B 20989 ISSN 0724-8016 4/13 Leben mit Krankheit / Stoma: Man muss das Beste aus allem machen ... Medizin: Strahlentherapie bei Rektumkarzinom ILCO-PRAXIS 4/13 Zum Thema Krebs: Wie Ingwer Krebspatienten hilft Stomaversorgung: ILCO-Aktion zum Erhalt des Sachleistungsprinzips Neuheiten Soziales: Schwerbehinderung Feststellungsverfahren SGB IX Aus der Arbeit der ILCO-Landesverbände, -Regionen und -Gruppen MEDIZIN Strahlentherapie bei Rektumkarzinom Bereits seit der ILCO-PRAXIS 3/12 befassen wir uns mit dem Thema Strahlentherapie und möglichen Akut- sowie Langzeitfolgen. In zahlreichen Erfahrungsberichten wurde die Vielfalt und das Ausmaß von zum Teil schwerwiegenden Strahlenfolgen geschildert; manche Betroffenen fühlten sich von Seiten der Ärzte zu schlecht aufgeklärt und zu wenig betreut. Um mehr Klarheit über die Wirkung von Strahlentherapie sowie ihrer möglichen Folgen - speziell im Hinblick auf Rektumkarzinom-Patienten - zu bringen, haben wir einen umfangreichen Fragenkatalog erstellt, den Herr Prof. Dr. Guido Lammering, Facharzt und ärztlicher Direktor einer spezialisierten Fachklinik für Strahlentherapie dankenswerter Weise so bereitwillig und ausführlich beantwortet hat. Uns ist bewusst, dass wir unseren Lesern mit diesem Beitrag komplexe medizinische Zusammenhänge und viele Fachbegriffe zumuten, die wir aber Großteils laiengerecht erklären. Dennoch dürften die folgenden Informationen für viele Betroffene informativ und aufklärend sein und vielleicht für so manche Beschwerden eine Erklärung bieten. Wegen der Fülle an geballter Information bringen wir den Text in zwei Folgen - Teil 1 befasst sich mit den Grundsätzen der aktuellen Strahlentherapie sowie den Ursachen für Strahlenfolgen, Teil 2 geht auf die akuten und Langzeit-Folgen sowie deren Therapie ein. Teil 1: Fragen und Antworten zur Strahlentherapie mögliche Auswirkungen und deren Vorbeugung Von Guido Lammering Wie hat sich die Strahlentherapie (Radiotherapie = RT) in den letzten Jahren entwickelt? Die Strahlentherapie hat sich in den letzten Jahren einem beispiellosen technischen Wandel unterzogen. Während in den 1980er und 90er Jahren noch überwiegend Kobaltgeräte, vereinzelt auch Betatrons oder erste „einfache“ Linearbeschleuniger zum Einsatz kamen, werden heutzutage nahezu ausschließlich Linearbeschleuniger eingesetzt. Frühere Bestrahlungsgeräte hatten den großen Nachteil, dass ihre austretenden Strahlen bereits stark an der Oberfläche, sprich auf der Haut wirkten, wodurch zum einen eine viel stärkere Hautbelastung unvermeidlich war, 20 ILCO-PRAXIS 4/13 MEDIZIN zum anderen aber auch die in der Tiefe notwendige Strahlung häufig in nicht ausreichendem Maße erzielt werden konnte. Demgegenüber besitzen die heutigen in modernen Geräten produzierten Strahlen nicht nur die Fähigkeit, durch hohe Energien erst in der Tiefe ihre volle Wirkung zu entfalten, sie können auch wesentlich präziser ausgerichtet und gebündelt werden. Heutige zum Einsatz Hochpräzisions- Linearbeschleuniger der Firma kommende HochenergieBrainLab - Novalis Photonenstrahlen wirken erst in zuvor bestimmter Tiefe im Zielgebiet, können gebündelt werden und sind auch noch in ihrer Strahlungsintensität modulierbar (IMRT). Hierdurch lässt sich eine immer bessere Schonung der umgebenden Risikoorgane erzielen. Die Behandlungsdosis wird also nur Durch Einsatz noch dort appliziert, wo sie auch von Nöten ist, und modernster