Matthias Birnstiel Modul Verdauungsapparat Medizinisch wissenschaftlicher Lehrgang CHRISANA Wissenschaftliche Lehrmittel, Medien, Aus- und Weiterbildung Inhaltsverzeichnis des Moduls Verdauungsapparat • Einteilung der Verdauungsorgane • Oberer Verdauungsabschnitt • Mundhöhle • Speicheldrüsen im Mundbereich • Rachen (Pharynx) • Speiseröhre • Mittlerer Verdauungsabschnitt • Magen • Bau und Funktion des Magens • Feinbau und Funktion der Magenschleimhaut • Möglichkeiten der Steuerung von Magendrüsen • Magensaft und deren Bedeutung • Gastrointestinale Hormone • Dünndarm • Bau und Funktion des Dünndarms • Dünndarmschleimhaut • Blutversorgung des Dünndarms • Unterer Verdauungsabschnitt • Dickdarm • Bau und Funktion des Dickdarms • Mastdarm und After • Bau und Funktion des Mastdarms und des Afters • Anhangsorgane des Verdauungstraktes • Leber (Hepar) • Globalfunktionen der Leber • Makroanatomie der Leber • Pfortader • Funktionsablauf im Leberläpp • Gallenblase, Gallenwege und Galle • Fettverdauung • Bauchspeicheldrüse (Pankreas) • Bau und Funktion des Pankreas • Zusammensetzung des Pankreassaftes Auszug aus dem Modul Verdauungsapparat Feinbau und Funktion der Magenschleimhaut Die Magenschleimhaut (Tunica mucosa1; Abb. 9) ist von einem einschichtigen, hochprismatischen Epithel überzogen. Auf diese Oberfläche münden die schlauchförmigen Magendrüsen (Glandulae gastricae; Abb. 10) aus den tieferen Teilen der Schleimhaut. Diese Drüsen unterscheiden sich in den einzelnen Abschnitten des Magens. Die fast unverzweigten Drüsen des Corpus- und Fundusbereiches (im Cardia-, aber vor allem im Pylorusbereich sind die Drüsen stark verzweigt) bestehen aus drei Zellarten: Hauptzellen (Abb. 94 ): Diese produzieren die Pepsinogene2. Dies sind Proteine, die im sauren Milieu des Magensaftes endständige Polypeptide verlieren und zu aktiven Pepsinen werden. Pepsine sind als Proteinasen (protinspaltende Enzyme) an der Aufspaltung der der Nahrung zugeführten Eiweisse beteiligt (siehe unter auch Anmerkungen). 1 Schleimbereitende Nebenzellen 2 Belegzellen 3 Kapillaren 4 Hauptzellen 5 Arterie 6 Vene 7 Schleimhaut-Muskelschicht 8 Submucosa 9 Muskelschicht (3-schichtig) 10 Bauchfell (Peritoneum) a 1 a Magengrübchen 2 3 4 7 5 6 8 9 10 Belegzellen (Abb. 92 ): Diese können Wasserstoffionen (H+) in den Magensaft ausscheiden und erzeugen so den extrem niedrigen pH-Wert von 1,0 bis 1,5 des Magensaftes (siehe unter Anmerkung). Dieser niedrige 1Als Mukosa bezeichnet man ganz allgemein die Auskleidung innerer Hohlräume des Organismus durch ein in der Regel unverhorntes, ein- oder mehrschichtiges, flach- bis hochprismatisches Epithel. Üblicherweise wird die apikale Oberfläche der Mukosa von einer Schleimschicht aus Muzinen bedeckt. 2 Pepsinogen ist eine inaktive Vorstufe des Enzyms Pepsin, die von den Hauptzellen der Magenschleimhaut gebildet wird Abb. 9: Magendrüse im vergrösserten Schnittpräparat. Rechts: Magenschleimhaut mit Magendrüsen (angefärbt) Bildquelle: Eigene Bilder pH führt zu einer Denaturierung3 von Nahrungsprotein; dieses wird erst im denaturierten Zustand von den Proteinasen (Pepsinen) effektiv aufgespalten und in Peptide zerlegt (eine vollständige Zerlegung in Aminosäuren erfolgt erst im Dünndarm). In den Belegzellen wird auch noch der Intrinsic-Faktor gebildet, der für die Resorption von Vit B12 im Darm unerlässlich ist. Anmerkung Um die bakterientötende Wirkung der Salzsäure zu erhalten, sollten wir z. B. auf Obst, besonders kleinfrüchtiges mit relativ grosser Gesamtoberfläche, kein Wasser trinken, weil sonst die Magensäure so stark verdünnt wird, dass die Bakterien nicht mehr abgetötet werden. Es treten dann Gärungen mit starker Gasbildung im Magen und Darm auf die ihn schmerzhaft blähen, doch eine gesunde Darmwand nicht durchbrechen können. Manche Bakterien sind allerdings säureresistent, z.B. Tuberkulose-Erreger; die in der Milch tuberkulosekranker Rinder enthalten sind. Bei ungenügender oder fehlender Salzsäurebildung (Achylie, mit der Pepsinmangel verbunden ist) kommt es im Magen unter Bakterienwirkung rasch zur Bildung von Milchsäure. Salzsäuremangel kann bei Unterfunktion der Drüsen, beim Magenkrebs und nach chirurgischer Entfernung eines grösseren Magenabschnittes auftreten und muss dann durch Salzsäuretabletten behoben werden. Nebenzellen (Abb. 91 ): Diese bilden einen sauren Schleim (Muzin4), einen weiteren Bestandteil des Magensaftes, und von ihnen geht auch die Regeneration verbrauchter Drüsen- und Oberflächenepithelzellen aus. Die Drüsen im Cardia-, aber vor allem im