ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 2 ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 3 INHALT Einleitung ................................................................................................................................................. 7 Aktuelle gesundheitspolitische Entwicklungen der Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik ... 8 Das Zentrum für Psychosoziale Medizin ............................................................................................... 14 Das Regionale Psychiatrie-Budget – Aktuelles ...................................................................................... 18 Aktuelle Entwicklungen im Zentrum für Psychosoziale Medizin .......................................................... 21 Das therapeutische Angebot im Zentrum für Psychosoziale Medizin .................................................. 22 Die geschützte Station mit Offenen Türen ............................................................................................ 22 Systemische Therapie mit besonderer Berücksichtigung der Netzwerk-Arbeit ................................... 25 Home-Treatment ................................................................................................................................... 26 Das Konzept STEPS (Stationäre Therapie ersetzende Psychosomatik) ................................................. 28 Tagesklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters .......... 30 Suchttherapie ........................................................................................................................................ 32 Besondere Aspekte der Pflege in der Psychiatrie und Psychotherapie ................................................ 34 Besondere Therapieformen .................................................................................................................. 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentrums für Psychosoziale Medizin ....................................... 37 Ausbildung, Weiterbildung und Fortbildung ......................................................................................... 48 Publikationen und Vorträge .................................................................................................................. 52 Mitgliedschaften.................................................................................................................................... 54 Presse-Artikel (Auswahl) ....................................................................................................................... 56 Kooperierende Einrichtungen und Institutionen .................................................................................. 60 ANHANG ................................................................................................................................................ 61 Im vorliegenden Bericht wurde auf eine durchgehende Aufzählung beider Geschlechter (z.B. „die Patientinnen und Patienten“) oder die Verbindung beider Geschlechter in einem Wort (MitarbeiterInnen) zugunsten einer möglichst einfachen Lesart des Textes verzichtet. Auf eine Schreibweise, in der nur die weiblichen Begriffe verwendet werden, wurde ebenfalls verzichtet. Aus diesem Grunde soll an dieser Stelle betont werden, dass bei allgemeinen Personenbezügen grundsätzlich beide Geschlechter gemeint sind. ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 4 5 ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 PSYCHISCHE GESUNDHEIT GEHT UNS ALLE AN (DGPPN) Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit legen wir den JAHRESBERICHT 2015 für das Zentrum für Psychosoziale Medizin des Klinikums Itzehoe vor. Wir freuen uns sehr über Ihr Interesse an unserer Klinik. Das ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN des Klinikums Itzehoe ist zuständig für alle Menschen mit psychischen Erkrankungen in allen Altersstufen, die im Kreis Steinburg Hilfe und Versorgung in den Bereichen Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin benötigen. Wir haben UMFASSENDE ANGEBOTE im Bereich der Prävention, der Diagnostik, der Behandlung und der Rehabilitation. Es ist uns ein ganz besonderes Anliegen, mit allen Menschen im Kreis Steinburg im Kontakt zu bleiben und Informationen über unsere Arbeit zu geben. Menschen mit psychischen Erkrankungen GEHÖREN ZU UNSERER GESELLSCHAFT. Wir verstehen uns als eine Klinik, die eng mit allen vernetzt ist, die als Betroffene, Angehörige oder Helfende mit psychischen Erkrankungen und deren Prävention und Behandlung befasst sind. Mit ganz herzlichen Grüßen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentrums für Psychosoziale Medizin Professor Dr. med. Arno Deister Chefarzt ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 6 ■ Robert-Koch-Str. ■ Mecklenburger Weg ■ Beethovenstraße ■ Am Wall (Glückstadt) ■ Engelbrechtsche Wildnis ■ ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 7 Einleitung D ie Psychosoziale Medizin versteht sich als Integration der psychiatrischen, psychotherapeutischen, psychosomatischen und sozialen Aspekte in der Diagnostik und Therapie von Menschen mit psychischen Erkrankungen. INDIVIDUELLE THERAPEUTISCHE KONZEPTE FÜR MENSCHEN MIT PSYCHISCHEN ERKRANKUNGEN Im Zentrum für Psychosoziale Medizin behandeln wir Menschen aus allen Altersstufen, die wegen einer psychischen oder psychosomatischen Problematik oder Erkrankung (einschließlich Abhängigkeitserkrankungen) therapeutische Hilfe benötigen. Wir unterstützen unsere Patienten dabei kompetent und partnerschaftlich im Heilungsprozess. DEN GANZEN MENSCHEN IM BLICK Das Zentrum für Psychosoziale Medizin bietet stationäre, tagesklinische und ambulante Behandlung für alle Menschen mit psychischen Störungen an. Wir verfügen über alle diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten aus dem Bereich der Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Für Kinder und Jugendliche haben wir ein umfassendes tagesklinisches Angebot. Mit hochspezialisierten Behandlungsteams behandeln wir Menschen, die unter Depressionen oder Angsterkrankungen, psychotischen Erkrankungen, Abhängigkeitserkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen sowie unter psychischen Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters bzw. des älteren Menschen leiden. Wir legen Wert darauf, dass sich die Behandlung bei uns eng an den Bedürfnissen unserer Patientinnen und Patienten orientiert und den ganzen Menschen im Blick hat. In akuten Krisensituationen bieten wir Schutz und intensive pflegerische und therapeutische Betreuung. UMFASSENDE BEHANDLUNGSMÖGLICHKEITEN IN ITZEHOE UND GLÜCKSTADT Das Zentrum für Psychosoziale Medizin ist in den Therapiebereichen Itzehoe und Glückstadt tätig. Wir haben insgesamt bis zu 60 stationäre Behandlungsplätze (Betten) und bis zu 75 tagesklinische Plätze. Für Kinder und Jugendliche bieten wir eine eigenständige tagesklinische Behandlung mit zwölf Plätzen in Itzehoe an. AMBULANTE BEHANDLUNGSMÖGLICHKEITEN Die ambulante psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung ist ein wesentlicher Bestandteil in der gemeindepsychiatrischen Versorgungskette. Wir richten uns mit unserem Behandlungsangebot insbesondere an Menschen mit schweren und chronischen Verläufen psychischer Erkrankungen. Dies sind hauptsächlich Patienten, die auf Grund ihrer komplexen Krankheitssymptomatik nach der stationären Behandlung durch das außerhalb des Klinikums bestehende Versorgungsnetz nicht ausreichend erreicht werden können oder die zusätzlich zu anderen Angeboten fachärztliche Hilfe benötigen. ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 8 Aktuelle gesundheitspolitische Entwicklungen der Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Prof. Dr. med. Arno Deister, Chefarzt I n den letzten Jahren wird zunehmend deutlicher, welche Bedeutung psychische Erkrankungen für die davon betroffenen Menschen und ihre Angehörigen, aber auch für die Gesellschaft insgesamt haben. Neuere Zahlen zur Entwicklung der Häufigkeit von psychischen Erkrankungen, insbesondere aber auch über deren Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit und (Früh-)Berentungen sowie zu den Kosten, die durch die Behandlung und die sozialen Folgen entstehen, zeigen, wie wichtig es ist, Maßnahmen zur Vorbeugung von psychischen Erkrankungen zu entwickeln und diese frühzeitig zu erkennen und umfassend zu behandeln. Einige der wesentlichen Aspekte sollen in der Folge kurz dargestellt werden. ERKRANKUNGSHÄUFIGKEITEN Neueste Studien in Deutschland können zeigen, dass innerhalb von zwölf Monaten mehr als jeder vierte Einwohner in Deutschland (27,7 % der Erwachsenen im Alter von 18-79 Jahren) an einer psychischen Störung erkrankt1. Bezogen auf die Bevölkerung in Deutschland betrifft dies etwa 18 Millionen Menschen. Dabei sind Frauen mit einer Erkrankungshäufigkeit (innerhalb von zwölf Monaten) von 33% häufiger betroffen als Männer mit 22%. Die häufigsten Erkrankungen bei Frauen sind Angststörungen und depressive Erkrankungen, bei Männern stehen Abhängigkeitserkrankungen im Vordergrund, gefolgt ebenfalls von Angststörungen. Etwa die Hälfte der Frauen und ein Drittel der Männer leiden gleichzeitig unter mehr als einer psychischen Erkrankung. Menschen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status sind insgesamt häufiger betroffen als Menschen mit einem höheren sozialen Status. Gleiches gilt für jüngere Menschen (18-34 Jahre). Keine nennenswerten Unterschiede ergaben sich bezüglich eines Ost-West-Vergleiches oder der Frage, ob die Menschen mehr in städtischen oder ländlichen Regionen leben. Die aktuellen Daten zeigen im Übrigen keine wesentliche Veränderung der Erkrankungshäufigkeiten in den letzten Jahren, belegen jedoch einen unterschiedlichen Umgang mit psychischen Erkrankungen. So fällt es vielen Menschen heute leichter, wegen einer psychischen Erkrankung Hilfe zu suchen oder diese als Diagnose zuzulassen. 1 Jacobi F et al. (2014) psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung. Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH). Nervenarzt Band 85; 77-87 ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 Knapp 15% aller Arbeitsunfähigkeitstage gehen auf psychische Störungen zurück Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Störungen nach Diagnosen Psychische Störungen haben mit durchschn. 40 Tagen pro Fall die längste Arbeitsunfähigkeit Zahl der AU-Tage mit der Diagnose „depressive Episode“ nach Bundesländern Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Störungen nach Landkreisen Abbildungen aus: BKK Gesundheitsatlas 2015 Bezug: Versicherte der BKK (ohne Rentner) 9 ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 10 SOZIALE BEDEUTUNG Psychische Erkrankungen führen weiterhin zu umfangreichen Kosten, sowohl im direkten als auch im indirekten Bereich. Etwa 11 % aller Kosten, die in Deutschland für die Diagnose, Behandlung und Rehabilitation von Erkrankungen aufgewandt werden, entfallen auf psychische Erkrankungen. Dies ist in der Summe ein Betrag von mehr als 30 Milliarden € pro Jahr in Deutschland. Damit lagen die direkten Krankheitskosten nach den Herz-Kreislauf-Erkrankungen und den Erkrankungen des Verdauungssystems an dritter Stelle von allen Erkrankungen. Die höchsten Kosten entfallen dabei auf organische psychische Störung (zum Beispiel demenzielle Erkrankungen), auf affektive Erkrankungen (insbesondere depressive Störungen), auf psychotische Erkrankungen (zum Beispiel schizophrene Störungen) und auf Abhängigkeits-Erkrankungen (insbesondere Abhängigkeit von Alkohol). Im Zeitraum von 2002-2008 haben sich in Deutschland die Ausgaben für psychiatrische Erkrankungen um 14% erhöht, während der Anstieg für alle Gesundheitsausgaben in diesem Zeitraum bei lediglich etwa 8% lag2. Addiert man die direkten und die sogenannten indirekten Kosten für psychische Erkrankungen (d.h. einschließlich der Kosten für Arbeitsunfähigkeit, erhöhte Morbidität und die Inanspruchnahme sozialer Unterstützungssysteme), so erreicht man einen Betrag von fast 100 Milliarden € pro Jahr. Dies würde einem Anteil von 3,7 % am Bruttoinlandsprodukt entsprechen. PATIENTENAUTONOMIE 3 Dem Umgang mit dem Recht des Menschen auf Selbstbestimmung und der Selbstbestimmungsfähigkeit des Menschen auch in Phasen psychischer Erkrankungen (Patientenautonomie) ist in den letzten Jahren eine stark zunehmende Bedeutung zugekommen4. Persönliche Freiheit und Selbstbestimmung sind Grundwerte eines Menschen, die in der Rechtsprechung oft höher bewertet werden als das Recht auf Gesundheit und die Behandlung im Falle einer Erkrankung. Die Psychiatrie bewegt sich seit jeher in diesem Dilemma, nämlich zwischen dem grundgesetzlich geschützten Recht des Betroffenen auf Autonomie und Selbstbestimmung einerseits und dem Wissen um die möglichen schwerwiegenden Folgen ausschließlich selbstbestimmten Handelns andererseits. Traditionell wurde der Psychiatrie von der Gesellschaft neben der Funktion der ärztlichen Behandlung auch immer eine soziale Kontrollfunktion zugewiesen. Es gibt deshalb in der Psychiatrie, aber auch in einem gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmen, immer wieder Diskussionen, wie sehr bei einer akuten (psychischen) Erkrankung die persönliche Autonomie und Freiheit eingeschränkt werden können und wie viel und welche Art von individuellem Zwang nötig und zulässig ist. In den letzten Jahren ist die Psychiatrie von dem Grundsatz geleitet, dass die Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen sowohl vom Therapiesetting als auch von den Behandlungsmaßnahmen her so wenig einschränkend wie möglich erfolgen soll. Eine wesentliche Bedeutung hat dabei auch das „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ der Vereinten Nationen (UN-Behindertenrechtskonvention), die in Deutschland unmittelbar geltendes Recht ist. 2 Deister A, Wilms B (2014) Regionale Verantwortung übernehmen. Psychiatrie Verlag, Köln Dieses Thema wird ausführlich im Beitrag über die Geschützte Station mit Offenen Türen dargestellt 4 Vgl. Memorandum „Patientenautonomie und nicht-freiwillige Behandlungsmaßnahmen“ 3 ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 11 ENTGELTSYSTEM FÜR DIE PSYCHIATRIE UND PSYCHOTHERAPIE Seit dem Jahr 2009 wird intensiv über ein zukünftiges Entgeltsystem für die Bereiche der Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik diskutiert. Diese Fächer waren im Jahr 2003 aus dem damals eingeführten pauschalierten Entgeltsystem für die somatischen Fächer (DRG-System) ausgenommen worden, weil es sich gezeigt hatte, dass die in diesem System im Vordergrund stehende Orientierung an der jeweiligen Diagnose für die Psychiatrie nicht geeignet erschien. Inzwischen gibt es jedoch Ansätze, solche pauschalierenden Finanzierungssysteme auch bei Menschen mit psychischen Erkrankungen anzuwenden (PEPP-System). Befürchtet wird allerdings, dass es dadurch zu gravierenden falschen Anreizen für das Versorgungssystem kommt. Alternativ werden Finanzierungsformen vorgeschlagen, die stärker den Bedürfnissen von Menschen mit psychischen Erkrankungen gerecht werden können. Das im Zentrum für Psychosoziale Medizin bereits im Jahr 2003 eingeführte Regionale Psychiatrie-Budget wird dabei als eine zukunftsfähige alternative Finanzierungsform eingeschätzt. PSYCHISCHE ERKRANKUNGEN AM ARBEITSPLATZ Während die Zahl der Arbeitsunfälle aufgrund effektiver Arbeitsschutzgesetze in den letzten 50 Jahren um 75% zurückging und sich auch die Rentenzugänge aufgrund verminderter Erwerbsfähigkeit seit 1993 um insgesamt 34% verringert haben, stieg der Anteil von Frühberentungen aufgrund psychischer Erkrankungen im selben Zeitraum von 15% auf zuletzt 41%. Eine ähnliche Entwicklung ist bei den krankheitsbedingten Fehlzeiten zu erkennen. Während die Anzahl an Arbeitsunfähigkeitstagen zwischen 2000 und 2011 um insgesamt 12,2% zurückging, stiegen die AUTage aufgrund von psychischen Erkrankungen um 56% (AOK-Fehlzeiten-Report 2012). Zusammenfassend kommt den psychischen Erkrankungen bei insgesamt sinkenden krankheitsbedingten Fehlzeiten und Frühberentungen eine immer höhere Relevanz zu. Die Beschäftigten im medizinischen Gesundheits- und Versorgungssystem sehen und spüren seit Jahren die Folgen der Vernachlässigung dieses Themas. Belastete Arbeitnehmer werden ihren Anforderungen nicht gerecht, fallen krankheitsbedingt aus und wenden sich wegen Schwierigkeiten am Arbeitsplatz an das Gesundheitssystem. Erfolgt keine störungsspezifische Behandlung, so können Burnout-Folgestörungen chronifizieren; Wiedereingliederungen sind langwierig und nicht immer erfolgreich5 AMBULANTISIERUNG Im Rahmen der Weiterentwicklung der psychiatrischen Versorgung werden zunehmend mehr therapeutische Möglichkeiten entwickelt, erprobt und umgesetzt, die eine stationäre Behandlung ersetzen können. Dabei handelt es sich zum einen um eine intensive ambulante Behandlung im Rahmen der Klinik, zum anderen auch um aufsuchende Behandlung im bestehenden sozialen Umfeld der Patienten, also z.B. im häuslichen Bereich. Diese Behandlungsformen treten nicht an die Stelle von Behandlungen in der Praxis von niedergelassenen Ärzten oder (psychologischen) Psychotherapeuten, sondern sie treten an die Stelle einer stationären Behandlungsmaßnahme. In zahlreichen Regionen – auch im Kreis Steinburg – konnte gezeigt werden, dass es gelingen kann, dadurch die Zeit in stationärer Behandlung deutlich zu verkürzen. 5 DGPPN: Gemeinsam für psychische Gesundheit; Erwartungen der DGPPN an die Gesundheitspolitik ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 12 INTEGRATION DER ANGEBOTE Es ist für Menschen mit psychischen Erkrankungen von ganz besonderer Bedeutung, dass alle Angebote, die es in einer Region gibt, eng aufeinander bezogen, miteinander vernetzt und verzahnt sind. Nur so kann zum einen für jeden Menschen, der Hilfe in diesen Bereichen braucht, ein ihm entsprechendes therapeutisches oder rehabilitatives Angebot gemacht werden und zum anderen die erforderliche Kontinuität der Behandlung über längere Zeit gewährleistet werden. Es ist dazu erforderlich, dass die Strukturen der Finanzierung diese Vernetzung möglichst intensiv unterstützen und fördern. STIGMATISIERUNG Menschen mit psychischen Erkrankungen sind weiterhin ausgeprägt von Stigmatisierung, teilweise auch von Ausgrenzung und Diskriminierung, betroffen. Es ist deshalb sehr wichtig, über Ursachen, Symptomatik und Folgen psychischer Störungen aufzuklären und deutlich zu machen, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen ein integrativer Teil unserer Gesellschaft sind. Der Tendenz zur Stigmatisierung muss auf der gesellschaftlichen und auf der zwischenmenschlichen Ebene entgegengewirkt werden. BEDEUTUNG DER PRÄVENTION Einhergehend mit der Häufigkeit und großen sozialen Bedeutung psychischer Erkrankungen gewinnen auch Aspekte der Prävention eine immer größere Bedeutung. Psychotische Erkrankungen, Depressionen, Verhaltenssüchte, Folgen von Traumatisierung oder Migration und Burnout-Probleme sind Beispiele für Störungen, bei denen es sehr wichtig ist, frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um einer ernsten Erkrankung entgegenzuwirken. In der gesamten Medizin vollzieht sich eine Akzentverschiebung von der Therapie zur Prävention: Frühzeitiges Erkennen und Intervenieren bei Krankheit sowie veränderte Lebensstile tragen maßgeblich zu einem Gewinn an Lebensjahren bei. Im Fachgebiet der Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik gibt es inzwischen umfassende Erkenntnisse dazu, welche Maßnahmen zur Früherkennung und Prävention psychischer Störungen geeignet sind. PSYCHOSOMATISCHE MEDIZIN Die Entwicklung der Psychosomatischen Medizin begann in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Sie war auch eine Reaktion auf die als unzureichend empfundene Berücksichtigung der Zusammenhänge zwischen somatischen und psychischen Erkrankungen und damit der Reduktion auf eine rein somatische Betrachtung und Behandlung vieler Krankheitsbilder. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Sichtweise und auch das Behandlungsspektrum in den somatischen Fächern und der Psychiatrie deutlich verändert. Das wird u.a. daran deutlich, dass in der Psychiatrie und der Psychosomatik in weiten Teilen ähnliche Krankheitsbilder behandelt werden und die Psychiatrie Behandlungsverfahren anwendet, die noch vor Jahren der Psychosomatik zugerechnet worden sind. Damit weisen die Fachgebiete der Psychiatrie einerseits und der Psychosomatischen Medizin andererseits große inhaltliche Überschneidungen auf. Es ist in der Regel weder möglich, das Krankheitsbild eines Patienten eindeutig einem der Fachgebiete zuzuordnen, noch ist die Problemkonstellation im Verlauf der Erkrankung stabil. Die große Patientengruppe der ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 13 depressiven Störungen (ICD-10 F33 - Rezidivierende depressive Störung und ICD-10 F32 - Depressive Episode) wird z.B. sowohl in der Psychiatrie wie auch in der Psychosomatik behandelt. Beide Fachgebiete verbindet der Bezug auf das enge Zusammenspiel zwischen psychischen, somatischen und sozialen Faktoren und die darauf aufbauenden therapeutischen Ansätze. Die spezifische Kompetenz des Fachgebietes der Psychiatrie ist für die Behandlung von Menschen mit schwereren psychischen Störungen unverzichtbar. Ebenso gibt es aber auch Patienten, für die die im engeren Sinn psychosomatisch ausgerichteten Behandlungsansätze einen leichteren Zugang zur Therapie bieten. Dieses betrifft besonders die therapeutischen Ansätze, wie z.B. Gruppen- und Verhaltenstherapien6. PSYCHIATRIE, PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK DES KINDES- UND JUGENDALTERS Auch das Fachgebiet der Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters befindet sich aktuell in einer umfassenden Entwicklung. Es zeigt sich, dass insbesondere die gemeindenahe Versorgung noch nicht so ausgestaltet ist, dass für alle Kinder und Jugendliche, die ein entsprechendes Behandlungsangebot benötigen, kurzfristig Behandlungsmöglichkeiten in der Region zur Verfügung stehen. Ein Ausbau der Strukturen und der Angebote wird insbesondere in SchleswigHolstein aktuell diskutiert. Eine besondere Bedeutung kommt dabei aktuell der tagesklinischen Versorgung sowie den Angeboten in Institutsambulanzen zu. 6 Psychosomatische Versorgung in Schleswig-Holstein. Konzept des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 14 Das Zentrum für Psychosoziale Medizin ► DAS ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN IM KLINIKUM ITZEHOE D as Klinikum Itzehoe ist ein kommunales Schwerpunktkrankenhaus in der Trägerstruktur eines Zweckverbandes aus Kreis Steinburg und Stadt Itzehoe. Das Klinikum Itzehoe verfügt nach Krankenhausplan Schleswig-Holstein aktuell 708 stationäre und teilstationäre Behandlungsplätze in zehn Fachkliniken, mehrere klinikübergreifende Zentren und eine Belegabteilung (HNO). Pro Jahr werden etwa 27.000 Patienten stationär bzw. teilstationär und mehr als 30.000 Patienten ambulant behandelt. Mit etwa 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist das Klinikum der größte Arbeitgeber im Kreis Steinburg und mit etwa 150 Ausbildungsplätzen einer der größten Ausbildungsträger. Das Klinikum Itzehoe ist Akademisches Lehrkrankenhaus der Universitäten Kiel, Lübeck und Hamburg. Es ist Mitglied im 6K-Verbund kommunaler Kliniken in Schleswig-Holstein. Das Klinikum verfügt über eine Schule für Gesundheits- und Krankenpflege sowie einen ambulanten Pflegedienst mit ausgewiesener psychiatrischer Kompetenz. Das Zentrum für Psychosoziale Medizin des Klinikums Itzehoe (ZPM) hat die Pflicht- und Regelversorgung für die Einwohner des Kreises Steinburg. Es wird stationäre, tagesklinische und ambulante Behandlung angeboten. Zusätzlich stellt das ZPM die psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung der Bewohner des Psychiatrischen Centrums Glückstadt sicher. Seit dem Jahr 2003 wird die Behandlung durch das Zentrum für Psychosoziale Medizin durch ein Regionales Psychiatrie-Budget finanziert. Vertragspartner des Klinikums Itzehoe sind dabei alle Krankenkassen in der Region. Das Budget gilt für alle Menschen, die im Zentrum für Psychosoziale Medizin wegen einer psychischen Störung behandelt werden (mit Ausnahme von Kindern und Jugendlichen und psychosomatisch-tagesklinischen Patienten). ► ORGANISATIONSSTRUKTUR Das Zentrum für Psychosoziale Medizin verfügt aktuell über bis zu 60 stationäre Behandlungsplätze sowie bis zu 75 tagesklinische Behandlungsplätze in folgenden Therapiebereichen: ■ Behandlungsteam für Patienten in akuten Krisensituationen und Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen (einschl. der Patienten der früheren Station 63 in Glückstadt) (Station 39) mit 32 stationären Behandlungsplätzen ■ Behandlungsteam für Patienten mit affektiven Störungen (Station 29) mit bis zu 17 stationären und bis zu 4 tagesklinischen Behandlungsplätzen ■ Behandlungsteam für Patienten mit psychotischen Erkrankungen (Station 32) mit bis zu 11 stationären und bis zu 10 tagesklinischen Behandlungsplätzen ■ Behandlungsteam der Tagesklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Itzehoe (insbesondere Patienten mit Persönlichkeitsstörungen) mit 20 Behandlungsplätzen ■ Behandlungsteam der Tagesklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Glückstadt (Patienten mit depressiven Erkrankungen und Abhängigkeitsstörungen) mit 14 Behandlungsplätzen ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 15 ■ Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungen von Bewohnern des Psychiatrischen Centrums Glückstadt (230 Wohnplätze) ■ Behandlungsteam Home-Treatment ■ Behandlungsteam für nicht-stationäre psychosomatische Behandlung (Psychosomatische Tagesklinik STEPS mit 15 Plätzen) ■ Tagesklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters mit 12 Behandlungsplätzen ■ Ambulante Behandlung in allen Behandlungsteams ■ Konsiliarärztliche Diagnostik und Behandlungen in allen Kliniken des Klinikums Itzehoe. Struktur des Zentrums für Psychosoziale Medizin 2015 ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 16 ► PATIENTENSTRUKTUR Durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentrums für Psychosoziale Medizin werden alle Menschen behandelt, die im Kreis Steinburg an einer psychischen Störung leiden und für die Krankenhausbehandlung erforderlich ist. Im Jahr 2014 wurden insgesamt etwa 1.527 Menschen in etwa 2.000 Behandlungsepisoden behandelt (einschließlich der Patientinnen und Patienten aus dem Psychiatrischen Centrum Glückstadt). Im stationären Bereich betrug die Fallzahl (Behandlungsepisoden) 1.447, im teilstationären Bereich 425. Im ambulanten Bereich betrug die Fallzahl (Quartale) 1.079. Die Diagnosenverteilung (Menschen pro Jahr) ist (2014) wie folgt: F0 (organische psychische Störungen) F1 (Abhängigkeitserkrankungen) F2 (schizophrene und schizoaffektive Störungen) F3 (affektive Störungen) F4 (neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen F6 (Persönlichkeitsstörungen) F7 (Intelligenzminderung) Andere Diagnosen 115 393 251 282 252 148 64 22 Diagnosen (Menschen pro Jahr) sonstige 1% F6 10% F7 4% F0 8% F1 26% F4 17% F3 18% F2 16% ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 ► BEHANDLUNGSANGEBOT Im ZPM werden in den verschiedenen Behandlungsteams aktuell u.a. folgende therapeutische Angebote vorgehalten (Reihenfolge alphabetisch): ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Ambulante Weiterbehandlung bei besonderem Behandlungsbedarf Behandlung in Krisensituationen Behandlungskonferenz Biologische Therapien / Psychopharmakotherapie Computergesteuertes Kognitionstraining Emotionales Wahrnehmungstraining Ergotherapie Genussgruppe Geschichtsgruppe Hometreatment Interaktionelle Gruppe Motivationsbehandlung bei Suchterkrankungen Musiktherapie Notfallbehandlung und Krisenintervention (Ohr-)Akupunkturbehandlung bei Abhängigkeitserkrankungen Progressive Muskelrelaxation Psychoedukation Psychosoziale Therapieangebote Psychotherapeutische Behandlung einzeln und in der Gruppe Qualifizierte Entgiftung für Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen Skills-Training Soziales Kompetenztraining Sozialpädagogische Beratung Systemische Therapieverfahren Tanz- und Bewegungstherapie Therapeutisches Klettern Therapeutisches Reiten Tiefenpsychologisch orientierte Psychotherapie Verhaltenstherapie Yoga und Qigong 17 ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 18 Das Regionale Psychiatrie-Budget – Aktuelles as Finanzierungs-und Entgeltsystem eines Regionalen Budgets wurde in Gesprächen mit den Krankenkassen des Landes Schleswig-Holstein seit Ende 1999 entwickelt. Das Modellprojekt befindet sich 2015 im 13. Jahr der Umsetzung Mit Beginn des Jahres 2013 wurde das Projekt in ein Modellprojekt gemäß §64b SGB V umgewandelt. Dieser Vertrag läuft jetzt bis Ende 2020. D Der Vertrag über ein Regionales Psychiatrie-Budget zwischen dem Klinikum Itzehoe und allen Krankenkassen bzw. Kassenverbänden in Schleswig-Holstein wurde im August 2003 unterschrieben und trat rückwirkend zum Beginn des Jahres 2003 in Kraft. Er umfasst das gesamte Spektrum psychiatrischer Diagnosen mit Ausnahme der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Vereinbart wurde ein Gesamtbudget, das die im Jahr 2002 (letztes Jahr vor Beginn des Modellprojektes) vorhandenen finanziellen Mittel für die vollstationäre, die teilstationäre und die (instituts-)ambulante Versorgung der damals in der Region tätigen zwei Krankenhausträger zusammengefasst hat. Ebenfalls auf der Basis der Situation im Jahr 2002 wurde die Behandlung von 1.349 Menschen pro Jahr als Basis für die Realisierung des Budgets vereinbart. Für den Fall der Über- bzw. Unterschreitung um jeweils mehr als 6% wurden erneute Verhandlungen über die Höhe des Budgets vereinbart. Im Rahmen dieses Vertrags verpflichteten sich die Leistungserbringer, die psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung für alle Patienten der Region sicherzustellen, die durch einen Vertragsarzt stationär eingewiesen beziehungsweise als Notfall aufgenommen werden oder die die Voraussetzungen zur Behandlung in einer Institutsambulanz gemäß § 118 SGB V erfüllen. Die Kliniken erhielten dafür die Möglichkeit, die Behandlungsmodalität, die Behandlungsdauer und den Behandlungsort (vollstationär, teilstationär, stationsersetzend ambulant in der Klinik oder Behandlung zu Hause) frei zu wählen. Das Gesamtbudget wird fällig, wenn innerhalb eines Kalenderjahres eine zuvor festgelegte Zahl von Menschen (Zahl der im Jahr 2002 behandelten Menschen mit einer Schwankungsbreite von ± 6%) behandelt wird, unabhängig von der Art der Behandlung. Die Zahl der Behandlungsepisoden („Fälle“) bzw. der Behandlungstage oder Behandlungskontakte spielt dabei keine Rolle mehr. ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 19 In den bisher 13 Jahren des Modellprojektes wurde die Zahl der pro Jahr behandelten Patienten stabil gehalten; dies bedeutet, dass insgesamt keine anderen Patienten behandelt wurden, sondern dass unsere Patienten anders (also flexibler und individueller) behandelt werden konnten. Der vereinbarte Korridor wurde also eingehalten und damit konnte auch die Budgethöhe stabil gehalten werden. Zahl der pro Jahr behandelten Menschen (im Rahmen des Regionalen Budgets; ohne Patienten des PCG, ohne Kinder und STEPS) ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 20 In den Jahren seit Beginn des Modellprojekts hat sich die durchschnittliche Verweildauer im stationären Bereich (stationäre Behandlungstage pro Jahr) mehr als halbiert. Während wir zu Beginn der Modellperiode noch eine durchschnittliche Zahl von etwa 25 Tagen stationäre Behandlung pro Patient und Jahr hatten, betrug dieser Wert 2014 nur noch zwölf Tage. Für die Patienten bedeutete dies also eine massiv verkürzte Zeit im Krankenhaus. Bundesweit liegt dieser Wert übrigens weiterhin bei mehr als 20 Tagen pro Jahr In der Zeit des Modellprojektes hat sich auch die Art der Behandlung der Patienten massiv verändert. Im Jahr 2014 wurde nur noch etwa die Hälfte der Patienten innerhalb eines Jahres nur stationär behandelt, mehr als jeder fünfte Patient dagegen hatte nur eine ambulante Behandlung. Die übrigen Patienten wurden in verschiedenen Behandlungssettings, also kombiniert stationär, tagesklinisch oder ambulant, behandelt. ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 21 Aktuelle Entwicklungen im Zentrum für Psychosoziale Medizin D ie Entwicklung des Zentrums für Psychosoziale Medizin des Klinikums Itzehoe seit Ende 2013 war gekennzeichnet zunächst durch den AUSZUG AUS DEM GEBÄUDE DER STADTKLINIK IN GLÜCKSTADT und Integration der dortigen Behandlungskapazitäten in die Station 39 in Itzehoe. Die Zahl der Betten wurde in diesem Zusammenhang von zwölf auf acht Betten reduziert. Im Rahmen dieser Erweiterung konnte auch das inhaltliche Konzept ausgebaut und spezialisiert werden (siehe Bericht weiter unten). Im Zusammenhang damit haben wir uns entschlossen, die Station 39 zukünftig nicht mehr als geschlossene Station zu führen, sondern sie umfassend zu öffnen. Die Führung der Station als „GESCHÜTZTE STATION MIT OFFENEN TÜREN“ hat sich sehr bewährt und unseren Bemühungen um die durchgehende Berücksichtigung der Autonomie von Menschen mit psychischen Erkrankungen weiteren Auftrieb gegeben. Im Juli 2014 wurde im Klosterforst in Itzehoe unsere PSYCHOSOMATISCHE TAGESKLINIK mit 15 Behandlungsplätzen eröffnet. Wir bezeichnen dieses Behandlungsangebot als „Stationäre Therapie Ersetzende Psychosomatik (STEPS)“, da hier Patientinnen und Patienten intensiv behandelt werden können, die bisher lediglich ein Angebot im stationären Bereich hatten. Gerade im Bereich der psychosomatischen Erkrankungen ist es jedoch äußerst wichtig, die sozialen Bezüge möglichst zu erhalten und für die Genesung zu nutzen. Auch zu diesem Thema gibt es weiter unten eine umfassende Darstellung. Unsere TAGESKLINIK FÜR PSYCHIATRIE, PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK DES KINDES-UND JUGENDALTERS hat sich weiterhin sehr gut entwickelt. Es hat sich gezeigt, dass der Bedarf nach diesem tagesklinischen Angebot sehr groß ist, sodass überlegt werden muss, die entsprechenden Kapazitäten in den nächsten Jahren weiter auszubauen (s.u.). Eine Besonderheit unserer Klinik ist der therapeutische Ansatz in der BEHANDLUNG UND REHABILITATION VON MENSCHEN MIT PSYCHOTISCHEN ERKRANKUNGEN, also insbesondere schizophrenen und schizoaffektiven Störungen. Hier setzen wir bereits seit längerem therapeutische Konzepte ein, die ursprünglich aus dem skandinavischen Raum stammen. Hierdurch ist es möglich, die Notwendigkeit zur stationären Behandlung weiter zu reduzieren und für die Patienten wesentliche Verbesserungen in ihrer Teilhabe am sozialen Leben zu erreichen. Besonders deutlich wird dieser Ansatz in der Einführung von „HOME-TREATMENT“, also der Behandlung von Menschen mit ausgeprägten psychischen Erkrankungen im gewohnten häuslichen Umfeld. Hier haben wir ein spezialisiertes Behandlungsteam aufgebaut, das im Jahr 2014 seine Arbeit aufgenommen hat. Auch hierzu findet sich ein Beitrag in diesem Jahresbericht. ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 22 Für das Jahr 2015 planen wir unter anderem den Aufbau eines Programmes zur sog. PEERUNTERSTÜTZUNG. Dabei geht es um die systematische Berücksichtigung der Erfahrungen von Menschen, die selbst von einer psychischen Erkrankung betroffen waren oder sind und deren Angehörigen(„Experten aus Erfahrung“). Das therapeutische Angebot im Zentrum für Psychosoziale Medizin I m Zentrum für psychosoziale Medizin wird ein vielfältiges Spektrum von therapeutischen Maßnahmen angeboten. Im Folgenden sollen einige spezielle Aspekte näher dargestellt werden: n n n n n Die geschützte Station mit offenen Türen Die systemische Therapie mit besonderer Berücksichtigung der Netzwerkarbeit Home-Treatment Das Konzept STEPS (Stationäre Therapie ersetzende Psychosomatik) Tagesklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendaltersjugendalters n Pflege in der Psychiatrie und Psychotherapie n Therapeutisches Klettern n Suchttherapie Die geschützte Station mit Offenen Türen Claudia Vallentin, Oberärztin und Leiterin Akutpsychiatrie W ie kein anderes Fach in der Medizin muss sich die Psychiatrie mit Fragen der grundgesetzlich gesicherten Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen einerseits und dem Anspruch auf psychische und physische Unversehrtheit andererseits auseinandersetzen. Hinzu kommt der gesellschaftliche Anspruch an die Psychiatrie, eine gewisse soziale Kontrollfunktion einzunehmen. Psychische Erkrankungen können zur Einschränkung der Einwilligungs- und Einsichtsfähigkeit führen und dann eine Behandlung auch gegen den Willen des Betroffenen erforderlich machen. Während ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 23 auch für psychisch erkrankte Menschen das Recht auf Krankheit gilt, so hat auch jeder Mensch, der in seiner Einwilligungsfähigkeit eingeschränkt ist, das Recht auf eine dem aktuellen wissenschaftlichen Stand entsprechende Behandlung. Die Diskussion über Patientenautonomie und nicht-freiwillige Behandlungsmaßnahmen wurde in der Gesellschaft insbesondere in den letzten Jahren intensiv geführt. Es kam zu grundlegenden Änderungen im Betreuungsgesetz sowie in den Ländergesetzen zur Unterbringung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Hierbei wurde die Patientenautonomie erheblich gestärkt und die Voraussetzungen der Behandlung gegen den Willen eines Menschen präzisiert und erhöht. Auch im ZPM wurde dieses Thema intensiv diskutiert und hatte wesentlichen Einfluss auf konzeptionelle Veränderungen der bis Ende 2013 überwiegend geschlossen geführten Akutstation. Ein wichtiges weiteres Ziel der Umstrukturierung dieses Bereiches war die Reduktion von Aggression auf der Station. Durch die internationale Literatur ist belegt, dass geschlossene Türen verbunden mit einem „crowding“ die Gewaltbereitschaft unter Patienten und gegenüber Mitarbeitern signifikant erhöhen. Offene Türen führen nach aktueller Datenlage nicht zu vermehrten Entweichungen, eher das Gegenteil ist der Fall. Darüber hinaus sollte die Station eine bessere milieutherapeutische Atmosphäre bekommen und durch die Erweiterung therapeutischer Angebote die frühzeitige, umfassende Behandlung verbessern. Durch die Schließung unserer Station in der Stadtklinik in Glückstadt Ende 2013 wurde zudem die Integration von 8 stationären Plätzen in Itzehoe erforderlich. Verbunden war dies mit der Übernahme von Mitarbeitern aller Berufsgruppen. Aufgrund der Überlegungen und der veränderten internen Situation kam es Anfang 2014 zu umfangreichen konzeptionellen Veränderungen unseres Akutbereiches. Dieser Bereich war bis dahin eine 24-Betten Station mit zwei Intensivzimmern mit je drei Plätzen. Behandelt wurden Patienten in akuten Krisen, Patienten mit gerichtlichem Unterbringungsbeschluss und Patienten mit Suchterkrankungen zur körperlichen Entgiftung sowie Patienten mit einem erhöhten Pflegebedarf. Durch das Versetzen unserer Eingangstür erweiterten wir die Station um 4 Zimmer, die durch entsprechende Möblierung insbesondere für Menschen geeignet sind, bei denen eine milieutherapeutische Behandlung im Vordergrund steht, die einen erhöhten sozialen Klärungsbedarf haben oder eine längere Zeit der Stabilisierung benötigen. Zudem wurde die bereits bestehende Station im Sinne einer verbesserten Milieutherapie verändert, indem Gemeinschaftsräume und Tresenbereich wohnlicher und „kommunikativer“ gestaltet wurden und ein zusätzlicher Pflegestützpunkt geschaffen wurde. Besondere Priorität hatte die Öffnung der bis dato überwiegend geschlossen geführten Station. Durch eine durchgehende Besetzung unseres Tresenbereichs durch Mitarbeiter der Pflege ist es uns gelungen, die Station von 8:00 - 20:00 Uhr offen zu führen. Die Schließung in den Nachtstunden erfolgt lediglich aus organisatorischen Gründen. In besonderen Notfallsituationen ist die Schließung eines Teils der Station möglich. Durch die Veränderung der Patientenklientel war es uns möglich, unser therapeutisches Angebot erheblich zu erweitern und so die Bedingungen einer früheren intensiven, den individuellen Bedürfnissen des Patienten angepasste Behandlung zu schaffen. In täglichen Visiten und regelmäßigen Einzelgesprächen wird anhand eines Wochenplanes gemeinsam mit dem Patienten die Therapie gestaltet. ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 24 Das therapeutische Angebot beinhaltet u.a.: ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Tägliche Stationsversammlungen Tägliche Spaziergänge Einzel- und Gruppenergotherapie Koch- und Backgruppe Genussgruppe Gedächtnisgruppe Geschichtsgruppe Suchtinfo- und Rückfallprophylaxe-Gruppe Externe Selbsthilfegruppen Soziales Kompetenztraining Ohrakupunktur Progressive Muskelentspannung Bewegungstherapie mit Yoga und Qigong Therapeutisches Klettern Ermöglicht wird dies durch ein multiprofessionelles Team aus Mitarbeitern der Gesundheits- und Krankenpflege, Sozialpädagogen, Ärzten, Psychologen, Ergotherapeuten und Physiotherapeuten. Unsere Erfahrungen mit diesen Veränderungen sind durchweg positiv. Durch die Öffnung ist es zu keiner Häufung von Entweichung von Station gekommen, vielmehr wird die Atmosphäre unter den Patienten als entspannter erlebt, Aggressivität unter Patienten und gegenüber Mitarbeitern scheint eher abgenommen zu haben. Von besonderer Wichtigkeit ist in diesem Zusammenhang auch die Zunahme der Behandlungsakzeptanz, die nicht nur durch die geöffneten Türen, sondern wesentlich auch durch das erweiterte Behandlungsangebot zugenommen hat. Durch die gesamten konzeptionellen Veränderungen hat, so scheint es, ein wenig mehr „Normalität“ Einzug in den Stationsalltag gehalten. Dennoch erscheint uns diese positive Entwicklung erst der Anfang zu sein auf dem Weg der Stärkung von Patientenautonomie und Reduktion nicht-freiwilliger Behandlungsmaßnahmen. Hierzu bedarf es darüber hinaus weiterhin intensive Diskussionen über den Bereich der Psychiatrie hinaus. Auch sind nicht nur Gesetzgeber und Gerichte gefragt, sondern vielmehr wird es erforderlich sein, dass sich die Gesellschaft generell mit diesem Thema auseinandersetzt. Denn: Jeder Mensch kann psychisch erkranken, jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung und jeder Mensch hat das Recht auf Behandlung. ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 25 Systemische Therapie mit besonderer Berücksichtigung der Netzwerk-Arbeit Dr. Rolf Michels, Leitender Oberarzt und Teamleiter Station 32 A uch heute noch bleiben die Behandlungsergebnisse von Patienten mit psychotischen Erkrankungen hinter den Erwartungen zurück. Die Patienten kommen erst relativ spät in eine erste Behandlung, die dann zu häufig unter den Bedingungen einer Zwangsunterbringung stattfindet. Im weiteren Behandlungsverlauf kommt es oft zu Behandlungsabbrüchen und Rückfällen. Entsprechend bleiben viele Patienten auch im längeren Verlauf nicht symptomfrei und in ihrer beruflichen und sozialen Entfaltung eingeschränkt. Der Anteil der Patienten mit einer umfassenden Genesung, die auch eine weitgehende soziale und berufliche Rehabilitation einschließt, bleibt enttäuschend gering. Auf der Suche nach Antworten auf diese Herausforderungen orientiert sich das „Team für die Behandlung von Menschen mit psychotischen Erkrankungen“ schon seit einigen Jahren an Behandlungsansätzen aus dem skandinavischen Raum, die unter den Begriffen „bedürfnisangepasste Behandlung“ und „offener Dialog“ bekannt geworden sind. Wesentliche Aspekte, die diese Ansätze kennzeichnen, sind u.a. eine schnelle Verfügbarkeit von Hilfen in Krisensituationen, Integration von ambulanten und stationären Hilfen durch sektorenübergreifende Behandlungsteams, personenzentrierte statt institutionszentrierte Angebote, konsequentes Einbeziehen der sozialen Umgebung (Familie, professionelle und nicht professionelle Netzwerke), behutsamer Umgang mit Neuroleptika-Therapie. Von 2010 -2013 absolvierten ca. 30 Mitarbeiter aller Berufsgruppen des ZPM ein Curriculum zu Systemischer Netzwerkarbeit, das insbesondere auch Grundlagen des offenen Dialoges und der bedürfnisangepassten Behandlung vermittelte. Die Schulung umfasste 13 zweitägige Workshops und wurde von den meisten Teilnehmern mit einem Fortbildungszertifikat abgeschlossen. Damit waren die Grundlagen für die Einführung in die therapeutische Praxis gelegt und Netzwerkgespräche mit den Familien der Patienten sowie anderen Bezugspersonen gehören inzwischen regelhaft zu der Behandlung und bilden zusammen mit den Behandlungskonferenzen ein Kernelement des Behandlungskonzeptes. Um die Behandlungsqualität hoch zu halten und neue Mitarbeiter an die Behandlungsansätze heranzuführen, haben wir eine Reihe von Maßnahmen ergriffen: ■ Zentrale Themen der systemischen Netzwerktherapie werden in den abteilungsinternen Fortbildungen fortlaufend wieder vorgestellt, aufgefrischt und vertieft. ■ Im Jahr 2014 ist es uns gelungen, Herrn Dr. Werner Schütze, ehemaliger Chefarzt der Klinik für Psychiatrie in Nauen, für regelmäßige halbtägige Fortbildungsseminare zu gewinnen. ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 26 ■ In den Jahren 2016/2017 ist ein weiteres Curriculum in systemischer Netzwerkarbeit für Mitarbeiter geplant. ■ Mitglieder des Teams engagieren sich in überregionalen Netzwerken und Fortbildungsseminaren. So wurde 2013 das bundesweite Treffen des Netzwerkes Home-Treatment vom ZPM gemeinsam mit zwei gemeindepsychiatrischen Trägern aus Hamburg und Schleswig-Holstein organisiert und ausgerichtet. Seit der räumlichen Umgestaltung 2011/12 verfügt das Team neben 13 stationären Behandlungsplätzen auch über bis zu 10 tagesklinische Plätze. Darüber hinaus werden ca. 70 Patienten längerfristig ambulant betreut. Eine weitere Vernetzung in den ambulanten Bereich ergeben sich dadurch, dass der Teamleiter auch im MVZ am Prinzesshofpark als niedergelassener Psychiater und Psychotherapeut tätig ist. Durch die beschriebenen Veränderungen sind die Grenzen zwischen den Behandlungssektoren in den vergangenen Jahren immer durchlässiger geworden und feste Behandlungsstrukturen lösen sich zugunsten individueller, den Bedürfnissen des einzelnen Patienten angepasster Behandlungssettings auf. So gibt es nicht wenige Patienten, die statt an 5 Behandlungstagen in der Tagesklinik nur an 4, 3, 2 oder auch nur einem teilnehmen. Die restliche Zeit nutzen sie, um außerhalb der Tagesklinik Kontakte zu pflegen und anderen Verpflichtungen nachzugehen. Einige unserer Patienten sind krankheitsbedingt auch noch nicht in der Lage, ein vollständiges Therapieprogramm zu absolvieren. Durch die Anpassung der „Behandlungsdosis“ an die individuellen Bedürfnisse und an die Belastbarkeit gelingt es uns inzwischen, eine ganze Reihe von Patienten in Behandlungsprozessen zu halten, die im Rahmen des herkömmlichen sektorisierten Behandlungssystems aus diesem herausgefallen wären. Dies ist umso wichtiger, da immer deutlicher wird, wie wichtig es für die Prognose psychotischer Erkrankungen ist, den Focus nicht nur auf einzelne Behandlungsepisoden zu legen sondern auf längere Zeitabschnitte . Home-Treatment Dr. Rolf Michels, Leitender Oberarzt und Teamleiter Station 32 I m Oktober 2014 hat das multiprofessionell zusammengesetzte Team „Home-Treatment“ seine Arbeit aufgenommen. Seelische Erkrankungen gehen neben psychischen Problemen wie Ängsten, Depressionen, Wahnvorstellungen auch regelhaft einher mit Beeinträchtigungen von Beziehungen, z.B. im Beruf, in Familie oder Partnerschaft. Psychiatrische Behandlung muss deshalb ebenso auf die Normalisierung/Heilung dieser Beziehungen hinarbeiten wie auf die Linderung der psychischen Probleme. Das Lebensumfeld der Patienten ist dabei sowohl der Ort, an dem Probleme entstehen, als auch die Quelle von Unterstützung und Lösungen. Um diese Aufgabe bewältigen zu können ist es wichtig, dass Mitarbeiter vieler Berufsgruppen in einem multiprofessionellen Team zusammenarbeiten. Diese Art intensiver multiprofessioneller Zusammenarbeit ist Grundlage und wesentliches Merkmal der Behandlung in psychiatrischpsychotherapeutischen Kliniken. Eine Klinik kann darüber hinaus vorübergehend einen Schutzraum bieten vor besonders belastenden Lebensumständen oder Schutz, wenn eine ernsthafte Gefährdung ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 27 vorliegt. Nicht immer ist das Krankenhaus aber der richtige Ort für die Behandlung: Nicht wenige Patienten lehnen die Aufnahme in die Klinik ab, manchmal sind kleine Kinder zu versorgen und nicht zuletzt bleibt das Krankenhaus ein künstliches Umfeld, dass den Betroffenen noch weiter von seinem Lebensumfeld entfremden und dadurch den Genesungsprozess behindern kann. Vielleicht lassen sich aber die Vorteile einer intensiven multiprofessionellen Behandlung, wie sie eine Klinik bieten kann, auch in dem gewohnten Lebensumfeld realisieren? Die Behandlung schwerer psychischer Krisen im häuslichen Umfeld durch mobile Kriseninterventionsteams wird in der wissenschaftlichen Literatur als „Home-Treatment“ bezeichnet und in der Tat konnte in Untersuchungen in Skandinavien und angloamerikanischen Ländern gezeigt werden, dass eine solche Behandlungsform erfolgreich ist und Aufnahmen in der Klinik vermieden werden können. In Deutschland sind solche Ansätze wegen der strengen Trennung von ambulanter und Krankenhausbehandlung und auch durch die Trennung von unterschiedlichen ambulanten Therapien nicht möglich gewesen. Erst in den letzten Jahren gibt es die Möglichkeit, im Rahmen von Modellprojekten integrative Behandlungsansätze umzusetzen. Das ZPM betreibt mit dem Regionalen Psychiatrie-Budget (RPB) seit inzwischen mehr als 10 Jahren erfolgreich ein Modellprojekt. Dies hat in den letzten Jahren einen erheblichen Ausbau von teilstationärer und ambulanter Behandlung ermöglicht. Als weiteren Schritt haben wir jetzt begonnen, ein Team für eine aufsuchende Krisenbehandlung zuhause i.S. von „HomeTreatment“ aufzubauen. Eine besondere Zielgruppe sind junge Patienten mit psychotischen Erkrankungen, die durch die bisherigen stationären und ambulanten Behandlungen oft nur schlecht erreicht werden. Das Team besteht bisher aus einer Ärztin, einer Sozialpädagogin und Pflegekräften und kann bei Bedarf durch weitere Mitarbeiter verstärkt werden kann. Die neue Behandlungsform stellt viele neue Herausforderungen. Das Verlassen der Klinik und das Eintauchen in die Lebenswelt der Betroffenen sind ungewohnt und verändert die Beziehung von Behandlern und Patient /Betroffenen/Klient. Schließlich soll ja nicht einfach das Krankenhaus ins Wohnzimmer gebracht, sondern eine ganz neue Behandlungsform/-kultur entwickelt werden. Eine große Hilfe ist uns dabei die Orientierung an dem finnischen Modell der bedürfnisangepassten Behandlung und des Offenen Dialoges. ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 28 Das Konzept STEPS (Stationäre Therapie ersetzende Psychosomatik) Dr. phil. Thomas Wolf, Leitender Psychologe und Psychologische Leitung von STEPS I m Juli 2014 haben wir in der Beethovenstraße 2 im Itzehoer Stadtteil Klosterforst eine Psychosomatische Tagesklinik mit 15 Behandlungs-plätzen eröffnet. Im Rahmen eines völlig neuen Konzeptes können wir dort bis zu 32 Patientinnen und Patienten mit psychosomatischen Krankheitsbildern parallel behandeln. Körper und Seele - nur gemeinsam stark Es ist für viele Menschen leicht nachvollziehbar, dass körperliche Erkrankungen psychische Probleme bedingen können. So mag sich beispielsweise jemand wegen verminderter Leistungsfähigkeit aufgrund einer Herzerkrankung und daraus resultierender Arbeitsunfähigkeit schämen. Nicht jedem ist bekannt, dass diese Wirkung auch andersherum gilt: Psychische Probleme können für körperliche Erkrankungen ursächlich oder förderlich sein. Häufig ist dieser Seele-Körper-Zusammenhang nicht offensichtlich, so dass solche Erkrankungen jahrelang unerkannt bleiben und die Symptome trotz körperlicher Behandlung nicht abklingen. Leicht nachzuvollziehen ist die belastende Wirkung von äußerem Stress auf den Organismus wie z.B. Lärm, Strahlung, Rauchen oder übermäßiger Alkoholkonsum. Aber auch innere Stressoren, wie z.B. Leistungs- und Beziehungsziele, Einstellungen, Erwartungen, Lebensregeln oder Normen, die durch soziale Lernprozesse erworben werden, können den Organismus belasten oder langfristig sogar schädigen. Wer sich - berechtigt oder unberechtigt ständig über sich und/oder das äußere Umfeld ärgert, überall Gefahren wittert und/oder sich ständig im beruflichen oder auch privaten Bereich hohen Leistungszielen stellt, um sicher, beliebt oder etwas wert zu sein, riskiert durch anhaltende Ausschüttung von Stresshormonen langfristig Organschädigungen. Wegen anhaltenden Kontrollverlusts oder andauernder Erfolglosigkeit bei der Verfolgung ihrer Leistungs- und/oder Beziehungsziele erleben Betroffene häufig ausgeprägte emotionale Turbulenzen wie z.B. Angst, Scham, Ärger und/oder Niedergeschlagenheit sowie deren physiologische Begleiterscheinungen, welche sich zu manifesten psychischen Störungen entwickeln können und schließlich behandlungsbedürftig werden. Innere seelische Stressoren, die vielleicht bereits in früher Jugend durch entsprechende Erfahrungen entwickelt oder vom sozialen Umfeld übernommen wurden, liegen häufig im Verborgenen. Meistens sind diese seelischen Stressoren den Betroffenen gar nicht bewusst. Anders als bei ausschließlich körperlichen Erkrankungen, bei denen die Einnahme von Medikamenten ausreichend sein mag (z.B. ein Antibiotikum bei einer Entzündung), ist bei der Behandlung der oben genannten psychischen Störungen die aktive Mitarbeit der Patienten im Behandlungsprozess unerlässlich, da auch noch so geschulte Therapeuten Erinnerungen, Einstellungen, Wertmaßstäbe, Motive, Befürchtungen und Gefühle von außen nicht erkennen können. Ein wesentlicher Aspekt der Behandlung in der Psychosomatischen Tagesklinik stellt zunächst die Identifikation innerer und äußerer Stressoren dar. Nach Identifikation der Stressoren folgt im therapeutischen Prozess die Veränderung der Stressoren. Unterstützt durch die Therapeuten erlernen und üben Patienten neue ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 29 Denk- und Verhaltensweisen, die in der alltäglichen Auseinandersetzung mit sich, den eigenen Lebens-zielen und dem sozialen Umfeld stressreduzierend und damit heilend wirken. Die Behandlungsdauer ist individuell verschieden und auf maximal 12 Wochen begrenzt. Die Intensität der Therapie wird den jeweiligen therapeutischen Notwendigkeiten angepasst. In STEPS werden therapeutische Module angeboten, wobei ein Modul einen Vormittag oder Nachmittag umfasst (jeweils drei bis vier Stunden). STEPS bietet die Behandlung in vier, sechs oder neun Modulen an. In diesen drei Angebotsvarianten können jeweils bis zu 8 Patienten behandelt werden, d.h. pro Woche können in STEPS bis zu 24 Patienten behandelt werden. Die therapeutischen Inhalte werden in Einzel- und Gruppengesprächen bearbeitet. In STEPS werden folgende Syndrome behandelt: ■ Depressionen ■ Burnout-Syndrome ■ Angststörungen ■ Zwangsstörungen ■ Anpassungsstörungen ■ Somatisierungsstörungen ■ Somatoforme Störungen ■ Anhaltende somatoforme Schmerzstörungen ■ Essstörungen ■ Persönlichkeitsstörungen ■ Psychische Belastungen in Folge von somatischen Erkrankungen Folgende therapeutische Angebote werden in den STEPS-Gruppen vorgehalten: ■ Kognitive Verhaltenstherapie ■ Verhaltenstherapie ■ Einzelgespräche ■ Gruppengespräche ■ Netzwerkgespräche ■ Psychoedukation ■ Musiktherapie ■ Ergotherapie ■ Achtsamkeit ■ Entspannungstherapie ■ Bewegungstherapie ■ Therapeutisches Reiten ■ Therapeutisches Klettern ■ Sozialpädagogische Beratung ■ Pharmakotherapie Das multiprofessionelle STEPS-Team setzt sich aus Therapeuten folgender Professionen zusammen: ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Diplom-Psychologen Ärzte Gesundheits- und Krankenpflege Musiktherapeutin Ergotherapeutin Sozialpädagogin Physiotherapeuten ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 30 Tagesklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters Dr. med. Andrea Lau, Leitende Ärztin der Tagesklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters I n unserer Tagesklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters werden Kinder behandelt, die in der Mehrzahl zwischen 5 und 17 Jahren alt sind. Bei diesen Patienten sehen wir gehäuft Reifungsdefizite in der emotionalen und sozialen Entwicklung. Die vorrangigen Entwicklungsaufgaben dieser Altersspanne liegen neben bestimmten Fertigkeiten des Selbstsystems, d. h. u. a. Entwicklung der Selbstwirksamkeit, des Selbstwertes, der Selbstidentität, der Selbsterkenntnis bzw. des Selbstbewusstseins, des affektiven und sensomotorischen Selbsterlebens und der problemlösenden Informationsverarbeitung in der Entwicklung sozialer Kompetenzen. Letztgenannte Entwicklungsaufgabe beinhaltet das Erlernen von u. a. Impulskontrolle und einfachen moralischen Unterscheidungen sowie die Geschlechtsrollenidentifikation, die Beziehung zu Gleichaltrigen, das Spiel in Gruppen und die Aufnahme von Freundschaften. Insbesondere die therapeutische Arbeit am Ziel „soziale Kompetenzentwicklung“ lässt sich handlungsorientiert eher durch ein Gruppensetting leisten als durch einzeltherapeutische Interventionen. Daher erhalten unsere Patienten neben Einzelpsychotherapie intensive Maßnahmen der Gruppenpsychotherapie. Im vergangenen Jahr haben wir unser Gruppentherapieangebot neu gefasst. Nicht mehr jeder Patient nimmt an allen Gruppentherapieangeboten teil, sondern es erfolgt eine individualisierte Zuordnung zu bestimmten Gruppentherapieangeboten, die überwiegend blockweise angeboten werden. In unserem multiprofessionellen Team sind sowohl Kollegen mit psychodynamischer als auch mit verhaltenstherapeutischer bzw. systemischer Ausbildung vertreten, sodass die Ausrichtung dieser unterschiedlichen psychotherapeutischen Verfahren in die Entwicklung des neuen Gruppentherapiekonzepts Eingang fand. Im aktuellen Konzept zur Gruppentherapie findet sich nun sowohl der verhaltenstherapeutische Aspekt der Behandlung von Symptomen als auch die Grundlage psychodynamisch fundierter Interventionen mit Berücksichtigung des inneren Konfliktes, der der gezeigten Symptomatik zugrunde liegt. Darüber hinaus flossen Überlegungen aus dem Bereich der Psychomotorik und der Pädagogik mit ein. Grundlage der Gruppenpsychotherapie ist, dass es praktisch automatisch zur Aktualisierung der problemrelevanten Schemata kommt. Für Kinder und Jugendliche ist das Zurechtkommen in Gruppen Gleichaltriger wesentlich für eine positive emotionale Entwicklung. Gruppen bieten ein Übungsfeld und die Chance, neue Verhaltensweisen im geschützten Rahmen auszuprobieren. Die anderen Gruppenmitglieder sind Modell für ein alternatives Verhalten. Somit bedeutet die Gruppe auch immer eine geringere Abhängigkeit vom Therapeuten. Der Fokus liegt dabei vor allem auf der Behandlung von zwischenmenschlichen Problemen. ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 31 Ziel der Gruppenpsychotherapie ist, das Kind darin zu unterstützen, seine eigenen Bedürfnisse und Gefühle zu entdecken und Wege zu einer selbstständigen Problemlösung zu finden. Im Einzelnen erfolgt dies durch Förderung pro-sozialer Verhaltensweisen, durch Selbstwertstabilisierung, durch eine realistischere Selbstwahrnehmung nach kritischer und einfühlsamer Bewertung der Gruppenmitglieder untereinander und durch den Erwerb von Strategien zur Bedürfnisbefriedigung und Bewältigung bestimmter Probleme. Gefördert werden zudem Fähigkeiten zur Selbstdurchsetzung und Kompromissbildung sowie zur Annäherung und Abgrenzung von anderen Menschen. Verhaltenstherapeutisch ausgerichtete Gruppen entsprechen eher Trainingsprogrammen mit den Zielen der Schaffung motorischer Ruhe und Entspannung, differenzierterer Wahrnehmung, angemessener Selbstbehauptung, Kooperation und Hilfeleistung, Selbstkontrolle und Einfühlungsvermögen. Die Kinder sollen lernen, Gefühle zu zeigen, eigene Ansprüche durchzusetzen bzw. Ansprüche anderer zu erkennen, Kritik anzunehmen, sich angemessen selbst zu behaupten, Gefühle sowie Kritik angemessen zu äußern. Alle unsere Patienten nehmen weiterhin einmal wöchentlich an der Kinderkonferenz teil. In der Kinderkonferenz berichten die Kinder zunächst über ihre Stimmung bezogen auf den Verlauf der vergangenen Woche mit Hilfe von Smileys, auf denen unterschiedliche Befindlichkeiten dargestellt sind. Dann wird ausführlicher ein von den Kindern vorgeschlagenes, vorab bekannt gemachtes Thema erörtert. Darüber hinaus werden neu aufgenommene Patienten begrüßt und in Kürze zur Entlassung anstehende Patienten verabschiedet. Weiterhin erhält jedes Kind ein Lob von einem Erwachsenen und es besteht auch die Möglichkeit, dass die Kinder sich untereinander loben. Die Lobe werden auf kleine Zettel in Form einer bedruckten Schatzkiste geschrieben, dann vorgelesen und beklatscht, und am Ende der Kinderkonferenz füllt jedes Kind seine Lobe in seine eigene kleine Schatzkiste, die es bei Entlassung mit nach Hause nehmen kann. Über die Kinderkonferenz hinaus, an der alle Patienten teilnehmen, gibt es an jedem Nachmittag einen Block von Gruppentherapieangeboten. Jedes Kind hat an jedem Nachmittag eine Gruppentherapie. Es nimmt ca. 6 x an einem Angebot teil und kann dann in eine andere Gruppentherapie wechseln. Angebote sind zum einen eine Entspannungsgruppe mit Elementen aus dem Autogenen Training, der Hypnotherapie und der Progressiven Muskelrelaxation. Daneben gibt es ein soziales Kompetenztraining speziell für Patienten am Beginn ihrer Therapie mit noch sehr großen Problemen, sich in die Gruppe der Gleichaltrigen zu integrieren. Da in unserer Klinik ein Schwerpunkt auf der tiergestützten Therapie liegt, bieten wir eine HundeSpieltherapie ebenso an wie therapeutisches Reiten in der Kleingruppe. In der Ergotherapiegruppe werden durch den Einsatz von kreativen und handwerklichen Techniken die Fähigkeiten der Patienten im geistigen und emotionalen Bereich gefördert. Mögliche Therapieziele können die Verbesserung der Konzentration und der Phantasieentwicklung sowie die Steigerung des Selbstwertgefühles sein. An kreativ ausgerichteten Gruppentherapien bieten wir eine Musiktherapie- sowie Theatertherapiegruppe an. Insbesondere die Musiktherapie ist mittlerweile eine erprobte Therapiemethode und Wissenschaftsdisziplin, die in enger interdisziplinärer Wechselwirkung insbesondere zwischen Medizin, Psychologie, Pädagogik und Musikwissenschaft steht. Bei gezieltem Einsatz von Musik und/oder musikalischen Elementen im Rahmen der therapeutischen Beziehung zu den Patienten dient die Gruppe dem Ziel der Wiederherstellung, Erhaltung und Förderung psychischer Gesundheit, der Entwicklungskorrektur und Entwicklungsförderung. Das spielerische ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 32 Vorgehen in der Kindermusiktherapie vermittelt Freude und Lebendigkeit und erleichtert so den therapeutischen Zugang zu Emotionen. In der Theatertherapiegruppe steht das Probehandeln in kleinen Theaterstücken oder Rollenspielen im Vordergrund, um korrigierende emotionale Erfahrungen zu machen. Die Gruppen werden i. d. R. geleitet von einem Kinderpsychotherapeuten/in zusammen mit einem musikpädagogisch, theaterpädagogisch oder reitpädagogisch versierten Kollegen/in, ggf. unterstützt durch Mitarbeiter des Pflege- und Erziehungsdienstes. Über diese Angebote hinaus besteht zur Bewegungsförderung eine Schwimmgruppe. Eine weitere Gruppe mit mehr pädagogischem Schwerpunkt trifft sich zum Lesen und Vorlesen. Milieutherapeutisch ausgerichtet sind unsere Koch- und Backgruppen. Eine Gärtnergruppe bewirtschaftet im Sommer angelegte Beete auf unserem Außengelände und soll die Patienten im Winter an hauswirtschaftliche Tätigkeiten heranführen. Ein Nachmittag in der Woche ist für die Eltern- und Eltern-Kind-Gruppen reserviert. In der Elterngruppe erhalten die Eltern die Möglichkeit, sich einmal untereinander ohne ihre Kinder auszutauschen und eigene Bedürfnisse zu artikulieren. Aus einem solchen Bedürfnis heraus entstand aktuell die sog. „Eltern-Coaching“-Gruppe mit dem Ziel, als Eltern den Kindern gegenüber angemessen Präsenz zu zeigen und Kraft und Autorität zu haben, ohne zu Gewalt greifen zu müssen. Im Rahmen der Eltern-Kind-Gruppe verleben die Familien einen Nachmittag im Monat zusammen in der Tagesklinik, spielen, basteln, bearbeiten ein gemeinsames Thema oder feiern miteinander. Wichtig ist uns dabei, dass Stunden guten Miteinanders miteinander verlebt werden und alle sich besser kennenlernen. Zum Abschluss der Woche nehmen alle Patienten an der Zielegruppe teil. Dort wird besprochen, ob das Kind sein jeweiliges Wochentherapieziel erreicht hat. Dann wird nach Erreichen des Wochenzieles ein neues Ziel für die kommende Woche erarbeitet. Zur positiven Bestärkung fahren die Patienten auf ihrer Therapiereise mit ihrem eigenen kleinen Boot auf einer Tafel, die eine Flusslandschaft darstellt (von der Stör bis in die Elbe) ein Stück weiter der Entlassung zu. Suchttherapie Reiner Ortlieb, Ltd. Dipl. Soz.