nicht mehr oder nur noch in viel geringerem Maße in Bestrahlungsgeräte den umliegenden Strukturen, Nerven, Muskeln und bei optimaler Organen, die möglichst gut geschont werden sollen. Lagerung des Ein weiterer Vorteil heutiger moderner LinearbeschleuPatienten ist die Genauigkeit der niger ist, dass zusätzlich eine sehr genaue Kontrolle heutigen der Lagerung des Patienten auf dem BestrahlungsStrahlentherapie tisch möglich ist mit direkter Korrekturfähigkeit. Das im Millimeterheißt, nicht nur die Präzision im Körper ist deutlich verBereich bessert worden, sondern auch die Präzision der Lageangekommen. rung des Patienten bei den täglichen Bestrahlungen. Hierdurch ist die Genauigkeit der heutigen Strahlentherapie im Millimeter-Bereich angekommen. Gilt dies auch für die RT beim Rektumkarzinom? Auch für das Rektumkarzinom kann man heutzutage festhalten, dass die moderne Bestrahlung wesentlich zielgerichteter ausgeführt werden kann, überwiegend in den gut zu definierenden anatomischen Arealen des Tumorgebietes und der benachbarten Risikostrukturen stattfindet, aber nicht mehr oder in viel geringerem Maße in den umliegenden Organen, wie der Harnblase, den Nervenbahnen, dem Schließmuskel, der Prostata, dem Bereich der Peniswurzel oder der Scheide. Damit diese technischen Möglichkeiten der Hochpräzision in der Strahlentherapie auch qualitativ in vollem Umfang genutzt werden können, bedarf es jedoch der genauen Kenntnis von der Ausbreitung des Tumors und dem Befallsmuster umliegender Risikogebiete wie Fettstrukturen, Lymphknoten ILCO-PRAXIS 4/13 21 MEDIZIN und Nerven. Hierfür ist eine gute hochauflösende Bildgebung unerlässlich, am besten mit einer Magnetresonanztomographie (MRT), deren Bilder am besten mit den Bildern der vorbereitenden CT überlagert werden. Eine qualitativ gute Strahlentherapie des Rektumkarzinoms hängt somit nicht nur mit der Ausstattung der verwendeten Apparate zusammen, sondern auch mit der Qualität der zuvor erfolgten Bildgebung und der Kompetenz des die Bilder interpretierenden Radiologen und Strahlentherapeuten. Erst wenn das Ausbreitungsmuster des Rektumkarzinoms gut bekannt ist, kann die heutige schonende Hochpräzisionsstrahlentherapie ihre Vorteile ausschöpfen ohne Einbußen in den onkologischen Ergebnissen. Mit anderen Worten, die heutige Präzisionsfähigkeit der modernen Strahlentherapie verlangt eine besondere Kenntnis der Bildinterpretation. Denn vor einer zu planenden Strahlentherapie muss der Strahlentherapeut sowohl die Regionen definieren, in den bestrahlt werden soll, als auch die Regionen angeben, in den möglichst nicht oder nur in geringem Maße bestrahlt werden soll. Erst nach Einzeichnung aller relevanten Strukturen im Beckenbereich kann die moderne schonende Strahlentherapie voll ausgeschöpft werden. Welche Behandlungsformen kommen heute zum Einsatz? Die Strahlentherapie des Rektumkarzinoms ist eine lokale beziehungsweise regionale Therapie, die zum Ziel hat, die Wahrscheinlichkeit des Wiederauftretens einer Krebserkrankung (LokalreErhalt des zidiv) im kleinen Becken nach einer RektumkarzinomSchließmuskels Operation zu senken. Die Strahlentherapie hat zum Ziel, und Vermeidung mikroskopische Verbreitungen von Krebszellen sowohl eines Lokalrezidivs im umliegenden Fettgewebe als auch in angrenzenden sind die Ziele Lymphknoten abzutöten und zu sterilisieren. Selbst der bei einer optimierten Operationstechnik (TME = totaStrahlentherapie le mesorektale Exzision = Schließmuskel erhaltende beim Rektumkarzinom-Operation) hat die Strahlentherapie Rektumkarzinom. ihren festen Stellenwert in der multimodalen Behandlungsstrategie (Behandlung setzt sich aus mehreren verschiedenen Therapieansätzen zusammen). Bei der Therapie stehen v. a. der Schließmuskelerhalt (unteres Drittel), das rezidivfreie sowie das Gesamtüberleben im Mittelpunkt. Der heutige Einsatz der Strahlentherapie beim Rektumkarzinom ist entsprechend der onkologischen Leitlinien wie folgt definiert. Prä- und postoperative Strahlentherapie 1. Präoperative Langzeit-Strahlentherapie (28x) Die präoperative (vor der Operation) Strahlentherapie ersetzt größtenteils die früher übliche postoperative (nach der Operation) Strahlentherapie, da sich in einer großen deutschen randomisierten Studie (Studienteilnehmer nach Zufallsprinzip ausgewählt) gezeigt hat, dass die präoperative der postoperativen Strahlentherapie in vielen Bereichen überlegen ist. Zum einen sind die Nebenwirkungen gerin22 ILCO-PRAXIS 4/13 MEDIZIN ger, zum anderen waren auch die onkologischen Ergebnisse besser. Während also noch vor wenigen Jahren überwiegend erst nach einer erfolgten Operation bestrahlt wurde, um das Risiko eines Lokalrezidives zu verringern, wird diese „vorsorgliche“, prophylaktische, adjuvante (ergänzende) Form der Strahlentherapie heutzutage überwiegend vor die Operation, also an den Anfang der Therapie gesetzt. Zusätzlich zur Strahlentherapie kommt auch noch die Chemotherapie parallel zum Einsatz, um die Wirkung der Strahlentherapie auf die Krebszelle Art der RT Behandlungsziel adjuvante Strahlentherapie Bestrahlung nach einer Operation (postoperativ), die „vorsorglich“ oder auch ergänzend durchgeführt wird neoadjuvante Strahlentherapie Bestrahlung vor einer Operation (präoperativ), die den Tumor verkleinern und das Risiko eines Lokalrezidivs sowie Absiedlungen (Metastasen) verhindern soll zu verstärken. Diese präoperative Form der Strahlentherapie, auch als neoadjuvante Strahlentherapie bezeichnet, hat auch noch den Vorteil, dass der Tumor durch diese Behandlung häufig schrumpft, somit leichter operiert werden kann und eventuell auch noch mit größerem Abstand zum Schließmuskel entfernt werden kann, was das Risiko einer Rektumamputation (Entfernung des Mastdarmes inkl. Schließmuskel) verringert. Wichtig ist jedoch bei dieser präoperativen Langzeit-Strahlentherapie, dass nach Abschluss der Strahlentherapie mindestens 6 bis 10 Wochen gewartet wird, bevor sich eine Operation anschließt. Dieses Zeitintervall dient der Vermeidung/Verminderung von Risiken durch die Operation und gibt dem Tumor die notwendige Zeit, um die größtmögliche Schrumpfung zu vollziehen. 2. Präoperative Kurzzeit-Strahlentherapie (5x) Neben der Langzeit-Strahlentherapie vor einer notwendigen Operation wird auch in vielen Ländern die Kurzzeit-Strahlentherapie favorisiert. Diese ebenfalls vorsorgliche, prophylaktische Form der Strahlentherapie des Rektumkarzinoms erwies sich in einer großen niederländischen Studie als vorteilhaft zur Vermeidung eines Lokalrezidives und konnte deren Risiko um mehr als die Hälfte senken. Hierbei wird die Strahlentherapie 5x an fünf Tagen durchgeführt, bevor dann innerhalb von drei Tagen operiert wird. Hierbei findet keine gleichzeitige Chemotherapie statt und der Tumor wird nicht in die Lage versetzt, schrumpfen