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DIPLOMARBEIT
Titel der Diplomarbeit
Gesund, fit und schlank. Der Ernährungsdiskurs in
Österreich seit den 1980er Jahren am Beispiel des
kulinarischen Journalismus
verfasst von
Mag. phil. Philip Vrana
angestrebter akademischer Grad
Magister der Philosophie (Mag. phil.)
Wien, 2014
Studienkennzahl lt. Studienblatt:
A 190 344 313
Studienrichtung lt. Studienblatt:
Lehramtsstudium UF Englisch
UF Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung
Betreuer:
Univ.-Prof. Dr. Franz X. Eder
Danksagung
Ich möchte mich bei allen bedanken, die mir während der Erstellung meiner Diplomarbeit
zur Seite standen. Dank gilt im Besonderen meinen Eltern, meiner Freundin und meinem
Betreuer Univ.-Prof. Dr. Franz X. Eder.
Anmerkung zu den Quellen
Der Verfasser hat sich bemüht, sämtliche Inhaber der Bildrechte ausfindig zu machen,
und hat ihre Zustimmung zur Verwendung der Bilder in dieser Arbeit eingeholt. Sollte
dennoch eine Urheberrechtsverletzung bekannt werden, wird um Meldung ersucht.
iii
Inhaltsverzeichnis
1.
EI LEITU G ................................................................................................................................... 1
2.
ER ÄHRU G, GESU DHEIT U D KÖRPERBEWUSSTSEI ............................................................ 6
2.1.
Gesundheit als Begriff ............................................................................................................... 6
2.1.1. Gesundheitsvorstellungen im Wandel ................................................................................... 6
2.1.2. Gesundheit und postmodernes Körperbewusstsein als Norm ............................................... 7
2.2.
Neues Ernährungsideal und Körperbewusstsein im 19. Jahrhundert ....................................... 10
2.3.
Ernährungslehre, Schlankheitstrends und Vitamania zu Beginn des 20. Jahrhunderts ............ 13
2.4.
Die Massenkost und das Dilemma der gesunden Ernährung nach 1945 .................................. 15
2.5.
Ernährung im Zeichen eines veränderten Körperbewusstseins in der Postmoderne ................ 18
2.6.
Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein in Österreich seit 1945 ................................. 23
3.
KULI ARISCHER JOUR ALISMUS, ER ÄHRU GS- U D GESU DHEITSKOMMU IKATIO
..... 28
3.1.
Die Charakteristik des kulinarischen Journalismus .................................................................. 28
3.2.
Das Gusto-Journal als Ernährungs- und Gesundheitskommunikator und als Diskursakteur ... 30
4.
METHODE..................................................................................................................................... 33
4.1.
Methodische Vorgehensweise .................................................................................................. 34
4.1.1. Korpusbildung ..................................................................................................................... 35
4.1.2. Kontextualisierung .............................................................................................................. 35
4.1.3. Die Beschaffenheit der Aussage .......................................................................................... 36
4.1.4. Die Gestalt des Diskurses .................................................................................................... 41
5.
A ALYSE ....................................................................................................................................... 42
5.1.
Gesund, fit und schlank: Die Entstehung des Diskurses in den 1980er Jahren ........................ 42
5.1.1. Fit und schlank im Arbeitsalltag (1984) .............................................................................. 43
5.1.2. Die Revitalisierung der Vollwertkost (1984) ...................................................................... 50
5.1.3. Schlank mit Diäten (1984)................................................................................................... 56
5.1.4. Bewusst essen und schlank bleiben (1986) ......................................................................... 63
5.1.5. Bewusste Ernährung: Gesund durch Verzicht (1989) ......................................................... 70
5.2.
Gesund, fit und schlank als Diskurs in den 1990er- und 2000er Jahren................................... 78
5.2.1. Satt und Schlank: Ausgewogenheit ohne Diäten (1994) ..................................................... 79
v
5.2.2. Wellness: Das Streben nach ganzheitlichem Wohlbefinden (2007) .................................... 89
6.
DIE GESTALT DES DISKURSES..................................................................................................... 98
7.
ZUSAMME FASSU G .................................................................................................................. 103
8.
LITERATURVERZEICH IS .......................................................................................................... 105
9.
I TER ETQUELLE ................................................................................................................... 111
10. TABELLE - U D ABBILDU GSVERZEICH IS............................................................................ 112
vi
Vorwort
In den letzten Jahren scheint Essen als Thema allgegenwärtiger zu sein denn je zuvor.1 In
Fernseh-Kochshows, Lifestyle-Magazinen und als Freizeitbeschäftigung unter Freunden
und Bekannten nimmt das Kochen einen hohen Stellenwert ein. Steht die Zubereitung der
Speisen somit in einem durchaus positiven Licht, so sind Diskussionen über die Zutaten
von gänzlich anderer Qualität. Es herrschen sowohl Ängste vor dem gesundheitsschädigenden Potential als auch Zweifel über den Nährwert und Nutzen von Nahrungsmitteln vor. Widmete sich meine erste Diplomarbeit dem Thema der Nationalisierung und
Regionalisierung in der österreichischen Nahrungsmittelwerbung vor dem Hintergrund
eines zunehmenden Misstrauens der Konsumentinnen und Konsumenten seit den 1980er
Jahren, so stellte sich bereits während der Recherche der Quellen heraus, dass sich die
Frage der Gesundheitszuträglichkeit in ernährungsphysiologischer Hinsicht als ebenso
allgegenwärtiger Aspekt von gesellschaftlichem Interesse seit den 1980er Jahren
präsentierte. Die folgende Arbeit kann daher als weiterer Schritt in der Offenlegung von
Mythen2 der Postmoderne, welche die Lebensrealitäten des Alltags prägen und durchziehen, gesehen werden.
1
Vgl. Köstlin, Konrad, Modern Essen. Alltag, Abenteuer, Bekenntnis: Vom Abenteuer, entscheiden zu
müssen, in: Mohrmann, Ruth E., Hg., Essen und Trinken in der Moderne, Münster 2006, 9.
2
Siehe Roland Barthes für das diesbezüglich zugrunde liegende Verständnis von Mythos. Vgl. Barthes,
Roland, Mythen des Alltags, Frankfurt am Main 1964, 85-151.
vii
1. Einleitung
In der Thematisierung von nachhaltiger Gesundheit wird der Ernährung seitens der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) als auch auf nationalpolitischer Ebene vieler
Staaten eine bedeutende Rolle im Ernährungsdiskurs beigemessen.3 Ernährungsmediziner
und -wissenschaftler im deutschen Sprachraum und die Deutsche Gesellschaft für
Ernährung (DGE) verwiesen bereits seit den 1960er und 1970er Jahren auf die negativen
Folgen des Ernährungswohlstandes, die sich in Übergewicht, Fettleibigkeit und Folgekrankheiten des Herzkreislaufsystems, Diabetes mellitus und Krebs äußerten.4 Vor dem
Hintergrund der Überernährung und der wahrgenommenen Masse an Übergewichtigen
setzte sich ebenfalls in den 1960er und 1970er Jahren mit Fotomodellen wie Twiggi und
der medialen Propagierung von Diäten die Idealvorstellung des ästhetischen schlanken
Körpers durch, die zunächst vor allem unter Frauen und schließlich auch als muskulössportliche Schlankheit unter Männern Anklang fand.5 Äußerte sich eine schlanke Figur
als zunehmend unausweichliches „Mittel der Selbstdarstellung“6 und Voraussetzung für
Attraktivität, Leistungsfähigkeit und Dynamik, wie sie in Medien transportiert wurden,7
so erwies sich in den letzten Jahrzehnten auch die Thematisierung einer ganzheitlichen
Konzeption von Gesundheit, Schlankheit und Vitalität als immer bedeutender. Dies zeigte
sich nicht zuletzt in zunehmender Selbstverantwortung des Individuums gegenüber dem
eigenen Körper8 und den präventiven verhaltensmodifizierenden Zielen der Gesundheitsförderung9. Außer Frage steht, dass die Medien zur öffentlichen Sicht auf Ernährung,
Gesundheit und Körperbewusstsein beitragen und diese auch mitbestimmen.
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Darstellung sich verändernder Ernährungstrends im
kulinarischen Journalismus am Beispiel des seit den 1980er Jahren in Österreich durchwegs und auch flächendeckend erscheinenden Gusto-Journals. Die zeitliche Eingrenzung
3
Vgl. Weiss, Walpurga, Gesundheit, in: Brunner, Karl-Michael u. a., Hg., Ernährungsalltag im Wandel.
Chancen für Nachhaltigkeit, Wien/New York 2007, 97.
4
Vgl. Holtmeier, Hans-Jürgen, Diät bei Übergewicht und gesunde Ernährung, 5. Auflage, Stuttgart 1972, 920; Heyden, Siegfried, Bewußter Essen. Kostempfehlungen nach neuesten Erkenntnissen der
Ernährungsphysiologie, 2. Auflage, Lengerich 1973, 5-19; Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE),
Ernährungsbericht 1972, Frankfurt am Main 1973, 165.
5
Vgl. Loderhose, Willy/Hamm, Michael, Das große Buch der Diäten, Hamburg 1995, 34.
6
Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), Ernährungsbericht 1992, Frankfurt am Main 1992, 189.
7
Vgl. DGE, Ernährungsbericht 1992, 189.
8
Vgl. Mazumdar, Pravu, Der Gesundheitsimperativ, in: Widerspruch. Münchner Zeitschrift für Philosophie
42 (2004), 16.
9
Siehe Zielsetzungen der Gesundheitsförderung der WHO, vgl. Weltgesundheitsorganisation Genf (WHO),
Glossar Gesundheitsförderung, Gamburg 1998, 6-9.
-1-
äußert sich deshalb als sinnvoll, weil sich besonders seit den 1980er Jahren ein
Gesundheitsverständnis durchzusetzen begann, das den Stellenwert der Prävention
betonte.10 Überdies kam es zur Durchsetzung eines flexiblen, fitten und konsumorientierten Körperbewusstseins11 und der Massenmarkt wurde erstmals mit explizit als
gesund deklarierten Produkten bedient12.
Das Gusto-Journal stellt eine hervorragende Quelle dar, weil das Magazin nicht lediglich
Rezepte für seine Leserinnen und Leser bietet, sondern neben thematischen
Schwerpunkten und Produktvorstellungen auch Informatives über die Welt des Essens
sowie Ratschläge zum Thema Ernährung liefert. Zudem geht aus den Mediadaten aus
dem Jahr 2006 hervor, dass für 89 Prozent der Leserinnen und Leser eine gesunde
Lebensweise und Ernährung mit Abstand das wichtigste Interessenfeld noch weit vor
Urlaub, Mode und Wohnen darstellte.13 Die Redaktion war sich dessen stets bewusst und
betonte den Stellenwert, den Gesundheit, Bewegung, eine gute Figur und körperliches
Wohlbefinden im Magazin einnehmen.14
Diskursanalytisch werden primär informierende und ratgebende Artikel herangezogen,
die in Zusammenschau mit sekundären Texten aus dem Journal, wie beispielsweise dem
Editorial, Leserbriefen und Produktinformationen, Aufschluss über die Beschaffenheit
des Diskurses geben sollen. Unter Beachtung des Dialoges, den die Redaktion mit ihren
Leserinnen und Lesern führte, wird vor dem Hintergrund der redaktionellen Handlungsspielräume das Vorkommen und die Durchsetzung von Gesundheit, Schlankheit und
Vitalität im Ernährungskontext eruiert. Sofern es sich als bedeutsam für das Thema
herausstellt, wird auch auf gesellschaftliche Determinanten wie soziales Geschlecht und
Status und damit einhergehend auf Notwendigkeiten, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten in der Umsetzung von gesunder Ernährung eingegangen. Es ergeben sich folgende
Forschungsfragen und Thesen:
•
In welcher Art und Weise tauchen besondere Formen der Ernährung und deren
Veränderung im Kontext von Gesundheit, Schlankheit und Vitalität auf?
10
Vgl. Mazumdar 2004, 13-17.
Vgl. Graf, Simon, Leistungsfähig, attraktiv, erfolgreich, jung und gesund: Der fitte Körper in postfordistischen Verhältnissen, in: Body Politics 1 (2013), 141.
12
Vgl. Eder, Franz X., Konsumieren und Verbrauchen, in: Cerman, Markus u. a., Hg., Wirtschaft und
Gesellschaft. Europa 1000-2000, Wien 2011, 291.
13
Vgl. Gusto Mediadaten, http://www.gusto.at/prod/720/pdf/Mediadaten.pdf, 9 (25.03.2013).
14
Vgl. Gusto Mediadaten, http://www.gusto.at/prod/720/pdf/Mediadaten.pdf, 12 (25.03.2013).
11
-2-
•
Inwiefern werden Gesundheit und Schlankheit im Ernährungskontext vertreten
und propagiert?
•
Inwiefern äußert sich das Verhältnis von Genuss und Verzicht in der untersuchten
Zeitspanne?
•
Sind Aspekte einer Selbstregierung gegenüber einer von außen geleiteten
Förderung von Gesundheit, Schlankheit und Vitalität in der redaktionellen
Darstellung feststellbar?
•
Inwiefern zeigt sich in Hinblick auf Gesundheit, Schlankheit und Vitalität ein
Einfluss des Gesundheitsmarktes und der Lebensmittelwirtschaft auf die
redaktionelle Gestaltung?
•
Äußert sich die Propagierung von Functional Food im Zusammenhang mit
Gesundheit und Schlankheit in der anvisierten Zeitspanne?
•
Welchen Stellenwert räumt man der Herstellung von Nahrung unter biologischen
Kriterien und alternativen Küchenpraktiken aus ernährungsphysiologischer Sicht
für Gesundheit und Schlankheit ein?
•
Welche Haltung wird gegenüber verarbeiteten Lebensmitteln und ConvenienceFood eingenommen?
Entsprechend den Forschungsfragen ergeben sich folgende Thesen:
•
In den frühen 1980er Jahren wurden den Leserinnen und Lesern verschiedene
Formen der Ernährung nahegelegt, wenngleich Mischkost die uneingeschränkte
Grundlage bildete. Gesundheit, Schlankheit und Vitalität ergänzten sich
zunehmend ab Ende der 1980er Jahre mit der wachsenden Bedeutung des
Gesundheitsmarktes.
-3-
•
In den frühen 1980er Jahren war durchwegs von Schlankheitsidealen aus
ästhetischen Gründen auszugehen. Gesundheit betraf vor allem die Fitness für den
Arbeitsalltag. Die Leserinnen und Leser wurden über Diäten auf eine sehr
grundlegende Art und Weise informiert. Gesundheit und Schlankheit ergänzten
sich ab Ende der 1980er Jahre zunehmend und tauchten vermehrt als Selbstverständlichkeit in Verbindung mit Wohlbefinden auf.
•
Die Diskrepanz von Genuss und Verzicht war ständiger Begleiter, deren
Auflösung in einem ganzheitlichen Verständnis von Gesundheit und Ernährung
sich zumindest teilweise, jedoch vor allem diskursiv in den 1990er Jahren anbahnte.
•
Gesundheit, Schlankheit und Vitalität wurden durchwegs von außen geleitet und
propagiert, wenngleich mit deren zunehmender Verflochtenheit vermehrt
Selbstinitiative, vor allem seit den 1990er Jahren, vorausgesetzt wurde.
•
Auch wenn Functional Food zu keinem Zeitpunkt dem Selbstverständnis des
kulinarischen Journalismus entsprach, so nahmen Light-Produkte und Nahrungsergänzungsmittel vor allem ab Ende der 1980er Jahre Raum im Magazin ein.
•
Die Vollwertkost wurde bereits zu Beginn der 1980er Jahre mit Vitalität und
Gesundheit in Verbindung gebracht. In den 1990er Jahren wurden
aturkost,
aturküche und Bio nicht nur als immer wichtigere Garanten der Lebensmittelsicherheit thematisiert, sondern als essentielle Bestandteile einer umfassenden
Ernährung erachtet.
•
Obwohl Convenience-Food aus dem Selbstverständnis des kulinarischen
Journalismus heraus weitgehend abgelehnt wurde, äußerte sich ab Ende der
1980er Jahre eine zunehmende Vielfalt an Fertiggerichten, die Gesundheit und
Schlankheit versprachen.
Die Arbeit gliedert sich in ein historisches Überblickskapitel zu Ernährung, Gesundheit
und Körperbewusstsein, womit einerseits eine Heranführung an das Thema erfolgt und
-4-
andererseits verdeutlicht werden soll, dass sich diese Thematik keineswegs als lediglich
gegenwartsrelevant präsentiert, sondern in mancher Hinsicht auch in den Vorstellungen
und Praktiken einer lang zurückreichenden Geschichte vorzufinden war. Des Weiteren
wird auf die Rolle der kulinarischen Medien als Verbreiter und Repräsentanten von
Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein in den vergangenen Jahrzehnten
eingegangen. Auf die Erkenntnis, dass der kulinarische Journalismus sich als ein
bedeutender Träger und Akteur von Diskursen äußert, folgt die Erläuterung der
methodischen diskursanalytischen Vorgehensweise, um danach mit der Analyse zu
beginnen.
-5-
2. Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein
Ernährungsbezogene Gesundheitsvorstellungen und Lebensstile stellen sich meist als
pluralistisch und facettenreich dar15 und äußern sich durchwegs als Ergebnis diskursiver
Konstruktion.
Im
gesellschaftlicher
folgenden
Kapitel
Entwicklungslinien
erfolgt
zum
eine
Thema,
Darstellung
um
auf
längerfristiger
zeitraumspezifische
Ausprägungen von Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein im ausgehenden 20.
Jahrhundert kontextualisiert eingehen zu können. Zunächst erfolgt eine Grundlegung der
Begriffe.
2.1. Gesundheit als Begriff
„Die Geschichte des Gesundheitsbegriffes ist die Geschichte einer Idee. Diese Idee
steht immer im Zusammenhang mit der medizinischen Praxis und der soziokulturellen Wirklichkeit, mit der Gesundheitspolitik und Gesundheitserziehung
eines Landes oder einer Epoche wie auch mit dem Leben des einzelnen
Menschen.“16
2.1.1. Gesundheitsvorstellungen im Wandel
In der Antike wurde Gesundheit als harmonische Balance und Krankheit als Disharmonie
erachtet. Dabei äußerten sich beide Zustände keineswegs als deutlich trennbare
Gegensätze, sondern man ging von der Annahme aus, dass es im „Gesundsein Krankheit
und im Kranksein Gesundheit“17 gab.18 Um 1800, zur Zeit des Idealismus und der
Romantik, kam es zur neuerlichen Akzentuierung der Ganzheitlichkeit von Gesundheit,
die in Deutschland zur Naturheilkunde und Lebensreformbewegung führten.19 Die
naturwissenschaftliche Sichtweise der Medizin im 19. Jahrhundert stützte sich „auf die
Behandlung von Krankheiten und vernachlässigte die Erhaltung der Gesundheit“.20
Diese auch im 20. Jahrhundert vorherrschende schulmedizinische Sichtweise wurde durch
eine Lockerung des Bandes zwischen Gesundheit und Krankheit in den ausgehenden
Jahrzehnten des Jahrhunderts relativiert. Das Hervorkehren eines ganzheitlichen
15
Siehe diesbezüglich die Vielzahl an gegenwärtigen Gesundheitsmotiven, vgl. Astleithner,
Florentina/Brunner, Karl-Michael, Chancen und Restriktionen für nachhaltige Ernährung in Österreich. Ein
Resümee, in: Brunner, Karl-Michael u. a., Hg., Ernährungsalltag im Wandel. Chancen für Nachhaltigkeit,
Wien 2007, 209-210.
16
Engelhardt, Dietrich von, Der Gesundheitsbegriff im Wandel der Geschichte, in: Widerspruch 42 (2004),
35.
17
Engelhardt 2004, 28.
18
Vgl. Engelhardt 2004, 25-28.
19
Vgl. Frecot, Janos, Die Lebensreformbewegung, in: Vondung, Klaus, Hg., Das wilhelminische
Bildungsbürgertum. Zur Sozialgeschichte seiner Ideen, Göttingen 1976, 140.
20
Engelhardt 2004, 32.
-6-
Zusammenhanges von Gesundheit und Lebensstilen bedingte sowohl im engeren
Gesundheitsdiskurs als auch im alternativtherapeutischen Wellness-Bereich eine neue
Selbstverantwortung des Individuums gegenüber der Omnipotenz der kurativen
Medizin.21 In der Definition des Gesundheitsbegriffes der WHO fand bereits 1948 eine
umfassende Definition von Gesundheit:
„Gesundheit ist ein Zustand völligen psychischen, physischen und sozialen
Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen. Sich des
bestmöglichen Gesundheitszustandes zu erfreuen ist ein Grundrecht jedes
Menschen, ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der politischen Überzeugung,
der wirtschaftlichen und sozialen Stellung.“22
2.1.2. Gesundheit und postmodernes Körperbewusstsein als Norm
Die Ausdehnung des Gesundheitsbegriffes auf die Gesamtheit des psychischen,
physischen und sozialen Wohlbefindens ging vor allem in den letzten 40 Jahren einher
mit einem Streben nach körperlicher Schlankheit und Fitness.23 Die individuelle Selbstverantwortung gegenüber der eigenen Gesundheit und die Aufrechterhaltung des eigenen
Körpers wurden durch die Krise der fordistischen Produktionsverhältnisse und die
Heterogenisierung der Arbeitsverhältnisse forciert. Diese beinhalteten nun ein
„Gebrauchswertversprechen“24 des fitten und somit leistungsfähigen Körpers.25 Der
gesunde, ästhetische und daher repräsentative und leistungsfähige Körper wurde zum
zentralen Anliegen von Unternehmen und staatlichen Präventionszielen und zum sozialen
Distinktionsmerkmal des Individuums gegenüber vermeintlich selbst verschuldeter
Krankheit, Fettleibigkeit und Alter.26 In diesem zentralen Aspekt äußert sich, was Michel
Foucault „Gouvernementaliät“ – die Verschränkung der „Technologien der Beherrschung
anderer“ mit den „Technologien des Selbst“ – nannte.27
21
Vgl. Mazumdar 2004, 15-16.
Bundesministerium für Gesundheit (BMG), http://www.bmg.gv.at/home/Schwerpunkte/Praevention
/Gesundheit_und_Gesundheitsförderung, (20.11.2013).
23
Vgl. Graf 2013, 139.
24
Graf 2013, 152.
25
Vgl. Graf 2013, 151-152; vgl. Kreisky, Eva, Fitte Wirtschaft und schlanker Staat: das neoliberale Regime
über die Bäuche, in: Schmidt-Semisch, Henning/Schorb, Friedrich, Hg., Kreuzzug gegen Fette.
Sozialwissenschaftliche Aspekte des gesellschaftlichen Umgangs mit Übergewicht und Adipositas,
Wiesbaden 2008, 148.
26
Vgl. Graf 2013, 145-147.
27
Foucault, Michel, Technologien des Selbst, in: Defert, D./Ewald, F., Hg., Ästhetik der Existenz, Frankfurt
am Main 2007, 289. Selbst- und Fremdführung äußern sich als wesentliche Determinanten von Regierung.
Vgl. Foucault, Michel, About the Beginning of the Hermeneutics of the Self, in: Political Theory 21/2
(1993), 203-205.
22
-7-
Einhergehend mit der Vorstellung vom gesunden, schlanken und fitten Körper entstand
ein Gesundheits- und Wellness-Markt, der gegenwärtig von einer Gesundheitsindustrie,
von Dienstleistern, von Fortschritten in der Medizin, von der Bio- und Informationstechnologie und der enorm steigenden Nachfrage der Konsumentinnen und Konsumenten
bestimmt wird.28 Dieser Markt fokussiert die Themen Schönheit, Ernährung, Gesundheit
und Fitness und beinhaltet neben Food-Produkten und Functional Food Yoga, Massagen,
Gesundheitschecks, freiwillige chirurgische Eingriffe und andere für den Körper
gewinnbringende Maßnahmen (siehe Abbildung 1).29
Abbildung 1: Aspekte des Wellnessmarktes30
Nach Ilona Kickbusch, der Direktorin der Abteilung für Gesundheitsförderung, Bildung
und Kommunikation der WHO in den 1990er Jahren, äußert sich gegenwärtig eine
Gesundheitsgesellschaft mit den Säulen Gesundheit als Empowerment, Emanzipation,
Marktorientierung und ultimativen Umsetzbarkeitsvorstellungen.31 Für Kickbusch trägt
der Staat Verantwortung für die Gesundheitsförderung und für eine neue gesundheits-
28
Vgl. Kickbusch, Ilona, Die Gesundheitsgesellschaft. Megatrends der Gesundheit und deren
Konsequenzen für Politik und Gesellschaft, Gamburg 2006, 84.
29
Vgl. Kickbusch 2006, 83-84.
30
Quelle: Kickbusch 2006, 84.
31
Vgl. Kickbusch, Ilona, Die Gesundheitsgesellschaft zwischen Markt und Staat. Vortrag Technische
Universität Berlin am 24. Juni 2003, http://www.wellnessverband.de (24.11.2013); vgl. Kickbusch 2006,
146.
-8-
orientierte Gesellschaftspolitik, wobei eine neue Art der Gesundheitspolitik gefordert
wird, die sich nicht ausgabenorientiert an der Krankheitsversorgung, sondern
investitionsorientiert an Gesundheit ausrichtet.32 Des Weiteren sei ein Umdenken der
Bürgerinnen und Bürger gefordert, die weiterhin lediglich medizinische Dienste in
Anspruch nehmen, ohne etwas für ihre Gesundheit zu tun.33 Der Gesundheitsmarkt soll in
die gesellschaftliche Verantwortung mit einbezogen werden, denn auf dem Markt zeige
sich die Bereitschaft der Konsumentinnen und Konsumenten, in Gesundheit zu
investieren.34
Konkret wurden von politischer Seite in den letzten Jahrzehnten – nicht zuletzt vor dem
Hintergrund steigender Kosten in den kurativen Gesundheitssystemen35 – Akzente zur
Umsetzung einer präventiven Gesundheitsorientierung gesetzt.36 Das Health-for-AllKonzept der WHO, welches 1977 in Genf auf der 30. Weltgesundheitsversammlung in
die Wege geleitet wurde,37 strebte ein Gesundheitsniveau der Menschen an, das ein
„sozial- und wirtschaftlich produktives Leben“ ermöglicht.38 Die Umsetzung einer
nachhaltigen Gesundheit39 unter Miteinbeziehung umweltbezogener, sozioökonomischer
Aspekte in Hinblick auf Settings – den Orten und Kontexten des Alltags, an bzw. bei
denen individuelle, umweltbezogene und organisatorische Faktoren zusammenwirken –
wurde dabei vor allem seit Mitte der 1980er Jahre von der WHO als Zielsetzung
verfolgt.40 Die Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung (1986) verankerte schließlich
die Gesundheitsförderung: „Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozeß, allen Menschen
32
Vgl. Kickbusch 2006, 110-112.
Vgl. Kickbusch 2006, 113 u.155.
34
Vgl. Kickbusch 2006, 154.
35
Vgl. Spiekermann, Uwe, Übergewicht und Körperdeutungen im 20. Jahrhundert – Eine
geschichtswissenschaftliche Rückfrage, in: Schmidt-Semisch, Henning/Schorb, Friedrich, Hg., Kreuzzug
gegen Fette. Sozialwissenschaftliche Aspekte des gesellschaftlichen Umgangs mit Übergewicht und
Adipositas, Wiesbaden 2008, 35.
36
Aufgabe von Public Health ist die „Förderung und Erhaltung der Gesundheit auf Bevölkerungsebene“.
Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Wien (IfEUW), Österreichischer Ernährungsbericht
2008, Wien 2009, 351.
37
Vgl. WHO Health Report, Executive Summary, http://www.who.int/whr/1998/media_centre/
executive_summary6/en/ (20.11.2013).
38
Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Wien (IfEUW), Österreichischer Ernährungsbericht
2003, Wien 2003, 295.
39
Alle Mitgliedstaaten der WHO waren in Ziel 16 dazu angehalten, gesunde Lebensgewohnheiten bis zum
Jahr 2000 aktiv zu fördern, und in Ziel 22, die Lebensmittelqualität sicherzustellen. Vgl. IfEUW,
Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 295.
40
Vgl. Weiss 2007, 97.
33
-9-
ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie
dadurch zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen.“41
2.2. Neues Ernährungsideal und Körperbewusstsein im 19. Jahrhundert
In der Antike charakterisierte die Diätetik, die „Lehre von der Lebensweise“42, einen
selbstbestimmten
präventiven
Zugang
zur
Aufrechterhaltung
der
individuellen
Gesundheit.43 Diese alteuropäische Tradition diente bis in die Neuzeit als Grundlage in
den
vielfältigsten
Ernährungslehren44
und
wurde
erst
im
Zuge
der
natur-
wissenschaftlichen Ernährungsforschung durch eine neue Ernährungslehre zu Beginn des
20. Jahrhunderts ergänzt und teilweise ersetzt.45 Im Schatten der modernen Ernährungslehre etablierte sich im 19. Jahrhundert mit Rückbesinnung auf die Humoralpathologie
und die Lehre von der Lebenskraft die Naturheilbewegung.46 Diese berief sich auf die
Naturphilosophie des Jean-Jacques Rousseau und die Makrobiotik des Christoph Wilhelm
Hufeland.47 Ausgehend von den Axiomen der Naturheilkraft und der Ganzheitlichkeit des
Menschen sollte Krankheiten ohne Arzneimittel durch naturgemäße, vorrangig
vegetarische Ernährung und durch Wasserkuren, Licht- und Luftbädern vorgebeugt
werden.48 Der Naturheilkundler Johannes Schroth ergänzte seine Wassertherapien für
Heilzwecke mit vegetarischer Ernährung.49 In der Naturheilkunde des Theodor Hahn
diente bereits 1852 die vegetarische Diät als Therapieform.50 Hahns erste vegetarische
Schrift, Die naturgemäße Diät, beeinflusste Eduard Balzer, den wichtigsten Koordinator
des deutschen Vegetarismus, der 1867 den Verein für natürliche Lebensweise gründete.51
In den USA verbanden Hydrotherapeuten wie William Andrus Alcott und Sylvester
Graham die Wasserkur mit einer strengen vegetarischen Ernährung, im Sinne einer
41
WHO, Glossar Gesundheitsförderung 1998, 1.
Klotter, Christoph, Von der Diätetik zur Diät – Zur Ideengeschichte der Adipositas, in: Schmidt-Semisch,
Henning/Schorb, Friedrich, Hg., Kreuzzug gegen Fette. Sozialwissenschaftliche Aspekte des
gesellschaftlichen Umgangs mit Übergewicht und Adipositas, Wiesbaden 2008, 21.
43
Vgl. Klotter 2008, 21-22.
44
Vgl. Briesen, Detlef, Das gesunde Leben. Ernährung und Gesundheit seit dem 18. Jahrhundert, Frankfurt
am Main 2010, 29.
45
Vgl. Briesen 2010, 33f.
46
Vgl. Briesen 2010, 26-27.
47
Vgl. Rothschuh, Karl E., Naturheilbewegung, Reformbewegung, Alternativbewegung, Stuttgart 1983, 15.
48
Vgl. Krabbe, Wolfgang R., Gesellschaftsveränderung durch Lebensreform. Strukturmerkmale einer
sozialreformerischen Bewegung im Deutschland der Industrialisierungsperiode, Göttingen 1974, 79.
49
Vgl. Merta, Sabine, Schlank! Ein Körperkult der Moderne, Stuttgart 2008, 26.
50
Vgl. Krabbe 1974, 56; vgl. Merta 2008, 28-29.
51
Vgl. Krabbe 1974, 56-58.
42
- 10 -
physischen und moralischen Erlösung, die im Falle der Wasserkur und Ernährungsreform
des John Harvey Kellogg adventistische religiöse Züge annahm.52
Die Naturheilbewegung stellte in gewisser Hinsicht den Nukleus der Lebensreformbewegung dar.53 Sie trat ein für „eine Rückkehr zu einer naturgemäßen Lebensweise, die
die Kulturmenschheit von den in ihr vorhanden geglaubten Zivilisationsschäden
befreit“.54 Neben Bestrebungen der Bodenreform, Wohnungsreform, dem Impfgegnertum, dem Antialkoholismus, der Kleidungsreform, der Nacktkultur und
Vivisektionsgegnerschaft befasste sich die Lebensreform vor allem mit Fragen der
Ernährung.55 Der Vegetarismus sollte dabei nicht die unmittelbare Gesellschaftsveränderung bewirken, sondern in individueller Hinsicht dem Menschen „in seiner
physischen und psychischen Disposition eine harmonische Übereinstimmung mit der
Natur“ bieten.56 Die Rohkostlehre, vertreten von Emil Debber, Adolf Just und Oskar
Bircher-Benner, sah als vegetarische Therapie den Verzehr von rohem Obst und Gemüse
vor. Zentral in der Lehre Bircher-Benners erschien dabei die Bedeutung des Sonnenlichts
in Form von Lichtquanten in den Früchten, die der Theorie zufolge beim Verzehr von
rohem Obst und Gemüse auf den Menschen übergingen.57
Für die Lebensreformer versprach die vegetarische Diät eine gesunde Alternative zur
kalorienreichen Ernährung, die im Zuge der Mechanisierung und dem damit einhergehenden Ersatz der Schwerarbeit durch Kontroll-, Aufsichts- und Bürotätigkeiten
hinfällig wurde. Vegetarische Diätprodukte wie Müsli, Margarine und Vollkornprodukte
wurden als Naturkost von Lebensreformern hergestellt und in Reformhäusern verkauft.
Bircher-Benner beispielsweise erachtete Korpulenz als Verstoß gegen die menschliche
Triebkontrolle und propagierte die Selbstbeherrschung. Generell galt Fettleibigkeit schon
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Gesundheitsrisiko, während Schlankheit
bereits mit körperlichem und seelischem Wohlbefinden in Verbindung gebracht wurde.
Überdies machte letztere als Ausdruck eines neuen Körperbewusstseins vor allem dem
gängigen weiblichen Schönheitsideal des rundlichen Körpers erstmals Konkurrenz.58 In
52
Vgl. Briesen 2010, 31.
Vgl. Frecot 1976, 140; Der Begriff ‚Lebensreform‘ ist erstmals zur Mitte der 1890er Jahre nachzuweisen,
vgl. Krabbe 1974, 12.
54
Krabbe 1974, 14.
55
Vgl. Krabbe 1974, 13 u. 48.
56
Krabbe 1974, 49.
57
Vgl. Briesen 2010, 95-97; vgl. Merta 2008, 68 u. 75.
58
Vgl. Merta, Sabine, „Weg mit dem Fett“. Kulturphänomen einer Wohlstandsgesellschaft. Wege und
Irrwege zur schlanken Linie, in: Der Bürger im Staat 52/4 (2002), 201-205.
53
- 11 -
der Nacktkulturbewegung manifestierte sich die Ästhetik des schlanken Körpers, indem
dieser ständig präsentiert wurde. Die Normalisierung des neuen Körperideals vollzog sich
dabei durch die Blicke von außen als auch die eigene Selbstkontrolle.59 Paradoxerweise
schlossen sich zivilisationskritische, nacktgymnastische und der Arbeitswelt zuträgliche
Körpernormalisierungen nicht aus, sondern ergänzten sich.60 Der dynamische moderne
Körper, der den neuen Anforderungen der Arbeitswelt im Zuge der Industrialisierung
gewachsen sein musste, äußerte sich als Schlankheitsideal des sehnigen und muskulösen
Mannes und der anmutigen schlanken Frau.61 Von einer unumschränkten Etablierung des
Schlankheitsideals kann jedoch selbst bis nach dem Ersten Weltkrieg nicht ausgegangen
werden.62 Auch stellte der Vegetarismus im 19. Jahrhundert und zur Jahrhundertwende
keineswegs ein flächendeckendendes Phänomen dar. Für breite Schichten war die
vormoderne Unterversorgung mit Fett63 und damit das – als „evolutionäre
Programmierung“64 – einhergehende Verlangen danach entscheidend für einen
vermehrten Fleischkonsum.65 Dementsprechend begann für weniger Wohlhabende der
Konsum von Fleisch – zunehmend Schweinefleisch66 – im deutschsprachigen Raum
überhaupt erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts.67 Überdies war für viele Neureiche
Völlerei und zur Schau getragene Fettleibigkeit nach wie vor anzustreben. Demzufolge
ließ das Schlankheitsideal bürgerlicher Schichten zwar erste gesellschaftliche
Veränderungen im Entstehen einer neuen Norm erahnen,68 wenngleich es sich bei dessen
Durchsetzung im Wesentlichen um soziale Distinktion vor dem Hintergrund eines
59
Vgl. Möhring, Maren, Nacktheit und Sichtbarkeit, in: Martschukat, Jürgen, Hg., Geschichte schreiben mit
Foucault, Frankfurt/New York 2002, 155.
60
Möhring verdeutlicht für die 1920er Jahre, dass der Taylorisierung des Körpers und der Nacktgymnastik
zwar unterschiedliche Wertvorstellungen zugrunde lagen, diese aber dieselbe Motivation beziehungsweise
diskursive Grundstruktur zwischen Disziplinierung und Selbstkontrolle teilten. Vgl. Möhring, Maren,
Marmorleiber. Körperbildung in der deutschen Nacktkultur, Köln 2004, 103-105.
61
Vgl. Merta 2002, 204; vgl. Spiekermann 2008, 49.
62
Vgl. Spiekermann 2008, 50.
63
Vgl. Montanari, Massimo, Der Hunger und der Überfluss. Kulturgeschichte der Ernährung in Europa,
München 1993, 198.
64
Klotter 2008, 27.
65
Montanari meint diesbezüglich, dass „das Privileg, viel zu essen“ vom „Privileg des Fleischessens“
begleitet war und der „Neid auf Fett“ sich als „Neid auf Fleisch“ äußerte, vgl. Montanari 1993, 202.
66
Vgl. Teuteberg, Hans-Jürgen, Der Fleischverzehr in Deutschland und seine strukturellen Veränderungen,
in: Teuteberg, Hans J./Wiegelmann, Günter, Hg., Unsere tägliche Kost. Geschichte und regionale Prägung,
Münster 1986, 72.
67
Vgl. Teuteberg 1986, 71.
