ernährung noch auf die Hygiene als wesentliche gesundheitliche Determinante, so führte die Entdeckung der Vitamine nach 1911 und die Erkenntnis, dass deren Mangel zu Krankheiten führen konnte, zu einer ersten Vitamania. Dies bedeutete, dass noch vor den Erkenntnissen zur Vitaminsynthese in den 1930er Jahren vermehrt vitaminreiche Nahrungsmittel, vor allem unter den US-amerikanischen Mittel- und Oberschichten, verzehrt wurden. Der Markt für Protective-Food boomte und Markenhersteller bewarben den gesundheitlichen Wert ihrer Produkte, die ihren Angaben zufolge die Versorgung des Körpers mit Spurenelementen und Vitaminen garantierten.87 Noch während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren, deren Auswirkungen auf die Ernährungslage der US-Bürger sich in Grenzen hielten,88 erlebte die Vitamania neue Höhenflüge. Im Zuge der Synthetisierung (1935) wurden beispielsweise Fruchtsäfte und Milch mit Vitaminen angereichert oder gesondert in Form von Tabletten oder als Pulver angeboten. Überdies wurde Industrienahrung seit den 1940er Jahren so verarbeitet, dass Inhaltsstoffe erhalten blieben oder „naturnah zurückgestaltet“ wurden.89 2.4. Die Massenkost und das Dilemma der gesunden Ernährung nach 1945 Als sich die Versorgungslage mit Nahrungsmitteln in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Österreich und Deutschland kaum besserte, standen zunächst quantitative Aspekte der Ernährungsversorgung im Mittelpunkt des Interesses der Ernährungspolitik, die auch Mediziner und Physiologen beschäftigte.90 Blieb eine wohlstandsbedingte Gesundheitsorientierung in Fragen der Ernährung aus gegebenem Anlass unberücksichtigt, so zeichnete sich nach 1945 in Deutschland ein Bedeutungsverlust von Ernährungsreformen aufgrund einer Distanzierung von den Gesundheitsregeln der NS-Vergangenheit ab.91 Die an die Allgemeinheit gerichtete Literatur hielt an einer rationalen modernen 85 Vgl. Briesen 2010, 165. Vgl. Briesen 2010, 64. 87 Vgl. Briesen 2010, 151-156. 88 Vgl. Briesen 2010, 164. 89 Briesen 2010, 167. 90 Vgl. Spiekermann 2001, 105. 91 Vgl. Briesen 2010, 198. 86 - 15 - Ernährungslehre fest, welche die Mischkost präferierte. Beispielsweise erachtete 1954 Johannes Bohlmann in seinem populärwissenschaftlichen Werk92 den menschlichen Körper als einen Verbrennungsmotor, der mit Enzymen, Hormonen, Vitaminen und mit Nährstoffen, mit Fetten, Eiweiß und Kohlenhydraten funktioniere. Er empfahl eine Mischkost aus sowohl pflanzlichen als auch tierischen Bestandteilen, wobei er explizite Regeln vermied und die tatsächliche Realisierung der Kost den Verbraucherinnen und Verbrauchern überließ. Andere populärwissenschaftlich bedeutende Ernährungsratgeber, wie die Einführung in die Ernährungslehre93 (1960) von Ernst Kofranyi, lehnten die Ernährung nach Regeln, wie sie von Ernährungsreformen im Rahmen der Lebensreformbewegung, des Vegetarismus und von alternativen Diäten gefordert wurde, weitgehend ab.94 Das Ernährungsziel der quantitativen Nahrungsmittelversorgung bestimmte einhergehend mit den Produktionssteigerungszielen in der Agrarpolitik, bei de facto erreichter Sättigung noch in den 1950er Jahren, einen Wohlstandskonsum, der aufgrund der ungesunden Zusammensetzung der Nahrung vermehrt Wohlstandskrankheiten mit sich brachte.95 Dem ungeachtet herrschte in Deutschland und Österreich in den 1950er Jahren, in gleicher Hinsicht wie in den USA der 1930er Jahre, ein Vertrauen in die Gesundheitszuträglichkeit der industriellen Massenkost vor. Fertiggerichte, Tiefkühlwaren und Konservendosen, die nun auf Ausflügen und Reisen genossen werden konnten, boomten.96 Die 1953 gegründete DGE empfahl zur Mitte der 1950er Jahre eine Kost, die zunächst der Vollwertkost widersprach, indem man beispielsweise Pfanni-Knödel, CocaCola, Weißzucker und Glutamat guthieß.97 Der Ernährungswohlstand und seine Auswirkungen veranlassten die Politik und Wissenschaft jedoch, die Ziele neu zu definieren und die aus frischer Pflanzenkost und wenig Fett bestehende Mischkost zu propagieren.98 Die DGE trat dabei gegen ungesunde Verhaltensweisen der Bevölkerung 92 Bohlmann, Johannes, Was sagt die Wissenschaft zu unserer täglichen Ernährung? Ein Versuch gemeinverständlicher Darstellung ernährungsphysiologischer Probleme, Gießen 1954. 93 Kofranyi, Ernst, Einführung in die Ernährungslehre, Frankfurt am Main 1960. 94 Vgl. Briesen 2010, 206-208; siehe auch Kofranyi, Kapitel „Die weltanschaulich begründeten Kostformen“, vgl. Kofranyi, Ernst, Einführung in die Ernährungslehre, 4. Auflage, Frankfurt am Main 1970, 210-211. 95 Vgl. Spiekermann 2001, 105. 96 Vgl. Katalogteil Sinalco-Epoche, Kapitel 6 Beschleunigung, in: Wien Museum/Breuss, Susanne, Hg., Die Sinalco-Epoche. Essen, Trinken, Konsumieren nach 1945, Wien 2005, 254. 97 Vgl. Briesen 2010, 204-205. 98 Vgl. Spiekermann 2001, 105. - 16 - auf, indem sie nun eine „vollwertige Ernährung“99 vertrat. Zudem ging sie seit 1968 die Verpflichtung ein, im Auftrag der Bundesregierung über den Ernährungsstand der Bevölkerung zu berichten.100 In deutschen Zeitungen war zum ersten Mal 1952 vom Übergewicht der Bevölkerung – bei Männern eineinhalb und bei Frauen ein Kilo – zu lesen.101 In den 1950er Jahren wurde Adipositas jedoch nicht – wie gegenwärtig von Experten – als Folge des Zusammenspiels von genetisch bedingtem Energiestoffwechsel und übermäßiger Kalorienzufuhr, sondern lediglich in Hinblick auf den zweiten Aspekt, als Bilanzproblem aufgrund übermäßiger Nahrungszufuhr, erachtet. Dieser Irrtum in der Pathogenese äußerte sich als folgenschwer, weil Adipositas als Bilanzproblem in der öffentlichen Wahrnehmung plausibel schien und sich seit den 1950er Jahren kurzfristige kalorienknappe Reduktionsdiäten bis in die Gegenwart großer Beliebtheit erfreuten.102 Im Zuge des Wohlstandskonsums und den negativen gesundheitlichen Konnotationen, die mit der Fettleibigkeit einhergingen, kann von einer endgültigen Durchsetzung von Schlankheitsidealen in den frühen 1960er Jahren ausgegangen werden.103 Schon seit Ende der 1950er Jahre äußerte sich Schlankheit als allgegenwärtiges Schönheitsideal. Eine neue, schlankere Generation von Models wie Suzy Parker unterschied sich deutlich von Vorgängerinnen wie Marylin Monroe104, und zur Mitte der 1960er Jahre erlebte die Schlankheitseuphorie mit dem umstrittenen Fotomodel Twiggy einen ersten Höhepunkt.105 In den 1950er Jahren waren Diäten in US-amerikanischen Frauenzeitschriften nach Mode das wichtigste Thema und vermehrt kamen Diätkochbücher auf den Markt.106 Statt den althergebrachten Abführ- und Entfettungsmitteln tauchten erstmals in Pulverform erhältliche Formula-Diäten auf. Ebenso boomten kalorienarme Produkte und Ersatzstoffe.107 Der Absatz von Produkten mit dem künstlichen Süßstoff Sodiumcyclamat vervielfachte sich und kalorienarme Sättiger wie Metrecal der Firma 99 Die vollwertige Ernährung wurde als Antwort auf die veränderten Lebensbedingungen seitens der DGE in einem ihrer frühen Ernährungsratgeber verlautbart, vgl. Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), ABC einer gesunden Ernährung, Kiel 1968, 7. 100 Vgl. Briesen 2010, 205-206. 101 Vgl. Andersen, Arne, Der Traum vom guten Leben. Alltags- und Konsumgeschichte vom Wirtschaftswunder bis heute, Frankfurt/New York 1999, 39. 102 Vgl. Pudel, Volker, Adipositas. Fortschritt der Psychotherapie, Göttingen u. a. 2003, 14 u. 17. 103 Vgl. Spiekermann 2008, 51; Montanari 1993, 203. 104 Vgl. Briesen 2010, 249. 105 Vgl. Loderhose/Hamm 1995, 34. 106 Vgl. Briesen 2010, 249-250. 107 Vgl. Spiekermann 2008, 51. - 17 - Mead und Johnson erfreuten sich großer Beliebtheit.108 Mit den 1963 in den USA vom Lebensmittelkonzern Heinz gegründeten Weight-Watchers wurden erstmals im Rahmen der propagierten Mischkost eine Fokussierung auf das Ernährungsverhalten und das Abnehmen in Gruppen anvisiert.109 2.5. Ernährung im Zeichen eines veränderten Gesundheits- und Körperbewusstseins in der Postmoderne In gleicher Art und Weise, wie die Kritik an der Lebensmittelqualität110 erfolgte, vollzog sich auch die Sorge um die Zusammensetzung der Kost und deren Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, die mit der Ausprägung eines postfordistischen Körperbewusstseins einherging. Ihren Ausgang nahm die Kritik am gesundheitsschädigenden Potential der modernen Ernährung in den 1960er Jahren in den USA im Zuge der USamerikanischen Framingham-Studie. Es handelte sich dabei um eine Langzeitstudie über den Zusammenhang von Lebensstilen und Herzkreislauferkrankungen, deren erste Forschungsphase von 1950 bis 1970 reichte. Der Studie zufolge begünstigten hohe Blutfettwerte das Entstehen von Atherosklerose111 und hoher Bluthochdruck das Zustandekommen von Herzinfarkten und Nierenversagen. Von den generellen negativen Folgen von Übergewicht, Rauchen und geringer sportlicher Aktivität wurde ebenfalls berichtet. Folgestudien der American Heart Association (1961), die vor dem Konsum von gesättigten Fettsäuren warnten, lösten 1961 trotz Gegenpositionen der Nahrungsmittelindustrie und der Federal Drug Aministration (FDA) eine erste Cholesterinphobie aus. Produzenten von Pflanzenölen und Margarine nutzten wiederum die Situation und unterstützen viele dieser Studien, um sie für die Bewerbung ihrer Produkte nutzen zu können.112 Ein weiteres Nahrungsmittel, das im Sog der Framingham-Studie in den Verdacht der Gesundheitsschädlichkeit geriet, war der Weißzucker. Der Ernährungswissenschaftler John Yudkin erbrachte Erkenntnisse, dass Zucker die Entstehung von Diabetes mellitus, Arthritis, Krebs und Herzerkrankungen begünstige, worauf sich 1967 108 Vgl. Briesen 2010, 249-250. Vgl. Maier, Karl, Diäten. 150 Schlankmacher im Test, Wien 1997, 267-268. 110 Als ein Ausgangspunkt der Kritik gilt die Studie „Before Silent Spring“ (1961) von Rachel Carson. Vgl. Briesen 2010, 251-252. 111 Vgl. Briesen 2010, 233; maßgeblich äußerten sich auch Folgestudien der „Homocystein-Theorie der Arteriosklerose“ (1969), die Gefäßwandveränderungen mit einem hohen Homoycsteinspiegel in Verbindung brachten. Es wurde bei hohem Spiegel, der unter anderem durch die Ernährungsweise beeinflusst werde, ein erhöhtes Koronarerkrankungsrisiko nachgewiesen. Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 259 u. 261. 112 Vgl. Briesen 2010, 257. 109 - 18 - eine erste Zuckerphobie in den USA ausbreitete.113 Neben der propagierten Meidung bestimmter Nahrungsmittel erlangten Nahrungsergänzungsmittel immer größere Popularität. Vitaminpräparate wurden als Kompensation für die aufgrund der industriellen Verarbeitung fehlenden Inhaltsstoffe von Nahrungsmitteln herangezogen. Ernährungswissenschaftler wie Adelle Davis befürworteten den Verzehr von Nahrungsergänzungsmitteln und Konzerne am Gesundheitsmarkt begrüßten die Tatsache, dass 1969 täglich 50 Prozent der US-Amerikanerinnen und Amerikaner diese einnahmen.114 Die Ergebnisse vorangegangener Studien und neuerliche Warnungen der American Heart Association und der American Medical Association zur Mitte der 1970er Jahre führten zu einer weitreichenden Skepsis gegenüber Nahrungsmittelbestandteilen. Dies löste eine Verzichtsethik auf bestimmte Nahrungsmittel aus, die mit dem Begriff „ egative utrition“115 von Warren J. Belasco beschrieben wurde. Diese Permanentdiät sah vor, gesättigte Fette, Salz und Zucker aus der Alltagskost zu verbannen. Sie widersetzte sich der „Basic-Four“116-Regel der Mischkost, sich von allem mäßig zu ernähren, der 1972 noch 85 Prozent der US-Amerikaner gefolgt waren. Als Grundlage diente das Maxim des ernährungsbewussten Verhaltens, das die Erhaltung der eigenen Gesundheit, die individuelle Verantwortung zur Gesundheitsprävention, statt dem blinden Vertrauen in die kurative Schulmedizin erstrebte. Die Aufrechterhaltung der Gesundheit wurde damit zur individuellen Herausforderung.117 Diese Herausforderung wurde einerseits in Hinblick auf die Verantwortung zur Gesunderhaltung des eigenen Körpers für zukünftige Lebensabschnitte, andererseits, in einem erweiterten Sinne, in Hinblick auf die Gesundheit des eigenen Körpers als Garant für Schönheit, Vitalität und Leistungsfähigkeit im hier und jetzt wahrgenommen. In den Vordergrund trat dabei auch die Selbstkonstruktion des Individuums im Kontext des Konsumierens. Das In-FormBringen des Körpers durch sportliche Tätigkeit und der Konsum von Produkten, die Gesundheit und Schönheit garantierten, hoben im Sinne einer „Differenzideologie“ das Individuum von der Masse ab und steigerten dessen Wert.118 Der Körper wurde zur Projektionsfläche und zum Bewährungsfeld der Sehnsüchte, Träume und Wünsche, die 113 Vgl. Briesen 2010, 260. Vgl. Briesen 2010, 253-254. 115 Briesen 2010, 274. 116 Briesen 2010, 264. 117 Vgl. Briesen 2010, 262-265. 118 Eder, Franz X., Privater Konsum und Haushaltseinkommen im 20. Jahrhundert, in: Eder, Franz X. u. a., Hg., Wien im 20. Jahrhundert. Wirtschaft, Bevölkerung, Konsum, Wien 2003, 249. 114 - 19 - von Anbietern unter Miteinbeziehung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse am Gesundheitsmarkt bedient und deren Bedeutung als Mittel zur Senkung der Ausgaben im Gesundheitswesen seitens der Politik erkannt wurde.119 Die Veränderung der Körperbilder und Lebensstile bedingte, dass ein umfassendes Konzept von Gesundheit in den Ernährungskontext einfloss: „Nahrung nährt[e] nicht mehr, sie wirkt[e].“120. Verschiedenste Aspekte bedingten eine zunehmende Verschränkung von Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein. Erstens äußerte sich die Durchsetzung einer alle gesellschaftliche Schichten erfassenden Schlankheitsideologie. Dickleibigkeit wurde als Folge falscher Ernährung und als sichtbarer Ausdruck mangelnder Disziplin des Individuums wahrgenommen. Das Körpergewicht besaß für das Individuum identitätsstiftendes und für die Gesellschaft sinnstiftendes Potential, die es erlaubten, aufgrund des Gewichtes gesellschaftliche Rangplätze zuzuweisen.121 Das Ideal des schlanken Körpers wurde durch die Medien verbreitet und verursachte vor allem unter Frauen eine zunehmende Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, die sich auch in Formen von Untergewicht und Magersucht ausprägte.122 Des Weiteren bedingte die Gesundheitswelle der 1970er Jahre123 die Verbreitung von Küchentrends, wie die ovelle Cuisine als leichte Variante der üppigen Haute Cuisine.124 Sie erfreute sich zusammen mit der Entdeckung kulinarischer Vielfalt der EthnoKüchen125 und dem durch die Slow-Food-Bewegung initiierten genussorientierten Verzehr regionaler Spezialitäten126 großer Beliebtheit. Gesundheits- und Genussorientierung zum Wohle des Körpers blieb dabei jedoch Besserverdienern vorbehalten.127 Demgegenüber wurden vor allem unter den weniger Wohlhabenden die industrielle Massenkost und Fast Food als Alltagskost verzehrt.128 119 Vgl. Spiekermann 2008, 52-53. Horx, Matthias, Vom Global Food zur Bio-Welle, in: Der Förderdienst 46/2 (1998), 46. 121 Vgl. Klotter 2008, 29-30. 122 Vgl. Mörixbauer, Angela/Groll, Markus, Die 50 größten Diät-Lügen! Die gängigsten Irrtümer rund um Kilos, Kalorien & Schlankheitskuren, Wien 2005, 43-44. 123 Vgl. Spiekermann 2008, 51. 124 Vgl. Briesen 2010, 266. 125 Vgl. Briesen 2010, 265. 126 Vgl. Petrini, Carlo, Slow Food. Geniessen mit Verstand, Zürich 2003. 127 Vgl. Kreisky 2008, 156. 128 Vgl. Briesen 2010, 265-266. 120 - 20 - Für die Nahrungsmittelindustrie erbrachte die Vermarktung neuer Produkte Gewinne auf den seit den 1960er Jahren gesättigten Märkten.129 Lebensmittelkonzerne setzten auf Light-Produkte ohne die als gefährlich eingestuften Bestandteile der Nahrung – allen voran Zucker, gesättigte Fettsäuren, Salz und Kalorien.130 Wurden in den 1980er Jahren nun vermehrt Light-Produkte in den Supermärkten angeboten,131 so begann die systematische Erforschung gesundheitlicher Aspekte in der Lebensmittelnachfrage erst in den 1990er Jahren und ist daher „vergleichsweise jung“.132 In den letzten Jahren ging der Schlankheitsmittelmarkt zurück, während ärztliche Dienstleitungen und die Vermarktung von Functional Food zunahmen. Dabei äußerte sich die Tendenz der Koppelung von Functional Food und Light-Produkten.133 Seit den frühen 2000er Jahren machen FoodProdukte einen großen Anteil des deutschen Wellnessmarktes aus.134 Zunehmend setzten sich auch Lifestyle-Drogen durch. Der Begriff „cosmetic psychopharmacology“ bezieht sich dabei auf die Tendenz, individuelles Wohlbefinden im Alltag durch Medikamente herzustellen.135 Demgegenüber äußerte sich jedoch auch eine kritische Distanz zu Ersatzstoffen in gesundheitsversprechenden und kalorienreduzierten Produkten, wobei argumentiert wurde, dass diese der Gesundheit auch abträglich seien. Dies betraf beispielsweise den Verdacht auf das karzinogene Potential des Süßstoffs Saccharin als auch den Verdacht, dass der Süßstoff Aspartam das Entstehen von Multipler Sklerose, Alzheimer und Parkinson begünstige. Auch die Verwendung von Transfetten bei der Herstellung von Margarinen wurde in Zusammenhang mit der Cholesterinproblematik diskutiert.136 Schließlich widmete sich die Politik der gesunden Ernährung. In vielen Staaten wurden die steigenden Kosten im Gesundheitswesen unter anderem auf eine falsche Ernährung zurückgeführt und Ernährungsziele dementsprechend formuliert.137 Wurde auf internationaler Ebene die Ernährung in den Health-for-All-Zielsetzungen der WHO zur 129 Vgl. Spiekermann 2008, 51. Vgl. Briesen 2010, 261; vgl. Spiekermann 2008, 51-52. 131 Vgl. Eder 2011, 291. 132 Thiele, Silke, Die Nachfrage nach Ernährungsqualität als Gesundheitsaspekt in der Lebensmittelnachfrage, in: Schriften der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaues e. V., 37 (2001), 295. 133 Vgl. Spiekermann 2008, 52. 134 Vgl. Kickbusch 2006, 83. 135 Kickbusch 2006, 46-47. 136 Vgl. Briesen 2010, 269-270. 137 Vgl. Spiekermann 2001, 106. 130 - 21 - Sicherung eines sozial und ökonomisch produktiven Lebens bedacht,138 so wurde sie 1986 in der WHO-Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung, welche die Verantwortung aller Politikbereiche anvisierte, bereits als Grundbedingung für Gesundheit in allen Staaten genannt.139 In den USA äußerte sich die Individualisierung der Sozialmedizin als Vorreiter dieser Entwicklungen. Betrieben wurde die Gesundheitsförderung (Health Promotion), die unter anderem auf die Folgen von Fehlernährung und Genussmittelkonsum hinwies, bereits in der Ära Carter ab 1977, und dies von verschiedensten Organen, wie beispielsweise von Behörden, Ärzten, Gesundheitspädagogen, Sozialarbeitern, Firmenleitungen und Krankenversicherungen.140 Die egative utrition fand in Einklang mit den Ratschlägen des ational Research Council, des ational Cancer Institute und der American Medical Association noch in den 1970er Jahren direkt Eingang in den Senat, der die Empfehlung an die Bevölkerung richtete, weniger gesättigte Fettsäuren, Cholesterin, Salz und Zucker zu konsumieren und generell Kalorien zu meiden. 1992 veröffentlichte das US-amerikanische Landwirtschaftsministerium die Food Guide Pyramid, die eine endgültige Abkehr von der Eiweißlehre besiegelte und als universeller Ernährungsratschlag für alle US-Bürger konzipiert war. Neue gesetzliche Regelungen des Food-Labelling erfolgten 1994 mit der Angabe von Kalorienmengen und 2006 mit der Deklarationspflicht künstlich gehärteter Fette auf Verpackungen.141 Detlef Briesen verdeutlicht jedoch, dass sich die präventive Wende in den USA, vor allem in Hinblick auf Lebensstilveränderungen, nicht wie erhofft durchsetzte.142 Auch in den deutschsprachigen Ländern, in denen eine Gesundheitsförderung im Bereich der Ernährung anvisiert wurde, äußerte sich eine Diskrepanz zwischen dem Wissens um die gesunde Ernährung und dem tatsächlichen Handeln der Menschen.143 Die WHO erklärte 1997 Adipositas zu einer weltweiten Seuche und im deutschsprachigen Raum veröffentlichte das Robert Koch-Institut 1999 alarmierende Ergebnisse, die auf eine Adipositas bei knapp einem Fünftel der Männer und über einem Fünftel der Frauen verwiesen, während nur bei einem bescheidenen Drittel der Männer und bei zwei Fünftel 138 Vgl. WHO Health Report, Executive Summary, http://www.who.int/whr/1998/media_centre/ executive_summary6/en/ (20.11.2013). 139 Siehe Wortlaut der WHO-Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung im Anhang von: Amann, Gabriele/Wipplinger, Rudolf, Hg., Gesundheitsförderung. Ein multidimensionales Tätigkeitsfeld, Tübingen 1998, 555. 140 Vgl. Briesen 2010, 324. 141 Vgl. Briesen 2010, 264-271. 142 Vgl. Briesen 2010, 328. 143 Vgl. Pudel, Volker, Psychologie des Essens, in: Escher, Felix/Buddeberg, Claus, Hg., Essen und Trinken zwischen Ernährung, Kult und Kultur, Zürich 2003, 124-126; vgl. Weiss 2007, 104. - 22 - der Frauen von einem Normal- oder Idealgewicht ausgegangen werden konnte.144 Folglich sah sich die WHO auch nach dem Jahr 2000 immer wieder dazu veranlasst, Strategien zu einer nachhaltigen Ernährung an politische Entscheidungsträger heranzutragen. Ein Beispiel hierfür war der 2001 von der WHO ins Leben gerufene Aktionsplan für eine Lebensmittel- und Ernährungspolitik 2000 – 2005.145 Im Jahr 2007 wurde von der britischen Regierung ein Werbeverbot für Fast Food im Kinderfernsehen in die Wege geleitet und eine Mehrwertsteuererhöhung für ungesunde Lebensmittel diskutiert. Von der deutschen Politik wurde ein „Dicken-Malus“ in den Krankenkassenbeiträgen erwogen, der jedoch von der Mehrheit der Bevölkerung – trotz allgegenwärtiger Schuldzuschreibungen im öffentlichen Bewusstsein – abgelehnt wurde.146 In der aktuellen Debatte gehen Henning Schmidt-Semisch und Friedrich Schorb davon aus, dass von rigideren Maßnahmen in der Verfechtung der Gesundheitsgesellschaft noch abgesehen wird, weil geläufige Wertvorstellungen Genuss, Erlebnis und Konsum präferieren.147 In Aussagen von Politikern wie beispielsweise der deutschen Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Renate Künast, die Konsequenzen für ungesunde Ernährungspraktiken forderte, sehen sie jedoch eine Orientierung hin zu schärferen Maßnahmen gegen Präventionsverweigerer.148 2.6. Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein in Österreich seit 1945 Nach den Entbehrungen der Mangeljahre und der daraufhin erfolgten „Fresswelle“ und Sättigung äußerte sich in den 1960er Jahren eine Angebotsvielfalt zunächst in Selbstbedienungsläden und ab den 1970er Jahren in Supermärkten.149 Mit der Veränderung der Einkaufsgewohnheiten ging auch ein Wandel der Ernährungspraktiken einher. Waren Fertigprodukte, die ein ,schnelles Essen‘ ermöglichten, bereits in den 1950er Jahren verbreitet, so hielt der Fast-Food-Trend gegen Ende der 1970er Jahre mit der Eröffnung der ersten österreichischen McDonald’s-Filiale am Schwarzenbergplatz in 144 Vgl. Spiekermann 2008, 35. Vgl. Weiss 2007, 98. 146 Kreisky 2008, 143. 147 Vgl. Schmidt-Semisch, Henning/Schorb, Friedrich, Einleitung, in: Schmidt-Semisch, Henning/Schorb Friedrich, Kreuzzug gegen Fette. Sozialwissenschaftliche Aspekte des gesellschaftlichen Umgangs mit Übergewicht und Adipositas, Wiesbaden 2008, 12. 148 Vgl. Schmidt-Semisch/Schorb 2008, 12-13. 149 Eder 2011, 290-291; vgl. Kühschelm, Oliver, Selbstbedienung und Supermärkte. Das Versprechen von Zeitersparnis, Wahlfreiheit und unerschöpfliche Fülle, in: Wien Museum/Breuss, Susanne, Hg., Die Sinalco-Epoche. Essen, Trinken, Konsumieren nach 1945, Wien 2005, 51 u. 57-58. 145 - 23 - Wien Einzug.150 Gleichzeitig zeigte sich erstmals nach 1945 eine ernährungsbezogene Gesundheitsorientierung im Produktangebot von Supermärkten, die vor allem seit den 1980er Jahren Light-Produkte verkauften. Gesundheit, Schlankheit und Vitalität als Maxime der Postmoderne äußerten sich zudem in einem immer größer werdenden Angebot von Functional Food am österreichischen Markt.151 Der Österreichische Lebensmittelbericht 2002 verwies jedoch auch darauf, dass die Österreicherinnen und Österreicher mit dem Begriff ‚gesunde Ernährung‘ den täglichen Verzehr von Obst und Gemüse, „einmal am Tag warmes Essen“ und „frisch zubereitete Speisen“ assoziierten. Verzichtshaltungen fanden diesbezüglich wenig Anklang und im Stress des Alltags wurde der Grund für ungesunde Ernährung verortet. Ein größeres Interesse für gesunde Ernährung zeigten tendenziell eher Frauen, Ältere und höher Gebildete.152 Vielfach wurde in Österreich während der 1990er Jahre auch auf ein falsches Ernährungsverhalten seitens der Medien hingewiesen.153 Berichte über den Ernährungsalltag der Österreicherinnen und Österreicher sprachen von Widerständen dieser gegen gesundes Essen154, welche die Historikerin Susanne Breuss auf eine traditionelle Genussorientierung des „genusssüchtigen, sinnen- und gaumenfreudigen Österreichs bzw. Wiens“ zurückführt.155 Im tatsächlichen Verzehr seit 1945 zeigten Konsumerhebungen die grundsätzliche Tendenz, dass vor allem der Konsum von Schwarzbrot und Kartoffeln und seit Ende der 1950er Jahre auch der Milchkonsum rückläufig waren. Die österreichische Kost in den 1960er bis 1980er Jahren gestaltete sich relativ kalorienreich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern.156 Veränderungen der Essgewohnheiten waren dabei auch immer Ausdruck von ernährungskulturellen Neuerungen. Erfreute sich der Verzehr von Schweinefleisch nach wie vor großer Beliebtheit, so nahm der Rindfleischkonsum ab, der sich kontinuierlich seit den 1970er Jahren157 und besonders zur Zeit der BSE-Krise gegen 150 Vgl. Katalogteil Sinalco-Epoche, Kapitel 6 Beschleunigung 2005, 252-254. Vgl. Eder 2011, 291. 152 Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasser (BMLFUW), 2. Lebensmittelbericht Österreich. Die Entwicklung des Lebensmittelsektors von 1995 bis 2002, Wien 2003, 77. 153 Vgl. Breuss, Susanne, Einverleibte Heimat. Österreichs kulinarische Gedächtnisorte, in: Brix, Emil/Bruckmüller, Ernst/Stekl, Hannes, Hg., Memoria Austria I. Menschen, Mythen, Zeiten, Wien 2004, 302. 154 Susanne Breuss verweist auf den Ernährungsreport „Kochtopf Soziologie“ von Roland Bettschart im Profil Nr.30/1994, 52, vgl. Breuss 2004, 302. 155 Breuss 2004, 302. 156 Vgl. Eder 2003, 230-231. 157 Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 3. 151 - 24 - Ende der 1990er Jahre158 reduzierte. Andererseits nahm der Verzehr von kalorienarmem Geflügel und Fisch seit den 1980er Jahren zu.159 Zur Jahrtausendwende betrafen ernährungsbedingte Trends das Außer-Haus-Essen160, die Verwendung von Bioprodukten161 und die Vorliebe für Frischwaren und vegetarische Ernährung162. Diese entsprachen auch den übergeordneten Gewohnheiten im Lebensmittelverzehr, die einerseits den Konsum von Fertigprodukten, eine bewusste Genuss- und FeinschmeckerOrientierung und andererseits gesundheitsorientierte Lebensgewohnheiten und Wohlbefinden beinhalteten.163 Im Österreichischen Ernährungsbericht 1982, der unter anderem die Wiener Gesundheitsstudie 1979 zitierte, waren nach dem Broca-Index164 15 Prozent der 40-jährigen Österreicherinnen und Österreicher als übergewichtig einzustufen, während Übergewicht tendenziell mit dem Alter zunahm.165 Es äußerte sich zwischen 1991 und 1999 eine Zunahme jener Übergewichtigen mit einem Body-MassIndex (BMI)166 zwischen 26 und 30 von 26,7 auf 27,6 Prozent bei den Männern und von 16,7 auf 17,1 Prozent bei den Frauen.167 Von einer Adipositas war 1999 bei 9,1 Prozent der Gesamtbevölkerung auszugehen.168 Bei den 20- bis 35-Jährigen war Übergewicht insgesamt weniger ausgeprägt als bei der Altersgruppe der 36- bis über 60-Jährigen, wobei größere Unterschiede der Geschlechter, nämlich Übergewicht bei den Männern in der Altersgruppe der über 36-Jährigen, feststellbar waren.169 Betreffend die Zufriedenheit 158 Vgl. BLMFUW, 2. Lebensmittelbericht 2003, 26. Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 3. 160 Vgl. BLMFUW, 2.Lebensmittelbericht 2003, 10. 161 Vgl. BLMFUW, 2.Lebensmittelbericht 2003, 68. 162 Vgl. BLMFUW, 2.Lebensmittelbericht 2003, 11. 163 Vgl. BLMFUW, 2.Lebensmittelbericht 2003, 64-65. 164 Im Österreichischen Ernährungsbericht 1982 wurde pathologisches Übergewicht bei Broca + 10 bis 30 % festgelegt und bei einem erhöhten Körpergewicht von 30 % über dem Normalgewicht nach Broca von einem erhöhten Sterblichkeitsrisiko von 10 % ausgegangen. Vgl. Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz, Österreichischer Ernährungsbericht 1982, Wien 1982, 43-44; Die Berechnung des Körpergewichtes mit dem BROCA-Index – Körpergröße in cm minus 100 als Normalgewicht – erfolgte erstmals 1868 vom französischen Anthropologen D. Broca; vgl. Merta 2008, 158. 165 Vgl. BMFGU, Österreichischer Ernährungsbericht 1982, 48-49. 166 Nach der Eurostat-Definition aus dem Jahr 2000 handelt es sich bei einem BMI von 21 bis 26 kg/m² um Normalgewicht, bei 26 bis 30 kg/m² um Übergewicht, bei über 30 kg/m² um starkes Übergewicht und bei einem BMI von 18 bis unter 21 kg/m² um Untergewicht, beziehungsweise starkes Untergewicht bei unter 18 kg/m², vgl. Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (BMFGF), Gesundheit und Krankheit in Österreich 2004. Gesundheitsbericht Österreich 2004. Berichtzeitraum 1992-2001, Wien 2004, 21. er BodyMass-Index ersetzte in den 1990er Jahren den Broca-Index, weil festgestellt wurde, dass dieser zu wenig auf den individuellen Fall, die tatsächliche Körperfettbemessung einging und Ungenauigkeiten in der Übergewichtsmessung bei großen und kleinen Körpergrößen mit sich brachte. Vgl. Loderhose/Hamm 1995, 38-39. 167 Vgl. BMFGF, Gesundheit und Krankheit in Österreich 2004, 21. 168 Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, Wien 2003, 257. 169 Vgl. Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Wien (IfEUW), Österreichischer Ernährungsbericht 1998, Wien 1998, 185-187. 159 - 25 - mit dem eigenen Gewicht zeigte sich, dass vor allem weibliche Jugendliche, nämlich 50 Prozent, mit ihrem Körpergewicht zwischen 1998 und 2003 unzufrieden waren und Anlass zum Abnehmen sahen. Unzufriedenheit als Motiv zeigte sich auch bei den Erwachsenen, wenngleich diese in der Altersgruppe der 20- bis 29-jährigen Frauen nur 13 Prozent betraf und im Alter auf 37,5 Prozent der 60-Jährigen zutraf.170 In Österreich erfolgt die ernährungsbezogene Gesundheitsförderung seit 1945 sowohl auf staatlicher als auch nicht staatlicher Ebene. Ein grundlegender nicht staatlicher Träger ist die Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE), die 1951 mit dem Ziel der Förderung der Ernährungsforschung, der Gesundheitsförderung und der Öffentlichkeitsarbeit gegründet wurde.171 Auf internationaler politischer Ebene wurden auf Basis der Gesundheit-für-Alle-Ziele (1977) der WHO und den Zielsetzungen der Ottawa-Charta (1986) das WHO-Gesunde-Städte-Projekt (Health Cities) 1987 in die Wege geleitet. Der Beitritt Wiens zu diesem Projekt im Jahr 1988 ging einher mit dem dreijährigen Pilotprojekt etzwerk Ernährung am Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Wien. Ziel war es, die Strukturen der Ernährungsinformation und -beratung zu verbessern.172 Das Österreichische Gesunde Städte das Österreichische etzwerk (ÖGSN) wurde 1992 und etzwerk Gesundheitsfördernder Schulen 1993 gegründet. Überdies setzte man auf gesundheitsfördernde Initiativen im Bereich der Krankenhäuser und Betriebe. Mit dem Fonds Gesundes Österreich wurden seit 1998 450 Maßnahmen und Projekte im Bereich der Primärprävention umgesetzt.173 Auf die Einrichtung einer Ernährungs-Hotline im Jahr 1999 folgte die Broschüre Ernährung: Bewusst lebt besser, die mit 210.000 Exemplaren Verbreitung fand. Des Weiteren rief der Fonds die Aktion Bewusst isst besser ins Leben, an der 186 Gastronomiebetriebe teilnahmen und als tägliche Menükomponente in ihren Gaststätten eine gesunde Speisevariation anboten. Am österreichischen Betriebsküchenwettbewerb, den der Fonds im Jahr 2002 initiierte, partizipierten 45 österreichische Betriebe, die mit ‚besonders gesunden Gerichten‘ ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versorgten.174 Die Ergebnisse der 1991 vom Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Wien begonnene Studie zum Ernährungsstatus (ÖSES) der österreichischen Bevölkerung wurden im ersten Wiener Ernährungsbericht 170 Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 13-14. Vgl. Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE), http://www.oege.at/index.php/ueber-uns/28ueber-uns/1886-ueberuns-intro-historie (19.12.2013). 172 Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 296-297. 173 Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 282. 174 Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 291-294. 171 - 26 - (1994) und zusammen mit Richtlinien für eine gesunde Ernährung im Österreichischen Ernährungsbericht 1998 präsentiert.175 Der Ernährungsbericht, der in Folge auch 2003 und 2008 erschien, wurde als eines der „wichtigsten Instrumente zur Optimierung der Ernährungssituation in Österreich“ verstanden.176 Zur Verbesserung der Ernährungssituation wurden lebensmittel- statt nährstoffbasierte Richtlinien als geeignete gesundheitspolitische Maßnahme im Österreichischen Ernährungsbericht 2003 vertreten.177 Die zentralen Aspekte der Ernährungsrichtlinien beinhalten eine „vielseitige Ernährung“, „mehr kohlenhydrathaltige Speisen […] und weniger Gebackenes“, den Verzehr von Obst und Gemüse nach der „‚Nimm 5 am Tag‘-Regel“, wenig Konsum von fettreichen Lebensmitteln, viel Flüssigkeitszufuhr, genussvolles Essen und körperliche Bewegung und Fitness.178 Da die Umsetzung der Ziele einer nachhaltigen und gesunden Ernährung sich als schwierig herausstellt, werden in Österreich nach wie vor Maßnahmen und Strategien diskutiert.179 175 Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 9. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 314. 177 Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 306. 178 IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 311-314. 179 Vgl. Astleithner/Brunner 2007, 216. 176 - 27 - 3. Kulinarischer Journalismus, Ernährungs- und Gesundheitskommunikation Der deutsche Food Editors Club, der 1968 gegründet wurde und dem eigenen Angaben zufolge „die wichtigsten Journalisten […], die sich mit Kochen, Essen und Trinken, Tischkultur, Ernährungswissenschaft und so weiter befassen“180, angehören, definiert das Ziel des kulinarischen Journalismus folgendermaßen: „[…] die Feinschmeckerei mit dem sich ständig erweiternden Wissen über Lebensmittel und ihre Verarbeitung in Einklang zu halten.“181 Dass der kulinarische Journalismus als Teil der Medien „immer neue Debatten über unsere Art von Essen und Ernährung“182 mitgestaltet, die über die Thematisierung der ‚Feinschmeckerei‘ hinausgehen, scheint schon alleine aufgrund der informierenden und ratgebenden Artikel und der vorzufindenden Lebensmittelwerbung vieler Magazine offenkundig. Im Folgenden wird auf diese Tatsache näher eingegangen. 3.1. Die Charakteristik des kulinarischen Journalismus Der kulinarische Journalismus bedient neben Medien wie dem Fernsehen, dem Hörfunk und dem Internet vorzugsweise den Printjournalismus.183 Richten sich Fachzeitschriften mit ihrem Spezialwissen an professionelle Fachleute in der Branche, so adressieren Publikumszeitschriften, wie kulinarische Special-Interest-Publikationen, die an Essen und Kulinarik interessierte Allgemeinheit.184 Kulinarische Magazine finden sich auf dem deutschsprachigen Markt seit den 1970er Jahren. Beispielsweise betrifft dies den Feinschmecker als auch Besser’s Gourmetjournal, das 1978 vom Gastronomie-Kritiker Klaus Besser gegründet wurde. Bedeutend für den österreichischen Markt äußern sich das seit 1983 erscheinende Gusto-Journal und das vergleichsweise jüngere GenussMagazin.185 Einer Studie zum Berufsfeld des kulinarischen Journalismus aus dem Jahr 1993 zufolge, beinhalteten die vorrangigen Themenschwerpunkte innerhalb der Profession die Aspekte Küche, Kochen und Kochbücher mit 23 Prozent und gesunde Ernährung mit 22 Prozent Anteil an der Themenfokussierung. Kulinarische Journalistinnen und Journalisten 180 Food Editors Club, http://www.foodeditorsclub.de/site/s2.htm (19.08.2013). Food Editors Club, http://www.foodeditorsclub.de/site/s2.htm (19.08.2013). 182 Köstlin 2006, 9. 183 Vgl. Schernhorst, Helmut, Kulinarischer Journalismus, unveröffentlichte phil. Diplomarbeit, Universität Wien 2009, 76. 184 Vgl. Menhard, Edigma/Treede, Tilo, Die Zeitschrift. Von der Idee bis zur Vermarktung, Konstanz 2004, 21-23. 185 Vgl. Schernhorst 2009, 76-78. 181 - 28 - beschäftigten sich in den frühen 1990er Jahren überdies mit speziellen Zubereitungen und besonderen Küchenpraktiken (13 Prozent) und schließlich mit dem Markt und damit zusammenhängenden Aspekten wie dem Handel, der Verpackung und Warenkunde (11 Prozent). Ebenfalls genannt wurden die Themen nationale und internationale Küchen, Länderschwerpunkte, Kücheneinrichtungen und Tischdekorationen. Das journalistische Sendungsbewusstsein betraf nach der Esskultur das Thema Gesundheit noch vor Hilfestellungen in Sachen Zubereitung und Produktinformationen.186 Der kulinarische Journalismus teilt mit anderen Bereichen des Fachjournalismus den grundsätzlichen journalistischen Kommunikationsprozess, wobei die kulinarische Botschaft gemäß den Eigenheiten des Mediums eine Zielgruppe anvisiert und schließlich vom Empfänger oder der Empfängerin selektiv aufgenommen wird. Die Leserschaft betraf 1993 primär Personen mittleren Lebensalters, vor allem Frauen, gut Gebildete und Besserverdienende. 187 Sie äußerten sich einerseits als unmittelbare Umsatzbringer und garantieren andererseits das Interesse der Anzeigenkunden an der Zeitschrift.188 Eine zielgruppengenaue Leserinnen- und Leserausrichtung wurde in Zeiten sich verknappender Werbeetats immer bedeutender. Diesbezüglich erwiesen sich eine regelmäßige Analyse der Leserschaft über Leserbriefe, die indirekte Werbeträgerforschung und die Publikumsforschung, im Rahmen von Fragebögen oder Marktforschungsinterviews, als unumgänglich in der Branche.189 Den Wünschen der Leserschaft wird üblicherweise mittels einer ausgeklügelten Heftdramaturgie Rechnung getragen, die zwischen gleichbleibenden, dem Genre entsprechenden üblichen und abwechslungsversprechenden Strukturen zu verorten ist.190 Editorial, Rezepte, Reportagen, Berichte, Kommentare, Kolumnen und Serviceteile werden dementsprechend gestaltet und ständig verändert. Das Schreiben über das Essen stellt die Grundlage des kulinarischen Journalismus dar und ist immer an Sinnesvokabularien gebunden, die nicht zuletzt durch die hervorragende Bedeutung der professionellen Sensorik für die Lebensmittelwirtschaft und durch die neue alltägliche Genussorientierung, im Rahmen von Erscheinungen wie Slow Food, in 186 Vgl. Bayer, Otto, Kulinarische Fachjournalisten – Berufsbild, Adressaten, Meinungen. Theoretische Überlegungen und empirische Ergebnisse, in: Weggemann, Sigrid/Ziche, Joachim, Hg., Soziologische und humanethologische Aspekte des Ernährungsverhaltens. Strategien und Maßnahmen, Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Ernährungsverhalten e.V., Band 9, Beiheft der Zeitschrift Ernährungs-Umschau, Breidenstein 1993, 110-112. 187 Vgl. Bayer 1993, 109-111. 188 Vgl. Meenhard/Treede 2004, 80. 189 Vgl. Meenhard/Treede 2004, 86-90. 190 Vgl. Meenhard/Treede 2004, 96-97. - 29 - den letzten Jahren neue Höhenflüge erlebte.191 Neben der Sprache äußert sich besonders die visuelle Gestaltung, die Verwendung von Bildern im Kontext des Gesamtlayouts von Zeitschriften, als bedeutsam.192 Dies bedingt, dass die Food-Photography in den letzten Jahren die Gaumenfreuden und die Lust am Essen mitbestimmte und in mancher Hinsicht auch erst hervorbrachte, wie Konrad Köstlin meinte: „Das Fotografieren schafft nicht nur neue Ästhetisierung des Essens ins Bild – es manifestiert auch die Ausdrücklichkeit und die Besonderheit des bisher Alltäglichen als neue Qualität.“193 3.2. Das Gusto-Journal als Ernährungs- und Gesundheitskommunikator und als Diskursakteur Trägt der Food-Journalismus unbestreitbar zum Ernährungsverhalten von Menschen bei, so bleibt die genaue Zuschreibung seiner Wirkung jedoch ungeklärt. Schnelllebige und facettenreiche Ernährungstrends überlagern sich oftmals, was eine eindeutige Zuschreibung und Erfassung ihres Potentials erschwert.194 Abgesehen von der Schwierigkeit des faktischen Ermessens der medialen Wirkung steht jedoch außer Frage, dass Berichte, Reportagen und Nachrichten in Zeitschriften Ausdruck des sozialen Mainstreams und somit Träger von Diskursen sind, die ihrerseits selbst Diskurse mitgestalten.195 Der kulinarische Journalismus reagiert auf Entwicklungen in der Gesellschaft und trägt zu diesen Entwicklungen auch bei. Aus konstruktivistischer Perspektive nimmt der Journalist dabei keineswegs eine passive Rolle ein, sondern tritt ebenso wie der Rezipient oder die Rezipientin als aktiver Konstrukteur der Wirklichkeit in Erscheinung.196 Vorstellungen über gutes und richtiges Essen sind dabei Teil der Botschaften. Im Gusto-Journal ließ sich bereits in der Anfangsphase eine Fokussierung erkennen, wobei man neben Rezepten, Restaurantpräsentationen und kulinarischen Reiseimpressionen einen ernährungs- und gesundheitsinformativen Schwerpunkt setzte. Die Vermittlung des Stellenwerts einer gesunden und körperbedachten Ernährung tauchte in ratgebenden Artikeln beispielsweise innerhalb der Rubriken Diätredaktion ab 1983, Bewusstes Leben ab 1986, Satt und Schlank zur Mitte der 1990er Jahre und in einer Reihe 191 Vgl. Ptach, Cornelia, Sensorik in der Kulinaristik, in: Wierlacher, Alois/Bendix, Regina, Hg., Kulinaristik. Forschung – Lehre – Praxis, Berlin 2008, 99. 192 Vgl. Menhard/Treede 2004, 109. 193 Vgl. Köstlin, Konrad, Die Industrialisierung der Tradition, in: Lysaght, Patricia/Burckhardt-Seebass, Christine, Changing Tastes. Food Culture and Processes of Industrialization, Basel 2004, 125. 194 Vgl. Bayer 1993, 112. 195 Vgl. Mautner, Gerlinde, Analysing Newspapers, Magazines and Other Print Media, in: Wodak, Ruth/Krzyzanowski, Michal, Hg., Qualitative Discourse Analysis in the Social Sciences, London 2008, 32. 196 Vgl. Pörksen, Bernhard, Konstruktivismus, in: Weischenberg, Siegfried/Kleinsteuber, Hans J./Pörksen, Bernhard, Handbuch Journalismus und Medien, Konstanz 2005, 179-180. - 30 - von Gusto-Spezialbeiträgen in den frühen 2000er Jahren auf. Neben diesen ratgebenden, informierenden und meinungsbetonenden Artikeln, die am ehesten der zeitschriftenspezifischen Darstellungsform des argumentativen oder abwägenden Kommentars197 entsprechen, widmeten sich auch Standardseiten198 dem Thema Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein. In den frühen 1980er Jahren beinhaltete beispielsweise der monatliche Vierwochenspeiseplan Schlankheitsdiäten199. Während man in den frühen 1980er Jahren für Diabetiker und Diabetikerinnen eigene Rezepte200 gestaltete, wurden die Nährwertangaben zu den Rezepten, die zunächst lediglich den Brennwert enthielten, Ende der 1980er detaillierter und durch Cholesterinangaben ergänzt.201 Informationen über die Gesundheitszuträglichkeit von Nahrungsmitteln fanden sich ebenfalls in standardisierten Rubriken, wie Kurz und Gut202 zu Beginn der 1990er Jahre. Waren auch Diät-Assistentinnen Teil der Gusto-Redaktion, so wurden in den 1980er Jahren sogar Ernährungsmediziner in Ernährungsfragen herangezogen.203 Neben staatlichen Institutionen als Kommunikatoren der gesunden Ernährung kamen vor allem in den Rubriken auch nicht staatliche Träger der Gesundheitsförderung, wie die ÖGE204 oder der Verband der Ernährungswissenschafter (VEÖ)205, zu Wort. Abgesehen von der Medienanwaltschaft zur gesunden Ernährung206 im Agenda-Setting207 des Magazins, erfolgten Informationen aus der Lebensmittelwirtschaft und den am Markt erhältlichen Produkten bereits seit dem Jahr 1984 in der Rubrik Produkte208. 197 Vgl. Menhard/Treede, 140. Vgl. Menhard/Treede, 102. 199 Vgl. Inhaltsverzeichnis Gusto 6/1983, 3. 200 Vgl. Gusto 2/1983, 54; Gusto 6/1984, 14. 201 Vgl. Gusto 3/1989, 3. 202 Siehe die Vorstellung der Rubrik durch den Chefredakteur im Editorial der Juni-Ausgabe 1992, vgl. Gusto 6/1992, 3. 203 Vgl. Gusto 3/1989, 6. 204 Vgl. Gusto 19/1992, 7; 2/1994, 7. 205 Vgl. Gusto 7/1995. 206 Annette Seibt definiert gesundheitsorientierte Medienanwaltschaft als „eine Strategie, die öffentlichen und privaten Medien als Informationsträger und Ressource gezielt(er) für soziale bzw. gesundheitliche Anliegen zu nutzen“, Seibt, Annette C., Medienanwaltschaft: Interessenvertretung über die Medien und Agenda-Setting, in: Blümel, Stephan u. a., Hg., Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden, Gamburg 2011, 374. 207 Der Begriff umschreibt den Einfluss der Medien auf die öffentliche Themenfokussierung. McCombs und Shaw benutzten diesen erstmals in ihren Studien zu den US-amerikanischen Präsidentschaftskampagnen 1968, Mc Combs, M.E./Shaw, D., The Agenda-Setting Function of Mass Media, in: Public Opinion Quarterly 36, 176-187. 208 Vgl. Gusto 8/1984, 60-61. 198 - 31 - Schon eine flüchtige Durchsicht der Gusto-Journale verdeutlicht, dass die Thematisierung von Genuss und Vernunft beim Essen ständige Begleiterin war.209 In einer Umfrage zu den Inhalten der Botschaften des kulinarischen Journalismus aus dem Jahr 1993 meinten die befragten Food-Journalistinnen und -Journalisten in Hinblick auf die Diskrepanz von Genuss und gesundheitsorientierter Vernunft, dass beides in ihren Darstellungen von Essen und Trinken gleich wichtig sei.210 Das zunächst vom Wiener Alpenverlag, später vom Verlag Orac, einem im Gesundheitsjournalismus höchst aktiven Verlag211, und schließlich im Jahr 2001 von der Verlagsgruppe ews212 herausgegebene Heft erfreute sich immer größerer Beliebtheit, vor allem unter weiblichen Leserinnen im Alter von 20 bis 59, welche 2006 die bedeutendste Zielgruppe des Magazins darstellten.213 Lasen im Jahr 1990 268.000 kulinarisch Interessierte das Magazin214, so waren es zur Mitte der 1990er Jahre bereits 437.000215 und im Jahr 2000 705.000 Leserinnen und Leser.216 Diese bedeutende Reichweite und die bereits eingangs erwähnte Tatsache, dass von den Leserinnen und Lesern Themen zur gesunden Lebensweise noch vor Themen zu Mode und Urlaub bevorzugt wurden,217 macht die Zeitschrift zu einer hervorragenden kulturellen Trägerin und Akteurin von Diskursen. 209 Vgl. Gusto 4/1990, 3; Gusto 12/1991, 3; Gusto 6/1992, 3; Gusto 2/1995, 5; Gusto 12/1996, 92-93. Vgl. Bayer 1993, 112. 211 Der Verlag bewarb eine Vielzahl an Büchern und Ratgebern zum Thema Gesundheit und Schlankheit im Gusto-Journal der 1980er Jahre. Vgl. Gusto 9/1985, 49; Gusto 2/1986, 16; Gusto 3/1987, 16; Gusto 1/1988, 36. 212 Vgl. Gusto 5/2001, 98. 213 Vgl. Gusto-Mediadaten, http://www.gusto.at/prod/720/pdf/Mediadaten.pdf (10.12.2013). 214 Vgl. Gusto 10/1990, 3; siehe Daten zu den Leserinnen- und Leserzahlen des Gusto-Journals in Diplomarbeit Philip Vrana, vgl. Vrana, Philip, Diskurse kulturräumlicher Identität in der österreichischen Nahrungsmittelwerbung seit den 1980er Jahren, unveröffentlichte phil. Diplomarbeit, Universität Wien 2012, 36. 215 Vgl. Gusto 4/1995, 4. 216 Vgl. Gusto 5/2000, 4. 217 Vgl. Gusto-Mediadaten, http://www.gusto.at/prod/720/pdf/Mediadaten.pdf (10.12.2013). 210 - 32 - 4. Methode Texte in kulinarischen Zeitschriften werden nach strukturellen Regelmäßigkeiten gestaltet. Meist liegen eine bestimmte Heftdramaturgie, ein Seitenplan, eine Unterscheidung in Standard- und Aufmacherseiten und Besonderheiten der Darstellungsformen zugrunde.218 So wie in Werbungen219 beschränken sich jedoch die Möglichkeiten der Repräsentation – der Sinnkonstituierung über Zeichen220 – auf die Sprache und die Bilder. Gemeinsam ist den Zeichen beider Systeme, dass sie in Texten vorzufinden sind und somit Teil von Diskursen – von symbolischen Ordnungen – sind, die in der Diskurstheorie Michel Foucaults das Sprechen und Handeln von Subjekten einer Kultur maßgeblich determinieren.221 Von großem Interesse äußert sich hierbei die Tatsache, dass eine Aussage – „die Fülle der Ereignisse im Raum des Diskurses im allgemeinen“222 – zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem Ort existiert und somit deren Positivität gegeben ist.223 Aussagen organisieren sich in Diskursen nach Formationsregeln, die soziale und institutionelle Zusammenhänge, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten sprechender Subjekte, Kohärenzen und Brüche beinhalten.224 In der gegenwärtigen Arbeit zu Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein im kulinarischen Journalismus wird dieser Erkenntnis Rechnung getragen und nicht lediglich der Text als Gesamtentwurf von verbalen und visuellen Zeichen analysiert, sondern der Produktions- und Interpretationszusammenhang, der mediale, der situative als auch der weitere politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Kontext herangezogen.225 Dabei wird einem Diskursbegriff Rechnung getragen, der nicht primär auf die Sprache als Objekt abzielt, sondern auf ein Diskursverständnis als Praxis verweist.226 Von primärem Interesse für die historische Forschung äußern sich das Auftauchen227 und das Verschwinden von Aussagen in Diskursen. Um jedoch die Beschaffenheit von 218 Vgl. Menhard/Treede 2004, 96-115. Siehe diesbezüglich Diplomarbeit Philip Vrana, vgl. Vrana 2012, 24. 220 Vgl. Hall, Stuart, The Work of Representation, in: Hall, Stuart, Hg., Representation. Cultural Representations and Signifying Practices, London 1997, 24-26. 221 Vgl. Landwehr, Achim, Geschichte des Sagbaren. Einführung in die historische Diskursanalyse, Tübingen 2001, 77; zur Frage der Autonomie des Subjektes ist anzumerken, dass sich an den Nahtstellen der Diskurse individuelle Positionierungsmöglichkeiten ergeben, vgl. Landwehr 2001, 99. 222 Foucault, Michel, Archäologie des Wissens, 8. Auflage, Frankfurt am Main 1997, 41. 223 Vgl. Landwehr 2001, 80. 224 Vgl. Landwehr 2001, 78-79. 225 Vgl. Landwehr 2001, 103f. 226 Vgl. Landwehr 2001, 78; vgl. Fairclough, Norman, Discourse and Social Change, Cambridge/Oxford/Malden 1992, 63. 227 Vgl. Landwehr 2001, 98. 219 - 33 - Aussagen zu gewissen Zeitpunkten näher zu bestimmen, bedarf es zunächst einer synchronen Aussagenanalyse. Informierende und ratgebende Artikel werden somit nach funktionalen Gesichtspunkten der verbalen und visuellen Kodes zu einem Zeitpunkt und daraufhin im Zeitverlauf untersucht. Von Bedeutung äußern sich diesbezüglich das Vorkommen, die Beschaffenheit als auch die Veränderung intertextueller und interdiskursiver Bezüge228, die auf die Art und Weise, wie über Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein berichtet und gedacht wurde, Rückschlüsse zulassen. Im Folgenden wird eine an den Gegenstand der kulinarischen Zeitschrift ausgerichtete methodische Herangehensweise erläutert. 4.1. Methodische Vorgehensweise Nach Achim Landwehr beinhaltet eine angemessene Analyse von historischen Diskursen eine Übernahme eines sprachwissenschaftlichen Instrumentariums für die Analyse.229 Die Funktionale Grammatik Michael Hallidays, mit ihrem Ziel, Sprache in ihren Funktionen und Verwendungszusammenhängen in einem umfangreichen sprachwissenschaftlichen Modell zu beschreiben,230 bietet sowohl den theoretischen als auch den praktischen Hintergrund für die Umsetzung einer Diskursanalyse. Halliday geht in seiner Grammatik von der Grundannahme aus, dass sich sprachliche Bedeutungen nach verschiedenen funktionalen Gesichtspunkten realisieren. Die ideationelle Metafunktion betrifft die Erfahrung über die Welt und deren Zusammenhänge, während sich die interpersonelle Metafunktion auf den Handlungscharakter und somit auf die interaktionale Wirkung von Sprache bezieht. Die Organisation und Ordnung, welche die sprachliche Äußerung zu einer Botschaft werden lassen, bietet schließlich die textuelle Metafunktion.231 Bedeutend erweisen sich die drei metafunktionalen Gesichtspunkte vor allem in der Feinanalyse der Makro- und Mikrostrukturen der Texte. In der Durchführung der Analyse des verbalen Kodes werden Analyseaspekte aus der Funktionalen Grammatik Hallidays als auch die kritische Diskursanalyse von Norman Fairclough herangezogen und in die historische Diskursanalyse integriert. Zur Analyse 228 Vgl. Fairclough 1992, 101-106. Landwehr 2001, 105. 230 Halliday, Michael A.K., An Introduction to Functional Grammar, 2. Auflage, London/Melbourne/Auckland 1994, xiii. 231 Vgl. Halliday 1994, xiii; vgl. Smirnova, Elena/Mortelsmans, Tanja, Funktionale Grammatik. Konzepte Theorien, Berlin/New York 2010, 67-68. 229 - 34 - des visuellen Kodes wird die Analysemethode von Gunther Kress und Theo Van Leeuwen232 dienen. In einem ersten grobanalytischen Schritt gilt es jedoch zunächst die Korpusbildung durchzuführen und die Rahmenbedingungen der diskursiven Praxis233 – den unmittelbaren Kontext – zu eruieren. Schließlich soll in Zusammenschau mit den makro- und mikrostrukturellen Eigentümlichkeiten und den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Kontexten der Beschaffenheit des Diskurses nachgegangen werden. 4.1.1. Korpusbildung Die Korpusbildung234 wird entsprechend der Fragestellungen und nach Durchsicht der 230 Gusto-Journale anhand der vorgefundenen Aspekte durchgeführt. Der Korpus wird in etwa 40 Texte umfassen. Erfasst werden sprachliche und bildliche Muster und deren synchrone Häufigkeit. In dieser Hinsicht ergibt sich auch ein erster Überblick über diachrone Veränderungen der vorkommenden Zeichen und somit der Beschaffenheit der Aussagen zum Thema.235 4.1.2. Kontextualisierung Die Kontextualisierung236 beinhaltet Fragen nach dem situativen, medialen und institutionellen Kontext. Eruiert werden die Verfasserschaft und Leserschaft und deren gesellschaftlicher und wenn möglich individueller Hintergrund.237 Hilfreich sind diesbezüglich die Medienanalysen zum Gusto-Journal und Hinweise im Journal, die aus dem Editorial, den Leserbriefen und biographischen Informationen zu den Autoren und der Redaktion hervorgehen. Des Weiteren wird auch nach der Platzierung der Artikel im Magazin und nach thematisch zusammenhängenden Aspekten im Heft gefragt sowie auf Eigentümlichkeiten und Auffälligkeiten der Medienform238, der Textsorte und des Genres239 geschlossen. 232 Kress, Gunther/Van Leeuwen, Theo, Reading Images. The Grammar of Visual Design, 2. Auflage, New York 2006. 233 Vgl. Fairclough 1992, 78. 