Klußmann, Martin | Phasenverhalten von Aminosäuren ... Tätigkeitsbericht 2007 Chemie Phasenverhalten von Aminosäuren und die mögliche Bedeutung für den Ursprung des Lebens Klußmann, Martin; Max-Planck-Institut für Kohlenforschung, Mülheim an der Ruhr Abteilung – Homogene Katalyse Korrespondierender Autor Klußmann, Martin E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Chiralität fasziniert Chemiker seit langem und auch die Frage, wie die Natur dazu kam, nur eine der beiden spiegelbildlichen Formen chiraler Moleküle zu verwenden. Experimente zeigen, dass aufgrund des Phasenverhaltens chiraler Aminosäuren in gesättigten Lösungen kleine Unterschiede in der Menge beider Formen verstärkt werden können, bis praktisch nur noch eine davon vorliegt. Die mögliche Bedeutung für die Entstehung des Lebens wird diskutiert. Abstract For a long time chirality has fascinated chemists, together with the question how nature chose to only use one of two mirror-image forms of chiral molecules. Experiments show that phase behaviour of chiral amino acids in saturated solutions can amplify small imbalances in the amounts of both forms, until basically only one remains. The potential significance for the origin of life is discussed. Einleitung Der Ursprung des Lebens auf der Erde ist eines der größten und faszinierendsten Rätsel der Menschheit. Naturwissenschaftler gehen allgemein davon aus, dass es sich in einem stufenweisen Prozess mit steigender Komplexität entwickelte, aber die vielen Fragen nach dem „Wie“ sind größtenteils ungeklärt [1]. Ein Dilemma für alle an dieser Frage interessierten Wissenschaftler stellt sich in der Unmöglichkeit, in die Zeit zurückzureisen und zu beobachten was geschah. Stattdessen müssen zahlreiche Experimente unter vermeintlich „ursprünglichen“ Bedingungen zeigen, was gewesen sein könnte. Außerdem können wir in der Art und Weise, wie die Erde heute beschaffen ist, ein Echo aus grauer Vorzeit vernehmen; z.B. geben uns die gemeinsamen Bau- und Funktionsprinzipien heutiger Organismen Hinweise auf die Beschaffenheit der „Keimzelle“ des Lebens. Ein kleiner Stein innerhalb dieses großen ungelösten Puzzles, das besonders für Chemiker interessant ist, ist die Frage nach dem Ursprung der biologischen Homochiralität [2]. Chiralität ist eine Eigenschaft von Objekten mit ihrem Spiegelbild nicht identisch zu sein. Dies trifft z.B. auf unsere Hände zu, die – links und rechts – sich wie Spiegelbilder verhalten aber nicht deckungsgleich sind, sie sind also chiral. Gleiches gilt auch für viele Moleküle, so zum Beispiel für Aminosäuren und Zucker, Bausteine für biologisch wichtige Moleküle wie Enzyme oder die DNS. Wenn im Labor unter gewöhnlichen Bedingungen eine chirale Substanz hergestellt wird, so erhält man sie immer racemisch, d.h. als Gemisch exakt gleicher Mengen beider spiegelbildlicher Formen (Enantiomere). In der Natur kommen aber quasi alle Aminosäuren nur in einer, der L-Form, und Zucker in der D-Form vor; man spricht © 2007 Max-Planck-Gesellschaft www.mpg.de Tätigkeitsbericht 2007 Klußmann, Martin | Phasenverhalten von Aminosäuren ... entsprechend von „biologischer Homochiralität“. Dies hat bedeutende Konsequenzen für Wechselwirkungen mit chiralen Molekülen, also für eine Vielzahl von biochemischen Vorgängen aber auch für die Wirkung vieler synthetischer Stoffe auf Organismen, beispielsweise den Einsatz von chiralen pharmazeutischen Wirkstoffen. Es wird allgemein davon ausgegangen, dass es aufgrund dieser Bedeutsamkeit vorteilhaft für biologische Organismen ist, homochiral aufgebaut zu sein. Ungeklärt ist jedoch, wie genau es dazu kam und warum gerade die L-Form von Aminosäuren und die D-Form von Zuckern ausgewählt wurde, obwohl die jeweils andere Form prinzipiell mit gleicher Wahrscheinlichkeit entsteht. Zufall oder (naturwissenschaftliche) Vorherbestimmung? Asymmetrische Verstärkung An sich sollten alle Substanzen, die im unbelebten