T R E F F P U N K T FO R SC H U N G | PA R A S ITO LO G I E | Männer, Frauen, Parasiten – die Amöbenruhr macht feine Unterschiede Forscher des Bernha rd- No ch t-Inst i tuts für Tropenmedizin in Ha mbu rg (BNI) unters uch ten in Vietnam die Verteil u ng des Pa ras i ten Entamoeba histolytica in der Be v ö l kerung und st ießen auf Unerwa rtetes: Obwohl Frauen im Verg leich zu Männern häuf iger mit dem Pa ras i ten inf iz iert sind, entw ic keln sie nur sel ten Kra n khei t ssy mptome wie den Amöbenleb erabszess. A B B . V iet na m: Kamp ag ne zur Auf kl äru ng über die fäkal- o ra le Verbrei tu ng der Amöben ruhr. Die Amöbenruhr oder Amöbiasis ist eine Erkrankung durch Parasiten und betrifft weltweit jährlich etwa 50 Millionen Menschen. In etwa zehn Prozent dieser Fälle kommt es zu einem Leberabszess. Von dieser Erkrankung betroffen sind vor allem Menschen in subtropischen und tropischen Regionen. Das Risiko für eine Infektion steht in engem Zusammenhang mit der Bevölkerungsdichte und dem Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die Amöbiasis beruht auf einer Infektion mit Entamoeba histolytica, einer 210 | Biol. Unserer Zeit | 4/2006 (36) Amöbenart, die den menschlichen Darm besiedelt. In vielen Fällen kommt es zunächst zu asymptomatischen Verläufen, sodass die Infektion häufig unerkannt bleibt. Im weiteren Verlauf können dann Symptome auftreten, die von Bauchschmerzen über leichte Durchfälle (Diarrhöe) bis hin zu schweren blutigen Darmentzündungen (Kolitis) reichen. Eine Infektion mit Entamoeba histolytica erfolgt durch die orale Aufnahme des Dauerstadiums des Einzellers, den so genannten Zysten. Infizierte scheiden täglich bis zu 100 Millionen Zysten mit dem Stuhl aus. Wenn wie in der zentralvietnamesischen Stadt Hué vielen der rund 300.000 Einwohner ein Fluss gleichzeitig das Trink- und Waschwasser liefert, aber auch die Kanalisation darstellt, verbreitet sich der Parasit leicht fäkal-oral. In Vietnam sind inzwischen staatliche Kampagnen zur Aufklärung der Bevölkerung und zur Verbesserung der Hygiene angelaufen (siehe Abbildung). Eine typische Komplikation im Krankheitsverlauf der Amöbiasis ist der Amöbenleberabszess, eine flüssigkeitsgefüllte Höhle im Lebergewebe. Ein solcher Abszess kann sich bilden, wenn der Erreger die Darmschleimhaut durchbricht, Anschluss an die Blutgefäße findet und über die Pfortader in die Leber gelangt. Ein Amöbenleberabszess weist eine medizinische Besonderheit auf, er gehört zu den so genannten „sterilen Abszessen“. Das bedeutet, dass sich in seinem Inneren keine Bakterien befinden, wie es sonst bei entzündlichen, eitrigen Reaktionen üblich ist. Frauen erkranken häufiger – und werden schneller wieder gesund Man würde vermuten, dass Amöbenleberabszesse unter den Infizierten gleich häufig vorkommen. Die Forscher analysierten in Hué mehr als 2000 Patienten mit Amöbenleberabszessen über mehrere Jahre [1]. Mit hochgerechneten 37 Abszessen pro 100.000 Einwohnern pro Jahr hat Hué das höchste bis dahin bekannt www.biuz.de gewordene Vorkommen von Amöbenleberabszessen weltweit. Bei der Auswertung machten die Forscher erstaunliche Entdeckungen. Obwohl auch Kinder an Amöbiasis erkranken, fanden sich Amöbenleberabszesse fast ausschließlich (zu 95 Prozent) bei erwachsenen Patienten. Wiederum 80 Prozent dieser Patienten