234 Vgl. Landwehr 2001, 106; vgl. Vrana 2012, 26. 235 Siehe Aspekt der synchronen Häufigkeit und diachronen Reihung nach Landwehr, vgl. Landwehr 2001, 106. 236 Vgl. Landwehr 2001, 107; vgl. Vrana 2012, 27. 237 Vgl. Landwehr 2001, 109. 238 Vgl. Landwehr 2001, 110. 239 Vgl. Fairclough 1992, 126. - 35 - 4.1.3. Die Beschaffenheit der Aussage Die detaillierte Analyse der Aussagen, die als Feinanalyse von sieben informierenden und ratgebenden Artikeln durchgeführt wird, erfolgt zunächst in makrostruktureller und schließlich in mikrostruktureller Hinsicht. Die Analyse der Makrostruktur wird in Hinblick auf das narrative Muster des Gesamt-Kommunikats durchgeführt. Festgestellt wird zuallererst das Thema des Textes.240 Danach erfolgen die Fragen nach der Textur und Erscheinungsform des verbalen Textes, nach der verwendeten Typographie241 als auch bereits nach der Gliederung. Üblicherweise gliedern sich Zeitschriften-Kommentare in These, Argumentation und Fazit.242 Die These lässt die Zusammenhänge, in denen das Thema auftaucht, erkennen, während die Argumentation, als Begründung der These, konkret angeführte Ursachenzusammenhänge beinhaltet. Mit dem Fazit erfolgen zumeist anvisierte Schlussbemerkungen und Lösungsvorschläge. Sofern Bildelemente in der Textgestaltung vorkommen, wird die Makrostruktur auch auf den verbal-visuellen Zusammenhang hin untersucht.243 Dies erfolgt anhand der KreativMethoden der Visualisierung nach Werner Gaede.244 Es ergeben sich folgende Kategorien: Tabelle 1: Kreativ-Methoden der Visualisierung245 Ähnlichkeit oder Visuelle Analogie Verbale Bedeutung weist Ähnlichkeit zu visueller Bedeutung auf. Beweis oder Visuelle Argumentation Verbale Behauptung wird durch visuelles Zeichen bewiesen. Gedanken-Verknüpfung oder Visuelle Assoziation Verbale Bedeutung geht mit visueller Bedeutung eine gedankliche Verbindung ein. Teil-für-Ganzes oder Visuelle Synekdoche Verbale Bedeutung wird teilweise visualisiert. Grund-Folge oder Visuelle Kausal-/Instrumental-Relation Verbale Bedeutung steht in Grund-Folge-Beziehung zu visueller Bedeutung. Wiederholung oder Visuelle Repetition Verbale Bedeutung wird durch visuelle Bedeutung wiederholt. Steigerung oder Visuelle Gradation Verbale Bedeutung wird durch visuelle Zeichen verstärkt und gesteigert. 240 Vgl. Landwehr 2001, 113-114. Vgl. Landwehr 2001, 128. 242 Vgl. Menhard/Treede 2004, 141. 243 Vgl. Siehe Herangehensweise in Diplomarbeit Philip Vrana, vgl. Vrana 2012, 28-29. 244 Gaede, Werner, Vom Wort zum Bild. Kreativ-Methoden der Visualisierung, 2. Auflage, München 1992, 56-59. 245 Vgl. Gaede 1992, 56-59. 241 - 36 - Hinzufügung oder Visuelle Addition Verbale Bedeutung wird durch visuelle Bedeutung ergänzt und ergibt Gesamt-Aussage. Bedeutungs-Bestimmung oder Visuelle Determination Verbale Bedeutung wird durch visuelles Zeichen näher bestimmt. Verkoppelung oder Visuelle Konnexion Visuelle Bedeutung wird durch visuelle Verbindung mit anderen Zeichen verkoppelt. Verfremdung oder Visuelle orm-Abweichung Verbale Bedeutung wird visualisiert und ergibt unerwartete Gesamt-Bedeutung. Symbolisierung oder Visuelle Symbolisierung Symbol visualisiert verbale Bedeutung. Die Mikrostruktur der Texte wird gesondert nach den textuellen, ideationellen und interpersonellen Metafunktionen auf Satz-, Phrase- und Wortebene analysiert. Dabei wird sowohl auf die textuelle Gestaltung der Botschaftsübermittlung, die ideationelle Darstellung der verbal geäußerten Ansichten und Zusammenhänge zum Thema, den interpersonellen Handlungscharakter der Texte246 und gegebenenfalls auch auf den visuellen Kode – vor allem auf dessen interpersonelles bildliches Potential – eingegangen. Es ergeben sich für die Sprache auf Satzebene und Ebene der Text-Kohäsion folgende Gesichtspunkte in der Analyse: Tabelle 2: Analyse der Sprache nach funktionalen Kriterien auf Satzebene Textuelle Metafunktion auf Satzebene und Ebene der Text-Kohäsion: • Die Botschaftsübermittlung – Thema/Rhema247 Analyseaspekt: Das thematisch Vordergründige (Thema) und das thematisch Nebensächliche (Rhema) einer Nachricht Ideationelle Metafunktion auf Satzebene und Ebene der Text-Kohäsion: 246 247 Vgl. Landwehr 2001, 117. Vgl. Halliday 1994, 38; vgl. Fairclough 1992, 183-185. - 37 - • System der Transitivität 248 Materielle Prozesse249: Ausdruck von Handeln und Geschehen Transaktionale Prozesse im Satz: Prozess stellt Handlung mit Zielsetzung dar Nicht-transaktionale Prozesse im Satz: Prozess stellt Handlung ohne Ziel dar Mentale Prozesse250: Ausdruck des Denkens und Fühlens Darstellung von Gedanken, Wahrnehmungen und Gefühlen im Satz Relationale und Existentielle Prozesse251: Ausdruck von Zuständen und Besitz Attributive relationale Prozesse252 im Satz: Prozess stellt Teil-Klasse-Relation dar Identifizierende relationale Prozesse253 im Satz: Prozess dient der Bestimmung der Identität Relationale Prozesse des Umstandes254 im Satz: Prozess stellt Umstand dar Relationale Prozesse des Besitzes255 im Satz: Prozess stellt Besitz dar Existentielle Prozesse256 im Satz: Prozess stellt Existenz und Existierendes dar Grad der ominalisierung257 Zustände statt Prozesse, Abstraktion statt Konkretisierung Verwendung des Passivs258 Handelnder oder passiv Handelnder in Präpositionalphrase259 Analyseaspekt: Die Darstellung des Themas anhand der Prozesse und der diesbezüglichen Rollen, die Partizipierende in Bezug auf das Thema einnehmen; Frage nach der Unterbindung des ideationellen Handlungscharakters durch Nominalisierung oder Passivierung260 • Funktionale Verbindungen zwischen den Satzteilen261 Die Darstellung des Themas mittels Ausweitung von Satzinhalten in weiteren Satzgefügen in Form der Elaboration262, Extension263 und qualitativen Steigerung der Bedeutung264 Analyseaspekt: Auswirkungen der textuellen Gestaltung auf die ideationelle Darstellung des Themas • Modalität265 Indikativ – Ausdruck von Gegebenem, Realem und Gültigem266 Konjunktiv (v. a. zweiter Konjunktiv) – Ausdruck von Möglichkeit und Unmöglichkeit267 Inferentieller Gebrauch von Modalverben – Ausdruck von Möglichkeit268 Form: Modalverb und Infinitiv Analyseaspekt: Die Affinität zur Realität in den Repräsentationen zum Thema269 248 Vgl. Halliday 1994, 106-144; siehe Herangehensweise zur verbalen Textanalyse in Diplomarbeit Philip Vrana, vgl. Vrana 2012, 31. 249 Vgl. Halliday 1994, 109-112. 250 Vgl. Halliday 1994, 112-119. 251 Vgl. Halliday 1994, 119-138 u. 142-144. 252 Vgl. Halliday 1994, 120-122. 253 Vgl. Halliday 1994, 122-124. 254 Vgl. Halliday 1994, 130-135. 255 Vgl. Halliday 1994, 130-135. - 38 - Interpersonelle Metafunktion auf Satzebene und Ebene der Text-Kohäsion: • Formen der grundsätzlichen Interaktion auf Satzebene270 Angebot (Offer) von Informationen als Aussage Forderung (Demand) nach Informationen als Frage Angebot (Offer) von Handlungen/Diensten/Materiellem als Offerte Forderung (Demand) nach Handlungen/Diensten/Materiellem als Anweisung Analyseaspekt: Mögliche intendierte Wirkungen (Force271) des Gesagten auf die Rezipierenden; darüber hinausgehend auch die Frage nach dem Überzeugungspotential, dem Handlungsanweisungscharakter, der Höflichkeit und dem Ethos272 – dem sozialen, institutionellen und professionellen Sprecherselbstverständnis273 – im Zusammenhang mit dem Thema • Modalität Verwendung des Imperativs und anderer Formen der Aufforderung274 Form: Verbalform 2. Person Sg. u. Pl.275, ,man‘ u. erster Konjunktiv („man hole“)276, Modalverb und Infinitiv („Ihr sollt gehen“)277, elliptisch gebrauchte Nomina („Achtung!“)278, modaler Infinitiv279 etc. Nicht-inferentieller Gebrauch von Modalverben als Obligation zum Handeln280 Form: „will“, „mag“, „möchte“, „muss“, „kann“, „darf“, „soll“ etc. Analyseaspekt: Offenlegung des Handlungsanweisungsgrades des Gesagten zum Thema • Sprecher-Selbstverortung in der Präsentation des Themas Verwendung des Konjunktivs Analyseaspekt: Ausdruck von Nähe und Distanz, Distanzierung zur fremden und eigenen Stellungnahme als Ausdruck von Autorität und Professionalität und Reflexion – vor allem mittels des ersten Konjunktivs281 Verwendung des Passivs Analyseaspekt: Grad der Betonung der Allgemeingültigkeit des Gesagten282, Grad der Ablenkung von handelnden Person283 256 Vgl. Halliday 1994, 142-144. Vgl. Fairclough 1992, 179. 258 Vgl. Fairclough 1992, 178. 259 Vgl. Fairclough 1992, 181-182. 260 Vgl. Fairclough 1992, 182. 261 Vgl. Halliday 1994, 215-273; Fairclough 1992, 175-176. 262 Vgl. Halliday 1994, 225. 263 Vgl. Halliday 1994, 230. 264 Vgl. Halliday 1994, 232. 265 Vgl. Jung, Walter, Grammatik der deutschen Sprache, 10. Auflage, Mannheim/Leipzig 1990, 224-236. 266 Vgl. Jung 1990, 225. 267 Vgl. Eisenberg, Peter, Grundriss der deutschen Grammatik. Band 2: Der Satz, 3. Auflage, Stuttgart/Weimar 2006, 114 u. 117. 268 Vgl. Eisenberg 2006, 93; Fairclough 1992, 159. 269 Vgl.Fairclough 1992, 236 270 Vgl. Halliday 1994, 68-71; vgl. Vrana 2012, 31-32. 271 Fairclough 1992, 75 u. 82. 272 Fairclough 1992, 166. 273 Vgl. Fairclough, 166-167. 274 Vgl. Jung 1990, 235. 275 Vgl. Jung 1990, 234. 257 - 39 - Für die Sprache auf Wortebene und Ebene der Phrase ergeben sich folgende Gesichtspunkte in der Analyse: Tabelle 3: Analyse der Sprache nach funktionalen Kriterien auf Wortebene Ideationelle Metafunktion auf Wortebene und Ebene der Phrase: • • • • • Vorkommen von Kollektivsymbolen284 und Metaphern285 in der Darstellung des Themas Vorkommen von Wortfamilien und Synonymen286 in der Darstellung des Themas Vorkommen von Antonymen287 in der Darstellung des Themas Vorkommen von Wortwiederholungen288 in der Darstellung des Themas Vorkommen von experientellen Epitheta289 mit beschreibenden Adjektiven Analyseaspekt: Die Positivität von Bedeutungen und der Wandel von Bedeutungen, die auf Aussagenveränderungen in Diskursen schließen lassen Interpersonelle Metafunktion auf Wortebene und Ebene der Phrase: • Vorkommen von Modaladverbien290/modalen Adjunkten291/Substantiv- und Präpositionalgruppen292 Ausdruck von Polarität, Vermutung und Zweifel, Üblichkeit, Bereitschaft, Obligation, Zeitlichkeit, Spezifizierung, Deutlichkeit, Bekräftigung und Grad • Vorkommen von evaluativen Epitheta293 mit beurteilenden und emotionalisierenden Adjektiven • Vorkommen von sprachlichen Hecken294 Analyseaspekt: Emotionalisierung, Beurteilung und Bewertung in Bezug auf das Thema Da im Korpus fotografische Darstellungen der Autoren und Autorinnen schon vorweg auf ein großes interpersonelles Potential schließen lassen, wird in der Analyse der Mikrostruktur vor allem der interpersonelle Charakter der bildlichen Darstellung eruiert. Es ergeben sich folgende Analyseaspekte: 276 Vgl. Jung 1990, 235. Vgl. Jung 1990, 235. 278 Vgl. Jung 1990, 235. 279 Vgl. Eisenberg 2006, 131. 280 Vgl. Eisenberg 2006, 94 u. 97. 281 Vgl. Jung 1990, 227. 282 Vgl. Jung 1990, 222. 283 Vgl. Eisenberg 2006, 129; Jung 1990, 222-223. 284 Vgl. Jäger, Siegfried, Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung, 4. Auflage, Münster 2004, 133. 285 In der Analyse wird herangezogen: Lakoff, George/Johnson, Mark, Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern, 3. Auflage, Heidelberg 2003. 286 Vgl. Landwehr 2001, 127. 287 Vgl. Landwehr 2001, 127. 288 Vgl. Landwehr 2001, 124-125. 289 Vgl. Halliday 1994, 184; vgl. Vrana 2012, 31. 290 Vgl. Fairclough 1992, 159; Eisenberg 2006, 93; Jung 1990, 320. 291 Vgl. Halliday 1994, 82-84. 292 Vgl. Jung 1990, 321. 293 Vgl. Halliday 1994, 184; vgl. Vrana 2012, 31. 294 Vgl. Fairclough 1992, 159. 277 - 40 - Tabelle 4: Analyse von Bildelementen nach funktionalen Kriterien Interpersonelle Metafunktion auf Ebene des Bildes295: • Visuelles demand296 Im Bild setzt Person durch Blick Erwartungen in Rezipierende • Visuelles offer297 Im Bild setzt sich Person oder Gegenstand den Blicken Rezipierender aus • Darstellungsgröße298 Große Darstellungen vermitteln Gefühl sozialer Nähe Kleine Darstellungen vermitteln Gefühl sozialer Distanz • Horizontale und vertikale Winkelperspektive299 Frontalperspektive vermittelt soziales Involviert sein Schrägwinkelperspektive vermittelt soziale Distanz Flachwinkelperspektive vermittelt Macht der Dargestellten über Rezipierende Steilwinkelperspektive vermittelt Macht der Rezipierenden über Dargestellte • Grad der Modalität300 Frage nach real und unreal wirkender Darstellung 4.1.4. Die Gestalt des Diskurses Die Verortung der Aussagen des Diskurses – der Stränge und Fragmente301 – vollzieht sich als Zusammenschau der vorgefundenen funktionalen- und inhaltlichen Aspekte. Als bedeutsam erweisen sich dabei weitere im Gusto-Journal vorkommende Hinweise aus dem Editorial, aus Leserbriefen und Produktvorstellungen als auch der zu Grunde liegende gesellschaftliche und wirtschaftliche Kontext. 295 Siehe Herangehensweise in Diplomarbeit Philip Vrana, vgl. Vrana 2012, 33. Vgl. Kress/Van Leeuwen 2006, 116-118; vgl. Vrana 2012, 33. 297 Vgl. Kress/Van Leeuwen 2006, 119-120; vgl. Vrana 2012, 33. 298 Vgl. Kress/Van Leeuwen 2006, 124-129. 299 Vgl. Kress/Van Leeuwen 2006, 136 u. 140; vgl. Vrana 2012, 33. 300 Vgl. Kress/Van Leeuwen 2006, 160-163; vgl. Vrana 2012, 33. 301 Vgl. Jäger 2004, 158-163. 296 - 41 - 5. Analyse Der Korpus umfasst 40 Texte aus 230 Monatsausgaben des Gusto-Journals, die seit 1983 im Magazin erschienen und wie bereits angesprochen als ratgebende und informierende Texte zum Thema Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein veröffentlicht wurden. Die Auswahl erfolgte nach thematischen und strukturellen Gesichtspunkten. Thematische Aspekte betrafen besondere gesundheitsrelevante Ernährungshinweise, Kostformen und vorgeschlagene Schlankheitskuren und Diäten. Gemeinsam ist den Texten des Korpus in struktureller Hinsicht, dass sie beinahe durchwegs eine theoretische Darlegung der Vorteile der anvisierten Ernährungsformen, Kuren- und Diäten boten als auch praktische Hinweise und Rezepte beinhalteten. Dabei ließen sich in der Grobanalyse vorweg grundsätzliche Tendenzen erkennen, die auf Veränderungen betreffend Handlungsanweisungscharakter, Aufforderungspotential und Selbstinitiative zur Umsetzung von Gesundheits- und Schlankheitsvorstellungen hinweisen. Wie sich die thematischen und strukturellen Eigentümlichkeiten im Wechselspiel mit den redaktions- und zeitschriftenspezifischen als auch den weiteren kulturellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen veränderten, wird in den folgenden sieben Feinanalysen eingehend Gegenstand der Analyse sein. 5.1. Gesund, fit und schlank: Die Entstehung des Diskurses in den 1980er Jahren Anhand der folgenden fünf Feinanalysen wurde zunächst die Beschaffenheit der Aussagen zum Thema in den frühen 1980er Jahren eruiert und auf Veränderungen bis zum Ende des Jahrzehnts eingegangen, die einem zusammenhängenden Verständnis von Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein in den 1990er Jahren vorausgingen. - 42 - 5.1.1. Fit und schlank im Arbeitsalltag (1984) Abbildung 2: Kommentar „Die richtige Ernährung für den Büromenschen“302 302 Quelle: Gusto 10/1984, 61. - 43 - Situativer und medialer Kontext Den im Oktober 1984 erschienenen Kommentar verfasste die Diät-Assistentin Edith Mayer, die gemäß den Angaben des Impressums als Mitglied der Redaktion aufschien und für die Rubrik Diätredaktion zuständig war.303 Die Rubrik, die von 1983 bis 1985 im Gusto-Journal ihren festen Platz hatte, befand sich stets im letzten Drittel des Heftes und zeichnete sich zumindest im vorliegenden Beitrag durch eine schlichte Gestaltung und durch eine relativ inkohärente heftdramaturgische Einbettung aus. In den ersten beiden Jahren des Journals forderte der Chefredakteur Heinrich Camondo des Öfteren die Leserschaft dazu auf, Gusto Rückmeldung über die Heft-Inhalte zu geben. Im November 1983 lag ein Fragebogen dem Heft bei und ab August 1984 wurde der GustoLeserbriefkasten eingeführt.304 Makrostruktur-Analyse Der Kommentar behandelt eine für den Büromenschen adäquate Ernährung, die anhand der vorgefundenen Thesen Leistungsfähigkeit, Schlankheit und Einzelaspekte von Gesundheit anvisiert (siehe Tabelle 5). Der Gesamttext umfasst vier Spalten, einen Kommentar-Teil links und einen Ernährungsvorschlag rechts. Es handelt sich um eine schlichte Textgestaltung ohne Bildelemente. Die Rubrikbenennung „Diätredaktion“ wird mittig in Blockbuchstaben hervorgehoben. Damit hebt sich der Text von den anderen im Heft ab und ein professioneller Kontext wird hergestellt. Auffallend sind die grünen Balken als trennende Elemente im Ernährungsvorschlag rechts. Diese dienen der eindeutigen Trennung und somit Akzentuierung der angegebenen Tageszeiten im Ernährungsvorschlag. Es ist von folgender Gliederung des verbalen Textes auszugehen: Tabelle 5: Die richtige Ernährung für den Büromenschen 10/1984, Gliederung des verbalen Textes Überschrift Lead-In „Die richtige Ernährung für den Büromenschen“ „Wer seine Tage am Schreibtisch verbringt, braucht eine ganz besondere Ernährung“ Hauptthese „‚Der Mensch ist, was er ißt‘, dieser Ausspruch wird sehr oft unbeherzigt belassen. Obwohl heute jeder weiß, daß eine vollwertige und richtig zusammengesetzte Ernährungsweise nicht nur Gesundheit sondern auch Leistungsfähigkeit und Konzentrationsfähigkeit beeinflußt. Wer den ganzen Tag hinter dem Schreibtisch verbringt und kaum körperliche Arbeit leistet, wird sich anders ernähren müssen, als jene, die überwiegend körperliche Tätigkeit vollbringen.“ Begründung Hauptthese „Geistige Arbeit verbraucht keine zusätzliche Energie. Trotzdem führt Unter- oder Fehlernährung zu Störungen der Gehirnfunkton.“ 303 304 Vgl. Gusto 10/1984, 3. Vgl. Gusto 8/1984, 62. - 44 - Fazit Hauptthese „Worauf kommt es an? Die Kost des Büromenschen sollte kalorienarm, eiweißreich und reich an Vitaminen und Mineralstoffen sein. Das bedeutet: wenig Süßigkeiten, wenig Fett, mäßig Brot, Knödel, Nudeln und Kartoffeln, dafür aber Milch, mageres Fleisch, Fisch, Gemüse und Obst. Empfohlen werden für die Frau durchschnittlich 2000 Kalorien pro Tag, für den Mann 2400 Kalorien.“ Unterthese 1 „Diese sollten auf fünf Mahlzeiten aufgeteilt werden.“ Begründung Unterthese 1 „Warum drei Haupt- und zwei Zwischenmahlzeiten?, werden Sie sich fragen. Dies hat zwei wesentliche Gründe: zum Ersten wird dadurch unser Organismus gleichmäßig belastet, man vermeidet Völlegefühl, das wieder zu Müdigkeit führt. Zum Zweiten gibt es in unserem Tagesrhythmus Leistungshochs und Leistungstiefs.“ Fazit Unterthese 1 „Die Aufteilung der Nahrung auf fünf Mahlzeiten hilft, die Leistungskurve relativ konstant zu halten.“ Fazit Unterthese 2-3 „Süßigkeiten, Bonbons, zukkerhältige (sic!) Erfrischungsgetränke möglichst aus der Kost ausschalten,“ Unterthese 2 „sie schaden nicht nur der Figur“ Unterthese 3 „sondern auch den Zähnen.“ Begründung Unterthese 2 „Sie wissen ja, 1/8 l Wein oder eine Semmel zusätzlich pro Tag konsumiert bringt eine Gewichtszunahme von 3 kg pro Jahr, was in fünf Jahren höchst ungesunde 15 kg ergibt.“ Schlussfazit „Noch eines ist gerade für den Arbeitenden wichtig. Regelmäßige, sportliche Betätigung, wenn möglich an frischer Luft.“ Apostrophe „Edith Mayer“ Mikrostruktur-Analyse In der Überschrift und im Lead-in ist von „richtiger“ und „besonderer Ernährung“ die Rede. Diese interpersonell wertenden Epitheta initiieren den primären thematisierten Problemkreis, den Zusammenhang von Ernährung und Leistungsfähigkeit. Es findet sich als Thema und somit Ausgangspunkt der Nachricht die koordinierende zusammengesetzte Konjugation „nicht nur … sondern auch“ (siehe Tabelle 6), welche Leistungsfähigkeit und Ernährung insofern hervorhebt, indem nicht lediglich Gesundheit und Ernährung, sondern auch der Leistungszusammenhang in den Fokus gerückt wird.305 Tabelle 6: Die richtige Ernährung für den Büromenschen 10/1984, Übermittlung der Botschaft Thema Rhema „nicht nur“ „Gesundheit“ „sondern auch“ „Leistungsfähigkeit und Konzentrationsfähigkeit beeinflußt.“ „Das bedeutet:“ „Wenig Süßigkeiten, weniger Fett, mäßig Brot, Knödel, Nudeln, Kartoffeln,“ „dafür aber“ „Milch, mageres Fleisch, Fisch, Gemüse und Obst.“ 305 Mit der Konjunktion „nicht nur … sondern auch“ erfolgt die thematische Fokussierung durch Nennung der Alternative, vgl. Eisenberg 2006, 206-207. - 45 - „Empfohlen werden“ „für die Frau durchschnittlich 2000 Kalorien pro Tag, […].“ „Diese sollten“ „auf fünf Mahlzeiten aufgeteilt werden.“ „Süßigkeiten, Bonbons, zukkerhältige (sic!) Erfrischungsgetränke“ „möglichst aus der Kost ausschalten […].“ In ideationeller Hinsicht taucht Leistung überdies in positiv konnotierten Zusammensetzungen wie „Leistungsfähigkeit“, „Leistungskurve“ und „Leistungshoch“ sowie als „Leistungstief“ im Kontext der negativ konnotierten Fehlernährung auf. Fehlernährung wird dabei in Zusammenhang mit leistungshemmenden „Störungen der Gehirnfunktion“, „Völlegefühl“ und resultierender „Müdigkeit“ erwähnt. Zentral in ideationeller Hinsicht äußert sich auch der Begriff „Kost“. Der zweimal im Text verwendete Begriff diente der Konkretisierung der Zielvorstellungen einer ‚richtigen‘ – nämlich leistungsförderlichen – Ernährung im Fazit der Hauptthese und in zweiter Instanz einer schlankheits- und gesundheitszuträglichen Ernährung im Fazit der Unterthese 2 (siehe Tabelle 5). Für den Büromenschen wird eine protein- und nährstoffreiche, jedoch zucker-, fett- und kohlehydratarme Ernährung empfohlen. Zucker in Form von Süßspeisen, Getränken und Naschereien wird als wenig zuträglich für Schlankheit und Zahngesundheit erachtet. Gewichtszunahme wird als „höchst ungesund“ und somit interpersonell wertend in Bezug auf die allgemeine Gesundheit beurteilt, jedoch nicht näher ausgeführt. Ganz allgemein lässt die verwendete Sprache auf eine besonders intendierte interpersonelle Wirkung des Gesagten306 schließen. Einleitende Redewendungen wie „Das bedeutet:“, „dafür aber“, „Empfohlen werden“ und „Diese sollten“, die unmittelbar auf die umzusetzende Kost verweisen, tauchen durchwegs in der Themaposition der Botschaftsübermittlung auf (siehe Tabelle 6). Gemäß dem Aufforderungspotential des Imperativs erfolgt die mehrmalige Verwendung des Modalverbs „soll“ im Ernährungsvorschlag rechts. Im Kommentar ergänzt der Infinitiv das Modalverb307 in „Die Kost des Büromenschen sollte […] sein“ und in passiver Form in „Diese sollten auf fünf Mahlzeiten aufgeteilt werden“. Der zweite Konjunktiv lässt diesbezüglich auf professionelle Zurückhaltung und die Verwendung des Passivs auf die Betonung der Allgemeingültigkeit der Äußerung308 schließen. Als auffordernd äußern sich auch elliptisch gebrauchte Nominalphrasen mit Ausrufzeichen jeweils am Ende des 306 Fairclough verwendet diesbezüglich den Begriff „Force“, vgl. Fairclough 1992, 75 u. 82. Vgl. Jung 1990, 235. 308 Vgl. Jung 1990, 222. 307 - 46 - Ernährungsvorschlages, wie beispielsweise in „30% der Tageskalorien!“. Des Weiteren fällt die Verwendung des Adverbs „möglichst“ und „wenn möglich“ als Superlativ des Adjektivs „möglich“ auf. Nach Halliday handelt es sich in funktionaler Hinsicht um ein modales Adjunkt, das Obligation bewirken soll.309 In keiner der Hinweise, Aufforderungen und Anweisungen erfolgt eine explizite Nennung, von wem das Handlungsziel ausgeht. Es tritt somit stets die Sprecherin und Autorin des Textes als Wissende und Quelle der Obligation in Erscheinung. Die Beschaffenheit der Aussage im sozialen Kontext Die richtige und besondere Ernährung wurde als Voraussetzung physischer und geistiger Leistungsbereitschaft im Büroalltag erachtet. Eine berufsspezifische als auch altersspezifische Kost propagierten bereits populärwissenschaftliche Ernährungsratgeber der 1960er Jahre, wie beispielsweise Ernst Kofranyi in seiner Einführung in die Ernährungslehre, die in späteren Auflagen auch in den 1980er Jahren Verbreitung fand. Die konkreten Ernährungshinweise im Gusto-Kommentar stammten auch tatsächlich und beinahe im Wortlaut aus jenem Ratgeber. Nach Kofranyi verbrauchte der geistig Arbeitende ebenso wie der Schwerarbeiter in gleichem Ausmaß Eiweiß, Vitamine und Mineralstoffe, jedoch weniger Kalorien in Form einer zucker-, fett- und kohlenhydratreichen Kost bestehend aus Nudeln, Brot, Knödeln und Kartoffeln.310 Die Ernährung habe sich am Energieumsatz des Menschen und somit an dem im Alltag unterschiedlichen Kalorienverbrauch zu orientieren, um eine optimale Leistung zu gewährleisten. Zu Grunde lag ein fordistisch-mechanistischer Leistungsbegriff: „Jeder von einem Ingenieur konstruierte Motor ist auf eine mittlere durchschnittliche Leistung angelegt. Diese bewältigt er besser als größere, aber auch kleinere Leistungen. Der Mensch ist von keinem Ingenieur konstruiert und kein Motor. Aber auch er ist auf eine mittlere tägliche Arbeitsleistung hin angelegt […].“311 Im Gusto-Kommentar verweisen erstens wiederkehrende positiv und negativ konnotierte Zusammensetzungen, wie „Leistungskurve“, „Leistungshoch“, „Leistungstief“, zweitens die Unterteilung der genauestens angegebenen Kalorienmenge für Mann und Frau und drittens die Aufforderung der genau einzuhaltenden Kalorienmenge der einzelnen Tagesmahlzeiten auf ein fordistisch-mechanistisches Körperverständnis im Arbeitsalltag. 309 Vgl. Halliday 1994, 82. Vgl. Kofranyi 1970, 202. 311 Kofranyi 1970, 200. 310 - 47 - Die Forderung im Kommentar nach einer Reduktion von Fett und vor allem Zucker – der sich auch in alkoholischen Getränken und Semmeln verstecke – ist vor dem Hintergrund der Leistungserbringung im Arbeitsalltag zu sehen. Die im Österreichischen Ernährungsbericht 1982 zitierte und vom Institut für Empirische Sozialforschung (IFES) und vom Meinungsforschungsinstitut Fessel und GfK 1979 durchgeführte Genußmittelstudie kam zum Ergebnis, dass vor allem Selbstständige, Beamte, Angestellte und leitende Angestellte bestimmte Lebensmittel bewusst einschränkten, während Landwirte und Arbeiter sich „überdurchschnittlich häufig völlig gesund und fit“ fühlten.312 Das Körpergewicht ist ein weiterer im Text thematisierter Aspekt, dessen Problematisierung sich in der Angabe der detaillierten Soll-Tageskalorienmenge und der Bedeutung des Kalorienzählens für Mann und Frau äußerte. Seit der ersten Ausgabe des Gusto-Journals im Mai 1983 fanden sich Kilokalorien- beziehungsweise KilojouleAngaben bei den veröffentlichten Rezepten. Die Schlankheit war somit stets Thema im Heft und die Gewichtszunahme wurde dabei als Bilanzproblem erachtet, der man neben der ‚richtigen Ernährung‘ auch mit Sport beizukommen hatte. Auf die Gewichtszunahme als österreichweites Problem verwies der Österreichische Ernährungsbericht bereits 1982, indem laut Ernährungsbilanz 1980/81 festgestellt wurde, dass mit 3.230 kcal „der Energiebedarf der österreichischen Bevölkerung […] reichlich gedeckt“ sei.313 Die Hinweise zur Zuckerreduktion betrafen neben der Leistungssteigerung im Alltag auch den Problemkreis der Gewichtszunahme. Der Zusammenhang von Zuckerkonsum und Übergewicht wurde dabei im Gusto-Journal insofern hergestellt, indem – wie auch im Ernährungsratgebern der DGE314 – zuckerhaltige Nahrungsmittel als Träger leerer Kalorien erachtet wurden. Der Fokus auf die Rolle von Süßspeisen in der Übergewichtsentstehung spiegelte die Selbsteinschätzung von übergewichtigen Österreicherinnen und Österreichern in Hinblick auf die Ursachenverortung des Übergewichtes – nämlich den Verzehr von süßen Mehlspeisen und süßen Nachtisch – wider, wie dies der Österreichische Ernährungsbericht 1982 mit Bezug auf die 1979 durchgeführte Genußmittelstudie vom Institut für Empirische Sozialforschung (IFES) und vom Meinungsforschungsinstitut Fessel feststellte.315 312 BMFGU, Österreichischer Ernährungsbericht 1982, 106-110. BMFGU, Österreichischer Ernährungsbericht 1982, 34. 