-päd., Sozialtherapeut(GVS) I m Zentrum für Psychosoziale Medizin behandeln wir Menschen mit unterschiedlichen Substanzabhängigkeiten. Die Menschen mit einer Alkoholabhängigkeit bilden die größte Gruppe. Leitliniengerecht bieten wir in der Klinik eine sogenannte Qualifizierte Entgiftung, deren unterschiedlichen Elemente abhängig von den Erfordernissen des Einzelfalls stationär, ganztägig ambulant (tagesklinisch) oder nur ambulant angeboten werden. In vielen Fällen erfolgt eine Aufnahme auf unserer Akutstation. Hier behandeln wir in den ersten Tagen das häufig auftretende Entzugssyndrom medikamentös und unterstützend mit Ohrakupunktur, machen eine differenzierte somatische, psychiatrische und psychosoziale Diagnostik, aus der sich dann gemeinsam mit dem Patienten die weitere Behandlungs-planung entwickelt. ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 33 Bereits mit Abklingen des Entzugssyndroms fördern wir in Gruppen- und Einzeltherapien die Auseinandersetzung mit der Suchterkrankung, verstärken die Behandlungsmotivation und zeigen mögliche Wege zu den unterschiedlichen suchttherapeutischen Angeboten auf. Kontakt zu verschiedenen Selbsthilfegruppen im Rahmen von Informationsabenden ist dabei ein wichtiges Element. In enger Zusammenarbeit der verschiedenen Berufsgruppen erfolgt bereits in der Klinik oft die nahtlose Vermittlung in weiterführende Angebote des sogenannten Suchthilfesystems. Alkohol- und/oder medikamentenabhängige Menschen, die eine primär psycho-therapeutisch ausgerichtete Suchttherapie anstreben, haben die Möglichkeit, mit Abklingen eines körperlichen Entzugssyndroms die qualifizierte Entgiftung im tagesklinischen Setting fortzusetzen. Sie können hier alltagsnah das Halten der Abstinenz und das Umsetzen von ersten Handlungsschritten erproben. Das psychotherapeutisch ausgerichtete Milieu der Tagesklinik und die Interaktion mit primär nicht suchtkranken Menschen, die ebenfalls in der Tagesklinik in Glückstadt behandelt werden, regen an, sich bereits hier verstärkt mit dem eigenen psychodynamischen Hintergrund der Suchterkrankung auseinanderzusetzen. Auch hier dienen gruppen- und einzeltherapeutische Behandlungsangebote einer differenzierten Reflexion der Erkrankung und Therapiemotivierung. Das tagesklinische Angebot wird gern auch von Menschen mit einer Suchterkrankung genutzt, die bereits zuhause „entzogen“ haben oder Entzugserscheinungen nicht kennen und somit direkt dort aufgenommen werden können. Wichtige Elemente der Qualifizierten Entgiftung, die in allen Settings in unterschiedlicher Ausprägung angeboten werden, sind die sogenannten indikativen Angebote, wie Ergotherapie, Tanz- und Musiktherapie, Progressive Muskelrelaxation, Soziales Kompetenztraining, Genussgruppe, Ohrakupunktur und Rückfallvermeidungstraining. Die Verbesserung von Handlungskompetenz und Binnenwahrnehmung, aber auch der Abbau von Hemmungen gegenüber weiterführenden Therapien sind hierbei wichtige Ziele. Ausgehend von dem Ansatz, das suchtkranke Menschen häufig in ihrer Fähigkeit, Beziehungen zu knüpfen und zu halten gestört sind, durchzieht die Qualifizierte Entgiftung der Gedanke einer Suchtbehandlung, die Kontinuität und möglichst wenig Beziehungsabbrüche bietet. Über unsere Institutsambulanz hat der suchtkranke Mensch die Möglichkeit, Kontakt zu seinem Therapeuten bis zum Beginn einer weiterführenden Therapie zu halten. Ein wichtiger Schritt ist darüber hinaus die Entwicklung einer Kooperation mit der Suchtberatungsstelle der Diakonie Rantzau/Münsterdorf, die es Patienten seit dem Sommer 2007 ermöglicht, in unseren Räumlichkeiten in Itzehoe und Glückstadt übergangslos an einer ambulanten Entwöhnungstherapie als rehabilitativem Angebot des Rentenversicherungsträgers teilzunehmen. Zur weiteren Verbesserung dieses Angebotes wird aktuell die Zulassung des Zentrums für Psychosoziale Medizin im Rahmen eines Therapieverbundes angestrebt. ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 34 Besondere Aspekte der Pflege in der Psychiatrie und Psychotherapie Hauke Sievers, Bereichsleitung Pflege G rundstein der psychiatrischen Krankenpflege ist die Beziehungsarbeit zwischen Patient/in und Pflegekraft. Wir arbeiten nach dem Konzept der „Bedürfnisangepassten Therapie“ (Need Adapted Treatment). Im Rahmen der „Bezugspflege“ sind wir in unterschiedlichen, multiprofessionellen Behandlungsteams tätig. Als verantwortliche Bezugspflegekraft besprechen wir, zusammen mit dem/der Patienten/in und den Therapeuten, die einzelnen Therapiebausteine und erstellen einen individuellen Therapieplan. Dieser orientiert sich an den Ressourcen des/der Patienten/in. Ziel ist, die Eigenständigkeit/ Selbstverantwortung zu fördern, um die Intensität der psychiatrischen Krankenpflege zu reduzieren. Durch Empathie und Wertschätzung schaffen wir ein therapeutisches Milieu, in dem sich die Patienten/innen geschützt und angenommen fühlen. Nicht allein der „Patient mit seinen Symptomen“ steht im Mittelpunkt unserer Betrachtung, sondern sein gesamtes Lebensumfeld. Von Beginn an werden die „Sozialen Netzwerke“ der Patienten/innen mit einbezogen. Dieses basiert auf einer systemisch orientierten Grundhaltung. Die Bezugspflegekraft ist Ansprechpartner für Kurzkontakte und Krisengespräche. Darüber hinaus nimmt sie an Behandlungskonferenzen, Netzwerkgesprächen und co-therapeutisch an verschiedenen Behandlungsangeboten teil. Hierzu zählen u.a.: Einzel/Familiengespräche, Gruppen/Einzelpsychotherapie, Ergo/Musiktherapie, Stresstoleranztraining, therapeutisches Reiten und Achtsamkeitsübungen. Zu den Inhalten der psychiatrischen Krankenpflege gehören weiterhin eigenverantwortlich durchgeführte Maßnahmen wie z.B. Akupunktur nach dem NADA-Protokoll, Progressive Muskelentspannung n. Jacobsen, Aromatherapie, Presseschau, Geschichtsgruppe, Therapeutisches Klettern, Kognitives Training, Psychoedukation, Soziales Kompetenztraining, Außenaktivitäten und die Betreuung von Ambulanzpatienten. Ein neuer Inhalt ist das „Hometreatment“ (die Behandlung zu Hause) und „Systemische Netzwerkgespräche“ (Moderation und Reflektion). Unterstützt wird unsere Arbeit durch regelmäßige Teambesprechungen, Supervisionen, Fort- und Weiterbildungen. ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 35 Das Psychiatrische Centrum Glückstadt Das Zentrum für Psychosoziale Medizin des Klinikums Itzehoe stellt im Psychiatrischen Centrum Glückstadt (PCG) die psychiatrischpsychotherapeutische Behandlung der dortigen Bewohner sicher. Träger und Betreiber des PCG ist die Vitanas Unternehmensgesellschaft in Berlin. Angeboten werden Leistungen der stationären Pflege und der Wiedereingliederung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Im Bereich der Eingliederungshilfe umfasst das Angebot zehn Wohngruppen sowie teilstationäre Wohnungen mit 110 Plätzen. Darüber hinaus bietet das Centrum im Bereich der stationären Pflege insgesamt weitere 109 Plätze. Centrumsleiter ist Wolfgang Ahrens. Bereits seit mehr als 30 Jahren gibt es eine enge Kooperation zwischen dem Psychiatrischen Centrum Glückstadt und dem Klinikum Itzehoe. Seit Anfang 2014 ist die Tätigkeit für das PCG in Form einer Ambulanz im dortigen Gebäude organisiert. Ärztlich ist dort Dr. Gerhard Lammers als Mitarbeiter des Zentrums für Psychosoziale Medizin tätig. Er kann aufgrund seiner Tätigkeit dort auch langfristig stabile Kontakte zu den Bewohnerinnen und Bewohnern halten. Unterstützt wird er von einer Mitarbeiterin aus dem Bereich der Pflege, Frau Claudia Gercken. Diese Organisationsform hat sich sehr bewährt und die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgungssituation in dieser Einrichtung deutlich verbessert. Besondere Therapieformen ► THERAPEUTISCHES KLETTERN B eim Klettern können Grenzen erkannt werden, Klettern bedeutet für viele Menschen eine Grenzerfahrung. Das „Therapeutische Klettern“ kann zu einer Stärkung des Vertrauens in die eigenen körperlichen und seelischen Kräfte beitragen sowie den Anstoß geben, die eigenen Grenzen zu erweitern. Ferner ist Klettern ein geeignetes Mittel, Angst zu erleben und zu bewältigen. Therapeutische Ziele und Effekte, welche durch das Klettern hervorgerufen werden können und sollen, sind: ■ Motivation (hohes Aufforderungspotential) ■ Steigert das Selbstwirksamkeitsgefühl, Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl ■ Garantierte Erfolgserlebnisse durch gut dosierte Kletteranforderungen ■ Kritikfähigkeit (Regel annehmen und umsetzen) ■ Gedanken ordnen (Fokus auf ein bestimmtes Tun) ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 36 ■ Grenzerfahrung physisch und psychisch ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Glücksgefühl, Ausschüttung körpereigener Endorphine Verbesserung der Stimmung Förderung von Konzentration und Aufmerksamkeit Förderung von Beweglichkeit und Körperwahrnehmung Sensibilisierung für Körperempfinden Krankheit tritt für eine gewisse Zeit in den Hintergrund (Kopf frei) Abschalten von Alltagsstress/-problemen, Reduzierung von Stress-Symptomen und körperlichen Spannungen ■ Erzeugen von sozial verträglichem Schmerz, sich selber spüren ■ Risikomanagement: Verantwortlicher Umgang mit Gefahr Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Beziehungsentwicklung. Das intensive Miteinander fördert eine positive Beziehungsentwicklung. Durch das gemeinsame Tun wird Vertrauen, Nähe und Akzeptanz geschaffen. Diese positive Beziehung findet sich aber ebenso in der weiteren Behandlung wieder. Die Interaktion in der Klettergruppe fördert psychosoziale Kompetenzen. Es ist auch gewollt, dass das Therapeutische Klettern im Kletterzentrum des Deutschen Alpenvereins (DAV) in Hamburg stattfindet. Hier sind die „Patienten/innen“, wie alle Besucher dort „Kletterer“. Links der Kindergeburtstag, rechts der Profikletterer. Das Therapeutische Klettern ist eine ärztlich verordnete Therapieform und somit versicherungs- und haftungsrechtlich abgesichert. Eine entsprechende Bescheinigung von Seiten der Klinik liegt im DAVZentrum Hamburg vor. Die Gruppengröße liegt zwischen 10 bis 13 Teilnehmer pro Veranstaltung. Begleitet wird sie von 3 bis 4 Mitarbeitern mit entsprechender Qualifikation. Durchgeführt wird das Therapeutische Klettern im DAV-Kletterzentrum Hamburg, jeden ersten und dritten Dienstag im Monat in der Zeit von 13:30 bis 18:00 Uhr. Der Transfer von und nach Itzehoe erfolgt mit einem Kleinbus. ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 37 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentrums für Psychosoziale Medizin ► CHEFARZT Prof. Dr. med. Arno Deister Chefarzt ■ ■ ■ ■ Arzt für Neurologie und Psychiatrie Arzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie Schwerpunkt Forensische Psychiatrie ► LEITENDE MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER ■ Dr. Rolf Michels ■ Katja Bussolini Leitender Oberarzt Stellvertreter des Chefarztes ■ Oberärztin ■ ■ ■ ■ Andrea Geisler Oberärztin ■ Olaf Jönsson Leitender Ergotherapeut ■ Gertrud Junk-Richter ■ Dr. med. Andrea Lau Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie Schwerpunkt Forensische Psychiatrie Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Ärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie ■ Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Oberärztin ■ Ärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Leitende Ärztin der Tagesklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters ■ Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie Ärztin für Kinder- und Jugendmedizin ■ ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 38 ■ Rainer Ortlieb Leitender Sozialpädagoge ■ ■ Dipl.-Sozialpädagoge Sozialtherapeut (GVS) ■ Dr. med. Ingo Rühmann Oberarzt ■ ■ Arzt für Psychiatrie Arzt für Neurologie ■ Hauke Sievers Bereichsleitung Gesundheits- und Krankenpflege ■ ■ ■ Gesundheit- und Krankenpfleger Fachpfleger Psychiatrie Praxisanleiter für Gesundheitsberufe ■ Claudia Vallentin Oberärztin ■ Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ■ ■ Diplom-Psychologe Psychologischer Psychotherapeut (Verhaltenstherapie) Leiterin Akutpsychiatrie ■ Dipl.-Psych. Dr. phil. Thomas Wolf Leitender Psychologe ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 ► ÄRZTE UND PSYCHOLOGEN ■ Eleni Asanoglu Psychologin in Ausbildung ■ Rieke Barthel Dipl.-Psychologin ■ Dr. med. Alexander Benthien Assistenzarzt ■ Helen Lohmüller Psychologin in Ausbildung ■ Jan Diedrich Assistenzarzt ■ Izabela Figura Assistenzärztin, Ärztin für Neurologie ■ Janina Fischer Dipl.-Psychologin ■ Elizaveta Götz Assistenzärztin ■ Stephan Gemp Psychologe in Ausbildung ■ Jana Gliege Psychologin in Ausbildung ■ Christa Große-Schawe Psychologin in Ausbildung ■ Gero von Hehl Psychologischer Psychotherapeut ■ Valeska Hug Dipl.-Psychologin ■ Lucia Hundt Psychologin in Ausbildung ■ Dr. med. Martina Jässing-Wolgast Ärztin ■ Juliane von Jordan Dipl.-Psychologin ■ Leonie Kampe Dipl.-Psychologin ■ Tews Kleinwort Psychologischer Psychotherapeut ■ Ruth Kohlhas Dipl.-Psychologin ■ Charlotte Kramer Psychologin in Ausbildung ■ Nicole Laaser Assistenzärztin (z.Zt. Klinik für Neurologie) ■ Charlotte Kramer Psychologin in Ausbildung ■ Heike Lahmann-Lammert Psychologin in Ausbildung, Musiktherapeutin ■ Dr. med. Gerhard Lammers Assistenzarzt, Ambulanz des PCG ■ Elizabeth Lafrentz Psychologin in Ausbildung ■ Anke Langefeld Dipl.-Psychologin ■ Sanna List Psychologische Psychotherapeutin ■ Carolin Möbius Dipl.-Psychologin 39 ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 ■ Birgit Molitor Assistenzärztin ■ Masoumeh Nazaktabar Assistenzärztin ■ Dr. med. Cornelia Niedenzu Assistenzärztin ■ Veronika Rodakova Assistenzärztin ■ Antje Rosien Dipl.-Psychologin ■ Dr. med. Andreas Sachs Arzt für Kinder- und Jugendmedizin Neuropädiater ■ Ulrike Schiller Assistenzärztin ■ Olaf Thaysen Assistenzarzt ■ Claudia Vollmers Ärztin in Weiterbildung ■ Ellen Weinreich Dipl.-Psychologin ■ Lena Wiedemann Psychologische Psychotherapeutin (Elternzeit) 40 ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 ► SPEZIALTHERAPEUTEN Antje Dieckmann Musiktherapeutin Birgit Gehm-Forster Tanz- und Bewegungstherapeutin Kristina Greve Ergotherapeutin Barbara Hertam Dipl.-Sozialpädagogin (KJP) Simone Jessen Dipl.-Sozialpädagogin Kerstin Janik Dipl.-Sozialpädagogin Silvia Heuer Ergotherapeutin Dorothea Käding Musiktherapeutin Tanja Kielhorn Ergotherapeutin Michael Kropius Ergotherapeut Heike Kukowski Dipl.-Sozialpädagogin Maria Lederhofer Musiktherapeutin Tanja Manthey Dipl.-Sozialpädagogin Inga Maybaum Ergotherapeutin Simone Peters Dipl.-Sozialpädagogin Naemie Puls Tanz- und Bewegungstherapeutin Maren Reichardt Ergotherapeutin Kerstin Rickert Dipl.-Sozialpädagogin Martina Stührk Dipl.-Sozialpädagogin Aloysia Treus Sonderpädagogin (KJP) Grit Uhlig Sonderpädagogin (KJP) 41 ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 42 ► PFLEGEDIENST Name Berufsbezeichnung Zusatzqualifikationen Leitung Sievers, Hauke Fachkrankenpfleger für Psychiatrie Fachkraft für Leitungsaufgaben in der Pflege Fachkraft f. Leitungsaufgaben i. d. Pflege FWB Psych. Praxisanleiter für Gesundheitsberufe, Systemische Netzwerktherapie Ausbildung "Klettern mit Gruppen an künstlichen Kletterwänden", Kalkstein, Ingo Gesundheits- und Krankenpfleger Fortbildung Stationsleitung, Stellvertretende Leitung für Station 29, 32, PTK 32 und PTK Itzehoe/Psychosomatik Jendruck, Christine Gesundheits- und Krankenpflegerin Aromatherapeutin, Stellvertretende Leitung für die Station 39, PTK Glückstadt, TK-KJP Familiale Pflege Station 29 Bobrowski, Doris Gesundheits- und Krankenpflegerin Gone, Karin Gesundheits- und Krankenpflegerin Guhr, Peggy Gesundheits- und Krankenpflegerin Horz, Angelika Gesundheits- und Krankenpflegerin Ohlsen-Tabiou, Elke Gesundheits- und Krankenpflegerin Reinl, Marion Gesundheits- und Krankenpflegerin Rodewald, Petra Pflegehelferin Systemische Netzwerktherapie Systemische Netzwerktherapie Systemische Netzwerktherapie ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 Schuldt, Tanja 43 Gesundheits- und Krankenpflegerin PTK Psychosomatik STEPS Bergner, Stefanie Gesundheits- und Krankenpflegerin Pieper, HeinzMartin Gesundheits- und Krankenpfleger KUGA-Multiplikatorin Station 32 Ahting, Benny Fachkrankenpfleger für Psychiatrie FWB Psychiatrie, Systemische Netzwerktherapie, Praxisanleiter für Gesundheitsberufe Albrecht, Marion Gesundheits- und Krankenpflegerin Lehrerin für Krankenpflegeberufe und WB Pflegedienstleitung Breiling, Carol Gesundheits- und Krankenpfleger Engels, Silke Gesundheits- und Krankenpflegerin Jodlowski, Jana Fachkrankenschwester für Psychiatrie Kröger, Silke Gesundheits- und Krankenpflegerin Laskowsky, Ivonne Gesundheits- und Krankenpflegerin Sibrasse, Birgit Gesundheits- und Krankenpflegerin Stark, Sandra Gesundheits- und Krankenpflegerin Wagner, Petra Gesundheits- und Krankenpflegerin Weber, Katherina Gesundheits- und Krankenpflegerin Systemische Netzwerktherapie Systemische Netzwerktherapie ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 44 Psychiatrische Tagesklinik Station 32 Alter, Karin Gesundheits- und Krankenpflegerin Kulow, Martina Gesundheits- und Krankenpflegerin Systemische Netzwerktherapie Scheele, Joachim Fachkrankenpfleger für Psychiatrie FWB Psychiatrie, Systemische Netzwerktherapie Tepker, Monika Gesundheits- und Krankenpflegerin Systemische Netzwerktherapie Tagesklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Itzehoe Bedi, Angelika Gesundheits- und Krankenpflegerin Jönsson, Angelika Gesundheits- und Krankenpflegerin Rogat, Marianne Gesundheits- und Krankenpflegerin Station 39 Aude, Dirk Gesundheits- und Krankenpfleger Praxisanleiter für Gesundheitsberufe, Akupunktur n. d. NADA-Protokoll Clasen, Bärbel Fachkrankenschwester für Psychiatrie FWB Psychiatrie Akupunktur n. d. NADAProtokoll Claußen, Mariena Krankenpflegehelferin Defli, Makbule Gesundheits- und Krankenpflegerin Duitsmann, Cynthia Gesundheits- und Krankenpflegerin Dworzanski,Ewa Gesundheits- und Krankenpflegerin Eggers, Peter Gesundheits- und Krankenpfleger Therapeutisches Klettern Engels, Thomas Gesundheits- und Krankenpfleger Praxisanleiter, Akupunktur NADA, KUGAMultiplikator Therapeutisches Klettern ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 Fedorov, Alexander Gesundheits- und Krankenpfleger Gees, Susanne Kinderkrankenschwester Itzenga, Susanne Fachkrankenschwester für Psychiatrie FWB Psychiatrie Systemische Netzwerktherapie Klein, Dieter Gesundheits- und Krankenpfleger Systemische Netzwerktherapie Koch, Kevin Gesundheits- und Krankenpfleger Lindenhofer, Sabine Gesundheits- und Krankenpflegerin Maljavin, Irina Gesundheits- und Krankenpflegerin Niendorf, Regina Altenpflegerin Ohm, Signe Gesundheits- und Krankenpflegerin Petereit, Ida Gesundheits- und Krankenpflegerin Pommerening, Nancy Gesundheits- und Krankenpflegerin Praxisanleiterin für Gesudheitsberufe Ruhser, Bettina Gesundheits- und Krankenpflegerin PMR, KUGA-Multiplikatorin Schumacher, Kirsten Gesundheits- und Krankenpflegerin