zu können, da bereits kurzfristig nach der Bestrahlung operiert wird. Um den Vorteil der Tumorschrumpfung aber auch für die Kurzzeitstrahlentherapie nutzen zu können, gibt es mittlerweile immer mehr Zentren, die nach einer Kurzzeit-Strahlentherapie auch 6 bis 10 Wochen bis zur Operation warten. Erste große Untersuchungen hierzu in Schweden zeigen ermutigende Ergebnisse. ILCO-PRAXIS 4/13 23 MEDIZIN 3. Postoperative Langzeit-Strahlentherapie (28-33x) Die postoperative Strahlentherapie bleibt heutzutage nur noch den Patienten vorbehalten, die aufgrund verschiedenster Gründe nicht einer präoperativen Bestrahlung zugeführt wurden oder werden konnten, weil beispielsweise eine Notsituation vorlag, die eine sofortige Operation erforderlich machte, oder weil die Vordiagnostik eine geringe Tumorausdehnung erwarten ließ, als es dann tatsächlich im pathologischen Präparat, also im untersuchten Tumorgewebe der Fall war. Gute und präzise diagnostische Untersuchungen mittels MRT und Endosonographie sollten diese Falschbeurteilung jedoch vermeiden helfen und die Anzahl der falsch bestimmten Tumorstadien auf ein Minimum begrenzen helfen. Palliative Bestrahlung eines Rektumkarzinoms Es gibt Situationen und Umstände, unter denen eine Operation für einen Patienten keine Therapieoption darstellt. Unter diesen Umständen bietet sich die Strahlentherapie als eine Alternative an, um zumindest den Rektumtumor für einen längeren Zeitraum klein zu halten. Eine palliative Strahlentherapie des Rektumkarzinoms hat also zum Ziel, die Folgen und Symptome des Tumors zu lindern und das Fortschreiten der Erkrankung im Tumorniveau aufzuhalten. Dieser Einsatz der Strahlentherapie erweist sich insbesondere bei älteren Patienten als eine ernsthafte Alternative zur oft risikovollen Operation. Die palliative Bestrahlung erfolgt entweder als Kurzkonzept mit 5-13 Bestrahlungen, oder wird auch über einen längeren Zeitraum durchgeführt, um möglichst schonend zu wirken. Selbst bei einer bereits metastasierten Erkrankung kann es sinnvoll sein, für die lokale Tumorkontrolle eine Strahlentherapie einzusetzen. Diese lindert die Symptome und verringert das kurzfristige Risiko von Verengungen und Verstopfungen. Wie hoch ist der Anteil der Rektumkarzinom-Patienten, die bestrahlt werden? Prinzipiell werden heutzutage alle Rektumkarzinom-Patienten bestrahlt, bei denen ein fortgeschrittenes Tumorstadium ab cT3 (siehe Tab. 1 - c steht für „clinical“ = klinischer Befund) vorliegt, oder / und bei denen verdächtige Lymphknotenmetastasen in der Bildgebung gefunden werden (mindestens cN1). Diese Stadien zeigen ein erhöhtes Lokalrezidiv-Risiko, welches durch eine Strahlentherapie gesenkt werden kann. Lediglich die Stadien cT1/2 cN0 und cM0 werden direkt und ohne Vorbestrahlung operiert. Selbst Patienten, bei denen bereits eine Metastasierung nachgewiesen ist, können in gewissen Fällen von einer Strahlentherapie des Rektumkarzinoms profitieren. Wenn die Metastasen als potentiell noch heilbar angesehen und operiert oder durch andere lokale Maßnahmen entfernt werden können, ist eine Strahlentherapie des Rektumkarzinoms indiziert. In neueren Studien konnte gezeigt werden, dass insbesondere der Abstand des am weitesten nach außen reichenden Tumorrandes bis zur mesorektalen Faszie (Hüllfaser um das Rektum mit umgebendem Fett, Abgrenzung zum umgebenden Gewebe) eine hohe Aussagekraft hinsichtlich der Entwicklung eines Lokalrezidives hat, d.h. wenn dieser Abstand zuvor durch eine MRT untersucht werden kann, lässt sich hiermit das individuelle Lokalrezidiv-Risiko abschätzen und somit die Notwendigkeit für eine Vorbestrahlung. 