Musikalischer Intro

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SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 Wissen - Manuskriptdienst
Ein Blick in die Unendlichkeit
Autor: Uwe Springfeld
Redaktion: Detlef Clas
Regie: Günter Maurer
Sendung: Montag, 14. September 2009, 8.30 Uhr, SWR 2
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Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen
Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula
(Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in
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Besetzung:
Sprecher
Sprecherin
Erzähler
Dieses Manuskript enthält Textpassagen in [Klammern], die aus Zeitgründen in der
ausgestrahlten Sendung gekürzt wurden.
Musikalischer Intro
Sprecher:
Eines ist sicher. Der Unendlichkeit kann man sich nicht annähern. Wie sollte man auch?
Von was sollte es unendlich viel geben? Unendlich viele Meter? Unendlich viele
Lichtjahre oder astronomische Einheiten? Oder unendlich viele Fische im Meer,
Regentropfen im Wolkenbruch, Staubkörner in der Wüste? Selbst wenn man jedes
einzelne Atom im Universum zählen würde, bekäme man nur eine sehr, sehr große
Zahl heraus. Diese nahezu unendlich große Zahl wäre mit Sicherheit immer noch
unendlich viel kleiner als die Unendlichkeit selbst.
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Ansage:
Ein Blick in die Unendlichkeit. Eine Sendung von Uwe Springfeld.
Sprecherin:
Kann man die Unendlichkeit nur erahnen? Bleibt sie unzählbar und unbegrenzt? Muss
sie unermesslich bleiben und kann man sich ihr nur durch Poesie nähern, wie es
beispielsweise Anfang des 19. Jahrhunderts der italienische Dichter Giacomo Leopardi
mit seinen „die Unendlichkeit“ übertitelten Versen versuchte?
Erzähler:
Lieb war mir immer dieser stille Hügel // Und diese Hecke, die dem Blick verbirgt // den
Zirkel des fernen Horizonts. // Doch wenn ich sitz' und schaue, male ich mir aus //
Ungeheure Räume jenseits von allem, // Orte so übermenschlichen Schweigens // Und
so furchtbarer Stille, // dass mir das Herz gefriert. // Und wenn den Wind // Ich durch die
Blätter rauschen höre, // Vergleich' ich seine Stimme
jenem unendlichen Schweigen: // Vor mir steht die Ewigkeit, // Alle Zeiten, vergangen
und tot, // gegen den Lärm der Lebenden. // Im Unendlichen versinkt mein Geist: // Und
Untergang ist süß auf diesem Meere.
Musikalischer Trenner
Sprecherin:
Kann man die Unendlichkeit tatsächlich nur erahnen? Entzieht sie sich jeder
Naturwissenschaft? Muss jeder Versuch, sich der Unendlichkeit zu nähern, deshalb
schon im Ansatz stecken bleiben? Selbst wenn sie von solchen Genies stammen wie
Leonardo da Vinci? Kann man die Unendlichkeit sichtbar machen, wie er es wollte?
Kann man eine Unendlichkeitsmaschine konstruieren?
Sprecher:
Leonardo Da Vinci wusste: Wenn ein sehr kleines Zahnrad ein sehr großes antreibt,
muss es sich nahezu unendlich oft drehen, bis sich das große auch nur rührt. Aus
diesem Wissen konstruierte er ein Getriebe. Die Unendlichkeitsmaschine. Kleine und
große Zahnräder griffen derart ineinander, indem die einzelnen Räder von vorn nach
hinten langsamer und langsamer laufen. Während vorn das kleine Zahnrad auf Teufel
komm raus rotiert, rührt sich das letzte einfach nicht. Fast nicht. Die hektischen,
endlichen Bewegungen scheinen irgendwo im Räderwerk stecken zubleiben, im Nichts
zu verschwinden, sich zu unendlichem Stillstand zu verwandeln.
Natürlich verschwindet die Bewegung nicht vollständig. Auch wenn die technischen
Daten von da Vincis Unendlichkeitsmaschine beeindruckend sind. Bei manchen
Konstruktionen muss das erste Rad einige Jahrmillionen rotieren, bis sich das letzte
auch nur einmal um die eigene Achse gedreht hat. Aber das letzte Rad dreht sich, wenn
auch nur sehr wenig.
Sprecherin:
Unendlichkeit. Sie erscheint unerreichbar. Auch wenn man die Unendlichkeitsmaschine
perfektioniert, auch wenn das erste Rad für Jahrmilliarden rotieren muss, bis sich das
letzte Rad rührt, erzeugt die Maschine keinen unendlichen Stillstand. Es braucht nur
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sehr, sehr viel Jahre, bis die Bewegung sichtbar wird. Die Unendlichkeitsmaschine
selbst ist eine Täuschung.
Müssen Forscher vor der wirklichen Unendlichkeit kapitulieren? Weil sie sich allen
wissenschaftlichen Methoden entzieht? Wie zum Beispiel denen des belgische
Astronomen und Priesters Georges Lemaître?