Universum entstanden sind und entstehen, also racemisch sein. Tatsächlich gibt es jedoch einige wenige Hinweise, dass dies nicht immer der Fall ist. Zum Beispiel existiert im Universum circular polarisiertes Licht, von dem man weiß, dass es in chemischen Reaktionen kleine Mengen eines Enantiomerenüberschusses erzeugen kann [2]. Außerdem wurden in Meteoriten Aminosäuren mit signifikanten Enantiomerenüberschüssen gefunden [3]. Auch wenn die Ursachen dieser Beobachtungen noch nicht klar sind – sind sie „Echos aus der Vorzeit“, die andeuten, wie die Waage in Richtung einer spiegelbildlichen Form geneigt wurde? Ausgehend von solch einem kleinen Ungleichgewicht könnte es durch verstärkende Mechanismen zu einem immer größeren Enantiomerenüberschuss kommen – ein Prozess, den man „Asymmetrische Verstärkung“ nennt – bis quasi nur noch eine Sorte Enantiomere vorliegt. Beispiele für solche Prozesse sind bekannt [2], doch viele könnten unter den vermuteten Zuständen der frühen Erde nicht ablaufen. Kürzlich wurde ein Modell entwickelt, das damit gut im Einklang steht. Phasenverhalten chiraler Substanzen Wenn man eine chirale Substanz kristallisiert, die einen Enantiomerenüberschuss enthält, so kann man zwei unterschiedliche Kristalle erhalten, die sich in Form und Eigenschaften unterscheiden. Bei den meisten Substanzen ist dies einmal ein racemischer Kristall, der beide Enantiomere in einer wohlgeordneten alternierenden Anordnung enthält (analog zu einem Schachbrett), die zweite Kristallform enthält das überschüssige Enantiomer und ist entsprechend enantiomerenrein (Abb. 1). Abb. 1: Kristallformen chiraler Substanzen und Feststoff-Lösungs-Gleichgewicht einer enantiomerenangereicherten Substanz. Urheber: Max-Planck-Institut für Kohlenforschung www.mpg.de © 2007 Max-Planck-Gesellschaft Klußmann, Martin | Phasenverhalten von Aminosäuren ... Tätigkeitsbericht 2007 Wenn man nun dieses Gemisch von Kristallen in Wasser gibt, bis sich im Gleichgewicht eine gesättigte Lösung bildet, die als Bodensatz noch überschüssige Kristalle enthält, so stellt sich eine feste Zusammensetzung der Lösung ein. Dies resultiert aus den Gesetzen der Phasenlehre, wie sie Chemikern und Physikern schon lange bekannt ist [4]. Das Enantiomerenverhältnis in Lösung kann dabei höher oder niedriger sein als insgesamt eingesetzt, im Bodensatz ist es entsprechend umgekehrt. Ein bemerkenswerter Fall ist die Aminosäure Serin: Die wässrige Lösung nimmt ein so hohes Enantiomerenverhältnis an, dass es vom reinen Zustand des einzelnen Enantiomers kaum zu unterscheiden ist [5]. Auch die Enantiomere anderer Aminosäuren können in Lösung ähnlich stark angereichert werden, das genaue Ausmaß der Anreicherung ist dabei letztlich von den relativen Eigenschaften der beiden Kristallformen abhängig [6]. Genau hier haben weitere Experimente angesetzt und gezeigt, dass eine gezielte Veränderung der Kristallformen tatsächlich eine Änderung des Enantiomerenverhältnisses in Lösung mit sich bringt. So weist die Aminosäure Valin in Lösung ein eher mittelmäßiges Verhältnis von etwa drei zu eins auf. Gibt man aber Fumarsäure dazu, so bildet sie zusammen mit Valin Kokristalle. Valin weist jetzt in Lösung ein Verhältnis von etwa 99,5 : 0,5 auf, fast so hoch wie für Serin [7] (Abb. 2). Abb. 2: Änderung des Phasenverhaltens durch Kokristallisation. Urheber: Max-Planck-Institut für Kohlenforschung Katalyse Diese Beispiele verdeutlichen, wie ein kleiner Überschuss eines Enantiomers in Lösung stark angereichert werden kann. In Lösung aber können Moleküle leicht miteinander reagieren und neue Verbindungen hervorbringen. Aminosäuren sind nun nicht nur Bausteine des Lebens, sondern haben in letzter Zeit auch immer mehr ihre Fähigkeiten als asymmetrische Katalysatoren in der synthetischen Chemie unter Beweis gestellt, d.h. als Moleküle, die den Gang einer chemischen Reaktion in Richtung eines enantiomerenreinen Produkts