WISSEN AKTUELL • CANCERDRUGS www.cancerdrugs.ch ist eine kostenlose Webseite zum Management der oralen Tumortherapie für medizinische Fachpersonen. Kernstück ist die Suchmaschine, die eine einfache und schnelle Suche wissenschaftlicher Informationen erlaubt. Zu den häufigsten unter oraler Tumortherapie auftretenden Nebenwirkungen und Begleitsymptomen sind fundierte Vor­ schläge zur Prävention und Behandlung abrufbar. Patienten-Merkblätter, erarbeitet unter fachlicher Leitung der Arbeitsgruppe «Adhärenz bei oraler Tumortherapie» (www.oraletumortherapie.ch), stehen in Deutsch und Französisch zum Download zur Verfügung. Der Inhalt wird kontinuierlich von einem Steering Committee aus Ärzten, Spitalapothekern und Onkologiepflegenden Prof. Thomas Cerny überprüft. Die Aktualisierung erfolgt mindestens einmal monatlich. Vorsitzender Steering Committee Der konkrete Fall 59-jähriger Patient mit anhaltender starker Erschöpfung Fatigue, eine häufige Nebenwirkung vieler Antitumortherapien, aber auch von der Tumorerkrankung selbst, wird häufig nicht als behandlungsbedürftig wahrgenommen. Zudem gibt es keine verlässlichen Labor- oder Funktionstests zur Fatigue-Diagnose. Dennoch kann mittels sorgfältiger Anamnese Fatigue als Nebenwirkung einer Antitumortherapie identifiziert und therapiert werden. Der aktuelle Fall verdeutlicht, wie die Webseite www.cancerdrugs.ch im Praxisalltag eingesetzt werden kann. Patient, männlich, 59-jährig, mit Glioblastoma multiforme Medikamente: Orale Therapie mit Temozolomid, seit drei Monaten. Symptome: Der Patient kommt mit anhaltender, schwerer Müdigkeit und Antriebsschwäche in die Hausarztpraxis. Er klagt über ein subjektives Gefühl der generalisierten Schwäche und ein Schweregefühl in den Gliedern sowie über ein inadäquat erhöhtes Ruhebedürfnis, für das keine äusseren Einflüsse verantwortlich gemacht werden können. Der Schlaf wird als wenig erholsam empfunden. Der Patient hat das Gefühl, sich zu allen Aktivitäten zwingen zu müssen, was zu Schwierigkeiten bei der Bewältigung des Alltags führt. Allgemein spricht er von einem Motivationsverlust und mangelndem Interesse an Alltagsaktivitäten. Status: Leicht reduzierter AZ und schlanker EZ. HF, AF und BD im Normbereich. Auskultation von Herz und Lunge sowie Palpation des Abdomens unauffällig. Untersuchungen: Ausführliche Anamnese mit Fragen zum Ausschluss einer Depression. Bewertung anhand der Brief Fatigue Inventory Skala ergibt einen Wert von 5. Labor: Anordnung eines kleinen Blutbildes (inkl. Eisenstatus; (Semi­kolon) bei Makrozytose: (Doppelpunkt) Vitamin B12 und Folsäure nicht vergessen) und CRP zum Ausschluss einer Infektion und zur Beurteilung des Ferritin-Wertes (Akutphasen-Protein). Ferner Glukose, TSH- Werte und Elektrolyte zum Ausschluss von Diabetes mellitus, Hypothyreose und Elektrolytstörungen. Zusätzlich noch Transaminasen und g-GT. Laborwertresultate: Hb100 g/l, Lc 3,5 G/l, Tc 110 G/l, Ferritin 28 µg/l, Transferrin 1,9 G/l. CRP, BSG, Glukose, Elektrolyte, Transaminasen, g-GT und TSH-Werte sind im Normbereich. Frage 1: Können die Symptome in Zusammenhang mit der Temozolomid-Behandlung stehen? Antwort unter www.cancerdrugs.ch: Fatigue zählt unter Temozolomid in der Monotherapie mit 22% zu den sehr häufigen (≥ 10%) Nebenwirkungen. Diagnose: Ein Zusammenhang zwischen der Tumormedikation und der Symptomatik liegt nahe. Deshalb wird die Verdachtsdiagnose Fatigue CTC Grad II infolge der Temozolomid-Behandlung gestellt. Zusätzlich findet sich eine leichte Anämie, eine leichte Neutropenie und Thrombozytopenie, vermutlich ebenfalls als Folge der Temozolomid-Behandlung. Kein Hinweis auf eine Infektion. Frage 2: Wie sieht das weitere Vorgehen aus? Antwort unter www.cancerdrugs.ch: Die NCCN-Richtlinien zur Behandlung von Fatigue empfehlen zuerst generelle Strategien wie Energiekonservation und Ablenkung durch Musik, Spiele oder soziale Aktivitäten. Energiekonservation wird durch Prioritätensetzen, Delegieren, Verrichtung von Aktivitäten zu Zeiten maximaler Energieniveaus und durch das Verschieben nicht-essentieller Aktivitäten erreicht. Zusätzlich sollte während des Tages nicht länger als 1 Stunde geschlafen werden, damit der Nachtschlaf nicht tangiert wird (NCCN 1. 2013). Bei ungenügender Auswirkung auf die Energiekonservation sollten nicht-pharmakologische Interventionen zum Zuge kommen. Hier haben sich Interventionsprogramme mit vorsichtig dosiertem Ausdauertraining als am wirkungsvollsten erwiesen, sofern keine Kontraindikation besteht. Mehrere Metaanalysen zeigten, dass körperliche Betätigung einen sehr positiven Effekt auf den Energieverlust hat: Die Ausprägung von Fatigue wurde bei sportlich aktiven Patienten um 40–50% gesenkt. Zusätzlich konnte ein positiver Effekt auf den emotionalen Stress, auf Schlafstörungen und auf die Lebensqualität gezeigt werden. Zudem können psychosoziale Interventionen, Therapien zur Verbesserung der Aufmerksamkeit sowie Ernährungsberatung und Schlaftherapie eingesetzt werden. Hat sich der Erschöpfungszustand mit diesen Ansätzen nur ungenügend gebessert, ist eine medikamentöse Therapie indiziert. Therapie: Da es sich um eine Fatigue Grad II gemäss CTC und eine leichte Anämie handelt, wird die Tumortherapie in Absprache mit dem Onkologen fortgesetzt. Die Anämie wird mit einer parenteralen Eisentherapie und Erythropoietin behandelt. Zusätzlich wird ein vorsichtig dosiertes Ausdauertraining vereinbart sowie Entspannungsmethoden angeordnet. Verlauf: Bei der nächsten Konsultation nach drei Wochen berichtet der Patient über eine leichte Besserung der Symptome. Die Effektivitätsbeurteilung der Erythropoietin-Therapie nach vier Wochen zeigt eine Besserung der Anämie. Aufgrund dieser Ergebnisse wird die Therapie weitergeführt. Zielwert ist ein Hb von 120 g/l (bei MCV 85-95 fl Vitamin B12 nicht vergessen). wwSonia Fröhlich de Moura Weitere Informationen und Literaturangaben unter www.cancerdrugs.ch _ 2015 _ der informierte arzt 4801