314 Vgl. DGE, Ernährungsratgeber 1972, 172. 315 Vgl. BMFGU, Österreichischer Ernährungsbericht 1982, 112-113. 313 - 48 - Die Verwendung des Epithets „höchst ungesunde 15 kg“ rückte überdies die Gewichtszunahme in den unmittelbaren Gesundheitszusammenhang. Näher erläutert wurde dieser jedoch nicht. Eingegangen wurde lediglich auf Einzelaspekte von Ernährung und Gesundheit, wie etwa auf die Auswirkungen von Zuckerkonsum auf die Zahngesundheit. Aus diskursanalytischer Sicht von großer Bedeutung erweist sich das interpersonelle Potential des Dargestellten. Die Diät-Assistentin Edith Mayer setzte die Handlungsziele für die Umsetzung einer leistungs- und schlankheitsorientierten Ernährung. Die hohe Glaubwürdigkeit ergab sich dabei erstens aus dem professionellen Rahmen der eigens dafür gestalteten „Diätredaktion“, die von der Einführungsphase des Heftes 1983 bis Februar 1985 in gleicher Form beibehalten wurde. Zweitens entstand das Überzeugungspotential des Gesagten durch einleitende Redewendungen mit Aufforderungscharakter in der Themaposition der Botschaftsübermittlung, durch die imperativische Verwendung von Modalverben und modaler Adjunkte als auch durch elliptisch gebrauchte Nominalphrasen mit Ausrufzeichen. Als drittes trug die Gestaltung des Textes, die Trennung in Kommentar linkerhand und Ernährungsvorschlag rechterhand als auch die Strukturierung des Vorschlags durch die trennenden grünen Balken zum Handlungsanweisungscharakter desselben bei. Dabei stand jedoch stets das professionelle Ethos, als Sprecherselbstverständnis der Diät-Assistentin, im Vordergrund. - 49 - 5.1.2. Die Revitalisierung der Vollwertkost (1984) Abbildung 3: Kommentar „Mit Vollwertkost fit in den Frühling“316 Situativer und medialer Kontext Im Mai 1984 wurde der Kommentar „MIT VOLLWERTKOST FIT IN DEN FRÜHLING“ unter der Autorenschaft der Diät-Assistentin Edit Mayer veröffentlicht, der ebenfalls in der Rubrik Diätredaktion erschien. Auch dieser thematisierte den Zusammenhang von Ernährung, Leistungsfähigkeit und Gesundheit, diesbezüglich jedoch nicht mit Verweis auf eine bestimmte Berufsgruppe, sondern in Hinblick auf eine umfassende und vollwertige Ernährung und nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der aktuellen 316 Quelle: Gusto 5/1984, 42-43. - 50 - Jahreszeit – dem Frühjahr. Der Präsentation der Vollwertkost folgte eine Rezeptreihe zu Vollwertkost-Gerichten. Unmittelbar auf diesen Vollwertkost-Schwerpunkt wurde den Leserinnen und Lesern eine Vielzahl an Fleischspeisen in einer achtseitigen Rezeptreihe zu Rindfleischspeisen mit dem Titel „Beim Rind beginnt die Wiener Küche“317 präsentiert. Dies deutet auf eine relative thematische Inkohärenz im Magazin hin. Makrostruktur-Analyse Der thematische Fokus wird durch eine übersichtliche Gestaltung ergänzt, indem der über eine Seite hinausgehende, in vier Spalten geteilte Text durch deutliche Absatz-Trennung den Leserinnen und Lesern das Thema unmissverständlich präsentiert. Die Absätze sind gänzlich entsprechend den Umsetzungsschwerpunkten der Vollwertkost gestaltet. Als auffallend erweisen sich diesbezüglich auch die Aufzählungszeichen, welche die jeweiligen Fazits einleiten, als auch die Ordinalzahlen, welche genauestens vorgeben, was bei der Zubereitung eines Bircher-Benner-Müslis zu beachten sei. Der verbale Text gliedert sich nach folgenden Gesichtspunkten: Tabelle 7: Mit Vollwertkost fit in den Frühling 5/1984, Gliederung des verbalen Textes Hauptthese „MIT VOLLWERTKOST FIT IN DEN FRÜHLING Zum Beispiel nach BircherBenner – einem der bekanntesten Vertreter der Vollwertkost. Seine Ernährungsform zählt zu den ovo-lacto-vegetabilen, d.h. eine Ernährung mit vorwiegend pflanzlichen Nahrungsmitteln, mit Milch und Ei. Bircher-Benner verspricht mit seiner Kostform nicht nur die Gesunderhaltung unseres Körpers, sondern auch eine optimale körperliche und geistige Entwicklung und größtmögliche Leistungsfähigkeit. Folgende Grundprinzipien sind nach Bircher-Benner zu beachten:“ Fazit 1 „• täglich Rohkost unverdorbene, pflanzliche Nahrung aus gesundem, humusreichem Boden.“ Begründung Fazit 1 „Dadurch wir eine bessere Zellatmung erreicht; der Zellstoffwechsel wird lebhafter, dies führt zu einem Ansteigen der Abwehr-, Widerstands- und Erneuerungskraft der Zellen.“ Fazit 2 „• täglich Grüngemüse besonders Knospen- und Blattgemüse.“ Begründung Fazit 2 „Das Grün dieser Pflanzen – auch Chlorophyll genannt – fördert die Blutbildung und belebt die Atmung und den Stickstoffumsatz der Gewebezellen. Außerdem enthalten grüne Gemüse reichlich Vitamine, z.B. A und C.“ Fazit 3 „• Ersatz von Feinmehl durch Vollkornmehl und Weißbrot durch Vollkornbrot.“ Begründung Fazit 3 „Das Korn ist ein Lieferant von Vitaminen der B-Gruppe und des Vitamin E.“ Fazit 4 (Teil 1) „• Zucker ist in jeder Form zu meiden,“ 317 Vgl. Gusto 5/1984, 44. - 51 - Begründung Fazit 4 „da er ein wesentliches Vitamindefizit (vor allem der B-Gruppe) verursacht. Zusätzlich verändert er die Darmflora, Gärung und Blähsucht sind die Folge.“ Fazit 4 (Teil 2) „Wenn überhaupt gesüßt werden soll, dann nur sehr sparsam mit verdünntem Honig oder mit Obstdicksäften.“ Begründung Fazit 5 „• Kochsalz und scharfe Gewürze verfälschen den Eigengeschmack der Speisen.“ Fazit 5 „Man bevorzugt Würzkräuter und in geringem Maße Meersalz.“ Fazit 6 „• Fleisch, Fisch und Geflügel gelten als gelegentliche Zugabe oder Garnitur“ Fazit 7 „• Buttermilch, Sauermilch und Joghurt werden gekocht. Kuhmilch vorgezogen. Empfohlen werden weiters milder Weißkäse und Butter.“ Fazit 8 „• Gemüse und Obst sollen auf humusreichen, nicht mit Insektengift behandelten Böden, gewachsen sein.“ Fazit 9 „• Mahlzeitenfolge: Die Hauptmahlzeit ist auf die Tagesmitte verlegt, Frühstück und Abendessen sind leichte Mahlzeiten. Es werden keine Zwischenverpflegungen eingenommen,“ Begründung Fazit 9 „da diese den Stoffwechselrhythmus stören.“ Mikrostruktur-Analyse Mit der Bezugnahme auf den Lebensreformer Bircher-Benner, der auch in der Themaposition der Botschaftsübermittlung zweimal aufscheint (siehe Tabelle 8), wird in der Hauptthese des Textes behauptet, dass Leistungsfähigkeit, Fitness und Gesundheit durch die richtige Kostform – die Rohkost beziehungsweise eine ovo-lakto-vegetabile Kost318 – hergestellt werden könne. Alle angeführten Fazits geben diesbezüglich ernährungsbezogene Handlungsanweisungen und begründen diese These. Tabelle 8: Mit Vollwertkost fit in den Frühling 5/1984, Übermittlung der Botschaft Thema Rhema „Zum Beispiel nach Bircher-Benner“ „– einem der bekanntesten Vertreter der Vollwertkost.“ „Bircher-Benner“ „verspricht mit seiner Kostform nicht nur die Gesunderhaltung unseres Körpers,“ „täglich Rohkost“ „unverdorbene, pflanzliche Nahrung aus gesundem, humusreichem Boden.“ „täglich Grüngemüse“ „besonders Knospen- und Blattgemüse.“ „Zucker“ „ist in jeder Form zu meiden, da er ein wesentliches 318 Die ovo-lakto-vegetabile Kost wurde von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung als Kost bestehend aus pflanzlichen Nahrungsmitteln, Milch, Milchprodukten und Eiern definiert. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), Ernährungsratgeber DGE, Frankfurt am Main 1989, 72. - 52 - Vitamindefizit (vor allem der B-Gruppe) verursacht.“ Die Vollwertkost unterscheidet sich von der ‚besonderen Ernährung des Büromenschen‘, indem mit der anvisierten Ernährung die semantischen Felder „Stoffwechsel“, „Stoffwechselrhythmus“, „Zellstoffwechsel“, „Abwehr-, Widerstands- und Erneuerungskraft“, „Vitamin“, „Vitamindefizit“ und „Frischspeise“, „humusreicher Boden“ und „unverdorbene pflanzliche Nahrung“ direkt in den Gesundheits- und Fitnesszusammenhang integriert werden. Die präventive Wirkung der Ernährung für Fitness und Gesundheit wird mit der besseren „Zellatmung“, der „Erneuerungskraft der Zellen“ und der Förderung der „Blutbildung“ beschrieben. Empfohlen wird die Meidung vollwertunspezifischer Nahrungsmittel, wie Fleisch, und die übermäßige Verwendung von Gewürzen. Zucker wird explizit mit Vitamindefizit und Krankheitsfolgen, wie Darmfloraschädigungen, assoziiert. In interpersoneller Hinsicht weist die Propagierung der Vollwertkost deutliche Gemeinsamkeiten mit dem Artikel „Die richtige Ernährung für den Büromenschen“ auf. Der Aufforderungscharakter erfolgt einerseits durch die Verwendung des modalen Adjunktes ‚täglich‘ in „täglich Rohkost“ und „täglich Grüngemüse“ und dies als Thema in der Botschaftsübermittlung (siehe Tabelle 8) als auch andererseits durch die oftmalige Verwendung des Modalverbs ‚soll‘. Als handlungsanweisend äußern sich überdies die rezeptartigen Auflistungen mit den markierten Aufzählungszeichen, die jeweils ein Fazit zur Umsetzung der Vollwertkost als auch Begründungen zum Potential der Kost liefern. Bezieht sich die Autorin in der Darstellung ihrer These explizit auf den Ernährungsreformer Bircher-Benner (siehe Tabelle 7), so ist dennoch sie selbst stets Quelle der Obligation und die Handlungsziel-Setzende. Die Glaubwürdigkeit des Dargestellten und auch professioneller Ethos werden im persönlichen Foto, das in der Bildunterschrift den Namen und die Berufsbezeichnung „Dipl. Diät-Ass. Edith Mayer“ trägt, hergestellt. Der Blick der Diät-Assistentin im Foto richtet sich auf die Rezipierenden und weist als interpersonelles demand das Potential auf, Vertrauen und Professionalität zu vermitteln. Die Beschaffenheit der Aussage im sozialen Kontext Die Darstellung der Vollwertkost Bircher-Benners äußerte sich im Kontext von Revitalisierungstendenzen der Ernährungslehren des 19. Jahrhunderts. Im Gusto-Journal wurde bereits im September 1983 ein Bircher-Müsli-Rezept in einer Rezeptreihe zur - 53 - gesunden Vollkornküche319 veröffentlicht. Schon in der zweiten Ausgabe des Journals vom Juni 1983 wurde den Leserinnen und Lesern die Vollwertkost vorgestellt und als „DIE GROSSE ‚IN‘-WELLE“320 bezeichnet. In gleicher Hinsicht erfolgte auch 1983 in der September-Ausgabe des Heftes eine Präsentation der Vollwertkost, wobei auf wissenschaftliche Erkenntnisse von Claus Leitzmann verwiesen wurde.321 Der am Ernährungswissenschaftlichen Institut der Universität Gießen tätige Professor gilt im deutschsprachigen Raum seit 1976 als bedeutender Förderer der Revitalisierung der Vollwertkost nach Werner Kollath.322 Überdies wurden in den frühen 1980er Jahren die Ideale der Alternativbewegung deutlich wahrgenommen. 1983 meinte Karl Rothschuh in seiner Abhandlung zur Alternativbewegung: „Ein neuer Naturismus ist überall spürbar. Die Tendenz zur natürlichen Ernährung verbindet sich mit der Tendenz ‚Weg vom Fertigprodukt‘, zur Selbstherstellung von Kleidung, Nahrung und Geräten. Verbunden damit ist eine größere Natürlichkeit im Verhältnis zum Körper.“323 Im Gusto-Kommentar wurden mit der zu erfolgenden Ernährungsreform und den hierfür konkreten im Fazit angeführten Schritten der Umsetzung gleichzeitig dezidiert positive gesundheitliche Aspekte genannt. Erst gegen Ende des Kommentars propagierte man die Meidung bestimmter Nahrungsmittel und Nahrungsbestandteile, wie beispielsweise Zucker. Die Thematisierung des Zuckers ging über dessen negative Rollenzuschreibung in der Übergewichtsentstehung im Kommentar zur ‚richtigen Ernährung des Büromenschen‘ hinaus, indem umfassende gesundheitliche Aspekte, wie durch Zucker verursachtes Vitamindefizit und Darmfloraschädigungen, Erwähnung fanden. Auf erwiesene wissenschaftliche Erkenntnisse stützte man sich dabei jedoch nicht. In gängigen Ernährungsratgebern, wie dem DGE-Ernährungsbericht (1972), wurde das dem Zucker zugeschriebene Verursachungspotential für Vitamindefizit zwar als möglich, jedoch als nicht dezidiert erwiesen dargestellt.324 Auch wenn es nicht explizit angesprochen wurde, so spielte das Schlankheitsideal als Teil der fitnessversprechenden Vollwertkost im Gusto-Kommentar eine bedeutende Rolle. 319 Vgl. Gusto 9/1983, 18-23. Gusto 7/1983, 45. 321 Vgl. Gusto 9/1983, 25. 322 Vgl. Briesen 2010, 277. 323 Rothschuh 1983, 136. 324 Vgl. DGE, Ernährungsbericht 1972, 173; erst gegen Ende der 1980er Jahre gab die DGE Entwarnung, indem sie verlautbarte, dass Zucker zwar keine Vitamine und Mineralstoffe enthalte, er jedoch auch kein „Vitaminräuber“ sei. Vgl. DGE, Ernährungsratgeber DGE 1989, 23. 320 - 54 - Diesbezüglich war es kein Zufall, dass die umfassende gesunde Kost im Mai präsentiert wurde. Im selben Heft erschienen Rezeptvorschläge unter dem Titel „Schlank in den Frühling mit Vollwertkost“325 und einen Monat später, im Juni desselben Jahres, hieß es im Lead-in einer Rezeptreihe, die „SCHÖNE GRÜSSE VOM GEMÜSE“326 betitelt wurde, dass „Vitamine in Ihrer (sic!) appetitlichsten Form“327 vor allem den Leserinnen „auf die Sprünge und in den knappen Bikini“328 verhelfen würden. Neu war der schlankheitsideologische Hintergrund der Vollwertkost insofern nicht, indem bereits zu Zeiten der Lebensreform die „Rohkostplatte zum Diätrepertoire“329 gehörte, wie die Historikerin Sabine Merta feststellte.330 Der deutliche Handlungsanweisungscharakter durch Inhalt, Struktur und Funktionalität des Textes als auch die visuelle Präsenz der Diät-Assistentin lassen auf ein deutliches Drängen auf die Umsetzung einer vollwertigen Ernährung zur Herstellung von Fitness und Schlankheit schließen. Dass die Vollwertkost dabei keineswegs als selbstverständlich akzeptiert wurde, äußert sich unmittelbar im selben Heft als auch an anderer Stelle im Gusto-Journal. In der wenige Seiten vor dem Kommentar der Diät-Assistentin erfolgten Rezeptreihe zur Vollwertkost331 kam die Diskrepanz zwischen Gesundheit und Genuss im Lead-in mit der Bemerkung „Was gesund ist, wissen wir ja schon lange. Wie es auch gut schmeckt, erfahren Sie beim Umblättern“332 zum Ausdruck. Die Heftdramaturgie der Mai-Ausgabe verwies ebenfalls auf Inkonsequenzen in der angeratenen Durchführung der vollwertigen ovo-lakto-vegetabilen Ernährung, indem unmittelbar auf den Kommentar eine achtseitige Rezeptreihe zu Rindfleischspeisen folgte.333 In Standardrubriken des Gusto-Journals, wie dem Vierwochenspeiseplan334 und den Gusto-Kochideen335, präsentierte man Fleischspeisen als tägliche Hauptgerichte. Im Kommentar mit dem Titel „Der wahre Wert der Vollwertkost“336 vom September 1984 wurde die Vollwertkost als gesundheitszuträglich anerkannt, gleichzeitig war jedoch auch vom Ende der 325 Gusto 5/1984, 34-35. Gusto 6/1984, 26. 327 Gusto 6/1984, 26. 328 Gusto 6/1984, 26. 329 Merta 2008, 77. 330 Vgl. Merta 2008, 77. 331 Vgl. Gusto 5/1984, 34-41. 332 Gusto 5/1984, 34-35. 333 Vgl. Gusto 5/1984, 44-51. 334 Der Vierwochenspeiseplan erschien erstmals im September 1983. Vgl. Gusto 9/1983, 62-63. 335 Die Gusto-Kochideen waren erstmals im Mai 1984 im Journal vorzufinden. Vgl. Gusto 5/1984, 64-65. 336 Gusto 9/1984, 34. 326 - 55 - „Biowelle“337, von einer vorherrschenden Kritik am „Körndlessen“338 und von einer schweren Umsetzbarkeit dieser im Alltag die Rede.339 5.1.3. Schlank mit Diäten (1984) Abbildung 4: Kommentar „Was ist ‚dick‘ und wie man schlank wird“340 337 Gusto 9/1984, 34. Gusto 9/1984, 34. 339 Vgl. Gusto 9/1984, 34-35. 338 - 56 - Situativer und medialer Kontext Der Kommentar wurde von der Diät-Assistentin Edith Mayer verfasst und befand sich in der Rubrik Diätredaktion der November-Ausgabe des Gusto-Journals. Wenige Seiten davor erschien das „Menü für Kalorienbewusste“341, bestehend aus Selleriecocktail, Hirschgulasch und Orangensalat inklusive Kilokalorien- und Kilojoule-Angaben.342 Unmittelbar auf den Kommentar folgte die Standardrubrik Gusto-Kochideen für ihren Speiseplan343 mit der Unterkategorie „Zum Abnehmen“344. Es war somit von weitgehender Kohärenz des Themas im Heft auszugehen. Makrostruktur-Analyse Der Text problematisiert Übergewicht und bietet einen Überblick über Maßnahmen der Gewichtskontrolle in Form von Kuren und Diäten. Der Kommentar gliedert sich in vier Spalten und entsprechend den vorgestellten Diäten in Absätze, wobei jede Kur oder Diät in den Kurzüberschriften auch benannt wird. Mit der in Blockbuchstaben hervorgehobenen Rubrikbenennung „Diätredaktion“ erfolgt wiederum die Hervorhebung und die professionelle Kontextualisierung des Textes. Die Kalorientabelle zu ausgewählten Getränken, unten rechts, komplementiert die schlichte Gestaltung des Gesamttextes. Diese dient einerseits der visuellen tabellarischen Veranschaulichung, wenngleich es sich schon alleine aufgrund der Auflistung der Kalorien um eine visuelle Gradation – eine visuelle Mahnung zur Gewichtskontrolle – handelt. Der verbale Text beinhaltet folgende Gliederung: Tabelle 9: Was ist ‚dick‘ und wie man schlank wird 11/1984, Gliederung des verbalen Textes Überschrift Lead-In „was ist ‚dick‘ und wie man schlank wird“ „Eine Übersicht über die häufig angebotenen Kuren zur Gewichtsreduktion“ Hauptthese „Übergewicht entsteht nicht von heute auf morgen und auch nicht zufällig.“ Begründung Hauptthese „Meist liegt eine Form von fehlerhafter Ernährung vor, denn die gängigen Argumente wie „schwerer Knochenbau“ oder „gute Futterverwertung“ sind eher Ausreden, als die wahren Ursachen des Übergewichtes (z. B. kann der Unterschied beim Knochenbau höchstens 5 kg ausmachen).“ Unterthese 1 „Das Normalgewicht ist die Körpergröße in cm minus 100 (170cm = 70 kg). Wie man heute weiß, ist es jenes Gewicht mit der geringsten Krankheitsanfälligkeit. Das früher zitierte Idealgewicht (Frauen mußten vom Normalgewicht 15% und Männer 10% abziehen) ist gar nicht so ideal. Liegt das Gewicht 20% über dem Normalgewicht, so 340 Quelle: Gusto 11/1984, 64. Vgl. Gusto 11/1984, 48. 342 Vgl. Gusto 11/1984, 48. 343 Vgl. Gusto 11/1984, 65. 344 Vgl. Gusto 11/1984, 65. 341 - 57 - spricht man von Übergewicht, das Erkrankungen wie Bluthochdruck, Gicht etc. zur Folge haben kann.“ Zwischenfazit „Es gibt eine Fülle von diätischen Möglichkeiten, Übergewicht abzubauen. Nicht jeder kann nach dem gleichen Verfahren abnehmen und jedem ist dasselbe Verfahren praktikabel. Manche Diätkuren wendet man kurzfristig an, sozusagen zur Entschlakkung (sic!), manche über längere Zeiträume zur richtigen Gewichtsabnahme. Bei größerer Gewichtsreduktion soll die Kost eine ausgewogene, kalorienreduzierte sein. Es ist empfehlenswert, einen Arzt zu Rate zu ziehen.“ Unterthese 2 „Kurzkuren Zu den Kurzkuren zählen Diäten wie z. B.: Kartoffeldiät, GemüseObsttage, Safttage, Brotdiät u. ä. Diese Diäten haben mit „Entfettung“ überhaupt nichts zu tun. Sie beruhen meist auf Entwässerung und Entschlackung. Fettdepots werden dabei nicht angegriffen.“ Begründung Unterthese 2 „Der Gewichtsverlust bei der immer wieder angepriesenen Kartoffeldiät ist damit zu begründen, daß die Kartoffel einen sehr hohen Kaliumgehalt besitzt, wodurch es besonders in den ersten drei Tagen zu eindrucksvollen Wasserausscheidungen kommt. Kombiniert man Kartoffel mit kaliumreichem Gemüse oder Obst (Kohlrabi, Marille) so kann die Wirkung noch erhöht werden.“ Fazit Unterthese 2 „Will man kurzfristig 2 bis 3 kg entschlacken, so könnte eine dieser Kurzkuren empfohlen werden. Für eine höhere Gewichtsreduktion sind sie nicht geeignet.“ Feststellung 1 „0-Diät Diese Diät beruht darauf, daß jede Energiezufuhr und somit auch die so wichtige Eiweißzufuhr unterbleibt. Es müssen täglich 2 bis 3 l (energiefreie) Flüssigkeit genommen werden.“ Fazit Feststellung 1 „Für diese Diät spricht die schnelle Gewichtsreduktion in kürzester Zeit, wodurch sich auch eine hohe Motivation des Abnehmenden ergibt. Wenn überhaupt eine solche Diät durchgeführt werden soll, dann nur unter ständiger Aufsicht eines Arztes (Spitalsaufenthalt). Der Nachteil der Diät ist, daß keine Kostumstellung erfolgen kann und außerdem, so hat es die Praxis gezeigt, erfolgt häufig eine rasche Gewichtszunahme nach der Diät.“ Feststellung 2 „300-Eiweiß-Kalorien-Diät Diese wird heute an den Kliniken anstelle der 0-Diät gegeben. Es ist eine reine Eiweißdiät ohne Zugabe von Fett und Kohlenhydraten.“ Fazit Feststellung 2 „Sie sollte auf jeden Fall unter Aufsicht des Arztes durchgeführt werden.“ Feststellung 3 „Formula-Diäten Diese im Handel erhältlichen pulverisierten oder flüssigen Nährstoffkonzentrationen sind Fett- und Kohlenhydrat-reduziert. Sie enthalten alle wichtigen Nähr- und Wirkstoffe. Es gibt 900, 600, und 360 Kalorien-Diäten.“ Fazit Feststellung 3 „Die Vorteile sind die praktische und einfache Zubereitung, jedes Kalorienzählen fällt weg, es kommt zu einer sicheren Gewichtsreduktion. Allerdings sind sie relativ teuer und können langweilig werden.“ Unterthese 3 „Energiereduzierte Mischkost Sie gilt als sinnvollster Weg der Gewichtsreduktion.“ Begründung Unterthese 3 „Im Gegensatz zu anderen starren Diätformen läßt sich hier der kalorienreduzierte Speisezettel individuell gestalten. Es entsteht kaum Heißhunger, außerdem können vernünftige Eßgewohnheiten erlernt und angewöhnt werden.“ Schlussfazit „Ein wichtiger und daher zu beachtender Punkt ist die Flüssigkeitsaufnahme während einer Schlankheitskur. Empfehlenswert ist eine Trinkmenge von 1 ½ bis 2 l energiefreie Flüssigkeit pro Tag. Wasser und Mineralwasser (evt. Mit Zitronensaft und Süßstoff), Kaffee sowie Tee mit wenig Milch und Süßstoff sind erlaubt. Limonaden, alkoholische Getränke, Fruchtsäfte (evt. Ausnahme: Grapefruitsaft), Milch- und Milchmixgetränke sind kalorienreich und daher zum Abnehmen nicht geeignet.“ Apostrophe Edith Mayer - 58 - Mikrostruktur-Analyse Die thematische Fokussierung auf die Wiederherstellung einer positiven Gewichtsbilanz äußert sich nicht nur in der Überschrift in „wie man schlank wird“ und im Lead-in in „Übersicht über […] Kuren zur Gewichtsreduktion.“, sondern auch in textueller Hinsicht in der Botschaftsübermittlung. Begriffe wie ‚Gewichtsreduktion‘ und ‚Diät‘ kommen überdurchschnittlich häufig in der Themaposition vor (siehe Tabelle 10). Tabelle 10: Was ist ‚dick‘ und wie man schlank wird 11/1984, Übermittlung der Botschaft Thema Rhema „Übergewicht“ „entsteht nicht von heute auf morgen und auch nicht zufällig.“ „Das Normalgewicht“ „ist die Körpergröße in cm minus 100.“ „Das früher zitierte Idealgewicht“ „[…] ist gar nicht so ideal.“ „Manche Diätkuren“ „wendet man kurzfristig, sozusagen zur Entschlakkung (sic!)“ „Bei größerer Gewichtsreduktion“ „soll die Kost eine ausgewogene, kalorienreduzierte sein.“ „Zu den Kurzkuren“ „zählen Diäten wie z. B. […].“ „Diese Diäten“ „haben mit „Entfettung“ überhaupt nichts zu tun.“ „Der Gewichtsverlust“ „bei der immer wieder angepriesenen Kartoffeldiät […].“ „Für eine höhere Gewichtsreduktion“ „sind sie nicht geeignet.“ „Diese Diäten beruhen darauf,“ „daß jede Energiezufuhr […] unterbleibt.“ „Für diese Diät“ „spricht die schnelle Gewichtsreduktion in kürzester Zeit,“ „Der Nachteil der Diät ist,“ „daß keine Kostumstellung erfolgen kann.“ In ideationeller Hinsicht lässt sich anhand der verwendeten Synonyme und der Häufigkeit der semantischen Bedeutungsinhalte ebenfalls ein gänzlicher Fokus auf die Gewichtsabnahme feststellen. Wortklassenübergreifend finden „Reduktion“ und „reduzieren“ über zehnmal und „Abnahme“ und „abnehmen“, „Entschlackung“ und „entschlacken“ jeweils viermal Verwendung. Überdies verweisen die semantisch positiven und negativen Antonyme „energiefrei“ und „kalorienreich“ und die tabellarische Hervorhebung des Energiegehalts von Getränken mit detaillierten Kalorienangaben auf die Bedeutung, die der Gewichtskontrolle als Bilanzierung zuteilwird. Der übergeordnete Ursache-WirkungsZusammenhang von Schlankheit und Gesundheit wird in Unterthese 1 angesprochen (siehe Tabelle 9), ist dem unmittelbaren Ziel der Gewichtsreduktion jedoch gänzlich nachgereiht. Im Gesundheitszusammenhang werden Über-, Normal- und Idealgewicht nur jeweils einmal als Thema initiiert (siehe Tabelle 10). - 59 - In Hinblick auf die Umsetzung der Gewichtsreduktion wird die nachhaltige ausgewogene Kost zwar angesprochen, gemäß den Zielen einer Übersicht zu GewichtsreduktionsKuren erfolgt mit der Verwendung von beschreibenden Epitheta in „richtige“, „große“ und „schnelle“ „Gewichtsreduktion“ beziehungsweise „-abnahme“ jedoch auch eine Hinführung der Leserinnen und Leser zu diversen anderen, unmittelbareren Maßnahmen der Gewichtsreduktion. Anhand derselben Epitheta vollzieht sich überdies auch die interpersonelle Bewertung dieser Maßnahmen. Kurzkuren seien für eine „höhere Gewichtsreduktion […] nicht geeignet“. Die „schnelle Gewichtsreduktion“ bei der 0-Diät äußere sich als nicht nachhaltig, während Formula-Diäten zu einer „sicheren Gewichtsreduktion“ führen und deshalb auch empfohlen werden. Wie in den vorangegangenen Texten der Rubrik Diätredaktion zeigt sich auch im Gegenwärtigen ein außerordentlich hohes Aufforderungspotential. Von großer interpersoneller Bedeutung erweist sich diesbezüglich die Satzkonstruktionen „Es muss […] genommen werden“ und „Sie sollte […] durchgeführt werden.“ Modalverben sorgen diesbezüglich für den imperativischen Anweisungscharakter. Die Notwendigkeit zum Handeln kommt überdies durch die Verwendung der Präposition „zu“ gemeinsam mit dem Präsenspartizip345 in „ein wichtiger und daher zu beachtender Punkt“ und in der Verwendung des Modalen Infinitivs346 in „ist ein Arzt zu Rate zu ziehen“ zum Ausdruck. Die Obligation zum Handeln erfolgt dabei durchwegs durch die Autorin als Wissende und hohen professionellen Ethos. Die Beschaffenheit der Aussage im sozialen Kontext Spätestens seit den 1970er Jahren galt Übergewicht als schwerwiegendes Problem für Mediziner und Ernährungsphysiologen im deutschsprachigen Raum.347 Die „Fettsucht“ sei „nicht allein unschön“348, sondern auch schädigend für die inneren Organe, könne zu Atherosklerose führen und stelle ein erhöhtes Risiko für Herzkreislauferkrankungen dar.349 Als weitere Folgen von Übergewicht wurden unter anderem auch erhöhter Blutdruck350 und Gicht351 genannt, wie dies auch die Diät-Assistentin im GustoKommentar feststellte. Ebenso teilte der Kommentar mit den medizinischen Ernährungs345 Vgl. Jung 1990, 199. Vgl. Eisenberg 2006, 131 u. 135. 347 Vgl. Holtmeier 1972, 9-11; vgl. Heyden 1973, 16. 348 Holtmeier 1972, 11. 349 Vgl. Holtmeier 1972, 11. 350 Vgl. Holtmeier 1972, 13; vgl. Heyden 1973, 12. 351 Vgl. Heyden 1973, 15. 