24 ILCO-PRAXIS 4/13 MEDIZIN Tumorstadium Beschreibung / Klassifizierung T0 keine Infiltration des Tumors in tieferes Gewebe T1 Infiltration der Tela submucosa (Gewebsschicht zwischen Schleimhaut und Muskelschicht) T2 Infiltration der Tunica muscularis (Gewebe unterhalb der Tela submucosa) - nur Darmschleimhaut oder Darmmuskulatur befallen T3 Infiltration der Subserosa - Darmwand komplett befallen T4 Infiltration von Nachbarorganen oder des Bauchfells (Peritoneum viscerale) N0 keine Metastasen in den Lymphknoten N1 Metastasen in ein bis drei Lymphknoten N2 Metastasen in mehr als drei Lymphknoten M0 keine Fernmetastasen Tab. 1: Einteilung der Tumorstadien (TNM-Klassifikation - Auszug) Früher bestand die Indikation zur Durchführung einer postoperativen Strahlentherapie im Wesentlichen aus einer individuellen Risikoabschätzung des Lokalrezidiv-Risikos anhand des Operationspräparates und der damit erfolgten Stadieneinteilung. Eine große vergleichende englische Studie (MRC-CR-07 = Name der Studie) hat aber inzwischen zweifelsfrei belegt, dass die Entscheidung zu einer Strahlentherapie nicht erst nach der Operation erfolgen sollte, sondern bereits vorab. Dieses Vorgehen ergab signifikant (statistisch erwiesen) geringere Lokalrezidiv- Raten und ein längeres krankheitsfreies Überleben. Bestrahlungsfolgen und Vorsorgemaßnahmen Bei einer präoperativen RT des kleinen Beckens muss später in diesem bestrahlten Gebiet operiert werden - was ist dabei zu beachten? Nach einer erfolgten präoperativen „Sicherheits-Bestrahlung“, d.h. neoadjuvant, präventiv, zeigte sich in zahlreichen Studien, dass das zeitliche Intervall zwischen Ende RT und Operation einen Einfluss auf das Risiko operativer und postoperativer Komplikationen im Sinne von Wundheilungsstörungen, Nachblutungen und selbst Versterben hat. Daher wird heutzutage entweder direkt unmittelbar nach Ende der RT innerhalb von drei Tagen operiert, wie etwa in der großen holländischen TME-Studie, oder es wird mindestens sechs Wochen abgewartet, wie in der großen deutschen Rektumstudie (CAO/AIO/ARO). Innerhalb dieser Zeitfolge von drei Tagen und sechs Wochen post-RT führen die biologischen Veränderungen in den Normalgewebszellen zu einer verzögerten Wundheilung und erhöhILCO-PRAXIS 4/13 25 MEDIZIN ten Blutungsneigung. Die Gewebereaktion nach einer Bestrahlung hat zur Folge, dass im Bindegewebe Fibrozyten und Fibroblasten (beides sind Zellen des Bindegewebes) zugrunde gehen, wobei das Binde- und Stützgewebe der Erwachsenen zu den relativ strahDer zeitliche lenresistenten Geweben gehört. Strahlenfolgen treten Abstand zwischen erst auf, wenn zusätzliche Gefäßstörungen und InfekStrahlentherapie und Operation tionen den Prozess komplizieren. Gewebereaktionen entscheidet über nach einer Strahlentherapie sind sehr dosisabhängig, eventuelle d.h. werden mit höherer Dosis immer wahrscheinlicher. Strahlenfolgen Bei dem Dosisniveau, welches bei der präoperativen im Gewebe. Strahlentherapie des Rektumkarzinomes üblich ist, nämlich 5x5 Gy oder 45-50,4 Gy sind sichtbare Gewebereaktionen während der Operation eher selten (Gy ist die Abkürzung für Gray, Angabe für die Strahlendosis). Die Chirurgie