Sprecher:
Was irgendwo hingeht, muss von irgendwo herkommen, könnte sich Georges Lemaître
mit Blick auf das expandierende Universum gesagt haben und rechnete die
Expansionsbewegung einfach zurück zu ihrem Ursprung, dem Big Bang, wie der
damalige Kritiker dieser Theorie, Sir Fred Hoyle, polemisch spottete. Denn Hoyle hatte
ein starkes Argument gegen die Idee vom Urknall auf seiner Seite. Sollte die Theorie
von der Entstehung des Universums aus dem Nichts richtig sein, hätte alle Materie des
Universums einmal in einem unendlich kleinen Punkt versammelt sein müssen. Ihre
Dichte wäre darin nicht nur überaus groß, sondern im wahrsten Sinne des Wortes
unendlich groß. Mit der ganz direkten Folge, dass in diesem Ur-Universum alle
Naturgesetze zusammengebrochen wären und ihre Gültigkeit verloren hätten.
Sprecherin:
Die Unendlichkeit mag alle Naturgesetze bezwingen. Trotzdem kann man sie nutzen.
Wissenschaftlich. Mathematisch. Die Unendlichkeit der Zahlen. Für
Verschlüsselungstechniken, wie sie die drei Mathematiker Ronald Rivest, Adi Shamir
und Leonard Adleman 1977 am Massachusetts Institute of Technology entwickelten.
Das nach ihren Nachnamen benannte RSA-System, das oft im Internet eingesetzt
wurde. Bei dieser Technik spielen Primzahlen eine wichtige Rolle. Also Zahlen, die sich
wie eins, zwei, drei, fünf, sieben und elf nur durch eins und sich selbst teilen lassen. Da
es unendlich viele Zahlen gibt mit unendlich vielen Primzahlen darin, sagten sich die
drei ganz richtig, kann man aus ihnen unendlich komplizierte Verschlüsselungssysteme
konstruieren.
Sprecher:
Die Unendlichkeit. Wird die Welt unbeschreibbar, sobald die Unendlichkeit irgendwo
auftritt? Weil die Naturgesetze ihren Sinn verlieren? Weil die physikalische Welt nicht
mehr kalkulierbar ist? Ist andererseits die Unendlichkeit nur von Bedeutung, weil man
sie selbst nicht erreichen kann? Und wenn man sich noch so sehr bemüht? Weil man
durch Zählen lediglich zu großen Zahlen kommt, aber nicht über große Zahlen hinaus,
wie es beispielsweise Ringelnatz in seinem Maiengruß gerne ausgedrückt hätte?
Erzähler:
Weil Berlin voraus in Sicht ist, // Und die Sonne mich bestrahlt. // Und je länger ein
Gedicht ist, // Desto besser wird's bezahlt.
Darum: Hundertzweiundneunzig // Tausend und fünfhundertzwei // Oder noch mehr
Leute freun sich. // Denn der Winter ist vorbei.
Elf Millionen zweimal hundert // Tausend siebenhundertzehn // Menschen sind etwas
verwundert, // Weil kein Maikäfer zu sehn.
Vier Trillionen neun Billionen // Zirka siebenhundertelf // Milliarden fünf Millionen
Achtzehntausend hundertzwölf – –
Und ich könnte das erweitern // Bis in die Unendlichkeit, // Doch ein Dichter tritt den
heitern // Frühlingszarten Mai nicht breit.
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Musikalischer Trenner
Sprecherin:
Unendlichkeit. Ein Blick ins Wörterbuch macht die Sprachlosigkeit deutlich. Ewigkeit
steht dort als bedeutungsgleich verzeichnet. Grenzenlosigkeit. Unbegrenztheit. Als ob
es eine Grenze in Raum und Zeit gebe, hinter der die Unendlichkeit lauern würde. Solch
eine Grenze gibt es aber nicht.
Sprecher:
Raum und Zeit. Darin versuchten griechische Philosophen der Antike die Unendlichkeit
zu fangen. Zum Beispiel Anaxiamander, sechstes Jahrhundert vor Christus. Er nahm
an, alles Endliche gehe aus einem auf ewige Zeiten bestehenden und auf immer
teilbaren Urstoff hervor, den er das Grenzenlose, das Unbestimmbare nannte. Apeiron,
der Ursprung aller Dinge.
Zum Beispiel Paramenides, fünftes Jahrhundert vor Christus. Er fragte wie manches
Kind heute: Was liegt hinter dem Universum? Antwort: Das Universum grenzt an nichts
an. Deshalb muss es selbst unendlich groß sein.
Zum Beispiel Anaxagoras. Viertes Jahrhundert vor Christus. Ihm war als erstem
aufgefallen, dass das Unendliche nicht unendlich groß sein muss. Es kann auch
unendlich klein sein, denn man kann das Endliche permanent verkleinern. Daraus
formulierte sein Meisterschüler Zenon von Elea das berühmte Paradoxon vom Wettlauf
zwischen Achill und der Schildkröte.