68
Vgl. Montanari 1993, 200-201.
- 12 -
zunehmenden Wohlstandes und der Partizipation breiterer Schichten an der Konsumgesellschaft handelte.69
2.3. Ernährungslehren, Schlankheitstrends und Vitamania zu Beginn des
20. Jahrhunderts
Mit den nicht zuletzt von Justus von Liebig geprägten ernährungswissenschaftlichen
Erkenntnissen propagierten die Vertreter einer neuen Ernährungswissenschaft wie Carl
von Voit, Jacob Moleschott und Max von Pettenkofer eine Ernährungslehre auf Basis der
Zerlegung der Nahrung in Eiweiß, Fett und Kohlenhydrate an Stelle der traditionellen
Ernährungslehren – den Ideen der Humoralpathologie und des Vitalismus.70 Gesundheit
wurde nun durch stofflich-physiologische Funktionalität der Ernährung gewährleistet.
Carl von Voit führte beispielsweise mittels eines Respirationsapparates Umsatzstudien
durch, die ein genormtes Kostmaß zum Ziel hatten und somit die Festlegung universeller
Ernährungsziele boten.71 Uwe Spiekermann betont in diesem Zusammenhang, dass sich
die systematische Regulierung – der „(bio)politische Zugriff auf den Körper“72 – in Form
von Ernährungszielen, in örtlich und zeitlich abweichender Form, seit der Mitte des 19.
Jahrhunderts als Zusammenspiel der naturwissenschaftlich orientierten modernen
Ernährungswissenschaft und den politischen Rahmenbedingungen ergab.73
Die Verwissenschaftlichung des Körpers brachte eine weitreichende „Systematisierung
abseits
individueller
Besonderheiten.“74
Die
medizinisch-naturwissenschaftliche
Ernährungslehre erachtete, ebenso wie die Ernährungsreform, die durch veränderte
gesellschaftliche Bedingungen vorherrschende Fettleibigkeit als Gesundheitsrisiko.75 In
der Praxis empfohlen Schulmediziner, entgegen der naturheilkundlichen vegetarischen
Kost, eine Fleischdiät als Entfettungsdiät.76 Erst die Erkenntnisse Horace Fletchers und
des Physiologen Russell Chittenden nach der Jahrhundertwende bewirkten einen Wandel
in der Ernährungslehre dahingehend, dass ein Übermaß an Eiweiß und daher ein
69
Vgl. Klotter 2008, 27; vgl. Montanari 1993, 201.
Vgl. Briesen 2010, 33-35.
71
Vgl. Spiekermann, Uwe, Historischer Wandel der Ernährungsziele in Deutschland – Ein Überblick, in:
Oltersdorf, Ulrich/Gedrich, Kurt, Hg., Ernährungsziele unserer Gesellschaft: Die Beiträge der
Ernährungswissenschaft. Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, Karlsruhe 2001, 97-98.
72
Graf 2013, 152.
73
Vgl. Spiekermann 2001, 97 u. 99.
74
Spiekermann 2008, 44.
75
Vgl. Merta 2002, 201.
76
Vgl. Merta 2002, 201; eine gängige Diät war beispielsweise die Bantingkur, die als reine Fleischdiät den
Verzehr von Eiweiß unter Ausschluss von Stärke und Zucker vorsah. Vgl. Merta 2008, 137.
70
- 13 -
übermäßiger Fleischkonsum für die Gesundheit als nicht zuträglich erachtet wurden.77
Das Schlankheitsideal betreffend entwickelte man bereits im späten 19. Jahrhundert
Diätpräparate und Entfettungsmittel zur Erhaltung des gesunden, ästhetischen und
leistungsfähigen Körpers. Zur Jahrhundertwende erfolgte im Anschluss an Diättherapien
oftmals die Verabreichung von Präparaten aus ärztlichen Diätpraxen. Besondere
Diätformen wurden zumeist, ungleich der individuellen naturkundlichen Erfahrungsmedizin, in normierter Form der Allgemeinheit präsentiert.78 Dies betraf zum Beispiel die
Einbettung der Kalorienlehre in Diätratgeber, wobei Kalorientabellen den Diäten die
nötige wissenschaftliche Glaubwürdigkeit verliehen.79 Körpermaße gewannen als Körpernormen, als Indikatoren des Gesundheits- und Ernährungszustandes, für die Sozialpolitik,
für Schul- und Kinderärzte sowie für die Eugenik an Bedeutung und fanden als
Vorstellungen über das Normal- und Idealgewicht Eingang in die Werbung und
Populärkultur der 1920er Jahre.80
In den 1920er Jahren trat der ästhetische Gesichtspunkt des Schlankseins, beispielsweise
in Form der weiblich reduzierten knabenhaften Garconette, immer mehr gegenüber den
gesundheitlichen Überlegungen in den Vordergrund. Wundermittel wie abführende
Schlankheitspräparate und Abmagerungskuren als Neuinterpretationen von Gesundheitsdiäten, wie Schroth-Kuren, Obstkuren, Buchinger-Fasten und die Rohkost von BircherBenner, boomten. Das Phänomen der Magersucht – das Empfinden, dass der eigene
Körper zu dick sei – tauchte als „Dickenwahnsinn“81 vermehrt unter Frauen in den 1920er
Jahren auf.82 Machten die Weltwirtschaftskrise mit ihren Nähr- und Aufbaupräparaten
und das Ideal des kräftigen Körpers der NS-Zeit den frühen Schlankheitstrends im
deutschsprachigen Raum vorläufig ein Ende,83 so wurden in den USA der 1930er Jahre,
wo sich der Mangel in Grenzen hielt,84 Diäten noch populärer. Howard Hay präsentierte
zur Gewichtsreduktion die Trennkost, die auf die gesonderte Zufuhr von Eiweiß,
Kohlenhydraten und Alkalinen setzte, während die von Obsterzeugern geförderte
77
Vgl. Briesen 2010, 150.
Vgl. Spiekermann 2008, 44-48.
79
Vgl. Merta 2002, 202.
80
Vgl. Spiekermann 2008, 45-47.
81
Merta 2002, 206.
82
Vgl. Merta 2002, 204-207.
83
Vgl. Spiekermann 2008, 50.
84
Vgl. Briesen 2010, 164.
78
- 14 -
Hollywood Eighteen Day Diet durch den Verzehr von Obst die tägliche Zufuhr auf 600
Kalorien reduzierte.85
Nach der Jahrhundertwende trachteten in den USA vor allem städtische Mittelschichten
nach einer vermeintlich hygienisch-effizienten und gesunden Kost, die beispielsweise
erste Convenience-Produkte wie William K. Kellogg’s Cornflakes werbewirksam versprachen.86 Setzte die neue Ernährung noch auf die Hygiene als wesentliche
gesundheitliche Determinante, so führte die Entdeckung der Vitamine nach 1911 und die
Erkenntnis, dass deren Mangel zu Krankheiten führen konnte, zu einer ersten Vitamania.
Dies bedeutete, dass noch vor den Erkenntnissen zur Vitaminsynthese in den 1930er
Jahren vermehrt vitaminreiche Nahrungsmittel, vor allem unter den US-amerikanischen
Mittel- und Oberschichten, verzehrt wurden. Der Markt für Protective-Food boomte und
Markenhersteller bewarben den gesundheitlichen Wert ihrer Produkte, die ihren Angaben
zufolge die Versorgung des Körpers mit Spurenelementen und Vitaminen garantierten.87
Noch während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren, deren Auswirkungen auf
die Ernährungslage der US-Bürger sich in Grenzen hielten,88 erlebte die Vitamania neue
Höhenflüge. Im Zuge der Synthetisierung (1935) wurden beispielsweise Fruchtsäfte und
Milch mit Vitaminen angereichert oder gesondert in Form von Tabletten oder als Pulver
angeboten. Überdies wurde Industrienahrung seit den 1940er Jahren so verarbeitet, dass
Inhaltsstoffe erhalten blieben oder „naturnah zurückgestaltet“ wurden.89
2.4. Die Massenkost und das Dilemma der gesunden Ernährung nach 1945
Als sich die Versorgungslage mit Nahrungsmitteln in der unmittelbaren Nachkriegszeit in
Österreich und Deutschland kaum besserte, standen zunächst quantitative Aspekte der
Ernährungsversorgung im Mittelpunkt des Interesses der Ernährungspolitik, die auch
Mediziner und Physiologen beschäftigte.90 Blieb eine wohlstandsbedingte Gesundheitsorientierung in Fragen der Ernährung aus gegebenem Anlass unberücksichtigt, so
zeichnete sich nach 1945 in Deutschland ein Bedeutungsverlust von Ernährungsreformen
aufgrund einer Distanzierung von den Gesundheitsregeln der NS-Vergangenheit ab.91 Die
an die Allgemeinheit gerichtete Literatur hielt an einer rationalen modernen
85
Vgl. Briesen 2010, 165.
Vgl. Briesen 2010, 64.
87
Vgl. Briesen 2010, 151-156.
88
Vgl. Briesen 2010, 164.
89
Briesen 2010, 167.
90
Vgl. Spiekermann 2001, 105.
91
Vgl. Briesen 2010, 198.
86
- 15 -
Ernährungslehre fest, welche die Mischkost präferierte. Beispielsweise erachtete 1954
Johannes Bohlmann in seinem populärwissenschaftlichen Werk92 den menschlichen
Körper als einen Verbrennungsmotor, der mit Enzymen, Hormonen, Vitaminen und mit
Nährstoffen, mit Fetten, Eiweiß und Kohlenhydraten funktioniere. Er empfahl eine
Mischkost aus sowohl pflanzlichen als auch tierischen Bestandteilen, wobei er explizite
Regeln vermied und die tatsächliche Realisierung der Kost den Verbraucherinnen und
Verbrauchern überließ. Andere populärwissenschaftlich bedeutende Ernährungsratgeber,
wie die Einführung in die Ernährungslehre93 (1960) von Ernst Kofranyi, lehnten die
Ernährung nach Regeln, wie sie von Ernährungsreformen im Rahmen der Lebensreformbewegung, des Vegetarismus und von alternativen Diäten gefordert wurde,
weitgehend ab.94
Das Ernährungsziel der quantitativen Nahrungsmittelversorgung bestimmte einhergehend
mit den Produktionssteigerungszielen in der Agrarpolitik, bei de facto erreichter
Sättigung noch in den 1950er Jahren, einen Wohlstandskonsum, der aufgrund der
ungesunden Zusammensetzung der Nahrung vermehrt Wohlstandskrankheiten mit sich
brachte.95 Dem ungeachtet herrschte in Deutschland und Österreich in den 1950er Jahren,
in gleicher Hinsicht wie in den USA der 1930er Jahre, ein Vertrauen in die
Gesundheitszuträglichkeit der industriellen Massenkost vor. Fertiggerichte, Tiefkühlwaren und Konservendosen, die nun auf Ausflügen und Reisen genossen werden konnten,
boomten.96 Die 1953 gegründete DGE empfahl zur Mitte der 1950er Jahre eine Kost, die
zunächst der Vollwertkost widersprach, indem man beispielsweise Pfanni-Knödel, CocaCola, Weißzucker und Glutamat guthieß.97 Der Ernährungswohlstand und seine
Auswirkungen veranlassten die Politik und Wissenschaft jedoch, die Ziele neu zu
definieren und die aus frischer Pflanzenkost und wenig Fett bestehende Mischkost zu
propagieren.98 Die DGE trat dabei gegen ungesunde Verhaltensweisen der Bevölkerung
92
Bohlmann, Johannes, Was sagt die Wissenschaft zu unserer täglichen Ernährung? Ein Versuch
gemeinverständlicher Darstellung ernährungsphysiologischer Probleme, Gießen 1954.
93
Kofranyi, Ernst, Einführung in die Ernährungslehre, Frankfurt am Main 1960.
94
Vgl. Briesen 2010, 206-208; siehe auch Kofranyi, Kapitel „Die weltanschaulich begründeten
Kostformen“, vgl. Kofranyi, Ernst, Einführung in die Ernährungslehre, 4. Auflage, Frankfurt am Main
1970, 210-211.
95
Vgl. Spiekermann 2001, 105.
96
Vgl. Katalogteil Sinalco-Epoche, Kapitel 6 Beschleunigung, in: Wien Museum/Breuss, Susanne, Hg., Die
Sinalco-Epoche. Essen, Trinken, Konsumieren nach 1945, Wien 2005, 254.
97
Vgl. Briesen 2010, 204-205.
98
Vgl. Spiekermann 2001, 105.
- 16 -
auf, indem sie nun eine „vollwertige Ernährung“99 vertrat. Zudem ging sie seit 1968 die
Verpflichtung ein, im Auftrag der Bundesregierung über den Ernährungsstand der
Bevölkerung zu berichten.100
In deutschen Zeitungen war zum ersten Mal 1952 vom Übergewicht der Bevölkerung –
bei Männern eineinhalb und bei Frauen ein Kilo – zu lesen.101 In den 1950er Jahren
wurde Adipositas jedoch nicht – wie gegenwärtig von Experten – als Folge des
Zusammenspiels von genetisch bedingtem Energiestoffwechsel und übermäßiger
Kalorienzufuhr, sondern lediglich in Hinblick auf den zweiten Aspekt, als Bilanzproblem
aufgrund übermäßiger Nahrungszufuhr, erachtet. Dieser Irrtum in der Pathogenese
äußerte sich als folgenschwer, weil Adipositas als Bilanzproblem in der öffentlichen
Wahrnehmung plausibel schien und sich seit den 1950er Jahren kurzfristige kalorienknappe Reduktionsdiäten bis in die Gegenwart großer Beliebtheit erfreuten.102
Im Zuge des Wohlstandskonsums und den negativen gesundheitlichen Konnotationen, die
mit der Fettleibigkeit einhergingen, kann von einer endgültigen Durchsetzung von
Schlankheitsidealen in den frühen 1960er Jahren ausgegangen werden.103 Schon seit Ende
der 1950er Jahre äußerte sich Schlankheit als allgegenwärtiges Schönheitsideal. Eine
neue, schlankere Generation von Models wie Suzy Parker unterschied sich deutlich von
Vorgängerinnen wie Marylin Monroe104, und zur Mitte der 1960er Jahre erlebte die
Schlankheitseuphorie
mit
dem
umstrittenen
Fotomodel
Twiggy
einen
ersten
Höhepunkt.105 In den 1950er Jahren waren Diäten in US-amerikanischen Frauenzeitschriften nach Mode das wichtigste Thema und vermehrt kamen Diätkochbücher auf
den Markt.106 Statt den althergebrachten Abführ- und Entfettungsmitteln tauchten
erstmals in Pulverform erhältliche Formula-Diäten auf. Ebenso boomten kalorienarme
Produkte und Ersatzstoffe.107 Der Absatz von Produkten mit dem künstlichen Süßstoff
Sodiumcyclamat vervielfachte sich und kalorienarme Sättiger wie Metrecal der Firma
99
Die vollwertige Ernährung wurde als Antwort auf die veränderten Lebensbedingungen seitens der DGE
in einem ihrer frühen Ernährungsratgeber verlautbart, vgl. Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE),
ABC einer gesunden Ernährung, Kiel 1968, 7.
100
Vgl. Briesen 2010, 205-206.
101
Vgl. Andersen, Arne, Der Traum vom guten Leben. Alltags- und Konsumgeschichte vom
Wirtschaftswunder bis heute, Frankfurt/New York 1999, 39.
102
Vgl. Pudel, Volker, Adipositas. Fortschritt der Psychotherapie, Göttingen u. a. 2003, 14 u. 17.
103
Vgl. Spiekermann 2008, 51; Montanari 1993, 203.
104
Vgl. Briesen 2010, 249.
105
Vgl. Loderhose/Hamm 1995, 34.
106
Vgl. Briesen 2010, 249-250.
107
Vgl. Spiekermann 2008, 51.
- 17 -
Mead und Johnson erfreuten sich großer Beliebtheit.108 Mit den 1963 in den USA vom
Lebensmittelkonzern Heinz gegründeten Weight-Watchers wurden erstmals im Rahmen
der propagierten Mischkost eine Fokussierung auf das Ernährungsverhalten und das
Abnehmen in Gruppen anvisiert.109
2.5. Ernährung im Zeichen eines veränderten Gesundheits- und Körperbewusstseins in der Postmoderne
In gleicher Art und Weise, wie die Kritik an der Lebensmittelqualität110 erfolgte, vollzog
sich auch die Sorge um die Zusammensetzung der Kost und deren Auswirkungen auf die
menschliche Gesundheit, die mit der Ausprägung eines postfordistischen Körperbewusstseins einherging. Ihren Ausgang nahm die Kritik am gesundheitsschädigenden
Potential der modernen Ernährung in den 1960er Jahren in den USA im Zuge der USamerikanischen Framingham-Studie. Es handelte sich dabei um eine Langzeitstudie über
den Zusammenhang von Lebensstilen und Herzkreislauferkrankungen, deren erste
Forschungsphase von 1950 bis 1970 reichte. Der Studie zufolge begünstigten hohe
Blutfettwerte das Entstehen von Atherosklerose111 und hoher Bluthochdruck das
Zustandekommen von Herzinfarkten und Nierenversagen. Von den generellen negativen
Folgen von Übergewicht, Rauchen und geringer sportlicher Aktivität wurde ebenfalls
berichtet. Folgestudien der American Heart Association (1961), die vor dem Konsum von
gesättigten Fettsäuren warnten, lösten 1961 trotz Gegenpositionen der Nahrungsmittelindustrie und der Federal Drug Aministration (FDA) eine erste Cholesterinphobie aus.
Produzenten von Pflanzenölen und Margarine nutzten wiederum die Situation und
unterstützen viele dieser Studien, um sie für die Bewerbung ihrer Produkte nutzen zu
können.112 Ein weiteres Nahrungsmittel, das im Sog der Framingham-Studie in den
Verdacht der Gesundheitsschädlichkeit geriet, war der Weißzucker. Der Ernährungswissenschaftler John Yudkin erbrachte Erkenntnisse, dass Zucker die Entstehung von
Diabetes mellitus, Arthritis, Krebs und Herzerkrankungen begünstige, worauf sich 1967
108
Vgl. Briesen 2010, 249-250.
Vgl. Maier, Karl, Diäten. 150 Schlankmacher im Test, Wien 1997, 267-268.
110
Als ein Ausgangspunkt der Kritik gilt die Studie „Before Silent Spring“ (1961) von Rachel Carson. Vgl.
Briesen 2010, 251-252.
111
Vgl. Briesen 2010, 233; maßgeblich äußerten sich auch Folgestudien der „Homocystein-Theorie der
Arteriosklerose“ (1969), die Gefäßwandveränderungen mit einem hohen Homoycsteinspiegel in
Verbindung brachten. Es wurde bei hohem Spiegel, der unter anderem durch die Ernährungsweise
beeinflusst werde, ein erhöhtes Koronarerkrankungsrisiko nachgewiesen. Vgl. IfEUW, Österreichischer
Ernährungsbericht 2003, 259 u. 261.
112
Vgl. Briesen 2010, 257.
109
- 18 -
eine erste Zuckerphobie in den USA ausbreitete.113 Neben der propagierten Meidung
bestimmter
Nahrungsmittel
erlangten
Nahrungsergänzungsmittel
immer
größere
Popularität. Vitaminpräparate wurden als Kompensation für die aufgrund der industriellen
Verarbeitung fehlenden Inhaltsstoffe von Nahrungsmitteln herangezogen. Ernährungswissenschaftler wie Adelle Davis befürworteten den Verzehr von Nahrungsergänzungsmitteln und Konzerne am Gesundheitsmarkt begrüßten die Tatsache, dass 1969 täglich 50
Prozent der US-Amerikanerinnen und Amerikaner diese einnahmen.114
Die Ergebnisse vorangegangener Studien und neuerliche Warnungen der American Heart
Association und der American Medical Association zur Mitte der 1970er Jahre führten zu
einer weitreichenden Skepsis gegenüber Nahrungsmittelbestandteilen. Dies löste eine
Verzichtsethik auf bestimmte Nahrungsmittel aus, die mit dem Begriff „ egative
utrition“115 von Warren J. Belasco beschrieben wurde. Diese Permanentdiät sah vor,
gesättigte Fette, Salz und Zucker aus der Alltagskost zu verbannen. Sie widersetzte sich
der „Basic-Four“116-Regel der Mischkost, sich von allem mäßig zu ernähren, der 1972
noch 85 Prozent der US-Amerikaner gefolgt waren. Als Grundlage diente das Maxim des
ernährungsbewussten Verhaltens, das die Erhaltung der eigenen Gesundheit, die
individuelle Verantwortung zur Gesundheitsprävention, statt dem blinden Vertrauen in
die kurative Schulmedizin erstrebte. Die Aufrechterhaltung der Gesundheit wurde damit
zur individuellen Herausforderung.117 Diese Herausforderung wurde einerseits in
Hinblick auf die Verantwortung zur Gesunderhaltung des eigenen Körpers für zukünftige
Lebensabschnitte, andererseits, in einem erweiterten Sinne, in Hinblick auf die
Gesundheit des eigenen Körpers als Garant für Schönheit, Vitalität und Leistungsfähigkeit im hier und jetzt wahrgenommen. In den Vordergrund trat dabei auch die
Selbstkonstruktion des Individuums im Kontext des Konsumierens. Das In-FormBringen des Körpers durch sportliche Tätigkeit und der Konsum von Produkten, die
Gesundheit und Schönheit garantierten, hoben im Sinne einer „Differenzideologie“ das
Individuum von der Masse ab und steigerten dessen Wert.118 Der Körper wurde zur
Projektionsfläche und zum Bewährungsfeld der Sehnsüchte, Träume und Wünsche, die
113
Vgl. Briesen 2010, 260.
Vgl. Briesen 2010, 253-254.
115
Briesen 2010, 274.
116
Briesen 2010, 264.
117
Vgl. Briesen 2010, 262-265.
118
Eder, Franz X., Privater Konsum und Haushaltseinkommen im 20. Jahrhundert, in: Eder, Franz X. u. a.,
Hg., Wien im 20. Jahrhundert. Wirtschaft, Bevölkerung, Konsum, Wien 2003, 249.
114
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von Anbietern
unter Miteinbeziehung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse am
Gesundheitsmarkt bedient und deren Bedeutung als Mittel zur Senkung der Ausgaben im
Gesundheitswesen seitens der Politik erkannt wurde.119 Die Veränderung der Körperbilder und Lebensstile bedingte, dass ein umfassendes Konzept von Gesundheit in den
Ernährungskontext
einfloss:
„Nahrung
nährt[e]
nicht
mehr,
sie
wirkt[e].“120.
Verschiedenste Aspekte bedingten eine zunehmende Verschränkung von Ernährung,
Gesundheit und Körperbewusstsein.
Erstens äußerte sich die Durchsetzung einer alle gesellschaftliche Schichten erfassenden
Schlankheitsideologie. Dickleibigkeit wurde als Folge falscher Ernährung und als
sichtbarer Ausdruck mangelnder Disziplin des Individuums wahrgenommen. Das
Körpergewicht besaß für das Individuum identitätsstiftendes und für die Gesellschaft
sinnstiftendes Potential, die es erlaubten, aufgrund des Gewichtes gesellschaftliche
Rangplätze zuzuweisen.121 Das Ideal des schlanken Körpers wurde durch die Medien
verbreitet und verursachte vor allem unter Frauen eine zunehmende Unzufriedenheit mit
dem eigenen Körper, die sich auch in Formen von Untergewicht und Magersucht
ausprägte.122
Des Weiteren bedingte die Gesundheitswelle der 1970er Jahre123 die Verbreitung von
Küchentrends, wie die ovelle Cuisine als leichte Variante der üppigen Haute Cuisine.124
Sie erfreute sich zusammen mit der Entdeckung kulinarischer Vielfalt der EthnoKüchen125 und dem durch die Slow-Food-Bewegung initiierten genussorientierten
Verzehr regionaler Spezialitäten126 großer Beliebtheit. Gesundheits- und Genussorientierung zum Wohle des Körpers blieb dabei jedoch Besserverdienern vorbehalten.127
Demgegenüber wurden vor allem unter den weniger Wohlhabenden die industrielle
Massenkost und Fast Food als Alltagskost verzehrt.128
119
Vgl. Spiekermann 2008, 52-53.
Horx, Matthias, Vom Global Food zur Bio-Welle, in: Der Förderdienst 46/2 (1998), 46.
121
Vgl. Klotter 2008, 29-30.
122
Vgl. Mörixbauer, Angela/Groll, Markus, Die 50 größten Diät-Lügen! Die gängigsten Irrtümer rund um
Kilos, Kalorien & Schlankheitskuren, Wien 2005, 43-44.
123
Vgl. Spiekermann 2008, 51.
124
Vgl. Briesen 2010, 266.
125
Vgl. Briesen 2010, 265.
126
Vgl. Petrini, Carlo, Slow Food. Geniessen mit Verstand, Zürich 2003.
127
Vgl. Kreisky 2008, 156.
128
Vgl. Briesen 2010, 265-266.
120
- 20 -
Für die Nahrungsmittelindustrie erbrachte die Vermarktung neuer Produkte Gewinne auf
den seit den 1960er Jahren gesättigten Märkten.129 Lebensmittelkonzerne setzten auf
Light-Produkte ohne die als gefährlich eingestuften Bestandteile der Nahrung – allen
voran Zucker, gesättigte Fettsäuren, Salz und Kalorien.130 Wurden in den 1980er Jahren
nun vermehrt Light-Produkte in den Supermärkten angeboten,131 so begann die
systematische Erforschung gesundheitlicher Aspekte in der Lebensmittelnachfrage erst in
den 1990er Jahren und ist daher „vergleichsweise jung“.132 In den letzten Jahren ging der
Schlankheitsmittelmarkt zurück, während ärztliche Dienstleitungen und die Vermarktung
von Functional Food zunahmen. Dabei äußerte sich die Tendenz der Koppelung von
Functional Food und Light-Produkten.133 Seit den frühen 2000er Jahren machen FoodProdukte einen großen Anteil des deutschen Wellnessmarktes aus.134 Zunehmend setzten
sich auch Lifestyle-Drogen durch. Der Begriff „cosmetic psychopharmacology“ bezieht
sich dabei auf die Tendenz, individuelles Wohlbefinden im Alltag durch Medikamente
herzustellen.135 Demgegenüber äußerte sich jedoch auch eine kritische Distanz zu
Ersatzstoffen in gesundheitsversprechenden und kalorienreduzierten Produkten, wobei
argumentiert wurde, dass diese der Gesundheit auch abträglich seien. Dies betraf
beispielsweise den Verdacht auf das karzinogene Potential des Süßstoffs Saccharin als
auch den Verdacht, dass der Süßstoff Aspartam das Entstehen von Multipler Sklerose,
Alzheimer und Parkinson begünstige. Auch die Verwendung von Transfetten bei der
Herstellung von Margarinen wurde in Zusammenhang mit der Cholesterinproblematik
diskutiert.136
Schließlich widmete sich die Politik der gesunden Ernährung. In vielen Staaten wurden
die steigenden Kosten im Gesundheitswesen unter anderem auf eine falsche Ernährung
zurückgeführt
und
Ernährungsziele
dementsprechend
formuliert.137
Wurde
auf
internationaler Ebene die Ernährung in den Health-for-All-Zielsetzungen der WHO zur
129
Vgl. Spiekermann 2008, 51.
Vgl. Briesen 2010, 261; vgl. Spiekermann 2008, 51-52.
131
Vgl. Eder 2011, 291.
132
Thiele, Silke, Die Nachfrage nach Ernährungsqualität als Gesundheitsaspekt in der
Lebensmittelnachfrage, in: Schriften der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des
Landbaues e. V., 37 (2001), 295.
133
Vgl. Spiekermann 2008, 52.
134
Vgl. Kickbusch 2006, 83.
135
Kickbusch 2006, 46-47.
136
Vgl. Briesen 2010, 269-270.
137
Vgl. Spiekermann 2001, 106.
130
- 21 -
Sicherung eines sozial und ökonomisch produktiven Lebens bedacht,138 so wurde sie
1986 in der WHO-Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung, welche die Verantwortung
aller Politikbereiche anvisierte, bereits als Grundbedingung für Gesundheit in allen
Staaten genannt.139 In den USA äußerte sich die Individualisierung der Sozialmedizin als
Vorreiter dieser Entwicklungen. Betrieben wurde die Gesundheitsförderung (Health
Promotion), die unter anderem auf die Folgen von Fehlernährung und Genussmittelkonsum hinwies, bereits in der Ära Carter ab 1977, und dies von verschiedensten
Organen, wie beispielsweise von Behörden, Ärzten, Gesundheitspädagogen, Sozialarbeitern, Firmenleitungen und Krankenversicherungen.140 Die egative utrition fand in
Einklang mit den Ratschlägen des
ational Research Council, des
ational Cancer
Institute und der American Medical Association noch in den 1970er Jahren direkt Eingang
in den Senat, der die Empfehlung an die Bevölkerung richtete, weniger gesättigte
Fettsäuren, Cholesterin, Salz und Zucker zu konsumieren und generell Kalorien zu
meiden. 1992 veröffentlichte das US-amerikanische Landwirtschaftsministerium die
Food Guide Pyramid, die eine endgültige Abkehr von der Eiweißlehre besiegelte und als
universeller Ernährungsratschlag für alle US-Bürger konzipiert war. Neue gesetzliche
Regelungen des Food-Labelling erfolgten 1994 mit der Angabe von Kalorienmengen und
2006 mit der Deklarationspflicht künstlich gehärteter Fette auf Verpackungen.141 Detlef
Briesen verdeutlicht jedoch, dass sich die präventive Wende in den USA, vor allem in
Hinblick auf Lebensstilveränderungen, nicht wie erhofft durchsetzte.142 Auch in den
deutschsprachigen Ländern, in denen eine Gesundheitsförderung im Bereich der
Ernährung anvisiert wurde, äußerte sich eine Diskrepanz zwischen dem Wissens um die
gesunde Ernährung und dem tatsächlichen Handeln der Menschen.143 Die WHO erklärte
1997 Adipositas zu einer weltweiten Seuche und im deutschsprachigen Raum
veröffentlichte das Robert Koch-Institut 1999 alarmierende Ergebnisse, die auf eine
Adipositas bei knapp einem Fünftel der Männer und über einem Fünftel der Frauen
verwiesen, während nur bei einem bescheidenen Drittel der Männer und bei zwei Fünftel
138
Vgl. WHO Health Report, Executive Summary, http://www.who.int/whr/1998/media_centre/
executive_summary6/en/ (20.11.2013).
139
Siehe Wortlaut der WHO-Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung im Anhang von: Amann,
Gabriele/Wipplinger, Rudolf, Hg., Gesundheitsförderung. Ein multidimensionales Tätigkeitsfeld, Tübingen
1998, 555.
140
Vgl. Briesen 2010, 324.
141
Vgl. Briesen 2010, 264-271.
142
Vgl. Briesen 2010, 328.
143
Vgl. Pudel, Volker, Psychologie des Essens, in: Escher, Felix/Buddeberg, Claus, Hg., Essen und Trinken
zwischen Ernährung, Kult und Kultur, Zürich 2003, 124-126; vgl. Weiss 2007, 104.
- 22 -
der Frauen von einem Normal- oder Idealgewicht ausgegangen werden konnte.144
Folglich sah sich die WHO auch nach dem Jahr 2000 immer wieder dazu veranlasst,
Strategien zu einer nachhaltigen Ernährung an politische Entscheidungsträger heranzutragen. Ein Beispiel hierfür war der 2001 von der WHO ins Leben gerufene
Aktionsplan für eine Lebensmittel- und Ernährungspolitik 2000 – 2005.145 Im Jahr 2007
wurde von der britischen Regierung ein Werbeverbot für Fast Food im Kinderfernsehen
in die Wege geleitet und eine Mehrwertsteuererhöhung für ungesunde Lebensmittel
diskutiert. Von der deutschen Politik wurde ein „Dicken-Malus“ in den Krankenkassenbeiträgen erwogen, der jedoch von der Mehrheit der Bevölkerung – trotz
allgegenwärtiger Schuldzuschreibungen im öffentlichen Bewusstsein – abgelehnt
wurde.146 In der aktuellen Debatte gehen Henning Schmidt-Semisch und Friedrich Schorb
davon aus, dass von rigideren Maßnahmen in der Verfechtung der Gesundheitsgesellschaft noch abgesehen wird, weil geläufige Wertvorstellungen Genuss, Erlebnis und
Konsum präferieren.147 In Aussagen von Politikern wie beispielsweise der deutschen
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Renate Künast,
die Konsequenzen für ungesunde Ernährungspraktiken forderte, sehen sie jedoch eine
Orientierung hin zu schärferen Maßnahmen gegen Präventionsverweigerer.148
2.6. Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein in Österreich seit 1945
Nach den Entbehrungen der Mangeljahre und der daraufhin erfolgten „Fresswelle“ und
Sättigung äußerte sich in den 1960er Jahren eine Angebotsvielfalt zunächst in
Selbstbedienungsläden und ab den 1970er Jahren in Supermärkten.149 Mit der
Veränderung der Einkaufsgewohnheiten ging auch ein Wandel der Ernährungspraktiken
einher. Waren Fertigprodukte, die ein ,schnelles Essen‘ ermöglichten, bereits in den
1950er Jahren verbreitet, so hielt der Fast-Food-Trend gegen Ende der 1970er Jahre mit
der Eröffnung der ersten österreichischen McDonald’s-Filiale am Schwarzenbergplatz in
144
Vgl. Spiekermann 2008, 35.
Vgl. Weiss 2007, 98.
146
Kreisky 2008, 143.
147
Vgl. Schmidt-Semisch, Henning/Schorb, Friedrich, Einleitung, in: Schmidt-Semisch, Henning/Schorb
Friedrich, Kreuzzug gegen Fette. Sozialwissenschaftliche Aspekte des gesellschaftlichen Umgangs mit
Übergewicht und Adipositas, Wiesbaden 2008, 12.
148
Vgl. Schmidt-Semisch/Schorb 2008, 12-13.
149
Eder 2011, 290-291; vgl. Kühschelm, Oliver, Selbstbedienung und Supermärkte. Das Versprechen von
Zeitersparnis, Wahlfreiheit und unerschöpfliche Fülle, in: Wien Museum/Breuss, Susanne, Hg., Die
Sinalco-Epoche. Essen, Trinken, Konsumieren nach 1945, Wien 2005, 51 u. 57-58.
145
- 23 -
Wien Einzug.150 Gleichzeitig zeigte sich erstmals nach 1945 eine ernährungsbezogene
Gesundheitsorientierung im Produktangebot von Supermärkten, die vor allem seit den
1980er Jahren Light-Produkte verkauften. Gesundheit, Schlankheit und Vitalität als
Maxime der Postmoderne äußerten sich zudem in einem immer größer werdenden
Angebot von Functional Food am österreichischen Markt.151 Der Österreichische
Lebensmittelbericht 2002 verwies jedoch auch darauf, dass die Österreicherinnen und
Österreicher mit dem Begriff ‚gesunde Ernährung‘ den täglichen Verzehr von Obst und
Gemüse, „einmal am Tag warmes Essen“ und „frisch zubereitete Speisen“ assoziierten.
Verzichtshaltungen fanden diesbezüglich wenig Anklang und im Stress des Alltags wurde
der Grund für ungesunde Ernährung verortet. Ein größeres Interesse für gesunde
Ernährung zeigten tendenziell eher Frauen, Ältere und höher Gebildete.152 Vielfach wurde
in Österreich während der 1990er Jahre auch auf ein falsches Ernährungsverhalten seitens
der Medien hingewiesen.153 Berichte über den Ernährungsalltag der Österreicherinnen
und Österreicher sprachen von Widerständen dieser gegen gesundes Essen154, welche die
Historikerin Susanne Breuss auf eine traditionelle Genussorientierung des „genusssüchtigen, sinnen- und gaumenfreudigen Österreichs bzw. Wiens“ zurückführt.155
Im tatsächlichen Verzehr seit 1945 zeigten Konsumerhebungen die grundsätzliche
Tendenz, dass vor allem der Konsum von Schwarzbrot und Kartoffeln und seit Ende der
1950er Jahre auch der Milchkonsum rückläufig waren. Die österreichische Kost in den
1960er bis 1980er Jahren gestaltete sich relativ kalorienreich im Vergleich zu anderen
europäischen Ländern.156 Veränderungen der Essgewohnheiten waren dabei auch immer
Ausdruck von ernährungskulturellen Neuerungen. Erfreute sich der Verzehr von
Schweinefleisch nach wie vor großer Beliebtheit, so nahm der Rindfleischkonsum ab, der
sich kontinuierlich seit den 1970er Jahren157 und besonders zur Zeit der BSE-Krise gegen
150
Vgl. Katalogteil Sinalco-Epoche, Kapitel 6 Beschleunigung 2005, 252-254.
Vgl. Eder 2011, 291.
152
Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasser (BMLFUW), 2.
Lebensmittelbericht Österreich. Die Entwicklung des Lebensmittelsektors von 1995 bis 2002, Wien 2003,
77.
153
Vgl. Breuss, Susanne, Einverleibte Heimat. Österreichs kulinarische Gedächtnisorte, in: Brix,
Emil/Bruckmüller, Ernst/Stekl, Hannes, Hg., Memoria Austria I. Menschen, Mythen, Zeiten, Wien 2004,
302.
154
Susanne Breuss verweist auf den Ernährungsreport „Kochtopf Soziologie“ von Roland Bettschart im
Profil Nr.30/1994, 52, vgl. Breuss 2004, 302.
155
Breuss 2004, 302.
156
Vgl. Eder 2003, 230-231.
157
Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 3.