Sievertsen, Jens Gesundheits- und Krankenpfleger Voß, Mariana Gesundheits- und Krankenpflegerin Zöllner, Andrea Altenpflegerin Therapeutisches Klettern Akupunktur n. d. NADA-Protokoll PMR, Therapeutisches Klettern Akupunktur n. d. NADA-Protokoll Familiale Pflege Akupunktur n. d. NADA-Protokoll, Systemische Netzwerktherapie, Therapeutisches Klettern 45 ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 Tagesklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Glückstadt Dorlöchter Ertelt, Ina Gesundheits- und Krankenpflegerin Akupunktur n. d. NADA-Protokoll Nicolai, Corinna Gesundheits- und Krankenpflegerin Akupunktur n. d. NADA-Protokoll Wodnick, Christa Fachkrankenschwester für Psychiatrie FWB Psychiatrie, Akupunktur n. d. NADAProtokoll, Systemische Netzwerktherapie Freudenberg, Janina MFA Institutsambulanz PCG Gercken, Claudia Gesundheits- und Krankenpflegerin Weiterbildung Stationsleitung Tagesklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters Hansen, Gesine Erzieherin Jessen, Ralf Erzieher Lechtaler, Tatjana Gesundheits- und Krankenpflegerin Mertens, Dörte Kinderkrankenschwester Teggatz, Wiebke Kinderkrankenschwester Study Nurse 46 ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 Administration Sabine Alexandre‐Brust Vorzimmer Chefarzt Astrid Gehrt Vorzimmer Chefarzt (bis 30.06.2015) Katrin Collenburg Sekretariat Ute Limberts Sekretariat Tagesklinik Therapiebereich Itzehoe Maike Franck Sekretariat TK KJP Janina Freudenberg Sekretariat Tagesklinik Glückstadt Hans‐Jürgen Forster Case Manager Projektassistent Regionales Budget Projektmanagement Andrea Mangelsen Sekretariat / Codierung 47 ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 48 Ausbildung, Weiterbildung und Fortbildung ► WEITERBILDUNG ZUR ÄRZTIN/ARZT FÜR PSYCHIATRIE UND PSYCHOTHERAPIE Das Gebiet Psychiatrie und Psychotherapie umfasst die Vorbeugung, Erkennung und somatotherapeutische, psychotherapeutische sowie sozial-psychiatrische Behandlung und Rehabilitation von psychischen Erkrankungen und psychischen Störungen im Zusammenhang mit körperlichen Erkrankungen und toxischen Schädigungen unter Berücksichtigung ihrer psychosozialen Anteile, psychosomatischen Bezüge und forensischen Aspekte. Ziel der Weiterbildung im Gebiet Psychiatrie und Psychotherapie ist die Erlangung der Facharztkompetenz nach Ableistung der vorgeschriebenen Weiterbildungszeit und Weiterbildungsinhalte. Das Zentrum für Psychosoziale Medizin verfügt über folgende Weiterbildungsberechtigungen: ■ Psychiatrie und Psychotherapie (volle Weiterbildungszeit; 48 Monate) ■ Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (18 Monate) Die Klinik für Neurologie des Klinikums Itzehoe verfügt über die volle Weiterbildungsberechtigung für das Gebiet Neurologie. Im Zentrum für psychosoziale Medizin ist eine Weiterbildung mit den Grundorientierungen „Verhaltenstherapie“ und „tiefenpsychologisch orientierte Psychotherapie“ möglich. Die Weiterbildung im Zentrum für Psychosoziale Medizin des Klinikums Itzehoe erfolgt im Rahmen eines regulären tariflichen Angestelltenverhältnisses als Ärztin/Arzt in Weiterbildung. Die Dauer des Vertrages beträgt in der Regel die Länge der Weiterbildungszeit plus einem Jahr. Die Vergütung erfolgt gemäß dem jeweils gültigen Tarifvertrag für Ärzte und Ärztinnen zwischen dem Klinikum Itzehoe und dem Marburger Bund. Teilzeittätigkeit ist möglich. Die Weiterbildungszeiten verlängern sich entsprechend anteilig. Die Weiterbildung erfolgt unter der Leitung und Verantwortung der zur Weiterbildung befugten Ärztinnen und Ärzte. Die leitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentrums für Psychosoziale Medizin besitzen eine gemeinschaftliche Weiterbildungsbefugnis im Gebiet “Psychiatrie und Psychotherapie“. Das Zentrum für Psychosoziale Medizin ist Teil des Weiterbildungsverbundes Schleswig-Holstein, Region Südwest. Dazu gehören neben dem Klinikum Itzehoe die Kliniken für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Elmshorn, Heide, Neumünster und Rickling. Dieser Weiterbildungsverbund ist durch die Ärztekammer Schleswig-Holstein anerkannt. Es erfolgt dort gemeinsamer theoretischer Unterricht an den unterschiedlichen Standorten (vier Unterrichtsstunden pro Monat). Außerdem gibt es die Möglichkeit zur Supervision und Selbsterfahrung im Weiterbildungsverbund. Die Vermittlung von Weiterbildungsinhalten erfolgt regelmäßig im Rahmen der oberärztlich geleiteten Visiten und Besprechungen des jeweiligen Behandlungsteams bzw. im Rahmen von Behandlungskonferenzen. Folgende regelmäßige Weiterbildungsveranstaltungen werden im Zentrum für Psychosoziale Medizin durchgeführt: ■ Weiterbildungsseminar zu unterschiedlichen allgemeinen und spezifischen Inhalten der Weiterbildungsordnung (60 Min. pro Woche) ■ Psychiatrisches Fallseminar (60 Min. alle 2 Wochen) ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 49 ■ Veranstaltungen mit externen Referenten zu unterschiedlichen wissenschaftlichen Themen (3-4 mal pro Jahr) Folgende regelmäßige Weiterbildungsveranstaltungen werden im Rahmen des Weiterbildungsverbundes Schleswig-Holstein durchgeführt: ■ Weiterbildungsseminar zu unterschiedlichen allgemeinen und spezifischen Inhalten der Weiterbildungsordnung (180 Min. pro Monat; jeweils 1. Mittwoch im Monat) In allen Behandlungsteams erfolgt neben der oberärztlichen Supervision eine regelmäßige (14-tägige bzw. 4-wöchige) externe Team-Supervision. Für die im Rahmen der Weiterbildung im Klinikum Itzehoe absolvierten Weiterbildungs-Anteile entstehen keine Kosten. Für die außerhalb im Rahmen der Bestimmungen der Weiterbildungsordnung absolvierten Weiterbildungs-Anteile erfolgen gegebenenfalls eine Freistellung sowie eine Übernahme der Teilnahmegebühren. Mentorenprogramm Das Zentrum für Psychosoziale Medizin nimmt am Mentorenprogramm des Klinikums Itzehoe teil. Jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter in Weiterbildung wird für die gesamte Zeit der Weiterbildung eine Mentorin bzw. ein Mentor zugeordnet. Die Mentoren sind nicht nur für die Einhaltung des Curriculums sowie die inhaltliche Absicherung zuständig, sondern fungieren auch als Ansprechpartner in allen beruflichen und gern auch außerberuflichen Bereichen. So werden die nächsten Weiterbildungsschritte auf dem Weg zur zeitgerechten Facharztkompetenz definiert und bereits vereinbarte Ziele abgefragt. Zusätzlich wird zum Beispiel die mögliche Teilnahme an Kongressen und Fortbildungsveranstaltungen geplant. Ganz wesentlich ist jedoch die Entdeckung und Förderung individueller Interessen und Schwerpunkte der Mentees. Regelmäßig veranstaltete Mentorenkonferenzen stellen den Informationsfluss sicher und führen zu gegebenenfalls erforderlichen Anpassungsprozessen. KUGA-Ausbildung Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Weiterbildung wird im Zentrum für Psychosoziale Medizin ein KUGA-Training angeboten. KUGA steht für den kontrollierten Umgang mit Gewalt und Aggression in psychiatrischen Kliniken. Es ist ein konsequentes Trainingsprogramm, das sanften Selbstschutz bietet und gleichzeitig auch die Würde der betreuten Personen achtet. Es werden theoretische und praktische Fähigkeiten vermittelt, die ■ sichereres Auftreten der Mitarbeiter ermöglichen, ■ den Rahmen für eine wirksamere Deeskalation von Krisensituationen schaffen sowie ■ zu einem effektiveren Selbstschutz der Mitarbeiter führen, ■ als auch die Unversehrtheit und Würde des Gegenübers wahren. ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 50 JÄHRLICHE MITARBEITERGESPRÄCHE Mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Zentrums für Psychosoziale Medizin führen wir jährliche Mitarbeitergespräche, die dokumentiert werden. Dabei werden insbesondere auch individuelle Entwicklungsziele (innerhalb und außerhalb der Weiterbildung) besprochen und vereinbart. Den Mitarbeitergesprächen liegt ein strukturierter Fragenkatalog zu Grunde. SYSTEMISCHE AUS- UND WEITERBILDUNG Wir bieten innerhalb des Zentrums für Psychosoziale Medizin und in Zusammenarbeit mit externen Ausbildern regelmäßige kostenfreie Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung in Systemischer Therapie an. FORTBILDUNGSMASSNAHMEN Gefördert durch den Europäischen Sozialfond bieten wir Rahmen des 6K-Verbundes auch für Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung zusätzliche Fortbildungsangebote an. Dabei geht es vor allem um die Förderung und den Ausbau der persönlichen Fähigkeiten, der Führungskompetenzen, der kommunikativen Kompetenzen und der methodischen Kompetenzen. INTENSIVKURSE FÜR PSYCHIATRIE UND PSYCHOTHERAPIE Der Chefarzt des Zentrums für Psychosoziale Medizin organisiert in Zusammenarbeit mit der Akademie für Medizinische Fort- und Weiterbildung der Ärztekammer Schleswig-Holstein jährlich einen 5-tägigen Intensivkurs „Psychiatrie und Psychotherapie“, der sich an Ärztinnen und Ärzte in der Weiterbildung im Gebiet „Psychiatrie und Psychotherapie“ (speziell zur Vorbereitung auf die Facharztprüfung) richtet. Der Chefarzt des Zentrums ist auch beteiligt an dem Intensivkurs der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, der dreimal pro Jahr für jeweils 5 Tage in Berlin stattfindet. Weitere Informationen folgende Adressen: http://www.klinikum-itzehoe.de/kliniken/zentrum-fuer-psychosoziale-medizin/informationen-zuraus-und-weiterbildung.html http://www.klinikum-itzehoe.de/karriere.html ► WEITERBILDUNG ZUR PSYCHOLOGISCHEN PSYCHOTHERAPEUTEN/ZUM PSYCHOLOGISCHEN PSYCHOTHERAPEUTEN Im Zentrum für Psychosoziale Medizin des Klinikums Itzehoe können Sie als Diplom-Psychologin oder Diplom-Psychologe die volle Zeit im Rahmen der Ausbildung zur/m psychologischen Psychotherapeutin/psychologischen Psychotherapeuten absolvieren (1.200 Stunden und 600 Stunden). Wir bieten dazu insgesamt sechs Stellen an. Die Ausbildung erfolgt vorwiegend ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 51 verhaltenstherapeutisch. Die Tätigkeit als Psychologin/Psychologe in Ausbildung im Zentrum für Psychosoziale Medizin des Klinikums Itzehoe wird vergütet. Seit dem März 2015 arbeiten wir in einer engen Kooperation mit dem Ausbildungsinstitut „Verhaltenstherapie Falkenried Aus-und Weiterbildung Schleswig-Holstein“ (VTFAW), das im Klinikum Itzehoe angesiedelt ist. Weitere Informationen unter: http://www.vtfaw-sh.de/home/ ► KINDERBETREUUNG Auf dem Gelände des Klinikums gibt es einen Kindergarten, der von der Montessori-Initiative betrieben wird. Das Montessori-Kinderhaus am Klinikum Itzehoe hat rd. 90 Plätze für Kinder im Alter von 0 – 14 Jahren, die in sieben Gruppen betreut werden. 30 Plätze sind für die Kinder der Beschäftigten des Zweckverbands sowie seiner Tochtergesellschaften reserviert. Die weiteren Plätze stehen allen Itzehoer Bürgern offen. Die Öffnungszeiten sind von Montag bis Freitag von 5.30 bis 20.00 Uhr. Eine Betreuung an Wochenenden sowie außerhalb der Öffnungszeiten wird bei entsprechender Nachfrage ebenfalls angeboten. ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 52 Publikationen und Vorträge ► PUBLIKATIONEN (SEIT 2011) ■ Heinrich S, Deister A, Birker T et al. (2011) Accuracy of selfreports of mental-health care utilzation and calculated costs compared to hospital records. Psychiatry Res 185; 261-268 ■ Deister A (2011) Vom Fall zum Menschen. Erfahrungen aus einem Regionalen Psychiatrie-Budget. Das Gesundheitswesen 73: 63-66 ■ Deister A (2011) Pauschalierung als Basis für die Finanzierung psychiatrischer und psychotherapeutischer Versorgung. Zur Diskussion über ein neues Entgeltsystem in Deutschland. PSY&PSY Bulletin 11: 5-6 ■ Deister A, Heinze M, Kieser C, Wilms B (2011) Zukunftsfähiges Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychotherapie. Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 64 (3) 64-69 ■ Wilms B, Becker T, Lambert M, Deister A (2012) Modelle für eine zukunftsfähige psychiatrische Versorgung. Die Psychiatrie 9: 4-13 ■ Kunze H, Schepker R, Malzahn J, Beine KH, Deister A, Heinz A, Wöhrmann S (2012) Gutes muss nicht teurer sein. f&w 2/2012 ■ Kunze H., Deister A, Schepker R, Beine K. (2012) Weg zur Weiterentwicklung der Krankenhausbehandlung frei. Psychosoziale Umschau 2012, 31-32 ■ Deister A (2012) Ab jetzt wird alles besser? Auswirkungen des neuen Psychiatrieentgeltgesetzes. G+G Wissenschaft 12:16-23 ■ Deister A, Heinze M, Kieser C, Munk I, Wilms B (2012) Regionale Verantwortung. Basis für ein zukunftsfähiges Entgeltsystem für die Psychiatrie und Psychotherapie. Kerbe 4, 41-44 ■ Deister A, Stab M (2013) Finanzierungsmodelle. In: Rössler, W., Kahwohl, W. (Hrsg) Soziale Psychiatrie. Das Handbuch für die soziale Praxis. Kohlhammer, Stuttgart ■ Deister A (2013) Individuelle Klasse. F & w 4/2013 ■ Deister A (2014) DSM-5 – Die Klassifikation von Krankheitszuständen. Notwendig oder gefährlich? Psychotherapie im Dialog 2; 90-92 ■ Wolff-Menzler C, Maier B, Junne F, Löhr M, Große C, Falkai P, Pollmächer T, Salize HJ, Nitschke R, Hauth I, Deister A, Godemann F (2014) Versorgungungsindikatoren in der Psychiatrie und Psychosomatik (VIPP) – Ein Datenbank-Projekt. Fortschr Neurol Psychiatr 82:394-400 ■ Deister A, Wilms B (2014) Regionale Verantwortung übernehmen. Modellprojekte nach §64b SGB V. Psychiatrie-Verlag, Köln ■ Deister A, Wilms B (2015) Neue Behandlungsstrukturen in der Psychiatrie – Chance für eine zukunftsfähige Versorgung. Psychiat Prax 42:8-10 ■ Deister A (2015) Erlösqualität optimieren. f&w 42015 ■ Klimke A, Godemann F, Hauth I, Deister A (2015) Strukturqualität in Psychiatrie und Psychotherapie. Nervenarzt 86:525-533 ■ Deister A (2015) Ohne Schuld handelt. In: U. Lüke/G. Souvignier (Hg.), Schuld - überholte Kategorie oder menschliches Existential? Interdisziplinäre Annäherungen. Herder, Köln ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 53 ■ Heinze M, Deister A (2015) Modellvorhaben nach § 64b SGB V – Ziele, Nutzen und Umsetzung. In: Maier B, Heitmann C, Rutz S, Wolff-Menzler, C (Hrsg.) Psych-Entgeltsystem: Entwicklungen, Erfahrungen und Best Practice. medhochzwei, Heidelberg ■ Deister A (2015) Psychotische Störungen: Aspekte zur Diagnostik Psychotherapie im Dialog (im Druck) ► VORTRÄGE ZU GESUNDHEITSPOLITISCHEN THEMEN (2013 – MAI 2015) ■ Gangbare Wege – Umsetzung des Regionalbudgets in Itzehoe. 5. Fachtagung, Forum Gesundheitswirtschaft, Berlin, 22.02.2013 ■ Modellprojekte - Die Haltung der Krankenkassen. ackpa-Kommende-Tagung, Kassel, 11.03.2013 ■ Modellprojekte in Psychiatrie und Psychotherapie. Nationales DRG-Forum, Berlin, 14.03.2013 ■ Der aktuelle Stand der Modellprojekte. Bundesdirektorenkonferenz Psychiatrie. Zwiefalten, 19.04.2013 ■ Stationsersetzende Psychosomatische Behandlung. Sozialministerium Schleswig-Holstein, Kiel 24.04.2013 ■ Vom Fall zum Menschen. Erfahrungen aus einem Regionalen Budget. LWL-Klinikum Paderborn, 12.06.2013 ■ Die Zukunft der Tagesklinik. Tagesklinik Bad Homburg. 26.06.2013 ■ Vom Fall zum Menschen – Erfahrungen aus einem Regionalen Budget. Zentralinstitut für Seelische Gesundheit. 11.07.2013 ■ Wo stehen wir aktuell? Workshop Netzwerk “Anreiz- und Steuerungssysteme für eine moderne psychiatrische Versorgung”. Berlin, 09.10.2013 ■ Regionales Psychiatrie-Budget. Symposium “Versorgung psychisch kranker Menschen – multiprofessionell, vernetzt, lebensweltorientiert!” Berlin, 16.10.2013 ■ Aktueller Stand der Modellprojekte. DGPPN-Kongress 2013, Berlin, 28.11.2013 ■ Think Tank. Zur Zukunft der psychosozialen Versorgung. Einführung. DGPPN-Kongress 2013, Berlin, 28.11.2013 ■ Modellprojekte nach §64b in Schleswig-Holstein. Workshop der Aktion Psychisch Kranke. Berlin, 14.02.2014 ■ Modellprojekte nach 64b – Aktuelle politische Situation. 6. Psychiatrietagung Forum Gesundheitswirtschaft. Berlin, 21.02.2014 ■ Vom Fall zum Menschen. Fachgruppe Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik der HeliosKliniken. Berlin 25.03.2014 ■ Vom Fall zum Menschen. Psychiatrische Klinik Gütersloh. Gütersloh 14.05.2014 ■ Konzepte der psychiatrischen Versorgung. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, RuhrUniversität Bochum. Bochum 02.07.2014 ■ Vom Fall zum Menschen - Erfahrungen über ein Jahrzehnt mit einem Regionalen Budget. TU Nürnberg, Itzehoe 14.10.2014 ■ Der Think Tank der DGPPN – Einführung in das Thema. DGPPN-Kongress 2014, Berlin 26.11.2014 ■ Krisenmanagement in der Psychiatrie. Bewältigung von Krisensituationen – Möglichkeiten eines regionalen Netzwerks. DGPPN-Kongress 2014, Berlin 28.11.2014 ■ Vom Fall zum Menschen - Ein Regionales Budget für die Psychiatrie. Augsburger Perspektiven, Augsburg, 04.12.2014 ■ Modellprojekte in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung nach §64b SGB V. 14. Nationales DRG-Forum, Berlin 20.03.2015 ■ Psychiatrische Kliniken in der regionalen Pflichtversorgung - Selbstverpflichtung und Kooperation aus Verantwortung. Tagung Bundesverband evangelische Behindertenhilfe, Erkner 16.04.2015 ■ Neue Versorgungsformen. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Universitätsklinikum Gießen und Marburg. Marburg, 26.05.2015 ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 54 ■ Die Zukunft psychiatrischer Versorgungssysteme. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Rostock. Rostock, 21.07.2015 Mitgliedschaften Das Zentrum für Psychosoziale Medizin ist vertreten in folgenden Arbeitskreisen bzw. Vereinigungen: Neurozentrum des 6K-Verbundes Arbeitskreis der Chefärztinnen und Chefärzte von Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie an Allgemeinkrankenhäusern in Deutschland (ackpa) Arbeitskreis der Leitenden Ärztinnen und Ärzte von psychiatrischen und psychotherapeutischen Kliniken in Schleswig-Holstein Gemeindepsychiatrischer Verbund Kreis Steinburg Prof. Dr. Arno Deister ist Mitglied in folgenden Verbänden: President Elect der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN; Berlin) (Präsident 2017/2018) Mitglied im Vorstand des Arbeitskreises der Chefärztinnen und Chefärzte von Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie an Allgemeinkrankenhäusern in Deutschland (ackpa) Mitglied im Arbeitskreis Gemeindenahe Psychiatrie des Kreises Steinburg Mitglied im Arbeitskreis der Leitenden Ärztinnen und Ärzte von psychiatrischen und psychotherapeutischen Kliniken in Schleswig-Holstein Mitglied in der Aktion Psychisch Kranke (Bonn) Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie (DGBS) Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen (DGBS) Dr. Rolf Michels ist Mitglied in folgenden Verbänden: Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN; Berlin) Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und –psychotherapie (DGGPP) Dachverband Deutschsprachiger Psychosenpsychotherapie (DDPP) Netzwerk Home-Treatment Claudia Vallentin ist Mitglied in folgenden Verbänden: Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN; Berlin) Netzwerk Ex-In Netzwerk Home-Treatment Dr. Andrea Lau ist Mitglied in folgenden Verbänden: Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 Bundesarbeitsgemeinschaft der Leitenden Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin Arbeitsgemeinschaft christlicher Mediziner Rainer Ortlieb ist Mitglied im Arbeitskreis Sucht des Gemeindepsychiatrischen Verbundes Kreis Steinburg 55 ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 Presse-Artikel (Auswahl) 56 ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 57 Norddeutsche Rundschau, 7. Januar 2015 Sinnvolle Hilfe bei psychischen Leiden Chefarzt Arno Deister vom Zentrum für Psychosoziale Medizin über das Itzehoer Modell der Finanzierung und Wünsche für die Zukunft Welche Krankheiten haben am meisten Einfluss auf die Gesellschaft? Die Weltgesundheitsorganisation hat es untersucht. Ergebnis: Unter den ersten Zehn weltweit sind allein sechs psychische Erkrankungen. Um sie zu behandeln, steht für Professor Dr. Arno Deister der richtige Weg fest: Regionale Verantwortung übernehmen. So lautet der Titel eines Buches, das der Chefarzt des Zentrums für Psychosoziale Medizin am Klinikum Itzehoe mit seiner Kollegin Dr. Bettina Wilms vom Südharz-Klinikum Nordhausen veröffentlicht hat. Auf 280 Seiten geht es viel um Rahmenbedingungen und Finanzierung – doch dahinter, so Deister, stehe der Wunsch, Menschen in einer Region ein integriertes Behandlungssystem anbieten zu können. Wie das gehen kann, wird im Kreis Steinburg seit zwölf Jahren gezeigt in einer bundesweiten Vorreiterrolle. Über die Erfahrungen und seine Sicht auf die Zukunft der Psychiatrie spricht der Chefarzt im Interview. Herr Deister, in Ihrem Buch fordern Sie und Ihre Kollegin nicht mehr Geld für die medizinische Versorgung. Ungewöhnlich – was ist der Grund? Deister: Es ist wirklich ungewöhnlich aus meiner Sicht. Wir sind der Meinung, dass es eigentlich gar nicht darum geht, dass wir zu wenig Geld im System der Versorgung haben in der Psychiatrie. Das Problem liegt sehr viel mehr darin, dass wir dieses Geld nicht sinnvoll genug einsetzen. Unser System fällt so sehr in verschiedene Teile auseinander, ist so fragmentiert, dass wir in der Behandlung viel zu viele Brüche haben. Das ist erst einmal schlecht für den Patienten, weil er häufig mit seiner Behandlung wieder von vorn anfangen muss. Zum anderen kostet es einfach zu viel Geld, was nicht dafür da ist, Gesundheit zu schaffen. Hier läuft es seit 2003 anders mit dem Regionalen Budget. Wie funktioniert das und wie sind die Erfahrungen? ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 58 Es versucht, diese Unterteilung in verschiedene Bereiche möglichst aufzuheben. Konkret gesagt: Wenn ein Patient früher stationär im Krankenhaus war und dies nicht mehr brauchte, ging er in eine andere Form der Behandlung über – neues System, neue Behandlung, neue Kosten. Wir führen diese verschiedenen Teile zusammen. Das heißt: Wir sind zuständig für einen Patienten, auch wenn er nicht mehr die stationäre Behandlung braucht. Er bleibt dadurch sehr viel kürzer bei uns, in den zwölf Jahren hat sich die durchschnittliche Verweildauer halbiert. Und er kann, wenn er das Stationäre nicht mehr braucht, von uns für eine gewisse Zeit tagesklinisch oder ambulant weiter behandelt werden. Danach geht er in der Regel wieder zum niedergelassenen Arzt, der noch nicht zu diesem System gehört. Aber was das Krankenhaus macht, wird über ein Gesamtbudget finanziert. Anders ausgedrückt: Es wird die Versorgung mehr in einer Hand zusammengeführt, was Kosten spart und für den Patienten sinnvoll ist. Gibt es für dieses sinnvolle Belege? Es hat sich für die Patienten gezeigt, es gibt aber auch eine wissenschaftliche Begleitforschung. Diese konnte zeigen, dass die Patienten sehr viel kürzer im Krankenhaus sind und dass auf der anderen Seite sie sehr viel besser im sozialen Umfeld integriert sind. Das ist etwas, was bei den meisten psychischen Erkrankungen extrem wichtig ist, weil sie nie nur ein Problem des Menschen sind, der betroffen ist, sondern immer auch seines sozialen Umfeldes. Hat sich diese Ansicht in der Psychiatrie bereits durchgesetzt? Nein, es ist noch nicht herrschende Meinung. Es gibt aber einige Hinweise, dass sich dieses Denken zunehmend durchsetzt. Sonst springen wir auch einfach zu kurz. Die Ideen gibt es schon sehr lange, es geht in die richtige Richtung. Für mich gilt der Satz: Psychiatrie ist eine soziale Psychiatrie, oder sie ist keine Psychiatrie. Zur Umsetzung, das stellen Sie im Buch oft fest, braucht es ein regionales Netzwerk. Gibt es dieses hier – oder wo hat das Netz Löcher? Es gibt im Kreis Steinburg insgesamt seit langem ein sehr gutes Netzwerk. Viele Einrichtungen im Kreis machen ganz unterschiedliche Angebote an die Patienten. Es gibt eine sehr gute Vernetzung untereinander. Aber: Diese Vernetzung bildet sich in den Finanzierungs- und Kostenstrukturen noch nicht wirklich ab. Es wäre wichtig, das zusammenzuführen und sie damit auf noch stabilere Füße zu stellen. Sodass zum Beispiel auch die Leistungen der niedergelassenen Ärzte oder der Brücke SH über dieses Budget finanziert würden? Perspektivisch sollte das so sein. Im Moment ist es nicht so. Im Moment deckt das Regionale Budget nur Krankenhausleistungen ab, wobei das auch heißen kann, dass ein Patient ambulant im Krankenhaus und durch das Krankenhaus behandelt wird. Das Ziel ist aber ganz klar die Integration der niedergelassenen Ärzte und aller anderen Leistungen, die es gibt. Aber das ist ein Fernziel, wofür noch viel gearbeitet werden muss. Auch Überzeugungsarbeit? Diese Arbeit ist Überzeugungsarbeit. Das ist natürlich etwas, wo wir sehr viel miteinander reden müssen. Die Regelung, die wir seit zwölf Jahren haben, ist seit langem auf vielen Ebenen besprochen. Wir sind allen anderen im Kreis sehr dankbar, dass sie sich dieser Diskussion stellen. Letztlich wird es nicht so sein, dass das Krankenhaus zentral ist, sondern es wird etwas sein müssen, was das gesamte System miteinander umsetzt. Das ist natürlich Kommunikation pur. Ist das Regionale Budget auf andere Bereiche der Medizin übertragbar? Nicht einfach so. Es gibt aber Bereiche in der somatischen Medizin, wo es gehen könnte: Immer dann, wenn es um den ganzen Menschen geht. Ein Beispiel ist die Geriatrie. Aber da gibt es auch bundesweit noch keine konkreten Ansätze. In den meisten anderen Fächern muss es eine andere Denkweise geben, weil das Problem ein temporäres ist. Wenn jemand eine Blinddarmentzündung hat, ist damit ganz anders umzugehen, als wenn jemand eine Erkrankung hat, die ihn einen Großteil seines Lebens begleiten wird. Bei körperlichen Erkrankungen ist auch der soziale Bezug längst nicht ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 59 so groß. Diesen Bezug verdeutlicht die von Ihnen geleitete Klinik mit dem Namen Zentrum für Psychosoziale Medizin. Diese hatte stets eine geschlossene Abteilung. Nun steht die Tür offen, der Tresen am Eingang ist permanent besetzt. Warum diese Änderung? Es gibt internationale Erfahrungen und umfassende Literatur, die uns gesagt haben, dass das Klima auf der Station weniger aggressiv wird, je mehr wir dem Patienten vermitteln, dass wir ihn hier nicht einsperren, sondern dass wir ihn schützen. Wir sind keine Einrichtung, wo es primär um Sicherheit geht, sondern es geht um Therapie und um Schutz. Das kann man besser mit offenen Türen. Natürlich haben wir die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass Patienten nicht sich selbst oder andere gefährden. Offene Türen heißt: Wir sprechen mit den Patienten, wenn sie gehen wollen, und versuchen sie zu überzeugen. Das Ergebnis: Die offene Tür führt nicht dazu, dass sich mehr Menschen der Behandlung entziehen, als wenn die Tür geschlossen ist. Dieses Vorgehen ist dem Bedürfnis des Patienten viel angemessener. Seine Autonomie und seine Selbstbestimmungsfähigkeit sind uns in den vergangenen Jahren viel wichtiger geworden. Wir gehen mit den Patienten viel, viel mehr auf Augenhöhe um. Und der dazu passende Neubau soll möglichst im Hackstruck entstehen? Es wird noch relativ lange dauern. Aber die Idee ist, dass wir das, was wir im Moment inhaltlich machen, auch in einem Gebäude abbilden. Wenn wir die Chance haben, wollen wir die Grenzen zwischen ambulanter, tagesklinischer und stationärer Versorgung weiter auflösen. Ein neues Gebäude – und es gibt bereits konkrete Pläne dafür – soll keine klassischen Stationen mehr haben. Es soll Bereiche haben für die Behandlung für alle Patienten, für Wohnen für die, die das brauchen, und es soll Bereiche geben, wo Menschen den ganzen Tag sein können. Aber alle werden im gleichen Bereich behandelt, die Unterschiede werden fließend. Der Bedarf ist also vorhanden? Der Bedarf hat zugenommen und wird weiter zunehmen. Das liegt nicht in erster Linie daran, dass psychische Erkrankungen zunehmen, sondern dass wir zum Glück anders umgehen mit Menschen, die eine psychische Erkrankung haben, und dass die Menschen selbst anders mit sich umgehen. Sie sind zum Glück heute eher bereit, Hilfe zu suchen. Trotzdem tun es lange noch nicht alle. Bei einem Krankheitsbild wie der schweren depressiven Erkrankung wissen wir, dass weniger als 20 Prozent der Menschen so behandelt werden, wie man sie behandeln könnte. Das liegt auch daran, dass es Menschen schwer fällt, ihre eigenen Probleme als Ausdruck einer Erkrankung anzusehen. Uns ist es sehr wichtig, ein Bewusstsein zu schaffen in der Öffentlichkeit, dass es möglich ist, darüber zu sprechen, wenn man eine psychische Erkrankung bekommt. Es ist etwas sehr Zentrales, dass man nicht gezwungen ist, psychische Probleme zu verstecken, vor sich und vor anderen. Die Vereinbarung zum Regionalen Budget läuft bis Ende 2020. Wie sollte die Situation im Kreis dann sein? Es sollte etwas ganz Normales sein, wegen Problemen im psychischen Bereich Hilfe zu suchen. Alle Angebote, die dann zur Verfügung stehen, sollten dann miteinander vernetzt sein. Dies sollte sich in der Form der Finanzierung abbilden. Das ist aber ein großer Wunsch. Interview: Lars Peter Ehrich ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 60 Kooperierende Einrichtungen und Institutionen Das Zentrum für psychosoziale Medizin kooperiert eng mit einer Vielzahl von Einrichtungen aus den verschiedenen Bereichen. Dazu gehören insbesondere: ■ Kliniken und Zentren des Klinikums Itzehoe ■ Mitglieder des Gemeindepsychiatrischen Verbundes im Kreis Steinburg ■ Versorgungs-und Hilfeeinrichtungen für Menschen mit psychischen Erkrankungen im Kreis Steinburg ■ Einrichtungen von Lehre und Forschung ■ Berufsverbände ZENTRUM FÜR PSYCHOSOZIALE MEDIZIN DES KLINIKUMS ITZEHOE – JAHRESBERICHT 2015 61 ANHANG Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) hat im Jahr 2014 eine umfangreiche Stellungnahme zu den ethischen Aspekten in diesen Fächern abgegeben. Diese soll aufgrund ihrer auch für uns besonderen Bedeutung an dieser Stelle in vollem Umfang zitiert werden. Achtung der Selbstbestimmung und Anwendung von Zwang bei der Behandlung von psychisch erkrankten Menschen Eine ethische Stellungnahme der DGPPN 1 1. Einleitung Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht: Jeder Mensch hat das Recht, über seine Lebensführung und damit auch über Maßnahmen, die seine Gesundheit betreffen, selbst zu bestimmen. Die selbstbestimmte Entscheidung des Patienten ist dementsprechend eine Grundvoraussetzung für eine gute medizinische Behandlung. In Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik stellen sich hierbei tiefgreifende Fragen, denn psychische Erkrankungen können in Einzelfällen die Selbstbestimmungsfähigkeit des Patienten einschränken. Dabei gilt grundsätzlich: Allein aus dem Vorliegen einer psychischen Erkrankung folgt nicht, dass ein Patient nicht selbstbestimmt entscheiden kann und darf. Bei einem kleinen Teil von psychisch schwer erkrankten Patienten kann diese Fähigkeit jedoch zeitweilig oder langfristig eingeschränkt bzw. aufgehoben sein. In einem solchen Falle bedarf es einer erweiterten ethischen Orientierung für gutes ärztliches Handeln. Wenn der schwer kranke und selbstbestimmungsunfähige Patient sich selbst oder Dritte erheblich gefährdet und in dieser Situation medizinische Maßnahmen ablehnt, geraten der Psychiater und alle Beteiligten in eine schwierige ethische Dilemmasituation: Welche ethischen Kriterien müssen hier beachtet und wie sollen diese ethisch abgewogen werden? Dabei befindet sich der Psychiater in einem Spannungsverhältnis zwischen dem Respekt vor dem Patientenwillen einerseits, dem gesundheitlichen Wohl des Kranken und der Verpflichtung zur Fürsorge gegenüber selbstbestimmungsunfähigen, hilflosen und hilfebedürftigen Menschen andererseits sowie den Interessen von Angehörigen, Institutionen und Gesellschaft. Das Handeln des Psychiaters muss sich am rechtlichen Rahmen orientieren und diesen im Einzelfall ethisch angemessen gestalten und umsetzen. Durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofes sowie durch die Reform des Betreuungsgesetzes sind in jüngster Zeit die rechtlichen Rahmenbedingungen weiterentwickelt worden. Die vorliegende ethische Stellungnahme der DGPPN möchte hierzu aus psychiatrischpsychotherapeutischer Perspektive einen Beitrag leisten. Aus ärztlicher Perspektive wird zu den Bereichen Patientenselbstbestimmung, Selbstbestimmungsfähigkeit und psychische Erkrankung ebenso Stellung genommen wie zur UN-Behindertenrechtskonvention und zu Fragen der Zwangsmaßnahmen und Zwangsbehandlungen. Schließlich werden Empfehlungen für die Praxis formuliert, mit denen Zwangsmaßnahmen reduziert und, falls erforderlich, professionell und möglichst human durchgeführt werden können. Dabei wendet sich die DGPPN sowohl an die im Bereich der Psychiatrie tätigen Gesundheitsberufe und Patientenvertretungen als auch an die Verantwortlichen in Gesundheitspolitik, Medien und Gesellschaft. Die Autoren der Task Force „Ethik in Psychiatrie und Psychotherapie“ der DGPPN: Dr. med. Utako Birgit Barnikol (Köln), Prof. Dr. med. Asmus Finzen (Berlin), Dr. med. Jakov Gather M.A. (Bochum), Dipl. Psych. Gabriel Gerlinger M.A. (DGPPN-Geschäftsstelle), PD Dr. med. Annemarie Heberlein (Hannover), Prof. Dr. med. Dr. phil. Andreas Heinz (Berlin), Prof. Dr. med. Hanfried Helmchen (Berlin), Prof. Dr. med. Klaus Lieb (Mainz), Prof. Dr. med. Wolfgang Maier (Bonn), Prof. Dr. med. Jürgen L. Müller (Göttingen), Dr. phil. Sabine Müller (Berlin), Prof. Dr. med. Thomas Pollmächer (Ingolstadt), Prof. Dr. med. Henning Saß (Aachen), Prof. Dr. phil. Thomas Schramme (Hamburg), Prof. Dr. med. Michael Seidel (Bielefeld), Prof. Dr. med. Dr. phil. Jochen Vollmann (Bochum) (federführend), Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter (Berlin). 1 2 2. Patientenselbstbestimmung, Selbstbestimmungsfähigkeit und psychische Erkrankung Patientenselbstbestimmung Die Selbstbestimmung von Patienten hat im 20. Jahrhundert im Zuge allgemeiner gesellschaftlicher Entwicklungen mit Stärkung der persönlichen Freiheitsrechte und eines gewachsenen Patientenselbstbewusstseins sowie in Reaktion auf gravierendes ärztliches Fehlverhalten in der medizinischen Forschung in der modernen Medizin einen hohen ethischen und rechtlichen Stellenwert erlangt. In Deutschland spielten bei dieser historischen Entwicklung nicht zuletzt die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus eine entscheidende Rolle, an denen auch viele Psychiater beteiligt waren. Der hohe Stellenwert der Patientenselbstbestimmung hat für den Arzt und alle anderen an der Behandlung von Patienten beteiligten Professionen ethische, rechtliche und berufspraktische Konsequenzen. Während der Arzt in früheren Zeiten häufig ohne Mitsprache des Patienten Entscheidungen zu dessen gesundheitlichem „Wohl“ getroffen hat und die ärztliche Grundhaltung durch einen fürsorglichen Paternalismus gekennzeichnet war, ist das Arzt-Patienten-Verhältnis heutzutage vom Ideal der partizipativen Entscheidungsfindung („shared decision making“) geprägt. Das Prinzip der Selbstbestimmung findet in gesundheitlichen Angelegenheiten seinen Ausdruck im Respekt vor der selbstbestimmten Entscheidung des Patienten nach Aufklärung durch den Arzt („informed consent“). Die freie und informierte Einwilligung ist daher die notwendige Voraussetzung für jede diagnostische und therapeutische Maßnahme. Voraussetzungen für einen gültigen „informed consent“ sind neben der Informationsvermittlung die freie Entscheidung (d. h. Patienten dürfen nicht von anderen zu einer Entscheidung gedrängt oder gezwungen werden) und das Vorliegen von Selbstbestimmungsfähigkeit. Selbstbestimmungsfähigkeit lässt sich mit dem rechtlichen Begriff der Einwilligungsfähigkeit gleichsetzen. Im Folgenden wird jedoch der Begriff der Selbstbestimmungsfähigkeit verwendet, da dieser nicht nur die Fähigkeit zur Einwilligung („consent“), sondern auch zur Ablehnung („dissent“) berücksichtigt. In der Praxis hat die Frage der Selbstbestimmungsfähigkeit des Patienten große Bedeutung, wenn ein Patient in eine vom Arzt empfohlene Maßnahme nicht einwilligt, sondern diese selbstbestimmt entgegen seinem (vermeintlichen) gesundheitlichen Wohl ablehnt. Um im klinischen Alltag das Recht des Patienten auf Selbstbestimmung respektieren zu können, muss der Arzt die Kriterien der Selbstbestimmungsfähigkeit kennen. Dies ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil der Respekt vor der Selbstbestimmung eines Menschen auch darin zum Ausdruck kommt, dass man ihn vor ungewollten Folgen durch nicht-selbstbestimmte Entscheidungen schützt. Dieser Aspekt ist in der Psychiatrie von besonderer Bedeutung, weil akute oder chronische psychische Erkrankungen sowie angeborene oder erworbene kognitive Beeinträchtigungen die Fähigkeit eines Menschen zur Selbstbestimmung einschränken oder aufheben können. Beispielsweise können halluzinierte Befehle zur Selbsttötung die Selbstbestimmungsfähigkeit ebenso aufheben wie das aufgrund einer schweren Demenz fehlende Verständnis eines Patienten für den lebensrettenden Charakter eines medizinischen Eingriffes (z. B. einer Operation). Willensäußerungen, bei denen die Kriterien der Selbstbestimmungsfähigkeit nicht erfüllt sind, werden im Recht häufig als „natürlicher Wille“ bezeichnet. Dieser kann verbal oder non-verbal, etwa durch abwehrende Handbewegungen, Ausspucken von Tabletten etc., zum Ausdruck gebracht werden. In der Psychiatrie kommt es häufig zu ethischen Konfliktsituationen, wenn der vom Patienten geäußerte „natürliche Wille“ mit dem ärztlichen Auftrag, zum gesundheitlichen Wohl des Patienten zu handeln, im Widerspruch steht. Dem Konzept der Selbstbestimmungsfähigkeit kommt daher unter ethischen und klinischen Gesichtspunkten ein zentraler Stellenwert zu. 3 Das normative Konzept der Selbstbestimmungsfähigkeit Die Selbstbestimmungsfähigkeit stellt ein normatives Konzept dar, das in Ethik und Recht entwickelt wurde. Dieses Konzept ist in der internationalen klinisch-ethischen Literatur breit akzeptiert. Selbstbestimmungsfähigkeit konkretisiert sich im rechtlichen Begriff der Einwilligungsfähigkeit. Trotz einiger konzeptioneller Überschneidungen darf die Selbstbestimmungsfähigkeit nicht mit den rechtlichen Begriffen der Geschäftsfähigkeit, Testierfähigkeit oder Schuldfähigkeit gleichgesetzt werden, da diese zum Teil andere und höhere Anforderungen an die betroffenen Personen stellen. Für den klinischen Alltag folgt daraus, dass auch Patienten, die nicht geschäftsfähig sind, sehr wohl zu selbstbestimmten Entscheidungen im Hinblick auf konkrete medizinische Maßnahmen in der Lage sein können. Auch das Bestehen einer gesetzlichen Betreuung schließt die Selbstbestimmungsfähigkeit nicht aus. Das Konzept der Selbstbestimmungsfähigkeit dient dem Schutz von Personen, die aufgrund des Fehlens bestimmter Fähigkeiten nicht in der Lage sind, Entscheidungen selbstbestimmt zu treffen und deswegen besonders gefährdet sind, hierbei zu ihrem eigenen Nachteil zu handeln, z. B. indem sie medizinische Behandlungen ablehnen, die eine erhebliche Gefahr für Gesundheit oder Leben abwenden können, oder medizinischen Behandlungen zustimmen, deren Tragweite sie nicht erkennen können. Eine Person ist bezüglich einer konkreten medizinischen Maßnahme selbstbestimmungsfähig, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung folgende Kriterien erfüllt sind: • Informationsverständnis: Sie muss durch verständliche und ausreichende Aufklärung ein eigenes Verständnis davon entwickeln, worüber sie zu entscheiden hat und worin die Risiken und der potenzielle Nutzen der Entscheidung bestehen. • Urteilsvermögen: Sie muss die erhaltenen Informationen mit ihrer Lebenssituation, mit ihren persönlichen Werthaltungen und Interessen in Verbindung bringen sowie diese gewichten und bewerten können. Die Folgen und Alternativen der Entscheidung müssen im Zusammenhang mit der eigenen Lebenssituation beurteilt werden können. • Einsichtsfähigkeit: Sie muss erkennen können, dass ihre physische oder psychische Gesundheit eingeschränkt ist und dass Möglichkeiten zur Behandlung oder Linderung ihrer gesundheitlichen Problematik bestehen und ihr angeboten werden (sog. Krankheits- und Behandlungseinsicht). • Ausdrucksfähigkeit der Entscheidung: Sie muss die Fähigkeit besitzen, im Lichte der bestehenden Alternativen eine Entscheidung zu treffen und diese verbal oder non-verbal zum Ausdruck zu bringen. Alle diese Fähigkeiten sind graduell ausgeprägt. Psychische Erkrankungen oder kognitive Beeinträchtigungen können die Komponenten der Selbstbestimmungsfähigkeit in verschiedener Weise beeinflussen. Kognitive Defizite im Rahmen einer beginnenden Demenzerkrankung können beispielweise mehr oder weniger stark das Informationsverständnis oder das Urteilsvermögen beeinträchtigen. Wahnvorstellungen bei Patienten mit einer akuten Psychose führen hingegen häufig dazu, dass die Einsichtsfähigkeit vermindert oder sogar aufgehoben ist. Die Fähigkeit, eine Entscheidung zu treffen und zum Ausdruck zu bringen, kann durch eine hochgradige Ambivalenz bei einer schweren Depression eingeschränkt sein. Die Erfahrungen aus der Begegnung mit psychisch kranken Menschen verdeutlichen, dass in alle menschlichen Entscheidungen nicht allein rationale Erwägungen, sondern in hohem Maße auch emotionale, situative und interpersonelle Faktoren einfließen. Damit ist nicht die Rationalität von Begrün- 4 dungen entscheidend, sondern es müssen auch unvernünftig erscheinende Entscheidungen eines selbstbestimmungsfähigen Patienten respektiert werden. Weiterhin ist zu bedenken, dass alle genannten Einschränkungen im zeitlichen Verlauf mehr oder weniger stark fluktuieren können. In einer konkreten medizinischen Entscheidungssituation muss die Selbstbestimmungsfähigkeit jedoch kategorial eingestuft werden (d. h. die Selbstbestimmungsfähigkeit ist entweder vorhanden oder nicht vorhanden), da nur so entschieden werden kann, ob der Patient in dieser Situation selbst zu einer Einwilligung oder Ablehnung einer medizinischen Maßnahme in der Lage ist. Selbstbestimmungsfähigkeit und psychische Erkrankung Bei der Diskussion um die Selbstbestimmungsfähigkeit muss nachdrücklich darauf hingewiesen werden, dass einer Person die Fähigkeit zur selbstbestimmten Entscheidungsfindung nicht allein deswegen fehlt, weil eine psychische Erkrankung (z. B. Schizophrenie, Depression) oder eine