Erzähler:
Einst wurde Achill, der schnellste Läufer des griechischen Heeres, von einer Schildkröte
zum Wettlauf herausgefordert. In seiner Großmut gab Achill dem Tier zwölf Attische
Fuß Vorsprung. Natürlich lief der Held viel schneller als die Schildkröte. Als er nach
zwölf Attischen Fuß an die Stelle kam, wo sein Gegner gestartet war, war die
Schildkröte erst vier Fuß weiter gekrochen. Und als Achill diese vier Fuß zurückgelegt
hatte, war das Tier erst einen Fuß weitergekommen. Doch dann bemerkte der Held von
Troja etwas Eigenartiges. Immer, wenn er an die Stelle kam, wo die Schildkröte gerade
noch gewesen war, war das Tier schon ein Stückchen weiter gekrochen. Achill konnte
die Schildkröte gar nicht überholen!
Sprecherin:
Schließlich betrat der Großmeister der griechischen Philosophie die Bühne der
Geschichte. Der Mathematikhistoriker Walter Purkert von der Universität Bonn.
Cut 1. (Purkert-9; 0:20)
Die Analyse des Unendlichkeitsbegriffs stammt bereits von Aristoteles im 4.
Jahrhundert vor Christus – einmal als potentielles Unendlich, zum Beispiel die
Zahlenreihe – Man kann immer weiter und weiter zählen. Oder, wenn ich eine Strecke
habe, ich kann sie immer weiter und weiter teilen aber nie komme ich zu einem Ende,
also zu einem Punkt.
Sprecher:
Man kann sich das Unendliche durchaus vorstellen, argumentierte Aristoteles. Die
Gedanken sind frei. Daraus folgt aber nicht, dass es das Unendliche tatsächlich gibt.
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Also unterschied der große Analytiker der griechischen Philosophie in zwei Fälle. Den
einen nannte er das potentielle Unendliche. Also das Unendliche in der menschlichen
Vorstellung, das man durch Überschreiten aller Grenzen aus dem Endlichen heraus
erreichen will, aber nicht kann. Im Unendlichen wird man nie ankommen. Weder zum
unendlich Kleinen hin, indem man die Rennstrecke von Achill und der Schildkröte
unendlich oft teilt. Noch zum unendlich Großen hin, indem man alle Staubkörner in der
Wüste, alle Regentropfen eines Wolkenbruchs oder alle Atome des Universums „eins,
zwei, drei“ zählt. Diese Unendlichkeit besteht nur als Idee, als Vorstellung und als
Möglichkeit. Als Potential. Aber nicht in der Wirklichkeit.
Deshalb sollte es laut Aristoteles eine wirkliche Unendlichkeit, ein tatsächlich Endloses,
ein reales Infinitum oder in seinen Worten, ein aktual Unendliches, nicht geben.
[Cut 2. (Purkert-10; 0:20)
Das aktuale Unendliche, das wäre eine wirkliche, unendliche Gesamtheit, etwa ein
unendlicher Körper, ein unendlicher Raum. Und Aristoteles war der Meinung, dieses,
das aktual Unendliche, das kann es nicht geben. Sogar das Universum ist ihm eine
große, unendliche Kugel. Infinito actu non datur. Ein aktuales Unendlich gibt es nicht.
Musikalischer Trenner
Sprecherin:
Unendlichkeit. Solch ein Geist fehlte. Der sich hinsetzt und sie anschaut. Wie Dante im
33. Gesang der Göttlichen Komödie.
Erzähler:
O überreiche Gnad’! Ich dürft’ es wagen, // Fest zu durchschau’n des ew’gen Lichtes
Schein // Und ins Unendliche den Blick zu tragen. // Er drang bis zu den tiefsten Tiefen
ein; // Die Dinge, die im Weltall sich entfalten, // Sah ich durch Lieb’ im innigsten Verein.
Sprecherin:
Das Problem: Denkt man über sie nach wie über eine sehr große Zahl, ist man schon
hereingefallen. Die Unendlichkeit ist keine sehr große Zahl. Sie ist etwas vollkommen
anderes. Man ist auch hereingefallen, wenn man sich das Unendliche wie eine große,
schwarze Kugel vorstellt, in deren Vakuum Galaxien und Sterne kreisen, die man
Universum nennt und in deren Mitte irgendwo ein kleiner blauer Planet schwebt mit
einer Spezies darauf, den Homo Sapiens, die versuchen, diese große, schwarze Kugel
gedanklich zu erfassen. Und man ist hereingefallen, wenn man sich die Unendlichkeit
als immer winziger werdendes, kleines Stück einer Rennbahn vorstellt, auf der ein Held
der griechischen Antike sich vergeblich bemüht, eine Schildkröte zu überholen. Aus der
Endlichkeit des menschlichen Lebens und der Welt heraus kann man sich der
Unendlichkeit nicht annähern. Als Potential, als Möglichkeit bliebt sie unerreichbar.
