SCHWERPUNKT AMD/NETZHAUT AMD-Therapie mit niederenergetischer Röntgenstrahlung Die Anti-VEGF-Injektionen haben sich als Standard in der Behandlung der neovaskulären AMD etabliert. Eine mögliche Reduktion der erforderlichen Injektionen bei gleichzeitigem Visuserhalt ist eine neue Option, die sich mit der singulären Anwendung einer stereotaktischen Radiotherapie mit niederenergetischer Röntgenstrahlung bietet. Prof. Dr. Norbert Bornfeld (Essen) erläutert den Ansatz sowie die aktuellen Studienergebnisse des Verfahrens, das derzeit bereits in einigen deutschen Kliniken Anwendung findet. D ie Einführung der intravitrealen Anti-VEGF-Therapie stellt eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen dar. AMD-Patienten können in einer Art und Weise behandelt werden, die vor zehn bis 15 Jahren nicht denkbar gewesen wäre. Die jahrelange Blockade von VEGF ist dementsprechend sehr hilfreich, potentielle Nebenwirkungen können aber nicht ausgeschlossen werden. Saint-Geniez et al. berichten 2009 über die entscheidende Rolle von VEGF in der Funktion der Choriokapillaris. Foxton et al. zeigen 2013 die Funktion von VEGF als neuroprotektiven Faktor auf. Auch unter Berücksichtigung der Compliance-Probleme können deshalb Ansätze, die die Anzahl der Injektionen reduzieren, hilfreich sein. Medicare-Daten zeigen, dass die Patienten nach einer gewissen Anzahl an Behandlungen diese tendenziell immer weniger in Anspruch nehmen. Es handelt sich meist um sehr alte Patienten mit niedrigem Visus, die große Schwierigkeiten haben – vor allem in ländlichen Gebieten oder außerhalb der Zentren – zu den Injektionen zu kommen. Wünschenswert ist es, die Last für den Patienten und das Sozialsystem zu reduzieren und die möglichen Komplikationen einer über Jahre gehenden VEGF-Blockade zu vermeiden. Wirksamkeit der Strahlentherapie Die Diskussion von Strahlentherapien in der Behandlung der neovaskulären AMD findet sich bereits seit den 20er Jahren in der Literatur, zahlreiche Arbeiten beschäftigen sich seit jeher mit der Frage, ob diese bei Gefäßerkrankungen hilfreich sein würden und warum. Eine der neueren Arbeiten, im letzten Jahr erschienen (Kishan et al. 2013), fasst die theoretischen Hintergründe und Grundlagen zusammen. Die Strahlentherapie ist in der Lage, proliferierende Endothelzellen zu beeinflussen. Endothelzellen sind strahlensensibel. Proliferierende Endothelzellen stellen die pathologisch-anatomische Grundlage für eine neovaskuläre AMD dar. 24 DER AUGENSPIEGEL Erste Studien Eine der ersten Studien, die untersuchte, wie die Strahlentherapie auf eine behandlungsnaive, also unbehandelte AMD wirkt, war die RAD-Studie. Diese wurde 1999 unter Führung der Universität Heidelberg durchgeführt. Es handelt sich um eine randomisierte, multizentrische Studie zur perkutanen Strahlentherapie der AMD mit einem konventionellen Linearbeschleuniger. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass bei einer Fraktionierung mit 16 Gy kein Effekt erzielt wird. In der französischen SFRADS-Studie von 2002 wird eine etwas geringere Strahlendosis von 12 Gy verwendet, mit vergleichbaren Ergebnissen wie bei der RAD-Studie. Auch hier konnte kein klinisch relevanter Nutzen festgestellt werden. So waren die ersten Arbeiten zur perkutanischen Strahlentherapie nicht überzeugend. Die Langzeitergebnisse zeigten darüber hinaus geografische Atrophien und disziforme Narben. 2005 wurden Langzeitergebnisse mit behandlungsnaiven Patienten publiziert (Trikha et al.). War der Effekt zu Anfang noch groß, erwies sich auch hier die primäre Strahlentherapie bei behandlungsnaiven Patienten nach dem Studienzeitraum von drei Jahren als nicht sinnvoll oder als nicht hilfreich. 2010 wurde in dieser Frage ein Cochrane-Report veröffentlicht, der zusammenfasst, dass die primäre Strahlentherapie in der Behandlung der neovaskulären AMD keine Wirkung zeigt. Ein weiterer Ansatz fand unter der Anwendung episkleraler Strahlenträger statt. Die letzte Arbeit dazu wurde 2005 publiziert (Jakoola et al.). Im Wesentlichen wurde ein löffelartiger Strontium-Strahlenträger benutzt, der auf den hinteren Augenpol aufgelegt wurde. Die Strahlenquelle hat einen steilen Dosisabfall von 50 Prozent in 1-mm-Gewebsäquivalent. Die Verwendung einer Strontium-Strahlenquelle für die epiretinale Strahlentherapie in Kombination mit einer intravitrealen Anti-VEGF-Therapie hat ebenfalls keine