346 - 60 - ratgebern die Ansicht, dass Übergewicht als Bilanzproblem eine Folge der Fehlernährung sei. Schuld sei ein kalorienreiches und energiereiches Essen.352 Die im Kommentar erfolgte Bemessung des Übergewichts – Verortung bei 20 Prozent über dem BrocaNormalgewicht – deckte sich mit der Bemessungsgrundlage im Österreichischen Ernährungsbericht 1982353 und den in der österreichischen Forschung herangezogenen Parametern.354 Ergebnisse der Forschung aus dem Jahr 1983 verorteten ein Übergewicht bei 47 Prozent der Bevölkerung, wobei 19 Prozent mit mehr als 20 Prozent über dem Normalgewicht als stark und 28 Prozent mit weniger als 20 Prozent über dem Normalgewicht als leicht übergewichtig eingestuft wurden.355 Während medizinische Ernährungsratgeber Gründe und gesundheitliche Folgen des Übergewichts im Detail erläuterten, stand im Gusto-Journal der frühen 1980er Jahre durchwegs die schlankheitsideologische Bilanzierung des Körpergewichts im Vordergrund. Die Rubrik Diätredaktion präsentierte zur Mitte des Jahres 1984 den Leserinnen und Lesern Rezepte unter dem Titel „Das kalorienreduzierte Menü“356 mit Hinweisen auf Kilojoule- und Kilokalorien-Angaben. Gegen Ende des Jahres tauchte die eigenständige Rezeptreihe Das Menü für Kalorienbewusste357 auf, die 1985 schließlich als Menüvorschlag mit dem Titel Menü kalorienbewußt358 weitergeführt wurde. Die Standardrubrik Gusto-Kochideen für ihren Speiseplan359, die ab Mai 1984 bis September 1985 ihren festen Platz im Journal hatte, beinhaltete von Anfang an, neben festlichen, preiswerten und schnellen Mahlzeiten, die Kategorie „zum Abnehmen“360 mit besonders kalorienarmen Speisevorschlägen. Die Mischkost, wie sie der Ernährungswissenschaftler Johannes Bohlmann in den 1950er Jahren als facettenreiche tierische und pflanzliche Kost beschrieb,361 wurde im Gusto-Kommentar als Diätvariante als „energiereduzierte Mischkost“ vertreten362. Als langfristige Ernährungsumstellung363 wurde sie im 352 Vgl. Holtmeier 1972, 34. Vgl. BMFGU, Österreichischer Ernährungsbericht 1982, 43. 354 Vgl. Institut für Sozialmedizin der Universität Wien (IfSUW), Atherosklerosebericht, Wien 1988, 44-45, zitiert nach Gredler, B/ Kunze, M, Risikofaktor Übergewicht. Daten zur epidemiologischen Situation in Österreich sowie Anmerkungen zur therapeutischen Intervention, Öff. Gesundheitswesen 45/1 (1983). 355 Vgl. IfSUW, Atherosklerosebericht, Wien 1988, 44-45, zitiert nach Gredler, B/ Kunze, M, Risikofaktor Übergewicht. Daten zur epidemiologischen Situation in Österreich sowie Anmerkungen zur therapeutischen Intervention, Öff. Gesundheitswesen 45/1 (1983). 356 Vgl. Gusto 6/1984, 51; Gusto 8/1984, 50-51. 357 Vgl. Gusto 10/1984, 51; Gusto 11/1984, 48. 358 Vgl. Gusto 4/1985, 50. 359 Vgl. Gusto 5/1984, 64-65. 360 Vgl. Gusto 5/1984, 65. 361 Vgl. Briesen 2010, 207. 362 Siehe „Die Kalorienreduzierte Mischkost. Schlankheitskuren 3. Teil“, Gusto 1/1985, 59. 353 - 61 - Kommentar lediglich angesprochen, jedoch nicht näher erläutert. Demgegenüber wurden pulverisierte Formula-Diäten, die jeglichen kulinarischen Genuss entbehren364, als erfolgsversprechend propagiert und Kurzkuren zur Entschlackung gutgeheißen. Wenngleich die 0-Diät von der Diät-Assistentin lediglich eingeschränkt empfohlen wurde,365 so nannte sie dennoch einen entscheidenden Vorteil – nämlich „die schnelle Gewichtsreduktion“. Der sich mit Gesundheitsthemen befassende Wissenschaftsjournalist Kurt Langbein meinte, dass die 0-Diät „den alleinigen Zweck der Gewichtsreduktion […] verfolgte“ und „keinerlei heilenden Ansatz wie die anderen Fastenkuren“.366 Auch die im Kommentar erwähnte energiefreie Flüssigkeitszufuhr und die Verwendung von Süßstoff statt Zucker367 sollten für die Gewährleistung von Schlankheit sorgen. Diesbezüglich wurde wiederum der Zusammenhang von Zucker und Übergewichtsentstehung hergestellt. Von einem umfassenden Gesundheitszusammenhang betreffend Körpergewicht, Fett- und Zuckerstoffwechsel, wie ihn medizinische Ernährungsratgeber vertraten,368 war nicht auszugehen. Die im Text erfolgte omnipräsente Zielorientierung der Gewichtsreduktion aus Schlankheitsmotiven entsprach dem österreichweit vor allem unter Frauen vorzufindenden Streben nach ästhetischer Schlankheit. Das Ergebnis der im Österreichischen Ernährungsbericht 1982 zitierten und vom Institut für Empirische Sozialforschung (IFES) und vom Meinungsforschungsinstitut Fessel und GfK 1979 durchgeführten Genußmittelstudie verwies darauf, dass sich 44 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher als übergewichtig fühlten369 und vor allem Frauen ein kontrolliertes Ernährungsverhalten an den Tag legten.370 35 Prozent der Österreicherinnen kontrollierten demnach immer ihr Körpergewicht im Vergleich zu 21 Prozent der Österreicher und 54 Prozent der Frauen schränkten bewusst bestimmte Lebensmittel ein, während dies nur 37 Prozent der Männer taten. Äußerte sich ‚Gesundheit‘ als Motiv für beide Geschlechter gleichbedeutend, so gaben 45 Prozent der Frauen und lediglich 32 363 Vgl. Langbein, Kurt/Skalnik, Christian, Gesundheit aktiv. Was wirklich hilft, Wien 2005, 184. Vgl. Langbein/Skalnik 2005, 179. 365 Experimente in den 1970er Jahren bestätigten, dass bei der 0-Diät kaum Fettdepots abgebaut werden. Vgl. Langbein/Skalnik 2005, 178. 366 Langbein/Skalnik 2005, 178. 367 Süßstoffe wurden im Gusto-Journal der frühen 1980er Jahre durchwegs als Zuckerersatz propagiert. Neben ausgewiesenen Diabetiker-Rezepten in der Rubrik „Für Diabetiker“ wurden die Leserinnen und Leser in der Standardrubrik „Vierwochenspeiseplan“ gänzlich zum Süßen von Desserts mit Süßstoffen aufgefordert. Vgl. Gusto 6/1983, 62-63. 368 Vgl. Heyden 1973, 31. 369 Vgl. BMFGU, Österreichischer Ernährungsbericht 1982, 105. 370 Vgl. BMFGU, Österreichischer Ernährungsbericht 1982, 108-109. 364 - 62 - Prozent der Männer ‚Aussehen‘ als primäres Motiv der Ernährungskontrolle an.371 Wie aus Studien Anfang der 1980er Jahre zu entnehmen ist, ging die hohe Unzufriedenheit mit der eigenen Figur überdies auch mit einer „hohen Prävalenz bulimischer und anorektischer Verhaltensweisen“372 in der Normalbevölkerung einher.373 Die Diätassistentin verlautbarte gemäß der verwendeten Sprache und der Gestaltung des Textes ihre diätischen Ansichten und Ratschläge handlungsanweisend und mit hohem Aufforderungscharakter weitgehend ungeachtet der Folgen374 der schlankheits- ideologischen Botschaften. Bestanden bei manchen der dargestellten Diätvarianten gesundheitliche Gefahren, so wurde die Verantwortung an Mediziner weitergegeben. In seiner Gesamtheit äußerte sich der Text nicht nur aufgrund seines Inhaltes als schlankheitsideologisches Diskursfragment, sondern trat aufgrund des außerordentlich hohen interpersonellen Potentials als Diskursakteur in Erscheinung. 5.1.4. Bewusst essen und schlank bleiben (1986) Situativer und medialer Kontext Der Kommentar erschien im Frühjahr 1986 in der Rubrik Bewußtes Leben als Teil des informierenden Gusto-Magazin-Teils am Ende des Heftes. Die Rubrik war inhaltlicher Nachfolger der Diätredaktion und existierte von Anfang 1986 bis Mitte 1987. Sabine Hollomey-Gärner als Verfasserin des Textes tauchte als ständiges Redaktionsmitglied erstmals im Februar 1986 im Impressum des Gusto-Journals auf375 und war für die Rubrik über die gesamte Zeitspanne zuständig. Ende 1985 kam es überdies zu einem Wechsel in der Chefredaktion, denn ab November 1985 übernahm Werner Meisinger376 diese von Heinrich Camondo. Neben der Rubrik Bewußtes Leben fanden sich stets Produktinformationen, Restaurantkritiken, Bücherrezensionen und Hinweise auf Rezepte der vergangenen Ausgaben. Auffällig sind die große Anzahl an leichten Speisen wie „Maischolle“377 und Rezepte zur Gemüseküche378 in derselben Ausgabe. 371 Vgl. BMFGU, Österreichischer Ernährungsbericht 1982, 111. Jacobi, Corinna/Thiel, Paul, Kognitive Verhaltenstherapie bei Anorexia und Bulimia nervosa, 2. Auflage, Weinheim 2000, 23. 373 Vgl. Jacobi/Thiel 2000, 23. 374 Die klinische Psychologie erachtet die durch Medien transportierte Schlankheitsideologie als soziokulturellen Faktor in der Entstehung von Ess-Störungen und die Verbreitung und Anwendung von Diäten als zentralen Bestandteil in der Genese derartiger Krankheiten. Vgl. Jacobi/Thiel 2000, 23 u. 29. 375 Vgl. Gusto 5/1986, 3. 376 Siehe Editorial der November-Ausgabe 1985, vgl. Gusto 11/1985, 3. 377 Vgl. Gusto 5/1986, 28-33. 372 - 63 - Abbildung 5: Kommentar „Wie man wirklich schlank wird (und bleibt)“379 Makrostruktur-Analyse Das Thema des Textes betrifft die notwendige Umsetzung einer bewussten Ernährung vor dem Hintergrund von falschem Ernährungsverhalten und daraus resultierendem Übergewicht. Eine dauerhafte positive Gewichtsbilanz könne nicht durch allgegenwärtige Diätkuren hergestellt werden. Der Text auf den beiden Halbseiten umfasst jeweils zwei 378 379 Vgl. Gusto 5/1986, 12-16; Gusto 5/1986, 46-49. Quelle: Gusto 5/1986, 61-62. - 64 - Spalten. Mit der rot vor grauem Hintergrund hervorgehobenen und über dem Text platzierten Rubrikbenennung „Bewußtes Leben“ erfolgt die Herstellung eines Settings zur Thematisierung der bewussten Ernährung. Auffällig sind auch das kursiv verfasste Leadin und die kursiven Textstellen „Fett“, „Zucker“, „zuckerreiche Speisen“ und „Alkoholische Getränke“. Die Ausführungen zu Übergewicht als Bilanzproblem in Unterthese 2 (siehe Tabelle 11) werden durch die grafische Darstellung der Kalorientabelle mit ausgewählten Nahrungsmitteln in Form der visuellen Addition unterstützt. Der verbale Text gliedert sich in folgende argumentative Abschnitte: Tabelle 11: Wie man wirklich schlank wird (und bleibt) 5/1986, Gliederung des verbalen Textes Überschrift „WIE MA WIRKLICH SCHLA K WIRD (U D BLEIBT)“ Hauptthese „Eine Kalorientabelle, ein Rechenstift und ein geändertes Ernährungs-Bewußtsein sind besser als alle Ruck-Zuck-Kuren!“ Begründung Hauptthese „Mit dem Schlagwort ‚Fit in den Frühling‘ wird jedes Jahr landauf, landab abgenommen. Meistens mit Hilfe von 3-, 5-, 7-, 14-Tages-Kuren, die tatsächlich zum raschen Verlust von ein paar Kilo Körpergewicht führen. Sobald der Frühling allerdings vorbei ist, ist meist auch das Übergewicht wieder da, denn die meisten Abmagerungs-Kuren basieren auf einer Ausschwemmung von Wasser, das in wenigen Tagen wieder eingelagert werden kann. Vor allem: Bei den meisten AbmagerungsKuren passiert keine grundsätzliche Umstellung der Ernährungsgewohnheiten, “ Zwischenfazit „die jedoch vonnöten ist, um die Gewichtsreduktion dauerhaft werden zu lassen.“ Unterthese 1 „Falsches Ernährungsverhalten kann schon sehr früh anerzogen werden.“ Begründung Unterthese 1 „Bereits im Säuglings- und Kindesalter können Gewohnheiten aufgebaut werden, die man später nur schwer wieder ablegen kann. Das bekannte ‚Leeressen-Müssen des Tellers‘, das ‚So wie beim Essen, so auch bei der Arbeit‘, das ‚Aufessen, damit das Wetter schön wird‘, ständige Belohnungen, Tröstungen, Vertröstungen und Liebesersatz mit Süßigkeiten aller Art sind ‚Verziehungen‘, die sich tief festsetzen und als permanentes Übergewicht zu Tage treten können.“ Unterthese 2 „Die erste Erkenntnis auf dem Weg zu einer bewußten Ernährung ist jene, daß Übergewicht (abgesehen von eher seltenen medizinischen Ursachen) weder auf unbegreifliche Weise entsteht noch durch undurchschaubar-wissenschaftliche Methoden wieder weggebracht werden muß.“ Begründung Unterthese 2 „1 Kilogramm Körperfett enthält 6000 Kilokalorien. Wer zu dick ist, hat irgendwann im Vergleich zum tatsächlichen Energiebedarf zuviel Kalorien aufgenommen – will man sie wieder wegbringen, braucht man pro Kilo Fett lediglich um 6000 Kcal weniger als nötig aufzunehmen (wobei völlig unwichtig ist, welche Lebensmittel zwecks geringerer Energiezufuhr aufgenommen werden!) Jedes, im Vergleich zum tatsächlichen Kalorienbedarf Zuviel an Nährwert, wird in Körperfett umgewandelt, jedes Zuwenig baut Fettreserven ab.“ Unterthese 3 „Der letzte Satz sagt auch schon, daß Gewichtsabnahme selbstverständlich nicht nur durch die Steuerung der Nährwertaufnahme zu erreichen ist.“ Begründung Unterthese 3 „Wird der Kalorienverbrauch gesteigert – z. B. durch erhöhte körperliche Aktivität wie Sportausübung – kommt es bei gleichbleibender Nahrungsaufnahme ebenfalls zum Fettabbau.“ Fazit Unterthese 3 „Aber nicht jedermann kann oder will Sport betreiben, also bleiben wir bei der Ernährung.“ - 65 - Unterthese 4 „Der ‚gefährlichste‘ Dickmacher ist Fett.“ Begründung Unterthese 4 „Fett enthält mehr als doppelt so viele Kalorien wie Eiweiß oder Kohlenhydrate.“ Feststellung 1 „Der Statistik ist zu entnehmen, daß die Österreicher um ziemlich genau 100% zu viel Fett essen (140 anstatt ca. 70 Gramm täglich). Allein Fleisch und Wurst liefern 20% der Fettmenge, der bei uns üblichen Ernährung. Auch beim Koch- und Streichfett sind wir allzu großzügig.“ Unterthese 5 „Auch Zucker und zuckerreiche Speisen kann man zu den ‚Dickmachern‘ zählen.“ Begründung Unterthese 5 „Abgesehen davon, daß sie keine Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente, meist auch keine Ballaststoffe liefern, fördert eine zuckerreiche Ernährung das Bedürfnis nach noch mehr Zuckeraufnahme sowie Hunger und Müdigkeit, weil der Blutzuckerspiegel starken Schwankungen ausgesetzt ist.“ Feststellung 2 „Zukker (sic!) ist übrigens nicht nur das, was man sich in den Kaffee gibt! In vielen Speisen und Getränken sind ungeahnte Zuckermengen versteckt. Besonders zuckerhältig sind alle kohlensäurehältigen Erfrischungsgetränke. In einigen sind bis zu 40 Stück Zucker pro Liter enthalten! Mehlspeisen enthalten auch mehr Zucker, als für einen angenehm süßen Geschmack nötig wäre.“ Fazit Unterthese 5 „Man könnte ihn ohne weiteres reduzieren, meist auf die Hälfte der in den Rezepten angegebenen Mengen; vor allem dann, wenn man Vollmehl verwendet, in dem ja alle Inhaltsstoffe, somit auch die getreideeigenen Geschmackstoffe erhalten sind. Süßigkeiten wie Schokolade, Pralinen, Zuckerln u. a. enthalten natürlich auch hohe Mengen an Zucker.“ Unterthese 6 „Alkoholische Getränke liefern ebenfalls viele Kalorien.“ Begründung Unterthese 6 „Sie bestehen aus Alkohol und verschiedenen Zuckerarten. Alkohol liegt im Kaloriengehalt zwischen Fett und den anderen Nährstoffen und liefert keinerlei andere Inhaltsstoffe.“ Fazit Unterthese 57 bzw. Schlussfazit „Diesen ‚Dickmachern‘ stehen als Alternative eine Menge kalorienarmer Lebensmittel gegenüber. Bis auf wenige Ausnahmen (z. B. Nüsse) sind alle Pflanzen eher kalorienarm. Das betrifft vor allem Obst und Gemüse. Getreide (Brot) ist kalorienärmer als allgemein angenommen – der Brotbelag enthält meist gleich oder doppelt so viele Kalorien wie seine Unterlage. Auch Erdäpfel wurden lange Zeit fälschlicherweise als Dickmacher eingestuft. Magere Milchprodukte (Joghurt, Topfen, Käse) sind zwar nicht extrem kalorienarm, aber eine hochwertige Ergänzung zum pflanzlichen Eiweiß. Um die Nährwert-Aufnahme überwachen zu können, braucht man Rezepte mit entsprechenden Kalorienangaben oder spezielle Kalorientabellen, die um wenig Geld im Buchhandel erhältlich sind*, weiter einen Rechenstift oder Taschenrechner, und zuletzt, ein wenig Disziplin.“ Apostrophe Sabine Hollomey-Gärner Mikrostruktur-Analyse Übergewicht wird in Unterthese 2 als Bilanzproblem dargestellt (siehe Tabelle 11), wobei für die Bilanzierung des Körpergewichts gänzlich das Individuum verantwortlich sei und auch die Folgen des Übergewichtes zu tragen hätte: „Wer zu dick ist, hat irgendwann im Vergleich zum tatsächlichen Energiebedarf zuviel Kalorien aufgenommen.“ Übergewicht als Bilanzproblem äußert sich in ideationeller Hinsicht als thematisch-vordergründig anhand der semantischen Bedeutungsfelder ‚Körperfülle‘ und ‚-substanz‘ mit den - 66 - Begriffen „Körperfett“, „Fett“ und „Fettreserven“ als auch dem Bedeutungsfeld ,Energiezufuhr‘ mit den Begriffen „Kilokalorien“ und „zuviel Kalorien“. Körpersubstanz und Energiezufuhr werden dabei in einem engen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang mit konkreten Zahlen dargestellt. In der Hauptthese wird behauptet, dass „eine Kalorientabelle, ein Rechenstift und ein geändertes Ernährungs-Bewußtsein“ besser seien als jegliche „Ruck-Zuck-Kuren“. Ernährungsbewusstsein und individuelle Selbstinitiative werden als Notwendigkeit zugrunde gelegt und Maßnahmen der Gewichtsreduktion, wie Diäten, werden abgelehnt. Es ist in ideationeller Hinsicht eine wortklassenübergreifende Häufung des Wortes ‚bewusst‘ in „Bewußtes Leben“ und „Ernährungs-Bewußtsein“ feststellbar. Als interpersonell bedeutsam äußern sich die Epitheta in den Gegensatzpaaren „geändertes Ernährungs-Bewußtsein“ und „falsches Ernährungsverhalten“. Während konkrete Ratschläge zur Umsetzung einer bewussten Ernährung lediglich im Schlussfazit mit den Hinweisen auf den Konsum von pflanzlicher Kost, Getreide, Kartoffeln und mageren Milchprodukten erfolgen, fokussiert der Text jene Nahrungsbestandteile, die vor allem zu meiden seien. Diesbezüglich ist von „Dickmachern“ – von Zucker und Alkohol – und vom „gefährlichsten Dickmacher“ – von Fett – die Rede. Das in interpersoneller Hinsicht evaluative Epithet ‚gefährlichste Dickmacher‘ initiiert in der Darstellung den ursächlichen Zusammenhang von unerwünschtem Nahrungsmittelkonsum, Körpergewicht und Gesundheit. Generell erfolgen sachbezogene Argumente gegen den Konsum von Fett, Zucker und Alkohol. Verben wie ‚liefern‘ und ‚enthalten‘ kommen überdurchschnittlich oft in den Sätzen vor. Sie sorgen für eine sachliche Darlegung des negativen Potentials der „Dickmacher“. Der Text äußert sich durchwegs als sachargumentativ, wenngleich die Präsentation der Sachverhalte mit Nachdruck erfolgt. Von interpersoneller Qualität erweisen sich diesbezüglich die in der Themaposition der Botschaftsübermittlung vorkommenden substantivierten Adjektivgruppen und Präpositionalgruppen „Vor allem:“ und „Jedes Zuviel“ und „Jedes Zuwenig“ (siehe Tabelle 12). Tabelle 12: Wie man wirklich schlank wird (und bleibt) 5/1986, Übermittlung der Botschaft Thema Rhema „Vor allem:“ „Jedes,“ „im Vergleich zum tatsächlichen Kalorienbedarf Zuviel an Nährwert, wird in Körperfett - 67 - umgewandelt,“ „jedes Zuwenig“ „baut Fettreserven ab.“ Die dargelegten Sachverhalte werden auf diese Weise bekräftigt.380 Auch die dreimal im Text vorkommenden Ausrufzeichen heben die Nachdrücklichkeit des Gesagten hervor. Die Leserinnen und Leser werden somit argumentativ aufgefordert, ohne rezeptartige Handlungsanweisungen zu erteilen. Die Beschaffenheit der Aussage im sozialen Kontext Präskriptive wie auch rezeptartige diätische Maßnahmen zur Gewichtsreduktion wurden seitens der Gusto-Redaktion zu Gunsten des Genusses und der Kulinarik weitgehend abgelehnt. Die Begriffe „Ruck-Zuck-Kuren“ und „Abmagerungskuren“ verwiesen auf diese Tatsache. Die im Editorial im selben Heft geäußerte Ansicht des Chefredakteurs, dass im frühjährlichen Streben nach Schlankheit „Roßkuren leider völlig sinnlos“381 seien, bestätigte diese Tendenzen in der Blattlinie. Wie Sabine Hollomey-Gärner im Kommentar, so verwies auch er auf die Notwendigkeit einer bewussten Ernährung und schlug eine „linienbewusste Ernährung“382 unter Beachtung der Gusto-Nährwertangaben vor. Überdies unterstrich die Fülle an Gusto-Rezepten zu leichten Speisen, wie Fisch und Gemüse, diese redaktionelle Ansicht. Mit der bewussten Ernährung setzte das Journal auf Selbstinitiative der Leserinnen und Lesern vor schlankheitsideologischem als auch gesundheitsorientiertem Hintergrund. Der Ursache-Wirkungs-Zusammenhang anhand konkreter Zahlen und die visuelle Hervorhebung kalorienarmer und -reicher Nahrungsmittel in der rot-gelb eingefärbten und mit Nahrungsmittelsymbolen ausgestatteten Kalorientabelle verwiesen einerseits auf eine außerordentliche Bedeutsamkeit einer positiven Gewichtsbilanz. Andererseits propagierten die vorgeschlagenen Maßnahmen und Hilfsmittel wie Kalorientabellen, Rechenstift und Taschenrechner die Notwendigkeit zur selbstverantwortlichen Umsetzung der Bilanzierung des Körpergewichts. Ungeachtet der Folgen der schlankheitsideologischen Botschaften leistete das Gusto-Journal als Förderer hoher gesellschaftlicher als auch individueller Erwartungen dem Streben nach der Idealfigur Vorschub. 380 Vgl. Jung 1990, 320. Gusto 5/1986, 3. 382 Gusto 5/1986, 3. 381 - 68 - Die bewusste Ernährung wurde überdies vor dem Hintergrund des selbstdisziplinierten Verzichts bestimmter Nahrungsmittelbestanteile präsentiert. Überdurchschnittlich oft vorkommende Bezeichnungen und Zusammensetzungen mit ‚Fett‘ gingen einher mit der Feststellung, dass Nahrungsmittelfett der „gefährlichste Dickmacher“ sei. Als ‚Dickmacher‘ definierten Mediziner jene Lebensmittel „mit einem hohen Kaloriengehalt oder mit ungünstiger Nährstoffzusammensetzung oder beidem“.383 Seit den Diätkuren der 1980er Jahre kam vor allem Fett in Verruf, da es, wie Kurt Langbein und Christian Skalnik bemerkten, pro Gramm neun Kilokalorien und damit die doppelte Menge an Energie wie Eiweiß und Kohlenhydrate einbringe. Im Text galten auch eine zuckerreiche Ernährung und der Konsum von alkoholischen Getränken als dickmachend, die ebenso wie Nahrungsmittelfett durch die Kursiv-Schreibung im Text hervorgehoben wurden. Alkohol sei kalorienhaltig, und zuckerreiche Nahrungsmittel rufen ein allgemeines Hungergefühl und Verlangen nach noch mehr Zucker hervor. Die Meidung dieser ‚Dickmacher‘ aus gewichtsreduzierenden Gründen erfolgte vor dem Hintergrund eines vertretenen Schlankheitsbewusstseins, wenngleich auch auf den Gesundheits- zusammenhang eingegangen wurde. Dickmacher hätten eine ungünstige Nährstoffzusammensetzung, Zucker fehle es an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen und er verursache überdies Müdigkeit aufgrund von Blutzuckerspiegelschwankungen. Alkohol liefere „keinerlei andere Inhaltsstoffe“ und Fett werde von den Österreicherinnen und Österreichern ohnehin übermäßig verzehrt. Tendenzen einer Verzichtethik auf bestimmte Nahrungsmittelbestandteile waren somit essentieller Bestandteil der Botschaften. In den USA äußerte sich eine Zuckerphobie bereits erstmals gegen Ende der 1960er Jahre und die Forderungen der egative utrition – der Verzicht auf Fett, Zucker und Salz – erstmals in den 1970er Jahren384: „Die Negative Nutrition erforderte eine grundlegende Änderung der Essgewohnheiten, ja eine lebenslange Diät. […] Die alten Konzepte hatten den Konsumenten einfach Gruppen von angeblich gesunden Lebensmitteln genannt Fleisch, Eier, Gemüse, Obst, Milch und sie dazu angehalten, nach Herzenslust zuzugreifen. Nun sollten die Verbraucher nach oft kaum nachvollziehbaren Kriterien hauptsächlich eines: verzichten.“385 383 Maier 1997, 283. Vgl. Briesen 2010, 260-263. 385 Briesen 2010, 263. 384 - 69 - Behandelte der Kommentar der Mai-Ausgabe lediglich die Meidung von Fett und Zucker, so widmete sich Sabine Hollomey-Gärner in ihrer Rubrik Bewusstes Leben in der September-Ausgabe des Gusto-Journals schließlich auch dem dritten umstrittenen Nahrungsbestandteil – dem Salz. Hergestellt wurde der Gesundheitszusammenhang von übermäßigem Salzkonsum und Bluthochdruck.386 Einhergehend mit der Verzichtsethik tauchten im Magazin erstmals besondere Varianten von Fetten und Ölen auf, wie die Marke Osolio-Reform im September 1987,387 die in der Produktvorstellung aufgrund mehrfach ungesättigter Fettsäuren die Forderungen der leichten ‚Neuen Küche‘ erfülle. Dezidiert fand im Gusto-Journal diese Form des Kochens jedoch bislang kaum Erwähnung. Wurden im Kommentar der Mai-Ausgabe bei vordergründiger schlankheitsideologischer Ausrichtung präskriptive Diätkuren abgelehnt, so lag dies einerseits an Veränderungen in der Blattlinie zu Gunsten der Kulinarik, andererseits jedoch auch daran, dass mit der bewussten Ernährung individuelle Selbstinitiative und Disziplin und damit die individuelle Verantwortlichkeit für den Körper zugrundgelegt wurde. Wurden gesundheitliche Aspekte im Zusammenhang mit der erfolgten Verzichtsethik angesprochen, so blieb ein umfassender Gesundheitszusammenhang von Ernährung, Fettstoff- und Zuckerstoffwechsel, wie er in der egative utrition Ausdruck fand, jedoch außen vor. Die geringe rezeptartige Handlungsanweisung des Textes entsprach der geforderten Selbstinitiative zur Umsetzung einer bewussten Ernährung und der anvisierten Selbstdisziplin in der Meidung bestimmter Nahrungsmittelbestandteile. Dementsprechend gestaltete sich der Text auch argumentativ-auffordernd und nicht handlungsanweisend. 5.1.5. Bewusste Ernährung: Gesund durch Verzicht (1989) Situativer und medialer Kontext Der Text erschien im März 1989 in der Rubrik Aktuell, welche die Leserinnen und Leser über Neuigkeiten und Trends in den Jahren 1988 und 1989 informierte. Der Verfasser des Textes, Dr. med Günther Petschnigg, schien weder im Impressum noch an anderer Stelle des Heftes auf. Das Genre betreffend handelt es sich um einen informierenden Kommentar, der die „bewußte Ernährung“ thematisierte und auf journalspezifische 386 Vgl. Gusto 9/1986, 63. Beworben wurde Osolio-Reform jedoch bereits im September 1985 und im Juni 1986, vgl. Gusto 9/1985, 61; Gusto 6/1986, 59. 387 - 70 - Veränderungen, wie die Einführung von Gesundheitshinweisen bei den Rezepten, einging. Der Text befand sich an erster Stelle in der Rubrik Aktuell und folgte – lediglich mit dem „Rezept des Monats“388 dazwischen – dem Editorial, das sich ebenfalls der Einführung dieser Gesundheitshinweise widmete.389 Abbildung 6: Kommentar „Bewußte Ernährung“390 388 Vgl. Gusto 3/1989, 8. Vgl. Gusto 3/1989, 3. 390 Quelle: Gusto 3/1989, 6. 389 - 71 - Makrostruktur-Analyse Die „bewußte Ernährung“ wird als Notwendigkeit zur Aufrechterhaltung der Gesundheit erachtet und vor dem Hintergrund der Diskrepanz von Genuss und Verzicht thematisiert. Die im Fettdruck hervorgehobene Überschrift „Bewußte Ernährung“ tritt deutlicher in den Vordergrund als die oben in der Mitte zentrierte Rubrikbenennung „Aktuell“. Die kursive Schreibweise verleiht dem Text eine persönliche Note und wird ergänzt durch das persönliche Foto des Verfassers und die Hervorhebung des Namens „Dr. Petschnigg“ in der Bildunterschrift und der Unterzeichnung des Textes. Auffallend ist die detaillierte Bezeichnung „Dr. med. Günther Petschnigg“, die auf die Profession des Verfassers aufmerksam macht und die fotografische Darstellung ergänzt. Bei dieser handelt es sich um ein visuelles demand, wobei der ernsthafte Blick des kalkulierenden Mediziners Seriosität, Glaubwürdigkeit des Gesagten und Professionalität potentiell zu vermitteln vermag. Der Text beinhaltet folgende Gliederung: Tabelle 13: Bewußte Ernährung 3/1989, Gliederung des verbalen Textes Überschrift „Bewußte Ernährung“ Hauptthese „Über richtige und falsche Formen der Ernährung wird heutzutage viel geschrieben. So viel, daß es manchmal schon verwirrend ist. Als Folge davon verlieren viele Menschen ganz generell die Lust am Essen, andere lassen die Flut an Informationen über sich ergehen, ohne daraus irgendwelche Lehren zu ziehen.“ Begründung Hauptthese „Beides ist gewiß nicht richtig. Vernünftige Ernährung sollte durchaus schmackhaft sein, aber auch kein Schwelgen in allerlei kulinarischen Genüssen, die von der Ernährungswissenschaft als bedenklich erkannt wurden. Gesundsein bedeutet über das Freisein von Krankheiten hinaus ein geistiges und körperliches Wohlbefinden. In diesem Sinne ist es wenig zweckdienlich, eine Zeitlang zu sündigen, um dann in schmerzhafter Selbstkasteiung die entstandenen Schäden zu reparieren; wir kennen diese Verhaltensweise bei der Steuerung des Körpergewichtes.