Darin hatte Aristoteles recht.
Gleichzeitig irrte Aristoteles auch. Sehr sogar. Denn es gibt die Unendlichkeit auch als
eigenständiges Objekt der Wirklichkeit. Die Unendlichkeit ist eine Tatsache. Dass es sie
gibt, ist Realität.
[Sprecher:
Die Realität ist voller Dinge und Sachverhalte. Um sie zu beschreiben, gebraucht man
Worte. Manche Worte wirken wir Etiketten für ganz konkrete Dinge. Für Sachen, die
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man anfassen kann. Stühle zum Beispiel, und Tische. Daneben gibt es Begriffe für
Abstrakteres. Zeit und Arbeit beispielsweise. Solche Dinge kann man nicht mehr
anfassen, sie sind aber zu beobachten und zu verrichten. Und dann gibt es derartig
abstrakte Begriffe, dass man sich unter ihnen kaum noch etwas vorstellen kann.
Kreditmarkt, Versorgungslücke und Konjunkturpaket zum Beispiel. Diese Begriffe
beschreiben Tatsachen, weil aus ihnen bestimmte Sachverhalte und soziale
Verhaltensweisen folgen. Dass nämlich eine Gruppe von Menschen, die man
„Parlament“ nennt, beschließen kann, etwas ebenso Abstraktes, nämlich Geld, an
unfassbare Organisationen zu geben, an Banken, damit etwas wieder funktioniert, das
niemand verstehen kann und das Kreditmarkt heißt.
Die Welt steckt voll von solchen Abstraktionen. Sie regeln und steuern das
Zusammenleben der modernen Welt. Diese Abstraktionen akzeptiert man klaglos als
real. Man schreibt ihnen zu, objektive Sachverhalte der Realität zu beschreiben.
Weshalb hat man es dann so schwer, mathematischen Begriffen wie Zahl, Menge,
Funktion und Unendlichkeit dasselbe Maß an Wirklichkeit, die gleiche Realität
zuzugestehen? Dabei gehen nicht wenige Mathematiker davon aus, dass sie ihre
Wissenschaft nicht mit rein gedanklichen Gebilden, sondern mit ganz realen Objekten
betreiben. Oliver Deiser ist Mathematiker an der freien Universität Berlin.
Cut 3. (Deiser-26: 0:18)
Es kommt in der Mathematik immer darauf an, sich so lange mit den Objekten zu
beschäftigen, dass man die Eigenschaften irgendwie überblickt und irgendwie ein
Gefühl für diese Eigenschaften von diesen Objekten hat, dass man plötzlich neue
Zusammenhänge erkennen kann zu anderen Dingen, die man kennt. So ist der
Fortschritt in der Mathematik – aus meiner Sicht läuft das ganz wesentlich so ab.
Sprecherin:
In den einschlägigen Büchern zeigt man Kindern Bilder mit drei Wolken, aus denen
jeweils drei Tropfen auf drei Männer und drei Frauen mit je einem Regenschirm fallen.
Man hofft, dass die Kinder anschließend über die Drei genau so reden wie über ein
Objekt, das von allen Regentropfen und Wolken losgelöst ist. Schaffen die Kinder
diesen Schritt, kann man ihnen eine Art zu rechnen beibringen, dass elementare
Beziehungen zwischen Zahlen einschließt.
Die Zahl Drei ist ein reales Objekt, wenn auch ein abstraktes. Wie Wolken und
Regentropfen im Kinderbuch Objekte sind, wenn auch konkrete. Ebenso die
Unendlichkeit. Sie ist auch ein reales Objekt. Genau so wie ein Regentropfen und die
Zahl drei. Nur dass die Zahl drei und die Unendlichkeit abstrakte Objekte der
Mathematik sind. Vielleicht ist die Unendlichkeit das mathematisch abstrakteste Objekt
von allen. Eines voller Überraschungen, wenn man erst einmal darüber nachdenkt. ]
Sprecher:
Durch die Jahrhunderte gab es immer wieder große Denker, die es genau wissen
wollten mit der Realität der Unendlichkeit. Aus der Theologie beispielsweise Anselm
von Canterbury und Thomas von Aquin. Die einzige reale Unendlichkeit ist Gott, denn
Gott ist unendlich. In der Philosophie Baruch de Spinoza, der Anaxiamanders Idee einer
unendlichen Ursubstanz wieder aufnahm. In der Naturwissenschaft und der Mathematik
Isaac Newton und Gottfried Leibnitz, die aus der Idee der unendlichen Teilbarkeit einer
Rennstrecke die Infinitesimalrechnung entwickelten. Schließlich und endlich derjenige,
der das Liliput der Endlichkeit hinter sich ließ, die Unendlichkeit ausmaß und sie von der
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zweiten und dritten Unendlichkeit unterschied. Die Rede ist von Georg Cantor, der
seinen Mathematikerkollegen eines der politischen Gedichte von Ferdinand Freiligrath
hätte zurufen mögen.