151
- 24 -
Ende der 1990er Jahre158 reduzierte. Andererseits nahm der Verzehr von kalorienarmem
Geflügel und Fisch seit den 1980er Jahren zu.159 Zur Jahrtausendwende betrafen
ernährungsbedingte Trends das Außer-Haus-Essen160, die Verwendung von Bioprodukten161 und die Vorliebe für Frischwaren und vegetarische Ernährung162. Diese
entsprachen auch den übergeordneten Gewohnheiten im Lebensmittelverzehr, die
einerseits den Konsum von Fertigprodukten, eine bewusste Genuss- und FeinschmeckerOrientierung und andererseits gesundheitsorientierte Lebensgewohnheiten und Wohlbefinden beinhalteten.163 Im Österreichischen Ernährungsbericht 1982, der unter
anderem die Wiener Gesundheitsstudie 1979 zitierte, waren nach dem Broca-Index164 15
Prozent der 40-jährigen Österreicherinnen und Österreicher als übergewichtig einzustufen, während Übergewicht tendenziell mit dem Alter zunahm.165 Es äußerte sich
zwischen 1991 und 1999 eine Zunahme jener Übergewichtigen mit einem Body-MassIndex (BMI)166 zwischen 26 und 30 von 26,7 auf 27,6 Prozent bei den Männern und von
16,7 auf 17,1 Prozent bei den Frauen.167 Von einer Adipositas war 1999 bei 9,1 Prozent
der Gesamtbevölkerung auszugehen.168 Bei den 20- bis 35-Jährigen war Übergewicht
insgesamt weniger ausgeprägt als bei der Altersgruppe der 36- bis über 60-Jährigen,
wobei größere Unterschiede der Geschlechter, nämlich Übergewicht bei den Männern in
der Altersgruppe der über 36-Jährigen, feststellbar waren.169 Betreffend die Zufriedenheit
158
Vgl. BLMFUW, 2. Lebensmittelbericht 2003, 26.
Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 3.
160
Vgl. BLMFUW, 2.Lebensmittelbericht 2003, 10.
161
Vgl. BLMFUW, 2.Lebensmittelbericht 2003, 68.
162
Vgl. BLMFUW, 2.Lebensmittelbericht 2003, 11.
163
Vgl. BLMFUW, 2.Lebensmittelbericht 2003, 64-65.
164
Im Österreichischen Ernährungsbericht 1982 wurde pathologisches Übergewicht bei Broca + 10 bis 30
% festgelegt und bei einem erhöhten Körpergewicht von 30 % über dem Normalgewicht nach Broca von
einem erhöhten Sterblichkeitsrisiko von 10 % ausgegangen. Vgl. Bundesministerium für Gesundheit und
Umweltschutz, Österreichischer Ernährungsbericht 1982, Wien 1982, 43-44; Die Berechnung des
Körpergewichtes mit dem BROCA-Index – Körpergröße in cm minus 100 als Normalgewicht – erfolgte
erstmals 1868 vom französischen Anthropologen D. Broca; vgl. Merta 2008, 158.
165
Vgl. BMFGU, Österreichischer Ernährungsbericht 1982, 48-49.
166
Nach der Eurostat-Definition aus dem Jahr 2000 handelt es sich bei einem BMI von 21 bis 26 kg/m² um
Normalgewicht, bei 26 bis 30 kg/m² um Übergewicht, bei über 30 kg/m² um starkes Übergewicht und bei
einem BMI von 18 bis unter 21 kg/m² um Untergewicht, beziehungsweise starkes Untergewicht bei unter
18 kg/m², vgl. Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (BMFGF), Gesundheit und Krankheit in
Österreich 2004. Gesundheitsbericht Österreich 2004. Berichtzeitraum 1992-2001, Wien 2004, 21. er BodyMass-Index ersetzte in den 1990er Jahren den Broca-Index, weil festgestellt wurde, dass dieser zu wenig
auf den individuellen Fall, die tatsächliche Körperfettbemessung einging und Ungenauigkeiten in der
Übergewichtsmessung bei großen und kleinen Körpergrößen mit sich brachte. Vgl. Loderhose/Hamm 1995,
38-39.
167
Vgl. BMFGF, Gesundheit und Krankheit in Österreich 2004, 21.
168
Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, Wien 2003, 257.
169
Vgl. Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Wien (IfEUW), Österreichischer
Ernährungsbericht 1998, Wien 1998, 185-187.
159
- 25 -
mit dem eigenen Gewicht zeigte sich, dass vor allem weibliche Jugendliche, nämlich 50
Prozent, mit ihrem Körpergewicht zwischen 1998 und 2003 unzufrieden waren und
Anlass zum Abnehmen sahen. Unzufriedenheit als Motiv zeigte sich auch bei den
Erwachsenen, wenngleich diese in der Altersgruppe der 20- bis 29-jährigen Frauen nur 13
Prozent betraf und im Alter auf 37,5 Prozent der 60-Jährigen zutraf.170
In Österreich erfolgt die ernährungsbezogene Gesundheitsförderung seit 1945 sowohl auf
staatlicher als auch nicht staatlicher Ebene. Ein grundlegender nicht staatlicher Träger ist
die Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE), die 1951 mit dem Ziel der
Förderung der Ernährungsforschung, der Gesundheitsförderung und der Öffentlichkeitsarbeit gegründet wurde.171 Auf internationaler politischer Ebene wurden auf Basis der
Gesundheit-für-Alle-Ziele (1977) der WHO und den Zielsetzungen der Ottawa-Charta
(1986) das WHO-Gesunde-Städte-Projekt (Health Cities) 1987 in die Wege geleitet. Der
Beitritt Wiens zu diesem Projekt im Jahr 1988 ging einher mit dem dreijährigen
Pilotprojekt
etzwerk Ernährung am Institut für Ernährungswissenschaften der
Universität Wien. Ziel war es, die Strukturen der Ernährungsinformation und -beratung zu
verbessern.172 Das Österreichische Gesunde Städte
das Österreichische
etzwerk (ÖGSN) wurde 1992 und
etzwerk Gesundheitsfördernder Schulen 1993 gegründet. Überdies
setzte man auf gesundheitsfördernde Initiativen im Bereich der Krankenhäuser und
Betriebe. Mit dem Fonds Gesundes Österreich wurden seit 1998 450 Maßnahmen und
Projekte im Bereich der Primärprävention umgesetzt.173 Auf die Einrichtung einer
Ernährungs-Hotline im Jahr 1999 folgte die Broschüre Ernährung: Bewusst lebt besser,
die mit 210.000 Exemplaren Verbreitung fand. Des Weiteren rief der Fonds die Aktion
Bewusst isst besser ins Leben, an der 186 Gastronomiebetriebe teilnahmen und als
tägliche Menükomponente in ihren Gaststätten eine gesunde Speisevariation anboten. Am
österreichischen Betriebsküchenwettbewerb, den der Fonds im Jahr 2002 initiierte,
partizipierten 45 österreichische Betriebe, die mit ‚besonders gesunden Gerichten‘ ihre
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versorgten.174 Die Ergebnisse der 1991 vom Institut für
Ernährungswissenschaften der Universität Wien begonnene Studie zum Ernährungsstatus
(ÖSES) der österreichischen Bevölkerung wurden im ersten Wiener Ernährungsbericht
170
Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 13-14.
Vgl. Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE), http://www.oege.at/index.php/ueber-uns/28ueber-uns/1886-ueberuns-intro-historie (19.12.2013).
172
Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 296-297.
173
Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 282.
174
Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 291-294.
171
- 26 -
(1994) und zusammen mit Richtlinien für eine gesunde Ernährung im Österreichischen
Ernährungsbericht 1998 präsentiert.175 Der Ernährungsbericht, der in Folge auch 2003
und 2008 erschien, wurde als eines der „wichtigsten Instrumente zur Optimierung der
Ernährungssituation in Österreich“ verstanden.176 Zur Verbesserung der Ernährungssituation wurden lebensmittel- statt nährstoffbasierte Richtlinien als geeignete gesundheitspolitische Maßnahme im Österreichischen Ernährungsbericht 2003 vertreten.177 Die
zentralen Aspekte der Ernährungsrichtlinien beinhalten eine „vielseitige Ernährung“,
„mehr kohlenhydrathaltige Speisen […] und weniger Gebackenes“, den Verzehr von Obst
und Gemüse nach der „‚Nimm 5 am Tag‘-Regel“, wenig Konsum von fettreichen
Lebensmitteln, viel Flüssigkeitszufuhr, genussvolles Essen und körperliche Bewegung
und Fitness.178 Da die Umsetzung der Ziele einer nachhaltigen und gesunden Ernährung
sich als schwierig herausstellt, werden in Österreich nach wie vor Maßnahmen und
Strategien diskutiert.179
175
Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 9.
IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 314.
177
Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 306.
178
IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 311-314.
179
Vgl. Astleithner/Brunner 2007, 216.
176
- 27 -
3. Kulinarischer Journalismus, Ernährungs- und Gesundheitskommunikation
Der deutsche Food Editors Club, der 1968 gegründet wurde und dem eigenen Angaben
zufolge „die wichtigsten Journalisten […], die sich mit Kochen, Essen und Trinken,
Tischkultur, Ernährungswissenschaft und so weiter befassen“180, angehören, definiert das
Ziel des kulinarischen Journalismus folgendermaßen: „[…] die Feinschmeckerei mit dem
sich ständig erweiternden Wissen über Lebensmittel und ihre Verarbeitung in Einklang zu
halten.“181 Dass der kulinarische Journalismus als Teil der Medien „immer neue Debatten
über unsere Art von Essen und Ernährung“182 mitgestaltet, die über die Thematisierung
der ‚Feinschmeckerei‘ hinausgehen, scheint schon alleine aufgrund der informierenden
und ratgebenden Artikel und der vorzufindenden Lebensmittelwerbung vieler Magazine
offenkundig. Im Folgenden wird auf diese Tatsache näher eingegangen.
3.1. Die Charakteristik des kulinarischen Journalismus
Der kulinarische Journalismus bedient neben Medien wie dem Fernsehen, dem Hörfunk
und dem Internet vorzugsweise den Printjournalismus.183 Richten sich Fachzeitschriften
mit ihrem Spezialwissen an professionelle Fachleute in der Branche, so adressieren
Publikumszeitschriften, wie kulinarische Special-Interest-Publikationen, die an Essen und
Kulinarik interessierte Allgemeinheit.184 Kulinarische Magazine finden sich auf dem
deutschsprachigen Markt seit den 1970er Jahren. Beispielsweise betrifft dies den
Feinschmecker als auch Besser’s Gourmetjournal, das 1978 vom Gastronomie-Kritiker
Klaus Besser gegründet wurde. Bedeutend für den österreichischen Markt äußern sich das
seit 1983 erscheinende Gusto-Journal und das vergleichsweise jüngere GenussMagazin.185
Einer Studie zum Berufsfeld des kulinarischen Journalismus aus dem Jahr 1993 zufolge,
beinhalteten die vorrangigen Themenschwerpunkte innerhalb der Profession die Aspekte
Küche, Kochen und Kochbücher mit 23 Prozent und gesunde Ernährung mit 22 Prozent
Anteil an der Themenfokussierung. Kulinarische Journalistinnen und Journalisten
180
Food Editors Club, http://www.foodeditorsclub.de/site/s2.htm (19.08.2013).
Food Editors Club, http://www.foodeditorsclub.de/site/s2.htm (19.08.2013).
182
Köstlin 2006, 9.
183
Vgl. Schernhorst, Helmut, Kulinarischer Journalismus, unveröffentlichte phil. Diplomarbeit, Universität
Wien 2009, 76.
184
Vgl. Menhard, Edigma/Treede, Tilo, Die Zeitschrift. Von der Idee bis zur Vermarktung, Konstanz 2004,
21-23.
185
Vgl. Schernhorst 2009, 76-78.
181
- 28 -
beschäftigten sich in den frühen 1990er Jahren überdies mit speziellen Zubereitungen und
besonderen Küchenpraktiken (13 Prozent) und schließlich mit dem Markt und damit
zusammenhängenden Aspekten wie dem Handel, der Verpackung und Warenkunde (11
Prozent). Ebenfalls genannt wurden die Themen nationale und internationale Küchen,
Länderschwerpunkte, Kücheneinrichtungen und Tischdekorationen. Das journalistische
Sendungsbewusstsein betraf nach der Esskultur das Thema Gesundheit noch vor
Hilfestellungen in Sachen Zubereitung und Produktinformationen.186
Der kulinarische Journalismus teilt mit anderen Bereichen des Fachjournalismus den
grundsätzlichen journalistischen Kommunikationsprozess, wobei die kulinarische
Botschaft gemäß den Eigenheiten des Mediums eine Zielgruppe anvisiert und schließlich
vom Empfänger oder der Empfängerin selektiv aufgenommen wird. Die Leserschaft
betraf 1993 primär Personen mittleren Lebensalters, vor allem Frauen, gut Gebildete und
Besserverdienende.
187
Sie äußerten sich einerseits als unmittelbare Umsatzbringer und
garantieren andererseits das Interesse der Anzeigenkunden an der Zeitschrift.188 Eine
zielgruppengenaue Leserinnen- und Leserausrichtung wurde in Zeiten sich verknappender
Werbeetats immer bedeutender. Diesbezüglich erwiesen sich eine regelmäßige Analyse
der Leserschaft über Leserbriefe, die indirekte Werbeträgerforschung und die
Publikumsforschung, im Rahmen von Fragebögen oder Marktforschungsinterviews, als
unumgänglich in der Branche.189 Den Wünschen der Leserschaft wird üblicherweise
mittels einer ausgeklügelten Heftdramaturgie Rechnung getragen, die zwischen
gleichbleibenden, dem Genre entsprechenden üblichen und abwechslungsversprechenden
Strukturen zu verorten ist.190 Editorial, Rezepte, Reportagen, Berichte, Kommentare,
Kolumnen und Serviceteile werden dementsprechend gestaltet und ständig verändert.
Das Schreiben über das Essen stellt die Grundlage des kulinarischen Journalismus dar
und ist immer an Sinnesvokabularien gebunden, die nicht zuletzt durch die hervorragende
Bedeutung der professionellen Sensorik für die Lebensmittelwirtschaft und durch die
neue alltägliche Genussorientierung, im Rahmen von Erscheinungen wie Slow Food, in
186
Vgl. Bayer, Otto, Kulinarische Fachjournalisten – Berufsbild, Adressaten, Meinungen. Theoretische
Überlegungen und empirische Ergebnisse, in: Weggemann, Sigrid/Ziche, Joachim, Hg., Soziologische und
humanethologische Aspekte des Ernährungsverhaltens. Strategien und Maßnahmen, Schriftenreihe der
Arbeitsgemeinschaft Ernährungsverhalten e.V., Band 9, Beiheft der Zeitschrift Ernährungs-Umschau,
Breidenstein 1993, 110-112.
187
Vgl. Bayer 1993, 109-111.
188
Vgl. Meenhard/Treede 2004, 80.
189
Vgl. Meenhard/Treede 2004, 86-90.
190
Vgl. Meenhard/Treede 2004, 96-97.
- 29 -
den letzten Jahren neue Höhenflüge erlebte.191 Neben der Sprache äußert sich besonders
die visuelle Gestaltung, die Verwendung von Bildern im Kontext des Gesamtlayouts von
Zeitschriften, als bedeutsam.192 Dies bedingt, dass die Food-Photography in den letzten
Jahren die Gaumenfreuden und die Lust am Essen mitbestimmte und in mancher Hinsicht
auch erst hervorbrachte, wie Konrad Köstlin meinte: „Das Fotografieren schafft nicht nur
neue Ästhetisierung des Essens ins Bild – es manifestiert auch die Ausdrücklichkeit und
die Besonderheit des bisher Alltäglichen als neue Qualität.“193
3.2. Das Gusto-Journal als Ernährungs- und Gesundheitskommunikator
und als Diskursakteur
Trägt der Food-Journalismus unbestreitbar zum Ernährungsverhalten von Menschen bei,
so bleibt die genaue Zuschreibung seiner Wirkung jedoch ungeklärt. Schnelllebige und
facettenreiche Ernährungstrends überlagern
sich oftmals, was eine eindeutige
Zuschreibung und Erfassung ihres Potentials erschwert.194 Abgesehen von der
Schwierigkeit des faktischen Ermessens der medialen Wirkung steht jedoch außer Frage,
dass Berichte, Reportagen und Nachrichten in Zeitschriften Ausdruck des sozialen
Mainstreams und somit Träger von Diskursen sind, die ihrerseits selbst Diskurse
mitgestalten.195 Der kulinarische Journalismus reagiert auf Entwicklungen in der
Gesellschaft und trägt zu diesen Entwicklungen auch bei. Aus konstruktivistischer
Perspektive nimmt der Journalist dabei keineswegs eine passive Rolle ein, sondern tritt
ebenso wie der Rezipient oder die Rezipientin als aktiver Konstrukteur der Wirklichkeit
in Erscheinung.196 Vorstellungen über gutes und richtiges Essen sind dabei Teil der
Botschaften. Im Gusto-Journal ließ sich bereits in der Anfangsphase eine Fokussierung
erkennen, wobei man neben Rezepten, Restaurantpräsentationen und kulinarischen
Reiseimpressionen einen ernährungs- und gesundheitsinformativen Schwerpunkt setzte.
Die Vermittlung des Stellenwerts einer gesunden und körperbedachten Ernährung tauchte
in ratgebenden Artikeln beispielsweise innerhalb der Rubriken Diätredaktion ab 1983,
Bewusstes Leben ab 1986, Satt und Schlank zur Mitte der 1990er Jahre und in einer Reihe
191
Vgl. Ptach, Cornelia, Sensorik in der Kulinaristik, in: Wierlacher, Alois/Bendix, Regina, Hg.,
Kulinaristik. Forschung – Lehre – Praxis, Berlin 2008, 99.
192
Vgl. Menhard/Treede 2004, 109.
193
Vgl. Köstlin, Konrad, Die Industrialisierung der Tradition, in: Lysaght, Patricia/Burckhardt-Seebass,
Christine, Changing Tastes. Food Culture and Processes of Industrialization, Basel 2004, 125.
194
Vgl. Bayer 1993, 112.
195
Vgl. Mautner, Gerlinde, Analysing Newspapers, Magazines and Other Print Media, in: Wodak,
Ruth/Krzyzanowski, Michal, Hg., Qualitative Discourse Analysis in the Social Sciences, London 2008, 32.
196
Vgl. Pörksen, Bernhard, Konstruktivismus, in: Weischenberg, Siegfried/Kleinsteuber, Hans J./Pörksen,
Bernhard, Handbuch Journalismus und Medien, Konstanz 2005, 179-180.
- 30 -
von Gusto-Spezialbeiträgen in den frühen 2000er Jahren auf. Neben diesen ratgebenden,
informierenden
und
meinungsbetonenden
Artikeln,
die
am
ehesten
der
zeitschriftenspezifischen Darstellungsform des argumentativen oder abwägenden
Kommentars197 entsprechen, widmeten sich auch Standardseiten198 dem Thema
Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein. In den frühen 1980er Jahren beinhaltete
beispielsweise der monatliche Vierwochenspeiseplan Schlankheitsdiäten199. Während
man in den frühen 1980er Jahren für Diabetiker und Diabetikerinnen eigene Rezepte200
gestaltete, wurden die Nährwertangaben zu den Rezepten, die zunächst lediglich den
Brennwert enthielten, Ende der 1980er detaillierter und durch Cholesterinangaben
ergänzt.201 Informationen über die Gesundheitszuträglichkeit von Nahrungsmitteln fanden
sich ebenfalls in standardisierten Rubriken, wie Kurz und Gut202 zu Beginn der 1990er
Jahre. Waren auch Diät-Assistentinnen Teil der Gusto-Redaktion, so wurden in den
1980er Jahren sogar Ernährungsmediziner in Ernährungsfragen herangezogen.203 Neben
staatlichen Institutionen als Kommunikatoren der gesunden Ernährung kamen vor allem
in den Rubriken auch nicht staatliche Träger der Gesundheitsförderung, wie die ÖGE204
oder der Verband der Ernährungswissenschafter (VEÖ)205, zu Wort. Abgesehen von der
Medienanwaltschaft zur gesunden Ernährung206 im Agenda-Setting207 des Magazins,
erfolgten Informationen aus der Lebensmittelwirtschaft und den am Markt erhältlichen
Produkten bereits seit dem Jahr 1984 in der Rubrik Produkte208.
197
Vgl. Menhard/Treede, 140.
Vgl. Menhard/Treede, 102.
199
Vgl. Inhaltsverzeichnis Gusto 6/1983, 3.
200
Vgl. Gusto 2/1983, 54; Gusto 6/1984, 14.
201
Vgl. Gusto 3/1989, 3.
202
Siehe die Vorstellung der Rubrik durch den Chefredakteur im Editorial der Juni-Ausgabe 1992, vgl.
Gusto 6/1992, 3.
203
Vgl. Gusto 3/1989, 6.
204
Vgl. Gusto 19/1992, 7; 2/1994, 7.
205
Vgl. Gusto 7/1995.
206
Annette Seibt definiert gesundheitsorientierte Medienanwaltschaft als „eine Strategie, die öffentlichen
und privaten Medien als Informationsträger und Ressource gezielt(er) für soziale bzw. gesundheitliche
Anliegen zu nutzen“, Seibt, Annette C., Medienanwaltschaft: Interessenvertretung über die Medien und
Agenda-Setting, in: Blümel, Stephan u. a., Hg., Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention.
Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden, Gamburg 2011, 374.
207
Der Begriff umschreibt den Einfluss der Medien auf die öffentliche Themenfokussierung. McCombs und
Shaw benutzten diesen erstmals in ihren Studien zu den US-amerikanischen Präsidentschaftskampagnen
1968, Mc Combs, M.E./Shaw, D., The Agenda-Setting Function of Mass Media, in: Public Opinion
Quarterly 36, 176-187.
208
Vgl. Gusto 8/1984, 60-61.
198
- 31 -
Schon eine flüchtige Durchsicht der Gusto-Journale verdeutlicht, dass die Thematisierung
von Genuss und Vernunft beim Essen ständige Begleiterin war.209 In einer Umfrage zu
den Inhalten der Botschaften des kulinarischen Journalismus aus dem Jahr 1993 meinten
die befragten Food-Journalistinnen und -Journalisten in Hinblick auf die Diskrepanz von
Genuss und gesundheitsorientierter Vernunft, dass beides in ihren Darstellungen von
Essen und Trinken gleich wichtig sei.210
Das zunächst vom Wiener Alpenverlag, später vom Verlag Orac, einem im
Gesundheitsjournalismus höchst aktiven Verlag211, und schließlich im Jahr 2001 von der
Verlagsgruppe
ews212 herausgegebene Heft erfreute sich immer größerer Beliebtheit,
vor allem unter weiblichen Leserinnen im Alter von 20 bis 59, welche 2006 die
bedeutendste Zielgruppe des Magazins darstellten.213 Lasen im Jahr 1990 268.000
kulinarisch Interessierte das Magazin214, so waren es zur Mitte der 1990er Jahre bereits
437.000215 und im Jahr 2000 705.000 Leserinnen und Leser.216 Diese bedeutende
Reichweite und die bereits eingangs erwähnte Tatsache, dass von den Leserinnen und
Lesern Themen zur gesunden Lebensweise noch vor Themen zu Mode und Urlaub
bevorzugt wurden,217 macht die Zeitschrift zu einer hervorragenden kulturellen Trägerin
und Akteurin von Diskursen.
209
Vgl. Gusto 4/1990, 3; Gusto 12/1991, 3; Gusto 6/1992, 3; Gusto 2/1995, 5; Gusto 12/1996, 92-93.
Vgl. Bayer 1993, 112.
211
Der Verlag bewarb eine Vielzahl an Büchern und Ratgebern zum Thema Gesundheit und Schlankheit im
Gusto-Journal der 1980er Jahre. Vgl. Gusto 9/1985, 49; Gusto 2/1986, 16; Gusto 3/1987, 16; Gusto 1/1988,
36.
212
Vgl. Gusto 5/2001, 98.
213
Vgl. Gusto-Mediadaten, http://www.gusto.at/prod/720/pdf/Mediadaten.pdf (10.12.2013).
214
Vgl. Gusto 10/1990, 3; siehe Daten zu den Leserinnen- und Leserzahlen des Gusto-Journals in
Diplomarbeit Philip Vrana, vgl. Vrana, Philip, Diskurse kulturräumlicher Identität in der österreichischen
Nahrungsmittelwerbung seit den 1980er Jahren, unveröffentlichte phil. Diplomarbeit, Universität Wien
2012, 36.
215
Vgl. Gusto 4/1995, 4.
216
Vgl. Gusto 5/2000, 4.
217
Vgl. Gusto-Mediadaten, http://www.gusto.at/prod/720/pdf/Mediadaten.pdf (10.12.2013).
210
- 32 -
4. Methode
Texte in kulinarischen Zeitschriften werden nach strukturellen Regelmäßigkeiten
gestaltet. Meist liegen eine bestimmte Heftdramaturgie, ein Seitenplan, eine
Unterscheidung in Standard- und Aufmacherseiten und Besonderheiten der Darstellungsformen zugrunde.218 So wie in Werbungen219 beschränken sich jedoch die Möglichkeiten
der Repräsentation – der Sinnkonstituierung über Zeichen220 – auf die Sprache und die
Bilder. Gemeinsam ist den Zeichen beider Systeme, dass sie in Texten vorzufinden sind
und somit Teil von Diskursen – von symbolischen Ordnungen – sind, die in der
Diskurstheorie Michel Foucaults das Sprechen und Handeln von Subjekten einer Kultur
maßgeblich determinieren.221 Von großem Interesse äußert sich hierbei die Tatsache, dass
eine Aussage – „die Fülle der Ereignisse im Raum des Diskurses im allgemeinen“222 – zu
einem bestimmten Zeitpunkt und an einem Ort existiert und somit deren Positivität
gegeben ist.223 Aussagen organisieren sich in Diskursen nach Formationsregeln, die
soziale und institutionelle Zusammenhänge, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten
sprechender Subjekte, Kohärenzen und Brüche beinhalten.224 In der gegenwärtigen Arbeit
zu Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein im kulinarischen Journalismus wird
dieser Erkenntnis Rechnung getragen und nicht lediglich der Text als Gesamtentwurf von
verbalen
und
visuellen
Zeichen
analysiert,
sondern
der
Produktions-
und
Interpretationszusammenhang, der mediale, der situative als auch der weitere politische,
gesellschaftliche und wirtschaftliche Kontext herangezogen.225 Dabei wird einem
Diskursbegriff Rechnung getragen, der nicht primär auf die Sprache als Objekt abzielt,
sondern auf ein Diskursverständnis als Praxis verweist.226
Von primärem Interesse für die historische Forschung äußern sich das Auftauchen227 und
das Verschwinden von Aussagen in Diskursen. Um jedoch die Beschaffenheit von
218
Vgl. Menhard/Treede 2004, 96-115.
Siehe diesbezüglich Diplomarbeit Philip Vrana, vgl. Vrana 2012, 24.
220
Vgl. Hall, Stuart, The Work of Representation, in: Hall, Stuart, Hg., Representation. Cultural
Representations and Signifying Practices, London 1997, 24-26.
221
Vgl. Landwehr, Achim, Geschichte des Sagbaren. Einführung in die historische Diskursanalyse,
Tübingen 2001, 77; zur Frage der Autonomie des Subjektes ist anzumerken, dass sich an den Nahtstellen
der Diskurse individuelle Positionierungsmöglichkeiten ergeben, vgl. Landwehr 2001, 99.
222
Foucault, Michel, Archäologie des Wissens, 8. Auflage, Frankfurt am Main 1997, 41.
223
Vgl. Landwehr 2001, 80.
224
Vgl. Landwehr 2001, 78-79.
225
Vgl. Landwehr 2001, 103f.
226
Vgl. Landwehr 2001, 78; vgl. Fairclough, Norman, Discourse and Social Change,
Cambridge/Oxford/Malden 1992, 63.
227
Vgl. Landwehr 2001, 98.
219
- 33 -
Aussagen zu gewissen Zeitpunkten näher zu bestimmen, bedarf es zunächst einer
synchronen Aussagenanalyse. Informierende und ratgebende Artikel werden somit nach
funktionalen Gesichtspunkten der verbalen und visuellen Kodes zu einem Zeitpunkt und
daraufhin im Zeitverlauf untersucht. Von Bedeutung äußern sich diesbezüglich das
Vorkommen, die Beschaffenheit als auch die Veränderung intertextueller und interdiskursiver Bezüge228, die auf die Art und Weise, wie über Ernährung, Gesundheit und
Körperbewusstsein berichtet und gedacht wurde, Rückschlüsse zulassen. Im Folgenden
wird eine an den Gegenstand der kulinarischen Zeitschrift ausgerichtete methodische
Herangehensweise erläutert.
4.1. Methodische Vorgehensweise
Nach Achim Landwehr beinhaltet eine angemessene Analyse von historischen Diskursen
eine Übernahme eines sprachwissenschaftlichen Instrumentariums für die Analyse.229 Die
Funktionale Grammatik Michael Hallidays, mit ihrem Ziel, Sprache in ihren Funktionen
und Verwendungszusammenhängen in einem umfangreichen sprachwissenschaftlichen
Modell zu beschreiben,230 bietet sowohl den theoretischen als auch den praktischen
Hintergrund für die Umsetzung einer Diskursanalyse.
Halliday geht in seiner Grammatik von der Grundannahme aus, dass sich sprachliche
Bedeutungen nach verschiedenen funktionalen Gesichtspunkten realisieren. Die
ideationelle
Metafunktion
betrifft
die
Erfahrung
über
die
Welt
und
deren
Zusammenhänge, während sich die interpersonelle Metafunktion auf den Handlungscharakter und somit auf die interaktionale Wirkung von Sprache bezieht. Die
Organisation und Ordnung, welche die sprachliche Äußerung zu einer Botschaft werden
lassen, bietet schließlich die textuelle Metafunktion.231 Bedeutend erweisen sich die drei
metafunktionalen Gesichtspunkte vor allem in der Feinanalyse der Makro- und Mikrostrukturen der Texte.
In der Durchführung der Analyse des verbalen Kodes werden Analyseaspekte aus der
Funktionalen Grammatik Hallidays als auch die kritische Diskursanalyse von Norman
Fairclough herangezogen und in die historische Diskursanalyse integriert. Zur Analyse
228
Vgl. Fairclough 1992, 101-106.
Landwehr 2001, 105.
230
Halliday, Michael A.K., An Introduction to Functional Grammar, 2. Auflage,
London/Melbourne/Auckland 1994, xiii.
231
Vgl. Halliday 1994, xiii; vgl. Smirnova, Elena/Mortelsmans, Tanja, Funktionale Grammatik. Konzepte
Theorien, Berlin/New York 2010, 67-68.
229
- 34 -
des visuellen Kodes wird die Analysemethode von Gunther Kress und Theo Van
Leeuwen232 dienen. In einem ersten grobanalytischen Schritt gilt es jedoch zunächst die
Korpusbildung durchzuführen und die Rahmenbedingungen der diskursiven Praxis233 –
den unmittelbaren Kontext – zu eruieren. Schließlich soll in Zusammenschau mit den
makro- und mikrostrukturellen Eigentümlichkeiten und den sozialen, politischen und
wirtschaftlichen Kontexten der Beschaffenheit des Diskurses nachgegangen werden.
4.1.1. Korpusbildung
Die Korpusbildung234 wird entsprechend der Fragestellungen und nach Durchsicht der
230 Gusto-Journale anhand der vorgefundenen Aspekte durchgeführt. Der Korpus wird in
etwa 40 Texte umfassen. Erfasst werden sprachliche und bildliche Muster und deren
synchrone Häufigkeit. In dieser Hinsicht ergibt sich auch ein erster Überblick über
diachrone Veränderungen der vorkommenden Zeichen und somit der Beschaffenheit der
Aussagen zum Thema.235
4.1.2. Kontextualisierung
Die Kontextualisierung236 beinhaltet Fragen nach dem situativen, medialen und
institutionellen Kontext. Eruiert werden die Verfasserschaft und Leserschaft und deren
gesellschaftlicher und wenn möglich individueller Hintergrund.237 Hilfreich sind
diesbezüglich die Medienanalysen zum Gusto-Journal und Hinweise im Journal, die aus
dem Editorial, den Leserbriefen und biographischen Informationen zu den Autoren und
der Redaktion hervorgehen. Des Weiteren wird auch nach der Platzierung der Artikel im
Magazin und nach thematisch zusammenhängenden Aspekten im Heft gefragt sowie auf
Eigentümlichkeiten und Auffälligkeiten der Medienform238, der Textsorte und des
Genres239 geschlossen.
232
Kress, Gunther/Van Leeuwen, Theo, Reading Images. The Grammar of Visual Design, 2. Auflage, New
York 2006.
233
Vgl. Fairclough 1992, 78.
234
Vgl. Landwehr 2001, 106; vgl. Vrana 2012, 26.
235
Siehe Aspekt der synchronen Häufigkeit und diachronen Reihung nach Landwehr, vgl. Landwehr 2001,
106.
236
Vgl. Landwehr 2001, 107; vgl. Vrana 2012, 27.
237
Vgl. Landwehr 2001, 109.
238
Vgl. Landwehr 2001, 110.
239
Vgl. Fairclough 1992, 126.
- 35 -
4.1.3. Die Beschaffenheit der Aussage
Die detaillierte Analyse der Aussagen, die als Feinanalyse von sieben informierenden und
ratgebenden Artikeln durchgeführt wird, erfolgt zunächst in makrostruktureller und
schließlich in mikrostruktureller Hinsicht. Die Analyse der Makrostruktur wird in
Hinblick auf das narrative Muster des Gesamt-Kommunikats durchgeführt. Festgestellt
wird zuallererst das Thema des Textes.240 Danach erfolgen die Fragen nach der Textur
und Erscheinungsform des verbalen Textes, nach der verwendeten Typographie241 als
auch bereits nach der Gliederung. Üblicherweise gliedern sich Zeitschriften-Kommentare
in These, Argumentation und Fazit.242 Die These lässt die Zusammenhänge, in denen das
Thema auftaucht, erkennen, während die Argumentation, als Begründung der These,
konkret angeführte Ursachenzusammenhänge beinhaltet. Mit dem Fazit erfolgen zumeist
anvisierte Schlussbemerkungen und Lösungsvorschläge.
Sofern Bildelemente in der Textgestaltung vorkommen, wird die Makrostruktur auch auf
den verbal-visuellen Zusammenhang hin untersucht.243 Dies erfolgt anhand der KreativMethoden der Visualisierung nach Werner Gaede.244 Es ergeben sich folgende
Kategorien:
Tabelle 1: Kreativ-Methoden der Visualisierung245
Ähnlichkeit oder Visuelle Analogie
Verbale Bedeutung weist Ähnlichkeit zu visueller Bedeutung auf.
Beweis oder Visuelle Argumentation
Verbale Behauptung wird durch visuelles Zeichen bewiesen.
Gedanken-Verknüpfung oder Visuelle Assoziation
Verbale Bedeutung geht mit visueller Bedeutung eine gedankliche Verbindung ein.
Teil-für-Ganzes oder Visuelle Synekdoche
Verbale Bedeutung wird teilweise visualisiert.
Grund-Folge oder Visuelle Kausal-/Instrumental-Relation
Verbale Bedeutung steht in Grund-Folge-Beziehung zu visueller Bedeutung.
Wiederholung oder Visuelle Repetition
Verbale Bedeutung wird durch visuelle Bedeutung wiederholt.
Steigerung oder Visuelle Gradation
Verbale Bedeutung wird durch visuelle Zeichen verstärkt und gesteigert.
240
Vgl. Landwehr 2001, 113-114.
Vgl. Landwehr 2001, 128.
242
Vgl. Menhard/Treede 2004, 141.
243
Vgl. Siehe Herangehensweise in Diplomarbeit Philip Vrana, vgl. Vrana 2012, 28-29.
244
Gaede, Werner, Vom Wort zum Bild. Kreativ-Methoden der Visualisierung, 2. Auflage, München 1992,
56-59.
245
Vgl. Gaede 1992, 56-59.
241
- 36 -
Hinzufügung oder Visuelle Addition
Verbale Bedeutung wird durch visuelle Bedeutung ergänzt und ergibt Gesamt-Aussage.
Bedeutungs-Bestimmung oder Visuelle Determination
Verbale Bedeutung wird durch visuelles Zeichen näher bestimmt.
Verkoppelung oder Visuelle Konnexion
Visuelle Bedeutung wird durch visuelle Verbindung mit anderen Zeichen verkoppelt.
Verfremdung oder Visuelle orm-Abweichung
Verbale Bedeutung wird visualisiert und ergibt unerwartete Gesamt-Bedeutung.
Symbolisierung oder Visuelle Symbolisierung
Symbol visualisiert verbale Bedeutung.
Die Mikrostruktur der Texte wird gesondert nach den textuellen, ideationellen und
interpersonellen Metafunktionen auf Satz-, Phrase- und Wortebene analysiert. Dabei wird
sowohl auf die textuelle Gestaltung der Botschaftsübermittlung, die ideationelle
Darstellung der verbal geäußerten Ansichten und Zusammenhänge zum Thema, den
interpersonellen Handlungscharakter der Texte246 und gegebenenfalls auch auf den
visuellen Kode – vor allem auf dessen interpersonelles bildliches Potential – eingegangen.
Es ergeben sich für die Sprache auf Satzebene und Ebene der Text-Kohäsion folgende
Gesichtspunkte in der Analyse:
Tabelle 2: Analyse der Sprache nach funktionalen Kriterien auf Satzebene
Textuelle Metafunktion auf Satzebene und Ebene der Text-Kohäsion:
•
Die Botschaftsübermittlung – Thema/Rhema247
Analyseaspekt: Das thematisch Vordergründige (Thema) und das thematisch Nebensächliche
(Rhema) einer Nachricht
Ideationelle Metafunktion auf Satzebene und Ebene der Text-Kohäsion:
246
247
Vgl. Landwehr 2001, 117.
Vgl. Halliday 1994, 38; vgl. Fairclough 1992, 183-185.