kognitive Beeinträchtigung (z. B. Demenz) vorliegt. Die Selbstbestimmungsfähigkeit kann auch nicht allein deshalb verneint werden, weil sich ein Patient selbst nicht für krank hält, obwohl eine psychiatrische Erkrankung gemäß der in Deutschland verbindlichen Diagnosemerkmale (ICD-10) diagnostiziert wurde. Ebenso wenig kann die Selbstbestimmungsfähigkeit allein deshalb verneint werden, weil die Person eine empfohlene oder indizierte Therapie ablehnt. Die Ablehnung einer bestimmten Diagnose oder Therapieoption kann auch zu respektierende persönliche Gründe aufgrund biografischer Erfahrungen und individueller Werthaltungen haben. Der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ist zudem darin zuzustimmen, dass das Vorliegen einer Behinderung alleine die Selbstbestimmungsfähigkeit nicht ausschließt. Die genannten Kriterien der Selbstbestimmungsfähigkeit sind daher in jedem Einzelfall sorgfältig zu überprüfen. Selbstbestimmungs(un)fähigkeit wird dabei immer in Bezug auf eine konkrete medizinische Entscheidungssituation beurteilt. Ein Patient kann z. B. bezüglich einfacher Maßnahmen wie einer Blutabnahme selbstbestimmungsfähig sein, obwohl er nicht in der Lage ist, wirksam in eine komplexe Behandlungsstrategie (z. B. einen operativen Eingriff) einzuwilligen. Willensäußerungen oder andere intentionale Bekundungen bei fehlender Selbstbestimmungsfähigkeit werden im Betreuungsrecht als „natürlicher Wille“ bezeichnet. Darunter fallen verbale wie nicht-verbale Äußerungen (z. B. gezielt abwehrende Gesten und Handlungen). Anwendungsprobleme Die Bedeutung der Selbstbestimmungsfähigkeit in der Medizin ist nicht zuletzt durch höchstrichterliche Entscheidungen aufgewertet worden. Das Bundesverfassungsgericht hat vom Vorhandensein oder Fehlen der Selbstbestimmungsfähigkeit abhängig gemacht, ob bei einer Person Maßnahmen oder Behandlungen zur Abwehr erheblichen gesundheitlichen Schadens gegen ihren „natürlichen Willen“ grundsätzlich durchgeführt werden dürfen. In der Praxis hat der behandelnde Arzt die Aufgabe, die Selbstbestimmungsfähigkeit im Einzelfall unter Berücksichtigung der oben genannten Kriterien der Selbstbestimmungsfähigkeit festzustellen und zu dokumentieren. Da psychische Erkrankungen und kognitive Beeinträchtigungen in der Praxis eine häufige Ursache für die Selbstbestimmungsunfähigkeit von Patienten sind und da Psychiater auch in anderen medizinischen Fachgebieten (z. B. in der Neurologie, Intensivmedizin, Geriatrie oder Chirurgie) zur Abklärung der Selbstbestimmungsfähigkeit konsiliarisch einbezogen werden, haben in der Psychiatrie eine klare Konzeption und eine professionelle kompetente Feststellung der Selbstbestimmungsfähigkeit von Patienten eine besondere Relevanz und hohe praktische Bedeutung. Die Anwendung der Kriterien der Selbstbestimmungsfähigkeit auf konkrete Einzelfälle kann in der Praxis z. B. aufgrund starker Fluktuationen des psychischen Zustands und Ambivalenzen in der Wil- 5 lensbildung des Patienten schwierig sein. Eine einmalige Beurteilung der Selbstbestimmungsfähigkeit ist daher nicht immer ausreichend, da es insbesondere bei Intoxikationen oder organisch bedingten psychischen Störungen zum zeitlich begrenzten Verlust der Selbstbestimmungsfähigkeit kommen kann. Es ist daher eine zentrale Aufgabe von Ärzten und anderen an der Behandlung von Patienten beteiligten Therapeuten, alle geeigneten medizinischen Maßnahmen zu ergreifen, um die Selbstbestimmungsfähigkeit des Betroffenen zu fördern bzw. wiederherzustellen. Es ist gut belegt, dass in manchen Situationen Selbstbestimmungsfähigkeit, z. B. durch Unterstützung von krankheitsbedingt beeinträchtigten kognitiven Funktionen (z. B. durch möglichst einfache, bebilderte Darbietung und übersichtliche Organisation der entscheidungsrelevanten Information) wiederhergestellt werden kann. Solche Unterstützungen sollten, wenn sie möglich sind, eingesetzt werden. Durch bessere Kommunikation können etwaige Zwangsmaßnahmen abgewendet werden. Des Weiteren ist zu beachten, dass die Frage, ob ein Patient selbstbestimmungsfähig ist oder nicht, häufig in klinischen Konfliktsituationen aufkommt, z. B. wenn ein Patient eine das Überleben sichernde Therapie ablehnt und seine Fähigkeiten im Hinblick auf eine selbstbestimmte Entscheidung zwar deutlich eingeschränkt, jedoch nicht gänzlich aufgehoben sind. In einem solchen Fall empfiehlt sich die Hinzuziehung eines unabhängigen, an der Behandlung des jeweiligen Patienten nicht beteiligten Arztes, der die Selbstbestimmungsfähigkeit nach den oben genannten Kriterien professionell beurteilt und dokumentiert. Ein solches Vorgehen kann zur Qualitätssicherung in der klinischen Praxis beitragen und verhindern helfen, dass sich Interessenskonflikte aufseiten des behandelnden Arztes für den Patienten nachteilig auswirken. Aufgrund der hohen ethischen, rechtlichen und klinischen Bedeutung der Feststellung der Selbstbestimmungsfähigkeit eines Patienten besteht an diesem Punkt weiterer Diskussions- und Forschungsbedarf. Damit aktuelle Forschungsergebnisse in der Praxis auch umgesetzt werden, sollten das Konzept der Selbstbestimmungsfähigkeit sowie die Methoden zu ihrer Feststellung fester Bestandteil der fachärztlichen Weiterbildung sowie Inhalt der Fortbildung aller Gesundheitsberufe sein. Selbstbestimmungsfähigkeit und UN-Behindertenrechtskonvention Für Menschen, die an einer chronischen psychischen Krankheit leiden bzw. die seelisch behindert sind, gilt das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention/UN-BRK) aus dem Jahr 2006. Die UN-BRK konkretisiert die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 und weiterer Menschenrechtspakte für Menschen mit Behinderungen. In Artikel 12 der UN-BRK heißt es, dass Menschen mit Behinderungen das Recht haben, überall als Rechtssubjekt anerkannt zu werden, und in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfähigkeit besitzen. Hieraus resultiert der Rechtsanspruch auf die erforderliche Unterstützung bei der gleichberechtigten Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit. Das weiter oben ausgeführte fähigkeitsbasierte Konzept von Selbstbestimmung wurde u. a. mit dem Argument kritisiert, es sei nicht mit der UN-BRK vereinbar. Tatsächlich wird das Konzept der Selbstbestimmungsfähigkeit in der UN-BRK jedoch weder verwendet noch abgelehnt. Grundsätzlich betont die UN-BRK das Recht auf Selbstbestimmung, sie behauptet jedoch nicht, dass Selbstbestimmungsfähigkeit in der Praxis jederzeit vorliegen würde. Vielmehr fordert sie ausdrücklich, die Entscheidungsfindung von Menschen mit behinderungsbedingten Einschränkungen zu unterstützen, statt deren Entscheidungen zu ersetzen. Die Konvention fordert geeignete Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen Zugang zu der Unterstützung zu verschaffen, die sie zur Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit gegebenenfalls benötigen. Bei diesen Maßnahmen sind die Rechte, der Wille und die Präferenzen der Betroffenen zu achten. Die Maßnahmen sollen wirksam vor 6 missbräuchlicher Einflussnahme gesichert werden; sie sollen verhältnismäßig, individuell zugeschnitten und von möglichst kurzer Dauer sein; sie sollen regelmäßig durch eine unabhängige, unparteiische Behörde überprüft werden. Aus den Ausführungen in Art. 12 Abs. 4 der UN-BRK ist ersichtlich, dass ihren Autoren bewusst war, dass es gute Gründe für Einschränkungen von bestimmten Rechten geben kann, die jedoch gegen Missbrauch und Willkür abzusichern sind. Das deutsche Betreuungsrecht basiert auf den gleichen Grundsätzen. Die UN-BRK verbietet es – wie auch andere Menschenrechtsdokumente – nicht grundsätzlich, Menschen mit Behinderungen die Freiheit zu entziehen. Sie verbietet jedoch, die Freiheit willkürlich, rechtswidrig oder nur aufgrund einer Behinderung zu entziehen (Art. 14). Somit verbietet die UN-BRK insbesondere keine Unterbringungen aufgrund von Fremd- oder Selbstgefährdung. Selbstverständlich sind bei solchen Unterbringungen auf gesetzlicher Grundlage stets die oben genannten Unterstützungen zu leisten. Bezüglich der Gesundheitsversorgung gibt die UN-BRK vor, dass Menschen mit Behinderungen eine Versorgung von gleicher Qualität wie andere Menschen erhalten sollen und zusätzlich jene Leistungen, die sie wegen ihrer Behinderung benötigen. Dazu muss eine freie Einwilligung nach vorheriger Aufklärung (Art. 25) vorliegen. Die UN-BRK führt nichts dazu aus, wie vorzugehen ist, wenn eine freie Einwilligung nicht möglich ist, weil der Betroffene aus welchen Gründen auch immer nicht in der Lage ist einzuwilligen. Entscheidend ist vielmehr, dass der Wille und die Rechte von Menschen mit Behinderungen genauso zu respektieren sind wie der Wille und die Rechte aller anderen Menschen. In Fällen, in denen eine Therapie auf die Wiederherstellung einer gegebenenfalls eingeschränkten Selbstbestimmungsfähigkeit zielt, kann sie in der Sache eine Unterstützung zur Wiedererlangung bzw. bei der Ausübung der Rechts- und Handlungsfähigkeit gemäß Art. 12 Abs. 3 UN-BRK sein. Aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung gilt in Deutschland das Prinzip der fähigkeitsbasierten Selbstbestimmungsfähigkeit. Im Fall fehlender oder eingeschränkter Selbstbestimmungsfähigkeit sind nach dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung in engen gesetzlichen Grenzen gegebenenfalls Maßnahmen gegen den „natürlichen Willen“ der Betroffenen möglich, insbesondere wenn sie dem Ziel dienen, Selbstbestimmungsfähigkeit wiederherzustellen. Das Bundesverfassungsgericht sieht keine Unvereinbarkeit seiner Position mit der UN-BRK, da es in seiner Rechtsprechung zur Zwangsbehandlung sowohl auf die UN-BRK Bezug genommen als auch die Selbstbestimmungsunfähigkeit zum entscheidenden Kriterium der Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen gemacht hat. 3. Zwangsmaßnahmen und Zwangsbehandlung: Eine ethische Perspektive Unter Zwangsmaßnahmen werden rechtlich a) Unterbringungen psychisch Kranker gegen deren erklärten Willen in Krankenhäusern und b) unterbringungsähnliche Maßnahmen (wie Fixierungen und Isolierungen) gegen den erklärten Willen verstanden. Ärztliche Zwangsmaßnahmen sind diagnostische und therapeutische Interventionen gegen den erklärten Willen. In der klinischen Praxis kommt es immer wieder vor, dass sich Patienten selbstbestimmt gegen eine medizinische Behandlung entscheiden, die aus ärztlicher Sicht indiziert und unter Umständen dringend notwendig ist, um schwerwiegende gesundheitliche Schäden zu verhindern. Der Arzt hat in solchen Fällen die Pflicht, den Patienten umfassend über den Nutzen und die Risiken der Behandlung und die Konsequenzen einer Ablehnung aufzuklären. Bleibt der Patient jedoch bei seiner ablehnenden Haltung, ist sein selbstbestimmter Wille von ärztlicher Seite zu respektieren, selbst wenn der Patient dadurch seine Gesundheit oder gar sein Leben gefährdet. Zwangsmaßnahmen oder -behandlungen gegen den selbstbestimmten Willen eines Patienten sind ethisch nicht zu rechtfertigen. Analoges gilt für die Einweisung in Kliniken bzw. Unterbringung, die dem Zweck der Behandlung und/oder der Gefahrenabwehr dient. 7 Ebenso wenig sind Maßnahmen gegen den Willen von selbstbestimmungsunfähigen Patienten zu rechtfertigen, die aus medizinischer Perspektive zwar indiziert sind, die aber im Fall der Ablehnung der Therapie weder für den Betroffenen noch für andere eine erhebliche gesundheitliche Gefahr bedeuten würde. Anstelle von Zwang ist in solchen Fällen ein an den Bedürfnissen und der Lebensrealität der Betroffenen orientiertes Behandlungs- und Unterstützungsangebot vor Ort zu fordern. Im Hinblick auf die hierfür erforderlichen sozialpsychiatrischen Versorgungsstrukturen sind aus ethischer Perspektive Änderungen in der gesundheits- und forschungspolitischen Prioritätensetzung erforderlich, um Zwangsmaßnahmen zu verringern. Es gilt, ein gemeindebasiertes psychiatrisches Hilfesystem aufzubauen, das mit ausreichenden Ressourcen ausgestattet ist und sich am Willen der betroffenen Menschen orientiert. Anders ist die Situation einzuschätzen, in der ein Patient krankheits- bzw. behinderungsbedingt nicht selbstbestimmt entscheiden kann und eine Behandlung zurückweist, die aus medizinischer Perspektive notwendig ist, um schwere Gesundheitsschäden zu verhindern oder gar lebensbedrohliche Zustände abzuwenden (z. B. im Fall einer schweren kognitiven Beeinträchtigung infolge von Demenz oder angeborener geistiger Behinderung). Dies stellt Ärzte (u. a. in der Psychiatrie, aber auch in anderen Bereichen wie der Chirurgie, der Geriatrie oder der Notfallmedizin) vor das grundlegende Problem, ob und wann eine Maßnahme oder Behandlung gegen den nicht-selbstbestimmten Willen des Patienten – d. h. eine Zwangsmaßnahme oder Zwangsbehandlung – ethisch zu rechtfertigen ist. In der Praxis können diese Abwägungen sehr schwierig sein, so z. B. bei der Frage, wie schwerwiegend und wie wahrscheinlich Konsequenzen der Nichtbehandlung tatsächlich sein müssen, um eine Maßnahme gegen den „natürlichen“ Willen, d. h. eine aktuelle ablehnende Willensäußerung des Patienten, durchsetzen zu dürfen. Ethische Begründung Begründung von Zwangsmaßnahmen Zwangsmaßnahmen (z. B. die Beschränkung der Bewegungsfreiheit durch Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, ebenso wie Fixierungen bzw. Isolierungen) und Zwangsbehandlungen (z. B. eine medikamentöse Behandlung gegen den Willen des Patienten) sind nur dann ethisch vertretbar, wenn selbstbestimmungsunfähige Personen ihre eigene Gesundheit und ihr Leben (Selbstgefährdung) oder die Gesundheit und das Leben anderer Personen (Fremdgefährdung) konkret und erheblich gefährden und dies durch keine anderen Maßnahmen – wie insbesondere durch ernsthafte Versuche, den Patienten von der Gefährlichkeit seines Verhaltens und seiner Behandlungsbedürftigkeit zu überzeugen – abgewendet werden kann. In der Praxis gefährden sich psychisch Kranke, die Dritte bedrohen, häufig auch selbst. Typische Beispiele für die Anwendung von Zwang bei selbstbestimmungsunfähigen Patienten in der Psychiatrie sind: (I) Selbstgefährdung: Unterbringung auf einer psychiatrischen Akutstation zur Verhinderung einer drohenden Selbsttötung bei akuter Suizidalität; medikamentöse Behandlung eines schizophrenen Wahns mit selbstzerstörerischen Inhalten (z. B. der Überzeugung, fliegen zu können); intravenöse Flüssigkeitszufuhr bei verwirrten und exsikkierten Demenzkranken, die das Trinken verweigern; Gabe lebenswichtiger Medikamente (z. B. Insulin) bei depressivem Negativismus und gleichzeitigem Diabetes mellitus; Unterbringung und medikamentöse Behandlung bei einem lebensbedrohlichen Alkoholentzugsdelir. (II) Fremdgefährdung: Unterbringung und medikamentöse Behandlung bei Fremdaggressivität im Rahmen eines psychotischen oder drogenbedingten Erregungszustands. Hierbei wird durch 8 adäquate antipsychotische Medikation die dem Erregungszustand zugrunde liegende psychische Erkrankung behandelt. Ethisch werden Zwangsmaßnahmen und -behandlungen in solchen Fällen dadurch begründet, dass die psychische Krankheit die Selbstbestimmungsfähigkeit des Kranken so stark beeinträchtigt, dass dieser die Folgen seines Handelns nicht übersehen kann und durch die Ablehnung einer Behandlung sein gesundheitliches Wohl und Leben erheblich bedroht, obwohl er dies im Zustand der Selbstbestimmungsfähigkeit nicht gewollt hätte. Die Behandlung gegen den nicht-selbstbestimmten Willen soll daher den Patienten einerseits vor ungewollten und gravierenden Gesundheitsschädigungen schützen und andererseits – sofern möglich – seine Selbstbestimmungsfähigkeit wiederherstellen. Vor diesem Hintergrund machen klinisch tätige Psychiater häufig die Erfahrung, dass Patienten im Nachhinein dankbar sind, gegen ihren nicht-selbstbestimmten Willen behandelt worden zu sein. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass es Patienten gibt, die auch im Nachhinein mit einer gegen ihren nicht-selbstbestimmten Willen erfolgten Behandlung nicht einverstanden sind, weil sie diese als wenig hilfreich oder gar als traumatisierend oder erniedrigend erlebt haben. Die Folge ist nicht selten ein Vertrauensverlust in der Arzt-Patienten-Beziehung, durch den sich manche Patienten für eine gewisse Zeit oder gar dauerhaft vom psychiatrischen Hilfesystem abwenden. Viel stärker als bislang sollten klinisch tätige Psychiater daher neben den hinlänglich bekannten körperlichen Gefahren von Zwangsmaßnahmen (z. B. Verletzungen oder Todesfälle im Rahmen von mechanischen Fixierungen) potenzielle negative psychische Folgen in die Nutzen-Risiko-Bewertung und ihre Entscheidung für oder gegen derartige Maßnahmen einbeziehen. Es gilt auch zu beachten, dass selbst wenn eine Zwangsmaßnahme (z. B. eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus) als medizinisch indiziert und ethisch gerechtfertigt angesehen wird (z. B. im Rahmen einer schweren depressiven Episode mit Selbstbestimmungsunfähigkeit und akuter Suizidalität), nicht automatisch auf die Legitimität einer Zwangsbehandlung (in diesem Fall z. B. einer antidepressiven Psychopharmakotherapie) geschlossen werden darf. Selbstbestimmungsfähigkeit und das Recht, Unvernünftiges zu wollen, schließen sich nicht aus. Die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer (ZEKO) hat in ihrer Stellungnahme zu Recht auf diesen Punkt hingewiesen. Selbstbestimmungsfähige Patienten haben auch ein „Recht auf Krankheit“ und können auf dieser Grundlage eine nach den Regeln ärztlicher Kunst indizierte Behandlung ablehnen. Beurteilung von Nichtbehandlung bei Fremdgefährdung und von Fixierung/Isolation Kritisch ist jedoch das Argument zu beurteilen, nach dem eine Fremdgefährdung durch aggressives Verhalten aufgrund einer psychischen Erkrankung allein schon durch freiheitsentziehende und sichernde Maßnahmen abgewendet werden kann. Die Nichtbehandlung der die Fremdgefährdung bedingenden psychischen Störung bei einem zwangsweise untergebrachten und zum Schutz von Mitpatienten und Krankenhauspersonal mechanisch fixierten Patienten ist unter ethischen Gesichtspunkten nicht vertretbar, da dem Patienten die Chance vorenthalten wird, seinen Krankheitszustand (und damit auch die Fremdgefährdung) schnell zu überwinden. Darüber hinaus gehen krankheitsbedingte Fremdgefährdungen zumeist auch mit erheblichen Gefahren der Selbstschädigung einher. Eine Fixierung eines hochgradig agitierten, häufig psychotischen oder intoxikierten Patienten ohne gleichzeitige Gabe beruhigender oder antipsychotisch wirksamer Medikamente ist aus psychiatrischer Sicht nicht zu verantworten, da sie mit einer erhöhten Verletzungsgefahr einhergeht und zu erheblichen psychischen Belastungen führen kann. Ohne eine medikamentöse Therapie wird eine mechanische Fixierung in vielen Fällen zudem zeitlich unverhältnismäßig ausgedehnt werden müssen. Aus ethischer Perspektive ist daher sehr fraglich, ob hier mit dem Ziel des erweiterten Schutzes des Patienten nicht de facto eine für den Kranken und alle übrigen Beteiligten inhumanere Situationen befördert wird. 9 Aus psychiatrischer Sicht kann die unterschiedliche normative Bewertung von Zwangsfixierung und Zwangsmedikation in solchen Fällen daher nicht überzeugen. Denn der Perspektive eines besseren Schutzes des Patienten gegenüber Eingriffen in die körperliche Integrität durch Dritte steht die Gefährdung des Kranken durch die psychische Erkrankung selbst gegenüber. Während das Recht primär den Fokus auf den Schutz von Personen gegenüber Eingriffen von außen in den Vordergrund stellt, steht bei der psychiatrischen Beurteilung die Bedrohung des Patienten durch die psychische Erkrankung im Fokus. Diese gefährdet seine freie Entfaltung „von innen“ heraus und erfordert medizinische Hilfe „von außen“. Diese unterschiedlichen Perspektiven von Recht und Psychiatrie führen zu unterschiedlichen normativen Bewertungen dieser schwierigen Situationen. Aus ethischer Perspektive bedarf es aber einer Berücksichtigung beider Aspekte, also sowohl des Schutzes des Kranken gegenüber Eingriffen von außen als auch des Verständnisses der massiven Bedrohung des Patienten durch die psychische Krankheit selbst. Diese unterschiedlichen fachlichen Perspektiven und Bewertungen zwischen Recht und Medizin bedürfen eines interprofessionellen Dialogs in der Praxis und interdisziplinärer wissenschaftlicher Diskussion. Das subjektive Erleben von Patienten, die Zwangsmaßnahmen erleiden müssen, ist mehrfach systematisch untersucht worden. Dabei ergab sich, dass zwangsweise physikalische Freiheitseinschränkungen (über die Unterbringung hinaus) deutlich demütigender und leidvoller erlebt werden, als geeignete medikamentöse Zwangsbehandlungen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sollten daher Fixierungen und Isolierungen ebenso wie medikamentöse Zwangsbehandlungen nur in engen Grenzen erlauben. Ziel muss dabei sein, diese Zwangsmaßnahmen – soweit irgend möglich – zu vermeiden und durch unterstützende Maßnahmen (die ggf. einen höheren Aufwand erfordern) zu ersetzen. Problematisch sind die rechtlichen Regelungen