Erzähler:
Meide Liliput fortan, // Sei des Elements Geselle! // Eintagsunruh, Eintagsstreit, // Woll'
auf meinen Grund sie tauchen! // Odem der Unendlichkeit // Lass mich in die Brust dir
hauchen!
Musikalischer Trenner
Sprecherin:
Geboren am Montag, dem 3. März 1845 in Petersburg. Sternzeichen Fische. Vater
Georg Woldemar: erfolgreicher Kaufmann und Börsenmakler. Seine Mutter Marie kam
aus einer Musikerfamilie. Studium der Mathematik in Zürich, Göttingen und Berlin. Dort
1868 Promotion. 1872 Habilitation in Halle. Später Arbeiten zur Mengenlehre und
darüber zur Struktur der Unendlichkeit. Am Sonntag, den 9. August 1874 Heirat mit
Vally Guttmann. Sechs Kinder. 1913 Emeritierung. Gestorben im Alter von 72 Jahren
am Sonntag, den 6. Januar 1918.
Cut 4. (Deiser-22-kurz; 0:27)
Das ist ne spannende Frage, ob verschiedene historische Pfade denkbar wären – Ich
mach jetzt mal ne gewagte These – … – Cantor hat ja auch ganz starke philosophische
und religiöse Positionen vertreten und daher habe ich durchaus den Eindruck, dass die
moderne Mathematik geprägt worden ist von der Person Cantor und dem Charakter
Cantor.
Sprecherin:
Georg Cantor interessierte nicht allein Mathematik. Nicht nur das Partikulare, das
Einzelne. Er suchte etwas Übergeordnetes, etwas Universales, die Vereinheitlichung
zwischen den Wissenschaften. Mathematik war ihm dabei Mittel zum Zweck; die
Erkenntnis umfassenderer Zusammenhänge eine Hoffnung.
Neben seinen Aufsätzen zur Mathematik veröffentlichte Cantor Arbeiten zur
Literaturwissenschaft, zur Philosophie und zum großen Antagonisten der
Naturwissenschaft, zur Theologie. Dabei stieß er auf ein interessantes Problem, das
Kirchenvater Augustinus im 12. Buch seines Werkes über den Gottesstaat formulierte.
Erzähler:
Man macht geltend, dass Gottes Wissen das Unendliche nicht umfassen könne. Damit
kommt man unabweislich zur Behauptung, dass Gott nicht alle Zahlen weiß. Denn die
sind unbegrenzt, kein Zweifel. Jede Zahl lässt sich nicht nur verdoppeln, sondern auch
mit sich selbst multiplizieren. So ist es im Wesen und in der Wissenschaft der Zahlen
begründet. Und dabei ist jede Zahl etwas durchaus Eigenes für sich, so dass keine der
anderen gleich sein kann. Kennt sonach Gott die Zahlen wegen ihrer Unbegrenztheit
nicht alle? Von Sinnen wäre, wer das sagte. Weg mit dem Zweifel, als wäre ihm nicht
jegliche Zahl bekannt. Ihm, von dessen Erkenntnis der Psalmist singt, dass ihrer „keine
Zahl ist“. Die Unendlichkeit der Zahl ist also, obwohl die unendlichen Zahlen keine Zahl
haben, ihm nicht unerfassbar.
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[Cut 5. (Purkert-17; 0:22)
Zum Beispiel hatte der heilige Augustinus die Frage aufgeworfen, die Frage
aufgeworfen, kann Gott alle Zahlen kennen. Mit Zahlen meinte er dann alle natürlichen
Zahlen. Und er beantwortet sie so: Ja – denn Gott als die Höchste Unendlichkeit
überblickt alles niedrigere Unendliche. Modern gesagt, auch die Menge aller natürlichen
Zahlen als aktual unendliche Entität.]
Sprecherin:
Ist jede Unendlichkeit genau so groß wie jede andere? Oder kann eine Unendlichkeit,
sagen wir „Gott“, größer als eine zweite Unendlichkeit sein, sagen wir „die Zahlen“?
Kann sich die eine Unendlichkeit überhaupt von einer anderen unterscheiden? Und
wenn ja, wie? Kann man verschiedene Unendlichkeiten sozusagen direkt miteinander
vergleichen? Kann man sie ausmessen? Wie groß ist die Unendlichkeit?