- 37 -
•
System der Transitivität
248
Materielle Prozesse249: Ausdruck von Handeln und Geschehen
Transaktionale Prozesse im Satz: Prozess stellt Handlung mit Zielsetzung dar
Nicht-transaktionale Prozesse im Satz: Prozess stellt Handlung ohne Ziel dar
Mentale Prozesse250: Ausdruck des Denkens und Fühlens
Darstellung von Gedanken, Wahrnehmungen und Gefühlen im Satz
Relationale und Existentielle Prozesse251: Ausdruck von Zuständen und Besitz
Attributive relationale Prozesse252 im Satz: Prozess stellt Teil-Klasse-Relation dar
Identifizierende relationale Prozesse253 im Satz: Prozess dient der Bestimmung der Identität
Relationale Prozesse des Umstandes254 im Satz: Prozess stellt Umstand dar
Relationale Prozesse des Besitzes255 im Satz: Prozess stellt Besitz dar
Existentielle Prozesse256 im Satz: Prozess stellt Existenz und Existierendes dar
Grad der ominalisierung257
Zustände statt Prozesse, Abstraktion statt Konkretisierung
Verwendung des Passivs258
Handelnder oder passiv Handelnder in Präpositionalphrase259
Analyseaspekt: Die Darstellung des Themas anhand der Prozesse und der diesbezüglichen
Rollen, die Partizipierende in Bezug auf das Thema einnehmen; Frage nach der
Unterbindung des ideationellen Handlungscharakters durch Nominalisierung oder
Passivierung260
•
Funktionale Verbindungen zwischen den Satzteilen261
Die Darstellung des Themas mittels Ausweitung von Satzinhalten in weiteren Satzgefügen
in Form der Elaboration262, Extension263 und qualitativen Steigerung der Bedeutung264
Analyseaspekt: Auswirkungen der textuellen Gestaltung auf die ideationelle Darstellung des
Themas
•
Modalität265
Indikativ – Ausdruck von Gegebenem, Realem und Gültigem266
Konjunktiv (v. a. zweiter Konjunktiv) – Ausdruck von Möglichkeit und Unmöglichkeit267
Inferentieller Gebrauch von Modalverben – Ausdruck von Möglichkeit268
Form: Modalverb und Infinitiv
Analyseaspekt: Die Affinität zur Realität in den Repräsentationen zum Thema269
248
Vgl. Halliday 1994, 106-144; siehe Herangehensweise zur verbalen Textanalyse in Diplomarbeit Philip
Vrana, vgl. Vrana 2012, 31.
249
Vgl. Halliday 1994, 109-112.
250
Vgl. Halliday 1994, 112-119.
251
Vgl. Halliday 1994, 119-138 u. 142-144.
252
Vgl. Halliday 1994, 120-122.
253
Vgl. Halliday 1994, 122-124.
254
Vgl. Halliday 1994, 130-135.
255
Vgl. Halliday 1994, 130-135.
- 38 -
Interpersonelle Metafunktion auf Satzebene und Ebene der Text-Kohäsion:
•
Formen der grundsätzlichen Interaktion auf Satzebene270
Angebot (Offer) von Informationen als Aussage
Forderung (Demand) nach Informationen als Frage
Angebot (Offer) von Handlungen/Diensten/Materiellem als Offerte
Forderung (Demand) nach Handlungen/Diensten/Materiellem als Anweisung
Analyseaspekt: Mögliche intendierte Wirkungen (Force271) des Gesagten auf die
Rezipierenden; darüber hinausgehend auch die Frage nach dem Überzeugungspotential,
dem Handlungsanweisungscharakter, der Höflichkeit und dem Ethos272 – dem sozialen,
institutionellen und professionellen Sprecherselbstverständnis273 – im Zusammenhang
mit dem Thema
•
Modalität
Verwendung des Imperativs und anderer Formen der Aufforderung274
Form: Verbalform 2. Person Sg. u. Pl.275, ,man‘ u. erster Konjunktiv („man hole“)276,
Modalverb und Infinitiv („Ihr sollt gehen“)277, elliptisch gebrauchte Nomina
(„Achtung!“)278, modaler Infinitiv279 etc.
Nicht-inferentieller Gebrauch von Modalverben als Obligation zum Handeln280
Form: „will“, „mag“, „möchte“, „muss“, „kann“, „darf“, „soll“ etc.
Analyseaspekt: Offenlegung des Handlungsanweisungsgrades des Gesagten zum Thema
•
Sprecher-Selbstverortung in der Präsentation des Themas
Verwendung des Konjunktivs
Analyseaspekt: Ausdruck von Nähe und Distanz, Distanzierung zur fremden und eigenen
Stellungnahme als Ausdruck von Autorität und Professionalität und Reflexion – vor allem
mittels des ersten Konjunktivs281
Verwendung des Passivs
Analyseaspekt: Grad der Betonung der Allgemeingültigkeit des Gesagten282, Grad der
Ablenkung von handelnden Person283
256
Vgl. Halliday 1994, 142-144.
Vgl. Fairclough 1992, 179.
258
Vgl. Fairclough 1992, 178.
259
Vgl. Fairclough 1992, 181-182.
260
Vgl. Fairclough 1992, 182.
261
Vgl. Halliday 1994, 215-273; Fairclough 1992, 175-176.
262
Vgl. Halliday 1994, 225.
263
Vgl. Halliday 1994, 230.
264
Vgl. Halliday 1994, 232.
265
Vgl. Jung, Walter, Grammatik der deutschen Sprache, 10. Auflage, Mannheim/Leipzig 1990, 224-236.
266
Vgl. Jung 1990, 225.
267
Vgl. Eisenberg, Peter, Grundriss der deutschen Grammatik. Band 2: Der Satz, 3. Auflage,
Stuttgart/Weimar 2006, 114 u. 117.
268
Vgl. Eisenberg 2006, 93; Fairclough 1992, 159.
269
Vgl.Fairclough 1992, 236
270
Vgl. Halliday 1994, 68-71; vgl. Vrana 2012, 31-32.
271
Fairclough 1992, 75 u. 82.
272
Fairclough 1992, 166.
273
Vgl. Fairclough, 166-167.
274
Vgl. Jung 1990, 235.
275
Vgl. Jung 1990, 234.
257
- 39 -
Für die Sprache auf Wortebene und Ebene der Phrase ergeben sich folgende Gesichtspunkte in der Analyse:
Tabelle 3: Analyse der Sprache nach funktionalen Kriterien auf Wortebene
Ideationelle Metafunktion auf Wortebene und Ebene der Phrase:
•
•
•
•
•
Vorkommen von Kollektivsymbolen284 und Metaphern285 in der Darstellung des Themas
Vorkommen von Wortfamilien und Synonymen286 in der Darstellung des Themas
Vorkommen von Antonymen287 in der Darstellung des Themas
Vorkommen von Wortwiederholungen288 in der Darstellung des Themas
Vorkommen von experientellen Epitheta289 mit beschreibenden Adjektiven
Analyseaspekt: Die Positivität von Bedeutungen und der Wandel von Bedeutungen, die auf
Aussagenveränderungen in Diskursen schließen lassen
Interpersonelle Metafunktion auf Wortebene und Ebene der Phrase:
•
Vorkommen von Modaladverbien290/modalen Adjunkten291/Substantiv- und
Präpositionalgruppen292
Ausdruck von Polarität, Vermutung und Zweifel, Üblichkeit, Bereitschaft, Obligation,
Zeitlichkeit, Spezifizierung, Deutlichkeit, Bekräftigung und Grad
•
Vorkommen von evaluativen Epitheta293 mit beurteilenden und emotionalisierenden Adjektiven
•
Vorkommen von sprachlichen Hecken294
Analyseaspekt: Emotionalisierung, Beurteilung und Bewertung in Bezug auf das Thema
Da im Korpus fotografische Darstellungen der Autoren und Autorinnen schon vorweg auf
ein großes interpersonelles Potential schließen lassen, wird in der Analyse der Mikrostruktur vor allem der interpersonelle Charakter der bildlichen Darstellung eruiert. Es
ergeben sich folgende Analyseaspekte:
276
Vgl. Jung 1990, 235.
Vgl. Jung 1990, 235.
278
Vgl. Jung 1990, 235.
279
Vgl. Eisenberg 2006, 131.
280
Vgl. Eisenberg 2006, 94 u. 97.
281
Vgl. Jung 1990, 227.
282
Vgl. Jung 1990, 222.
283
Vgl. Eisenberg 2006, 129; Jung 1990, 222-223.
284
Vgl. Jäger, Siegfried, Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung, 4. Auflage, Münster 2004, 133.
285
In der Analyse wird herangezogen: Lakoff, George/Johnson, Mark, Leben in Metaphern. Konstruktion
und Gebrauch von Sprachbildern, 3. Auflage, Heidelberg 2003.
286
Vgl. Landwehr 2001, 127.
287
Vgl. Landwehr 2001, 127.
288
Vgl. Landwehr 2001, 124-125.
289
Vgl. Halliday 1994, 184; vgl. Vrana 2012, 31.
290
Vgl. Fairclough 1992, 159; Eisenberg 2006, 93; Jung 1990, 320.
291
Vgl. Halliday 1994, 82-84.
292
Vgl. Jung 1990, 321.
293
Vgl. Halliday 1994, 184; vgl. Vrana 2012, 31.
294
Vgl. Fairclough 1992, 159.
277
- 40 -
Tabelle 4: Analyse von Bildelementen nach funktionalen Kriterien
Interpersonelle Metafunktion auf Ebene des Bildes295:
•
Visuelles demand296
Im Bild setzt Person durch Blick Erwartungen in Rezipierende
•
Visuelles offer297
Im Bild setzt sich Person oder Gegenstand den Blicken Rezipierender aus
•
Darstellungsgröße298
Große Darstellungen vermitteln Gefühl sozialer Nähe
Kleine Darstellungen vermitteln Gefühl sozialer Distanz
•
Horizontale und vertikale Winkelperspektive299
Frontalperspektive vermittelt soziales Involviert sein
Schrägwinkelperspektive vermittelt soziale Distanz
Flachwinkelperspektive vermittelt Macht der Dargestellten über Rezipierende
Steilwinkelperspektive vermittelt Macht der Rezipierenden über Dargestellte
•
Grad der Modalität300
Frage nach real und unreal wirkender Darstellung
4.1.4. Die Gestalt des Diskurses
Die Verortung der Aussagen des Diskurses – der Stränge und Fragmente301 – vollzieht
sich als Zusammenschau der vorgefundenen funktionalen- und inhaltlichen Aspekte. Als
bedeutsam erweisen sich dabei weitere im Gusto-Journal vorkommende Hinweise aus
dem Editorial, aus Leserbriefen und Produktvorstellungen als auch der zu Grunde
liegende gesellschaftliche und wirtschaftliche Kontext.
295
Siehe Herangehensweise in Diplomarbeit Philip Vrana, vgl. Vrana 2012, 33.
Vgl. Kress/Van Leeuwen 2006, 116-118; vgl. Vrana 2012, 33.
297
Vgl. Kress/Van Leeuwen 2006, 119-120; vgl. Vrana 2012, 33.
298
Vgl. Kress/Van Leeuwen 2006, 124-129.
299
Vgl. Kress/Van Leeuwen 2006, 136 u. 140; vgl. Vrana 2012, 33.
300
Vgl. Kress/Van Leeuwen 2006, 160-163; vgl. Vrana 2012, 33.
301
Vgl. Jäger 2004, 158-163.
296
- 41 -
5. Analyse
Der Korpus umfasst 40 Texte aus 230 Monatsausgaben des Gusto-Journals, die seit 1983
im Magazin erschienen und wie bereits angesprochen als ratgebende und informierende
Texte zum Thema Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein veröffentlicht wurden.
Die Auswahl erfolgte nach thematischen und strukturellen Gesichtspunkten. Thematische
Aspekte betrafen besondere gesundheitsrelevante Ernährungshinweise, Kostformen und
vorgeschlagene Schlankheitskuren und Diäten. Gemeinsam ist den Texten des Korpus in
struktureller Hinsicht, dass sie beinahe durchwegs eine theoretische Darlegung der
Vorteile der anvisierten Ernährungsformen, Kuren- und Diäten boten als auch praktische
Hinweise und Rezepte beinhalteten. Dabei ließen sich in der Grobanalyse vorweg
grundsätzliche Tendenzen erkennen, die auf Veränderungen betreffend Handlungsanweisungscharakter, Aufforderungspotential und Selbstinitiative zur Umsetzung von
Gesundheits- und Schlankheitsvorstellungen hinweisen. Wie sich die thematischen und
strukturellen Eigentümlichkeiten im Wechselspiel mit den redaktions- und zeitschriftenspezifischen als auch den weiteren kulturellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen veränderten, wird in den folgenden sieben Feinanalysen eingehend
Gegenstand der Analyse sein.
5.1. Gesund, fit und schlank: Die Entstehung des Diskurses in den 1980er
Jahren
Anhand der folgenden fünf Feinanalysen wurde zunächst die Beschaffenheit der
Aussagen zum Thema in den frühen 1980er Jahren eruiert und auf Veränderungen bis
zum Ende des Jahrzehnts eingegangen, die einem zusammenhängenden Verständnis von
Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein in den 1990er Jahren vorausgingen.
- 42 -
5.1.1. Fit und schlank im Arbeitsalltag (1984)
Abbildung 2: Kommentar „Die richtige Ernährung für den Büromenschen“302
302
Quelle: Gusto 10/1984, 61.
- 43 -
Situativer und medialer Kontext
Den im Oktober 1984 erschienenen Kommentar verfasste die Diät-Assistentin Edith
Mayer, die gemäß den Angaben des Impressums als Mitglied der Redaktion aufschien
und für die Rubrik Diätredaktion zuständig war.303 Die Rubrik, die von 1983 bis 1985 im
Gusto-Journal ihren festen Platz hatte, befand sich stets im letzten Drittel des Heftes und
zeichnete sich zumindest im vorliegenden Beitrag durch eine schlichte Gestaltung und
durch eine relativ inkohärente heftdramaturgische Einbettung aus. In den ersten beiden
Jahren des Journals forderte der Chefredakteur Heinrich Camondo des Öfteren die
Leserschaft dazu auf, Gusto Rückmeldung über die Heft-Inhalte zu geben. Im November
1983 lag ein Fragebogen dem Heft bei und ab August 1984 wurde der GustoLeserbriefkasten eingeführt.304
Makrostruktur-Analyse
Der Kommentar behandelt eine für den Büromenschen adäquate Ernährung, die anhand
der vorgefundenen Thesen Leistungsfähigkeit, Schlankheit und Einzelaspekte von
Gesundheit anvisiert (siehe Tabelle 5). Der Gesamttext umfasst vier Spalten, einen
Kommentar-Teil links und einen Ernährungsvorschlag rechts. Es handelt sich um eine
schlichte Textgestaltung ohne Bildelemente. Die Rubrikbenennung „Diätredaktion“ wird
mittig in Blockbuchstaben hervorgehoben. Damit hebt sich der Text von den anderen im
Heft ab und ein professioneller Kontext wird hergestellt. Auffallend sind die grünen
Balken als trennende Elemente im Ernährungsvorschlag rechts. Diese dienen der
eindeutigen Trennung und somit Akzentuierung der angegebenen Tageszeiten im
Ernährungsvorschlag. Es ist von folgender Gliederung des verbalen Textes auszugehen:
Tabelle 5: Die richtige Ernährung für den Büromenschen 10/1984, Gliederung des verbalen Textes
Überschrift
Lead-In
„Die richtige Ernährung für den Büromenschen“
„Wer seine Tage am Schreibtisch verbringt, braucht eine ganz besondere Ernährung“
Hauptthese
„‚Der Mensch ist, was er ißt‘, dieser Ausspruch wird sehr oft unbeherzigt belassen.
Obwohl heute jeder weiß, daß eine vollwertige und richtig zusammengesetzte
Ernährungsweise nicht nur Gesundheit sondern auch Leistungsfähigkeit und
Konzentrationsfähigkeit beeinflußt. Wer den ganzen Tag hinter dem Schreibtisch
verbringt und kaum körperliche Arbeit leistet, wird sich anders ernähren müssen, als
jene, die überwiegend körperliche Tätigkeit vollbringen.“
Begründung
Hauptthese
„Geistige Arbeit verbraucht keine zusätzliche Energie. Trotzdem führt Unter- oder
Fehlernährung zu Störungen der Gehirnfunkton.“
303
304
Vgl. Gusto 10/1984, 3.
Vgl. Gusto 8/1984, 62.
- 44 -
Fazit
Hauptthese
„Worauf kommt es an? Die Kost des Büromenschen sollte kalorienarm, eiweißreich
und reich an Vitaminen und Mineralstoffen sein. Das bedeutet: wenig Süßigkeiten,
wenig Fett, mäßig Brot, Knödel, Nudeln und Kartoffeln, dafür aber Milch, mageres
Fleisch, Fisch, Gemüse und Obst. Empfohlen werden für die Frau durchschnittlich
2000 Kalorien pro Tag, für den Mann 2400 Kalorien.“
Unterthese 1
„Diese sollten auf fünf Mahlzeiten aufgeteilt werden.“
Begründung
Unterthese 1
„Warum drei Haupt- und zwei Zwischenmahlzeiten?, werden Sie sich fragen. Dies
hat zwei wesentliche Gründe: zum Ersten wird dadurch unser Organismus
gleichmäßig belastet, man vermeidet Völlegefühl, das wieder zu Müdigkeit führt.
Zum Zweiten gibt es in unserem Tagesrhythmus Leistungshochs und Leistungstiefs.“
Fazit
Unterthese 1
„Die Aufteilung der Nahrung auf fünf Mahlzeiten hilft, die Leistungskurve relativ
konstant zu halten.“
Fazit
Unterthese 2-3
„Süßigkeiten, Bonbons, zukkerhältige (sic!) Erfrischungsgetränke möglichst aus der
Kost ausschalten,“
Unterthese 2
„sie schaden nicht nur der Figur“
Unterthese 3
„sondern auch den Zähnen.“
Begründung
Unterthese 2
„Sie wissen ja, 1/8 l Wein oder eine Semmel zusätzlich pro Tag konsumiert bringt
eine Gewichtszunahme von 3 kg pro Jahr, was in fünf Jahren höchst ungesunde 15 kg
ergibt.“
Schlussfazit
„Noch eines ist gerade für den Arbeitenden wichtig. Regelmäßige, sportliche
Betätigung, wenn möglich an frischer Luft.“
Apostrophe
„Edith Mayer“
Mikrostruktur-Analyse
In der Überschrift und im Lead-in ist von „richtiger“ und „besonderer Ernährung“ die
Rede. Diese interpersonell wertenden Epitheta initiieren den primären thematisierten
Problemkreis, den Zusammenhang von Ernährung und Leistungsfähigkeit. Es findet sich
als Thema und somit Ausgangspunkt der Nachricht die koordinierende zusammengesetzte
Konjugation „nicht nur … sondern auch“ (siehe Tabelle 6), welche Leistungsfähigkeit
und Ernährung insofern hervorhebt, indem nicht lediglich Gesundheit und Ernährung,
sondern auch der Leistungszusammenhang in den Fokus gerückt wird.305
Tabelle 6: Die richtige Ernährung für den Büromenschen 10/1984, Übermittlung der Botschaft
Thema
Rhema
„nicht nur“
„Gesundheit“
„sondern auch“
„Leistungsfähigkeit und Konzentrationsfähigkeit beeinflußt.“
„Das bedeutet:“
„Wenig Süßigkeiten, weniger Fett, mäßig Brot, Knödel,
Nudeln, Kartoffeln,“
„dafür aber“
„Milch, mageres Fleisch, Fisch, Gemüse und Obst.“
305
Mit der Konjunktion „nicht nur … sondern auch“ erfolgt die thematische Fokussierung durch Nennung
der Alternative, vgl. Eisenberg 2006, 206-207.
- 45 -
„Empfohlen werden“
„für die Frau durchschnittlich 2000 Kalorien pro Tag, […].“
„Diese sollten“
„auf fünf Mahlzeiten aufgeteilt werden.“
„Süßigkeiten, Bonbons, zukkerhältige
(sic!) Erfrischungsgetränke“
„möglichst aus der Kost ausschalten […].“
In ideationeller Hinsicht taucht Leistung überdies in positiv konnotierten Zusammensetzungen wie „Leistungsfähigkeit“, „Leistungskurve“ und „Leistungshoch“ sowie als
„Leistungstief“ im Kontext der negativ konnotierten Fehlernährung auf. Fehlernährung
wird dabei in Zusammenhang mit leistungshemmenden „Störungen der Gehirnfunktion“,
„Völlegefühl“ und resultierender „Müdigkeit“ erwähnt. Zentral in ideationeller Hinsicht
äußert sich auch der Begriff „Kost“. Der zweimal im Text verwendete Begriff diente der
Konkretisierung der Zielvorstellungen einer ‚richtigen‘ – nämlich leistungsförderlichen –
Ernährung im Fazit der Hauptthese und in zweiter Instanz einer schlankheits- und
gesundheitszuträglichen Ernährung im Fazit der Unterthese 2 (siehe Tabelle 5). Für den
Büromenschen wird eine protein- und nährstoffreiche, jedoch zucker-, fett- und
kohlehydratarme Ernährung empfohlen. Zucker in Form von Süßspeisen, Getränken und
Naschereien wird als wenig zuträglich für Schlankheit und Zahngesundheit erachtet.
Gewichtszunahme wird als „höchst ungesund“ und somit interpersonell wertend in Bezug
auf die allgemeine Gesundheit beurteilt, jedoch nicht näher ausgeführt.
Ganz allgemein lässt die verwendete Sprache auf eine besonders intendierte
interpersonelle Wirkung des Gesagten306 schließen. Einleitende Redewendungen wie
„Das bedeutet:“, „dafür aber“, „Empfohlen werden“ und „Diese sollten“, die unmittelbar
auf die umzusetzende Kost verweisen, tauchen durchwegs in der Themaposition der
Botschaftsübermittlung auf (siehe Tabelle 6). Gemäß dem Aufforderungspotential des
Imperativs erfolgt die mehrmalige Verwendung des Modalverbs „soll“ im Ernährungsvorschlag rechts. Im Kommentar ergänzt der Infinitiv das Modalverb307 in „Die Kost des
Büromenschen sollte […] sein“ und in passiver Form in „Diese sollten auf fünf
Mahlzeiten aufgeteilt werden“. Der zweite Konjunktiv lässt diesbezüglich auf
professionelle Zurückhaltung und die Verwendung des Passivs auf die Betonung der
Allgemeingültigkeit der Äußerung308 schließen. Als auffordernd äußern sich auch
elliptisch gebrauchte Nominalphrasen mit Ausrufzeichen jeweils am Ende des
306
Fairclough verwendet diesbezüglich den Begriff „Force“, vgl. Fairclough 1992, 75 u. 82.
Vgl. Jung 1990, 235.
308
Vgl. Jung 1990, 222.
307
- 46 -
Ernährungsvorschlages, wie beispielsweise in „30% der Tageskalorien!“. Des Weiteren
fällt die Verwendung des Adverbs „möglichst“ und „wenn möglich“ als Superlativ des
Adjektivs „möglich“ auf. Nach Halliday handelt es sich in funktionaler Hinsicht um ein
modales Adjunkt, das Obligation bewirken soll.309 In keiner der Hinweise,
Aufforderungen und Anweisungen erfolgt eine explizite Nennung, von wem das
Handlungsziel ausgeht. Es tritt somit stets die Sprecherin und Autorin des Textes als
Wissende und Quelle der Obligation in Erscheinung.
Die Beschaffenheit der Aussage im sozialen Kontext
Die richtige und besondere Ernährung wurde als Voraussetzung physischer und geistiger
Leistungsbereitschaft
im
Büroalltag
erachtet.
Eine
berufsspezifische
als
auch
altersspezifische Kost propagierten bereits populärwissenschaftliche Ernährungsratgeber
der 1960er Jahre, wie beispielsweise Ernst Kofranyi in seiner Einführung in die
Ernährungslehre, die in späteren Auflagen auch in den 1980er Jahren Verbreitung fand.
Die konkreten Ernährungshinweise im Gusto-Kommentar stammten auch tatsächlich und
beinahe im Wortlaut aus jenem Ratgeber. Nach Kofranyi verbrauchte der geistig
Arbeitende ebenso wie der Schwerarbeiter in gleichem Ausmaß Eiweiß, Vitamine und
Mineralstoffe, jedoch weniger Kalorien in Form einer zucker-, fett- und kohlenhydratreichen Kost bestehend aus Nudeln, Brot, Knödeln und Kartoffeln.310 Die Ernährung habe
sich am Energieumsatz des Menschen und somit an dem im Alltag unterschiedlichen
Kalorienverbrauch zu orientieren, um eine optimale Leistung zu gewährleisten. Zu
Grunde lag ein fordistisch-mechanistischer Leistungsbegriff:
„Jeder von einem Ingenieur konstruierte Motor ist auf eine mittlere
durchschnittliche Leistung angelegt. Diese bewältigt er besser als größere, aber
auch kleinere Leistungen. Der Mensch ist von keinem Ingenieur konstruiert und
kein Motor. Aber auch er ist auf eine mittlere tägliche Arbeitsleistung hin angelegt
[…].“311
Im Gusto-Kommentar verweisen erstens wiederkehrende positiv und negativ konnotierte
Zusammensetzungen, wie „Leistungskurve“, „Leistungshoch“, „Leistungstief“, zweitens
die Unterteilung der genauestens angegebenen Kalorienmenge für Mann und Frau und
drittens die Aufforderung der genau einzuhaltenden Kalorienmenge der einzelnen
Tagesmahlzeiten auf ein fordistisch-mechanistisches Körperverständnis im Arbeitsalltag.
309
Vgl. Halliday 1994, 82.
Vgl. Kofranyi 1970, 202.
311
Kofranyi 1970, 200.
310
- 47 -
Die Forderung im Kommentar nach einer Reduktion von Fett und vor allem Zucker – der
sich auch in alkoholischen Getränken und Semmeln verstecke – ist vor dem Hintergrund
der Leistungserbringung im Arbeitsalltag zu sehen. Die im Österreichischen Ernährungsbericht 1982 zitierte und vom Institut für Empirische Sozialforschung (IFES) und vom
Meinungsforschungsinstitut Fessel und GfK 1979 durchgeführte Genußmittelstudie kam
zum Ergebnis, dass vor allem Selbstständige, Beamte, Angestellte und leitende
Angestellte bestimmte Lebensmittel bewusst einschränkten, während Landwirte und
Arbeiter sich „überdurchschnittlich häufig völlig gesund und fit“ fühlten.312
Das
Körpergewicht
ist
ein
weiterer im
Text
thematisierter Aspekt,
dessen
Problematisierung sich in der Angabe der detaillierten Soll-Tageskalorienmenge und der
Bedeutung des Kalorienzählens für Mann und Frau äußerte. Seit der ersten Ausgabe des
Gusto-Journals im Mai 1983 fanden sich Kilokalorien- beziehungsweise KilojouleAngaben bei den veröffentlichten Rezepten. Die Schlankheit war somit stets Thema im
Heft und die Gewichtszunahme wurde dabei als Bilanzproblem erachtet, der man neben
der ‚richtigen Ernährung‘ auch mit Sport beizukommen hatte. Auf die Gewichtszunahme
als österreichweites Problem verwies der Österreichische Ernährungsbericht bereits
1982, indem laut Ernährungsbilanz 1980/81 festgestellt wurde, dass mit 3.230 kcal „der
Energiebedarf der österreichischen Bevölkerung […] reichlich gedeckt“ sei.313
Die Hinweise zur Zuckerreduktion betrafen neben der Leistungssteigerung im Alltag auch
den Problemkreis der Gewichtszunahme. Der Zusammenhang von Zuckerkonsum und
Übergewicht wurde dabei im Gusto-Journal insofern hergestellt, indem – wie auch im
Ernährungsratgebern der DGE314 – zuckerhaltige Nahrungsmittel als Träger leerer
Kalorien erachtet wurden. Der Fokus auf die Rolle von Süßspeisen in der
Übergewichtsentstehung
spiegelte
die
Selbsteinschätzung
von
übergewichtigen
Österreicherinnen und Österreichern in Hinblick auf die Ursachenverortung des
Übergewichtes – nämlich den Verzehr von süßen Mehlspeisen und süßen Nachtisch –
wider, wie dies der Österreichische Ernährungsbericht 1982 mit Bezug auf die 1979
durchgeführte Genußmittelstudie vom Institut für Empirische Sozialforschung (IFES) und
vom Meinungsforschungsinstitut Fessel feststellte.315
312
BMFGU, Österreichischer Ernährungsbericht 1982, 106-110.
BMFGU, Österreichischer Ernährungsbericht 1982, 34.
314
Vgl. DGE, Ernährungsratgeber 1972, 172.
315
Vgl. BMFGU, Österreichischer Ernährungsbericht 1982, 112-113.
313
- 48 -
Die Verwendung des Epithets „höchst ungesunde 15 kg“ rückte überdies die Gewichtszunahme in den unmittelbaren Gesundheitszusammenhang. Näher erläutert wurde dieser
jedoch nicht. Eingegangen wurde lediglich auf Einzelaspekte von Ernährung und
Gesundheit, wie etwa auf die Auswirkungen von Zuckerkonsum auf die Zahngesundheit.
Aus diskursanalytischer Sicht von großer Bedeutung erweist sich das interpersonelle
Potential des Dargestellten. Die Diät-Assistentin Edith Mayer setzte die Handlungsziele
für die Umsetzung einer leistungs- und schlankheitsorientierten Ernährung. Die hohe
Glaubwürdigkeit ergab sich dabei erstens aus dem professionellen Rahmen der eigens
dafür gestalteten „Diätredaktion“, die von der Einführungsphase des Heftes 1983 bis
Februar 1985 in gleicher Form beibehalten wurde. Zweitens entstand das Überzeugungspotential des Gesagten durch einleitende Redewendungen mit Aufforderungscharakter in
der Themaposition der Botschaftsübermittlung, durch die imperativische Verwendung
von Modalverben und modaler Adjunkte als auch durch elliptisch gebrauchte
Nominalphrasen mit Ausrufzeichen. Als drittes trug die Gestaltung des Textes, die
Trennung in Kommentar linkerhand und Ernährungsvorschlag rechterhand als auch die
Strukturierung des Vorschlags durch die trennenden grünen Balken zum Handlungsanweisungscharakter desselben bei. Dabei stand jedoch stets das professionelle Ethos, als
Sprecherselbstverständnis der Diät-Assistentin, im Vordergrund.
- 49 -
5.1.2. Die Revitalisierung der Vollwertkost (1984)
Abbildung 3: Kommentar „Mit Vollwertkost fit in den Frühling“316
Situativer und medialer Kontext
Im Mai 1984 wurde der Kommentar „MIT VOLLWERTKOST FIT IN DEN
FRÜHLING“ unter der Autorenschaft der Diät-Assistentin Edit Mayer veröffentlicht, der
ebenfalls in der Rubrik Diätredaktion erschien. Auch dieser thematisierte den Zusammenhang von Ernährung, Leistungsfähigkeit und Gesundheit, diesbezüglich jedoch nicht mit
Verweis auf eine bestimmte Berufsgruppe, sondern in Hinblick auf eine umfassende und
vollwertige Ernährung und nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der aktuellen
316
Quelle: Gusto 5/1984, 42-43.
- 50 -
Jahreszeit – dem Frühjahr. Der Präsentation der Vollwertkost folgte eine Rezeptreihe zu
Vollwertkost-Gerichten. Unmittelbar auf diesen Vollwertkost-Schwerpunkt wurde den
Leserinnen und Lesern eine Vielzahl an Fleischspeisen in einer achtseitigen Rezeptreihe
zu Rindfleischspeisen mit dem Titel „Beim Rind beginnt die Wiener Küche“317
präsentiert. Dies deutet auf eine relative thematische Inkohärenz im Magazin hin.
Makrostruktur-Analyse
Der thematische Fokus wird durch eine übersichtliche Gestaltung ergänzt, indem der über
eine Seite hinausgehende, in vier Spalten geteilte Text durch deutliche Absatz-Trennung
den Leserinnen und Lesern das Thema unmissverständlich präsentiert. Die Absätze sind
gänzlich entsprechend den Umsetzungsschwerpunkten der Vollwertkost gestaltet. Als
auffallend erweisen sich diesbezüglich auch die Aufzählungszeichen, welche die
jeweiligen Fazits einleiten, als auch die Ordinalzahlen, welche genauestens vorgeben, was
bei der Zubereitung eines Bircher-Benner-Müslis zu beachten sei. Der verbale Text
gliedert sich nach folgenden Gesichtspunkten:
Tabelle 7: Mit Vollwertkost fit in den Frühling 5/1984, Gliederung des verbalen Textes
Hauptthese
„MIT VOLLWERTKOST FIT IN DEN FRÜHLING Zum Beispiel nach BircherBenner – einem der bekanntesten Vertreter der Vollwertkost. Seine Ernährungsform
zählt zu den ovo-lacto-vegetabilen, d.h. eine Ernährung mit vorwiegend pflanzlichen
Nahrungsmitteln, mit Milch und Ei. Bircher-Benner verspricht mit seiner Kostform
nicht nur die Gesunderhaltung unseres Körpers, sondern auch eine optimale
körperliche und geistige Entwicklung und größtmögliche Leistungsfähigkeit. Folgende
Grundprinzipien sind nach Bircher-Benner zu beachten:“
Fazit 1
„• täglich Rohkost
unverdorbene, pflanzliche Nahrung aus gesundem, humusreichem Boden.“
Begründung
Fazit 1
„Dadurch wir eine bessere Zellatmung erreicht; der Zellstoffwechsel wird lebhafter,
dies führt zu einem Ansteigen der Abwehr-, Widerstands- und Erneuerungskraft der
Zellen.“
Fazit 2
„• täglich Grüngemüse
besonders Knospen- und Blattgemüse.“
Begründung
Fazit 2
„Das Grün dieser Pflanzen – auch Chlorophyll genannt – fördert die Blutbildung und
belebt die Atmung und den Stickstoffumsatz der Gewebezellen. Außerdem enthalten
grüne Gemüse reichlich Vitamine, z.B. A und C.“
Fazit 3
„• Ersatz von Feinmehl durch Vollkornmehl und Weißbrot durch Vollkornbrot.“
Begründung
Fazit 3
„Das Korn ist ein Lieferant von Vitaminen der B-Gruppe und des Vitamin E.“
Fazit 4
(Teil 1)
„• Zucker ist in jeder Form zu meiden,“
317
Vgl. Gusto 5/1984, 44.
- 51 -
Begründung
Fazit 4
„da er ein wesentliches Vitamindefizit (vor allem der B-Gruppe) verursacht. Zusätzlich
verändert er die Darmflora, Gärung und Blähsucht sind die Folge.“
Fazit 4
(Teil 2)
„Wenn überhaupt gesüßt werden soll, dann nur sehr sparsam mit verdünntem Honig
oder mit Obstdicksäften.“
Begründung
Fazit 5
„• Kochsalz und scharfe Gewürze verfälschen den Eigengeschmack der Speisen.“
Fazit 5
„Man bevorzugt Würzkräuter und in geringem Maße Meersalz.“
Fazit 6
„• Fleisch, Fisch und Geflügel gelten als gelegentliche Zugabe oder Garnitur“
Fazit 7
„• Buttermilch, Sauermilch und Joghurt werden gekocht. Kuhmilch vorgezogen.
Empfohlen werden weiters milder Weißkäse und Butter.“
Fazit 8
„• Gemüse und Obst sollen auf humusreichen, nicht mit Insektengift behandelten
Böden, gewachsen sein.“
Fazit 9
„• Mahlzeitenfolge: Die Hauptmahlzeit ist auf die Tagesmitte verlegt, Frühstück und
Abendessen sind leichte Mahlzeiten. Es werden keine Zwischenverpflegungen
eingenommen,“
Begründung
Fazit 9
„da diese den Stoffwechselrhythmus stören.“
Mikrostruktur-Analyse
Mit der Bezugnahme auf den Lebensreformer Bircher-Benner, der auch in der
Themaposition der Botschaftsübermittlung zweimal aufscheint (siehe Tabelle 8), wird in
der Hauptthese des Textes behauptet, dass Leistungsfähigkeit, Fitness und Gesundheit
durch die richtige Kostform – die Rohkost beziehungsweise eine ovo-lakto-vegetabile
Kost318 – hergestellt werden könne. Alle angeführten Fazits geben diesbezüglich
ernährungsbezogene Handlungsanweisungen und begründen diese These.
Tabelle 8: Mit Vollwertkost fit in den Frühling 5/1984, Übermittlung der Botschaft
Thema
Rhema
„Zum Beispiel nach Bircher-Benner“
„– einem der bekanntesten Vertreter der Vollwertkost.“
„Bircher-Benner“
„verspricht mit seiner Kostform nicht nur die
Gesunderhaltung unseres Körpers,“
„täglich Rohkost“
„unverdorbene, pflanzliche Nahrung aus gesundem,
humusreichem Boden.“
„täglich Grüngemüse“
„besonders Knospen- und Blattgemüse.“
„Zucker“
„ist in jeder Form zu meiden, da er ein wesentliches
318
Die ovo-lakto-vegetabile Kost wurde von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung als Kost bestehend
aus pflanzlichen Nahrungsmitteln, Milch, Milchprodukten und Eiern definiert. Vgl. Deutsche Gesellschaft
für Ernährung (DGE), Ernährungsratgeber DGE, Frankfurt am Main 1989, 72.
- 52 -
Vitamindefizit (vor allem der B-Gruppe) verursacht.“
Die Vollwertkost unterscheidet sich von der ‚besonderen Ernährung des Büromenschen‘,
indem mit der anvisierten Ernährung die semantischen Felder „Stoffwechsel“,
„Stoffwechselrhythmus“, „Zellstoffwechsel“, „Abwehr-, Widerstands- und Erneuerungskraft“, „Vitamin“, „Vitamindefizit“ und „Frischspeise“, „humusreicher Boden“ und
„unverdorbene pflanzliche Nahrung“ direkt in den Gesundheits- und Fitnesszusammenhang integriert werden. Die präventive Wirkung der Ernährung für Fitness und
Gesundheit wird mit der besseren „Zellatmung“, der „Erneuerungskraft der Zellen“ und
der Förderung der „Blutbildung“ beschrieben. Empfohlen wird die Meidung
vollwertunspezifischer Nahrungsmittel, wie Fleisch, und die übermäßige Verwendung
von Gewürzen. Zucker wird explizit mit Vitamindefizit und Krankheitsfolgen, wie
Darmfloraschädigungen, assoziiert.
In interpersoneller Hinsicht weist die Propagierung der Vollwertkost deutliche
Gemeinsamkeiten mit dem Artikel „Die richtige Ernährung für den Büromenschen“ auf.