in vielen Landespsychiatriegesetzen, welche die meist als entwürdigend und als besonders einschneidend erlebten mechanischen Fixierungen und Isolierungen (Zwangsmaßnahmen) allein durch die gerichtlich verfügte Unterbringung im Bedarfsfall rechtlich ermöglichen. Der rechtliche Schwellenwert für Fixierungen liegt in den gegenwärtig gültigen Psychiatrie-Krankengesetzen also sehr niedrig. In Anbetracht der Schwere dieses Eingriffs ist eine zusätzlich zur Unterbringung erforderliche rechtliche Genehmigung für Fixierungen und Isolierungen – nach Feststellung eines nicht anders zu begegnenden Bedarfs – geboten. Die Doppelrolle der Psychiatrie und die Verpflichtung von Gesellschaft und Politik Aus psychiatrischer Perspektive ist außerdem einer gesellschaftlichen Haltung nachdrücklich entgegenzutreten, als „lästig“ oder „störend“ empfundene Menschen unter dem Vorwand einer angeblichen „Fremdgefährdung“ gegen ihren Willen in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen. Auch in Fällen minder schwerer krankheitsbedingter fremdgefährdender Verhaltensweisen (etwa wiederholte kleinere Sachbeschädigungen, verbalaggressives Verhalten gegenüber anderen, Betätigung von Feueralarm, Spucken, Werfen von Gegenständen in Richtung anderer Menschen) sind eine psychiatrische Unterbringung und Behandlung gegen den Willen der betroffenen Kranken aus psychiatrischer Perspektive ethisch nicht gerechtfertigt. Noch bedenklicher sind die Regelungen in Landespsychiatriegesetzen zu Zwangsunterbringungen im Fall von erhaltener Selbstbestimmungsfähigkeit des Patienten. Vor dem Hintergrund, dass es sich bei Zwangsmaßnahmen und -behandlungen um gravierende Grundrechtseingriffe handelt, ist eine fachliche und gesellschaftliche Diskussion über die zukünftige Ausgestaltung der ordnungspolitischen Funktion der Psychiatrie dringend notwendig, die auch die Frage miteinbezieht, welchen Grad von Belästigung die Gesellschaft zu akzeptieren bereit ist und wie die unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteure ihre Haltung ethisch begründen. Der Psychiater und Psychotherapeut ist als Arzt primär dem Schutz und der Wiederherstellung der Gesundheit des Patienten verpflichtet. Die ihm ordnungspolitisch zugewiesene zusätzliche Rolle (Doppelrolle) in der Kon- 10 trolle sozialen Verhaltens führt häufig in unauflösbare Rollenkonflikte. Der Gesetzgeber muss dafür Sorge tragen, dass solche Rollenkonflikte, soweit irgend möglich, im Interesse der Patienten vermieden werden. Zusammenfassend ist zu sagen, dass nur in Ausnahmefällen die Anwendung von Zwang bei psychisch kranken Menschen unter streng definierten Voraussetzungen gerechtfertigt ist. Dies sollte allen im psychiatrischen Versorgungssystem tätigen Personen bewusst sein und gegenüber Dritten (z. B. Angehörigen, ärztlichen Kollegen aus anderen Disziplinen, der Polizei) klar und deutlich vertreten werden. In bestimmten Fällen kann es jedoch ethisch gerechtfertigt und geboten sein, Maßnahmen oder Behandlungen gegen den nicht-selbstbestimmten Willen von Patienten durchzuführen, um schwere Gefahren für die Gesundheit und das Leben der Betroffenen abzuwenden. Angesichts der aber auch in solchen Fällen vorhandenen und zum Teil erheblichen physischen und psychischen Belastungen für den Patienten sind mit Nachdruck Maßnahmen zu fordern, die den Einsatz von Zwang in der Psychiatrie auf ein Minimalmaß reduzieren. In dieser Hinsicht besteht in psychiatrischen Kliniken an vielen Stellen erheblicher Verbesserungsbedarf. Der Gesellschaft und Politik obliegt es, zur Wahrung der Menschenrechte psychisch Kranker hierfür die strukturellen Voraussetzungen zu schaffen (wie auch von der ZEKO 2013 gefordert). Die folgenden Empfehlungen für die klinische Praxis sollen einen Beitrag dazu leisten, dass in Zukunft so häufig wie möglich auf die Ausübung von Zwang verzichtet werden kann. 4. Empfehlungen für die klinische Praxis Ärztliche Vertrauensbildung bei selbstbestimmungsunfähigen Patienten Sowohl die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als auch die neuen Regelungen im Betreuungsrecht fordern, dass die behandelnden Ärzte durch vertrauensbildende Maßnahmen ohne Zeitdruck versuchen, von gesprächsfähigen Patienten, die vorgeschlagene medizinischen Maßnahmen ablehnen, dennoch eine Zustimmung zu erhalten. Damit betont das Recht den hohen Stellenwert des Ausschöpfens aller möglichen kommunikativen und vertrauensbildenden Maßnahmen zwischen Arzt und Patient, um Zwangsmaßnahmen zu vermeiden. Diese Intention ist ethisch hochrangig. Auf der anderen Seite bleibt es weitgehend im Unklaren, was in der Praxis im Gespräch zwischen Arzt und selbstbestimmungsunfähigen Patienten genau geschehen soll. Der Fokus eines solchen ArztPatient-Gespräches kann nicht primär auf einer rationalen Information und Argumentation liegen, da ein selbstbestimmungsunfähiger Patient diese aufgrund seiner psychischen Erkrankung nur sehr eingeschränkt für seine Willensbildung nutzen kann. Seine Ablehnung beruht auf einer natürlichen, krankheitsbedingt aber veränderten Willensäußerung, die durch Zuwendung, Zeitinvestition, Wertschätzung und Vertrauensbildung überwunden werden soll. Doch diese Interaktion ist nur schwer von Manipulation, Täuschung und fragwürdiger Überredung transparent abgrenzbar. Die Grenzen zwischen einem ethisch zu rechtfertigenden Überzeugungsversuch, Überredung und einer abzulehnenden Manipulation sind unscharf. In diesem Graubereich besteht eine neue Missbrauchsgefahr. Daher ist es für die klinische Praxis wichtig, dass Psychiatrie und Psychotherapie diesen vom Recht vorgegeben Rahmen verantwortlich ausfüllt und professionell gestaltet. Hierbei können z. B. Best-PracticeBeispiele, Fallsammlungen, Kommunikationshilfen und Fortbildungsmodule für die ärztliche Weiterund Fortbildung helfen. Darüber hinaus können Maßnahmen wie offene Stationstüren und weitergehende Kompromisse und Absprachen bezüglich der Stationsregeln vertrauensbildend wirken. BestPractice-Leitlinien liegen hierzu noch nicht vor und müssen noch entwickelt werden. Schließlich ist es erforderlich, in der psychiatrischen Wissenschaft Kriterien zu entwickeln, nach denen die o. g. Bemü- 11 hungen professionell als gescheitert anzusehen sind und ethisch verantwortbare Zwangsmaßnahmen mit gerichtlicher Genehmigung durchgeführt werden können. Diese Grenzziehung wird in der psychiatrischen Praxis hohe praktische Bedeutung haben, denn Situationen, in denen eine Zwangsbehandlung erwogen wird, entstehen stets im ethischen Spannungsfeld zwischen dem Recht des Patienten auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit und der ärztlichen Verpflichtung zum professionellen Handeln zum gesundheitlichen Wohl sowie zur Wiederherstellung der Selbstbestimmungsfähigkeit des Kranken. Dabei sind bisher die Anforderungen an die natürliche Willensbildung und die Kriterien zur Überwindung dieser natürlichen Willensäußerung mittels Zwang zum gesundheitlichen Wohl des Patienten weitgehend ungeklärt. Hier besteht sowohl theoretischer als auch praktischer Forschungsbedarf. Weiterhin wird es für die praktische Durchführung von hoher Bedeutung sein, inwieweit diese ärztlichen Gespräche mit dem Patienten ohne Zeitdruck im Krankenhausalltag zu realisieren und zu finanzieren sind. Hierbei fällt auf, dass die gestiegenen rechtlichen Anforderungen im Betreuungsrecht (BGB) zeitgleich zu gestiegenen Kosteneffizienzanforderungen im Rahmen des neuen pauschalierenden Entgeltsystems für Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) im Rahmen des Sozialrechts stehen. Wenn die Spannung zwischen Anforderungen des BGB und unzureichender Ausstattung durch das Sozialrecht weiter zunehmen, wird die Gesetzgebung unglaubwürdig und die im Gesundheitswesen Tätigen kommen in eine ethisch nicht zu verantwortende Konfliktsituation. Verbesserungen auf struktureller Ebene Von herausragender Bedeutung für eine gute klinische Praxis im Umgang mit Zwangsmaßnahmen und -behandlungen ist die strukturierte Schulung aller an der Behandlung beteiligten Berufsgruppen hinsichtlich der medizinischen, ethischen und rechtlichen Grundlagen. Aus ethischer Sicht geht es dabei nicht nur um die Vermittlung von Wissen, sondern um die Schaffung und Schärfung moralischer Urteilskraft, die gerade auch die Probleme und Widersprüche in diesem Feld zu sehen und aufzugreifen vermag. Eine solche Art der Weiterbildung existiert vereinzelt, weder ist sie aber in der aktuellen Musterweiterbildungsordnung für das Fach Psychiatrie und Psychotherapie verankert, noch existieren entsprechende strukturierte Angebote z. B. seitens der Fachgesellschaft. Diesbezüglich besteht erheblicher Handlungsbedarf. In den Behandlungsabläufen und in ihrer personellen, sachlichen und räumlichen Ausgestaltung muss die Vermeidung von Zwangsmaßnahmen oberste Priorität haben, gefolgt von ihrer möglichst schonenden, minimal invasiven und minimal traumatisierenden Durchführung, wenn sie sich als nicht vermeidbar erweisen. Organisatorische und räumliche Maßnahmen können wirkungsvoll Zwangsmaßnahmen reduzieren. Maßnahmen der Deeskalation in Krisensituationen wie die Zurverfügungstellung von Raum und Zeit, Bewegungsmöglichkeiten (z. B. durch Gartennutzung, Kickerspiel, die Möglichkeit, eine Zigarette zur Beruhigung zu rauchen) sind ebenso wie die Zurverfügungstellung von Möglichkeiten des Aggressionsabbaus konkrete, in der Praxis bewährte Maßnahmen. Hilfreich können auch die insbesondere im englischsprachigen Raum erprobten Haltetechniken sein, um Zwangsfixierungen oder räumliche Separation zu reduzieren, auch wenn diese in Deutschland keine Tradition haben und wegen des körperlichen Kontaktes möglicherweise als übergriffig beurteilt werden könnten. Die Qualität und Quantität des Personals sowie die Anordnung obligatorischer, aber unvermeidlich kostenintensiver 1:1 Betreuungen können nicht nur die Häufigkeit von Zwangsmaßnahmen, sondern auch die verursachten Belastungen für die Patienten bei einer notwendigen Fixierung reduzieren. Hinzu kommt, dass die durch personalintensive Betreuung mögliche Öffnung vormals geschlossener Stationen vertrauensbildend wirken und Zwangsmaßnahmen und Entweichungen signifikant senken kann. Die wenigen Studiener- 12 gebnisse, die zur Frage einer wirksamen Reduktion von Zwangsbehandlungen im klinischen Setting vorliegen, weisen darauf hin, dass eine Reduktion von Zwangsbehandlungen durch kommunikative Professionalität des Personals, aber insbesondere auch durch strukturelle, also eine angemessene räumliche und personelle Ausstattung der Kliniken, zu erreichen ist. Hier wäre auf politischer Ebene die angemessene Finanzierung der psychiatrischen Versorgung sicherzustellen, sodass die normativen Forderungen an eine dem Selbstbestimmungsrecht der Patienten entsprechende Behandlung im Rahmen der strukturellen Ausstattung der Behandlungseinrichtung umgesetzt werden können. An die Aus-, Weiter- und Fortbildung einschließlich regelmäßiger Supervision und Prozessreflexion von Mitarbeitern, die unvermeidliche Zwangsmaßnahmen durchführen, sind sehr hohe Ansprüche zu stellen, damit stets nur die am wenigsten invasiven und traumatisierenden Maßnahmen ergriffen und diese nur möglichst kurz fortgeführt werden. Standard muss die Nachbesprechung solcher Maßnahmen mit dem Patienten, im Team und gegebenenfalls mit weiteren mittelbar Betroffenen sein sowie die Verankerung des Umgang mit Zwangsmaßnahmen bzw. -handlungen in den Weiterbildungsprogrammen. Klinische Ethikberatung Schließlich hat die gelebte Behandlungskultur mit der Notwendigkeit des Erklärens, Begründens und Vertretens von Zwangsmaßnahmen gegenüber den betroffenen Patienten und ihren Angehörigen sowie im Behandlungsteam eine wesentliche Auswirkung auf deren Reduktion. Eine besondere Ausgestaltung einer solchen veränderten Behandlungskultur stellt die klinische Ethikberatung dar. Erste Erfahrungen bei der Einbeziehung von klinischer Ethikberatung in Situationen, in denen eine Zwangsbehandlung erwogen wurde, zeigen, dass klinische Ethikberatung durch das gemeinsame Gespräch und die dadurch zum Ausdruck gebrachte Wertschätzung gegenüber dem Patienten erreichen kann, dass dieser danach eine medizinisch indizierte Maßnahme oft nicht mehr ablehnt und Zwangsmaßnahmen vermieden werden können. Den Behandlern bietet die klinische Ethikberatung durch die Einbeziehung und Moderation einer in ethischen Entscheidungsprozessen geschulten, nicht an der Behandlung des jeweiligen Patienten beteiligten Person die Möglichkeit, ihr eigenes Handeln zu reflektieren und schließlich eine ethisch begründete Entscheidung zu treffen. Solche Beratungen in schwierigen Entscheidungssituationen tragen zur Best-Practice-Schulung bei. Darüber hinaus können klinische Ethikkomitees durch Fortbildungsveranstaltungen positiv auf die Behandlungskultur einwirken und die Mitarbeiterschaft für ethische Aspekte im klinischen Alltag und im Zusammenhang mit Zwangsmaßnahmen sensibilisieren. Durch die Entwicklung ethischer Leitlinien können sie außerdem dazu beitragen, klinische Entscheidungsprozesse zu strukturieren und ethische Standards zu sichern. Auf dieser Basis sollte auch mit Betroffenenverbänden und der Öffentlichkeit der Dialog gesucht werden. Vorausverfügungen Der gestiegene ethische und rechtliche Stellenwert der Patientenselbstbestimmung in der modernen Medizin hat zur Entwicklung von Vorausverfügungen geführt, mit deren Hilfe Patienten die Möglichkeit haben, im Voraus Entscheidungen für den Fall zu treffen, dass sie krankheitsbedingt eines Tages ihre Selbstbestimmungsfähigkeit verlieren. Neben Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen gehören Patientenverfügungen zu den gesetzlich verankerten Instrumenten. In der klinischen Praxis haben sich auch Behandlungsvereinbarungen zwischen dem Patienten und der Behandlungseinrichtung/dem Behandler als Instrument der vorausverfügten Selbstbestimmung bewährt. Patientenverfügungen haben auch bei psychischen Erkrankungen rechtsverbindlichen Charakter, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (u. a. schriftliche Form, gegebene Selbstbestim- 13 mungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Abfassung). Ihre Rechtsverbindlichkeit schützt Patienten davor, dass ihre Behandlungswünsche übergangen werden, verdeutlicht aber auch die hohe Verantwortung, die Patienten für die eigene Gesundheit und den eigenen Behandlungsverlauf haben. Im klinischen Alltag können dadurch ethische Konfliktsituationen entstehen, z. B. wenn Patienten in einer Patientenverfügung eine potenziell wirksame Therapie ablehnen (etwa eine antipsychotische Medikation bei einer akuten Psychose) und dadurch die Wiederherstellung ihrer Selbstbestimmungsfähigkeit und die Behandlung von krankheitsbedingter Eigen- oder Fremdgefährdung erschwert oder verhindert wird. Das therapeutische Team befindet sich dabei nicht selten in einer ethischen Dilemmasituation, weil es einerseits die Patientenverfügung und damit die Selbstbestimmung des Patienten respektieren, aber andererseits negative Krankheitsverläufe akzeptieren muss, die zum Teil im krassen Widerspruch zum gesundheitlichen Wohl des Patienten und dem ärztlichen Ethos stehen. An diesem Punkt ist eine intensive gemeinsame Diskussion von Professionellen, Betroffenen und Angehörigen erforderlich, um Patientenverfügungen in Zukunft stärker als bislang als Instrumente zur Förderung von Selbstbestimmung und Wohl der Patienten einsetzen zu können. Neben den gesetzlich verankerten Patientenverfügungen sind Vorausverfügungen entwickelt worden, die stärker den dialogischen Prozess zwischen Behandlern und Patienten betonen. Sowohl Behandlungsvereinbarungen („joint crisis plans“) als auch das Konzept der gesundheitlichen Vorausplanung („advance care planning“) beruhen auf einem strukturierten und professionellen Gesprächsprozess. Sie stärken auf diese Weise sowohl das Vertrauen zwischen Therapeuten und Patienten als auch die partizipative Entscheidungsfindung. Dank ihrer lokalen bzw. regionalen Implementierung stellen sie in psychiatrischen Krisensituationen (in denen Zwangsmaßnahmen erforderlich werden könnten) den unterschiedlichen Akteuren des psychiatrischen Hilfesystems wichtige Informationen über die vom Patienten gewünschten Behandlungsmaßnahmen zur Verfügung und geben im Idealfall auch Auskunft darüber, welche Maßnahmen in vergleichbaren früheren Situationen hilfreich waren. Im Hinblick auf das Ziel, Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie so weit wie möglich zu reduzieren, sollten Vorausverfügungen in ihren verschiedenen Ausgestaltungen stärker als bislang zum Gegenstand von Fort- und Weiterbildungsangeboten gemacht werden. Dabei sollten ethische und rechtliche Kenntnisse vermittelt und anhand von konkreten klinischen Fällen diskutiert werden, um Unsicherheiten und Vorbehalten unter praktisch tätigen Psychiatern zu begegnen. Psychiatrie und Medizinethik sollten die Implementierung von Vorausverfügungen im Rahmen von Forschungsprojekten begleiten, damit Anwendungsschwierigkeiten im klinischen Alltag erkannt und die tatsächlichen Auswirkungen der entsprechenden Instrumente auf den Behandlungsverlauf und die Häufigkeit und die Dauer von Zwangsmaßnahmen erfasst werden können. 5. Ausblick Der Respekt vor der Selbstbestimmung des Patienten und das Handeln zum gesundheitlichen Wohl des Kranken stellen grundlegende ethische Prinzipien in der Psychiatrie und Psychotherapie dar. In einer kleinen Gruppe von psychisch schwer erkrankten Patienten kann jedoch die Situation auftreten, dass selbstbestimmungsunfähige Patienten sich und Dritte in einem Ausmaß gefährden, dass zu ihrem gesundheitlichen Wohl Zwangsmaßnahmen erforderlich sind. In der konkreten Situation muss individuell auf der Grundlage von medizinischen, ethischen und rechtlichen Kenntnissen das Vorgehen festgelegt und begründet werden. In der Praxis handelt es sich dabei häufig um ethische Dilemmasituationen, in denen kein ideales Vorgehen zu erreichen ist. Besonders die zwangsweise Behandlung zum ausschließlichen Schutz der Rechtsgüter Dritter treibt den Psychiater in einen unauflöslichen Konflikt, der durch die ordnungspolitische Aufgabenzuteilung an die Psychiatrie („Doppelfunktion“) verschärft wird. Dieses Dilemma wird auch durch international sehr divergierende rechtliche, 14 ethische und klinische Standards deutlich. Das Erreichen eines ethischen Optimums macht eine verstärkte internationale Diskussion notwendig. Durch die demografische Entwicklung mit der Zunahme z. B. gerontopsychiatrischer Erkrankungen wird diese Problematik wachsende Praxisbedeutung erlangen. Daher sind Verbesserungen in der Erforschung von Zwangsmaßnahmen, insbesondere aus der Betroffenenperspektive, ebenso erforderlich wie die Entwicklung und Erprobung von Maßnahmen (z. B. Kommunikationskompetenz, klinische Ethikberatung, Vorausverfügungen) zur Reduzierung von Zwangsbehandlungen. Diese Maßnahmen werden in der Praxis jedoch nur dann erfolgreich sein, wenn auch die institutionellen Rahmenbedingungen verbessert und finanzielle Mittel für deren Realisierung zur Verfügung gestellt werden. Hierzu sind Änderungen der Prioritätensetzungen im Gesundheitswesen erforderlich wie z. B. die bessere Verzahnung von stationärem und ambulantem Bereich, die Förderung der gemeindenahen Versorgungsstrukturen, Versorgungsforschung und vor allem die qualitativ wie quantitativ gute personelle Ausstattung. Eine Anhebung der rechtlichen, ethischen und professionellen Standards ohne gleichzeitige strukturelle und finanzielle Realisierungsmöglichkeit ist unehrlich, frustriert die Beteiligten und trägt nicht zu einer besseren Patientenversorgung bei. Für den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN) Prof. Dr. med. Wolfgang Maier Reinhardtstraße 27 B D-10117 Berlin Tel.: 030-240 477 20 Fax: 030-240 477 229 E-Mail: [email protected] Zentrum für Psychosoziale Medizin Jahresbericht 2015 Ihr Weg zu uns Mit dem Auto aus Richtung Hamburg kommend (A23) »» Ausfahrt Itzehoe Nord »» Rechts Richtung Innenstadt / Klinikum »» Nach ca. 3 km links abbiegen in die Robert-Koch Straße »» Wir halten sowohl im oberen als auch im unteren Bereich der Robert-Koch-Straße kostenpflichtige und kostenfreie Parkplätze für Sie vor. Bitte folgen Sie der Beschilderung. Mit der Bahn »» Vom Bahnhof Itzehoe kommend, erreichen Sie in ca. 5 Gehminuten den ZOB und gelangen mit den Buslinien 4 oder 8 direkt zum Klinikum Itzehoe. Heide Flughafen Hungriger Wolf Itzehoe Nord »»Klinikum Itzehoe straße nd La it we zer- Ring te Al rt-Sch be Al B77 rS tr. B206 Lindenstr. Bru er Peter Lang Kaise rst r. B77 Hamburg nauerallee Ade A23 g rfe do S a ndberg n Ede Itzehoe West B206 Akademisches Lehrkrankenhaus der Universitäten Kiel, Lübeck und Hamburg Zweckverband des Kreises Steinburg und der Stadt Itzehoe t ie rt . b tr Ro c S Ko h- e ee uss Schenefelder Ch a Itzehoe nn en s Zentrum für Psychosoziale Medizin Robert-Koch-Str. 2, 25524 Itzehoe [email protected] www.klinikum-itzehoe.de »»Verantwortlich Prof. Dr. med. Arno Deister Itzehoe 2015 [email protected]