Vorlesung Strabologie T. Guthoff Vorlesung Strabologie Lernziele • Erinnerung: Anatomie und Physiologie • Was ist Amblyopie? • Was ist der Unterschied zwischen latenten und manifestem Schielen? • Was ist der Unterschied zwischen kindlichem Begleitschielen und paretischem Schielen? • Welche Therapieformen gibt es? m. rectus superior Hebung N.III M. obliquus superior Senkung, Innenrollung N.IV m. rectus lateralis Abduktion N.VI m. rectus inferior Senkung, Aussenrollung N.III m. rectus medialis Adduktion N.III M. obliquus inferior Hebung, Aussenrollung N.III Augenbewegungstypen • Sakkaden – Abbildung eines Objekts auf der Fovea • Folgebewegungen – Stabilisierung in der Fovea • Vestibuläre Augenbewegungen – Ausgleich von Drehbewegungen des Kopfes • Vergenzbewegungen – 3-dimensionales Bild bei unterschiedlichen Entfernungen Besonderheit des kindlichen Sehsystems • Sehsystem bis zum 7.-8. Lebensjahr nicht stabil entwickelt • Plastische Phase • Bei fehlendem/ schlechterem Seheindruck eingeschränkte Sehentwicklung • Je jünger das Kind, desto stärker • Kein Augenverband bei Bagatellverletzungen im Kleinkindalter AMBLYOPIE= funktionelle Schwachsichtigkeit • • Deprivationsamblyopie: Verlegung der optischen Achse • Refraktionsamblyopie: Brechungsfehler • Schielamblyopie (bei Schielenden 60 bis 70 %) Häufigkeit: 5 - 6 % Amblyopie • Normal: Visueller Kortex erhält von beiden Augen dieselbe Information • Schielen: – Suppression • Asymmetrie der okulären Dominanz • Morphologisches Korrelat: – Umbauvorgänge der Sehbahn im Bereich des Corpus geniculatum laterale und der primären Sehrinde. Amblyopie • Visusminderung, Trennschwierigkeiten =crowding Folgen einer nicht / zu spät erkannten behandelten Amblyopie • Visus • Binokularsehen • Einige Berufe eventuell unmöglich: – Personenbeförderung (Bus, Taxi, Pilot) – Feinmechanische / chirurgische Berufe Deutlich höhere Prävalenz legaler Erblindung Verletzung überwiegend des gesunden Auges! Sehschärfenerhebung • Okklusion • Preferential looking – Verfahren • Teller Acuity Cards (TAC) Gitterlinien unterschiedlicher Abstufungen zusammen mit Graufläche gleicher Leuchtdichte • Cardiff-Cards Sehschärfenerhebung • LEA-Test (non-verbal) • • E-Haken Landolt-Ringe Kinderbilder ungeeignet! Amblyopie kann nur ausgeschlossen werden, wenn auch Reihenvisus normal ist 17,2° Abstand 2,6° Amblyopie Das Wichtigste in Kürze • Ursache: einseitiger schlechter Seheindruck • Phase höchster Sensibilität bis 2. Lebensjahr • unbehandelt- Dauerhafte, nicht reversible Sehminderung • Früherkennung! Strabismus-Schielen • Abweichen der Sehachse eines Auges vom gemeinsamen Fixationsobjekt Fehlstellung der Augen zueinander Auswirkungen einer Schielstellung • Diplopie= Doppelbilder • Strategien zur Vermeidung von Diplopie – Im KINDESALTER • Suppression • Amblyopie • anomale Korrespondenz (die Fovea des einen und eine exzentrische Netzhautstelle des anderen Auges werden zur Deckung gebracht ) Prinzipielle Fragen bei jedem Schielen • Besteht eine andere ophthalmologische Grunderkrankung? – Netzhauterkrankung, Retinoblastom, Katarakt….) • Ist das Schielen durch eine Allgemeinerkrankung verursacht? – z.B. Abduzensparese • Bestand vor dem Schielbeginn eine normale Augenstellung mit normalen Binokularfunktionen? Untersuchung: Orientierung: Brückner-Test • Beleuchtung beider Pupillen mit dem Augenspiegel im abgedunkelten Raum • Betrachten des Rotreflex • Normalerweise seitengleich rot Untersuchung: Orientierung: Brückner-Test • Asymmetrie – Trübung der optischen Medien – Netzhauterkrankung – Refraktionsunterschied – Strabismus Untersuchung: Abschätzen der Fehlstellung • Hornhautreflexbilder (Hirschbergtest) – Schätzung des Schielwinkels – 1 mm Reflexbildverschiebung entspricht Schielwinkel von 11–12° genaue Schielwinkel-Messung: Covertest Aussagekraft: Art des Strabismus Abweichungsrichtung Winkelgröße Konkomitanz/Inkomitanz bei Prüfung in Blickrichtungen Voraussetzung: Patient muß mit beiden Augen fixieren können genaue Schielwinkel-Messung: Covertest Simultaner Covertest: Ermittlung einer manifesten Abweichung durch Abdecken jeweils eines Auges mit zwischenzeitlicher binokularer Freigabe Ermittlung des manifesten und/oder latenten Schielwinkels durch abwechselndes Abdecken ohne binokulare Freigabe Phorien (Eso/Exo) • Latentes Schielen • Meist kein Krankheitswert • statistisch betrachtet Normalzustand (70% d. Bevölkerung, meist Exophorie) • Abhängig von Kompensationsfähigkeit bzw. Stabilität des Binokularsehens • Doppelbilder bei Reduktion des Fusionsvermögens Phorien (Eso/Exo) • asthenopische Beschwerden: – – – – – – zeitweilige Doppelbilder ziehende, drückende Schmerzen Ermüdungsgefühl und Brennen vermehrte Lichtempfindlichkeit Unschärfe mangelnde Ausdauer bei Naharbeit oder Lesen • Genaue Brillenbestimmung • Diagnostische Okklusion • Prismenbrille, OP Binokularsehen Beide Augen sehen Beide Augen sehen ein Bild (Fusion) Bagolini-Test Das Gehirn extrahiert Information aus dem Bildunterschied rechts/links (Stereoopsis) Titmustest, Lang Stereotest Untersuchung: Motilität • Führungsbewegungen in die 8 diagnostischen Blickrichtungen • Schielwinkelmessung in Blickrichtungen Strabismus concomitansStrabismus incomitans • Schielwinkel in allen Blickrichtungengen gleich: Strabismus concomitans= Begleitschielen • Schielwinkel unterschiedlich: Strabismus incomitans= Lähmungsschielen Die häufigsten konkomitanten Schielformen Akkommodative Esotropie • Unkorrigierte Hyperopie (2-6 dpt) • Mißverhältnis zwischen akkommodativer Konvergenz und Fusionskraft • Schielbeginn 1. oder 2. Lebensjahr • Therapie: Brille Akkomodation verbunden mit Einwärtsbewegung der Augen Frühkindliches Innenschielen • Häufigste Schielform, Prävalenz: 0,1–1% • 80% aller primären Schielformen • Schielbeginn: erste 6 Lebensmonate – Babyschielen: 2.-4.Monat- wenige Sek., Abstimmung von Akkomodation und Konvergenz – Nicht pathologisch • angeborene, oft familiäre Binokularanomalie Störung Vergenzsystem Frühkindliches Innenschielen • Großwinkliges Innenschielen Frühkindliches Innenschielen • Höhenabweichung – Dissoziierte Vertikaldeviation (DVD) – Strabismus sursoadductorius – Strabismus deorsoadductorius Frühkindliches Innenschielen • Nystagmus latens – Fixation in Adduktion – Kreuzfixation Mikrostrabismus • 20% aller Innenschielformen • Einseitiges kleinwinkliges Schielen bis 5° • Kosmetisch unauffällig • anomale Netzhautkorrespondenz – normalerweise nicht korrespondierende Netzhautorte haben gleiche Richtungsempfindung • evtl. exzentrische Fixation • Höchste Amblyopiegefahr !! (1/501,0p) Normosensorisches Spätschielen • Rel. selten (5%) • einziger strabologischer Notfall • Plötzlicher Schielbeginn im 3.