Der Aufforderungscharakter erfolgt einerseits durch die Verwendung des modalen
Adjunktes ‚täglich‘ in „täglich Rohkost“ und „täglich Grüngemüse“ und dies als Thema
in der Botschaftsübermittlung (siehe Tabelle 8) als auch andererseits durch die oftmalige
Verwendung des Modalverbs ‚soll‘. Als handlungsanweisend äußern sich überdies die
rezeptartigen Auflistungen mit den markierten Aufzählungszeichen, die jeweils ein Fazit
zur Umsetzung der Vollwertkost als auch Begründungen zum Potential der Kost liefern.
Bezieht sich die Autorin in der Darstellung ihrer These explizit auf den
Ernährungsreformer Bircher-Benner (siehe Tabelle 7), so ist dennoch sie selbst stets
Quelle der Obligation und die Handlungsziel-Setzende. Die Glaubwürdigkeit des
Dargestellten und auch professioneller Ethos werden im persönlichen Foto, das in der
Bildunterschrift den Namen und die Berufsbezeichnung „Dipl. Diät-Ass. Edith Mayer“
trägt, hergestellt. Der Blick der Diät-Assistentin im Foto richtet sich auf die
Rezipierenden und weist als interpersonelles demand das Potential auf, Vertrauen und
Professionalität zu vermitteln.
Die Beschaffenheit der Aussage im sozialen Kontext
Die Darstellung der Vollwertkost Bircher-Benners äußerte sich im Kontext von
Revitalisierungstendenzen der Ernährungslehren des 19. Jahrhunderts. Im Gusto-Journal
wurde bereits im September 1983 ein Bircher-Müsli-Rezept in einer Rezeptreihe zur
- 53 -
gesunden Vollkornküche319 veröffentlicht. Schon in der zweiten Ausgabe des Journals
vom Juni 1983 wurde den Leserinnen und Lesern die Vollwertkost vorgestellt und als
„DIE GROSSE ‚IN‘-WELLE“320 bezeichnet. In gleicher Hinsicht erfolgte auch 1983 in
der September-Ausgabe des Heftes eine Präsentation der Vollwertkost, wobei auf
wissenschaftliche Erkenntnisse von Claus Leitzmann verwiesen wurde.321 Der am
Ernährungswissenschaftlichen Institut der Universität Gießen tätige Professor gilt im
deutschsprachigen Raum seit 1976 als bedeutender Förderer der Revitalisierung der
Vollwertkost nach Werner Kollath.322 Überdies wurden in den frühen 1980er Jahren die
Ideale der Alternativbewegung deutlich wahrgenommen. 1983 meinte Karl Rothschuh in
seiner Abhandlung zur Alternativbewegung:
„Ein neuer Naturismus ist überall spürbar. Die Tendenz zur natürlichen Ernährung
verbindet sich mit der Tendenz ‚Weg vom Fertigprodukt‘, zur Selbstherstellung von
Kleidung, Nahrung und Geräten. Verbunden damit ist eine größere Natürlichkeit im
Verhältnis zum Körper.“323
Im Gusto-Kommentar wurden mit der zu erfolgenden Ernährungsreform und den hierfür
konkreten im Fazit angeführten Schritten der Umsetzung gleichzeitig dezidiert positive
gesundheitliche Aspekte genannt. Erst gegen Ende des Kommentars propagierte man die
Meidung bestimmter Nahrungsmittel und Nahrungsbestandteile, wie beispielsweise
Zucker. Die Thematisierung des Zuckers ging über dessen negative Rollenzuschreibung
in der Übergewichtsentstehung im Kommentar zur ‚richtigen Ernährung des
Büromenschen‘ hinaus, indem umfassende gesundheitliche Aspekte, wie durch Zucker
verursachtes Vitamindefizit und Darmfloraschädigungen, Erwähnung fanden. Auf
erwiesene wissenschaftliche Erkenntnisse stützte man sich dabei jedoch nicht. In
gängigen Ernährungsratgebern, wie dem DGE-Ernährungsbericht (1972), wurde das dem
Zucker zugeschriebene Verursachungspotential für Vitamindefizit zwar als möglich,
jedoch als nicht dezidiert erwiesen dargestellt.324
Auch wenn es nicht explizit angesprochen wurde, so spielte das Schlankheitsideal als Teil
der fitnessversprechenden Vollwertkost im Gusto-Kommentar eine bedeutende Rolle.
319
Vgl. Gusto 9/1983, 18-23.
Gusto 7/1983, 45.
321
Vgl. Gusto 9/1983, 25.
322
Vgl. Briesen 2010, 277.
323
Rothschuh 1983, 136.
324
Vgl. DGE, Ernährungsbericht 1972, 173; erst gegen Ende der 1980er Jahre gab die DGE Entwarnung,
indem sie verlautbarte, dass Zucker zwar keine Vitamine und Mineralstoffe enthalte, er jedoch auch kein
„Vitaminräuber“ sei. Vgl. DGE, Ernährungsratgeber DGE 1989, 23.
320
- 54 -
Diesbezüglich war es kein Zufall, dass die umfassende gesunde Kost im Mai präsentiert
wurde. Im selben Heft erschienen Rezeptvorschläge unter dem Titel „Schlank in den
Frühling mit Vollwertkost“325 und einen Monat später, im Juni desselben Jahres, hieß es
im Lead-in einer Rezeptreihe, die „SCHÖNE GRÜSSE VOM GEMÜSE“326 betitelt
wurde, dass „Vitamine in Ihrer (sic!) appetitlichsten Form“327 vor allem den Leserinnen
„auf die Sprünge und in den knappen Bikini“328 verhelfen würden. Neu war der
schlankheitsideologische Hintergrund der Vollwertkost insofern nicht, indem bereits zu
Zeiten der Lebensreform die „Rohkostplatte zum Diätrepertoire“329 gehörte, wie die
Historikerin Sabine Merta feststellte.330
Der deutliche Handlungsanweisungscharakter durch Inhalt, Struktur und Funktionalität
des Textes als auch die visuelle Präsenz der Diät-Assistentin lassen auf ein deutliches
Drängen auf die Umsetzung einer vollwertigen Ernährung zur Herstellung von Fitness
und Schlankheit schließen. Dass die Vollwertkost dabei keineswegs als selbstverständlich
akzeptiert wurde, äußert sich unmittelbar im selben Heft als auch an anderer Stelle im
Gusto-Journal. In der wenige Seiten vor dem Kommentar der Diät-Assistentin erfolgten
Rezeptreihe zur Vollwertkost331 kam die Diskrepanz zwischen Gesundheit und Genuss im
Lead-in mit der Bemerkung „Was gesund ist, wissen wir ja schon lange. Wie es auch gut
schmeckt, erfahren Sie beim Umblättern“332 zum Ausdruck. Die Heftdramaturgie der
Mai-Ausgabe verwies ebenfalls auf Inkonsequenzen in der angeratenen Durchführung der
vollwertigen ovo-lakto-vegetabilen Ernährung, indem unmittelbar auf den Kommentar
eine achtseitige Rezeptreihe zu Rindfleischspeisen folgte.333 In Standardrubriken des
Gusto-Journals, wie dem Vierwochenspeiseplan334 und den Gusto-Kochideen335,
präsentierte man Fleischspeisen als tägliche Hauptgerichte. Im Kommentar mit dem Titel
„Der wahre Wert der Vollwertkost“336 vom September 1984 wurde die Vollwertkost als
gesundheitszuträglich anerkannt, gleichzeitig war jedoch auch vom Ende der
325
Gusto 5/1984, 34-35.
Gusto 6/1984, 26.
327
Gusto 6/1984, 26.
328
Gusto 6/1984, 26.
329
Merta 2008, 77.
330
Vgl. Merta 2008, 77.
331
Vgl. Gusto 5/1984, 34-41.
332
Gusto 5/1984, 34-35.
333
Vgl. Gusto 5/1984, 44-51.
334
Der Vierwochenspeiseplan erschien erstmals im September 1983. Vgl. Gusto 9/1983, 62-63.
335
Die Gusto-Kochideen waren erstmals im Mai 1984 im Journal vorzufinden. Vgl. Gusto 5/1984, 64-65.
336
Gusto 9/1984, 34.
326
- 55 -
„Biowelle“337, von einer vorherrschenden Kritik am „Körndlessen“338 und von einer
schweren Umsetzbarkeit dieser im Alltag die Rede.339
5.1.3. Schlank mit Diäten (1984)
Abbildung 4: Kommentar „Was ist ‚dick‘ und wie man schlank wird“340
337
Gusto 9/1984, 34.
Gusto 9/1984, 34.
339
Vgl. Gusto 9/1984, 34-35.
338
- 56 -
Situativer und medialer Kontext
Der Kommentar wurde von der Diät-Assistentin Edith Mayer verfasst und befand sich in
der Rubrik Diätredaktion der November-Ausgabe des Gusto-Journals. Wenige Seiten
davor erschien das „Menü für Kalorienbewusste“341, bestehend aus Selleriecocktail,
Hirschgulasch und Orangensalat inklusive Kilokalorien- und Kilojoule-Angaben.342
Unmittelbar auf den Kommentar folgte die Standardrubrik Gusto-Kochideen für ihren
Speiseplan343 mit der Unterkategorie „Zum Abnehmen“344. Es war somit von weitgehender Kohärenz des Themas im Heft auszugehen.
Makrostruktur-Analyse
Der Text problematisiert Übergewicht und bietet einen Überblick über Maßnahmen der
Gewichtskontrolle in Form von Kuren und Diäten. Der Kommentar gliedert sich in vier
Spalten und entsprechend den vorgestellten Diäten in Absätze, wobei jede Kur oder Diät
in den Kurzüberschriften auch benannt wird. Mit der in Blockbuchstaben hervorgehobenen Rubrikbenennung „Diätredaktion“ erfolgt wiederum die Hervorhebung und
die professionelle Kontextualisierung des Textes. Die Kalorientabelle zu ausgewählten
Getränken, unten rechts, komplementiert die schlichte Gestaltung des Gesamttextes.
Diese dient einerseits der visuellen tabellarischen Veranschaulichung, wenngleich es sich
schon alleine aufgrund der Auflistung der Kalorien um eine visuelle Gradation – eine
visuelle Mahnung zur Gewichtskontrolle – handelt. Der verbale Text beinhaltet folgende
Gliederung:
Tabelle 9: Was ist ‚dick‘ und wie man schlank wird 11/1984, Gliederung des verbalen Textes
Überschrift
Lead-In
„was ist ‚dick‘ und wie man schlank wird“
„Eine Übersicht über die häufig angebotenen Kuren zur Gewichtsreduktion“
Hauptthese
„Übergewicht entsteht nicht von heute auf morgen und auch nicht zufällig.“
Begründung
Hauptthese
„Meist liegt eine Form von fehlerhafter Ernährung vor, denn die gängigen Argumente
wie „schwerer Knochenbau“ oder „gute Futterverwertung“ sind eher Ausreden, als die
wahren Ursachen des Übergewichtes (z. B. kann der Unterschied beim Knochenbau
höchstens 5 kg ausmachen).“
Unterthese 1
„Das Normalgewicht ist die Körpergröße in cm minus 100 (170cm = 70 kg). Wie man
heute weiß, ist es jenes Gewicht mit der geringsten Krankheitsanfälligkeit. Das früher
zitierte Idealgewicht (Frauen mußten vom Normalgewicht 15% und Männer 10%
abziehen) ist gar nicht so ideal. Liegt das Gewicht 20% über dem Normalgewicht, so
340
Quelle: Gusto 11/1984, 64.
Vgl. Gusto 11/1984, 48.
342
Vgl. Gusto 11/1984, 48.
343
Vgl. Gusto 11/1984, 65.
344
Vgl. Gusto 11/1984, 65.
341
- 57 -
spricht man von Übergewicht, das Erkrankungen wie Bluthochdruck, Gicht etc. zur
Folge haben kann.“
Zwischenfazit
„Es gibt eine Fülle von diätischen Möglichkeiten, Übergewicht abzubauen. Nicht jeder
kann nach dem gleichen Verfahren abnehmen und jedem ist dasselbe Verfahren
praktikabel. Manche Diätkuren wendet man kurzfristig an, sozusagen zur
Entschlakkung (sic!), manche über längere Zeiträume zur richtigen Gewichtsabnahme.
Bei größerer Gewichtsreduktion soll die Kost eine ausgewogene, kalorienreduzierte
sein. Es ist empfehlenswert, einen Arzt zu Rate zu ziehen.“
Unterthese 2
„Kurzkuren Zu den Kurzkuren zählen Diäten wie z. B.: Kartoffeldiät, GemüseObsttage, Safttage, Brotdiät u. ä. Diese Diäten haben mit „Entfettung“ überhaupt
nichts zu tun. Sie beruhen meist auf Entwässerung und Entschlackung. Fettdepots
werden dabei nicht angegriffen.“
Begründung
Unterthese 2
„Der Gewichtsverlust bei der immer wieder angepriesenen Kartoffeldiät ist damit zu
begründen, daß die Kartoffel einen sehr hohen Kaliumgehalt besitzt, wodurch es
besonders in den ersten drei Tagen zu eindrucksvollen Wasserausscheidungen kommt.
Kombiniert man Kartoffel mit kaliumreichem Gemüse oder Obst (Kohlrabi, Marille)
so kann die Wirkung noch erhöht werden.“
Fazit
Unterthese 2
„Will man kurzfristig 2 bis 3 kg entschlacken, so könnte eine dieser Kurzkuren
empfohlen werden. Für eine höhere Gewichtsreduktion sind sie nicht geeignet.“
Feststellung 1
„0-Diät Diese Diät beruht darauf, daß jede Energiezufuhr und somit auch die so
wichtige Eiweißzufuhr unterbleibt. Es müssen täglich 2 bis 3 l (energiefreie)
Flüssigkeit genommen werden.“
Fazit
Feststellung 1
„Für diese Diät spricht die schnelle Gewichtsreduktion in kürzester Zeit, wodurch sich
auch eine hohe Motivation des Abnehmenden ergibt. Wenn überhaupt eine solche Diät
durchgeführt werden soll, dann nur unter ständiger Aufsicht eines Arztes
(Spitalsaufenthalt). Der Nachteil der Diät ist, daß keine Kostumstellung erfolgen kann
und außerdem, so hat es die Praxis gezeigt, erfolgt häufig eine rasche
Gewichtszunahme nach der Diät.“
Feststellung 2
„300-Eiweiß-Kalorien-Diät Diese wird heute an den Kliniken anstelle der 0-Diät
gegeben. Es ist eine reine Eiweißdiät ohne Zugabe von Fett und Kohlenhydraten.“
Fazit
Feststellung 2
„Sie sollte auf jeden Fall unter Aufsicht des Arztes durchgeführt werden.“
Feststellung 3
„Formula-Diäten Diese im Handel erhältlichen pulverisierten oder flüssigen
Nährstoffkonzentrationen sind Fett- und Kohlenhydrat-reduziert. Sie enthalten alle
wichtigen Nähr- und Wirkstoffe. Es gibt 900, 600, und 360 Kalorien-Diäten.“
Fazit
Feststellung 3
„Die Vorteile sind die praktische und einfache Zubereitung, jedes Kalorienzählen fällt
weg, es kommt zu einer sicheren Gewichtsreduktion. Allerdings sind sie relativ teuer
und können langweilig werden.“
Unterthese 3
„Energiereduzierte Mischkost Sie gilt als sinnvollster Weg der Gewichtsreduktion.“
Begründung
Unterthese 3
„Im Gegensatz zu anderen starren Diätformen läßt sich hier der kalorienreduzierte
Speisezettel individuell gestalten. Es entsteht kaum Heißhunger, außerdem können
vernünftige Eßgewohnheiten erlernt und angewöhnt werden.“
Schlussfazit
„Ein wichtiger und daher zu beachtender Punkt ist die Flüssigkeitsaufnahme während
einer Schlankheitskur. Empfehlenswert ist eine Trinkmenge von 1 ½ bis 2 l
energiefreie Flüssigkeit pro Tag. Wasser und Mineralwasser (evt. Mit Zitronensaft und
Süßstoff), Kaffee sowie Tee mit wenig Milch und Süßstoff sind erlaubt. Limonaden,
alkoholische Getränke, Fruchtsäfte (evt. Ausnahme: Grapefruitsaft), Milch- und
Milchmixgetränke sind kalorienreich und daher zum Abnehmen nicht geeignet.“
Apostrophe
Edith Mayer
- 58 -
Mikrostruktur-Analyse
Die thematische Fokussierung auf die Wiederherstellung einer positiven Gewichtsbilanz
äußert sich nicht nur in der Überschrift in „wie man schlank wird“ und im Lead-in in
„Übersicht über […] Kuren zur Gewichtsreduktion.“, sondern auch in textueller Hinsicht
in der Botschaftsübermittlung. Begriffe wie ‚Gewichtsreduktion‘ und ‚Diät‘ kommen
überdurchschnittlich häufig in der Themaposition vor (siehe Tabelle 10).
Tabelle 10: Was ist ‚dick‘ und wie man schlank wird 11/1984, Übermittlung der Botschaft
Thema
Rhema
„Übergewicht“
„entsteht nicht von heute auf morgen und auch nicht zufällig.“
„Das Normalgewicht“
„ist die Körpergröße in cm minus 100.“
„Das früher zitierte Idealgewicht“
„[…] ist gar nicht so ideal.“
„Manche Diätkuren“
„wendet man kurzfristig, sozusagen zur Entschlakkung (sic!)“
„Bei größerer Gewichtsreduktion“
„soll die Kost eine ausgewogene, kalorienreduzierte sein.“
„Zu den Kurzkuren“
„zählen Diäten wie z. B. […].“
„Diese Diäten“
„haben mit „Entfettung“ überhaupt nichts zu tun.“
„Der Gewichtsverlust“
„bei der immer wieder angepriesenen Kartoffeldiät […].“
„Für eine höhere Gewichtsreduktion“
„sind sie nicht geeignet.“
„Diese Diäten beruhen darauf,“
„daß jede Energiezufuhr […] unterbleibt.“
„Für diese Diät“
„spricht die schnelle Gewichtsreduktion in kürzester Zeit,“
„Der Nachteil der Diät ist,“
„daß keine Kostumstellung erfolgen kann.“
In ideationeller Hinsicht lässt sich anhand der verwendeten Synonyme und der Häufigkeit
der semantischen Bedeutungsinhalte ebenfalls ein gänzlicher Fokus auf die Gewichtsabnahme feststellen. Wortklassenübergreifend finden „Reduktion“ und „reduzieren“ über
zehnmal und „Abnahme“ und „abnehmen“, „Entschlackung“ und „entschlacken“ jeweils
viermal Verwendung. Überdies verweisen die semantisch positiven und negativen
Antonyme „energiefrei“ und „kalorienreich“ und die tabellarische Hervorhebung des
Energiegehalts von Getränken mit detaillierten Kalorienangaben auf die Bedeutung, die
der Gewichtskontrolle als Bilanzierung zuteilwird. Der übergeordnete Ursache-WirkungsZusammenhang von Schlankheit und Gesundheit wird in Unterthese 1 angesprochen
(siehe Tabelle 9), ist dem unmittelbaren Ziel der Gewichtsreduktion jedoch gänzlich
nachgereiht. Im Gesundheitszusammenhang werden Über-, Normal- und Idealgewicht nur
jeweils einmal als Thema initiiert (siehe Tabelle 10).
- 59 -
In Hinblick auf die Umsetzung der Gewichtsreduktion wird die nachhaltige ausgewogene
Kost zwar angesprochen, gemäß den Zielen einer Übersicht zu GewichtsreduktionsKuren erfolgt mit der Verwendung von beschreibenden Epitheta in „richtige“, „große“
und „schnelle“ „Gewichtsreduktion“ beziehungsweise „-abnahme“ jedoch auch eine
Hinführung der Leserinnen und Leser zu diversen anderen, unmittelbareren Maßnahmen
der Gewichtsreduktion. Anhand derselben Epitheta vollzieht sich überdies auch die
interpersonelle Bewertung dieser Maßnahmen. Kurzkuren seien für eine „höhere
Gewichtsreduktion […] nicht geeignet“. Die „schnelle Gewichtsreduktion“ bei der 0-Diät
äußere sich als nicht nachhaltig, während Formula-Diäten zu einer „sicheren Gewichtsreduktion“ führen und deshalb auch empfohlen werden.
Wie in den vorangegangenen Texten der Rubrik Diätredaktion zeigt sich auch im
Gegenwärtigen ein außerordentlich hohes Aufforderungspotential. Von großer interpersoneller Bedeutung erweist sich diesbezüglich die Satzkonstruktionen „Es muss […]
genommen werden“ und „Sie sollte […] durchgeführt werden.“ Modalverben sorgen
diesbezüglich für den imperativischen Anweisungscharakter. Die Notwendigkeit zum
Handeln kommt überdies durch die Verwendung der Präposition „zu“ gemeinsam mit
dem Präsenspartizip345 in „ein wichtiger und daher zu beachtender Punkt“ und in der
Verwendung des Modalen Infinitivs346 in „ist ein Arzt zu Rate zu ziehen“ zum Ausdruck.
Die Obligation zum Handeln erfolgt dabei durchwegs durch die Autorin als Wissende und
hohen professionellen Ethos.
Die Beschaffenheit der Aussage im sozialen Kontext
Spätestens seit den 1970er Jahren galt Übergewicht als schwerwiegendes Problem für
Mediziner und Ernährungsphysiologen im deutschsprachigen Raum.347 Die „Fettsucht“
sei „nicht allein unschön“348, sondern auch schädigend für die inneren Organe, könne zu
Atherosklerose führen und stelle ein erhöhtes Risiko für Herzkreislauferkrankungen
dar.349 Als weitere Folgen von Übergewicht wurden unter anderem auch erhöhter
Blutdruck350 und Gicht351 genannt, wie dies auch die Diät-Assistentin im GustoKommentar feststellte. Ebenso teilte der Kommentar mit den medizinischen Ernährungs345
Vgl. Jung 1990, 199.
Vgl. Eisenberg 2006, 131 u. 135.
347
Vgl. Holtmeier 1972, 9-11; vgl. Heyden 1973, 16.
348
Holtmeier 1972, 11.
349
Vgl. Holtmeier 1972, 11.
350
Vgl. Holtmeier 1972, 13; vgl. Heyden 1973, 12.
351
Vgl. Heyden 1973, 15.
346
- 60 -
ratgebern die Ansicht, dass Übergewicht als Bilanzproblem eine Folge der Fehlernährung
sei. Schuld sei ein kalorienreiches und energiereiches Essen.352 Die im Kommentar
erfolgte Bemessung des Übergewichts – Verortung bei 20 Prozent über dem BrocaNormalgewicht – deckte sich mit der Bemessungsgrundlage im Österreichischen
Ernährungsbericht 1982353 und den in der österreichischen Forschung herangezogenen
Parametern.354 Ergebnisse der Forschung aus dem Jahr 1983 verorteten ein Übergewicht
bei 47 Prozent der Bevölkerung, wobei 19 Prozent mit mehr als 20 Prozent über dem
Normalgewicht als stark und 28 Prozent mit weniger als 20 Prozent über dem
Normalgewicht als leicht übergewichtig eingestuft wurden.355
Während medizinische Ernährungsratgeber Gründe und gesundheitliche Folgen des
Übergewichts im Detail erläuterten, stand im Gusto-Journal der frühen 1980er Jahre
durchwegs die schlankheitsideologische Bilanzierung des Körpergewichts im Vordergrund. Die Rubrik Diätredaktion präsentierte zur Mitte des Jahres 1984 den Leserinnen
und Lesern Rezepte unter dem Titel „Das kalorienreduzierte Menü“356 mit Hinweisen auf
Kilojoule- und Kilokalorien-Angaben. Gegen Ende des Jahres tauchte die eigenständige
Rezeptreihe Das Menü für Kalorienbewusste357 auf, die 1985 schließlich als
Menüvorschlag mit dem Titel Menü kalorienbewußt358 weitergeführt wurde. Die
Standardrubrik Gusto-Kochideen für ihren Speiseplan359, die ab Mai 1984 bis September
1985 ihren festen Platz im Journal hatte, beinhaltete von Anfang an, neben festlichen,
preiswerten und schnellen Mahlzeiten, die Kategorie „zum Abnehmen“360 mit besonders
kalorienarmen Speisevorschlägen. Die Mischkost, wie sie der Ernährungswissenschaftler
Johannes Bohlmann in den 1950er Jahren als facettenreiche tierische und pflanzliche
Kost beschrieb,361 wurde im Gusto-Kommentar als Diätvariante als „energiereduzierte
Mischkost“ vertreten362. Als langfristige Ernährungsumstellung363 wurde sie im
352
Vgl. Holtmeier 1972, 34.
Vgl. BMFGU, Österreichischer Ernährungsbericht 1982, 43.
354
Vgl. Institut für Sozialmedizin der Universität Wien (IfSUW), Atherosklerosebericht, Wien 1988, 44-45,
zitiert nach Gredler, B/ Kunze, M, Risikofaktor Übergewicht. Daten zur epidemiologischen Situation in
Österreich sowie Anmerkungen zur therapeutischen Intervention, Öff. Gesundheitswesen 45/1 (1983).
355
Vgl. IfSUW, Atherosklerosebericht, Wien 1988, 44-45, zitiert nach Gredler, B/ Kunze, M, Risikofaktor
Übergewicht. Daten zur epidemiologischen Situation in Österreich sowie Anmerkungen zur therapeutischen
Intervention, Öff. Gesundheitswesen 45/1 (1983).
356
Vgl. Gusto 6/1984, 51; Gusto 8/1984, 50-51.
357
Vgl. Gusto 10/1984, 51; Gusto 11/1984, 48.
358
Vgl. Gusto 4/1985, 50.
359
Vgl. Gusto 5/1984, 64-65.
360
Vgl. Gusto 5/1984, 65.
361
Vgl. Briesen 2010, 207.
362
Siehe „Die Kalorienreduzierte Mischkost. Schlankheitskuren 3. Teil“, Gusto 1/1985, 59.
353
- 61 -
Kommentar lediglich angesprochen, jedoch nicht näher erläutert. Demgegenüber wurden
pulverisierte Formula-Diäten, die jeglichen kulinarischen Genuss entbehren364, als
erfolgsversprechend propagiert und Kurzkuren zur Entschlackung gutgeheißen. Wenngleich die 0-Diät von der Diät-Assistentin lediglich eingeschränkt empfohlen wurde,365 so
nannte sie dennoch einen entscheidenden Vorteil – nämlich „die schnelle Gewichtsreduktion“. Der sich mit Gesundheitsthemen befassende Wissenschaftsjournalist Kurt
Langbein meinte, dass die 0-Diät „den alleinigen Zweck der Gewichtsreduktion […]
verfolgte“ und „keinerlei heilenden Ansatz wie die anderen Fastenkuren“.366
Auch die im Kommentar erwähnte energiefreie Flüssigkeitszufuhr und die Verwendung
von Süßstoff statt Zucker367 sollten für die Gewährleistung von Schlankheit sorgen.
Diesbezüglich wurde wiederum der Zusammenhang von Zucker und Übergewichtsentstehung hergestellt. Von einem umfassenden Gesundheitszusammenhang betreffend
Körpergewicht, Fett- und Zuckerstoffwechsel, wie ihn medizinische Ernährungsratgeber
vertraten,368 war nicht auszugehen. Die im Text erfolgte omnipräsente Zielorientierung
der Gewichtsreduktion aus Schlankheitsmotiven entsprach dem österreichweit vor allem
unter Frauen vorzufindenden Streben nach ästhetischer Schlankheit. Das Ergebnis der im
Österreichischen Ernährungsbericht 1982 zitierten und vom Institut für Empirische
Sozialforschung (IFES) und vom Meinungsforschungsinstitut Fessel und GfK 1979
durchgeführten
Genußmittelstudie
verwies
darauf,
dass
sich
44
Prozent
der
Österreicherinnen und Österreicher als übergewichtig fühlten369 und vor allem Frauen ein
kontrolliertes Ernährungsverhalten an den Tag legten.370 35 Prozent der Österreicherinnen
kontrollierten demnach immer ihr Körpergewicht im Vergleich zu 21 Prozent der
Österreicher und 54 Prozent der Frauen schränkten bewusst bestimmte Lebensmittel ein,
während dies nur 37 Prozent der Männer taten. Äußerte sich ‚Gesundheit‘ als Motiv für
beide Geschlechter gleichbedeutend, so gaben 45 Prozent der Frauen und lediglich 32
363
Vgl. Langbein, Kurt/Skalnik, Christian, Gesundheit aktiv. Was wirklich hilft, Wien 2005, 184.
Vgl. Langbein/Skalnik 2005, 179.
365
Experimente in den 1970er Jahren bestätigten, dass bei der 0-Diät kaum Fettdepots abgebaut werden.
Vgl. Langbein/Skalnik 2005, 178.
366
Langbein/Skalnik 2005, 178.
367
Süßstoffe wurden im Gusto-Journal der frühen 1980er Jahre durchwegs als Zuckerersatz propagiert.
Neben ausgewiesenen Diabetiker-Rezepten in der Rubrik „Für Diabetiker“ wurden die Leserinnen und
Leser in der Standardrubrik „Vierwochenspeiseplan“ gänzlich zum Süßen von Desserts mit Süßstoffen
aufgefordert. Vgl. Gusto 6/1983, 62-63.
368
Vgl. Heyden 1973, 31.
369
Vgl. BMFGU, Österreichischer Ernährungsbericht 1982, 105.
370
Vgl. BMFGU, Österreichischer Ernährungsbericht 1982, 108-109.
364
- 62 -
Prozent der Männer ‚Aussehen‘ als primäres Motiv der Ernährungskontrolle an.371 Wie
aus Studien Anfang der 1980er Jahre zu entnehmen ist, ging die hohe Unzufriedenheit mit
der eigenen Figur überdies auch mit einer „hohen Prävalenz bulimischer und
anorektischer Verhaltensweisen“372 in der Normalbevölkerung einher.373
Die Diätassistentin verlautbarte gemäß der verwendeten Sprache und der Gestaltung des
Textes ihre diätischen Ansichten und Ratschläge handlungsanweisend und mit hohem
Aufforderungscharakter weitgehend
ungeachtet der Folgen374 der schlankheits-
ideologischen Botschaften. Bestanden bei manchen der dargestellten Diätvarianten
gesundheitliche Gefahren, so wurde die Verantwortung an Mediziner weitergegeben. In
seiner Gesamtheit äußerte sich der Text nicht nur aufgrund seines Inhaltes als
schlankheitsideologisches Diskursfragment, sondern trat aufgrund des außerordentlich
hohen interpersonellen Potentials als Diskursakteur in Erscheinung.
5.1.4. Bewusst essen und schlank bleiben (1986)
Situativer und medialer Kontext
Der Kommentar erschien im Frühjahr 1986 in der Rubrik Bewußtes Leben als Teil des
informierenden Gusto-Magazin-Teils am Ende des Heftes. Die Rubrik war inhaltlicher
Nachfolger der Diätredaktion und existierte von Anfang 1986 bis Mitte 1987. Sabine
Hollomey-Gärner als Verfasserin des Textes tauchte als ständiges Redaktionsmitglied
erstmals im Februar 1986 im Impressum des Gusto-Journals auf375 und war für die Rubrik
über die gesamte Zeitspanne zuständig. Ende 1985 kam es überdies zu einem Wechsel in
der Chefredaktion, denn ab November 1985 übernahm Werner Meisinger376 diese von
Heinrich Camondo. Neben der Rubrik Bewußtes Leben fanden sich stets Produktinformationen, Restaurantkritiken, Bücherrezensionen und Hinweise auf Rezepte der
vergangenen Ausgaben. Auffällig sind die große Anzahl an leichten Speisen wie
„Maischolle“377 und Rezepte zur Gemüseküche378 in derselben Ausgabe.
371
Vgl. BMFGU, Österreichischer Ernährungsbericht 1982, 111.
Jacobi, Corinna/Thiel, Paul, Kognitive Verhaltenstherapie bei Anorexia und Bulimia nervosa, 2.
Auflage, Weinheim 2000, 23.
373
Vgl. Jacobi/Thiel 2000, 23.
374
Die klinische Psychologie erachtet die durch Medien transportierte Schlankheitsideologie als
soziokulturellen Faktor in der Entstehung von Ess-Störungen und die Verbreitung und Anwendung von
Diäten als zentralen Bestandteil in der Genese derartiger Krankheiten. Vgl. Jacobi/Thiel 2000, 23 u. 29.
375
Vgl. Gusto 5/1986, 3.
376
Siehe Editorial der November-Ausgabe 1985, vgl. Gusto 11/1985, 3.
377
Vgl. Gusto 5/1986, 28-33.
372
- 63 -
Abbildung 5: Kommentar „Wie man wirklich schlank wird (und bleibt)“379
Makrostruktur-Analyse
Das Thema des Textes betrifft die notwendige Umsetzung einer bewussten Ernährung vor
dem Hintergrund von falschem Ernährungsverhalten und daraus resultierendem
Übergewicht. Eine dauerhafte positive Gewichtsbilanz könne nicht durch allgegenwärtige
Diätkuren hergestellt werden. Der Text auf den beiden Halbseiten umfasst jeweils zwei
378
379
Vgl. Gusto 5/1986, 12-16; Gusto 5/1986, 46-49.
Quelle: Gusto 5/1986, 61-62.
- 64 -
Spalten. Mit der rot vor grauem Hintergrund hervorgehobenen und über dem Text
platzierten Rubrikbenennung „Bewußtes Leben“ erfolgt die Herstellung eines Settings zur
Thematisierung der bewussten Ernährung. Auffällig sind auch das kursiv verfasste Leadin und die kursiven Textstellen „Fett“, „Zucker“, „zuckerreiche Speisen“ und
„Alkoholische Getränke“. Die Ausführungen zu Übergewicht als Bilanzproblem in
Unterthese 2 (siehe Tabelle 11) werden durch die grafische Darstellung der
Kalorientabelle mit ausgewählten Nahrungsmitteln in Form der visuellen Addition
unterstützt. Der verbale Text gliedert sich in folgende argumentative Abschnitte:
Tabelle 11: Wie man wirklich schlank wird (und bleibt) 5/1986, Gliederung des verbalen Textes
Überschrift
„WIE MA WIRKLICH SCHLA K WIRD (U D BLEIBT)“
Hauptthese
„Eine Kalorientabelle, ein Rechenstift und ein geändertes Ernährungs-Bewußtsein sind
besser als alle Ruck-Zuck-Kuren!“
Begründung
Hauptthese
„Mit dem Schlagwort ‚Fit in den Frühling‘ wird jedes Jahr landauf, landab
abgenommen. Meistens mit Hilfe von 3-, 5-, 7-, 14-Tages-Kuren, die tatsächlich zum
raschen Verlust von ein paar Kilo Körpergewicht führen. Sobald der Frühling
allerdings vorbei ist, ist meist auch das Übergewicht wieder da, denn die meisten
Abmagerungs-Kuren basieren auf einer Ausschwemmung von Wasser, das in wenigen
Tagen wieder eingelagert werden kann. Vor allem: Bei den meisten AbmagerungsKuren passiert keine grundsätzliche Umstellung der Ernährungsgewohnheiten, “
Zwischenfazit
„die jedoch vonnöten ist, um die Gewichtsreduktion dauerhaft werden zu lassen.“
Unterthese 1
„Falsches Ernährungsverhalten kann schon sehr früh anerzogen werden.“
Begründung
Unterthese 1
„Bereits im Säuglings- und Kindesalter können Gewohnheiten aufgebaut werden, die
man später nur schwer wieder ablegen kann. Das bekannte ‚Leeressen-Müssen des
Tellers‘, das ‚So wie beim Essen, so auch bei der Arbeit‘, das ‚Aufessen, damit das
Wetter schön wird‘, ständige Belohnungen, Tröstungen, Vertröstungen und
Liebesersatz mit Süßigkeiten aller Art sind ‚Verziehungen‘, die sich tief festsetzen und
als permanentes Übergewicht zu Tage treten können.“
Unterthese 2
„Die erste Erkenntnis auf dem Weg zu einer bewußten Ernährung ist jene, daß
Übergewicht (abgesehen von eher seltenen medizinischen Ursachen) weder auf
unbegreifliche Weise entsteht noch durch undurchschaubar-wissenschaftliche
Methoden wieder weggebracht werden muß.“
Begründung
Unterthese 2
„1 Kilogramm Körperfett enthält 6000 Kilokalorien. Wer zu dick ist, hat irgendwann
im Vergleich zum tatsächlichen Energiebedarf zuviel Kalorien aufgenommen – will
man sie wieder wegbringen, braucht man pro Kilo Fett lediglich um 6000 Kcal
weniger als nötig aufzunehmen (wobei völlig unwichtig ist, welche Lebensmittel
zwecks geringerer Energiezufuhr aufgenommen werden!) Jedes, im Vergleich zum
tatsächlichen Kalorienbedarf Zuviel an Nährwert, wird in Körperfett umgewandelt,
jedes Zuwenig baut Fettreserven ab.“
Unterthese 3
„Der letzte Satz sagt auch schon, daß Gewichtsabnahme selbstverständlich nicht nur
durch die Steuerung der Nährwertaufnahme zu erreichen ist.“
Begründung
Unterthese 3
„Wird der Kalorienverbrauch gesteigert – z. B. durch erhöhte körperliche Aktivität wie
Sportausübung – kommt es bei gleichbleibender Nahrungsaufnahme ebenfalls zum
Fettabbau.“
Fazit
Unterthese 3
„Aber nicht jedermann kann oder will Sport betreiben, also bleiben wir bei der
Ernährung.“
- 65 -
Unterthese 4
„Der ‚gefährlichste‘ Dickmacher ist Fett.“
Begründung
Unterthese 4
„Fett enthält mehr als doppelt so viele Kalorien wie Eiweiß oder Kohlenhydrate.“
Feststellung 1
„Der Statistik ist zu entnehmen, daß die Österreicher um ziemlich genau 100% zu viel
Fett essen (140 anstatt ca. 70 Gramm täglich). Allein Fleisch und Wurst liefern 20%
der Fettmenge, der bei uns üblichen Ernährung. Auch beim Koch- und Streichfett sind
wir allzu großzügig.“
Unterthese 5
„Auch Zucker und zuckerreiche Speisen kann man zu den ‚Dickmachern‘ zählen.“
Begründung
Unterthese 5
„Abgesehen davon, daß sie keine Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente, meist
auch keine Ballaststoffe liefern, fördert eine zuckerreiche Ernährung das Bedürfnis
nach noch mehr Zuckeraufnahme sowie Hunger und Müdigkeit, weil der
Blutzuckerspiegel starken Schwankungen ausgesetzt ist.“
Feststellung 2
„Zukker (sic!) ist übrigens nicht nur das, was man sich in den Kaffee gibt! In vielen
Speisen und Getränken sind ungeahnte Zuckermengen versteckt. Besonders
zuckerhältig sind alle kohlensäurehältigen Erfrischungsgetränke. In einigen sind bis zu
40 Stück Zucker pro Liter enthalten! Mehlspeisen enthalten auch mehr Zucker, als für
einen angenehm süßen Geschmack nötig wäre.“
Fazit
Unterthese 5
„Man könnte ihn ohne weiteres reduzieren, meist auf die Hälfte der in den Rezepten
angegebenen Mengen; vor allem dann, wenn man Vollmehl verwendet, in dem ja alle
Inhaltsstoffe, somit auch die getreideeigenen Geschmackstoffe erhalten sind.