Vorteile im Vergleich zur reinen Injektionstherapie gezeigt, so dass dieses Verfahren (Vidion-System) nicht mehr verfügbar ist. JANUAR 2015 SCHWERPUNKT AMD/NETZHAUT Niederenergetische Röntgenstrahlung Ein neues Verfahren ist die so genannte Oraya-Therapie, bei der es sich um eine stereotaktische Therapie mit niederenergetischer Röntgenstrahlung handelt. Das Verfahren erfolgt ambulant und einmalig. Dabei werden drei einander überlagernde mikrokollimierte 100-kVp-Röntgenstrahlen mit einem Durchmesser von je drei Millimeter abgegeben und auf der Makula zu einem präzisen Behandlungsspot von vier Millimeter gebündelt – exakt ausgerichtet auf die betroffene, erkrankte Region. Die umliegenden Augenstrukturen werden ausgespart. Fixiert wird das Auge über eine Kontaktlinse, die mit dem Eyetracker-System kommuniziert und so die präzise Abgabe der 16-Gy-Strahlendosis auf die Makula überwacht. Ein wichtiger Vorteil der Oraya-Therapie ist die homogene Dosisverteilung. Vergleicht man die Dosisverteilungen des Oraya- und des Vidion-Systems (episklerales System), erkennt man beim Vidion-Verfahren einen starken Dosisabfall zur Seite, so dass außerhalb des therapeutischen Bereiches gearbeitet wird. Die Dosisverteilung des Oraya-Systems ist viel homogener, so dass von strahlenphysikalischer Seite und bezüglich der Sicherheit der Behandlung Vorteile gegeben sind. Die erste Studie, in der die Wirksamkeit und Sicherheit der OrayaTherapie in Verbindung mit nach Bedarf verabreichten (PRN) Anti-VEGF-Injektionen (über einen Zeitraum von drei Jahren vor Studienbeginn, mindestens drei Injektionen) untersucht wurde, ist die INTREPID-Studie, eine randomisierte kontrollierte Doppelblindstudie, an der 21 Zentren in fünf europäischen Ländern teilnahmen. Insgesamt wurden 230 Patienten in die Studie eingeschlossen und 212 über zwei Jahre nachbeobachtet. Die Studie wurde über ein Jahr geführt und im zweiten Jahr die Sicherheit des Verfahrens kontrolliert. Untersucht wurde eine Sham-Gruppe, die im üblichen PRNSchema nur injiziert und nicht bestrahlt wurde. Damit verglichen wurden zwei verschiedene Strahlendosen, 16 Gy und 24 Gy, deren Effektivität auf den Endpunkt der Studie (Verringerung der Zahl der Injektionen) untersucht wurde. Endpunkt der Studie war die Verringerung der Zahl der Injektionen. Einzig in der vorbestrahlten Gruppe gab es Patienten, die keine weiteren Injektionen benötigten, während dies in der anderen Gruppe, der Sham-Bestrahlung, in der nur injiziert und nicht bestrahlt wurde, nicht der Fall war. In einer Subgruppen-Analyse wurde untersucht, welche Patienten am besten von der Therapie profitieren: Am besten profitierten Patienten mit einer akut exsudativen Form (mehr als 7.4 mm3 Flüssigkeitsvolumen) und einem Durchmesser der CNV unter vier Millimeter. Analysiert man diese „Best Responders“, so ist die Zahl der Injektionen in der bestrahlten Gruppe bei absolut vergleichbaren Visusergebnissen – den Zweijahresergebnissen – fast halbiert. Im September 2014 wurden nun auch die Dreijahresdaten der Studie veröffentlicht, die erneut ein positives Sicherheitsprofil zeigten. Die Studie belegt, dass die Sehkraft der Patienten durch Anwendung der Oraya-Therapie aufrechterhalten werden kann. Fazit Die Tatsache, dass Strahleneffekte auf Endothelzellen nicht sofort sichtbar sind, wurde oftmals diskutiert. Es besteht Skepsis hinsichtlich der Frage, ob eine singuläre Bestrahlung tatsächlich eine andauernde Wirkung zeigen kann. Aus anderen Situationen in der Strahlentherapie ist jedoch sehr wohl bekannt, dass dies möglich ist. Die Latenzzeit zwischen Bestrahlung und Eintreten der Wirkung zieht sich über viele Monate, manchmal auch über Jahre hin, so dass eine Einzeitbestrahlung einen Effekt haben kann, der erst Jahre später auftritt. Ebenfalls bekannt ist, dass durch Makrophagen ausgelöste Entzündungsreaktionen mit einer Strahlentherapie beeinflusst werden können. Bestrahlung kann auch einen direkten Kapillarverschluss erzielen. Diese Erkenntnisse lassen vermuten, dass die Strahlentherapie in der Behandlung der neovaskulären AMD unterstützend wirken könnte. Literatur auf Anfrage in der Redaktion. Prof. Dr. Norbert Bornfeld Universitätsklinikum Essen, Zentrum für Augenheilkunde Klinik für Erkrankungen des hinteren Augenabschnitts E-Mail: [email protected] THEMEN? ANREGUNGEN? FRAGEN? [email protected] JANUAR 2015 DER AUGENSPIEGEL 25