Musikalischer Trenner
Sprecherin:
Über das Handwerkszeug, diese Fragen zu beantworten, stolperte Cantor mehr durch
Zufall als dass er es sich durch wissenschaftliche Forschung entwickelt hätte. Er
betrachtete beispielsweise die Zahlen nicht nach Regeln. Ob sie also, eins zwei drei,
größer werden oder, zwei vier sechs, zum Beispiel gerade sind. In Gedanken nahm er
alle Zahlen auf einmal und steckte sie alle zusammen in einen gedanklichen Sack. Den
schnürte er oben zu und überlegte, was er sich da eingefangen hatte. Antwort: eine
spezielle Unendlichkeit. Nämlich die Unendlichkeit der natürlichen Zahlen.
Cantor formalisierte seine Gedanken durch. Er schrieb ihn in mathematisch kryptischen
Zeichen auf und heraus kam eine Mathematik, mit der man vor wenigen Jahrzehnten
noch Grundschüler quälte. [Die Mengenlehre, sagt Oliver Deiser.
[Cut 6. (Deiser-2; 0:19)
Das gibt die berühmte Umschreibung von Cantor, dass eine Menge eine
Zusammenfassung von bestimmten, wohlunterschiedenen Objekten unserer
Anschauung oder unseres Denkens zu einem Ganzen darstellt. Wann immer wir
Objekte betrachten und zu einem Ganzen zusammenfassen, mit dem wir dann weiter
operieren wollen, dann spricht man von Mengen.
Sprecher:
Es gibt keine exakte mathematische Definition, was eine Menge ist. Im Prinzip gilt:
alles, was man mit einem Begriff belegen kann, bildet auch eine Menge. Die Menge
aller Wolken am Himmel beispielsweise. Oder die Menge aller Regentropfen eines
kräftigen Sommerregens. Die Menge aller Regenschirme und die Menge aller
Menschen, die diese Regenschirme tragen. Auf genau die gleiche Weise bilden alle
Zahlen eine Menge. Die natürlichen Zahlen, eins, zwei, drei und so weiter. Die
Bruchzahlen, ein zehntel, drei hundertstel, 37 tausendstel. Und Zahlen wie Pi und
Wurzel zwei. Das sind solche Kommazahlen, die unendlich lang sind und vollkommen
unregelmäßig.
Die Menge der verschiedenen Zahlen unterscheidet sich in einem Punkt von den
Mengen der Regentropfen und Regenschirme. Es gibt nur endlich viele Regenschirme,
endlich viele Regentropfen und endlich viele Menschen. Aber von jeder einzelnen
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Zahlenart gibt es unendlich viele. Die verschiedenen Mengen der unterschiedlichen
Zahlen sind alle unendlich groß.]
Sprecherin:
Was weiß man über die Unendlichkeit? Was kann man mit Sicherheit sagen? Dass das
Zählen nie aufhört? Dass die Menge unendlich groß ist? Dass man sie deshalb nicht
erfassen kann? Oder gibt es noch etwas mehr. Etwas, das so simpel, so einleuchtend
klar ist, dass man es einfach nicht sieht? Kann man die Unendlichkeit doch erfassen?
Sprecher:
Das Bilderbuch, mit dem Kinder zählen lernen, gibt einen Hinweis. Drei Männer, drei
Frauen und genau so viele Regenschirme. Wie stellt man fest, dass es genau so viele
Regenschirme sind? Indem man durchzählt? Eins zwei drei? Das klappt nur bei Bildern
und bei sehr kleinen Zahlen. Bei einer Gruppe realer Menschen, die alle durcheinander
laufen, gibt es Schwierigkeiten. Da ist es einfacher, jeden zu bitten, kurz einen
Regenschirm in die Hand zu nehmen. Bleibt jemand ohne Schirm, sind mehr Menschen
da. Bleiben jedoch Schirme liegen, sind es weniger Menschen.
Cantors Idee war, dieses Verfahren auf die unendlichen Mengen der verschiedenen
Zahlen anzuwenden. Jedem einzelnen Element einer ersten Menge ordnete er genau
ein Element einer zweiten Menge zu. Wie die Regenschirme zu den Menschen. Oder,
um ein anderes Beispiel zu nennen, wie sich Frauen und Männer in einer Tanzschule
zu Tanzpaaren ordnen. Überhaupt lässt sich am Beispiel einer Tanzschule mit
unendlich vielen Schülern und Schülerinnen die verrückte Welt des Unendlichen gut
darstellen. In der Welt des Unendlichen gelten Regeln, die jedem gesunden
Menschenverstand widersprechen. Also.
Musikalischer Trenner
Erzähler:
Es war einmal eine Tanzschule, da hatten sich unendlich viele Männer und unendlich
viele Frauen angemeldet. Sie bildeten unendlich viele Paare, niemand musste sitzen
bleiben. Als zur nächsten Stunde jeder zweite Mann fehlte, fand noch immer jede Frau
ihren Tanzpartner. Die erste Frau tanzt mit dem Mann Nummer zwei, die zweite mit
dem Mann Nummer vier, die dritte mit Mann Nummer sechs und so weiter. Bei
unendlich vielen Männern und unendlich vielen Frauen blieb auch jetzt niemand sitzen.