Pylorusbereich produzieren überwiegend neutralen Schleim, der die Schleimhaut mit einem Schutzfilm gegen die aggressiven Sekretionsprodukte der Magendrüsen überzieht. Ausserdem finden wir in den Pylorusdrüsen endokrin aktive Zellen, die das Hormon Gastrin5 an das Blut abgeben. Das Gastrin stimuliert die Wasserstoffionenproduktion in den Belegzellen (siehe unter 4.1.5.2). Anmerkung Die Pepsine entstehen im Lumen (in der Öffnung) des Magens durch Abspaltung von Polypeptiden aus ihren inaktiven Vorstu-fen den Pepsinogenen, bei einem pH unter 6. Bei einer optimalen HCL-Sekretion kann der pH des Magensaftes bis auf 1 absinken. Ein solch tiefer Wert wird aber selten erreicht, denn er wird durch den Speisebrei bis auf einen pH zwischen 2 und 4 abgepuffert. In diesem Bereich liegt auch das pH-Optima für die meisten Pepsine. Das stark saure Milieu wirkt zusätzlich bakterizid (keimtötend), und es trägt zur Denaturierung (s.u.) der zu verdauenden Proteine bei. Durch die Denaturierung werden die Nahrungsproteine nicht zerstört, sondern lediglich ihre Sekundärstruktur (Näheres siehe unter Modul Biochemie). Die Primärstruktur, also die Abfolge der Aminosäuren, wird anschliessend von den Pepsinen in Peptide gespalten. Die Bildung von Pepsinogenen ist auch deswegen sinnvoll, weil die Pepsine als Proteasen6 sich gegenseitig kani3Als Denaturierung bezeichnet man die z.T. irreversible Zerstörung der Struktur von Proteinen oder Peptiden durch chemische (z.B. Säuren) oder physikalische (z.B. Hitze) Einflüsse. 4Als Muzine bezeichnet man eine Familie makromolekularer Glykoproteine, die sich vor allem auf der Oberfläche von Schleimhäuten finden 5 Gastrin gehört zu den Gewebshormonen und ist chemisch gesehen ein Polypeptid. 6 Proteasen oder Proteinasen sind Enzyme, die Proteine spalten. Dabei fragmentieren sie Peptidbindungen durch Hydrolyse. balisieren, d. h. die aktiven Pepsine können nicht unterscheiden, ob ihr Substrat ein Protein aus der Nahrung ist oder selber ein Pepsinmolekül, das ja selber auch ein Protein ist. Unter der Mitwirkung des Enzyms Carboanhydratase7 (CA) und einer ATP-getriebenen Ionenpumpe werden in den Belegzellen H+ -Ionen (im Austausch gegen K+ ) ca. 107 fach im Magenlumen angereichert. Mittels eines passiven Transportes gelangen K+ -Ionen, zusammen mit Cl- -Ionen, zurück ins Lumen des Magens. Es handelt sich hier um eine Rezirkulation von K+ -Ionen. Hergestellt werden die H+ -Ionen in den Belegzellen aus Wasser. Dabei entstehen vorerst H+ - und OH- -Ionen. Die OH- -Ionen reagieren anschliessend mit CO2 (aus dem Zellstoffwechsel) und CA (s. o.) zu HCO3- -Ionen. Diese verlassen die Belegzelle auf der Blutseite passiv im Austausch mit Cl- -Ionen (siehe unter auch Modul Harnapparat). Zum Selbstschutz vor den aggressiven H+ -Ionen im Magensaft werden von der Magenschleimhaut aktiv HCO3 - -Ionen sezerniert. Diese puffern die Säureionen, die von aussen (Lumen) her über die Schleimhautoberfläche eindringen können. Dadurch wird die Magenschleimhaut vor Geschwüren (Ulzera8) geschützt. Ein weiterer Schutzfaktor sind die Prostaglandine9 (viele Schmerzmittel hemmen die Prostaglandinbiosynthese und können demzufolge zu gastrointestinalen Beschwerden führen). Die Hauptzellen sondern eine Vorstufe der Pepsine ab. Die Belegzellen bilden eine Vorstufe der Salzsäure. Die Nebenzellen stellen schützenden Schleim her. Kontrollfragen Was ist die physiologische Aufgabe der Belegzellen, Nebenzellen und Hauptzellen? Worin unterscheidet sich der Bau der Magenwand vom Bau der übrigen Abschnitte des Verdauungstraktes? 7 Die Carboanhydratase oder Carboanhydrase ist ein Enzym, das im menschlichen Stoffwechsel eine wichtige Rolle spielt. Es katalysiert die Reaktion CO2 + 2H2O = H2CO3 + H2O = H3O+ + HCO3-. Die Carboanhydrase ist an zahlreichen physiologischen Prozessen beteiligt. Die Carboanhydrase besteht aus einem Protein, welches Zink als Cofaktor nutzt. Das Zinkion ist als aktives Zentrum für die eigentliche Aktivität des Enzyms verantwortlich 8Als Ulkus (Ulzera) bezeichnet man einen Defekt der Haut bis in den Bereich der Dermis oder tiefer bzw. der Schleimhaut durch alle Wandschichten. In der Dermatologie zählt das Ulkus zu den Sekundäreffloreszenzen. 9 Prostaglandine sind von der Arachidonsäure abgeleitete Lokalhormone aus der Klasse der Eikosanoide. Sie spielen eine entscheidende Rolle bei Entzündungsprozessen, der lokalen Schmerzvermittlung (Schmerzmediator) und als Mediatoren der Wirkung von Hormonen sowie bei integrativen Funktionen wie der Entstehung von Fieber bei Entzündungsprozessen.