“ Unterthese 1 „Und damit sind wir schon beim Thema, soweit es ein Kochjournal wie GUSTO betrifft. Übergewicht ist – schlicht gesagt – ungesund.“ Fazit Unterthese 1 „Ob eine gewisse Speise ‚dick macht‘ oder nicht, läßt sich an den ährwerten (Kjoule oder Kcal) ablesen, die bei jedem GUSTO-Rezept zu finden sind. Wer von Übergewicht betroffen ist, sollte diese Werte ein wenig im Auge behalten.“ Unterthese 2 „Abgesehen von den ährwerten, sind für eine bewußte Ernährung vor allem der Gehalt an Cholesterin und Salz der einzelnen Speisen interessant.“ Begründung Unterthese 2 „Zuviel Cholesterin kann nämlich zu Blutgefäßerkrankungen (Arteriosklerose) führen, zu salzreiche Ernährung zu Bluthochdruck.“ Fazit Unterthese 2 „Ab dieser Ausgabe finden Sie in GUSTO Hinweise, ob eine Speise viel oder wenig Cholesterin bzw. viel oder wenig Salz enthält. Das C [rotes Kästchen im Hintergrund] steht für hohen Cholesteringehalt, das C [grünes Kästchen im Hintergrund] für geringen Cholesteringehalt. Das S [rotes Kästchen im Hintergrund] steht für hohen Salzgehalt, das S [grünes Kästchen im Hintergrund] für geringen Salzgehalt. Unmarkierte Rezepte haben durchschnittlichen Cholesterin- und Salzgehalt.“ - 72 - Unterthese 3 „Um abschätzen zu können, wie wichtig diese Hinweise für Ihre Gesundheit sind, genügt leider nicht, (wie bei den ährwertangaben) der Schritt auf die Waage oder der Blick in den Spiegel. Sie sollten Ihren Cholesterinwert und Ihren Blutdruck vom Arzt feststellen lassen (die Untersuchung ist ganz einfach).“ Fazit Unterthese 3 „Wer normalen Blutdruck und Cholesterinwert hat, braucht die roten und grünen Markierungen wohl nur entfernt im Augenwinkel zu behalten. Bei zuviel Cholesterin im Blut und Bluthochdruck sollte man sich die rot markierten Rezepte eher nur ausnahmsweise gönnen.“ Schlussfazit „Bei aller bewußten Ernährung sollte man sich keinesfalls die Lust am Essen verderben lassen. Es gibt ja auch die grün markierten Rezepte, die nicht weniger schmackhafte Speisen ergeben.“ Apostrophe „Wenn Sie zum Thema ‚bewußte Ernährung‘ Fragen haben, stehen wir gerne zur Verfügung. Schreiben Sie an [Nennung der Gusto-Adresse] Dr. med. Günther Petschnigg Mikrostruktur-Analyse Im Text äußert sich die Vermittlung der Bedeutung von Gesundheit und Gesunderhaltung als zentrales Anliegen. Das in der Begründung der Hauptthese und als Thema in der Botschaftsübermittlung angesprochene „Gesundsein“ (siehe Tabelle 13 und 14) wird als ein „über das Freisein von Krankheiten hinaus […] geistiges und körperliches Wohlbefinden“ definiert. Tabelle 14: Bewußte Ernährung 3/1989, Übermittlung der Botschaft Thema Rhema „Gesundsein bedeutet“ „über das Freisein von Krankheiten hinaus ein geistiges und körperliches Wohlbefinden.“ „Zuviel Cholesterin“ „kann nämlich zu Blutgefäßerkrankungen (Arteriosklerose) führen,“ „zu salzreiche Ernährung“ „zu Bluthochdruck.“ Vor diesem Hintergrund spielt die „bewußte Ernährung“ eine wesentliche Rolle, die in ideationeller Hinsicht und Häufung viermal im Text genannt wird. Erachtet man das Essen aufgrund der zweimal angesprochenen „Lust am Essen“ als grundlegend und wünschenswert, so wird in Opposition zu einem Genusshedonismus den Zielsetzungen der Aufrechterhaltung der Gesundheit insofern Rechnung getragen, als man Meidung und Verzicht propagiert. In der Begründung der Hauptthese äußert sich dies im Hauptsatz „Vernünftige Ernährung sollte durchaus schmackhaft sein“ (siehe Tabelle 13). In interpersoneller Hinsicht dient das Modalverb „soll“ als Obligation zum Handeln und das Modaladverb „durchaus“ der diesbezüglichen Bekräftigung. Relativiert wird dies jedoch - 73 - durch die Verwendung des zweiten Konjunktivs mit „sollte sein“, der geringe Affinität zum thematisierten „schmackhaften Essen“ erkennen lässt. Abgelehnt wird das „Schwelgen in […] kulinarischen Genüssen“, wobei die „kulinarischen Genüsse“ im darauf folgenden Relativsatz als „bedenklich“ bewertet werden. Den in diesem Zusammenhang durch „Sündigen“ „entstandenen Schäden“ könne man nur durch „schmerzhafte Selbstkasteiung“ beikommen. Es handelt sich dabei um eine Drohung, die verbale Konkretisierungen391 der beiden kulturell-konventionalisierten Metaphern392 ‚Genuss ist Sünde‘ und ‚Diät ist Buße‘ beinhaltet. Tief verankerte und in einer säkularisierten Welt längst vergessen geglaubte religiöse Traditionen dienen dabei der Verbreitung von Schrecken im Ernährungskontext.393 Das Adjektiv „schmerzhaft“ äußert sich als Überhöhung des ohnehin negativ konnotierten Begriffes „Selbstkasteiung“. In seiner Gesamtheit besitzt das Epithet äußerst hohes interpersonelles Potential im Kontext der ausgesprochenen Drohung. Die ideationelle thematische Fokussierung auf Übergewicht als Gesundheitsproblem erfolgt in „Übergewicht ist schlicht gesagt ungesund“, indem „ungesund“ als Attribut dem Träger „Übergewicht“ in diesem attributiv relationalen Prozess zugeschrieben wird. Noch deutlicher hervorgehoben wird der Zusammenhang von Gesundheit und Ernährung in der Thematisierung der Auswirkungen einer cholesterin- und salzhaltigen Ernährung, die – laut Argumentation – Blutgefäßerkrankungen und Bluthochdruck zur Folge hätten. Diesem als Thema in der Botschaftsübermittlung hervorgehobenen Problemkomplex (siehe Tabelle 14), widmet man beinahe die gesamte zweite Spalte des Textes. In ideationell-quantitativer Hinsicht werden „Cholesterin“, „Cholesteringehalt“ und „Cholesterinwert“ neun Mal angesprochen. Es handelt sich um den am meisten verwendeten Begriff. Auch „Salz“ und über Wortgruppen hinausgehende Zusammensetzungen mit ‚Salz‘ als auch „Blutdruck“ und „Bluthochdruck“ fallen durch die oftmalige Verwendung auf. Mit der gehäuften Nennung der Gegensätze „viel“ und „wenig Salz“ und „Cholesterin“ und „hoher“ und „geringer“ „Salz-“ und „Cholesteringehalt“ wird in ideationeller Hinsicht die Dichotomie von gut und schlecht – von gesundheitszuträglich und -schädlich hervorgehoben. Die Adjektive „viel“, „zuviel“ und „hoch“ in den Epitheta besitzen dabei auch alarmierendes interpersonelles Potential. 391 Vgl. Lakoff/Johnson 2003, 59 u. 65. Vgl. Lakoff/Johnson 2003, 175. 393 Vgl. Montanari 1993, 204. 392 - 74 - Der vorgeschlagene Weg der Meidung, des Verzichts und der Vorsicht erfolgt durchwegs handlungsanweisend, wobei der Verfasser stets Quelle der Obligation ist. Die Leserinnen und Leser werden zur Beachtung der Nährwertangaben, der roten und grünen Markierungen und zur Cholesterinwert- und Blutdruckfeststellung durch einen Arzt angeleitet. Diesbezüglich erfolgen Aufforderungen mit imperativischem Charakter durch die mehrmalige Verwendung des Modalverbs „soll“ in Kombination mit dem Infinitiv. Der zweite Konjunktiv „sollte“ dient dabei der professionellen Zurückhaltung und erhöht die Glaubwürdigkeit des Gesagten. Die Beschaffenheit der Aussage im sozialen Kontext Der ‚bewußten Ernährung‘ wurde außerordentliche Bedeutung für die Gesunderhaltung beigemessen. Mit der zusätzlich zu den Nährwertangaben erfolgten Einführung der Symbole zum Cholesterin- und Salzgehalt der in den Rezepten dargebotenen Speisen trat das Gusto-Journal als wesentlicher Akteur in der Gesundheitsförderung in Erscheinung, wobei die in der Ottawa-Charta 1986 bekräftigte WHO-Definition von Gesundheit aus dem Jahr 1948394 beinahe im Wortlaut übernommen wurde. Geistiges und körperliches Wohlbefinden könne nur durch eine vernünftige Ernährung – genau genommen durch Verzicht – hergestellt werden. Die Forderungen der egative utrition nach einer fett-, salz- und zuckerreduzierten Permanentdiät, die sich als unbedenklich für Cholesterinwert und Blutdruck erweisen sollte,395 wurden nun eingehend im Gusto-Journal behandelt.396 Aufgrund der Ergebnisse der Framingham-Studie wiesen Ernährungsmediziner und wissenschaftler vor allem seit den 1960er und den 1970er Jahren vermehrt auf den Zusammenhang von Ernährung und die Entstehung von kardiovaskulären Erkrankungen hin, wie beispielsweise der Mediziner Siegfried Heyden in Bewußter essen397 und der Mediziner Hans-Jürgen Holtmeier in seinem Buch Diät bei Übergewicht und gesunde Ernährung398. Im Vorwort des Atherosklerose-Berichts der Österreichischen Gesellschaft für Hygiene, Mikrobiologie und Präventivmedizin stellte im Juni 1988 nun auch von politischer Seite der Bundesminister für Gesundheit Franz Löschnak fest, dass „die Entwicklung der atherosklerosebedingten Erkrankungen in Österreich […] ungünstig“ sei 394 Vgl. WHO, Glossar Gesundheitsförderung 1998,1. Vgl. Briesen 2010, 262-263. 396 Auch in der Produktwerbung des Journals fanden sich 1989 Aspekte der Negative Nutrition als Gesundheitsbewusstsein wieder. Vgl. Vrana 2012, 47. 397 Vgl. Heyden 1973, 5-6. 398 Vgl. Holtmeier 1972, 9-15. 395 - 75 - und Handlungsbedarf in Form von „Vorsorgemaßnahmen“ bestünde.399 Im Maßnahmenkatalog des Berichts lautete eine Forderung, in der Bevölkerung ein „,CholesterinBewußtsein‘ zu entwickeln“400. Durch ein entsprechendes Ernährungsverhalten und vor allem die Reduktion des Fettkonsums solle der nach Schätzungen um das Doppelte zu hohen Cholesterinaufnahme401 der Österreicherinnen und Österreicher beizukommen sein. Als Träger der Gesundheitsförderung rief man die Ärzteschaft, politische Initiativen und die Nahrungs- und Genussmittelindustrie durch Ausschöpfung der Möglichkeiten von Produktmodifikationen in die Pflicht. Schließlich sollte eine Massenstrategie zur Prävention auch durch die „Einschaltung der Medien“ erfolgen.402 Vor diesem Hintergrund äußerten sich die Einführung der Gesundheitshinweise als auch die Aufforderung zur Umsetzung einer cholesterin- und salzarmen ‚bewußten Ernährung‘ im Gusto-Journal. In Berichten wie „Gesund und köstlich“ der November-Ausgabe des Jahres 1989 war vom „wegbringen“ der Österreicher vom „permanenten Schnitzel“ die Rede.403 Unterstützt wurden Initiativen zum Aufbau eines Ernährungsbewusstseins, wie das Kochseminar Köstlich und trotzdem gesund im SAS-Palais Hotel in Wien, das von der Österreichischen Krebshilfe, dem Verband der diplomierten Diätassistentinnen Österreichs und der Gesellschaft für zeitgemäße Ernährung ins Leben gerufen wurde.404 In der Beitragsreihe eues Kochen, im Frühjahr 1990 präsentierte das Journal unter dem Titel „Fast kein Fett und fast kein Salz“ Rezepte, die im „Lichte der modernen Ernährungslehre“ für „mehr Wohlbefinden“ sorgen sollten.405 Die ‚bewusste Ernährung‘ ging einher mit einer cholesterinarmen ‚Neuen Küche‘, die im Journal erstmals im Juli 1988 als die „kalorienreduzierte Kochkunst nach der Lehre von Paul Bocuse“ im Kontext der Produktvorstellung einer gesünderen „Sorte von Fertig-Gerichten“, der Maggi euen Küche, definiert wurde.406 Viele Produkte wurden sowohl für ihre Gesundheits- als auch Schlankheitszuträglichkeit im Gusto-Journal vorgestellt, andere wiederum nur für eines der beiden. Bei Margarinen unterschied man beispielsweise zwischen Diätmargarinen mit geschützter Qualitätsbezeichnung zur Senkung des Cholesterinspiegels und kalorienreduzierten Margarinen, wie der Du Darfst Minarine zum Abnehmen, die den Leserinnen 399 IfSUW 1988, 3. IfSUW 1988, 54. 401 In den WHO-Berechnungen entsprach die maximale tägliche Cholesterin-Aufnahme 300 mg, vgl. Kunze 1988, 55. 402 IfSUW 1988, 53-56. 403 Gusto 11/1989, 60. 404 Vgl. Gusto 11/1989, 60. 405 Gusto 5/1990, 24. 406 Gusto 7/1988, 64. 400 - 76 - und Lesern im Magazinteil der Mai-Ausgabe im Jahr 1989 vorgestellt wurde.407 Die ‚bewusste Ernährung‘ als Maßnahme zur Reduktion von Übergewicht fand sich überdies in Gusto-Rezepten zur ‚Leichten Küche‘408 als auch in der Bewerbung von LightProdukten409 wieder. Die Rubrik Abnehmen leicht gemacht410 wurde diesbezüglich 1989 ins Leben gerufen und im Frühjahr 1990 in „kalorienreduziert Kochen“411 umbenannt. Diese widmete sich der kalorienarmen Kost und regte die Leserinnen und Leser zum Nachkochen an. Der Kommentar mit dem Titel „Leicht im Trend“ vom Juni 1988 behandelte Leichtbier, das sowohl weniger Alkohol als auch weniger Kalorien besaß. Festgestellt wurde, dass „ein neues Gesundheits- und Körperbewußtsein das Konsumverhalten beeinflußt“ und die Auswahl an Leichtbieren im Jahr 1988 zugenommen habe.412 Die im Kommentar vertretene ‚bewußte Ernährung‘ wurde mit einem hohen professionellen Ethos, der Glaubwürdigkeit des Mediziners sowie durch verbale und visuelle Stilmittel auffordernd und handlungsanweisend präsentiert. Die Vehemenz in der Argumentation kontrastiert mit dem wenige Seiten davor vom Chefredakteur Werner Meisinger verfassten Editorial, indem dieser zwar ebenfalls die Notwendigkeit der Einführung der Symbole hervorhob, jedoch deren Bedeutung zurückhaltender bewertete. Die roten Gesundheitshinweise deutete der Chefredakteur als „zarte Warnlichter“ und eine gänzliche Beschränkung auf die gesunde Ernährung bezeichnete er als „mieselsüchtig“ machend.413 Trachtete das Journal als Akteur der Gesundheitsförderung durchaus die Ernährungsgewohnheiten der Österreicherinnen und Österreicher zu verändern, so wurde von einem überkonsequenten Cholesterinbewusstsein, aus dem für ein Kochjournal nachvollziehbaren kulinarischen Selbstverständnis heraus, Abstand genommen. Diesbezüglich wurde harsches Cholesterinbewusstsein selbst auch Gegenstand von Karikaturen im Journal wie beispielsweise im Oktober 1989414 (siehe Abbildung 7). 407 Vgl. Gusto 5/1989, 62-63. Siehe „Schnitzel Light“, Gusto 6/1989, 23; „Leichter Käse zum Dessert“, Gusto 7/1989, 50; „Leichte Küche, Leichte Sauce“, Gusto 7/1989, 59. 409 Light-Produkte betrafen beispielsweise „Leichtes Gemüse“, Gusto 4/1989, 65; „Neuer Fisch“, Gusto 5/1989, 65; oder „Pietro Pizzis Pizza light“, Gusto 7/1989, 65. 410 Vgl. Gusto 4/1989, 65. 411 Vgl. Gusto 5/1990, 62. 412 Gusto 7/1988, 58. 413 Gusto 3/1989, 3. 414 Vgl. Gusto 10/1989, 65. 408 - 77 - Abbildung 7: Karikatur, Cholesterin-Aktion415 Die persönliche Note in Form der kursiven Schrift und der Unterschrift des Mediziners äußerte sich wie ein vernunftbetonter, jedoch der Kulinarik ferner Brief eines externen Experten. Aufgrund der vorherrschenden Kluft zwischen Genuss und Verzicht wurde bei aller Notwendigkeit zur Gesundheitsförderung der Gesundheitsimperativ zumindest heftdramaturgisch ausgelagert. 5.2. Gesund, fit, und schlank als Diskurs in den 1990er und 2000er Jahren Die beiden folgenden Analysen widmen sich den weiteren diskursiven Veränderungen und Entwicklungen der Aussagen zum Thema Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein in den durch Lebensstilkonzepte im postmodernen Alltag gekennzeichneten 1990er und 2000er Jahren. Es erfolgt somit die Anknüpfung an die gegenwärtige Relevanz des Themas. 415 Quelle: Gusto 10/1989, 65. - 78 - 5.2.1. Satt und Schlank: Ausgewogenheit ohne Diäten (1994) Abbildung 8: Kommentar „Satt und Schlank“416 416 Quelle: Gusto 3/1994, 62. - 79 - Situativer und medialer Kontext Der Kommentar mit dem Titel „Diäten“ erschien im März 1994 im hinteren Teil des Gusto-Journals in der erstmals den Leserinnen und Lesern präsentierten Rubrik Satt und Schlank. Verfasst wurde der Text von Elisabeth Fischer, die auch im Impressum als Mitglied der Redaktion aufschien417 und durchwegs für die Rubrik zuständig war. Bereits seit 1991 war sie Autorin der Vorgänger-Rubrik Ohne Fleisch und Fisch gewesen und initiierte diese im April 1991 mit einem Rezept zu einem Tofu-Gericht.418 Die Einführung der gegenwärtigen Rubrik – die auch immer durch ein zum Kommentar passendes Gericht ergänzt wurde – nahm man zum Anlass, den Leserinnen und Lesern das neu erscheinende Kochbuch von Elisabeth Fischer Schlemmen ohne Reue – die neue vegetarische Küche zu präsentieren. Dieses wurde im Juli in den Bücherrezensionen des Magazins vorgestellt, wobei auch auf die Biographie der Autorin eingegangen wurde. Demnach führte die nunmehr freie Journalistin, die auch Seminare zum Thema Essen veranstaltete, nach ihrem Soziologiestudium ein vegetarisches Restaurant in München, in dem sie ebenfalls als Köchin tätig war.419 In der März-Ausgabe wurde – abgesehen von erweiterten Nährwertangaben nach Nährstoffgruppen – kaum auf Schlankheit und ernährungsphysiologische Bezugnahmen eingegangen. Eingehender wurde ein anderer Aspekt von Ernährung und Gesundheit in derselben Ausgabe, im Editorial als auch im ersten Teil der Beitragsreihe Gusto auf Europa, diskutiert – nämlich die Lebensmittelsicherheit vor dem Hintergrund des österreichischen EU-Beitritts.420 Makrostruktur-Analyse Übergeordnetes Thema des Textes ist das über Einzelaspekte von Ernährung, Gesundheit und Schlankheit hinausgehende Wohlbefinden. Vor allem Schlankheit, aber auch Gesundheit und Vitalität können nur durch Spaß und Genuss am Essen, jedoch vor allem durch eine „ausgewogene vegetarische Speisekarte“ hergestellt werden und nicht durch Diäten oder sonstigen Verzicht, so die Argumentation. Der Kommentar umfasst zwei Spalten im oberen linken Viertel der Seite, während das zum Kommentar passende Rezept zu Porree mit samtiger grüner Sauce in der Spalte rechts diesen ergänzt. Mit dem Foto des Porree-Gerichts, das dem vorgestellten Buch der Autorin entnommen wurde, 417 Vgl. Gusto 3/1994, 66. Vgl. Gusto 4/1991, 90. 419 Vgl. Gusto 7/1994, 65. 420 Als Auswirkungen des österreichischen EU-Beitritts wurden im Gusto-Journal veränderte Bedingungen der Lebensmittelkennzeichnung und Praktiken der Herstellung, wie Bestrahlung und Gentechnik, durchaus kritisch thematisiert. Vgl. Gusto 3/1994, 50-53; vgl. Vrana 2012, 53-54. 418 - 80 - erfolgt einerseits anhand einer visuellen Determination eine genaue bildliche Bestimmung und andererseits gemäß einer visuellen Gradation eine Verstärkung der im Kommentar verbalisierten vegetarischen Genüsse. Es ergibt sich folgende Gliederung des Textes: Tabelle 15: Satt und Schlank 3/1994, Gliederung des verbalen Textes Überschrift „Satt & Schlank“ „DIÄTE “ Hauptthese „Diäten sind meist vergebliche Mühe, denn kehrt man nach tapfer durchlittener Abnehm-Tortur zum Essens-Alltag zurück, zeigt die Waage bald wieder das zu bekämpfende Ausgangsgewicht und das zermürbende Hungern nach Schlankheit kann von vorn losgehen. Endlos kann es sich hinziehen, dieses ‚Nimm ab, Nimm zu Spiel‘,“ Unterthese 1 „und die Diät-Geschädigten verderben sich damit nicht nur gründlich den Spaß am Essen,“ Unterthese 2 „sondern werden durch die einseitige und mangelhafte Diät-Ernährung auch noch krank.“ Begründung Hauptthese „Grund für den Mißerfolg: Für den Körper bedeuten Diäten Notzeiten und er schaltet auf Sparprogramm, damit das Überleben auch mit knappen Mitteln gesichert ist. Nach Beendigung der Diät läuft das Sparprogramm aber weiter, verwertet der Körper jetzt das Essen besonders gut und legt Fettpolster an – als Reserve für eine neue Hungersnot. Die läßt auch nicht lange auf sich warten, denn die nächste Diät kommt bestimmt.“ Fazit „Aus dieser Diäten-Sackgasse, die mit Frust und Selbstvorwürfen gepflastert ist, gibt es einen erstaunlich einfachen Ausweg: Schlemmen statt Fasten, mit vegetarischen Genüssen, die zufrieden satt, aber nicht dick machen. Denn eine ausgewogene vegetarische Speisekarte enthält weniger Kalorien, dafür aber alle lebensnotwendigen Stoffe, die der Mensch braucht, um gesund und fit zu bleiben: viele ballaststoffreiche Kohlenhydrate, die richtige Menge Eiweiß und wenig Fett, dazu üppig Vitamine und Mineralstoffe.“ Mikrostruktur-Analyse Als zentrales Anliegen des Textes äußert sich die Hervorhebung des Genusses am Essen im Gegensatz zu praktiziertem Verzicht und Meidung. In ideationeller Hinsicht ergibt sich diesbezüglich eine Häufung positiv konnotierter semantischer Bedeutungsinhalte mit „Spass am Essen“ in Unterthese 2 (siehe Tabelle 15) als auch den Gegensätzen „Schlemmen statt Fasten“ und „vegetarische Genüsse, die zufrieden satt, aber nicht dick machen“ im Fazit (siehe Tabelle 15). Maßnahmen der Gewichtsreduktion wie Diäten, als Ausdruck von Verzicht und Meidung, werden abgelehnt, in letzter Konsequenz, wie in Unterthese 2, sogar als krankmachend erachtet (siehe Tabelle 15) und dementsprechend mit einer Vielzahl an negativ konnotierten Begriffen belegt, die vor allem deren Sinnlosigkeit sowohl in ideationeller als auch in interpersoneller Hinsicht hervorheben. Neben den Bezeichnungen „Abnehm-Tortur“, „Nimm ab, Nimm zu Spiel“, „DiätenSackgasse“ und „Hungersnot“ vermitteln die verwendeten Adjektive in den Epitheta „vergebliche Mühe“, und „zermürbendes Hungern nach Schlankheit“ die Zwecklosigkeit - 81 - von Diäten vor dem Hintergrund des sogenannten ,Jo-Jo-Effekts‘. Mit der Metapher „Für den Körper bedeuten Diäten Notzeiten“ werden die Auswirkungen von Genuss und Verzicht auf den menschlichen Körper in Analogie zu ökonomischen Phasen der Konjunktur und Depression und deren Folgen auf die Gesellschaft dargestellt. Mit den im Text genannten Bezeichnungen „Notzeiten“, „Sparprogramm“, „Hungersnot“ und dem „Überleben mit knappen Mitteln“ erfolgt eine Erweiterung der Bedeutungssphäre des Begriffes ‚Verzichten‘, der folglich dem postmodernen, auf Konsumismus basierenden Verständnis des Genusshedonismus der 1990er Jahre421 gänzlich gegenübersteht. Der Vorschlag zur Umsetzung einer zufrieden, schlank, gesund und fit machenden Ernährung, als ganzheitlicher Ausdruck von Wohlbefinden, erfolgt im Fazit (siehe Tabelle 15). Schlemmen und zufriedene Sättigung stehen dabei ganz im Zeichen des Vegetarismus – in ideationeller Hinsicht durch das Epithet „vegetarische Genüsse“ und in interpersoneller Hinsicht näher beschrieben in „ausgewogene vegetarische Speisekarte“. Mit dem Satz „Denn eine ausgewogene vegetarische Speisekarte enthält weniger Kalorien, dafür aber alle lebensnotwendigen Stoffe, die der Mensch braucht, um gesund und fit zu bleiben […]“ vollzieht sich in ideationell-thematischer Hinsicht mit dem Verb ‚enthalten‘422 ein besitzanzeigender attributiver Prozess, der die Vorzüge des Besitzers oder Trägers der „ausgewogenen vegetarischen Speisekarte“ aufgrund der Attribute „weniger Kalorien“ und „alle lebensnotwendigen Stoffe“ hervorhebt. Es erfolgte somit die Grundlegung der ‚ausgewogenen vegetarischen Ernährung‘ mit ihren positiven Attributen zur Herstellung von umfassender Schlankheit, Gesundheit und Fitness. Die Gesundheitszuträglichkeit wird darüber hinaus durch den Hinweis auf den gewinnbringenden Nährstoffgehalt der ausgewogenen vegetarischen Ernährungsweise verdeutlicht. Insgesamt äußert sich der Text als sachargumentativ-auffordernd, indem er aufzeigt, wie gewinnbringend eine genussvolle ausgewogene vegetabile Ernährung für Schlankheit und Gesundheit sei. Diesbezüglich leitet die Autorin Begründungen und Fazits mit Doppelpunkt in „Grund für den Mißerfolg:“ und „Ausweg:“ ein und verweist damit auf die außerordentliche Bedeutung des Gesagten. Als handlungsanweisend äußert sich der 421 Siehe Konsummodell des imaginativen Hedonismus nach Collin Cambell (1987), vgl. Eder, Franz X., Geschichte des Konsumierens – Ansätze und Perspektiven der (historischen) Konsumforschung, in: Breuss, Susanne/Eder, Franz X., Hg., Konsumieren in Österreich. 19. und 20. Jahrhundert, Wien 2006, 17-18. 422 Siehe die Rolle des Verbs „enthalten“ in besitzanzeigenden attributiven Sätzen, vgl. Halliday 1994, 133134. - 82 - Text jedoch nicht, da abgesehen vom konkreten Rezept zum Porree-Gericht keine dezidierten Speisen und Nahrungsmittel empfohlen werden und auch keine rezeptartige Anweisungen erfolgen – weder im Text noch in der Gestaltung des Textes. In den Strukturen des Gesamttextes zeigt sich dennoch hohes interpersonelles Potential. Die Genuss versprechenden, schlank und gesund machenden Gaumenfreuden in Bild und Text werden durch die Blicke der Autorin im Foto erwartungsvoll an die Leserinnen und Leser herangetragen. Es handelt sich um ein visuelles demand, das Ausgewogenheit, Zufriedenheit und Wohlbefinden zu vermitteln vermag und diese auch als Maxime potentiell einfordert. Die Beschaffenheit der Aussage im sozialen Kontext In den 1990er Jahren schienen Schlankheit und Diäten in vielen Magazinen und Ratgebern als Thema auf, an ihrem Sinn wurde jedoch auch oftmals gezweifelt. Willi Loderhose, der Chefredakteur der Fit-for-Fun-Bücher, berief sich in seinem Werk Das große Buch der Diäten (1995) auf Studien zur Traumfigur und meinte, dass spätestens seit 1989 die Traumfigur wieder im Gewichtsmittelfeld zu verorten war und der „dürre Exzess“423 somit der Vergangenheit angehörte.424 In der Extra-Ausgabe des Konsument vom Juli 1997 mit dem Titel Schlank & Fit, wurde Abnehmen zwischen Genuss und Verzicht thematisiert425 und 60 Diäten getestet426, wobei 45 als nicht beziehungsweise wenig sinnvoll und lediglich 9 Diäten als sehr sinnvoll bewertet wurden. Dabei handelte es sich durchwegs um verhaltensmodifizierende beziehungsweise -verändernde Diätformen, wie Fit for Fun427, Brigitte Diät428 oder Schlank ohne Diät429. Im Gusto-Journal stand die Absage an Diäten als Ausdruck von Meidung und Verzicht im Zeichen einer Genussorientierung, deren schlussendliches Ziel Wohlbefinden vorsah. Die ideationelle thematische Fokussierung auf die zufriedenmachenden Genüsse fanden sich im gegenwärtigen Kommentar als auch in weiteren Texten des Journals. So beispielsweise in einem Kommentar in der gleichen Rubrik im August 1994 mit „Man verbietet sich die Lust auf Süßes nicht länger“430. Diesbezüglich wurde auch Wohl- 423 Loderhose/Hamm 1995, 34. Vgl. Loderhose/Hamm, 1995, 34-35. 425 Vgl. Verein für Konsumenteninformation (VKI), Konsument Extra. Schlank und Fit, 7a (1997), 6-9. 426 Vgl. VKI, Konsument Extra 1997, 52. 427 Vgl. VKI, Konsument Extra 1997, 110. 428 Vgl. VKI, Konsument Extra 1997, 108. 429 Vgl. VKI, Konsument Extra 1997, 96. 430 Gusto 8/1994, 62. 424 - 83 - befinden dezidiert angesprochen, indem der Genuss von Obst „mit vielen Vitaminen das Wohlbefinden“ fördere.431 In der Gusto-September-Ausgabe 1995 ging man in derselben Rubrik von der Prämisse „üppig essen, sich wohl fühlen und dabei auch noch schlank werden […]“ aus.432 Der Philosoph Pravu Mazumdar verdeutlichte, dass seit Ende der 1980er Jahre Wohlbefinden als Begriff an die Stelle von Gesundheit trat. Er nannte diesbezüglich auch die Ziele der Gesundheitsförderung der Ottawa-Charta, die von einem anzustrebenden umfassenden körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefinden ausging. Wohlbefinden betraf nunmehr sowohl aktuelle positive Gefühle und Stimmungen als auch habituelle Aspekte des Glücklichseins, der Lebenszufriedenheit und Lebensfreude, so Mazumdar.433 Dieses ganzheitliche, auf den Lebensstil ausgeweitete Konzept äußerte sich im Gusto-Journal zur Mitte der 1990er Jahre, indem im Streben nach Schlankheit, Gesundheit und Vitalität genussorientierte Lösungswege, nicht Meidung und Verzicht propagiert wurden, wobei man die Teilnahme der Leserinnen und Leser an einer genussorientierten Wohlfühl-Gesellschaft auch als gegeben erachtete. In diesem Sinne erfolgten auch Gusto-Hinweise auf Kochkurse zur Herstellung von Schlankheit und Gesundheit im Zeichen von Wohlbefinden. In der März-Ausgabe 1993 wies man die Leserinnen und Leser auf den von Elisabeth Fischer und einer Ernährungswissenschaftlerin abgehaltenen Workshop mit dem Titel Lernen durch Genuß hin.434 Bereits in der Oktoberausgabe 1992 erfolgte der Hinweis auf den von Elisabeth Fischer angebotenen Kurs Schlank ohne Diät im, von der WHO initiierten, Gesundheitszentrum Frauen, Eltern und Mädchen mit dem Argument: „Da zum Wohlbefinden die gesunde Ernährung gehört, gibt es im F.E.M. auch Kochkurse mit GUSTO-Autorin Elisabeth Fischer.