sind Männer. Obwohl Frauen häufiger mit dem Parasiten infiziert sind, bilden sich bei ihnen sehr viel seltener Abszesse. Männer zwischen 30 und 49 zeigen die größte Neigung zu Leberabszessen, in dieser Altersgruppe kommt auf sieben erkrankte Männer nur eine einzige weibliche Patientin. Erst bei Frauen über 60 steigt die Wahrscheinlichkeit für einen Leberabszess. Neben einigen wenigen Affenarten ist der Mensch der einzige Wirt für Entamoeba histolytica. Daher ist es schwierig, Untersuchungen zur Amöbiasis in einem geeigneten Tiermodell durchzuführen. Forscher am Bernhard-Nocht-Institut verwendeten Mäuse und versuchten Abszesse zu erzeugen, indem eine Amöben-Reinkultur unmittelbar direkt in die Leber injiziert wurde. Überraschenderweise ergab sich in dem Mausmodell das gleiche Bild wie beim Menschen: Die in dieser Studie untersuchten weiblichen Mäuse zeigten tatsächlich eine Art Resistenz gegenüber den Leberabszessen. Sie beseitigten Amöben schneller aus ihren Lebern und erholten sich insgesamt schneller von einer Infektion. Hormone beeinflussen die Immunantwort Analysen ergaben, dass die Infektion mit Amöben bei männlichen und weiblichen Tieren zu unterschiedlichen Aktivierungen des Immunsystems führt. Während bei weiblichen Tieren in erster Linie der pro-inflammatorische Botenstoff Gamma-Interferon gebildet wird, der die Makrophagen aktiviert, findet sich bei männlichen Mäusen vor allem der anti-inflammatorische Botenstoff Interleukin-4, der die Makrophagen hemmt. Das Gamma-Interferon schal- © 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim | tet in den Weibchen die amöbizide Immunantwort an, indem es die Makrophagen zur Produktion von Stickstoffmonoxid stimuliert. In Männchen führt der anfangs erhöhte Interleukin-4-Spiegel dazu, dass die Makrophagen mehr oder weniger gelähmt sind. Um die bisherigen Ergebnisse zu untermauern, wurden Antikörpertests durchgeführt. Vor der Infektion mit Entamoeba histolytica wurden weiblichen Versuchstieren Antikörper gegen das Gamma-Interferon gespritzt. Bilden diese Tiere nun während ihrer Immunantwort auf die Infektion das Gamma-Interferon, so wird es blockiert und kann die Produktion des amöbiziden Stickstoffmonoxids nicht anregen. Diese weiblichen Mäuse zeigten tatsächlich große Abszesse, die mit denen der Männchen vergleichbar waren. Zusätzlich wurden Experimente mit weiblichen Knock-out-Mäusen durchgeführt, bei denen Gene des Immunsystems deaktiviert wurden. Die Knock-out-Mäuse zeigten im Vergleich zu den Wildtyp-Mäusen größere Abszesse und einen verlangsamten Genesungsprozess, ähnlich der Reaktion der männlichen Mäuse auf eine Infektion mit Entamoeba histolytica. © 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim T R E F F P U N K T FO R SC H U N G Aktuelle Untersuchungen der Arbeitsgruppe widmen sich nun einem hormonellen Rollentausch: Kastrierte Mäuseweibchen bilden keine weiblichen Hormone mehr. Gibt man ihnen dann Testosteron, entwickeln sie ebenfalls Abszesse. Männliche Tiere, die man vor einer Infektion mit weiblichen Hormonen behandelt, werden derzeit untersucht. [1] J. Blessmann et al., Am. J. Trop. Med. Hyg. 2002, 66(5), 578–583. [2] H. Lotter et al., Infect. Immun. 2006 74(1), 118–124. Egbert Tannich, Hamburg; Milena Wozniczka, Kamp-Lintfort www.biuz.de 4/2006 (36) | Biol. Unserer Zeit | 211