beeinflussen; dabei können sie auch die Synthese einer anderen Klasse von biologischen Bausteinen, nämlich Kohlenhydraten (d.h. Zuckern), katalysieren [3, 8]. Zusammengenommen mit den Kenntnissen des Phasenverhaltens lag nun das Experiment nahe, die Aminosäure Serin mit einem geringen Enantiomerenüberschuss einzusetzen, diesen in Lösung zu verstärken und dort eine chemische Reaktion zu katalysieren. Tatsächlich gelang es mit einem ursprünglich eingesetzten Verhältnis von 50,5:49,5 ein chirales Produkt von ca. 73:27 zu erhalten; genauso hoch wie mit enantiomerenreinem Serin katalysiert [5]. © 2007 Max-Planck-Gesellschaft www.mpg.de Tätigkeitsbericht 2007 Klußmann, Martin | Phasenverhalten von Aminosäuren ... Ein Szenario – der kleine warme Teich Diese Befunde lassen nun Szenarien denkbar erscheinen, die auf der frühen Erde stattfanden. Von Meteoriten stammende schwach enantiomerenangereicherte Aminosäuren könnten sich durch Regen und Verdunstung in Seen sammeln und konzentrieren, bis sich kristalline Abscheidungen bilden – ähnlich heute auf der Erde vorkommenden Salzseen. Durch das oben erläuterte Phasenverhalten könnten in Lösung hohe Enantiomerenverhältnisse entstehen, die dort wiederum durch asymmetrische Katalyse neue Verbindungen wie Kohlenhydrate in ebenfalls hohen Enantiomerenüberschüssen erzeugten. Ob es sich tatsächlich so auf der frühen Erde abgespielt hat, ist natürlich alles andere als sicher. Es spricht aber für das Modell, dass es auf thermodynamischen Eigenschaften im Gleichgewicht basiert, daher stellen lange Zeiträume kein Hindernis dar [9, 10]. Außerdem funktioniert es ohne Beschränkung auf spezielle Verbindungen oder Lösungsmittel. Selbst ganz ohne Lösungsmittel treten in Sublimationen, also in Feststoff-Gas-Phasenübergängen, prinzipiell die gleichen Phänomene auf, was den Vermutungen Nahrung gibt, dass solche Anreicherungsprozesse auch im Vakuum des Weltalls eine Rolle gespielt haben könnten [10]. www.mpg.de © 2007 Max-Planck-Gesellschaft Klußmann, Martin | Phasenverhalten von Aminosäuren ... Tätigkeitsbericht 2007 Literaturhinweise [1] P. L. Luisi: The Emergence of Life: From Chemical Orgins to Synthetic Biology. Cambridge University Press, Cambridge 2006, 332 p. [2] J. Podlech: Origin of organic molecules and biomolecular homochirality. Cellular and Molecular Life Sciences 58, 1, 44–60 (2001). [3] S. Pizzarello: The Chemistry of Life’s Origin: A Carbonaceous Meteorite Perspective. Accounts of Chemical Research 39, 4, 231–237 (2006). [4] H. W. B. Roozeboom: Löslichkeit und Schmelzpunkt als Kriterien für racemische Verbindungen, pseudoracemische Mischkrystalle und inaktive Konglomerate. Zeitschrift fuer Physikalische Chemie, Stoechiometrie und Verwandtschaftslehre 28, 494–517 (1899). [5] M. Klussmann, H. Iwamura, S. P. Mathew, D. H. Wells jr., U. Pandya, A. Armstrong, D. G. Blackmond: Thermodynamic control of asymmetric amplification in amino acid catalysis. Nature 441, 7093, 621–623 (2006). [6] M. Klussmann, A. J. P. White, A. Armstrong, D. G. Blackmond: Rationalization and Prediction of Solution Enantiomeric Excess in Ternary Phase Systems. Angewandte Chemie 118, 47, 8153–8157 (2006); Angewandte Chemie, International Edition 45, 47, 7985–7989 (2006). [7] M. Klussmann, T. Izumi, A. J. P. White, A. Armstrong, D. G. Blackmond: The Emergence of Solution-Phase Homochirality via Crystal Engineering of Amino Acids. Journal of the American Chemical Society 129, 24, 7657–7660 (2007). [8] S. Mukherjee, J. W. Yang, S. Hoffmann, B. List: Asymmetric Enamine Catalysis. Chemical Reviews 107, 12, 5471–5569 (2007). [9] D. G. Blackmond, M. Klussmann: Investigating the Evolution of Biomolecular Homochirality. AIChE Journal 53, 1, 2–8 (2007). [10] D. G. Blackmond, M. Klussmann: Spoilt for choice: assessing phase behavior models for the evolution of homochirality. Chemical Communications 39, 3990–3996 (2007). © 2007 Max-Planck-Gesellschaft www.mpg.de