hat in den allermeisten Fällen nicht mit einem erhöhten Gewebsrisiko zu rechnen. Wichtig ist jedoch die unbedingte Vermeidung von Wundheilungsstörungen durch Infektionen. Eine stattgefundene Strahlentherapie erhöht das Risiko einer Heilungsstörung in der Darmanastomose (chirurgische Naht) durch Verminderung von Fibroblasten und lokaler Immunmodulation (Beeinflussung des Immunsystems am Ort der Bestrahlung), so dass immer bei Patienten, die präoperativ bestrahlt wurden, ein vorübergehendes Stoma angelegt werden sollte. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit einer komplikationslosen Abheilung der Anastomose und verhindert ernsthafte Komplikationen. Falls aufgrund der Tumorausdehnung klar ist, dass ein endständiges Stoma angelegt werden muss, kann dann auf die Bestrahlung verzichtet werden, um evtl. Akut- und Spätfolgen auszuschließen? Der Einsatz der Strahlentherapie dient in erster Linie der Vermeidung eines späteren Lokalrezidives. Hierfür ist die Strahlentherapie umfangreich in zahlreichen Studien untersucht und bestätigt worden. Dieser Effekt ist für alle Tumorlokalisationen des Rektums nachgewiesen worden und erwies sich in multivariaten Analysen (Analysen unter Einbeziehung von mehreren Variablen) sogar als größer als der Effekt der TME (Schließmuskel erhaltende Rektum-Karzinom-Operation) auf das Lokalrezidivrisiko. Insbesondere die Tumoren des unteren Rektumdrittels zeichnen sich durch eine erhöhte Lokalrezidiv-Rate aus, die unbedingt durch eine präoperative Strahlentherapie gesenkt werden sollte - unabhängig davon, ob ein endständiges Stoma angelegt werden muss oder nicht. Denn auch wenn eine Tumorverkleinerung zur Vermeidung eines endständigen Stomas nicht mehr notwendig ist, bleibt gerade bei Tumoren im unteren Rektumdrittel ein deutlich erhöhtes Lokalrezidiv-Risiko von ca. 20%, welches durch eine Vorbestrahlung mindestens halbiert werden kann. Heutige Bestrahlungstechniken können das Risiko einer Strahlenzystitis (Entzündung der Harnblase) deutlich senken, da die Harnblase mittlerweile sehr gut aus der Bestrahlungsregion zumindest größtenteils herausgehalten werden kann. Eine Strahlencolitis (Darmentzündung) ist nicht zu befürchten, da ja das Rektum bei endständigem Stoma vollständig amputiert wird. 26 ILCO-PRAXIS 4/13 MEDIZIN Was muss bei bereits angelegtem Stoma bei einer RT - über das Übliche hinaus - beachtet werden (Hautschutz, Versorgung)? Zunächst ist es für den Strahlentherapeuten wichtig, das vorhandene Stoma so gering wie nur irgend möglich mit zu bestrahlen. Dies kann erreicht werden, indem das Stoma in Planungs-CT-Bildern lokalisiert, eingezeichnet und dann gezielt aus der bestrahlten Region herausgehalten wird. Bei einer routinemäßigen Bestrahlung des hinteren Beckens bei Rektumkarzinom ist aber das Stoma mit großer Wahrscheinlichkeit immer außerhalb der Bestrahlungsregion lokalisiert, so dass keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen notwendig sind. Da die heutige Bestrahlungstechnik eine Bestrahlung erst in der Tiefe weit unterhalb der Haut möglich macht, ist auch keine besondere Haut- und damit Stomaschädigung zu erwarten. Anders sieht dies nur bei Bestrahlungen, die gezielt in der direkten Nachbarschaft des vorhandenen Stomas an der Bauchdecke durchgeführt werden müssen. Hierbei lässt sich keine wirkliche Prävention betreiben. Mit welchen Folgen der RT muss man rechnen, was