“435. Auffallend ist die Tatsache, dass vor allem Frauen als Zielgruppe der ganzheitlichen und durch Wohlbefinden charakterisierten Herstellung von Schlankheit und Gesundheit adressiert wurden. Diesbezüglich stellte der Österreichische Ernährungsbericht 1998 fest, dass vorrangig Frauen im Gegensatz zu Männern mit ihrem Gewicht unzufrieden waren und auch dementsprechend Diäten „hinter sich hatten“436. 431 Gusto 8/1994, 62. Gusto 9/1995, 48. 433 Vgl. Mazumdar 2004, 19-20. 434 Vgl. Gusto 3/1993, 65. 435 Gusto 10/1992, 6. 436 IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 1998, 190. 432 - 84 - Zur Umsetzung eines umfassenden ernährungsbedingten Wohlbefindens wurde im GustoKommentar eine ausgewogene und genussbringende vegetarische Ernährung vorgeschlagen, die durch wenig Kalorien und die richtige Zusammensetzung von Nährstoffen – von Ballaststoffen, Vitaminen und Mineralstoffen und wenig Fett – sowohl der Schlankheit als auch der Gesundheit zuträglich zu sein habe. Sich ausgewogen und vegetarisch zu ernähren äußerte sich dabei als Voraussetzung für die Herstellung von Wohlbefinden und Glück. Studien stellten bereits in den 1980er Jahren fest, dass eine ovo-lakto-vegetabile Ernährung für die Gesundheit zuträglich sei. Mit einer vorwiegend pflanzlichen Kost und der richtigen Zusammensetzung der Inhalts- und Nährstoffe – entsprechend den Prinzipien der Vollwerternährung – könne man der Fehlernährung beikommen, so die Gießener Ernährungsforschung.437 In den DGE-Beratungs-Standards, die 1995 erschienen, wurde davon ausgegangen, dass eine „ausgewogene und abwechslungsreiche (ovo-) lacto-vegetarische Ernährung […] aus ernährungspräventiven Gründen als Dauerkost“438 empfohlen werden könne, wenngleich Kleinkinder, ältere Menschen, Schwangere und Stillende besonders vorsichtig sein sollten.439 Im GustoJournal tauchten die Vorzüge einer pflanzlichen Kost, nachdem sie ab Mitte der 1980er Jahre zumindest explizit kaum mehr eine Rolle gespielt hatte, vor allem in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren wieder auf. Die Einführung der Rubrik VollwertKochen leicht gemacht erfolgte im April 1989,440 indem die Gusto-Redaktion feststellte, dass es „Vollwert […] ab jetzt in jedem GUSTO“441 gibt. In Leserbriefen wurde die Vollwertkost sowohl begrüßt442 als auch abgelehnt443. In einer Rechtfertigung auf einen Leserbrief hielt die Redaktion einerseits fest: „Wie schon wiederholt beteuert, wird GUSTO gewiß kein Vollwert-Magazin, im Gegenteil, wollen wir ein umfassendes Kochjournal und unserer bisherigen Linie treu bleiben. Allerdings werden wir aus der Vollwertküche behutsam in das eine oder das andere Heft leckere Rezepte einfließen lassen. Das erscheint uns im Hinblick auf neue, wichtige Erkenntnisse in der Ernährungswissenschaft durchaus legitim.“444 437 Vgl. Briesen 2010, 277-278. Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), DGE-Beratungs-Standards, 8. Auflage, Bonn 2006, VI/2.3. 439 Vgl. DGE, DGE-Beratungs-Standards 2006, VI/2.3. 440 Vgl. Gusto 4/1989, 7. 441 Gusto 4/1989, 6. 442 Vgl. Gusto 4/1989, 6; Gusto 9/1990, 5; Gusto 3/1991, 4. 443 Vgl. Gusto 12/1990, 5. 444 Gusto 12/1990, 5. 438 - 85 - Aus einem Leserbrief vom September 1990 ging andererseits hervor, dass sich die betreffende Leserin selbst nicht als „Fanatikerin, sondern Anhängerin gesunder Mischkost“ sah und es als „köstlich und keineswegs langweilig“ empfand, „Gemüse mit Buchweizen, statt mit faschiertem Fleisch zu füllen“445. Erschienen im Gusto-Journal bereits 1989 Rezeptvorschläge mit dem Titel Hin und wieder fleischlos446, so wurde 1991 die der Autorin Elisabeth Fischer anvertraute Rubrik Ohne Fleisch und Fisch eingeführt447 und im Editorial festgestellt, „daß Vegetarisches kulinarisch genauso attraktiv sein kann wie die Gerichte der konventionellen Küche“448. In den frühen 1990er Jahren informierte Gusto über die negativen Folgen des Fleischkonsums auf die Gesundheit, wie beispielsweise die Rheuma-Entstehung449 und die Entstehung von Krebs450. Zunehmend äußerte sich neben der dezidiert angesprochenen Vollwertkost die gesunde und ausgewogene Naturkost und Naturküche im Gusto-Journal als bedeutsam, die vorwiegend eine pflanzliche Kost und einen reduzierten Fleischkonsum vorsah und den biologisch-dynamischen Landbau und Fragen der Lebensmittelmittelqualität thematisierte.451 Vor dem Hintergrund von Tierseuchen und -skandalen seit den späten 1980er Jahren und dem anvisierten österreichischen EU-Beitritt zeigte sich besonders in den frühen 1990 Jahren und zur Mitte des Jahrzehnts ein zunehmendes Misstrauen der Konsumentinnen und Konsumenten vor allem gegenüber Fleischprodukten, aber auch gegenüber Gemüse und Obst.452 Zunächst erfolgten regionale und ab 1995, mit der Gründung der Agrarmarkt Austria Marketing (AMA), nationale Marketingbemühungen zur Stärkung des regionalen und nationalen Fleischmarktes.453 Das Gusto-Journal zitierte Studien aus den Niederlanden und verlautbarte im Juli 1993 die „gute Nachricht für Fleischtiger“454, dass entgegen den wenige Jahre zuvor präsentierten gesundheitlichen Bedenken Fleischesser nun doch kein höheres Risiko an Darmkrebs zu erkranken hätten als Vegetarier.455 In den Buch-Rezensionen der Dezember-Ausgabe 1993, in denen die AMA-Fleischbroschüre zur Begegnung des Konsumentinnen- und Konsumenten445 Gusto 9/1990, 5. Vgl. Gusto 8/1989, 20-29. 447 Vgl. Gusto 4/1991, 90. 448 Gusto 4/1991, 3. 449 Vgl. Gusto 8/1992, 9. 450 Vgl. Gusto 9/1992, 7; Gusto 11/1992, 9. 451 Vgl. Gusto 4/1992, 18-21; vgl. Gusto 4/1994, 20-23. 452 Vgl. Vrana 2012, 46; vgl. Halk, Karin, Das Mißtrauen der Verbraucher gegenüber Lebensmitteln. Ergebnisse einer Analyse von Gruppendiskussionen, in: Agrarwirtschaft 39/9 (1990), 277. 453 Vgl. Vrana 2012, 46 u. 54-55. 454 Gusto 7/1993, 6. 455 Vgl. Gusto 7/1993, 6. 446 - 86 - Misstrauens vorgestellt wurde, erteilte man der ernährungsphysiologischen Argumentation gegen fettes Fleisch zu Gunsten des geschmacklichen Genusses nun eine Absage.456 Die im Kommentar genannte ‚ausgewogene vegetarische Ernährung‘ war somit nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund einer flexiblen Blattlinie zwischen Vegetarismus und Fleischverzehr zu sehen, die in den 1990er Jahren die österreichweiten, jedoch vor allem weiblichen Ernährungsgewohnheiten, manchmal Fleisch und oft Gemüse, Obst und Vollkornprodukte zu verzehren, widerspiegelte457. Mit der sachargumentativ-überzeugenden, jedoch keineswegs handlungsanweisendpräskriptiven Darstellung der Vorteile der genussvollen, ausgewogenen vegetabilen Ernährung gegenüber sinnlosen Diäten wurde der Rahmen zur umfassenden selbstinitiativen Ernährungsreform der Leserinnen und Leser geschaffen. Es handelte sich um einen Versuch der Zusammenführung der Schlankheitsästhetik einerseits und der kognitiven Inhalte einer ernährungsbedingten Gesundheitsorientierung andererseits mit dem genussvollen Essen. Die Betonung des genussvollen Essens entsprach dabei auch den allgemeinen Trends im Lebensmittelverzehr in Österreich. Der österreichische Lebensmittelbericht hielt für den Erhebungszeitraum von der Mitte der 1990er Jahre bis 2002 fest, dass genussvolles Essen für 45 Prozent der Bevölkerung sehr wichtig, für 42 Prozent eher wichtig war und lediglich von neun Prozent als nicht wichtig eingestuft wurde.458 Während zwar 25 Prozent der österreichischen Bevölkerung eine gesundheitsbewusste Ernährung für wichtig hielten und sich nach eigenen Angaben auch dementsprechend ernährten, war für 50 Prozent eine Diskrepanz zwischen dem Wissen um die eigene Gesundheit und dem tatsächlichen Ernährungsverhalten feststellbar.459 Erfolgte im Gusto-Journal nach wie vor die vernunftbetonte Gesundheitsförderung mit der Einführung der erweiterten Nährwertangaben460 und den ernährungsspezifischen Gesundheitshinweisen in der Rubrik Kurz und Gut461, so kam im „Satt-und-Schlank“Kommentar zum Ausdruck, dass sich Genuss, Schlankheit, Gesundheit und Vitalität jedoch keineswegs ausschlossen. Mit der Ausdehnung des Gesundheitsbegriffes auf Wohlbefinden kamen FunctionalFood-Produkte im Journal vermehrt vor und wurden den Leserinnen und Lesern als 456 Vgl. Gusto 12/1993, 66. Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 1998, 60-61. 458 Vgl. BMLFUW, 2. Lebensmittelbericht 2003, 77-78. 459 Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 1998, 189-190. 460 Vgl. Gusto 2/1992, 3. 461 Vgl. Gusto 6/1992, 3. 457 - 87 - Produktneuigkeiten vorgestellt462 und mit der Feststellung, dass Gusto für die Werbewirtschaft attraktiv sei,463 auch dementsprechend beworben. Das Gesundheit, Schlankheit und Fitness versprechende Voll-Aktiv-Getränk von ÖM wurde in der Aprilausgabe 1996 folgendermaßen vorgestellt: „Wellness und Vitalität sind zwei Begriffe, die für den neuen Lebensstil stehen. Damit aber Gesundheit und Wohlbefinden, die höchsten der neuen Lebensziele erreicht werden können, bedarf es einiger Beschäftigung mit vielen Lebensbereichen, unter anderem mit der Ernährung. Mit der Einführung des ‚Voll Aktiv‘-Getränkes liegt Nöm im Trend: Dieses ‚funktionelle‘ Lebensmittel wurde unter Aufsicht von erfahrenen Ernährungswissenschaftlern entwickelt. Es wird mit Vitaminen und Mineralstoffen angereichert, man hat es am besten immer zu Hause auf Vorrat (ungekühlt lagerbar). Es ist wertvoll und macht trotzdem nicht dick: Mit ca. 230 Kcal pro 0,5 l paßt es bestens in den figurbewußte (sic!) Eßalltag!“464 462 Beispielsweise das stoffwechselregulierende Produkt „Actimell“ von „Danone“, vgl. Gusto 3/1996, 73; das Gesundheit und Wohlbefinden versprechende Produkt „Voll Aktiv“ von „NÖM“, vgl. Gusto 4/1996, 72; das Immunsystemstärkende Produkt „LC1“ von „Nestle“, vgl. Gusto 7/1996, 6. 463 Vgl. Gusto 6/1996, 4. 464 Gusto 4/1996, 72. - 88 - 5.2.2. Wellness: Das Streben nach ganzheitlichem Wohlbefinden (2007) Abbildung 9: Kommentar „Wellness“465 Situativer und medialer Kontext Der Kommentar erschien in der Gusto-April-Ausgabe auf der vorletzten Seite zu Wellness-Menüvorschlägen. Diese beinhalteten Gemüse-Hühnersuppe mit Kräutern, 465 Quelle: Gusto 4/2007, 32. - 89 - gebratenes Fischfilet, Spaghetti mit Gemüsesauce und Buttermilch-Erdbeer-Flan mit Fruchtsalat.466 Auf diese vier Gerichte wurde im Kommentar auch eingegangen und verwiesen. Wie in den vorangegangenen Jahren erfolgte auch 2007 die Thematisierung von Schlankheit und Wohlbefinden im Frühling, diesmal jedoch unter dem dezidierten Titel „Wellness“467. In derselben Ausgabe fiel vor allem die Bezugnahme auf Fisch mit dem Gusto-Hinweis auf „Fisch-Festspiele“468 und auf die gewinnbringenden Omega-3Fettsäuren in der Kolumne Gesund mit Genuss469 der Gusto-Diätassistentin Marion Steiner-Binder auf.470 Auffallend waren des Weiteren eine die gesamte Seite einnehmende ÖM-Fasten-Werbung direkt in Anschluss an den Kommentar471 und die Bewerbung des Schlankheitspräparates SlimCup unmittelbar folgend nach den WellnessRezeptvorschlägen472. Interessanterweise wurde in derselben Ausgabe auch eine GustoBuchrezension unter dem Titel „Die Joghurtlüge“ mit dem Schwerpunkt FunctionalFood- und Wellness-Food-Marketing thematisiert.473 Die Autorin Elisabeth Fischer berichtete seit den 1990er Jahren durchwegs zum Thema schlanke und gesunde Küche und widmete sich im Gusto-Journal seit der Oktoberausgabe 2006 mit der monatlich erscheinenden Rubrik Kochen für Kinder auch der Gesunden Küche für Kinder.474 Im Gusto-Schlank & Gesund-Special im April 2002 stellte man in der Ankündigung zur Rezeptreihe Schlank Schlemmen von Elisabeth Fischer fest, dass es auch in ihren Büchern475 „immer ums Wohlfühlen geht“476. Makrostruktur-Analyse Der Kommentar thematisiert ganzheitliches Wohlbefinden als Weg zur Erreichung permanenter Schlankheit und umfassender Gesundheit und Vitalität. Der Gesamttext gliedert sich in einen allgemeinen oberen und in einen unteren Teil mit dezidierten Speisevorschlägen in den Fazits. Die deutliche Trennung der Absätze entspricht der argumentativen Gliederung in These, Begründung und Zwischenfazit (siehe Tabelle 16) 466 Vgl. Gusto 4/2007, 26-35. Gusto 4/2007, 26. 468 Gusto 4/2007, 12. 469 Gusto 4/2007, 12. 470 Vgl. Gusto 4/2007, 12. 471 Vgl. Gusto 4/2007, 33. 472 Vgl. Gusto 4/2007, 35. 473 Vgl. Gusto 4/2007, 103. 474 Vgl. Gusto 10/2006, 3. 475 Die Buchtitel der Autorin in den späten 1990er und 2000er Jahren betrafen: „Algen Lebenskraft aus dem Meer“, Gusto 10/1998, 80; „Vegi-Diät mit der Kohlsuppe“, Gusto 4/2002, 49; „Gesund essen Schlank ab 40“, Gusto 4/2005, 13; und „Mega Food“, Gusto 9/2005, 96. 476 Gusto 4/2002, 40. 467 - 90 - und geht einher mit der propagierten Notwendigkeit zur Umsetzung der Wellness-Küche. Mit der bildlichen Darstellung der Autorin, die als ‚Leichtgewicht auf der Waage‘ ihr eigenes Wohlbefinden zur Schau trägt, erfolgt eine visuelle Gradation – eine bildliche Verstärkung – der verbalen Bedeutung von Wellness in der Überschrift mit außerordentlicher interpersoneller Wirkung. Elisabeth Fischer wird in der Bildunterschrift als Ernährungsexpertin betitelt und in ihrer Haltung und ihren Blicken vollzieht sich ein visuelles demand. Sie trachtet danach, ihre Leserschaft, als Repräsentantin von Wellness, zu überzeugen und setzt dementsprechend Erwartungen in diese. Die Gliederung des Textes gestaltet sich folgendermaßen: Tabelle 16: Wellness 4/2007, Gliederung des verbalen Textes Überschrift „Wellness Schlanke Wohlfühlrezepte zum Sattessen“ These „Schlank werden – das ist zwar wunderbar, reicht aber nicht aus. Entscheidend ist auch das Körpergefühl, das sich beim Schwinden der Kilos einstellt. Letztlich bestimmt dieser persönliche Wohlfühlfaktor darüber, ob aus dem Wunschgewicht ein Normalzustand wird.“ Begründung These „Wer erfolgreich abnehmen will, muss weder hungern noch schlecht gelaunt sein. Im Gegenteil, neue kulinarische Entdeckungen warten und die Lebensgeister melden sich in Frühlingsfrische zurück. Es darf geschlemmt werden, die Portionen sind üppig, die Speisen pfiffige Kompositionen aus natürlichen frischen Zutaten. Wenn auf den Genuss die Erfahrung folgt, dass man in diesem leichten Schlaraffenland nach dem Essen nicht erschöpft unter Bäumen liegt, sondern voll neuer Energie die selbigen ausreißen will, stehen die Chancen gut, dass die schlanke Linie dauerhaft bleibt.“ Zwischenfazit „Schlank essen mit dem Wohlfühlfaktor – das Rezept dafür ist einfach: Frisches Obst und Gemüse so viel Sie wollen. Dazu gibt es leichtes Geflügel, Meeresfisch mit herzgesunden Omega-3-Fettsäuren und Ballaststoffreiches aus Getreide, Kartoffeln und Hülsenfrüchten. Denn eine funktionierende Verdauung steigert das Wohlbefinden. Auch fettarme Milchprodukte stehen auf dem Speiseplan. Gespart wird beim Fett, wenig dafür von höchster Qualität heißt die Devise. Oliven und Rapsöl, Nüsse und aromatische Samen. Viel Geschmack bei Null Kalorien bringen Kräuter und Gewürze.“ Fazit1 „HUH & GEMÜSE Von dem leichten Gemüse-Hühner-Süppchen (Seite 27) darfs immer ein bisschen mehr sein. Mit dem Grundrezept können Sie Diät-Sünden ausgleichen, pro Woche einen Suppentag einlegen oder der ewigen Krautsuppen-Diät entkommen. In den großen Topf wandert alles, was die Jahreszeit bietet. Im Frühling Spargel und Spinat, im Sommer Fisolen, Paradeiser und Paprika. Im Herbst kommt noch Kürbis dazu und im Winter Wurzelgemüse und Erdäpfel. Das Hühnerfleisch schmeckt nicht nur gut, es liefert auch leichtes Eiweiß, sodass mit dem Fett nicht auch die Muskeln abgebaut werden. Grundrezept für dieses Süppchen: Pro Person ca 300g Gemüse, 70g Hühnerfilet, 400ml Gemüsesuppe, 1 TL Öl und sehr viele frische Kräuter.“ Fazit2 „FISCH & GEMÜSE Ein Thema mit unendlichen Variationen. Für unser BasicRezept (Seite 28/29) kann man auch Kabeljau-, Thunfisch-, Rotbarsch-, St. Petersfisch- oder Seeteufelfilets verwenden. Tiefgekühlte Filets vorher auftauen lassen (Kühlschrank), trockentupfen und marinieren. Zum gebratenen Fisch und dem fettfreien Paprika-Erdäpfel-Dip passen auch gedämpfter Brokkoli, Lauch, im eigenen Saft gedünstet, und mit einem Hauch Öl unter Rühren gebratene Erbsenschoten. Eines gilt für alle fettarm oder fettfrei zubereiteten Gemüsesorten: Die Portionen können gar - 91 - nicht groß genug sein! Denn Gemüse liefert kaum Kalorien, hat einen Fettgehalt, der gegen Null geht, versorgt uns dafür aber mit den jung-, fit- und schlankhaltenden BioStoffen. Sicher wissen Sie das bereits, man kann es aber gar nicht oft genug schreiben, damit unser Wissen in die tägliche Essenspraxis übergeht.“ Fazit3 „PASTA & GEMÜSE Köstlicher Trick für den einfachen Gemüsesugo (Seite 30): Reichlich Champignons verwenden, denn sie geben beim Garen sehr viel Saft ab. In diesem lassen sich auch festere Gemüse mit wenig Fett schmoren.“ Fazit4 „FRUCHTIGER PLA Wenn der Fettgehalt gegen Null geht, ist auch beim Dessert Schlemmen angesagt. Damit Abwechslung in die süße Wellness-Küche kommt: Bereiten Sie diesen leichten Buttermilch-Flan (Seite 35) mit Marillen, Himbeeren, Pfirsichen oder Mangos zu.“ Mikrostruktur-Analyse Schlankheit wird als Thema außerordentlichen Interesses bei den Leserinnen und Lesern vorausgesetzt. Die Phrasen „Schlank werden“ und „Wer erfolgreich abnehmen will“ erfolgen in der Themaposition der Botschaftsübermittlung (siehe Tabelle 17) und leiten somit die Diskussion des Themas sowohl in der These als auch in der Begründung der These ein (siehe Tabelle 16). Tabelle 17: Wellness 4/2007, Übermittlung der Botschaft Thema Rhema „Schlank werden“ „ das ist zwar wunderbar, reicht aber nicht aus.“ „Wer erfolgreich abnehmen will,“ „muss weder hungern noch schlecht gelaunt sein.“ „Eines gilt für alle fettarm oder fettfrei zubereiteten Gemüsesorten:“ „Denn Gemüse“ „liefert kaum Kalorien, hat einen Fettgehalt, der gegen Null geht, versorgt uns dafür aber mit den jung-, fit- und schlankmachenden Bio-Stoffen.“ Als weitere sprachliche Marker des im verbalen Text in ideationeller Hinsicht vorzufindenden schlankheitsideologischen Hintergrundes äußern sich „Wunschgewicht“ und „Schwinden der Kilos“. Überdies verweist die Vielzahl an beschreibenden Epitheta wie „schlanke Wohlfühlrezepte“, „schlanke Linie“, „leichtes Geflügel“, „leichtes Schlaraffenland“, „fettfreien Paprika-Erdäpfel-Dip“ und „fettarme Milchprodukte“ auf die außerordentliche Bedeutung von Schlankheit. Das einzige und daher ultimative Ziel – die dauerhafte Schlankheit – könne dabei nur durch ganzheitliches Wohlbefinden erreicht werden. Der „persönliche Wohlfühlfaktor“ entscheide darüber, „ob“ das Ziel – Schlankheit als „Normalzustand“ – auch erreicht werde. Nach Walter Jung besitzen ‚Ob-Sätze‘ die grundsätzliche Eigenschaft, Inhalte von - 92 - Entscheidungsfragen wiederzugeben.477 Indem diese Entscheidung den Leserinnen und Lesern auferlegt wird, erfolgt vor dem Hintergrund des Wunsches zur schlanken Figur der argumentative Entzug jeglicher Alternative zum Streben nach Wohlbefinden. Die Maxime ‚Wohlfühlen‘ und ‚Wohlbefinden‘ tauchen in ideationeller Hinsicht auch dementsprechend oft in Zusammensetzungen wie „Wohlfühlfaktor“ und „Wohlfühlrezept“ im Text auf und verweisen auf ein weitverzweigtes zugrundeliegendes Gesamtkonzept von Gesundheit, Schlankheit und Vitalität. Der Gesundheitsaspekt von Wohlbefinden wurde durch die Benennung der „herzgesunden Omega-3-Fettsäuren“ und von verdauungsförderlichen ballaststoffreichen Nahrungsmitteln näher bestimmt. Ebenso erfolgt dies für den Vitalitätsaspekt von Wohlbefinden in „die Lebensgeister melden sich in Frühlingsfrische zurück“ und mit der Phrase „voll neuer Energie“. Besondere Bedeutung wird einerseits dem Begriff ‚Frische‘ in „aus natürlichen frischen Zutaten“, „frisches Obst“ und „viele frische Kräuter“ zuteil, andererseits dem Hauptnahrungsmittel der Wellness-Küche – dem Gemüse. Es taucht als unverzichtbarer Bestandteil der empfohlenen Gerichte im Fazit und in der Botschaftsübermittlung als Thema auf (siehe Tabelle 17). Gemüse besitze kaum Kalorien und Fett und versorge den Körper mit „jung-, fit- und schlankmachenden Bio-Stoffen“, so die Argumentation. Wurde durchwegs auf die Bedeutung von Sattessen, Genuss und Geschmack beim Essen verwiesen, so kam mit dem Konditionalsatz in der Begründung der These (siehe Tabelle 16) auch die Bedingung zum Ausdruck, dass die „schlanke Linie“ nur dann „dauerhaft bleibt“, wenn auch dementsprechende vernunftgeleitete Willensstärke und selbstinitiierte Aktivität erfolgen. Der figurative Gegensatz von „unter Bäumen liegen“ und „die selbigen aus[zu]reißen“ als Konkretisierungen der gegensätzlichen Metaphern ,Faulheit ist Willensschwäche‘ und ,Tatendrang ist Willensstärke‘ stellt dabei die Notwendigkeit zum selbstinitiativen Handeln und zur Selbstführung in der Wellness-Gesellschaft in den Vordergrund. In seiner Gesamtheit präsentiert sich der Text in interpersoneller Hinsicht als auffordernd, jedoch nicht dezidiert als handlungsanweisend. Mit Nachdruck werden die Standpunkte durch Doppelpunkte und Ausrufzeichen untermauert und konkrete Umsetzungsvorschläge der Wellness-Küche propagiert. Das Zusammenwirken bildlicher und 477 Vgl. Jung 1990, 37. - 93 - sprachlicher Elemente in der Vermittlung der Bedeutung der Wellness-Küche vermag die Unumgänglichkeit von Wellness im Interesse dauerhafter Schlankheit zu vermitteln. Die Beschaffenheit der Aussage im sozialen Kontext Genussvoll zu essen und schlank zu bleiben beziehungsweise zu werden war seit den 1990er Jahren Thema im Gusto-Journal. Die ablehnende Haltung gegenüber Diäten478 beeinflusste die schlankheitsideologische Ausrichtung des Journals jedoch keineswegs. Die Gusto-Reihe Fein & Schlank ab der Februar-Ausgabe 1999479, Gusto-Spezialbeiträge zur schlanken Küche im Frühjahr 2001 bis 2004480 und die im Jahr 2002 initiierte RezeptReihe Schlank Schlemmen481 verwiesen auf diese Tatsache. Die Gusto-Hinweise auf Schlankheits-Seminare der Gusto-Diät-Assistentin Marion Steiner-Binder aus dem Jahr 2005 verdeutlichen die außerordentliche Präsenz des Themas.482 Die thematische Fokussierung ging mit einer entsprechenden Marktorientierung einher. In der Feststellung, dass „auch fettarme Milchprodukte“ in der Wellness-Küche auf dem „Speiseplan“ stünden, zeigte sich die direkte Bezugnahme auf die im Kommentar beworbenen kalorienarmen ÖM-Fasten-Milchprodukte. Bereits im Jahr 1999 wurde die Rezeptreihe Fein & Schlank als „Gusto-Menü-Duett“ gemeinsam mit dem Süßstoffhersteller atreen in die Wege geleitet, „damit Naschkatzen nicht auf das süße Finale verzichten müssen“483, so die Begründung. Weitere Gusto-Partner waren Emmi mit der QimiQ-Rahmbasis für die leichte Küche484 und ÖM mit der Rezeptreihe Schlank Schlemmen485. Dass für das marktvermittelte Abnehmen auch ein dementsprechender Markt in Österreich vorhanden war, verdeutlichte die Unzufriedenheit vieler Frauen mit ihrem Körpergewicht. Im Österreichischen Ernährungsbericht 2003 äußerte sich diesbezüglich, dass zwischen 1998 und 2003 vor allem weibliche Jugendliche – nämlich 50 Prozent – mit ihrem Körpergewicht unzufrieden waren und Anlass zum Abnehmen sahen. Dies zeigte sich auch bei Erwachsenen und diesbezüglich vor allem im Wunsch 478 Siehe Feststellung des Chefredakteurs Wolfgang Schlüter in diversen Editorials des Journals, vgl. Gusto 10a/1999, 4; Gusto 9/2002, 4. 479 Vgl. Gusto 2/1999, 74-83. 480 „Gusto-Schlank-Special“, Gusto 4/2001, 24-34; „Gusto Schlank und Gesund Special“, Gusto 4/2002, 40-48; „Gusto Schlanke Küche Special“, Gusto 4/2003, 36-39; „Schlank & Vital“, Gusto 4/2004, 16-25. 481 Siehe die Feststellung des Chefredakteurs Wolfgang Schlüter zur Rezeptreihe im Editorial der September-Ausgabe 2002, vgl. Gusto 9/2002, 4. 482 Vgl. Gusto 10/2005, 8. 483 Gusto 1/1999, 74. 484 Vgl. Gusto 2/2001, 56. 485 Vgl. Gusto 5/2003, 68. - 94 - abzunehmen bei 37,5 Prozent der 60-Jährigen.486 Die Produktwerbung im Gusto-Journal verwies auch dezidiert auf die zu erstrebende Bikinifigur, wie beispielsweise ÖM- Fasten mit dem Werbeslogan „Mit eingebauter Bikinifigur“487. Schlankheit tauchte überdies immer mehr als Aspekt eines unumgänglichen und deshalb zu erstrebenden Wohlbefindens auf. Seinen amerikanischen Wurzeln aus den 1950er Jahren entsprechend, äußert sich Wellness als „holistisches, prozessuales Gesundheitsverständnis“488, mit der Zielsetzung eine „Balance von Körper, Seele, sozialer Umwelt, Kultur und Spiritualität.“ anzustreben.489 Im Gusto-Journal zeigte sich dies durch die häufige Thematisierung des Wohlbefindens als auch durch die Akzentuierung konkreter Wellness-Vorstellungen. Die Gusto-Diät-Assistentin Marion Steiner-Binder veranstalte im Frühjahr 2005 neben dezidierten Schlankheits-Seminaren auch Wohlfühl-Seminare, die Stressabbau und die Steigerung der Leistungsfähigkeit anvisierten.490 Das im GustoKommentar fokussierte Gemüse als umfassendes jung, fit und schlank machendes Nahrungsmittel – mit wenig Kalorien und Fett, aber vielen Bio-Stoffen – war auch Thema in der Kolumne Gesund mit Genuss unter dem Titel „Vitalität tanken“.491 Frische wurde durchwegs mit Wohlbefinden in Verbindung gebracht. Einer österreichischen Ernährungsstudie des Fessel Instituts zum Thema Lebensmittelqualität zufolge, assoziierten Konsumentinnen und Konsumenten im Jahr 2002 Gesundheitszuträglichkeit vor allem mit ‚Frische‘ und ‚Reinheit‘ und weniger als noch 1996 mit ‚Naturnähe‘ und ‚ökologischen Produktionsbedingungen‘.492 Eine Studie zum Frische-Begriff in deutschsprachigen Kochbüchern seit den 1950er Jahren kam zum Ergebnis, dass dieser in jüngster Vergangenheit nicht nur mit dem Konsum von Gemüse, Obst und Milchprodukte assoziiert wurde,493 sondern in gesellschaftlicher Hinsicht auch mit Schlankheit, Beweglichkeit und Flexibilität einherging.494 Mit den Anforderungen an Leistung und Fitness und dem Wertewandel zum Thema Gesundheit äußerte sich die Wellness- 486 Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 13-14. Gusto 2/2007, 7. 488 Friedl, Harald A., Wer braucht Wellness – und warum gerade jetzt?, in: Integra. Zeitschrift für Integrativen Tourismus und Entwicklung, 4 (2006), 6. 489 Friedl 2006, 6. 490 Vgl. Gusto 6/2005, 8. 491 Vgl. Gusto 8/2007, 12. 492 Vgl. BMLFUW, 2. Lebensmittelbericht 2003, 75-76. 493 Vgl. Kalkhoff Vera, Frische – ein kulinarisches Leitkonzept der Moderne, in: Mohrmann, Ruth-E., Hg., Essen und Trinken in der Moderne, München u. a. 2006, 66. 494 Vgl. Kalkhoff 2006, 81. 