Selbst als zur dritten Stunde wiederum nur die Hälfte der Männer kam und die andere
Hälfte im Lokal nebenan verschwand, gab es keine Probleme. Die erste Frau tanzte mit
Mann Nummer vier, die zweite Frau mit Mann Nummer acht und die Dritte mit Mann
Nummer zwölf. Dank der Unendlichkeit fand jede Frau einen Partner und noch immer
drehten sich unendlich viele Paare im Kreis.
Eines Abends nahmen die Männer ihre Partnerinnen am Arm und betraten auf einen
Drink wohlgeordnet paarweise ausgerechnet das Lokal, in dem schon die unendlich
vielen Drückeberger saßen. Kaum hatten die unendlich vielen Paare das Lokal
betreten, kam es auch schon zum Streit zwischen den Männern. Die Tänzer ließen ihre
Partnerinnen stehen und packten die Drückeberger am Kragen, dass dem armen Wirt
Angst und bange wurde. Da kam ihm eine Idee.
„Jeder Mann lädt eine Dame auf ein Gläschen Sekt an den Tisch.“ rief er. Obwohl
niemand in der Zwischenzeit hinausgegangen oder hereingekommen war, löste sich
das Durcheinander auf wundersame Weise auf. Nachdem sich alle Tanzpaare gesetzt
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hatten, standen immer noch Frauen herum, sich von den Drückebergern einladen zu
lassen. Es waren eben unendlich viele Frauen und Männer beisammen.
Sprecherin:
Das ist das Sonderbare an der Unendlichkeit. Nimmt man aus einer unendlich großen
Menge jedes zweite Element heraus und formt daraus eine zweite Menge, dann ist
diese zweite Menge wieder unendlich groß. Aber die erste Menge ist dadurch, dass
man jedes zweite Element herausgenommen hat, nicht kleiner geworden. Sie ist
unendlich groß geblieben. Fügt man anschließend die Elemente beider unendlich
großer Mengen wieder zusammen, ist die vereinigte Menge nicht angewachsen. Sie
bleibt, was sie war: unendlich groß.
Mathematiker haben daraus eine Definition der Unendlichkeit hergeleitet, sagt Oliver
Deiser.
[Cut 7. Definition Unendlichkeit (Deiser-10; 0:22)
Wenn sie definieren wollen, wann ist eine Menge unendlich, da gibt’s verschiedene
Möglichkeiten – eine sehr bekannte Definition, eine ästhetisch sehr ansprechende ist
von Dedekind – Die Dedekind-Definition von Unendlichkeit heißt: Eine Menge A ist
genau dann unendlich, wenn es eine Teilmenge B von A gibt, so dass sich die
Elemente von B eineindeutig auf A abbilden lassen.]
Sprecherin:
Man kann vom Unendlichen beliebig viele Teilstücke entfernen, ohne dass sich etwas
verkleinert. Und man kann genau so gut beliebig viele Teilstücke zufügen, ohne dass
sich etwas vergrößert. Muss deshalb eine Unendlichkeit immer genau so groß sein wie
die andere? Oder gibt es Größenunterschiede zwischen zwei unendlich großen
Mengen? Kann das eine Unendlich größer sein als das andere? Diese Frage klärt die
Geschichte vom unendlich genauen Handwerker mit den unendlich vielen Brillen.
Erzähler:
Es war einmal ein Handwerker, der nach einer Schlägerei in einem Lokal einen Tisch
reparieren wollte. Als er am Tischbein Maß nahm, sah er, dass das Tischbein eine raue
Seite hatte. Es ließ sich nicht exakt vermessen. Der Handwerker konnte die Länge nur
Plus Minus zwei Millimeter schätzen. Da der Tisch mit drei ungleichen Beinen wackeln
würde, und der Handwerker äußerst akkurat war, setzte er sich seine Brille auf. Nun
erschien ihm ein Millimeter so groß wie ein Zentimeter und der Handwerker konnte die
Länge des Tischbeins auf ein paar Zehntel Millimeter genau schätzen.
Jetzt tauschte der Handwerker seine Brille gegen eine zweite. Nun maß er auf wenige
Hundertstel Millimeter. Bald auf tausendstel und hunderttausendstel Millimeter. Und
bald hatte er das Tischbein so genau vermessen, dass es keinen Zahlennamen mehr
für die Ungenauigkeit dabei gab. Trotzdem: dieser kleine Fehler, diese winzige
Ungenauigkeit, diese unmerkliche Spannbreite blieb. Die gemessenen Längen wiesen
lediglich immer mehr Stellen nach dem Komma auf. Kein Wunder, sagte sich der
Handwerker. Auch wenn auf meinem Maßband zwei Punkte noch so dicht beieinander
liegen, sind zwischen ihnen immer wieder unendlich viele weitere Punkte.