kann man vorbeugend beachten? Die Strahlentherapie des Rektumkarzinoms kann akute und späte Nebenwirkungen hervorrufen. Grundsätzlich sind Nebenwirkungen durch Strahlentherapie nur dort anatomisch möglich, wo die Strahlentherapie eingesetzt wird. Dabei muss man allgemeine und individuelle Risiken für das Entstehen von akuten Nebenwirkungen unterscheiden. Die allgemeinen Risiken erhöhen sich beispielsweise durch das Hinzufügen einer Chemotherapie, wie etwa Je höher die dem 5-Fluoruracil (5-FU), welches meistens bei der präStrahlendosis am operativen Radiochemotherapie eingesetzt wird. Die Normalgewebe Chemotherapie dient dabei der Verstärkung der bioeingestellt ist, logischen Wirkung der Bestrahlung an der Krebszelle, umso erhöht aber leider auch die Strahlenwirkungen an der wahrscheinlicher Normalzelle, und damit die Nebenwirkungsrate. Andere treten allgemeine Risiken bestehen bei erhöhter StrahlendoNebenwirkungen sis. Wie die Wirkung am Tumor ist auch die Wirkung auf. am Normalgewebe stark dosisabhängig. Je höher die Strahlendosis am Normalgewebe eingestellt ist, umso wahrscheinlicher treten Nebenwirkungen auf. Individuelle Risiken beziehen sich auf anatomische Besonderheiten, die beispielsweise die ungewollte Mitbehandlung von Risikoorganen mit sich bringen, oder die genetische Prädisposition (erbliche Veranlagung) für eine generelle erhöhte Strahlenempfindlichkeit. Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Dr. med. Guido Lammering, Facharzt für Strahlentherapie und Radiologische Onkologie, Ärztlicher Direktor der MediClin Robert Janker Klinik Bonn, Ärztlicher Leiter des MVZ für Strahlentherapie und Neurochirurgie MediClin Bonn, Villenstr. 8, 53129 Bonn ILCO-PRAXIS 4/13 27 MEDIZIN In Teil 2 (erscheint in der nächsten ILCO-PRAXIS 1/14) werden vorbeugende Maßnahmen zur Vermeidung oder Minimierung von Strahlenfolgen noch ausführlicher aufgegriffen und es wird über Therapiemöglichkeiten von Akut- und Langzeitfolgen informiert. Weiterführende Informationen: „Strahlentherapie“, Die blauen Ratgeber“ Nr. 53, Deutsche Krebshilfe „Nebenwirkungen der Tumortherapie“, Broschüre der Bayer. Krebsgesellschaft „Strahlen für das Leben“ - Broschüre der DEGRO (Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie e.V.) zum Download (plus Einlegeblätter für Rektum-Ca): http://www.degro.org/dav/html/download/pdf/Strahlen_fuer_das_Leben_ 140408.pdf, http://www.degro.org/dav/html/download/pdf/EinlageRektum.pdf Colitis-Chirurgie alles Pouch oder was? Von Karl-Wilhelm Ecker Medizinische Gründe, die eine komplette Entfernung des Dickdarms erfordern, können bei den entzündlichen Darmerkrankungen Colitis ulcerosa und Morbus Crohn vorkommen, aber auch bei der Familiären Polyposis coli (FAP). Der folgende Beitrag konzentriert sich auf die chirurgischen Möglichkeiten bei der Colitis ulcerosa, kann aber in weiten Teilen ebenso für Betroffene mit anderen Vorerkrankungen interessant sein. Teil I: Wenn der Dickdarm total entfernt werden muss … Einleitung Viele Patienten mit Colitis ulcerosa beschäftigt die Frage: „Was ist die richtige Operation für mich?“. Schließlich wünschen sie sich nicht nur die Heilung von der Darmentzündung, sondern auch eine gute Qualität ihres Lebens nach der Erkrankung. Unter beiden Gesichtspunkten gilt seit mehr als einem viertel Jahrhundert die sogenannte ileo-anale Pouch-Operation als das „non plus ultra“. 28 ILCO-PRAXIS 4/13