Süßigkeiten wie Schokolade, Pralinen, Zuckerln u. a. enthalten natürlich auch hohe
Mengen an Zucker.“
Unterthese 6
„Alkoholische Getränke liefern ebenfalls viele Kalorien.“
Begründung
Unterthese 6
„Sie bestehen aus Alkohol und verschiedenen Zuckerarten. Alkohol liegt im
Kaloriengehalt zwischen Fett und den anderen Nährstoffen und liefert keinerlei andere
Inhaltsstoffe.“
Fazit
Unterthese 57
bzw.
Schlussfazit
„Diesen ‚Dickmachern‘ stehen als Alternative eine Menge kalorienarmer Lebensmittel
gegenüber. Bis auf wenige Ausnahmen (z. B. Nüsse) sind alle Pflanzen eher
kalorienarm. Das betrifft vor allem Obst und Gemüse. Getreide (Brot) ist
kalorienärmer als allgemein angenommen – der Brotbelag enthält meist gleich oder
doppelt so viele Kalorien wie seine Unterlage. Auch Erdäpfel wurden lange Zeit
fälschlicherweise als Dickmacher eingestuft. Magere Milchprodukte (Joghurt, Topfen,
Käse) sind zwar nicht extrem kalorienarm, aber eine hochwertige Ergänzung zum
pflanzlichen Eiweiß. Um die Nährwert-Aufnahme überwachen zu können, braucht
man Rezepte mit entsprechenden Kalorienangaben oder spezielle Kalorientabellen, die
um wenig Geld im Buchhandel erhältlich sind*, weiter einen Rechenstift oder
Taschenrechner, und zuletzt, ein wenig Disziplin.“
Apostrophe
Sabine Hollomey-Gärner
Mikrostruktur-Analyse
Übergewicht wird in Unterthese 2 als Bilanzproblem dargestellt (siehe Tabelle 11), wobei
für die Bilanzierung des Körpergewichts gänzlich das Individuum verantwortlich sei und
auch die Folgen des Übergewichtes zu tragen hätte: „Wer zu dick ist, hat irgendwann im
Vergleich zum tatsächlichen Energiebedarf zuviel Kalorien aufgenommen.“ Übergewicht
als Bilanzproblem äußert sich in ideationeller Hinsicht als thematisch-vordergründig
anhand der semantischen Bedeutungsfelder ‚Körperfülle‘ und ‚-substanz‘ mit den
- 66 -
Begriffen „Körperfett“, „Fett“ und „Fettreserven“ als auch dem Bedeutungsfeld ,Energiezufuhr‘ mit den Begriffen „Kilokalorien“ und „zuviel Kalorien“. Körpersubstanz und
Energiezufuhr werden dabei in einem engen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang mit
konkreten Zahlen dargestellt.
In der Hauptthese wird behauptet, dass „eine Kalorientabelle, ein Rechenstift und ein
geändertes Ernährungs-Bewußtsein“ besser seien als jegliche „Ruck-Zuck-Kuren“.
Ernährungsbewusstsein und individuelle Selbstinitiative werden als Notwendigkeit
zugrunde gelegt und Maßnahmen der Gewichtsreduktion, wie Diäten, werden abgelehnt.
Es ist in ideationeller Hinsicht eine wortklassenübergreifende Häufung des Wortes
‚bewusst‘ in „Bewußtes Leben“ und „Ernährungs-Bewußtsein“ feststellbar. Als interpersonell bedeutsam äußern sich die Epitheta in den Gegensatzpaaren „geändertes
Ernährungs-Bewußtsein“ und „falsches Ernährungsverhalten“.
Während konkrete Ratschläge zur Umsetzung einer bewussten Ernährung lediglich im
Schlussfazit mit den Hinweisen auf den Konsum von pflanzlicher Kost, Getreide,
Kartoffeln
und
mageren
Milchprodukten
erfolgen,
fokussiert
der
Text
jene
Nahrungsbestandteile, die vor allem zu meiden seien. Diesbezüglich ist von „Dickmachern“ – von Zucker und Alkohol – und vom „gefährlichsten Dickmacher“ – von Fett
– die Rede. Das in interpersoneller Hinsicht evaluative Epithet ‚gefährlichste Dickmacher‘ initiiert in der Darstellung den ursächlichen Zusammenhang von unerwünschtem
Nahrungsmittelkonsum, Körpergewicht und Gesundheit.
Generell erfolgen sachbezogene Argumente gegen den Konsum von Fett, Zucker und
Alkohol. Verben wie ‚liefern‘ und ‚enthalten‘ kommen überdurchschnittlich oft in den
Sätzen vor. Sie sorgen für eine sachliche Darlegung des negativen Potentials der
„Dickmacher“. Der Text äußert sich durchwegs als sachargumentativ, wenngleich die
Präsentation der Sachverhalte mit Nachdruck erfolgt. Von interpersoneller Qualität
erweisen sich diesbezüglich die in der Themaposition der Botschaftsübermittlung
vorkommenden substantivierten Adjektivgruppen und Präpositionalgruppen „Vor allem:“
und „Jedes Zuviel“ und „Jedes Zuwenig“ (siehe Tabelle 12).
Tabelle 12: Wie man wirklich schlank wird (und bleibt) 5/1986, Übermittlung der Botschaft
Thema
Rhema
„Vor allem:“
„Jedes,“
„im Vergleich zum tatsächlichen Kalorienbedarf
Zuviel an Nährwert, wird in Körperfett
- 67 -
umgewandelt,“
„jedes Zuwenig“
„baut Fettreserven ab.“
Die dargelegten Sachverhalte werden auf diese Weise bekräftigt.380 Auch die dreimal im
Text vorkommenden Ausrufzeichen heben die Nachdrücklichkeit des Gesagten hervor.
Die Leserinnen und Leser werden somit argumentativ aufgefordert, ohne rezeptartige
Handlungsanweisungen zu erteilen.
Die Beschaffenheit der Aussage im sozialen Kontext
Präskriptive wie auch rezeptartige diätische Maßnahmen zur Gewichtsreduktion wurden
seitens der Gusto-Redaktion zu Gunsten des Genusses und der Kulinarik weitgehend
abgelehnt. Die Begriffe „Ruck-Zuck-Kuren“ und „Abmagerungskuren“ verwiesen auf
diese Tatsache. Die im Editorial im selben Heft geäußerte Ansicht des Chefredakteurs,
dass im frühjährlichen Streben nach Schlankheit „Roßkuren leider völlig sinnlos“381
seien, bestätigte diese Tendenzen in der Blattlinie. Wie Sabine Hollomey-Gärner im
Kommentar, so verwies auch er auf die Notwendigkeit einer bewussten Ernährung und
schlug eine „linienbewusste Ernährung“382 unter Beachtung der Gusto-Nährwertangaben
vor. Überdies unterstrich die Fülle an Gusto-Rezepten zu leichten Speisen, wie Fisch und
Gemüse, diese redaktionelle Ansicht.
Mit der bewussten Ernährung setzte das Journal auf Selbstinitiative der Leserinnen und
Lesern vor schlankheitsideologischem als auch gesundheitsorientiertem Hintergrund. Der
Ursache-Wirkungs-Zusammenhang
anhand
konkreter
Zahlen
und
die
visuelle
Hervorhebung kalorienarmer und -reicher Nahrungsmittel in der rot-gelb eingefärbten
und mit Nahrungsmittelsymbolen ausgestatteten Kalorientabelle verwiesen einerseits auf
eine außerordentliche Bedeutsamkeit einer positiven Gewichtsbilanz. Andererseits
propagierten die vorgeschlagenen Maßnahmen und Hilfsmittel wie Kalorientabellen,
Rechenstift und Taschenrechner die Notwendigkeit zur selbstverantwortlichen Umsetzung der Bilanzierung des Körpergewichts. Ungeachtet der Folgen der schlankheitsideologischen Botschaften leistete das Gusto-Journal als Förderer hoher gesellschaftlicher
als auch individueller Erwartungen dem Streben nach der Idealfigur Vorschub.
380
Vgl. Jung 1990, 320.
Gusto 5/1986, 3.
382
Gusto 5/1986, 3.
381
- 68 -
Die bewusste Ernährung wurde überdies vor dem Hintergrund des selbstdisziplinierten
Verzichts bestimmter Nahrungsmittelbestanteile präsentiert. Überdurchschnittlich oft
vorkommende Bezeichnungen und Zusammensetzungen mit ‚Fett‘ gingen einher mit der
Feststellung, dass Nahrungsmittelfett der „gefährlichste Dickmacher“ sei. Als ‚Dickmacher‘ definierten Mediziner jene Lebensmittel „mit einem hohen Kaloriengehalt oder
mit ungünstiger Nährstoffzusammensetzung oder beidem“.383 Seit den Diätkuren der
1980er Jahre kam vor allem Fett in Verruf, da es, wie Kurt Langbein und Christian
Skalnik bemerkten, pro Gramm neun Kilokalorien und damit die doppelte Menge an
Energie wie Eiweiß und Kohlenhydrate einbringe. Im Text galten auch eine zuckerreiche
Ernährung und der Konsum von alkoholischen Getränken als dickmachend, die ebenso
wie Nahrungsmittelfett durch die Kursiv-Schreibung im Text hervorgehoben wurden.
Alkohol sei kalorienhaltig, und zuckerreiche Nahrungsmittel rufen ein allgemeines
Hungergefühl und Verlangen nach noch mehr Zucker hervor. Die Meidung dieser
‚Dickmacher‘ aus gewichtsreduzierenden Gründen erfolgte vor dem Hintergrund eines
vertretenen
Schlankheitsbewusstseins,
wenngleich
auch
auf
den
Gesundheits-
zusammenhang eingegangen wurde. Dickmacher hätten eine ungünstige Nährstoffzusammensetzung, Zucker fehle es an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen
und er verursache überdies Müdigkeit aufgrund von Blutzuckerspiegelschwankungen.
Alkohol liefere „keinerlei andere Inhaltsstoffe“ und Fett werde von den Österreicherinnen
und Österreichern ohnehin übermäßig verzehrt. Tendenzen einer Verzichtethik auf
bestimmte Nahrungsmittelbestandteile waren
somit
essentieller
Bestandteil
der
Botschaften. In den USA äußerte sich eine Zuckerphobie bereits erstmals gegen Ende der
1960er Jahre und die Forderungen der egative utrition – der Verzicht auf Fett, Zucker
und Salz – erstmals in den 1970er Jahren384:
„Die Negative Nutrition erforderte eine grundlegende Änderung der Essgewohnheiten, ja eine lebenslange Diät. […] Die alten Konzepte hatten den Konsumenten
einfach Gruppen von angeblich gesunden Lebensmitteln genannt Fleisch, Eier,
Gemüse, Obst, Milch und sie dazu angehalten, nach Herzenslust zuzugreifen. Nun
sollten die Verbraucher nach oft kaum nachvollziehbaren Kriterien hauptsächlich
eines: verzichten.“385
383
Maier 1997, 283.
Vgl. Briesen 2010, 260-263.
385
Briesen 2010, 263.
384
- 69 -
Behandelte der Kommentar der Mai-Ausgabe lediglich die Meidung von Fett und Zucker,
so widmete sich Sabine Hollomey-Gärner in ihrer Rubrik Bewusstes Leben in der
September-Ausgabe des Gusto-Journals schließlich auch dem dritten umstrittenen
Nahrungsbestandteil – dem Salz. Hergestellt wurde der Gesundheitszusammenhang von
übermäßigem Salzkonsum und Bluthochdruck.386 Einhergehend mit der Verzichtsethik
tauchten im Magazin erstmals besondere Varianten von Fetten und Ölen auf, wie die
Marke Osolio-Reform im September 1987,387 die in der Produktvorstellung aufgrund
mehrfach ungesättigter Fettsäuren die Forderungen der leichten ‚Neuen Küche‘ erfülle.
Dezidiert fand im Gusto-Journal diese Form des Kochens jedoch bislang kaum
Erwähnung.
Wurden im Kommentar der Mai-Ausgabe bei vordergründiger schlankheitsideologischer
Ausrichtung präskriptive Diätkuren abgelehnt, so lag dies einerseits an Veränderungen in
der Blattlinie zu Gunsten der Kulinarik, andererseits jedoch auch daran, dass mit der
bewussten Ernährung individuelle Selbstinitiative und Disziplin und damit die
individuelle Verantwortlichkeit für den Körper zugrundgelegt wurde. Wurden
gesundheitliche Aspekte im Zusammenhang mit der erfolgten Verzichtsethik angesprochen, so blieb ein umfassender Gesundheitszusammenhang von Ernährung,
Fettstoff- und Zuckerstoffwechsel, wie er in der
egative
utrition Ausdruck fand,
jedoch außen vor. Die geringe rezeptartige Handlungsanweisung des Textes entsprach der
geforderten Selbstinitiative zur Umsetzung einer bewussten Ernährung und der
anvisierten Selbstdisziplin in der Meidung bestimmter Nahrungsmittelbestandteile.
Dementsprechend gestaltete sich der Text auch argumentativ-auffordernd und nicht
handlungsanweisend.
5.1.5. Bewusste Ernährung: Gesund durch Verzicht (1989)
Situativer und medialer Kontext
Der Text erschien im März 1989 in der Rubrik Aktuell, welche die Leserinnen und Leser
über Neuigkeiten und Trends in den Jahren 1988 und 1989 informierte. Der Verfasser des
Textes, Dr. med Günther Petschnigg, schien weder im Impressum noch an anderer Stelle
des Heftes auf. Das Genre betreffend handelt es sich um einen informierenden
Kommentar, der die „bewußte Ernährung“ thematisierte und auf journalspezifische
386
Vgl. Gusto 9/1986, 63.
Beworben wurde Osolio-Reform jedoch bereits im September 1985 und im Juni 1986, vgl. Gusto
9/1985, 61; Gusto 6/1986, 59.
387
- 70 -
Veränderungen, wie die Einführung von Gesundheitshinweisen bei den Rezepten,
einging. Der Text befand sich an erster Stelle in der Rubrik Aktuell und folgte – lediglich
mit dem „Rezept des Monats“388 dazwischen – dem Editorial, das sich ebenfalls der
Einführung dieser Gesundheitshinweise widmete.389
Abbildung 6: Kommentar „Bewußte Ernährung“390
388
Vgl. Gusto 3/1989, 8.
Vgl. Gusto 3/1989, 3.
390
Quelle: Gusto 3/1989, 6.
389
- 71 -
Makrostruktur-Analyse
Die „bewußte Ernährung“ wird als Notwendigkeit zur Aufrechterhaltung der Gesundheit
erachtet und vor dem Hintergrund der Diskrepanz von Genuss und Verzicht thematisiert.
Die im Fettdruck hervorgehobene Überschrift „Bewußte Ernährung“ tritt deutlicher in
den Vordergrund als die oben in der Mitte zentrierte Rubrikbenennung „Aktuell“. Die
kursive Schreibweise verleiht dem Text eine persönliche Note und wird ergänzt durch das
persönliche Foto des Verfassers und die Hervorhebung des Namens „Dr. Petschnigg“ in
der Bildunterschrift und der Unterzeichnung des Textes. Auffallend ist die detaillierte
Bezeichnung „Dr. med. Günther Petschnigg“, die auf die Profession des Verfassers
aufmerksam macht und die fotografische Darstellung ergänzt. Bei dieser handelt es sich
um ein visuelles demand, wobei der ernsthafte Blick des kalkulierenden Mediziners
Seriosität, Glaubwürdigkeit des Gesagten und Professionalität potentiell zu vermitteln
vermag. Der Text beinhaltet folgende Gliederung:
Tabelle 13: Bewußte Ernährung 3/1989, Gliederung des verbalen Textes
Überschrift
„Bewußte Ernährung“
Hauptthese
„Über richtige und falsche Formen der Ernährung wird heutzutage viel geschrieben.
So viel, daß es manchmal schon verwirrend ist. Als Folge davon verlieren viele
Menschen ganz generell die Lust am Essen, andere lassen die Flut an Informationen
über sich ergehen, ohne daraus irgendwelche Lehren zu ziehen.“
Begründung
Hauptthese
„Beides ist gewiß nicht richtig. Vernünftige Ernährung sollte durchaus schmackhaft
sein, aber auch kein Schwelgen in allerlei kulinarischen Genüssen, die von der
Ernährungswissenschaft als bedenklich erkannt wurden. Gesundsein bedeutet über
das Freisein von Krankheiten hinaus ein geistiges und körperliches Wohlbefinden. In
diesem Sinne ist es wenig zweckdienlich, eine Zeitlang zu sündigen, um dann in
schmerzhafter Selbstkasteiung die entstandenen Schäden zu reparieren; wir kennen
diese Verhaltensweise bei der Steuerung des Körpergewichtes.“
Unterthese 1
„Und damit sind wir schon beim Thema, soweit es ein Kochjournal wie GUSTO
betrifft. Übergewicht ist – schlicht gesagt – ungesund.“
Fazit
Unterthese 1
„Ob eine gewisse Speise ‚dick macht‘ oder nicht, läßt sich an den ährwerten
(Kjoule oder Kcal) ablesen, die bei jedem GUSTO-Rezept zu finden sind. Wer von
Übergewicht betroffen ist, sollte diese Werte ein wenig im Auge behalten.“
Unterthese 2
„Abgesehen von den ährwerten, sind für eine bewußte Ernährung vor allem der
Gehalt an Cholesterin und Salz der einzelnen Speisen interessant.“
Begründung
Unterthese 2
„Zuviel Cholesterin kann nämlich zu Blutgefäßerkrankungen (Arteriosklerose)
führen, zu salzreiche Ernährung zu Bluthochdruck.“
Fazit
Unterthese 2
„Ab dieser Ausgabe finden Sie in GUSTO Hinweise, ob eine Speise viel oder wenig
Cholesterin bzw. viel oder wenig Salz enthält. Das C [rotes Kästchen im
Hintergrund] steht für hohen Cholesteringehalt, das C [grünes Kästchen im
Hintergrund] für geringen Cholesteringehalt. Das S [rotes Kästchen im Hintergrund]
steht für hohen Salzgehalt, das S [grünes Kästchen im Hintergrund] für geringen
Salzgehalt. Unmarkierte Rezepte haben durchschnittlichen Cholesterin- und
Salzgehalt.“
- 72 -
Unterthese 3
„Um abschätzen zu können, wie wichtig diese Hinweise für Ihre Gesundheit sind,
genügt leider nicht, (wie bei den ährwertangaben) der Schritt auf die Waage oder
der Blick in den Spiegel. Sie sollten Ihren Cholesterinwert und Ihren Blutdruck vom
Arzt feststellen lassen (die Untersuchung ist ganz einfach).“
Fazit
Unterthese 3
„Wer normalen Blutdruck und Cholesterinwert hat, braucht die roten und grünen
Markierungen wohl nur entfernt im Augenwinkel zu behalten. Bei zuviel Cholesterin
im Blut und Bluthochdruck sollte man sich die rot markierten Rezepte eher nur
ausnahmsweise gönnen.“
Schlussfazit
„Bei aller bewußten Ernährung sollte man sich keinesfalls die Lust am Essen
verderben lassen. Es gibt ja auch die grün markierten Rezepte, die nicht weniger
schmackhafte Speisen ergeben.“
Apostrophe
„Wenn Sie zum Thema ‚bewußte Ernährung‘ Fragen haben, stehen wir gerne zur
Verfügung. Schreiben Sie an [Nennung der Gusto-Adresse]
Dr. med. Günther Petschnigg
Mikrostruktur-Analyse
Im Text äußert sich die Vermittlung der Bedeutung von Gesundheit und Gesunderhaltung
als zentrales Anliegen. Das in der Begründung der Hauptthese und als Thema in der
Botschaftsübermittlung angesprochene „Gesundsein“ (siehe Tabelle 13 und 14) wird als
ein „über das Freisein von Krankheiten hinaus […] geistiges und körperliches Wohlbefinden“ definiert.
Tabelle 14: Bewußte Ernährung 3/1989, Übermittlung der Botschaft
Thema
Rhema
„Gesundsein bedeutet“
„über das Freisein von Krankheiten hinaus ein
geistiges und körperliches Wohlbefinden.“
„Zuviel Cholesterin“
„kann nämlich zu Blutgefäßerkrankungen
(Arteriosklerose) führen,“
„zu salzreiche Ernährung“
„zu Bluthochdruck.“
Vor diesem Hintergrund spielt die „bewußte Ernährung“ eine wesentliche Rolle, die in
ideationeller Hinsicht und Häufung viermal im Text genannt wird. Erachtet man das
Essen aufgrund der zweimal angesprochenen „Lust am Essen“ als grundlegend und
wünschenswert, so wird in Opposition zu einem Genusshedonismus den Zielsetzungen
der Aufrechterhaltung der Gesundheit insofern Rechnung getragen, als man Meidung und
Verzicht propagiert. In der Begründung der Hauptthese äußert sich dies im Hauptsatz
„Vernünftige Ernährung sollte durchaus schmackhaft sein“ (siehe Tabelle 13). In
interpersoneller Hinsicht dient das Modalverb „soll“ als Obligation zum Handeln und das
Modaladverb „durchaus“ der diesbezüglichen Bekräftigung. Relativiert wird dies jedoch
- 73 -
durch die Verwendung des zweiten Konjunktivs mit „sollte sein“, der geringe Affinität
zum thematisierten „schmackhaften Essen“ erkennen lässt.
Abgelehnt wird das „Schwelgen in […] kulinarischen Genüssen“, wobei die
„kulinarischen Genüsse“ im darauf folgenden Relativsatz als „bedenklich“ bewertet
werden. Den in diesem Zusammenhang durch „Sündigen“ „entstandenen Schäden“ könne
man nur durch „schmerzhafte Selbstkasteiung“ beikommen. Es handelt sich dabei um
eine Drohung, die verbale Konkretisierungen391 der beiden kulturell-konventionalisierten
Metaphern392 ‚Genuss ist Sünde‘ und ‚Diät ist Buße‘ beinhaltet. Tief verankerte und in
einer säkularisierten Welt längst vergessen geglaubte religiöse Traditionen dienen dabei
der Verbreitung von Schrecken im Ernährungskontext.393 Das Adjektiv „schmerzhaft“
äußert sich als Überhöhung des ohnehin negativ konnotierten Begriffes „Selbstkasteiung“. In seiner Gesamtheit besitzt das Epithet äußerst hohes interpersonelles
Potential im Kontext der ausgesprochenen Drohung.
Die ideationelle thematische Fokussierung auf Übergewicht als Gesundheitsproblem
erfolgt in „Übergewicht ist schlicht gesagt ungesund“, indem „ungesund“ als Attribut
dem Träger „Übergewicht“ in diesem attributiv relationalen Prozess zugeschrieben wird.
Noch deutlicher hervorgehoben wird der Zusammenhang von Gesundheit und Ernährung
in der Thematisierung der Auswirkungen einer cholesterin- und salzhaltigen Ernährung,
die – laut Argumentation – Blutgefäßerkrankungen und Bluthochdruck zur Folge hätten.
Diesem als Thema in der Botschaftsübermittlung hervorgehobenen Problemkomplex
(siehe Tabelle 14), widmet man beinahe die gesamte zweite Spalte des Textes. In
ideationell-quantitativer
Hinsicht
werden
„Cholesterin“,
„Cholesteringehalt“ und
„Cholesterinwert“ neun Mal angesprochen. Es handelt sich um den am meisten
verwendeten
Begriff.
Auch
„Salz“
und
über
Wortgruppen
hinausgehende
Zusammensetzungen mit ‚Salz‘ als auch „Blutdruck“ und „Bluthochdruck“ fallen durch
die oftmalige Verwendung auf. Mit der gehäuften Nennung der Gegensätze „viel“ und
„wenig
Salz“
und
„Cholesterin“
und
„hoher“
und
„geringer“
„Salz-“
und
„Cholesteringehalt“ wird in ideationeller Hinsicht die Dichotomie von gut und schlecht –
von gesundheitszuträglich und -schädlich hervorgehoben. Die Adjektive „viel“, „zuviel“
und „hoch“ in den Epitheta besitzen dabei auch alarmierendes interpersonelles Potential.
391
Vgl. Lakoff/Johnson 2003, 59 u. 65.
Vgl. Lakoff/Johnson 2003, 175.
393
Vgl. Montanari 1993, 204.
392
- 74 -
Der vorgeschlagene Weg der Meidung, des Verzichts und der Vorsicht erfolgt durchwegs
handlungsanweisend, wobei der Verfasser stets Quelle der Obligation ist. Die Leserinnen
und Leser werden zur Beachtung der Nährwertangaben, der roten und grünen
Markierungen und zur Cholesterinwert- und Blutdruckfeststellung durch einen Arzt
angeleitet. Diesbezüglich erfolgen Aufforderungen mit imperativischem Charakter durch
die mehrmalige Verwendung des Modalverbs „soll“ in Kombination mit dem Infinitiv.
Der zweite Konjunktiv „sollte“ dient dabei der professionellen Zurückhaltung und erhöht
die Glaubwürdigkeit des Gesagten.
Die Beschaffenheit der Aussage im sozialen Kontext
Der ‚bewußten Ernährung‘ wurde außerordentliche Bedeutung für die Gesunderhaltung
beigemessen. Mit der zusätzlich zu den Nährwertangaben erfolgten Einführung der
Symbole zum Cholesterin- und Salzgehalt der in den Rezepten dargebotenen Speisen trat
das Gusto-Journal als wesentlicher Akteur in der Gesundheitsförderung in Erscheinung,
wobei die in der Ottawa-Charta 1986 bekräftigte WHO-Definition von Gesundheit aus
dem Jahr 1948394 beinahe im Wortlaut übernommen wurde. Geistiges und körperliches
Wohlbefinden könne nur durch eine vernünftige Ernährung – genau genommen durch
Verzicht – hergestellt werden. Die Forderungen der
egative
utrition nach einer fett-,
salz- und zuckerreduzierten Permanentdiät, die sich als unbedenklich für Cholesterinwert
und Blutdruck erweisen sollte,395 wurden nun eingehend im Gusto-Journal behandelt.396
Aufgrund der Ergebnisse der Framingham-Studie wiesen Ernährungsmediziner und
wissenschaftler vor allem seit den 1960er und den 1970er Jahren vermehrt auf den
Zusammenhang von Ernährung und die Entstehung von kardiovaskulären Erkrankungen
hin, wie beispielsweise der Mediziner Siegfried Heyden in Bewußter essen397 und der
Mediziner Hans-Jürgen Holtmeier in seinem Buch Diät bei Übergewicht und gesunde
Ernährung398. Im Vorwort des Atherosklerose-Berichts der Österreichischen Gesellschaft
für Hygiene, Mikrobiologie und Präventivmedizin stellte im Juni 1988 nun auch von
politischer Seite der Bundesminister für Gesundheit Franz Löschnak fest, dass „die
Entwicklung der atherosklerosebedingten Erkrankungen in Österreich […] ungünstig“ sei
394
Vgl. WHO, Glossar Gesundheitsförderung 1998,1.
Vgl. Briesen 2010, 262-263.
396
Auch in der Produktwerbung des Journals fanden sich 1989 Aspekte der Negative Nutrition als
Gesundheitsbewusstsein wieder. Vgl. Vrana 2012, 47.
397
Vgl. Heyden 1973, 5-6.
398
Vgl. Holtmeier 1972, 9-15.
395
- 75 -
und Handlungsbedarf in Form von „Vorsorgemaßnahmen“ bestünde.399 Im Maßnahmenkatalog des Berichts lautete eine Forderung, in der Bevölkerung ein „,CholesterinBewußtsein‘ zu entwickeln“400. Durch ein entsprechendes Ernährungsverhalten und vor
allem die Reduktion des Fettkonsums solle der nach Schätzungen um das Doppelte zu
hohen Cholesterinaufnahme401 der Österreicherinnen und Österreicher beizukommen
sein. Als Träger der Gesundheitsförderung rief man die Ärzteschaft, politische Initiativen
und die Nahrungs- und Genussmittelindustrie durch Ausschöpfung der Möglichkeiten
von Produktmodifikationen in die Pflicht. Schließlich sollte eine Massenstrategie zur
Prävention auch durch die „Einschaltung der Medien“ erfolgen.402 Vor diesem
Hintergrund äußerten sich die Einführung der Gesundheitshinweise als auch die
Aufforderung zur Umsetzung einer cholesterin- und salzarmen ‚bewußten Ernährung‘ im
Gusto-Journal. In Berichten wie „Gesund und köstlich“ der November-Ausgabe des
Jahres 1989 war vom „wegbringen“ der Österreicher vom „permanenten Schnitzel“ die
Rede.403 Unterstützt wurden Initiativen zum Aufbau eines Ernährungsbewusstseins, wie
das Kochseminar Köstlich und trotzdem gesund im SAS-Palais Hotel in Wien, das von
der Österreichischen Krebshilfe, dem Verband der diplomierten Diätassistentinnen
Österreichs und der Gesellschaft für zeitgemäße Ernährung ins Leben gerufen wurde.404
In der Beitragsreihe eues Kochen, im Frühjahr 1990 präsentierte das Journal unter dem
Titel „Fast kein Fett und fast kein Salz“ Rezepte, die im „Lichte der modernen
Ernährungslehre“ für „mehr Wohlbefinden“ sorgen sollten.405 Die ‚bewusste Ernährung‘
ging einher mit einer cholesterinarmen ‚Neuen Küche‘, die im Journal erstmals im Juli
1988 als die „kalorienreduzierte Kochkunst nach der Lehre von Paul Bocuse“ im Kontext
der Produktvorstellung einer gesünderen „Sorte von Fertig-Gerichten“, der Maggi euen
Küche, definiert wurde.406 Viele Produkte wurden sowohl für ihre Gesundheits- als auch
Schlankheitszuträglichkeit im Gusto-Journal vorgestellt, andere wiederum nur für eines
der beiden. Bei Margarinen unterschied man beispielsweise zwischen Diätmargarinen mit
geschützter Qualitätsbezeichnung zur Senkung des Cholesterinspiegels und kalorienreduzierten Margarinen, wie der Du Darfst Minarine zum Abnehmen, die den Leserinnen
399
IfSUW 1988, 3.
IfSUW 1988, 54.
401
In den WHO-Berechnungen entsprach die maximale tägliche Cholesterin-Aufnahme 300 mg, vgl. Kunze
1988, 55.
402
IfSUW 1988, 53-56.
403
Gusto 11/1989, 60.
404
Vgl. Gusto 11/1989, 60.
405
Gusto 5/1990, 24.
406
Gusto 7/1988, 64.
400
- 76 -
und Lesern im Magazinteil der Mai-Ausgabe im Jahr 1989 vorgestellt wurde.407 Die
‚bewusste Ernährung‘ als Maßnahme zur Reduktion von Übergewicht fand sich überdies
in Gusto-Rezepten zur ‚Leichten Küche‘408 als auch in der Bewerbung von LightProdukten409 wieder. Die Rubrik Abnehmen leicht gemacht410 wurde diesbezüglich 1989
ins Leben gerufen und im Frühjahr 1990 in „kalorienreduziert Kochen“411 umbenannt.
Diese widmete sich der kalorienarmen Kost und regte die Leserinnen und Leser zum
Nachkochen an. Der Kommentar mit dem Titel „Leicht im Trend“ vom Juni 1988
behandelte Leichtbier, das sowohl weniger Alkohol als auch weniger Kalorien besaß.
Festgestellt wurde, dass „ein neues Gesundheits- und Körperbewußtsein das Konsumverhalten beeinflußt“ und die Auswahl an Leichtbieren im Jahr 1988 zugenommen
habe.412
Die im Kommentar vertretene ‚bewußte Ernährung‘ wurde mit einem hohen
professionellen Ethos, der Glaubwürdigkeit des Mediziners sowie durch verbale und
visuelle Stilmittel auffordernd und handlungsanweisend präsentiert. Die Vehemenz in der
Argumentation kontrastiert mit dem wenige Seiten davor vom Chefredakteur Werner
Meisinger verfassten Editorial, indem dieser zwar ebenfalls die Notwendigkeit der
Einführung der Symbole hervorhob, jedoch deren Bedeutung zurückhaltender bewertete.
Die roten Gesundheitshinweise deutete der Chefredakteur als „zarte Warnlichter“ und
eine gänzliche Beschränkung auf die gesunde Ernährung bezeichnete er als „mieselsüchtig“ machend.413 Trachtete das Journal als Akteur der Gesundheitsförderung
durchaus die Ernährungsgewohnheiten der Österreicherinnen und Österreicher zu
verändern, so wurde von einem überkonsequenten Cholesterinbewusstsein, aus dem für
ein Kochjournal nachvollziehbaren kulinarischen Selbstverständnis heraus, Abstand
genommen. Diesbezüglich wurde harsches Cholesterinbewusstsein selbst auch Gegenstand von Karikaturen im Journal wie beispielsweise im Oktober 1989414 (siehe
Abbildung 7).
407
Vgl. Gusto 5/1989, 62-63.
Siehe „Schnitzel Light“, Gusto 6/1989, 23; „Leichter Käse zum Dessert“, Gusto 7/1989, 50; „Leichte
Küche, Leichte Sauce“, Gusto 7/1989, 59.
409
Light-Produkte betrafen beispielsweise „Leichtes Gemüse“, Gusto 4/1989, 65; „Neuer Fisch“, Gusto
5/1989, 65; oder „Pietro Pizzis Pizza light“, Gusto 7/1989, 65.
410
Vgl. Gusto 4/1989, 65.
411
Vgl. Gusto 5/1990, 62.
412
Gusto 7/1988, 58.
413
Gusto 3/1989, 3.
414
Vgl. Gusto 10/1989, 65.
408
- 77 -
Abbildung 7: Karikatur, Cholesterin-Aktion415
Die persönliche Note in Form der kursiven Schrift und der Unterschrift des Mediziners
äußerte sich wie ein vernunftbetonter, jedoch der Kulinarik ferner Brief eines externen
Experten. Aufgrund der vorherrschenden Kluft zwischen Genuss und Verzicht wurde bei
aller Notwendigkeit zur Gesundheitsförderung der Gesundheitsimperativ zumindest
heftdramaturgisch ausgelagert.
5.2. Gesund, fit, und schlank als Diskurs in den 1990er und 2000er Jahren
Die beiden folgenden Analysen widmen sich den weiteren diskursiven Veränderungen
und
Entwicklungen
der
Aussagen
zum
Thema
Ernährung,
Gesundheit
und
Körperbewusstsein in den durch Lebensstilkonzepte im postmodernen Alltag gekennzeichneten 1990er und 2000er Jahren. Es erfolgt somit die Anknüpfung an die
gegenwärtige Relevanz des Themas.
415
Quelle: Gusto 10/1989, 65.
- 78 -
5.2.1. Satt und Schlank: Ausgewogenheit ohne Diäten (1994)
Abbildung 8: Kommentar „Satt und Schlank“416
416
Quelle: Gusto 3/1994, 62.
- 79 -
Situativer und medialer Kontext
Der Kommentar mit dem Titel „Diäten“ erschien im März 1994 im hinteren Teil des
Gusto-Journals in der erstmals den Leserinnen und Lesern präsentierten Rubrik Satt und
Schlank. Verfasst wurde der Text von Elisabeth Fischer, die auch im Impressum als
Mitglied der Redaktion aufschien417 und durchwegs für die Rubrik zuständig war. Bereits
seit 1991 war sie Autorin der Vorgänger-Rubrik Ohne Fleisch und Fisch gewesen und
initiierte diese im April 1991 mit einem Rezept zu einem Tofu-Gericht.418 Die Einführung
der gegenwärtigen Rubrik – die auch immer durch ein zum Kommentar passendes
Gericht ergänzt wurde – nahm man zum Anlass, den Leserinnen und Lesern das neu
erscheinende Kochbuch von Elisabeth Fischer Schlemmen ohne Reue – die neue
vegetarische Küche zu präsentieren. Dieses wurde im Juli in den Bücherrezensionen des
Magazins vorgestellt, wobei auch auf die Biographie der Autorin eingegangen wurde.
Demnach führte die nunmehr freie Journalistin, die auch Seminare zum Thema Essen
veranstaltete, nach ihrem Soziologiestudium ein vegetarisches Restaurant in München, in
dem sie ebenfalls als Köchin tätig war.419 In der März-Ausgabe wurde – abgesehen von
erweiterten Nährwertangaben nach Nährstoffgruppen – kaum auf Schlankheit und
ernährungsphysiologische Bezugnahmen eingegangen. Eingehender wurde ein anderer
Aspekt von Ernährung und Gesundheit in derselben Ausgabe, im Editorial als auch im
ersten Teil der Beitragsreihe Gusto auf Europa, diskutiert – nämlich die Lebensmittelsicherheit vor dem Hintergrund des österreichischen EU-Beitritts.420
Makrostruktur-Analyse
Übergeordnetes Thema des Textes ist das über Einzelaspekte von Ernährung, Gesundheit
und Schlankheit hinausgehende Wohlbefinden. Vor allem Schlankheit, aber auch
Gesundheit und Vitalität können nur durch Spaß und Genuss am Essen, jedoch vor allem
durch eine „ausgewogene vegetarische Speisekarte“ hergestellt werden und nicht durch
Diäten oder sonstigen Verzicht, so die Argumentation. Der Kommentar umfasst zwei
Spalten im oberen linken Viertel der Seite, während das zum Kommentar passende
Rezept zu Porree mit samtiger grüner Sauce in der Spalte rechts diesen ergänzt. Mit dem
Foto des Porree-Gerichts, das dem vorgestellten Buch der Autorin entnommen wurde,
417
Vgl. Gusto 3/1994, 66.
