Zahngesundheit und Migration - Stiftung für Schulzahnpflege

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n r. 123 / Sommer 2014
K ulturen
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Zahngesundheit und Migration
Schulzahnpflege-Instruktorinnen werden bei ihrer Arbeit mit unterschiedlichen
Kulturen konfrontiert. Das Wissen um Prophylaxe und Zahnpflege ist jedoch
längst nicht überall auf der Welt so gut verankert wie in der Schweiz. Besonders
Kinder aus Osteuropa und arabischen Ländern weisen einen höheren Kariesbefall
auf als Einheimische.
Gabriela Troxler
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Bessere Chancen auf
gesunde Zähne: Schülerinnen und Schüler mit
Migrationshintergrund sind
besonders auf die
schulische Kariesprophylaxe angewiesen.
Die kulturelle Vielfalt mit einer Vielzahl
von Sprachen, Werten, Lebensweisen
und Vorstellungen gehört zur Schweiz
wie Käse und Schokolade. Rund ein
Fünftel der Bevölkerung hat heute (zusätzlich) eine ausländische Nationalität.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat
sich diese Vielfalt noch verstärkt: Die
Schweizer Bevölkerung setzt sich aus
immer mehr unterschiedlichen Nationalitäten zusammen, die allen sozialen
Schichten und Berufen angehören. Der
grösste Teil der Migranten mit festem
Wohnsitz in der Schweiz stammt aus
dem europäischen Raum; am häufigsten aus Italien, Serbien und Montenegro, Portugal, Deutschland, der Türkei
und Spanien. Nach dem römisch-katholischen und dem protestantischen
Christentum ist der Islam mittlerweile
die dritthäufigste Religion in der Schweiz.
Die Musliminnen und Muslime stammen meist aus dem ehemaligen Jugoslawien, afrikanischen Staaten und der
Türkei. Wie sie ihre Religion praktizieren, ist aber sehr unterschiedlich.
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K ulturen
Verschiedene Untersuchungen des
Bundesamtes für Gesundheit BAG und
Studien aus Deutschland haben gezeigt, dass Migranten aus westlichen
Ländern eine sehr gute Zahngesundheit aufweisen. So suchen laut einer
Umfrage Personen aus Nordeuropa am
häufigsten prophylaktisch ihren Zahnarzt auf. Je tiefer das Bildungsniveau
und die soziale Schicht einer Migrantenfamilie, desto schlechter steht es
um die Zähne der Kinder. Laut dem
niedersächsischen Integrationsministerium weisen besonders Kinder und
Jugendliche aus der Türkei, der ehemaligen Sowjetunion und arabischen
Ländern ein höheres Kariesrisiko auf.
Als Hauptgrund für die Unterschiede
zwischen ausländischen und einheimischen Kindern sehen die Studien sowohl mangelnde Mundhygiene als auch
das Essverhalten.
Mundhygiene ist vielfach
kulturell bedingt
Essgewohnheiten sind kulturell verankert und eng mit dem Familienleben
verbunden. Sie wirken sich auch auf die
Zähne und die gesamte Gesundheit
aus. Sowohl die Religion als auch das
Klima und die Bodenbeschaffenheit im
Heimatland haben einen Einfluss auf
die Essgewohnheit. So sind beispiels-
^
Kulturelle Eigenheiten
der Familie haben häufig
einen Einfluss auf den
Kariesbefall bei Kindern.
weise viele Hindus aus religiösen Gründen Vegetarier oder Veganer. Haben
sie weder die Mittel noch das nötige
Wissen, um sich ausgewogen zu ernähren, kann sich ein Vitamin B12Mangel einstellen und zu verschiedenen Formen von Glossitis (krankhafte
Veränderungen der Zunge) führen. In
tierischen Produkten wie Milch oder
Käse wäre ausserdem viel Kalzium und
Phosphor enthalten, die wichtig für
gesunde und starke Zähne sind und
Karies vorbeugen können.
Basis-Informationen über Mundhygiene und
Zahngesundheit bietet das Schweizerische
Rote Kreuz in vielen verschiedenen Sprachen
unter www.migesplus.ch
In vielen afrikanischen Ländern essen
die Menschen vor allem fasrige pflanzliche Nahrungsmittel ohne raffinierte
Kohlenhydrate wie Stärke und Zucker.
Das stärkt Kiefermuskulatur und Zähne
und schützt vor Karies. Das grosse Angebot an Süssigkeiten in der Schweiz
kann für Kinder aus solchen Ländern
zum Problem werden: nämlich dann,
wenn die Kinder plötzlich viele zuckerhaltige Lebensmittel essen, ihre Mundhygiene aber nicht entsprechend anpassen.
Exzessiver Konsum von sehr scharfem
Essen, insbesondere von grünen Chilis,
ist in einigen Teilen Indiens weit verbreitet und kann laut einer Studie oralen
Krebs begünstigen.1 Viele Muslime reinigen ihre Zähne während den traditionellen Gebeten fünfmal täglich mit
sogenannten «Miswak», kleinen Holzstäbchen, und massieren ihr Zahnfleisch. Das kann sich positiv auf die
Zahngesundheit auswirken, ebenso
wie die Tatsache, dass viele Muslime
und Hindus höherer Kasten keinen Alkohol trinken. Einige Studien konnten
einen Zusammenhang zwischen erhöhtem Alkoholkonsum und oralem
Krebs nachweisen.2 In weiten Teilen
Südasiens gilt Betelpfeffer als eines der
beliebtesten Genussmittel. Zusammen
mit gelöschtem Kalk, Tabak und Ge-
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würzen wird er gekaut und ausgespien
oder geschluckt. Besonders in Nordindien wird die Mischung, auch «Pan»
genannt, ebenso den Gästen angeboten. Sie abzulehnen gilt als unhöflich.
