3 Bedarfsgerechte Versorgung und Evidenz berücksichtigen, ob die Infektionen zu Einschränkungen der normalen Lebensweise führen und ob sich bei der Anzahl der Infektionsepisoden eine zu- oder abnehmende Tendenz zeigt (SIGN 2010). Bei den Autoren des Faktenchecks besteht nach Sichtung unterschiedlicher Informationsmaterialien von Krankenhäusern, Krankenhausverbünden und HNO-Ärzten in Deutschland der Eindruck, dass man sich bezüglich der Entscheidung zur Gaumenmandelentfernung bei rezidivierender Tonsillitis meist an der Häufigkeit von Halsinfektionen innerhalb bestimmter Jahreszeiträume orientiert. Allerdings ist hier eine hohe Varianz der Angaben zu finden, ab welchen Häufigkeiten in welchen Zyklen eine Tonsillektomie empfohlen wird. Eine stringente Orientierung an den „Paradise-Kriterien“ oder vergleichbaren Systematiken scheint derzeit nicht zu erfolgen. Unterschiedliche Auslegung der ParadiseKriterien in Deutschland Zur korrekten Nachvollziehbarkeit der Anzahl von Halsinfektionen sollte die (klinische) Dokumentation der Krankheitsverläufe und der durchgeführten medikamentösen und sonstigen konservativen Therapien möglichst vollständig vorliegen. Bei bakteriellen Infektionen kann die Antibiotikatherapie die zentrale Therapieoption darstellen. Es gibt allerdings Hinweise darauf, dass diese therapeutische Option nicht konsequent genutzt wird. Hierbei stellt die Mitarbeit der Patienten bzw. ihrer Eltern häufig das wesentliche Problem dar: So zeigen Untersuchungen, dass beispielsweise nur noch 8 % aller Patienten am 9. Behandlungstag die verordnete Medikation im Rahmen eines 10-Tage-Kurses mit Penicillin V [auf Hinweis der Reviewer korrigiert – in der Quelle „Penicillin G“] einhalten (HNO 2007). Problematisch bei der Abschätzung der Häufigkeit von wiederkehrenden Gaumenmandelentzündungen kann aber auch insbesondere die Kontinuität der Ereignis- und Therapiedokumentation durch die behandelnden Ärzte sein. Häufig wird das Augenmerk in der Dokumentation eher auf die Zählung der aufgetretenen Krankheitsepisoden gelegt als darauf, das tatsächliche Vorliegen einer bakteriellen Infektion klinisch abzusichern (Burton & Glasziou 2009). Dazu heißt es aber aus fachlicher Sicht: „... als Rezidive einer Tonsillitis können nur klinisch manifeste eitrige Tonsillitiden durch ß-hämolysierende Streptokokken der Serogruppe A (Gruppe-A-Streptokokken [GAS]) gewertet werden, welche im Abstrich oder Schnelltest bestätigt wurden“ (Stuck et al. 2008). „Sogar bei eitrigen Tonsillitiden ist gezeigt, dass virale Infekte häufiger als bakterielle vorkommen“ (HNO 2007). In der täglichen Praxis ist somit nicht von einer stringenten Orientierung an den Paradise-Kriterien auszugehen (Burton & Glasziou 2009), wobei in der Definition einer Halsinfektion nach den Paradise-Kriterien die nicht-bakteriellen Infektionen nicht sicher ausgeschlossen sind (vgl. Abschnitt 3.1). Entscheidung zur OP ohne lückenlose Dokumentation kaum möglich 25