Vgl. Gusto 4/1991, 90.
419
Vgl. Gusto 7/1994, 65.
420
Als Auswirkungen des österreichischen EU-Beitritts wurden im Gusto-Journal veränderte Bedingungen
der Lebensmittelkennzeichnung und Praktiken der Herstellung, wie Bestrahlung und Gentechnik, durchaus
kritisch thematisiert. Vgl. Gusto 3/1994, 50-53; vgl. Vrana 2012, 53-54.
418
- 80 -
erfolgt einerseits anhand einer visuellen Determination eine genaue bildliche Bestimmung
und andererseits gemäß einer visuellen Gradation eine Verstärkung der im Kommentar
verbalisierten vegetarischen Genüsse. Es ergibt sich folgende Gliederung des Textes:
Tabelle 15: Satt und Schlank 3/1994, Gliederung des verbalen Textes
Überschrift
„Satt & Schlank“ „DIÄTE “
Hauptthese
„Diäten sind meist vergebliche Mühe, denn kehrt man nach tapfer durchlittener
Abnehm-Tortur zum Essens-Alltag zurück, zeigt die Waage bald wieder das zu
bekämpfende Ausgangsgewicht und das zermürbende Hungern nach Schlankheit kann
von vorn losgehen. Endlos kann es sich hinziehen, dieses ‚Nimm ab, Nimm zu Spiel‘,“
Unterthese 1
„und die Diät-Geschädigten verderben sich damit nicht nur gründlich den Spaß am
Essen,“
Unterthese 2
„sondern werden durch die einseitige und mangelhafte Diät-Ernährung auch noch
krank.“
Begründung
Hauptthese
„Grund für den Mißerfolg: Für den Körper bedeuten Diäten Notzeiten und er schaltet
auf Sparprogramm, damit das Überleben auch mit knappen Mitteln gesichert ist. Nach
Beendigung der Diät läuft das Sparprogramm aber weiter, verwertet der Körper jetzt
das Essen besonders gut und legt Fettpolster an – als Reserve für eine neue
Hungersnot. Die läßt auch nicht lange auf sich warten, denn die nächste Diät kommt
bestimmt.“
Fazit
„Aus dieser Diäten-Sackgasse, die mit Frust und Selbstvorwürfen gepflastert ist, gibt
es einen erstaunlich einfachen Ausweg: Schlemmen statt Fasten, mit vegetarischen
Genüssen, die zufrieden satt, aber nicht dick machen. Denn eine ausgewogene
vegetarische Speisekarte enthält weniger Kalorien, dafür aber alle lebensnotwendigen
Stoffe, die der Mensch braucht, um gesund und fit zu bleiben: viele ballaststoffreiche
Kohlenhydrate, die richtige Menge Eiweiß und wenig Fett, dazu üppig Vitamine und
Mineralstoffe.“
Mikrostruktur-Analyse
Als zentrales Anliegen des Textes äußert sich die Hervorhebung des Genusses am Essen
im Gegensatz zu praktiziertem Verzicht und Meidung. In ideationeller Hinsicht ergibt
sich diesbezüglich eine Häufung positiv konnotierter semantischer Bedeutungsinhalte mit
„Spass am Essen“ in Unterthese 2 (siehe Tabelle 15) als auch den Gegensätzen
„Schlemmen statt Fasten“ und „vegetarische Genüsse, die zufrieden satt, aber nicht dick
machen“ im Fazit (siehe Tabelle 15). Maßnahmen der Gewichtsreduktion wie Diäten, als
Ausdruck von Verzicht und Meidung, werden abgelehnt, in letzter Konsequenz, wie in
Unterthese 2, sogar als krankmachend erachtet (siehe Tabelle 15) und dementsprechend
mit einer Vielzahl an negativ konnotierten Begriffen belegt, die vor allem deren
Sinnlosigkeit sowohl in ideationeller als auch in interpersoneller Hinsicht hervorheben.
Neben den Bezeichnungen „Abnehm-Tortur“, „Nimm ab, Nimm zu Spiel“, „DiätenSackgasse“ und „Hungersnot“ vermitteln die verwendeten Adjektive in den Epitheta
„vergebliche Mühe“, und „zermürbendes Hungern nach Schlankheit“ die Zwecklosigkeit
- 81 -
von Diäten vor dem Hintergrund des sogenannten ,Jo-Jo-Effekts‘. Mit der Metapher „Für
den Körper bedeuten Diäten Notzeiten“ werden die Auswirkungen von Genuss und
Verzicht auf den menschlichen Körper in Analogie zu ökonomischen Phasen der
Konjunktur und Depression und deren Folgen auf die Gesellschaft dargestellt. Mit den im
Text genannten Bezeichnungen „Notzeiten“, „Sparprogramm“, „Hungersnot“ und dem
„Überleben mit knappen Mitteln“ erfolgt eine Erweiterung der Bedeutungssphäre des
Begriffes ‚Verzichten‘, der folglich dem postmodernen, auf Konsumismus basierenden
Verständnis des Genusshedonismus der 1990er Jahre421 gänzlich gegenübersteht.
Der Vorschlag zur Umsetzung einer zufrieden, schlank, gesund und fit machenden
Ernährung, als ganzheitlicher Ausdruck von Wohlbefinden, erfolgt im Fazit (siehe
Tabelle 15). Schlemmen und zufriedene Sättigung stehen dabei ganz im Zeichen des
Vegetarismus – in ideationeller Hinsicht durch das Epithet „vegetarische Genüsse“ und in
interpersoneller Hinsicht näher beschrieben in „ausgewogene vegetarische Speisekarte“.
Mit dem Satz „Denn eine ausgewogene vegetarische Speisekarte enthält weniger
Kalorien, dafür aber alle lebensnotwendigen Stoffe, die der Mensch braucht, um gesund
und fit zu bleiben […]“ vollzieht sich in ideationell-thematischer Hinsicht mit dem Verb
‚enthalten‘422 ein besitzanzeigender attributiver Prozess, der die Vorzüge des Besitzers
oder Trägers der „ausgewogenen vegetarischen Speisekarte“ aufgrund der Attribute
„weniger Kalorien“ und „alle lebensnotwendigen Stoffe“ hervorhebt. Es erfolgte somit
die Grundlegung der ‚ausgewogenen vegetarischen Ernährung‘ mit ihren positiven
Attributen zur Herstellung von umfassender Schlankheit, Gesundheit und Fitness. Die
Gesundheitszuträglichkeit
wird
darüber
hinaus
durch
den
Hinweis
auf
den
gewinnbringenden Nährstoffgehalt der ausgewogenen vegetarischen Ernährungsweise
verdeutlicht.
Insgesamt äußert sich der Text als sachargumentativ-auffordernd, indem er aufzeigt, wie
gewinnbringend eine genussvolle ausgewogene vegetabile Ernährung für Schlankheit und
Gesundheit sei. Diesbezüglich leitet die Autorin Begründungen und Fazits mit
Doppelpunkt in „Grund für den Mißerfolg:“ und „Ausweg:“ ein und verweist damit auf
die außerordentliche Bedeutung des Gesagten. Als handlungsanweisend äußert sich der
421
Siehe Konsummodell des imaginativen Hedonismus nach Collin Cambell (1987), vgl. Eder, Franz X.,
Geschichte des Konsumierens – Ansätze und Perspektiven der (historischen) Konsumforschung, in: Breuss,
Susanne/Eder, Franz X., Hg., Konsumieren in Österreich. 19. und 20. Jahrhundert, Wien 2006, 17-18.
422
Siehe die Rolle des Verbs „enthalten“ in besitzanzeigenden attributiven Sätzen, vgl. Halliday 1994, 133134.
- 82 -
Text jedoch nicht, da abgesehen vom konkreten Rezept zum Porree-Gericht keine
dezidierten Speisen und Nahrungsmittel empfohlen werden und auch keine rezeptartige
Anweisungen erfolgen – weder im Text noch in der Gestaltung des Textes. In den
Strukturen des Gesamttextes zeigt sich dennoch hohes interpersonelles Potential. Die
Genuss versprechenden, schlank und gesund machenden Gaumenfreuden in Bild und
Text werden durch die Blicke der Autorin im Foto erwartungsvoll an die Leserinnen und
Leser herangetragen. Es handelt sich um ein visuelles demand, das Ausgewogenheit,
Zufriedenheit und Wohlbefinden zu vermitteln vermag und diese auch als Maxime
potentiell einfordert.
Die Beschaffenheit der Aussage im sozialen Kontext
In den 1990er Jahren schienen Schlankheit und Diäten in vielen Magazinen und
Ratgebern als Thema auf, an ihrem Sinn wurde jedoch auch oftmals gezweifelt. Willi
Loderhose, der Chefredakteur der Fit-for-Fun-Bücher, berief sich in seinem Werk Das
große Buch der Diäten (1995) auf Studien zur Traumfigur und meinte, dass spätestens
seit 1989 die Traumfigur wieder im Gewichtsmittelfeld zu verorten war und der „dürre
Exzess“423 somit der Vergangenheit angehörte.424 In der Extra-Ausgabe des Konsument
vom Juli 1997 mit dem Titel Schlank & Fit, wurde Abnehmen zwischen Genuss und
Verzicht thematisiert425 und 60 Diäten getestet426, wobei 45 als nicht beziehungsweise
wenig sinnvoll und lediglich 9 Diäten als sehr sinnvoll bewertet wurden. Dabei handelte
es sich durchwegs um verhaltensmodifizierende beziehungsweise -verändernde
Diätformen, wie Fit for Fun427, Brigitte Diät428 oder Schlank ohne Diät429.
Im Gusto-Journal stand die Absage an Diäten als Ausdruck von Meidung und Verzicht im
Zeichen einer Genussorientierung, deren schlussendliches Ziel Wohlbefinden vorsah. Die
ideationelle thematische Fokussierung auf die zufriedenmachenden Genüsse fanden sich
im gegenwärtigen Kommentar als auch in weiteren Texten des Journals. So
beispielsweise in einem Kommentar in der gleichen Rubrik im August 1994 mit „Man
verbietet sich die Lust auf Süßes nicht länger“430. Diesbezüglich wurde auch Wohl-
423
Loderhose/Hamm 1995, 34.
Vgl. Loderhose/Hamm, 1995, 34-35.
425
Vgl. Verein für Konsumenteninformation (VKI), Konsument Extra. Schlank und Fit, 7a (1997), 6-9.
426
Vgl. VKI, Konsument Extra 1997, 52.
427
Vgl. VKI, Konsument Extra 1997, 110.
428
Vgl. VKI, Konsument Extra 1997, 108.
429
Vgl. VKI, Konsument Extra 1997, 96.
430
Gusto 8/1994, 62.
424
- 83 -
befinden dezidiert angesprochen, indem der Genuss von Obst „mit vielen Vitaminen das
Wohlbefinden“ fördere.431 In der Gusto-September-Ausgabe 1995 ging man in derselben
Rubrik von der Prämisse „üppig essen, sich wohl fühlen und dabei auch noch schlank
werden […]“ aus.432 Der Philosoph Pravu Mazumdar verdeutlichte, dass seit Ende der
1980er Jahre Wohlbefinden als Begriff an die Stelle von Gesundheit trat. Er nannte
diesbezüglich auch die Ziele der Gesundheitsförderung der Ottawa-Charta, die von
einem anzustrebenden umfassenden körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefinden
ausging. Wohlbefinden betraf nunmehr sowohl aktuelle positive Gefühle und
Stimmungen als auch habituelle Aspekte des Glücklichseins, der Lebenszufriedenheit und
Lebensfreude, so Mazumdar.433 Dieses ganzheitliche, auf den Lebensstil ausgeweitete
Konzept äußerte sich im Gusto-Journal zur Mitte der 1990er Jahre, indem im Streben
nach Schlankheit, Gesundheit und Vitalität genussorientierte Lösungswege, nicht
Meidung und Verzicht propagiert wurden, wobei man die Teilnahme der Leserinnen und
Leser an einer genussorientierten Wohlfühl-Gesellschaft auch als gegeben erachtete. In
diesem Sinne erfolgten auch Gusto-Hinweise auf Kochkurse zur Herstellung von
Schlankheit und Gesundheit im Zeichen von Wohlbefinden. In der März-Ausgabe 1993
wies man die Leserinnen und Leser auf den von Elisabeth Fischer und einer
Ernährungswissenschaftlerin abgehaltenen Workshop mit dem Titel Lernen durch Genuß
hin.434 Bereits in der Oktoberausgabe 1992 erfolgte der Hinweis auf den von Elisabeth
Fischer angebotenen Kurs Schlank ohne Diät im, von der WHO initiierten,
Gesundheitszentrum Frauen, Eltern und Mädchen mit dem Argument: „Da zum
Wohlbefinden die gesunde Ernährung gehört, gibt es im F.E.M. auch Kochkurse mit
GUSTO-Autorin Elisabeth Fischer.“435. Auffallend ist die Tatsache, dass vor allem
Frauen als Zielgruppe der ganzheitlichen und durch Wohlbefinden charakterisierten
Herstellung von Schlankheit und Gesundheit adressiert wurden. Diesbezüglich stellte der
Österreichische Ernährungsbericht 1998 fest, dass vorrangig Frauen im Gegensatz zu
Männern mit ihrem Gewicht unzufrieden waren und auch dementsprechend Diäten
„hinter sich hatten“436.
431
Gusto 8/1994, 62.
Gusto 9/1995, 48.
433
Vgl. Mazumdar 2004, 19-20.
434
Vgl. Gusto 3/1993, 65.
435
Gusto 10/1992, 6.
436
IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 1998, 190.
432
- 84 -
Zur Umsetzung eines umfassenden ernährungsbedingten Wohlbefindens wurde im GustoKommentar eine ausgewogene und genussbringende vegetarische Ernährung vorgeschlagen, die durch wenig Kalorien und die richtige Zusammensetzung von Nährstoffen – von Ballaststoffen, Vitaminen und Mineralstoffen und wenig Fett – sowohl der
Schlankheit als auch der Gesundheit zuträglich zu sein habe. Sich ausgewogen und
vegetarisch zu ernähren äußerte sich dabei als Voraussetzung für die Herstellung von
Wohlbefinden und Glück. Studien stellten bereits in den 1980er Jahren fest, dass eine
ovo-lakto-vegetabile Ernährung für die Gesundheit zuträglich sei. Mit einer vorwiegend
pflanzlichen Kost und der richtigen Zusammensetzung der Inhalts- und Nährstoffe –
entsprechend den Prinzipien der Vollwerternährung – könne man der Fehlernährung
beikommen, so die Gießener Ernährungsforschung.437 In den DGE-Beratungs-Standards,
die 1995 erschienen, wurde davon ausgegangen, dass eine „ausgewogene und
abwechslungsreiche (ovo-) lacto-vegetarische Ernährung […] aus ernährungspräventiven
Gründen als Dauerkost“438 empfohlen werden könne, wenngleich Kleinkinder, ältere
Menschen, Schwangere und Stillende besonders vorsichtig sein sollten.439 Im GustoJournal tauchten die Vorzüge einer pflanzlichen Kost, nachdem sie ab Mitte der 1980er
Jahre zumindest explizit kaum mehr eine Rolle gespielt hatte, vor allem in den späten
1980er und frühen 1990er Jahren wieder auf. Die Einführung der Rubrik VollwertKochen leicht gemacht erfolgte im April 1989,440 indem die Gusto-Redaktion feststellte,
dass es „Vollwert […] ab jetzt in jedem GUSTO“441 gibt. In Leserbriefen wurde die
Vollwertkost sowohl begrüßt442 als auch abgelehnt443. In einer Rechtfertigung auf einen
Leserbrief hielt die Redaktion einerseits fest:
„Wie schon wiederholt beteuert, wird GUSTO gewiß kein Vollwert-Magazin, im
Gegenteil, wollen wir ein umfassendes Kochjournal und unserer bisherigen Linie
treu bleiben. Allerdings werden wir aus der Vollwertküche behutsam in das eine
oder das andere Heft leckere Rezepte einfließen lassen. Das erscheint uns im
Hinblick auf neue, wichtige Erkenntnisse in der Ernährungswissenschaft durchaus
legitim.“444
437
Vgl. Briesen 2010, 277-278.
Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), DGE-Beratungs-Standards, 8. Auflage, Bonn 2006, VI/2.3.
439
Vgl. DGE, DGE-Beratungs-Standards 2006, VI/2.3.
440
Vgl. Gusto 4/1989, 7.
441
Gusto 4/1989, 6.
442
Vgl. Gusto 4/1989, 6; Gusto 9/1990, 5; Gusto 3/1991, 4.
443
Vgl. Gusto 12/1990, 5.
444
Gusto 12/1990, 5.
438
- 85 -
Aus einem Leserbrief vom September 1990 ging andererseits hervor, dass sich die
betreffende Leserin selbst nicht als „Fanatikerin, sondern Anhängerin gesunder Mischkost“ sah und es als „köstlich und keineswegs langweilig“ empfand, „Gemüse mit
Buchweizen, statt mit faschiertem Fleisch zu füllen“445. Erschienen im Gusto-Journal
bereits 1989 Rezeptvorschläge mit dem Titel Hin und wieder fleischlos446, so wurde 1991
die der Autorin Elisabeth Fischer anvertraute Rubrik Ohne Fleisch und Fisch
eingeführt447 und im Editorial festgestellt, „daß Vegetarisches kulinarisch genauso
attraktiv sein kann wie die Gerichte der konventionellen Küche“448. In den frühen 1990er
Jahren informierte Gusto über die negativen Folgen des Fleischkonsums auf die
Gesundheit, wie beispielsweise die Rheuma-Entstehung449 und die Entstehung von
Krebs450. Zunehmend äußerte sich neben der dezidiert angesprochenen Vollwertkost die
gesunde und ausgewogene Naturkost und Naturküche im Gusto-Journal als bedeutsam,
die vorwiegend eine pflanzliche Kost und einen reduzierten Fleischkonsum vorsah und
den biologisch-dynamischen Landbau und Fragen der Lebensmittelmittelqualität
thematisierte.451 Vor dem Hintergrund von Tierseuchen und -skandalen seit den späten
1980er Jahren und dem anvisierten österreichischen EU-Beitritt zeigte sich besonders in
den frühen 1990 Jahren und zur Mitte des Jahrzehnts ein zunehmendes Misstrauen der
Konsumentinnen und Konsumenten vor allem gegenüber Fleischprodukten, aber auch
gegenüber Gemüse und Obst.452 Zunächst erfolgten regionale und ab 1995, mit der
Gründung der Agrarmarkt Austria Marketing (AMA), nationale Marketingbemühungen
zur Stärkung des regionalen und nationalen Fleischmarktes.453 Das Gusto-Journal zitierte
Studien aus den Niederlanden und verlautbarte im Juli 1993 die „gute Nachricht für
Fleischtiger“454, dass entgegen den wenige Jahre zuvor präsentierten gesundheitlichen
Bedenken Fleischesser nun doch kein höheres Risiko an Darmkrebs zu erkranken hätten
als Vegetarier.455 In den Buch-Rezensionen der Dezember-Ausgabe 1993, in denen die
AMA-Fleischbroschüre zur Begegnung des Konsumentinnen- und Konsumenten445
Gusto 9/1990, 5.
Vgl. Gusto 8/1989, 20-29.
447
Vgl. Gusto 4/1991, 90.
448
Gusto 4/1991, 3.
449
Vgl. Gusto 8/1992, 9.
450
Vgl. Gusto 9/1992, 7; Gusto 11/1992, 9.
451
Vgl. Gusto 4/1992, 18-21; vgl. Gusto 4/1994, 20-23.
452
Vgl. Vrana 2012, 46; vgl. Halk, Karin, Das Mißtrauen der Verbraucher gegenüber Lebensmitteln.
Ergebnisse einer Analyse von Gruppendiskussionen, in: Agrarwirtschaft 39/9 (1990), 277.
453
Vgl. Vrana 2012, 46 u. 54-55.
454
Gusto 7/1993, 6.
455
Vgl. Gusto 7/1993, 6.
446
- 86 -
Misstrauens
vorgestellt
wurde,
erteilte
man
der
ernährungsphysiologischen
Argumentation gegen fettes Fleisch zu Gunsten des geschmacklichen Genusses nun eine
Absage.456 Die im Kommentar genannte ‚ausgewogene vegetarische Ernährung‘ war
somit nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund einer flexiblen Blattlinie zwischen
Vegetarismus und Fleischverzehr zu sehen, die in den 1990er Jahren die österreichweiten,
jedoch vor allem weiblichen Ernährungsgewohnheiten, manchmal Fleisch und oft
Gemüse, Obst und Vollkornprodukte zu verzehren, widerspiegelte457.
Mit der sachargumentativ-überzeugenden, jedoch keineswegs handlungsanweisendpräskriptiven Darstellung der Vorteile der genussvollen, ausgewogenen vegetabilen
Ernährung gegenüber sinnlosen Diäten wurde der Rahmen zur umfassenden
selbstinitiativen Ernährungsreform der Leserinnen und Leser geschaffen. Es handelte sich
um einen Versuch der Zusammenführung der Schlankheitsästhetik einerseits und der
kognitiven Inhalte einer ernährungsbedingten Gesundheitsorientierung andererseits mit
dem genussvollen Essen. Die Betonung des genussvollen Essens entsprach dabei auch
den allgemeinen Trends im Lebensmittelverzehr in Österreich. Der österreichische
Lebensmittelbericht hielt für den Erhebungszeitraum von der Mitte der 1990er Jahre bis
2002 fest, dass genussvolles Essen für 45 Prozent der Bevölkerung sehr wichtig, für 42
Prozent eher wichtig war und lediglich von neun Prozent als nicht wichtig eingestuft
wurde.458 Während zwar 25 Prozent der österreichischen Bevölkerung eine gesundheitsbewusste Ernährung für wichtig hielten und sich nach eigenen Angaben auch
dementsprechend ernährten, war für 50 Prozent eine Diskrepanz zwischen dem Wissen
um die eigene Gesundheit und dem tatsächlichen Ernährungsverhalten feststellbar.459
Erfolgte im Gusto-Journal nach wie vor die vernunftbetonte Gesundheitsförderung mit
der Einführung der erweiterten Nährwertangaben460 und den ernährungsspezifischen
Gesundheitshinweisen in der Rubrik Kurz und Gut461, so kam im „Satt-und-Schlank“Kommentar zum Ausdruck, dass sich Genuss, Schlankheit, Gesundheit und Vitalität
jedoch keineswegs ausschlossen.
Mit der Ausdehnung des Gesundheitsbegriffes auf Wohlbefinden kamen FunctionalFood-Produkte im Journal vermehrt vor und wurden den Leserinnen und Lesern als
456
Vgl. Gusto 12/1993, 66.
Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 1998, 60-61.
458
Vgl. BMLFUW, 2. Lebensmittelbericht 2003, 77-78.
459
Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 1998, 189-190.
460
Vgl. Gusto 2/1992, 3.
461
Vgl. Gusto 6/1992, 3.
457
- 87 -
Produktneuigkeiten vorgestellt462 und mit der Feststellung, dass Gusto für die
Werbewirtschaft attraktiv sei,463 auch dementsprechend beworben. Das Gesundheit,
Schlankheit und Fitness versprechende Voll-Aktiv-Getränk von
ÖM wurde in der
Aprilausgabe 1996 folgendermaßen vorgestellt:
„Wellness und Vitalität sind zwei Begriffe, die für den neuen Lebensstil stehen.
Damit aber Gesundheit und Wohlbefinden, die höchsten der neuen Lebensziele
erreicht werden können, bedarf es einiger Beschäftigung mit vielen
Lebensbereichen, unter anderem mit der Ernährung. Mit der Einführung des ‚Voll
Aktiv‘-Getränkes liegt Nöm im Trend: Dieses ‚funktionelle‘ Lebensmittel wurde
unter Aufsicht von erfahrenen Ernährungswissenschaftlern entwickelt. Es wird mit
Vitaminen und Mineralstoffen angereichert, man hat es am besten immer zu Hause
auf Vorrat (ungekühlt lagerbar). Es ist wertvoll und macht trotzdem nicht dick: Mit
ca. 230 Kcal pro 0,5 l paßt es bestens in den figurbewußte (sic!) Eßalltag!“464
462
Beispielsweise das stoffwechselregulierende Produkt „Actimell“ von „Danone“, vgl. Gusto 3/1996, 73;
das Gesundheit und Wohlbefinden versprechende Produkt „Voll Aktiv“ von „NÖM“, vgl. Gusto 4/1996,
72; das Immunsystemstärkende Produkt „LC1“ von „Nestle“, vgl. Gusto 7/1996, 6.
463
Vgl. Gusto 6/1996, 4.
464
Gusto 4/1996, 72.
- 88 -
5.2.2. Wellness: Das Streben nach ganzheitlichem Wohlbefinden (2007)
Abbildung 9: Kommentar „Wellness“465
Situativer und medialer Kontext
Der Kommentar erschien in der Gusto-April-Ausgabe auf der vorletzten Seite zu
Wellness-Menüvorschlägen. Diese beinhalteten Gemüse-Hühnersuppe mit Kräutern,
465
Quelle: Gusto 4/2007, 32.
- 89 -
gebratenes Fischfilet, Spaghetti mit Gemüsesauce und Buttermilch-Erdbeer-Flan mit
Fruchtsalat.466 Auf diese vier Gerichte wurde im Kommentar auch eingegangen und
verwiesen. Wie in den vorangegangenen Jahren erfolgte auch 2007 die Thematisierung
von Schlankheit und Wohlbefinden im Frühling, diesmal jedoch unter dem dezidierten
Titel „Wellness“467. In derselben Ausgabe fiel vor allem die Bezugnahme auf Fisch mit
dem Gusto-Hinweis auf „Fisch-Festspiele“468 und auf die gewinnbringenden Omega-3Fettsäuren in der Kolumne Gesund mit Genuss469 der Gusto-Diätassistentin Marion
Steiner-Binder auf.470 Auffallend waren des Weiteren eine die gesamte Seite
einnehmende
ÖM-Fasten-Werbung direkt in Anschluss an den Kommentar471 und die
Bewerbung des Schlankheitspräparates SlimCup unmittelbar folgend nach den WellnessRezeptvorschlägen472. Interessanterweise wurde in derselben Ausgabe auch eine GustoBuchrezension unter dem Titel „Die Joghurtlüge“ mit dem Schwerpunkt FunctionalFood- und Wellness-Food-Marketing thematisiert.473 Die Autorin Elisabeth Fischer
berichtete seit den 1990er Jahren durchwegs zum Thema schlanke und gesunde Küche
und widmete sich im Gusto-Journal seit der Oktoberausgabe 2006 mit der monatlich
erscheinenden Rubrik Kochen für Kinder auch der Gesunden Küche für Kinder.474 Im
Gusto-Schlank & Gesund-Special im April 2002 stellte man in der Ankündigung zur
Rezeptreihe Schlank Schlemmen von Elisabeth Fischer fest, dass es auch in ihren
Büchern475 „immer ums Wohlfühlen geht“476.
Makrostruktur-Analyse
Der Kommentar thematisiert ganzheitliches Wohlbefinden als Weg zur Erreichung
permanenter Schlankheit und umfassender Gesundheit und Vitalität. Der Gesamttext
gliedert sich in einen allgemeinen oberen und in einen unteren Teil mit dezidierten
Speisevorschlägen in den Fazits. Die deutliche Trennung der Absätze entspricht der
argumentativen Gliederung in These, Begründung und Zwischenfazit (siehe Tabelle 16)
466
Vgl. Gusto 4/2007, 26-35.
Gusto 4/2007, 26.
468
Gusto 4/2007, 12.
469
Gusto 4/2007, 12.
470
Vgl. Gusto 4/2007, 12.
471
Vgl. Gusto 4/2007, 33.
472
Vgl. Gusto 4/2007, 35.
473
Vgl. Gusto 4/2007, 103.
474
Vgl. Gusto 10/2006, 3.
475
Die Buchtitel der Autorin in den späten 1990er und 2000er Jahren betrafen: „Algen Lebenskraft aus dem
Meer“, Gusto 10/1998, 80; „Vegi-Diät mit der Kohlsuppe“, Gusto 4/2002, 49; „Gesund essen Schlank ab
40“, Gusto 4/2005, 13; und „Mega Food“, Gusto 9/2005, 96.
476
Gusto 4/2002, 40.
467
- 90 -
und geht einher mit der propagierten Notwendigkeit zur Umsetzung der Wellness-Küche.
Mit der bildlichen Darstellung der Autorin, die als ‚Leichtgewicht auf der Waage‘ ihr
eigenes Wohlbefinden zur Schau trägt, erfolgt eine visuelle Gradation – eine bildliche
Verstärkung – der verbalen Bedeutung von Wellness in der Überschrift mit außerordentlicher interpersoneller Wirkung. Elisabeth Fischer wird in der Bildunterschrift als
Ernährungsexpertin betitelt und in ihrer Haltung und ihren Blicken vollzieht sich ein
visuelles demand. Sie trachtet danach, ihre Leserschaft, als Repräsentantin von Wellness,
zu überzeugen und setzt dementsprechend Erwartungen in diese. Die Gliederung des
Textes gestaltet sich folgendermaßen:
Tabelle 16: Wellness 4/2007, Gliederung des verbalen Textes
Überschrift
„Wellness Schlanke Wohlfühlrezepte zum Sattessen“
These
„Schlank werden – das ist zwar wunderbar, reicht aber nicht aus. Entscheidend ist auch
das Körpergefühl, das sich beim Schwinden der Kilos einstellt. Letztlich bestimmt
dieser persönliche Wohlfühlfaktor darüber, ob aus dem Wunschgewicht ein
Normalzustand wird.“
Begründung
These
„Wer erfolgreich abnehmen will, muss weder hungern noch schlecht gelaunt sein. Im
Gegenteil, neue kulinarische Entdeckungen warten und die Lebensgeister melden sich
in Frühlingsfrische zurück. Es darf geschlemmt werden, die Portionen sind üppig, die
Speisen pfiffige Kompositionen aus natürlichen frischen Zutaten. Wenn auf den
Genuss die Erfahrung folgt, dass man in diesem leichten Schlaraffenland nach dem
Essen nicht erschöpft unter Bäumen liegt, sondern voll neuer Energie die selbigen
ausreißen will, stehen die Chancen gut, dass die schlanke Linie dauerhaft bleibt.“
Zwischenfazit
„Schlank essen mit dem Wohlfühlfaktor – das Rezept dafür ist einfach: Frisches Obst
und Gemüse so viel Sie wollen. Dazu gibt es leichtes Geflügel, Meeresfisch mit
herzgesunden Omega-3-Fettsäuren und Ballaststoffreiches aus Getreide, Kartoffeln
und Hülsenfrüchten. Denn eine funktionierende Verdauung steigert das Wohlbefinden.
Auch fettarme Milchprodukte stehen auf dem Speiseplan. Gespart wird beim Fett,
wenig dafür von höchster Qualität heißt die Devise. Oliven und Rapsöl, Nüsse und
aromatische Samen. Viel Geschmack bei Null Kalorien bringen Kräuter und
Gewürze.“
Fazit1
„HUH & GEMÜSE Von dem leichten Gemüse-Hühner-Süppchen (Seite 27) darfs
immer ein bisschen mehr sein. Mit dem Grundrezept können Sie Diät-Sünden
ausgleichen, pro Woche einen Suppentag einlegen oder der ewigen Krautsuppen-Diät
entkommen. In den großen Topf wandert alles, was die Jahreszeit bietet. Im Frühling
Spargel und Spinat, im Sommer Fisolen, Paradeiser und Paprika. Im Herbst kommt
noch Kürbis dazu und im Winter Wurzelgemüse und Erdäpfel. Das Hühnerfleisch
schmeckt nicht nur gut, es liefert auch leichtes Eiweiß, sodass mit dem Fett nicht auch
die Muskeln abgebaut werden. Grundrezept für dieses Süppchen: Pro Person ca 300g
Gemüse, 70g Hühnerfilet, 400ml Gemüsesuppe, 1 TL Öl und sehr viele frische
Kräuter.“
Fazit2
„FISCH & GEMÜSE Ein Thema mit unendlichen Variationen. Für unser BasicRezept (Seite 28/29) kann man auch Kabeljau-, Thunfisch-, Rotbarsch-, St.
Petersfisch- oder Seeteufelfilets verwenden. Tiefgekühlte Filets vorher auftauen lassen
(Kühlschrank), trockentupfen und marinieren. Zum gebratenen Fisch und dem
fettfreien Paprika-Erdäpfel-Dip passen auch gedämpfter Brokkoli, Lauch, im eigenen
Saft gedünstet, und mit einem Hauch Öl unter Rühren gebratene Erbsenschoten. Eines
gilt für alle fettarm oder fettfrei zubereiteten Gemüsesorten: Die Portionen können gar
- 91 -
nicht groß genug sein! Denn Gemüse liefert kaum Kalorien, hat einen Fettgehalt, der
gegen Null geht, versorgt uns dafür aber mit den jung-, fit- und schlankhaltenden BioStoffen. Sicher wissen Sie das bereits, man kann es aber gar nicht oft genug schreiben,
damit unser Wissen in die tägliche Essenspraxis übergeht.“
Fazit3
„PASTA & GEMÜSE Köstlicher Trick für den einfachen Gemüsesugo (Seite 30):
Reichlich Champignons verwenden, denn sie geben beim Garen sehr viel Saft ab. In
diesem lassen sich auch festere Gemüse mit wenig Fett schmoren.“
Fazit4
„FRUCHTIGER PLA Wenn der Fettgehalt gegen Null geht, ist auch beim Dessert
Schlemmen angesagt. Damit Abwechslung in die süße Wellness-Küche kommt:
Bereiten Sie diesen leichten Buttermilch-Flan (Seite 35) mit Marillen, Himbeeren,
Pfirsichen oder Mangos zu.“
Mikrostruktur-Analyse
Schlankheit wird als Thema außerordentlichen Interesses bei den Leserinnen und Lesern
vorausgesetzt. Die Phrasen „Schlank werden“ und „Wer erfolgreich abnehmen will“
erfolgen in der Themaposition der Botschaftsübermittlung (siehe Tabelle 17) und leiten
somit die Diskussion des Themas sowohl in der These als auch in der Begründung der
These ein (siehe Tabelle 16).
Tabelle 17: Wellness 4/2007, Übermittlung der Botschaft
Thema
Rhema
„Schlank werden“
„ das ist zwar wunderbar, reicht aber nicht aus.“
„Wer erfolgreich abnehmen will,“
„muss weder hungern noch schlecht gelaunt sein.“
„Eines gilt für alle fettarm oder fettfrei
zubereiteten Gemüsesorten:“
„Denn Gemüse“
„liefert kaum Kalorien, hat einen Fettgehalt, der
gegen Null geht, versorgt uns dafür aber mit den
jung-, fit- und schlankmachenden Bio-Stoffen.“
Als weitere sprachliche Marker des im verbalen Text in ideationeller Hinsicht
vorzufindenden schlankheitsideologischen Hintergrundes äußern sich „Wunschgewicht“
und „Schwinden der Kilos“. Überdies verweist die Vielzahl an beschreibenden Epitheta
wie „schlanke Wohlfühlrezepte“, „schlanke Linie“, „leichtes Geflügel“, „leichtes
Schlaraffenland“, „fettfreien Paprika-Erdäpfel-Dip“ und „fettarme Milchprodukte“ auf
die außerordentliche Bedeutung von Schlankheit.
Das einzige und daher ultimative Ziel – die dauerhafte Schlankheit – könne dabei nur
durch ganzheitliches Wohlbefinden erreicht werden. Der „persönliche Wohlfühlfaktor“
entscheide darüber, „ob“ das Ziel – Schlankheit als „Normalzustand“ – auch erreicht
werde. Nach Walter Jung besitzen ‚Ob-Sätze‘ die grundsätzliche Eigenschaft, Inhalte von
- 92 -
Entscheidungsfragen wiederzugeben.477 Indem diese Entscheidung den Leserinnen und
Lesern auferlegt wird, erfolgt vor dem Hintergrund des Wunsches zur schlanken Figur
der argumentative Entzug jeglicher Alternative zum Streben nach Wohlbefinden. Die
Maxime ‚Wohlfühlen‘ und ‚Wohlbefinden‘ tauchen in ideationeller Hinsicht auch
dementsprechend oft in Zusammensetzungen wie „Wohlfühlfaktor“ und „Wohlfühlrezept“ im Text auf und verweisen auf ein weitverzweigtes zugrundeliegendes
Gesamtkonzept von Gesundheit, Schlankheit und Vitalität. Der Gesundheitsaspekt von
Wohlbefinden wurde durch die Benennung der „herzgesunden Omega-3-Fettsäuren“ und
von verdauungsförderlichen ballaststoffreichen Nahrungsmitteln näher bestimmt. Ebenso
erfolgt dies für den Vitalitätsaspekt von Wohlbefinden in „die Lebensgeister melden sich
in Frühlingsfrische zurück“ und mit der Phrase „voll neuer Energie“. Besondere
Bedeutung wird einerseits dem Begriff ‚Frische‘ in „aus natürlichen frischen Zutaten“,
„frisches Obst“ und „viele frische Kräuter“ zuteil, andererseits dem Hauptnahrungsmittel
der Wellness-Küche – dem Gemüse. Es taucht als unverzichtbarer Bestandteil der
empfohlenen Gerichte im Fazit und in der Botschaftsübermittlung als Thema auf (siehe
Tabelle 17). Gemüse besitze kaum Kalorien und Fett und versorge den Körper mit „jung-,
fit- und schlankmachenden Bio-Stoffen“, so die Argumentation.