Der rote Saft verfärbt aber die Zähne
und schädigt das Zahnfleisch. In Westafrika werden dagegen die tannin- und
koffeinhaltigen Nüsse des Kolabaums
gekaut, die früher auch Zutaten von
Coca-Cola waren und dem Getränk
seinen Namen gaben. Die Substanz
kann die Heilung von Wunden im Mundraum beschleunigen.
Migrantenkinder gehören oft zur
Gruppe mit tiefer Zahngesundheit
Kinder aus Migrantenfamilien gehören
häufig zur relativ kleinen Gruppe, die
trotz allgemein tiefem Kariesbefall noch
deutlich mehr Karies aufweist (siehe
Editorial). Während bei den einheimischen Kindern dieser Gruppe oft fehlendes Interesse der Eltern Ursache
ist, spielen bei Migrantenkindern eher
Sprachbarrieren, kulturelle Eigenheiten
und das damit verbundene Umfeld eine
Rolle. In beiden Fällen können aber auch
andere Ursachen wie etwa ein tiefes
Bildungsniveau ausschlaggebend sein.
Migrantenfamilien fehlt häufig der Zugang zu Informationen, wie sich Karies
vermeiden lässt. Weiter besteht im gewohnten kulturellen Umfeld oft noch
kein Bewusstsein für die Prävention.
Dadurch fehlt die soziale Unterstützung – ein Faktor, der sich in der Gesundheitsforschung als besonders einflussreich erwiesen hat – etwa im Sinne
eines Nachahmungseffektes. Es fehlen
weiter auch Vorbilder, an denen sich
insbesondere Kinder aus Migrantenfamilien orientieren können. Gerade
hierzu leistet die Schule einen besonderen Beitrag, denn hier können die
Kinder dies alles sehen und erleben
und im Idealfall auch Neues mit nach
Hause tragen. Wenn eine Behandlung
bzw. Sanierung von kariösen Zähnen
notwendig wäre, wird dies von Migrantenfamilien ebenfalls häufig nicht wahr-
K ulturen
genommen oder hinausgeschoben, bis
ein Notfall dazu zwingt. Das gilt leider
besonders auch für das Milchzahngebiss.
SZPI schlagen kulturelle Brücken
Da Menschen mit Migrationshintergrund häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen sind und im Vergleich zum
Durchschnitt ein niedrigeres Einkommen haben, zählen viele von ihnen zu
den Working poor, also zu Erwerbstätigen, die trotz Vollzeitarbeit an der
Grenze zur Armut leben. Oft wird deshalb bei Zahnarztbesuchen gespart,
selbst wenn das Wissen um Prophylaxe
da ist. Der berufliche Abstieg und Statusverlust kann auch direkte negative
Auswirkungen auf die Gesundheit ha-
ben: etwa psychische Probleme und /
oder eine ungesunde Lebensweise, die
sich wiederum auf die Zähne auswirkt.
Je nach den politischen und gesellschaftlichen Bedingungen und der Umwelt in ihrem Heimatland sind Migrantinnen und Migranten allgemein besser
oder schlechter für gesundheitliche
Angelegenheiten sensibilisiert. Es gibt
unterschiedliche Definitionen von «gesunden» Zähnen. Ebenso ist möglich,
dass manche Migranten zu wenig über
das Gesundheitssystem in der Schweiz
wissen. Auch Diskriminierungserfahrungen und sprachliche Verständigungsschwierigkeiten können Migranten den Zugang zur hiesigen zahnmedizinischen Versorgung erschweren.
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Kulturelle Unterschiede können also
zumindest teilweise erklären, weshalb
Migrantenkinder hier in der Schweiz die
Grundlagen der Mundhygiene nicht
kennen. Hier setzen SchulzahnpflegeInstruktorinnen an. Sie zeigen den Kindern die klassischen Säulen der Kariesprävention – regelmässige gründliche
Mundhygiene, eine zahngesunde Ernährung und der Einsatz von Fluoriden.
Der Umgang mit Kindern anderer Kulturen erfordert dabei eine spezielle
Sensibilität. Das Wissen um kulturelle
oder religiöse Normen und Praktiken
kann dazu beitragen, Missverständnisse zu verhindern.
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Gerüstet für eine gute
Mundhygiene: Kinder lernen
von SchulzahnpflegeInstruktorinnen, wie wichtig
eine gründliche Mundhygiene, eine zahngesunde
Ernährung und der
Einsatz von Fluoriden ist.
1) Prabhu SR. Oral diseases in the tropics. Oxford University
Press UK (November 1992), zitiert in: Chandra Shekar BR, Raja
Babu P. Cultural factors in Health and Oral health. Indian Journal of Dental Advancements (January 2010).
2) Franceschi S, Talamini R, Barra S. Smoking and drinking in
relation to cancer of the oral cavity, pharynx, larynx and esophagus in Northern Italy. Cancer Res 1990; 50: 6502-6507
und Franco EL, Kowalski LP, Oliveira BV. Risk factors for oral
cancer in Brazil: A case control study. Int J Cancer1989; 43:
992-1000, zitiert in: Chandra Shekar BR, Raja Babu P. Cultural
factors in Health and Oral health. Indian Journal of Dental Advancements (January 2010).
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