-5. Lebensjahr – Fotoanamnese • Diplopie • Zukneifen eines Auges • Verlust der Fähigkeit zum Binokularsehen innerhalb weniger Wochen möglich Normosensorisches Spätschielen • Therapie: Prismenausgleich sofort • Operation möglichst rasch Strabismus divergens intermittens • Abwechselnd Parallelstand und Strabismus divergens • Volle Stereopsis bei Kompensation • Suppression während Abweichphase • Keine Diplopie • Dekompensation z.B. Müdigkeit • Blendempfindlichkeit – Gegenlichtbedingungen lassen Kompensation häufig zusammenbrechen – Zukneifen Sekundärer Strabismus • Ursache: starke Visusminderung/ Erblindung eines Auges • Bei Kindern Esotropie • Kolobome, Optikushypoplasie, Katarakt, ROP, Verletzung, Retinoblastom • Bei Erwachsenen Exotropie Therapieprinzipien • Organische Ursache ausschließen! • Refraktionsausgleich • Amblyopietherapie • Operation Refraktionsbestimmung • Bei Kindern/ Jugendlichen immer in Cycloplegie • Akkomodation wird ausgeschaltet – Tropicamid/ Cyclopentolat • Skiaskopie, Autorefraktor Okklusionsbehandlung • Faziale Pflasterokklusion • (Brillenglasokklusion) • Stoffokkluder Okklusionsbehandlung – Ziel: Seitengleiche Sehschärfe – Übergang von monolateralem in alternierendes Schielen angestrebt – Okklusion beseitigt Schielwinkel nicht Okklusionsbehandlung • Vollzeitokklusion entsprechend Lebensalter (z.B. 4 Jahre 4 Tage zu, 1 Tag beide Augen offen) • Achtung: Okklusion kann auch Amblyopie verursachen • Erhaltungsokklusion • Compliance mäßig wirkliche Okklusionszeit 30-80% • 2/3 behalten erreichten Visus bis ins Erwachsenenalter Operationsindikation • Wiederherstellung Binokularsehen • Herstellung einer Augenstellung, die Binokularsehen ermöglicht • Behebung von Diplopie • Psychosoziale Benachteiligung • Prinzip: Rücklagerung / Verkürzung Strabismus concomitansStrabismus incomitans • Schielwinkel in allen Blickrichtungengen gleich: Strabismus concomitans= Begleitschielen • Schielwinkel unterschiedlich: Strabismus incomitans= Lähmungsschielen – muskulär (z.B. endokrine Orbitopathie) – mechanisch (Trauma, Orbitatumor) – nerval (Augenmuskelparese) – Störung der synaptischen Übertragung (Myasthenie) – andere Orbitabodenfraktur: Symptome typische Motilitätseinschränkung (v.a. Hebungseinschränkung und „Umschlagphänomen“) positiver Röntgenbefund Enophthalmus / Bulbusverlagerung Sensibilitätsausfälle im Bereich des N. infraorbitalis Jede Augenmuskelparese bedarf einer neuroradiologischen Abklärung AUGENMUSKELPARESEN (Erwachsene) Okulomotorius (1090) Trochlearis (356) Abduzens (1447) Aneury smen 19 % 1% 3% Tumoren 12 % 7% 21 % Ischämie 20 % 21 % 15 % Trauma 14 % 32 % 13 % - - 6% v erschiedene 12 % 10 % 15 % unklar 24 % 29 % 27 % MS •Schielwinkel am größten in Wirkrichtung des gelähmten Muskels •Doppelbildabstand am größten in Wirkrichtung des gelähmten Muskels •Kopfzwangshaltung- Nasenspitze zeigt in Wirkrichtung des gelähmten Muskels Okulomotoriusparese • Ursachen – Bis zum Beweis des Gegenteils: Aneurysma a. communicans post. – Tumor, Blutung – Ischämie • Häufig bei fehlender Pupillenbeteiligung Trochlearisparese • Musculus obliquus superior: Senker und Inzyklorotator • Parese erzeugt: Senkungsdefizit in Adduktion und Exzyklorotation • Bielschowsky-Kopfneigetest Therapie der Augenmuskelparesen Bei störenden Doppelbildern • Brillenglasokklusion • Evtl Prismen ein Jahr die Spontanregeneration abwarten! • Dann evtl. Augenmuskel-OP • Bei Diplopie KFZ-Führen verboten! Nach 3 monatiger Okklusion wieder erlaubt Inkonkomitanter Strabismus Das Wichtigste in Kürze • Diagnose wird klinisch gestellt • Schielwinkel am größten in Zugrichtung des gelähmten Muskels • Alle Paresen neuroradiologisch abklären – N III-Parese oft im Zusammenhang mit Aneurysma- lebensbedrohlich! • Augenmuskeloperation erst nach 1 Jahr Regenerationszeit