Wurde durchwegs auf die Bedeutung von Sattessen, Genuss und Geschmack beim Essen
verwiesen, so kam mit dem Konditionalsatz in der Begründung der These (siehe Tabelle
16) auch die Bedingung zum Ausdruck, dass die „schlanke Linie“ nur dann „dauerhaft
bleibt“, wenn auch dementsprechende vernunftgeleitete Willensstärke und selbstinitiierte
Aktivität erfolgen. Der figurative Gegensatz von „unter Bäumen liegen“ und „die
selbigen aus[zu]reißen“ als Konkretisierungen der gegensätzlichen Metaphern ,Faulheit
ist Willensschwäche‘ und ,Tatendrang ist Willensstärke‘ stellt dabei die Notwendigkeit
zum selbstinitiativen Handeln und zur Selbstführung in der Wellness-Gesellschaft in den
Vordergrund.
In seiner Gesamtheit präsentiert sich der Text in interpersoneller Hinsicht als auffordernd,
jedoch nicht dezidiert als handlungsanweisend. Mit Nachdruck werden die Standpunkte
durch Doppelpunkte und Ausrufzeichen untermauert und konkrete Umsetzungsvorschläge der Wellness-Küche propagiert. Das Zusammenwirken bildlicher und
477
Vgl. Jung 1990, 37.
- 93 -
sprachlicher Elemente in der Vermittlung der Bedeutung der Wellness-Küche vermag die
Unumgänglichkeit von Wellness im Interesse dauerhafter Schlankheit zu vermitteln.
Die Beschaffenheit der Aussage im sozialen Kontext
Genussvoll zu essen und schlank zu bleiben beziehungsweise zu werden war seit den
1990er Jahren Thema im Gusto-Journal. Die ablehnende Haltung gegenüber Diäten478
beeinflusste die schlankheitsideologische Ausrichtung des Journals jedoch keineswegs.
Die Gusto-Reihe Fein & Schlank ab der Februar-Ausgabe 1999479, Gusto-Spezialbeiträge
zur schlanken Küche im Frühjahr 2001 bis 2004480 und die im Jahr 2002 initiierte RezeptReihe Schlank Schlemmen481 verwiesen auf diese Tatsache. Die Gusto-Hinweise auf
Schlankheits-Seminare der Gusto-Diät-Assistentin Marion Steiner-Binder aus dem Jahr
2005 verdeutlichen die außerordentliche Präsenz des Themas.482 Die thematische
Fokussierung ging mit einer entsprechenden Marktorientierung einher. In der
Feststellung, dass „auch fettarme Milchprodukte“ in der Wellness-Küche auf dem
„Speiseplan“ stünden, zeigte sich die direkte Bezugnahme auf die im Kommentar
beworbenen kalorienarmen ÖM-Fasten-Milchprodukte. Bereits im Jahr 1999 wurde die
Rezeptreihe Fein & Schlank als „Gusto-Menü-Duett“ gemeinsam mit dem Süßstoffhersteller
atreen in die Wege geleitet, „damit Naschkatzen nicht auf das süße Finale
verzichten müssen“483, so die Begründung. Weitere Gusto-Partner waren Emmi mit der
QimiQ-Rahmbasis für die leichte Küche484 und
ÖM mit der Rezeptreihe Schlank
Schlemmen485. Dass für das marktvermittelte Abnehmen auch ein dementsprechender
Markt in Österreich vorhanden war, verdeutlichte die Unzufriedenheit vieler Frauen mit
ihrem Körpergewicht. Im Österreichischen Ernährungsbericht 2003 äußerte sich
diesbezüglich, dass zwischen 1998 und 2003 vor allem weibliche Jugendliche – nämlich
50 Prozent – mit ihrem Körpergewicht unzufrieden waren und Anlass zum Abnehmen
sahen. Dies zeigte sich auch bei Erwachsenen und diesbezüglich vor allem im Wunsch
478
Siehe Feststellung des Chefredakteurs Wolfgang Schlüter in diversen Editorials des Journals, vgl. Gusto
10a/1999, 4; Gusto 9/2002, 4.
479
Vgl. Gusto 2/1999, 74-83.
480
„Gusto-Schlank-Special“, Gusto 4/2001, 24-34; „Gusto Schlank und Gesund Special“, Gusto 4/2002,
40-48; „Gusto Schlanke Küche Special“, Gusto 4/2003, 36-39; „Schlank & Vital“, Gusto 4/2004, 16-25.
481
Siehe die Feststellung des Chefredakteurs Wolfgang Schlüter zur Rezeptreihe im Editorial der
September-Ausgabe 2002, vgl. Gusto 9/2002, 4.
482
Vgl. Gusto 10/2005, 8.
483
Gusto 1/1999, 74.
484
Vgl. Gusto 2/2001, 56.
485
Vgl. Gusto 5/2003, 68.
- 94 -
abzunehmen bei 37,5 Prozent der 60-Jährigen.486 Die Produktwerbung im Gusto-Journal
verwies auch dezidiert auf die zu erstrebende Bikinifigur, wie beispielsweise
ÖM-
Fasten mit dem Werbeslogan „Mit eingebauter Bikinifigur“487.
Schlankheit tauchte überdies immer mehr als Aspekt eines unumgänglichen und deshalb
zu erstrebenden Wohlbefindens auf. Seinen amerikanischen Wurzeln aus den 1950er
Jahren entsprechend, äußert sich Wellness als „holistisches, prozessuales Gesundheitsverständnis“488, mit der Zielsetzung eine „Balance von Körper, Seele, sozialer Umwelt,
Kultur und Spiritualität.“ anzustreben.489 Im Gusto-Journal zeigte sich dies durch die
häufige Thematisierung des Wohlbefindens als auch durch die Akzentuierung konkreter
Wellness-Vorstellungen. Die Gusto-Diät-Assistentin Marion Steiner-Binder veranstalte
im Frühjahr 2005 neben dezidierten Schlankheits-Seminaren auch Wohlfühl-Seminare,
die Stressabbau und die Steigerung der Leistungsfähigkeit anvisierten.490 Das im GustoKommentar fokussierte Gemüse als umfassendes jung, fit und schlank machendes
Nahrungsmittel – mit wenig Kalorien und Fett, aber vielen Bio-Stoffen – war auch Thema
in der Kolumne Gesund mit Genuss unter dem Titel „Vitalität tanken“.491 Frische wurde
durchwegs mit Wohlbefinden in Verbindung gebracht. Einer österreichischen
Ernährungsstudie des Fessel Instituts zum Thema Lebensmittelqualität zufolge,
assoziierten Konsumentinnen und Konsumenten im Jahr 2002 Gesundheitszuträglichkeit
vor allem mit ‚Frische‘ und ‚Reinheit‘ und weniger als noch 1996 mit ‚Naturnähe‘ und
‚ökologischen Produktionsbedingungen‘.492 Eine Studie zum Frische-Begriff in
deutschsprachigen Kochbüchern seit den 1950er Jahren kam zum Ergebnis, dass dieser in
jüngster Vergangenheit nicht nur mit dem Konsum von Gemüse, Obst und Milchprodukte
assoziiert wurde,493 sondern in gesellschaftlicher Hinsicht auch mit Schlankheit,
Beweglichkeit und Flexibilität einherging.494 Mit den Anforderungen an Leistung und
Fitness und dem Wertewandel zum Thema Gesundheit äußerte sich die Wellness-
486
Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2003, 13-14.
Gusto 2/2007, 7.
488
Friedl, Harald A., Wer braucht Wellness – und warum gerade jetzt?, in: Integra. Zeitschrift für
Integrativen Tourismus und Entwicklung, 4 (2006), 6.
489
Friedl 2006, 6.
490
Vgl. Gusto 6/2005, 8.
491
Vgl. Gusto 8/2007, 12.
492
Vgl. BMLFUW, 2. Lebensmittelbericht 2003, 75-76.
493
Vgl. Kalkhoff Vera, Frische – ein kulinarisches Leitkonzept der Moderne, in: Mohrmann, Ruth-E., Hg.,
Essen und Trinken in der Moderne, München u. a. 2006, 66.
494
Vgl. Kalkhoff 2006, 81.
487
- 95 -
Nachfrage495 auch im Gusto-Journal. Mit der Betonung des jung, fit und schlank
machenden Gemüses und damit einhergehender ‚Frische‘ und ‚Vitalität‘ wurde nicht
zuletzt auch die Wunschvorstellung der ewigen Jugend adressiert. Auffallend äußerte sich
dies auch im Artikel „Schlank genießen“496 von Elisabeth Fischer, in dem die leichten
Rezepte zu Gemüsespeisen mit „Anti-Aging-Biostoffen“497 Genuss versprachen und das
neu erschienene Buch der Autorin Gesund essen Schlank ab 40 beworben wurde.498
Neben diesen holistischen Vorstellungen von Wohlbefinden tauchte im Gusto-Journal der
2000er Jahre nach wie vor kardiovaskuläre Gesundheit als dezidiertes Thema auf, und
dies vermehrt im Zusammenhang mit positiven Einflüssen von Omega-3-Fettsäuren und
Fischverzehr auf das Herzkreislaufsystem. Im „Mega-Schlank-Menü“ von Elisabeth
Fischer wurde Lachs als „herzensgut durch Omega-3-Fettsäuren“499 bezeichnet, GustoHinweise auf Karpfen bescheinigten dem Fisch gefäßschützende Eigenschaften aufgrund
von Omega-3-Fettsäuren500 und die oftmals in Verruf geratenen Sardinen in Dosen
wurden den Leserinnen und Lesern aufgrund der gewinnbringenden Fettsäuren als
Schlaganfall-vorbeugend präsentiert.501 Im Editorial des Oktober-Sonderheftes 2006
stellte man fest, dass Fisch in Österreich immer beliebter werde und aus
ernährungsphysiologischer Hinsicht für jene, die „eine gute Figur machen möchte[n]“ die
„tägliche Dosis Wohlbefinden in Form von Obst und Gemüse“ ergänze.502
Im Kommentar kam schließlich mit der verbal argumentierten und textuell-gestalterisch
vermittelten Unumgänglichkeit des Strebens nach Wohlbefinden die Verantwortung des
Individuums, durch das entsprechende Selbst-Bewusstsein die eigene Gesundheit zu
erhalten und zu entfalten – als zentrales Anliegen von Wellness503 –, deutlich zum
Vorschein. Stefanie Duttweiler verwies auf die Tatsache, dass in vielen Magazinen und
Lebenshilferatgebern Wellness so präsentiert werde, dass sich potentiell ein
„Möglichkeitsraum in der Phantasie“ ergibt, der „permanent[e] Selbstverbesserung“ und
„unablässig[e] Arbeit an sich selbst“ suggeriert.504 Die dadurch erzeugten Illusionen und
495
Vgl. Friedl 2006, 9.
Vgl. Gusto 4/2005, 12-13.
497
Gusto 4/2005, 12.
498
Vgl. Gusto 4/2005, 12-13.
499
Gusto 9/2005, 84-85.
500
Vgl. Gusto 12/2005, 13.
501
Vgl. Gusto 3/2006, 6.
502
Gusto 10a/2006, 5.
503
Vgl. Friedl 2006, 6.
504
Duttweiler, Stefanie, Body-Consciousness. Fitness – Wellness – Körpertechnologien als Technologien
des Selbst, in: Widersprüche 3/87 (2003), 33.
496
- 96 -
Hoffnungen gehen mit der Tatsache einher, dass die Fürsorge für Körper, Geist und Seele
„je nach Geldbeutel auch von anderen am eigenen Körper erbracht werden kann“.505 Im
Gusto-Journal tauchten Gesundheit, Schlankheit und Vitalität vor dem Hintergrund von
ganzheitlichem Wohlbefinden zunehmend in der Bewerbung und den Produktvorstellungen von speziellen Nahrungsmitteln, Light-Produkten, Functional Food und
Nahrungsergänzungsmitteln auf. Das Soja-Dressing von Mautner Markhof wurde als
Vitalität und Genuss versprechend, ohne Cholesterin und als gewinnbringend für die
,Schlanke Linie‘ beworben.506 In den Gusto-Produktvorstellungen wurde die „WellnessBrotbackmischung“507 Kraftbrot von Fini’s Feinstes vorgestellt. Das Joghurt-Produkt
Vitalinea 0% Plus von Danone wurde mit den Slogans „Leicht und unbeschwert“508,
„Schenken Sie Ihrer Ernährung ein Nährstoff-Plus“509 und „Damit es mir gut geht …“510
beworben, wobei das Produkt vor allem Frauen als Zielgruppe anvisierte511. Der BayerKonzern bewarb das Nahrungsergänzungsmittel Supradyn mit dem Slogan „Schlank
bleiben. Stoffwechsel unterstützen“512. Es versprach bei täglicher Verwendung durch
seine zugesetzten Mineralien, Vitamine und Grüntee-Extrakt, kombiniert mit sportlicher
Betätigung und ausgewogener Ernährung, den Stoffwechsel zu unterstützen und für ein
gesundes Körpergewicht zu sorgen.513 Das marktvermittelte Angebot zur körperlichen
Vervollkommnung war allseits gegenwärtig im Gusto-Journal der 2000er Jahre. In der
Bewerbung der angebotenen Produkte ergänzten sich die österreichweit genannten
Konsummotive von Light-Produkten – der Gewichtserhalt und das allgemeine
Gesundheitsbewusstsein514 – mit jenen der Functional-Food-Produkte – die „Optimierung
von Körperfunktionen“ und die vielversprechende krankheits-präventive Wirkung515.
Dies spiegelte auch die allgemeinen Tendenzen der Ausweitung einer Schlankheitsorientierung auf gesamtkörperliches Wohlbefinden wider.
505
Duttweiler 2003, 40.
Vgl. Gusto 6/2007, 17.
507
Gusto 8/2007, 102.
508
Gusto 8/2007, 57.
509
Gusto 6/2007, 47.
510
Gusto 7/2007, 31.
511
Vgl. Gusto 7/2007, 31.
512
Gusto 6/2007, 11.
513
Vgl. Gusto 6/2007, 11.
514
Vgl. IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2008, 178.
515
IfEUW, Österreichischer Ernährungsbericht 2008, 186.
506
- 97 -
6. Die Gestalt des Diskurses
In den frühen 1980er Jahren besaß die Herstellung von Gesundheit, Schlankheit und
Vitalität im Rahmen einer umfassenden Ernährung noch keine uneingeschränkte
diskursive Kohärenz. Tendenziell handelte es sich um Phänomene, die als einzelne
Diskursstränge erst zusammenzuwirken begannen. Wie anhand des Kommentars „Die
richtigen Ernährung für den Büromenschen“ gezeigt wurde, stand zu Beginn der 1980er
Jahre Leistungsfähigkeit einerseits noch im Zeichen des Zusammenhanges von
Energieumsatz und Leistungserbringung, gemäß dem Jahrzehnte zuvor geprägten
fordistischen Paradigma. Diesbezüglich beinhalteten die Vorgaben genaue Kalorienmengen für beide Geschlechter. Andererseits wurde gleichzeitig mit dem Trend zur
Vollwertkost die körperliche Leistungsfähigkeit in ihrer Ganzheitlichkeit zur Garantin
von Fitness und gesundheitlichen Aspekten, die sich damit verknüpften. Die besondere
Ernährung
beinhaltete
Aspekte
wie
die
Zellerneuerung,
die
Abwehr-
und
Widerstandskraft und die Bedeutung der Vitamine für den Körper und verwies damit
bereits auf die präventive Wirkung der Ernährungsweise im Kontext umfassender
Gesundheitsvorstellungen. Die Revitalisierung der Vollwertkost äußerte sich aufgrund
ernährungswissenschaftlicher Erkenntnisse und der allmählich breitenwirksameren Ideale
der Alternativbewegung. Indem jedoch von keiner diskursiven Durchdringung der Ideale
der Vollwertkost ausgegangen werden konnte, besaß sie als Ernährungsreform im
eigentlichen Sinne keine Relevanz. Dementsprechend wurde sie in den Diskursfragmenten auch kontroversiell als gesunde, geschmacklose und genussfeindliche Küche
wahrgenommen.
Ein deutlicher Diskursstrang betraf die schlankheitsideologische Bilanzierung des
Körpergewichts. Die ästhetische Schlankheit als das primäre Motiv der Bilanzierung
äußerte sich vor allem bis in die zweite Hälfte der 1980er Jahre als nachdrückliches Ziel
in den Diskursfragmenten. In der verbalen Argumentation war gehäuft von „Gewichtsreduktion“ und „Abnehmen“ die Rede, und dies auch im Rahmen von Diäten, die für die
Kulinarik gänzlich irrelevant erschienen. Dabei wurde durch genaueste Kalorienangaben
das Gewichthalten auch visuell in Tabellen an die Leserinnen und Leser herangetragen.
Darüber hinaus widmeten sich gesamte Rubriken dem Thema. Das Streben nach
ästhetischer Schlankheit adressierte primär Frauen und fand verstärkt im Frühjahr mit
dem Hinweis auf die anzustrebende ‚Bikinifigur‘ Eingang in die leserinnenzentrierte
mediale Botschaft, die damit auch den österreichweiten Trends entsprach. Als auffallend
- 98 -
erwiesen sich die Thematisierung von Zucker und dessen negative Zuschreibung in
Hinblick auf die Entstehung von Übergewicht. Diese erfolgte nicht zuletzt vor dem Hang
der Österreicherinnen und Österreicher zur Mehlspeisenküche. Die diesbezüglich im
Journal geäußerte Kritik ließ abgesehen von schlankheitsideologischen Argumenten auch
negative gesundheitliche Aspekte des Zuckerkonsums – vor allem mit der thematisierten
Vollwertkost – erkennen, wenngleich im Wesentlichen lediglich gesundheitliche Einzelaspekte, wie beispielsweise die Zahngesundheit, im Vordergrund standen.
Die in den Diskursfragmenten vorhandenen Handlungsanweisungen
die von einer
eigenen Diätredaktion ausgingen und sich in verbal und visuell rezeptartigen
Anweisungen äußerten
ließen mit Ausnahme des schlankheitsideologischen Hinter-
grundes auf ein noch weitgehendes Fehlen einer umfassenden, selbstverantwortlichen, für
den
Körper
gewinnbringenden
Vorstellung
von
Ernährung,
Gesundheit
und
Körperbewusstsein schließen. Während das Gusto-Journal als Akteur im schlankheitsideologischen Diskurs der frühen 1980er Jahre in Erscheinung trat, waren ganzheitliche
Konzepte von Gesundheit, Schlankheit und Vitalität somit nur in Ansätzen –
beispielsweise im Versuch der Etablierung der Vollwertkost – vorzufinden. Die von
außen heran-getragenen rezeptartigen Handlungsanweisungen grenzten den Spielraum
zur individuellen Selbstinitiative weitgehend ein, und die Frage der Selbstführung stellte
sich daher nur einschränkt.
In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre tauchte in den Diskursfragmenten zunehmend
Ernährungsbewusstsein als normative, vom Individuum umzusetzende Zielsetzung auf.
Mit der ‚bewussten Ernährung‘ erfolgten von außen geleitete argumentative
Aufforderungen zu Selbstinitiative und Disziplin. Der Gusto-Kommentar „Bewußtes
Leben – wie man wirklich schlank wird (und bleibt)“ präsentierte sie 1986 vor einem
schlankheitsideologischen Hintergrund, wobei die Umsetzung einerseits durch die
selbstverantwortliche Bilanzierung und andererseits erstmals durch die selbstdisziplinierte
Meidung von Nahrungsmittelbestandteilen – den ‚Dickmachern‘ Fett und Zucker – zu
erfolgen hatte. Gemeinsam mit der Einführung der Symbole zum Cholesterin- und
Salzgehalt in den Rezepten trat das Gusto-Journal 1989 erstmals als Akteur der
Gesundheitsförderung in Erscheinung. Die ‚bewusste Ernährung‘ stand nun gänzlich im
Zeichen einer Verzichtsethik, zu Gunsten der Aufrechterhaltung der Gesundheit. Die
Ottawa-Charta (1986) der WHO und der Atherosklerosebericht der Österreichischen
Gesellschaft für Hygiene, Mikrobiologie und Präventivmedizin (1988) äußerten sich
- 99 -
spätestens mit der Forderung des österreichischen Gesundheitsministers „Vorsorgemaßnahmen“516 im Kontext eines wahrgenommenen Cholesterin-Problems treffen zu
müssen, als diskursive Ereignisse mit medialer Trag-weite. Gemäß der amerikanischen
egative
utrition wurden nun auch im Gusto-Journal die Reduktion von Fett, Zucker
und Salz als Maßnahmen und Beitrag zur gesunden Ernährung propagiert. Die
Herstellung von Wohlbefinden sollte als ganzheitliches, von der WHO gefordertes
Konzept von Gesundheit nur durch Vernunft und Verzicht erfolgen. Dementsprechend
wurden die Leserinnen und Leser zur Umsetzung der ‚bewussten Ernährung‘ angeleitet.
Die
direkte
und
verzichtsorientierten
bedingungslose,
Selbstinitiative
von
und
außen
Disziplin
erfolgende
ließ
Forderung
dabei
kaum
zur
eine
unausgesprochene, unterschwellige Erfordernis der Selbstführung erkennen. Das
individuelle nachhaltige Streben nach ganzheitlicher Gesundheit, Schlankheit und
Vitalität stand erst am Anfang. Die marktvermittelte Herstellung von Gesundheit und
Schlankheit, die auf ein neues Gesundheits- und Körperbewusstsein verwies, tauchte in
den Diskursfragmenten jedoch bereits Ende der 1980er Jahre auf. Einhergehend mit
Küchenpraktiken der ‚Neuen Küche‘ und der ‚Leichten Küche‘ nahmen die
Produktvorstellung und die Bewerbung von Convenience- und Light-Produkten zur
Senkung des Cholesterinspiegels und zur Kalorienreduktion einen großen Raum im
Journal ein. Der mit der Gesundheitsorientierung bei den Leserinnen und Lesern
einhergehenden und aus dem Selbstverständnis des kulinarischen Journalismus
nachvollziehbaren Kluft zwischen Genuss und Verzicht begegnete man mit der
Auslagerung des gesundheitsfördernden Auftrages, beispielsweise durch externe
Gesundheitsexperten, die in der Heftdramaturgie geschickt in Szene gesetzt wurden.
Im Gusto-Journal fand die Thematisierung von gesundheitszuträglichem Verzicht und
schlankheitsorientierten Diäten spätestens in den frühen 1990er Jahren ihr Ende.
Hinweise auf Gesundheitsthemen erfolgten nun gänzlich in eigens dafür bestimmten
Rubriken, in denen auch Träger der Gesundheitsförderung, wie die ÖGE, der VEÖ und
die DGE zu Wort kamen und neueste ernährungswissenschaftliche Erkenntnisse
präsentierten. Äußerten sich schlankheitsideologische Hintergründe nach wie vor in den
Diskursfragmenten, so stand die Gewichtsreduktion ab den frühen 1990er Jahren nicht als
bedingungslose Bilanzierung, deren letzte Konsequenz die Diät darstellte, im Vordergrund, sondern vorwiegend die Herstellung von Schlankheit durch Genuss, Sättigung und
516
IfSUW 1988, 3.
- 100 -
Wohlbefinden. Mit dem Wohlbefinden-Begriff trat erstmals ein ganzheitliches Konzept in
den Diskursfragmenten in Erscheinung, das in umfassender Art und Weise das Streben
nach Schlankheit, Gesundheit und Vitalität vereinte und in Form der ‚ausgewogenen
vegetarischen Ernährung‘ auch Selbstinitiative einforderte. Die vegetarische Ernährung,
die auch erneut als ‚Vollwertkost‘ und schließlich als ‚ausgewogene Naturkost‘ und
‚Naturküche‘ im Journal präsentiert wurde, versprach neben ihren positiven Effekten für
Gesundheit
und
Fitness
aufgrund
des
geringen
Kaloriengehaltes
auch
eine
selbstregulierende Körpergewichtsbilanzierung. ‚Ausgewogenheit‘ bedeute in dieser
Hinsicht nicht nur Ganzheitlichkeit, sondern auch eine Distanzierung vom bedingungslosen Vegetarismus, die aufgrund der kontroversiellen Ansichten der Leserinnen und
Leser, der Lebensmittelwirtschaft und der Ernährungswissenschaft zum Thema und
schließlich auch im Sinne einer facettenreichen Kulinarik in der Blattlinie des Journals
nachvollziehbar
schien.
Der
Fokus
auf
Genuss
und
Wohlbefinden
vereinte
vernunftbestimmte Zielsetzungen der Gesundheits- und Schlankheitsorientierung mit dem
genussvollen Essen und entsprach dabei auch weitgehend den Vorstellungen und
Wünschen der Österreicherinnen und Österreicher. Wohlbefinden tauchte als Lebensstil
in den Diskursfragmenten auf und dementsprechend erlangte auch dessen Vermarktung
an Bedeutung. In den Produktneuigkeiten und in der Produktwerbung des Journals
boomten vor allem probiotische Milch- und Joghurt-Getränke, die Gesundheit,
Schlankheit und Vitalität versprachen.
Der Markt als Herstellungsinstanz von ernährungsphysiologisch bedingter Gesundheit,
Schlankheit und Vitalität trat in den frühen 2000er Jahren immer deutlicher einhergehend
mit Wellness und der Vorstellung der permanenten Selbstverbesserung in Erscheinung.
Die nach wie vor vorherrschende schlankheitsideologische Ausrichtung des Journals, die
auch mit einer österreichweiten Unzufriedenheit mit dem Körpergewicht, vor allem unter
Frauen, einherging, äußerte sich vor allem in Spezialbeiträgen und in ‚GustoPartnerschaften‘ mit Herstellern von kalorienarmen Produkten, die in Rezepten
Verwendung fanden und auch dementsprechend beworben wurden. Diskursfragmente
verwiesen jedoch darauf, dass dauerhafte Schlankheit nur durch Selbstinitiative im
Kontext von ganzheitlichem Wohlbefinden hergestellt werden konnte. Wellness
beinhaltete dabei ein Bündel an Vorstellungen, die in kulinarischer Hinsicht durch eine
reichhaltige jung, fit und schlank machende ‚Gemüse-Küche‘, jedoch keineswegs durch
gänzliche fleischlose Ernährung, hergestellt werden sollte. Im Wesentlichen handelte es
- 101 -
sich um holistische Vorstellung von Schlankheit, Flexibilität, Leistungsfähigkeit,
Gesundheitszuträglichkeit als auch Jugendlichkeit, die auch gängigen postmodernen
Lebensrealitäten und Wunschvorstellungen entsprachen. In den Diskursfragmenten ging
das außerordentliche Aufforderungspotential in der medialen Darstellung einher mit dem
zentralen Anliegen von Wellness – der Verantwortung des Individuums zur permanenten
Herstellung von ganzheitlichem Wohlbefinden. Die mediale Inszenierung leistete der
Selbstführung – der ständigen Anforderung, an sich selbst zu arbeiten – Vorschub. Wie
sehr die Selbstführung auch tatsächlich bei den Esserinnen und Essern angekommen war,
zeigte sich nicht zuletzt anhand der Produktvorstellungen und -bewerbungen von LightProdukten, Functional Food und Nahrungsergänzungsmitteln, die eine krankheitspräventive Wirkungen, die Optimierung von Körperfunktionen, ästhetische Schlankheit
und allumfassendes Wohlbefinden versprachen.
- 102 -
7. Zusammenfassung
„Wer es an Initiativen, Anpassungsfähigkeit, Dynamik, Mobilität und Flexibilität fehlen
lässt, zeigt objektiv seine oder ihre Unfähigkeit, ein freies und rationales Subjekt zu
sein“517, dies meinten Lemke, Krasmann und Bröckling in ihrer Charakterisierung der
gouvernementalen Selbstführung. Im medialen Ernährungsdiskurs des Gusto-Journals
äußerte sich dementsprechend die Durchsetzung eines umfassenden Zusammenhanges
von Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein als auch eine damit einhergehende
zunehmende Selbstverständlichkeit in der Forderung zur individuellen Selbstinitiative.
Diese beinhaltete die Umsetzung einer ganzheitlichen gesund-, fit- und schlankmachenden Ernährung und die marktvermittelte Herstellung von umfassendem
Wohlbefinden.
In den frühen 1980er Jahren zeigten sich in den Texten jedoch noch primär
Handlungsanweisungen, die eine Selbstführung weitgehend ausschlossen. Überdies
verdeutlichten spezifische Kostformen wie die richtige Ernährung für den Büromenschen
als auch die Präsentation von Diäten zur Gewichtsreduktion
dass eine weitgehend
isolierte Fokussierung auf Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein vorherrschend
war. Demzufolge fanden umfassende Gesundheitsvorstellungen, wie sie in der
Vollwertkost zum Ausdruck kamen, wenig diskursive Durchdringung, während eine
schlankheitsideologische Ausrichtung dominierte. In den späten 1980er Jahren führten
zunächst internationale gesundheitspolitische Bestrebungen, wie die Ottawa-Charta der
WHO (1986) und ernährungsmedizinische Erkenntnisse und Forderungen, zur
Problematisierung ernährungsbedingter Gesundheitsrisiken seitens des österreichischen
Gesundheitsministeriums. Mit der im Gusto-Journal erfolgten Thematisierung von
Cholesterin- und Bluthochdruck und der Forderung zur Meidung von Fett, Salz und
Zucker – wie sie sich bereits ein Jahrzehnt davor in der US-amerikanischen
egative
utrition äußerte – ließ sich mit der ‚bewussten Ernährung‘ eine dezidierte von außen
geleitete Gesundheitsförderung im kulinarischen Journalismus erkennen. Light-Produkte
und die ‚Neue Küche‘ wurden erstmals nicht nur vor dem Hintergrund der nachwievor
vorzufindenden
Schlankheitsideologie,
sondern
auch
im
Zuge
eines
neuen
Gesundheitsbewusstseins den Leserinnen und Lesern, sowohl in Produktvorstellungen als
517
Lemke, Thomas/Krasmann, Susanne/Bröckling, Ulrich, Gouvernementalität, Neoliberalismus und
Selbsttechnologien. Eine Einleitung, in: Bröckling, Ulrich/Krasmann, Susanne/Lemke Thomas, Hg.,
Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Frankfurt am Main 2000,
30.
- 103 -
auch in der Produktwerbung, präsentiert. Wurde das in der Ottawa Charta zum Ausdruck
gebrachte Wohlbefinden in der Gesundheitsförderung des Journals gegen Ende der
1980er Jahre noch als zu erreichender Endpunkt erfolgreicher Meidungs- und
Verzichtsbestrebungen anvisiert, so trat in den frühen 1990er Jahren die Genussorientierung an die Stelle der Verzichtsethik. Wohlbefinden wurde nun als
übergreifendes, Schlankheit, Gesundheit und Vitalität beinhaltendes Konzept erachtet.
Damit hielt erstmals eine ganzheitliche Sichtweise auf Ernährung, Gesundheit und
Körperbewusstsein Einzug. Neben der Ablehnung von Verzicht und Meidung wurde nun
auch, bei unentwegter Propagierung ästhetischer Schlankheit, jegliche Form der Diät
abgelehnt. Selbstinitiative wurde dabei zunehmend zur Selbstverständlichkeit und betraf
zur Mitte der 1990er Jahre die konkrete Umsetzung der ‚ausgewogenen Ernährung‘ in
Form des Vegetarismus, der Vollwertkost als auch der Naturkost. Der Markt reagierte
insofern, als nun auch Functional Food zur individuellen Herstellung von Wohlbefinden
zur Verfügung stand. Ganzheitliches Wohlbefinden wurde gänzlich zur Bedingung für
Gesundheit, Vitalität und Schlankheit in den frühen 2000er Jahren. Die durch das
Individuum in der Gestaltung des Ernährungsalltags – und damit in Selbstführung –
herzustellende Wellness adressierte darüber hinaus berufliche Leistungsfähigkeit und
Jugendlichkeit. Wie sehr diesen holistischen Vorstellungen eine marktwirtschaftliche
Durchdringung zugrunde lag, offenbarte sich in der partnerschaftlichen Präsentation von
Menükomponenten, indem das Journal gemeinsam mit Herstellern und deren Produkten
den Leserinnen und Lesern Rezepte als auch entsprechenden Raum für die Bewerbung
von Functional Food-Produkten bot, die nun Gesundheit, Schlankheit und Vitalität in
umfassender Art und Weise garantierten. Wie Stefanie Duttweiler verdeutlichte, äußert
sich das zentrale Motiv der ganzheitlichen Herstellung von Wellness dadurch, dass die
Vorstellung von „Wohlbefinden als permanent reproduzierbarer Normalzustand“518 in die
Selbstsorge um den Körper einfließt.519 In dieser Hinsicht präsentierte sich in den 2000er
Jahren auch der ernährungsbedingte gesunde Lebensstil wahrlich als Herausforderung
ohne Ende.
518
519
Duttweiler 2003, 39.
Vgl. Duttweiler 2003, 39.
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- 111 -
10. Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Tabelle 1: Kreativ-Methoden der Visualisierung................................................................................... 36
Tabelle 2: Analyse der Sprache nach funktionalen Kriterien auf Satzebene ......................................... 37
Tabelle 3: Analyse der Sprache nach funktionalen Kriterien auf Wortebene ........................................ 40
Tabelle 4: Analyse von Bildelementen nach funktionalen Kriterien ..................................................... 41
Tabelle 5: Die richtige Ernährung für den Büromenschen 10/1984, Gliederung verbaler Texte .......... 44
Tabelle 6: Die richtige Ernährung für den Büromenschen 10/1984, Übermittlung der Botschaft......... 45
Tabelle 7: Mit Vollwertkost fit in den Frühling 5/1984, Gliederung verbaler Text .............................. 51
Tabelle 8: Mit Vollwertkost fit in den Frühling 5/1984, Übermittlung der Botschaft ........................... 52
Tabelle 9: Was ist ‚dick‘ und wie man schlank wird 11/1984, Gliederung verbaler Text..................... 57
Tabelle 10: Was ist ‚dick‘ und wie man schlank wird 11/1984, Übermittlung der Botschaft ............... 59
Tabelle 11: Wie man wirklich schlank wird (und bleibt) 5/1986, Gliederung verbaler Text ................ 65
Tabelle 12: Wie man wirklich schlank wird (und bleibt) 5/1986, Übermittlung der Botschaft............. 67
Tabelle 13: Bewußte Ernährung 3/1989, Gliederung verbaler Text ...................................................... 72
Tabelle 14: Bewußte Ernährung 3/1989, Übermittlung der Botschaft................................................... 73
Tabelle 15: Satt und Schlank 3/1994, Gliederung verbaler Text ........................................................... 81
Tabelle 16: Wellness 4/2007, Gliederung verbaler Text ....................................................................... 91
Tabelle 17: Wellness 4/2007, Übermittlung der Botschaft .................................................................... 92
Abbildung 1: Aspekte des Wellnessmarktes ............................................................................................ 8
Abbildung 2: Kommentar „Die richtige Ernährung für den Büromenschen“........................................ 43
Abbildung 3: Kommentar „Mit Vollwertkost fit in den Frühling“ ........................................................ 50
Abbildung 4: Kommentar „Was ist ‚dick‘ und wie man schlank wird“ ................................................ 56
Abbildung 5: Kommentar „Wie man wirklich schlank wird (und bleibt)“ ............................................ 64
Abbildung 6: Kommentar „Bewußte Ernährung“ .................................................................................. 71
Abbildung 7: Karikatur, Cholesterin-Aktion ......................................................................................... 78
Abbildung 8: Kommentar „Satt und Schlank“ ....................................................................................... 79
Abbildung 9: Kommentar „Wellness“ ................................................................................................... 89
- 112 -
Abstract
Die Arbeit thematisiert die diskursive Konstruktion von Gesundheit und Körperbewusstsein im kulinarischen Journalismus am Beispiel des seit den 1980er Jahren in Österreich
erscheinenden Gusto-Journals. Im Rahmen einer historisch-kulturwissenschaftlichen und
diskursanalytischen Herangehensweise werden ratgebende und informierende Artikel auf
Regelmäßigkeiten und Auffälligkeiten hin untersucht. Dadurch ergeben sich Hinweise auf
Veränderungen der in den Alltag integrierten Vorstellungen des gesunden und gewinnbringenden Lebensstils.
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass im kulinarischen Journalismus in den frühen 1980er
Jahren vor allem schlankheitsideologische Hintergründe dominierten und ganzheitliche
Vorstellungen von Ernährung, Gesundheit und Körperbewusstsein noch nicht vorhanden
waren. Gegen Ende der 1980er Jahre äußerten sich einhergehend mit internationalen
Bestrebungen der Ottawa-Charta der WHO und allmählich auch nationalpolitischen
Forderungen zur nachhaltigen Ernährung
Tendenzen einer von außen geleiteten
Gesundheitsförderung im kulinarischen Journalismus. Seit den 1990er Jahren setzte sich
schließlich ein auf individueller Selbstführung basierender postmoderner Lebensstil mit
den Maximen Gesundheit, Schlankheit und Vitalität durch. Holistische Vorstellungen
vom Wohlbefinden wurden mit hohem diskursivem Wirkungspotential den Leserinnen
und Lesern präsentiert und die Herstellung des gesunden, fitten und schlanken Körpers
marktvermittelt suggeriert.
- 113 -
Curriculum Vitae
ame:
Philip Alexander Vrana, geb. 1979 in St. Pölten
Bildungsweg:
2008 – 2012
Diplomstudium Geschichte, Wahlfächer: Anglistik, Europ. Ethnologie
Universität Wien, Abschluss Mag. phil.
seit 2004
Lehramtsstudium Englisch und Geschichte
Universität Wien
2001 – 2004
Pädagogische Akademie, Krems
Abschluss Dipl. Päd.
2000 – 2001
1999 – 2000
Diplomstudium Soziologie und Bildungswissenschaften
Fachhochschule Telekommunikation und Medien
1997
AHS-Matura am BG/BRG St. Pölten
Berufserfahrung, Praktika, Zusatzqualifikationen:
02/2010 – 04/2010
Fernseharchiv ORF, Wien
Berufspraktikum
2007 – 2008
Volkshochschule, St. Pölten
Erwachsenenbildung, Englischkurse
2006 – dato
Sprach- und Legasthenietrainer (Zertifikat bei Dyslexia-Verband EÖDL)
2002 – dato
Nachhilfeinstitut Schülerhilfe, St. Pölten u. Krems
Englisch Nachhilfe
2000 – 2001
NÖ Landesmuseum, St. Pölten
Klangturm, Vermittlung im Bereich „Neue Medien“
Shedhalle, Vermittlung bei Ausstellung „Mensch: Schamane, Jäger“
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