487 - 95 - Nachfrage495 auch im Gusto-Journal. Mit der Betonung des jung, fit und schlank machenden Gemüses und damit einhergehender ‚Frische‘ und ‚Vitalität‘ wurde nicht zuletzt auch die Wunschvorstellung der ewigen Jugend adressiert. Auffallend äußerte sich dies auch im Artikel „Schlank genießen“496 von Elisabeth Fischer, in dem die leichten Rezepte zu Gemüsespeisen mit „Anti-Aging-Biostoffen“497 Genuss versprachen und das neu erschienene Buch der Autorin Gesund essen Schlank ab 40 beworben wurde.498 Neben diesen holistischen Vorstellungen von Wohlbefinden tauchte im Gusto-Journal der 2000er Jahre nach wie vor kardiovaskuläre Gesundheit als dezidiertes Thema auf, und dies vermehrt im Zusammenhang mit positiven Einflüssen von Omega-3-Fettsäuren und Fischverzehr auf das Herzkreislaufsystem. Im „Mega-Schlank-Menü“ von Elisabeth Fischer wurde Lachs als „herzensgut durch Omega-3-Fettsäuren“499 bezeichnet, GustoHinweise auf Karpfen bescheinigten dem Fisch gefäßschützende Eigenschaften aufgrund von Omega-3-Fettsäuren500 und die oftmals in Verruf geratenen Sardinen in Dosen wurden den Leserinnen und Lesern aufgrund der gewinnbringenden Fettsäuren als Schlaganfall-vorbeugend präsentiert.501 Im Editorial des Oktober-Sonderheftes 2006 stellte man fest, dass Fisch in Österreich immer beliebter werde und aus ernährungsphysiologischer Hinsicht für jene, die „eine gute Figur machen möchte[n]“ die „tägliche Dosis Wohlbefinden in Form von Obst und Gemüse“ ergänze.502 Im Kommentar kam schließlich mit der verbal argumentierten und textuell-gestalterisch vermittelten Unumgänglichkeit des Strebens nach Wohlbefinden die Verantwortung des Individuums, durch das entsprechende Selbst-Bewusstsein die eigene Gesundheit zu erhalten und zu entfalten – als zentrales Anliegen von Wellness503 –, deutlich zum Vorschein. Stefanie Duttweiler verwies auf die Tatsache, dass in vielen Magazinen und Lebenshilferatgebern Wellness so präsentiert werde, dass sich potentiell ein „Möglichkeitsraum in der Phantasie“ ergibt, der „permanent[e] Selbstverbesserung“ und „unablässig[e] Arbeit an sich selbst“ suggeriert.504 Die dadurch erzeugten Illusionen und 495 Vgl. Friedl 2006, 9. Vgl. Gusto 4/2005, 12-13. 497 Gusto 4/2005, 12. 498 Vgl. Gusto 4/2005, 12-13. 499 Gusto 9/2005, 84-85. 500 Vgl. Gusto 12/2005, 13. 501 Vgl. Gusto 3/2006, 6. 502 Gusto 10a/2006, 5. 503 Vgl. Friedl 2006, 6. 504 Duttweiler, Stefanie, Body-Consciousness. Fitness – Wellness – Körpertechnologien als Technologien des Selbst, in: Widersprüche 3/87 (2003), 33. 496 - 96 - Hoffnungen gehen mit der Tatsache einher, dass die Fürsorge für Körper, Geist und Seele „je nach Geldbeutel auch von anderen am eigenen Körper erbracht werden kann“.505 Im Gusto-Journal tauchten Gesundheit, Schlankheit und Vitalität vor dem Hintergrund von ganzheitlichem Wohlbefinden zunehmend in der Bewerbung und den Produktvorstellungen von speziellen Nahrungsmitteln, Light-Produkten, Functional Food und Nahrungsergänzungsmitteln auf. Das Soja-Dressing von Mautner Markhof wurde als Vitalität und Genuss versprechend, ohne Cholesterin und als gewinnbringend für die ,Schlanke Linie‘ beworben.506 In den Gusto-Produktvorstellungen wurde die „WellnessBrotbackmischung“507 Kraftbrot von Fini’s Feinstes vorgestellt. Das Joghurt-Produkt Vitalinea 0% Plus von Danone wurde mit den Slogans „Leicht und unbeschwert“508, „Schenken Sie Ihrer Ernährung ein Nährstoff-Plus“509 und „Damit es mir gut geht …“510 beworben, wobei das Produkt vor allem Frauen als Zielgruppe anvisierte511. Der BayerKonzern bewarb das Nahrungsergänzungsmittel Supradyn mit dem Slogan „Schlank bleiben. Stoffwechsel unterstützen“512. Es versprach bei täglicher Verwendung durch seine zugesetzten Mineralien, Vitamine und Grüntee-Extrakt, kombiniert mit sportlicher Betätigung und ausgewogener Ernährung, den Stoffwechsel zu unterstützen und für ein gesundes Körpergewicht zu sorgen.513 Das marktvermittelte Angebot zur körperlichen Vervollkommnung war allseits gegenwärtig im Gusto-Journal der 2000er Jahre. In der Bewerbung der angebotenen Produkte ergänzten sich die österreichweit genannten Konsummotive von Light-Produkten – der Gewichtserhalt und das allgemeine Gesundheitsbewusstsein514 – mit jenen der Functional-Food-Produkte – die „Optimierung von Körperfunktionen“ und die vielversprechende krankheits-präventive Wirkung515. Dies spiegelte auch die allgemeinen Tendenzen der Ausweitung einer Schlankheitsorientierung auf gesamtkörperliches Wohlbefinden wider. 505 Duttweiler 2003, 40. Vgl. Gusto 6/2007, 17. 507 Gusto 8/2007, 102. 508 Gusto 8/2007, 57. 509 Gusto 6/2007, 47. 510 Gusto 7/2007, 31. 511 Vgl. Gusto 7/2007, 31. 512 Gusto 6/2007, 11. 513 Vgl. Gusto 6/2007, 11. 514 Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2008, 178. 515 IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2008, 186. 506 - 97 - 6. Die Gestalt des Diskurses In den frühen 1980er Jahren besaß die Herstellung von Gesundheit, Schlankheit und Vitalität im Rahmen einer umfassenden Ernährung noch keine uneingeschränkte diskursive Kohärenz. Tendenziell handelte es sich um Phänomene, die als einzelne Diskursstränge erst zusammenzuwirken begannen. Wie anhand des Kommentars „Die richtigen Ernährung für den Büromenschen“ gezeigt wurde, stand zu Beginn der 1980er Jahre Leistungsfähigkeit einerseits noch im Zeichen des Zusammenhanges von Energieumsatz und Leistungserbringung, gemäß dem Jahrzehnte zuvor geprägten fordistischen Paradigma. Diesbezüglich beinhalteten die Vorgaben genaue Kalorienmengen für beide Geschlechter. Andererseits wurde gleichzeitig mit dem Trend zur Vollwertkost die körperliche Leistungsfähigkeit in ihrer Ganzheitlichkeit zur Garantin von Fitness und gesundheitlichen Aspekten, die sich damit verknüpften. Die besondere Ernährung beinhaltete Aspekte wie die Zellerneuerung, die Abwehr- und Widerstandskraft und die Bedeutung der Vitamine für den Körper und verwies damit bereits auf die präventive Wirkung der Ernährungsweise im Kontext umfassender Gesundheitsvorstellungen. Die Revitalisierung der Vollwertkost äußerte sich aufgrund ernährungswissenschaftlicher Erkenntnisse und der allmählich breitenwirksameren Ideale der Alternativbewegung. Indem jedoch von keiner diskursiven Durchdringung der Ideale der Vollwertkost ausgegangen werden konnte, besaß sie als Ernährungsreform im eigentlichen Sinne keine Relevanz. Dementsprechend wurde sie in den Diskursfragmenten auch kontroversiell als gesunde, geschmacklose und genussfeindliche Küche wahrgenommen. Ein deutlicher Diskursstrang betraf die schlankheitsideologische Bilanzierung des Körpergewichts. Die ästhetische Schlankheit als das primäre Motiv der Bilanzierung äußerte sich vor allem bis in die zweite Hälfte der 1980er Jahre als nachdrückliches Ziel in den Diskursfragmenten. In der verbalen Argumentation war gehäuft von „Gewichtsreduktion“ und „Abnehmen“ die Rede, und dies auch im Rahmen von Diäten, die für die Kulinarik gänzlich irrelevant erschienen. Dabei wurde durch genaueste Kalorienangaben das Gewichthalten auch visuell in Tabellen an die Leserinnen und Leser herangetragen. Darüber hinaus widmeten sich gesamte Rubriken dem Thema. Das Streben nach ästhetischer Schlankheit adressierte primär Frauen und fand verstärkt im Frühjahr mit dem Hinweis auf die anzustrebende ‚Bikinifigur‘ Eingang in die leserinnenzentrierte mediale Botschaft, die damit auch den österreichweiten Trends entsprach. Als auffallend - 98 - erwiesen sich die Thematisierung von Zucker und dessen negative Zuschreibung in Hinblick auf die Entstehung von Übergewicht. Diese erfolgte nicht zuletzt vor dem Hang der Österreicherinnen und Österreicher zur Mehlspeisenküche. Die diesbezüglich im Journal geäußerte Kritik ließ abgesehen von schlankheitsideologischen Argumenten auch negative gesundheitliche Aspekte des Zuckerkonsums – vor allem mit der thematisierten Vollwertkost – erkennen, wenngleich im Wesentlichen lediglich gesundheitliche Einzelaspekte, wie beispielsweise die Zahngesundheit, im Vordergrund standen. Die in den Diskursfragmenten vorhandenen Handlungsanweisungen die von einer eigenen Diätredaktion ausgingen und sich in verbal und visuell rezeptartigen Anweisungen äußerten ließen mit Ausnahme des schlankheitsideologischen Hinter- grundes auf ein noch weitgehendes Fehlen einer umfassenden, selbstverantwortlichen, für den Körper gewinnbringenden Vorstellung von Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein schließen. Während das Gusto-Journal als Akteur im schlankheitsideologischen Diskurs der frühen 1980er Jahre in Erscheinung trat, waren ganzheitliche Konzepte von Gesundheit, Schlankheit und Vitalität somit nur in Ansätzen – beispielsweise im Versuch der Etablierung der Vollwertkost – vorzufinden. Die von außen heran-getragenen rezeptartigen Handlungsanweisungen grenzten den Spielraum zur individuellen Selbstinitiative weitgehend ein, und die Frage der Selbstführung stellte sich daher nur einschränkt. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre tauchte in den Diskursfragmenten zunehmend Ernährungsbewusstsein als normative, vom Individuum umzusetzende Zielsetzung auf. Mit der ‚bewussten Ernährung‘ erfolgten von außen geleitete argumentative Aufforderungen zu Selbstinitiative und Disziplin. Der Gusto-Kommentar „Bewußtes Leben – wie man wirklich schlank wird (und bleibt)“ präsentierte sie 1986 vor einem schlankheitsideologischen Hintergrund, wobei die Umsetzung einerseits durch die selbstverantwortliche Bilanzierung und andererseits erstmals durch die selbstdisziplinierte Meidung von Nahrungsmittelbestandteilen – den ‚Dickmachern‘ Fett und Zucker – zu erfolgen hatte. Gemeinsam mit der Einführung der Symbole zum Cholesterin- und Salzgehalt in den Rezepten trat das Gusto-Journal 1989 erstmals als Akteur der Gesundheitsförderung in Erscheinung. Die ‚bewusste Ernährung‘ stand nun gänzlich im Zeichen einer Verzichtsethik, zu Gunsten der Aufrechterhaltung der Gesundheit. Die Ottawa-Charta (1986) der WHO und der Atherosklerosebericht der Österreichischen Gesellschaft für Hygiene, Mikrobiologie und Präventivmedizin (1988) äußerten sich - 99 - spätestens mit der Forderung des österreichischen Gesundheitsministers „Vorsorgemaßnahmen“516 im Kontext eines wahrgenommenen Cholesterin-Problems treffen zu müssen, als diskursive Ereignisse mit medialer Trag-weite. Gemäß der amerikanischen egative utrition wurden nun auch im Gusto-Journal die Reduktion von Fett, Zucker und Salz als Maßnahmen und Beitrag zur gesunden Ernährung propagiert. Die Herstellung von Wohlbefinden sollte als ganzheitliches, von der WHO gefordertes Konzept von Gesundheit nur durch Vernunft und Verzicht erfolgen. Dementsprechend wurden die Leserinnen und Leser zur Umsetzung der ‚bewussten Ernährung‘ angeleitet. Die direkte und verzichtsorientierten bedingungslose, Selbstinitiative von und außen Disziplin erfolgende ließ Forderung dabei kaum zur eine unausgesprochene, unterschwellige Erfordernis der Selbstführung erkennen. Das individuelle nachhaltige Streben nach ganzheitlicher Gesundheit, Schlankheit und Vitalität stand erst am Anfang. Die marktvermittelte Herstellung von Gesundheit und Schlankheit, die auf ein neues Gesundheits- und Körperbewusstsein verwies, tauchte in den Diskursfragmenten jedoch bereits Ende der 1980er Jahre auf. Einhergehend mit Küchenpraktiken der ‚Neuen Küche‘ und der ‚Leichten Küche‘ nahmen die Produktvorstellung und die Bewerbung von Convenience- und Light-Produkten zur Senkung des Cholesterinspiegels und zur Kalorienreduktion einen großen Raum im Journal ein. Der mit der Gesundheitsorientierung bei den Leserinnen und Lesern einhergehenden und aus dem Selbstverständnis des kulinarischen Journalismus nachvollziehbaren Kluft zwischen Genuss und Verzicht begegnete man mit der Auslagerung des gesundheitsfördernden Auftrages, beispielsweise durch externe Gesundheitsexperten, die in der Heftdramaturgie geschickt in Szene gesetzt wurden. Im Gusto-Journal fand die Thematisierung von gesundheitszuträglichem Verzicht und schlankheitsorientierten Diäten spätestens in den frühen 1990er Jahren ihr Ende. Hinweise auf Gesundheitsthemen erfolgten nun gänzlich in eigens dafür bestimmten Rubriken, in denen auch Träger der Gesundheitsförderung, wie die ÖGE, der VEÖ und die DGE zu Wort kamen und neueste ernährungswissenschaftliche Erkenntnisse präsentierten. Äußerten sich schlankheitsideologische Hintergründe nach wie vor in den Diskursfragmenten, so stand die Gewichtsreduktion ab den frühen 1990er Jahren nicht als bedingungslose Bilanzierung, deren letzte Konsequenz die Diät darstellte, im Vordergrund, sondern vorwiegend die Herstellung von Schlankheit durch Genuss, Sättigung und 516 IfSUW 1988, 3. - 100 - Wohlbefinden. Mit dem Wohlbefinden-Begriff trat erstmals ein ganzheitliches Konzept in den Diskursfragmenten in Erscheinung, das in umfassender Art und Weise das Streben nach Schlankheit, Gesundheit und Vitalität vereinte und in Form der ‚ausgewogenen vegetarischen Ernährung‘ auch Selbstinitiative einforderte. Die vegetarische Ernährung, die auch erneut als ‚Vollwertkost‘ und schließlich als ‚ausgewogene Naturkost‘ und ‚Naturküche‘ im Journal präsentiert wurde, versprach neben ihren positiven Effekten für Gesundheit und Fitness aufgrund des geringen Kaloriengehaltes auch eine selbstregulierende Körpergewichtsbilanzierung. ‚Ausgewogenheit‘ bedeute in dieser Hinsicht nicht nur Ganzheitlichkeit, sondern auch eine Distanzierung vom bedingungslosen Vegetarismus, die aufgrund der kontroversiellen Ansichten der Leserinnen und Leser, der Lebensmittelwirtschaft und der Ernährungswissenschaft zum Thema und schließlich auch im Sinne einer facettenreichen Kulinarik in der Blattlinie des Journals nachvollziehbar schien. Der Fokus auf Genuss und Wohlbefinden vereinte vernunftbestimmte Zielsetzungen der Gesundheits- und Schlankheitsorientierung mit dem genussvollen Essen und entsprach dabei auch weitgehend den Vorstellungen und Wünschen der Österreicherinnen und Österreicher. Wohlbefinden tauchte als Lebensstil in den Diskursfragmenten auf und dementsprechend erlangte auch dessen Vermarktung an Bedeutung. In den Produktneuigkeiten und in der Produktwerbung des Journals boomten vor allem probiotische Milch- und Joghurt-Getränke, die Gesundheit, Schlankheit und Vitalität versprachen. Der Markt als Herstellungsinstanz von ernährungsphysiologisch bedingter Gesundheit, Schlankheit und Vitalität trat in den frühen 2000er Jahren immer deutlicher einhergehend mit Wellness und der Vorstellung der permanenten Selbstverbesserung in Erscheinung. Die nach wie vor vorherrschende schlankheitsideologische Ausrichtung des Journals, die auch mit einer österreichweiten Unzufriedenheit mit dem Körpergewicht, vor allem unter Frauen, einherging, äußerte sich vor allem in Spezialbeiträgen und in ‚GustoPartnerschaften‘ mit Herstellern von kalorienarmen Produkten, die in Rezepten Verwendung fanden und auch dementsprechend beworben wurden. Diskursfragmente verwiesen jedoch darauf, dass dauerhafte Schlankheit nur durch Selbstinitiative im Kontext von ganzheitlichem Wohlbefinden hergestellt werden konnte. Wellness beinhaltete dabei ein Bündel an Vorstellungen, die in kulinarischer Hinsicht durch eine reichhaltige jung, fit und schlank machende ‚Gemüse-Küche‘, jedoch keineswegs durch gänzliche fleischlose Ernährung, hergestellt werden sollte. Im Wesentlichen handelte es - 101 - sich um holistische Vorstellung von Schlankheit, Flexibilität, Leistungsfähigkeit, Gesundheitszuträglichkeit als auch Jugendlichkeit, die auch gängigen postmodernen Lebensrealitäten und Wunschvorstellungen entsprachen. In den Diskursfragmenten ging das außerordentliche Aufforderungspotential in der medialen Darstellung einher mit dem zentralen Anliegen von Wellness – der Verantwortung des Individuums zur permanenten Herstellung von ganzheitlichem Wohlbefinden. Die mediale Inszenierung leistete der Selbstführung – der ständigen Anforderung, an sich selbst zu arbeiten – Vorschub. Wie sehr die Selbstführung auch tatsächlich bei den Esserinnen und Essern angekommen war, zeigte sich nicht zuletzt anhand der Produktvorstellungen und -bewerbungen von LightProdukten, Functional Food und Nahrungsergänzungsmitteln, die eine krankheitspräventive Wirkungen, die Optimierung von Körperfunktionen, ästhetische Schlankheit und allumfassendes Wohlbefinden versprachen. - 102 - 7. Zusammenfassung „Wer es an Initiativen, Anpassungsfähigkeit, Dynamik, Mobilität und Flexibilität fehlen lässt, zeigt objektiv seine oder ihre Unfähigkeit, ein freies und rationales Subjekt zu sein“517, dies meinten Lemke, Krasmann und Bröckling in ihrer Charakterisierung der gouvernementalen Selbstführung. Im medialen Ernährungsdiskurs des Gusto-Journals äußerte sich dementsprechend die Durchsetzung eines umfassenden Zusammenhanges von Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein als auch eine damit einhergehende zunehmende Selbstverständlichkeit in der Forderung zur individuellen Selbstinitiative. Diese beinhaltete die Umsetzung einer ganzheitlichen gesund-, fit- und schlankmachenden Ernährung und die marktvermittelte Herstellung von umfassendem Wohlbefinden. In den frühen 1980er Jahren zeigten sich in den Texten jedoch noch primär Handlungsanweisungen, die eine Selbstführung weitgehend ausschlossen. Überdies verdeutlichten spezifische Kostformen wie die richtige Ernährung für den Büromenschen als auch die Präsentation von Diäten zur Gewichtsreduktion dass eine weitgehend isolierte Fokussierung auf Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein vorherrschend war. Demzufolge fanden umfassende Gesundheitsvorstellungen, wie sie in der Vollwertkost zum Ausdruck kamen, wenig diskursive Durchdringung, während eine schlankheitsideologische Ausrichtung dominierte. In den späten 1980er Jahren führten zunächst internationale gesundheitspolitische Bestrebungen, wie die Ottawa-Charta der WHO (1986) und ernährungsmedizinische Erkenntnisse und Forderungen, zur Problematisierung ernährungsbedingter Gesundheitsrisiken seitens des österreichischen Gesundheitsministeriums. Mit der im Gusto-Journal erfolgten Thematisierung von Cholesterin- und Bluthochdruck und der Forderung zur Meidung von Fett, Salz und Zucker – wie sie sich bereits ein Jahrzehnt davor in der US-amerikanischen egative utrition äußerte – ließ sich mit der ‚bewussten Ernährung‘ eine dezidierte von außen geleitete Gesundheitsförderung im kulinarischen Journalismus erkennen. Light-Produkte und die ‚Neue Küche‘ wurden erstmals nicht nur vor dem Hintergrund der nachwievor vorzufindenden Schlankheitsideologie, sondern auch im Zuge eines neuen Gesundheitsbewusstseins den Leserinnen und Lesern, sowohl in Produktvorstellungen als 517 Lemke, Thomas/Krasmann, Susanne/Bröckling, Ulrich, Gouvernementalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologien. Eine Einleitung, in: Bröckling, Ulrich/Krasmann, Susanne/Lemke Thomas, Hg., Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Frankfurt am Main 2000, 30. - 103 - auch in der Produktwerbung, präsentiert. Wurde das in der Ottawa Charta zum Ausdruck gebrachte Wohlbefinden in der Gesundheitsförderung des Journals gegen Ende der 1980er Jahre noch als zu erreichender Endpunkt erfolgreicher Meidungs- und Verzichtsbestrebungen anvisiert, so trat in den frühen 1990er Jahren die Genussorientierung an die Stelle der Verzichtsethik. Wohlbefinden wurde nun als übergreifendes, Schlankheit, Gesundheit und Vitalität beinhaltendes Konzept erachtet. Damit hielt erstmals eine ganzheitliche Sichtweise auf Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein Einzug. Neben der Ablehnung von Verzicht und Meidung wurde nun auch, bei unentwegter Propagierung ästhetischer Schlankheit, jegliche Form der Diät abgelehnt. Selbstinitiative wurde dabei zunehmend zur Selbstverständlichkeit und betraf zur Mitte der 1990er Jahre die konkrete Umsetzung der ‚ausgewogenen Ernährung‘ in Form des Vegetarismus, der Vollwertkost als auch der Naturkost. Der Markt reagierte insofern, als nun auch Functional Food zur individuellen Herstellung von Wohlbefinden zur Verfügung stand. Ganzheitliches Wohlbefinden wurde gänzlich zur Bedingung für Gesundheit, Vitalität und Schlankheit in den frühen 2000er Jahren. Die durch das Individuum in der Gestaltung des Ernährungsalltags – und damit in Selbstführung – herzustellende Wellness adressierte darüber hinaus berufliche Leistungsfähigkeit und Jugendlichkeit. Wie sehr diesen holistischen Vorstellungen eine marktwirtschaftliche Durchdringung zugrunde lag, offenbarte sich in der partnerschaftlichen Präsentation von Menükomponenten, indem das Journal gemeinsam mit Herstellern und deren Produkten den Leserinnen und Lesern Rezepte als auch entsprechenden Raum für die Bewerbung von Functional Food-Produkten bot, die nun Gesundheit, Schlankheit und Vitalität in umfassender Art und Weise garantierten. Wie Stefanie Duttweiler verdeutlichte, äußert sich das zentrale Motiv der ganzheitlichen Herstellung von Wellness dadurch, dass die Vorstellung von „Wohlbefinden als permanent reproduzierbarer Normalzustand“518 in die Selbstsorge um den Körper einfließt.519 In dieser Hinsicht präsentierte sich in den 2000er Jahren auch der ernährungsbedingte gesunde Lebensstil wahrlich als Herausforderung ohne Ende. 518 519 Duttweiler 2003, 39. Vgl. Duttweiler 2003, 39. - 104 - 8. Literaturverzeichnis Andersen, Arne, Der Traum vom guten Leben, Alltags- und Konsumgeschichte vom Wirtschaftswunder bis heute, Frankfurt am Main/New York 1999. Anmann, Gabriele/Wipplinger, Rudolf, Hg., Gesundheitsförderung. Ein multidimensionales Tätigkeitsfeld, Tübingen 1998. Astleithner, Florentina/Brunner, Karl-Michael, Chancen und Restriktionen für nachhaltige Ernährung in Österreich. Ein Resümee, in: Brunner, Karl-Michael u. a., Hg., Ernährungsalltag im Wandel. Chancen für Nachhaltigkeit, Wien 2007, 209-221. 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Tabellen- und Abbildungsverzeichnis Tabelle 1: Kreativ-Methoden der Visualisierung................................................................................... 36 Tabelle 2: Analyse der Sprache nach funktionalen Kriterien auf Satzebene ......................................... 37 Tabelle 3: Analyse der Sprache nach funktionalen Kriterien auf Wortebene ........................................ 40 Tabelle 4: Analyse von Bildelementen nach funktionalen Kriterien ..................................................... 41 Tabelle 5: Die richtige Ernährung für den Büromenschen 10/1984, Gliederung verbaler Texte .......... 44 Tabelle 6: Die richtige Ernährung für den Büromenschen 10/1984, Übermittlung der Botschaft......... 45 Tabelle 7: Mit Vollwertkost fit in den Frühling 5/1984, Gliederung verbaler Text .............................. 51 Tabelle 8: Mit Vollwertkost fit in den Frühling 5/1984, Übermittlung der Botschaft ........................... 52 Tabelle 9: Was ist ‚dick‘ und wie man schlank wird 11/1984, Gliederung verbaler Text..................... 57 Tabelle 10: Was ist ‚dick‘ und wie man schlank wird 11/1984, Übermittlung der Botschaft ............... 59 Tabelle 11: Wie man wirklich schlank wird (und bleibt) 5/1986, Gliederung verbaler Text ................ 65 Tabelle 12: Wie man wirklich schlank wird (und bleibt) 5/1986, Übermittlung der Botschaft............. 67 Tabelle 13: Bewußte Ernährung 3/1989, Gliederung verbaler Text ...................................................... 72 Tabelle 14: Bewußte Ernährung 3/1989, Übermittlung der Botschaft................................................... 73 Tabelle 15: Satt und Schlank 3/1994, Gliederung verbaler Text ........................................................... 81 Tabelle 16: Wellness 4/2007, Gliederung verbaler Text ....................................................................... 91 Tabelle 17: Wellness 4/2007, Übermittlung der Botschaft .................................................................... 92 Abbildung 1: Aspekte des Wellnessmarktes ............................................................................................ 8 Abbildung 2: Kommentar „Die richtige Ernährung für den Büromenschen“........................................ 43 Abbildung 3: Kommentar „Mit Vollwertkost fit in den Frühling“ ........................................................ 50 Abbildung 4: Kommentar „Was ist ‚dick‘ und wie man schlank wird“ ................................................ 56 Abbildung 5: Kommentar „Wie man wirklich schlank wird (und bleibt)“ ............................................ 64 Abbildung 6: Kommentar „Bewußte Ernährung“ .................................................................................. 71 Abbildung 7: Karikatur, Cholesterin-Aktion ......................................................................................... 78 Abbildung 8: Kommentar „Satt und Schlank“ ....................................................................................... 79 Abbildung 9: Kommentar „Wellness“ ................................................................................................... 89 - 112 - Abstract Die Arbeit thematisiert die diskursive Konstruktion von Gesundheit und Körperbewusstsein im kulinarischen Journalismus am Beispiel des seit den 1980er Jahren in Österreich erscheinenden Gusto-Journals. Im Rahmen einer historisch-kulturwissenschaftlichen und diskursanalytischen Herangehensweise werden ratgebende und informierende Artikel auf Regelmäßigkeiten und Auffälligkeiten hin untersucht. Dadurch ergeben sich Hinweise auf Veränderungen der in den Alltag integrierten Vorstellungen des gesunden und gewinnbringenden Lebensstils. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass im kulinarischen Journalismus in den frühen 1980er Jahren vor allem schlankheitsideologische Hintergründe dominierten und ganzheitliche Vorstellungen von Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein noch nicht vorhanden waren. Gegen Ende der 1980er Jahre äußerten sich einhergehend mit internationalen Bestrebungen der Ottawa-Charta der WHO und allmählich auch nationalpolitischen Forderungen zur nachhaltigen Ernährung Tendenzen einer von außen geleiteten Gesundheitsförderung im kulinarischen Journalismus. Seit den 1990er Jahren setzte sich schließlich ein auf individueller Selbstführung basierender postmoderner Lebensstil mit den Maximen Gesundheit, Schlankheit und Vitalität durch. Holistische Vorstellungen vom Wohlbefinden wurden mit hohem diskursivem Wirkungspotential den Leserinnen und Lesern präsentiert und die Herstellung des gesunden, fitten und schlanken Körpers marktvermittelt suggeriert. - 113 - Curriculum Vitae ame: Philip Alexander Vrana, geb. 1979 in St. Pölten Bildungsweg: 2008 – 2012 Diplomstudium Geschichte, Wahlfächer: Anglistik, Europ. Ethnologie Universität Wien, Abschluss Mag. phil. seit 2004 Lehramtsstudium Englisch und Geschichte Universität Wien 2001 – 2004 Pädagogische Akademie, Krems Abschluss Dipl. Päd. 2000 – 2001 1999 – 2000 Diplomstudium Soziologie und Bildungswissenschaften Fachhochschule Telekommunikation und Medien 1997 AHS-Matura am BG/BRG St. Pölten Berufserfahrung, Praktika, Zusatzqualifikationen: 02/2010 – 04/2010 Fernseharchiv ORF, Wien Berufspraktikum 2007 – 2008 Volkshochschule, St. Pölten Erwachsenenbildung, Englischkurse 2006 – dato Sprach- und Legasthenietrainer (Zertifikat bei Dyslexia-Verband EÖDL) 2002 – dato Nachhilfeinstitut Schülerhilfe, St. Pölten u. Krems Englisch Nachhilfe 2000 – 2001 NÖ Landesmuseum, St. Pölten Klangturm, Vermittlung im Bereich „Neue Medien“ Shedhalle, Vermittlung bei Ausstellung „Mensch: Schamane, Jäger“ - 114 -