Cut 8. (Deiser-15; 0:25)
Ich erzähle ihnen, dass es Größenunterschiede im Unendlichen gibt. Da müssen sie
wieder nach der Definition fragen, letztendlich, um das verstehen zu können, wenn man
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sich nicht in die Haare geraten will. Also wir haben vorher definiert, wann ist ne Menge
unendlich, und jetzt zeigt sich aber, dass es innerhalb diesem Bereich der unendlichen
Mengen Strukturunterschiede gibt. Eine bestimmte Menge kann in einem präzisen
Sinne mehr Elemente enthalten als eine andere Menge.
Sprecherin:
Kommazahlen. Ganz spezielle Kommazahlen. Solche, die Mathematiker reell nennen.
Nämlich solche, die auch unendlich viele Stellen hinterm Komma haben können, in
denen es keinerlei Regelmäßigkeiten gibt. Das, was der Handwerker ausmaß.
79,999125 und irgendwie unregelmäßig weiter bis in alle Ewigkeit.[Oder die Kreiszahl
Pi. 3,141592 und so weiter. Oder die Wurzel aus zwei. 1,414213. Oder die weniger
bekannte eulersche Zahl e. 2,718281 und so weiter.] Wenn man zwischen solchen
Kommazahlen und den natürlichen Zahlen Pärchen bildet wie in der Tanzschule,
bleiben von den unendlichen Kommazahlen immer Mauerblümchen-Elemente sitzen,
während sich die natürlichen Zahlen mit ihren Partnern schon längst auf der Tanzfläche
drehen. Weil die Menge der unendlich langen unregelmäßigen Kommazahlen solche
Mauerblümchen-Elemente enthält, gibt es mehr von diesen reellen Zahlen als von den
natürliche Zahlen eins zwei drei und so weiter.
Cut 9. (Deiser-16; 0:27)
Die fundamentale Erkenntnis ist die: es gibt mehr reelle Zahlen als natürliche Zahlen in
dem Sinne, dass sie die reellen Zahlen nicht durchzählen können mit Hilfe der
natürlichen Zahlen. Und die nächste Frage ist: Ja wie viele natürliche Zahlen gibt’s
denn? … und da fragt man sich: Ist die richtig oder falsch – Und da kam eben raus, im
20. Jahrhundert, dass die Kontinuumshypothese innerhalb der Basisaxiomatik weder
beweisbar noch widerlegbar ist.
Erzähler:
[Ab diesem Moment wird es richtig mathematisch. Also wirklich schwierig
mathematisch. Denn es gibt eine Methode, eine Reihe größerer und größerer
Unendlichkeiten zu konstruieren.] Deshalb ist es nicht falsch zu sagen: Unendlich,
unendlicher, noch unendlicher. Am unendlichsten? Dass man diese anwachsenden
Unendlichkeiten je nach Mächtigkeit durchnummerieren kann, sei nur am Rande
erwähnt. Weil die Zahlen, die man dabei verwendet, alle auf ein Jenseits der Endlichkeit
verweisen, auf die andere Seite von Basta, Schluss und Finito, nennt man sie transfinite
Zahlen.
Doch auf diesem Wege zur unendlichen Unendlichkeit passiert etwas Eigenartiges.
Während die Unendlichkeit selbst über alle mathematischen Maße hinaus wächst,
erodiert gleichzeitig die mathematische Logik. Stück für Stück bricht sie zusammen,
sagt Walter Purkert, bis sie nur noch Kleinholz ist.
Musikalischer Trenner
Sprecherin:
Eines ist sicher. Der Unendlichkeit kann man sich nicht annähern. Wie sollte man auch?
Von was sollte es unendlich viel geben? Unendlich viele Meter? Unendlich viele
Lichtjahre oder astronomische Einheiten? Oder unendlich viele Fische im Meer,
Regentropfen im Wolkenbruch, Staubkörner in der Wüste? Selbst wenn man jedes
einzelne Atom im Universum zählen würde, bekäme man nur eine sehr, sehr große
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Zahl heraus. Diese nahezu unendlich große Zahl ist immer noch unendlich viel kleiner
als die Unendlichkeit selbst.
Und doch gab es einmal einen Augenblick im Universum, der von der Unendlichkeit
beherrscht wurde. Diesen Moment nennt man Urknall. Zu seiner Zeit waren alle Atome
des Universums und deren Bestandteile unendlich dicht auf in einem unendlich kleinen
Punkt zusammengedrückt. Diese Unendlichkeit erforschen heute Physiker und
Mathematiker. Noch meinen einige, mit ihrer Wissenschaft an ihr scheitern zu müssen.
Manch andere Physiker durchmessen die Unendlichkeit mit kühnen, mathematischen
Schritten. Sie kalkulieren das Grenzenlose vor dem Anfang, ermessen die Ewigkeit von
Raum und Zeit. Sie schauen die Unendlichkeit.
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