Tischbein, Der lange Schatten, 1805 Depression PD Dr. med. Dipl.-Psych. Ralph Grahhorn Psychoanalytiker (DPV/IPA) Leiter Psychosomatik Klinikum der Goethe-Universität Psychosomatik 93-6 (15 Betten) Tagesklinik 93-7 (16 Betten) Schwerpunkt: Traumafolgestörungen Persönlichkeitsstörungen 93-8 (16 Betten) Schwerpunkte: Essstörungen, Depressionen, Angststörungen, somatoforme Störungen etc. Therapiemodule 93-7 Psychodynamische oder kognitivverhaltenstherapeutische Einzeltherapie Psychodynamische Gruppentherapie Stabilisierung (Gruppe und Einzel) Skills (Gruppe) EMDR Achtsamkeit Musik- und Gestaltungstherapie Stichprobe 93-7: N = 59 Männer 22 Frauen 37 Alter: Frauen 29,9 (9,0) Männer 35,1 (9,6) Nur 12% keine Depressionsdiagnose PersönlichkeitsStörung: 47,5% Borderline: 28,2% PTBS: 27,1% Auslösende Situationen • Erleben von Überforderung oder/ und von Verlust einer • Sicherheit gebenden Struktur • Trennung/Verlust • Autonomieschritte • Zurückbleiben hinter/ Nicht-Erfüllen von Anforderungen • Veränderung/Erfolg • Rollenverlust Leidet diese Person an Depression? Kriterien der depressiven Episode Screeningfragebogen zur Erkennung depressiver Störungen in der Praxis Der depressive Zustand • Traurige, niedergedrückte Stimmung • Gefühle der „Losigkeit“: Hoffnungs-/Wertlosigkeit Verlust von Interesse/Freude/Libido • Veränderungen von Appetit/Körpergewicht • Störungen des Einschlafens/Durchschlafens • Verlangsamung/Agitation • Denken/Konzentration erschwert • Gedanken an Tod oder Selbstmord • Unangemessene Scham- /Schuldgefühle Hintergrund Depression Hintergrund Depression • • • Nach Schätzung der WHO werden Depressionen 2020 weltweit die zweithäufigste Volkskrankheit sein. Weltweit leidet 1/5 der Bevölkerung im Verlaufe des Lebens zumindest einmal unter einer klinisch relevanten depressiven Störung. 18% Lebenszeitprävalenz für Depressionen in Deutschland. Hintergrund Depression Hintergrund Depression • Psychische Erkrankungen sind weltweit die größten Kostentreiber im Gesundheitswesen • 90% erhalten keine adäquate Behandlung Hintergrund Depression 38.2% der Bevölkerung der EU leidet an psychischen Erkrankungen. Depressionen zählen zu den häufigsten. Höchste Krankheitslast aller Erkrankungen (23.4%). Pro Jahr leiden 6.9% der Bevölkerung der EU an schweren Depression. 13 Hintergrund Depression • • Frauen haben ein doppelt so hohes Erkrankungsrisiko wie Männer. Depressionen beeinträchtigen die Lebensqualität mit am stärksten, v.a. bei Frauen. 14 Hintergrund Depression Total cost by disorder and type of cost € PPP Mill 2010 15 Hintergrund Depression • 25 bis 30 % aller Depressionen entwickeln sich chronisch, d.h. weisen eine Dauer von mehr als 2 Jahren auf (Wolfersdorf, M. & Heindl, A., 2004) • Nur 50 % aller depressiven Patienten erholen sich innerhalb von 6 Monaten, 2/3 innerhalb eines Jahres, 6 - 7 % sind nach 10-15 Jahre noch erkrankt (Wolfersdorf, M. & Heindl, A., 2004) Füssli, Das Schweigen, 1801 Hintergrund Depression • Hohe Rückfallraten – Rückfallrate: 50 % nach der 1. Episode, 70 % nach der 2. Episode, 90 % nach der 3. Episode – 50 % zeigen ein Rezidiv nach jeglicher Art von Kurzzeittherapie (Blatt & Zuroff, 2005) • Medikation – 20-30 % der Patienten sprechen nicht auf Antidepressiva an – 1/3 der Patienten, die positiv auf eine Medikation reagieren, haben innerhalb eines Jahres einen Rückfall, 75 % innerhalb von 5 Jahren (Hautzinger 2010) Traumatisierung in Deutschland Missbrauch & Vernachlässigung in Deutschland Emotionaler Missbrauch Körperlicher Missbrauch Sexueller Missbrauch Emotionale Vernachlässigung Körperliche Vernachlässigung Kein 2123 (84,8%) 2198 (87,8%) 2186 (87,3%) 1259 (50,3%) 1288 (51,4%) Gering 259 (10,3%) 162 (6,5%) 158 (6,3%) 888 (35,5%) 491 (19,6%) mäßig 75 (3%) 79 (2,8%) 109 (4,3%) 184 (7,3%) 450 (18%) Schwer 40 (1,6%) 69 (2,7%) 47 (1,9%) 164 (6,5%) 269 (10,8%) Skalen (%) Repräsentative Stichprobe der deutschen Bevölkerung mit dem CTQ (Häuser et al., Deutsches Ärzteblatt 2011; N = 2504, 14-90 Jahre) Missbrauch & Vernachlässigung in Deutschland Emotionaler Missbrauch Körperlicher Missbrauch Sexueller Missbrauch Emotionale Vernachlässigung Körperliche Vernachlässigung Kein 2123 (84,8%) 2198 (87,8%) 2186 (87,3%) 1259 (50,3%) 1288 (51,4%) Gering 259 (10,3%) 162 (6,5%) 158 (6,3%) 888 (35,5%) 491 (19,6%) mäßig 75 (3%) 79 (2,8%) 109 (4,3%) 184 (7,3%) 450 (18%) Schwer 40 (1,6%) 69 (2,7%) 47 (1,9%) 164 (6,5%) 269 (10,8%) Skalen (%) Repräsentative Stichprobe der deutschen Bevölkerung mit dem CTQ (Häuser et al., Deutsches Ärzteblatt 2011; N = 2504, 14-90 Jahre) Missbrauch & Vernachlässigung in Deutschland • Unterschicht- und Mittelschichtzugehörigkeit waren Prädiktoren für schweren emotionalen und körperlichen Missbrauch sowie schwere emotionale und körperliche Vernachlässigung. • Weibliches Geschlecht war ein Prädiktor für schweren sexuellen Missbrauch. • Leichte Misshandlungen sind häufiger als schwere Formen Modelle der Depression • Multifaktorielles Modell der Ätiopathogenese depressiver Erkrankungen (Schulte-Körner & Allgaier, 2008, S. 29, ZfKinderuJugendpsychiatrie) Modelle der Depression Hugo Bleichmar, 1993 Trauma & Depression Trauma & Depression • Zusammenhang von traumatischen Erfahrungen in der Kindheit und einem signifikant erhöhtem Risiko im Erwachsenalter eine schwere oder chronische Depression zu entwickeln wird in querschnittlichen und längsschnittlichen Studien vielfach bestätigt (z.B. Kessler et al. 1997, Molnar et al. 2001, Nelson et al. 2002, Widom et al. 2007). • Studien an klinischen und Normalpopulationen belegen die deutlich höhere Prävalenz von Kindheitstraumatisierungen bei allen nichtorganisch bedingten Achse I und Achse II Störungen (Moskvina et al. 2007, Petry et al. 2005, Triffleman et al. 1995) . Trauma & Depression: Epigenetik • Das Serotonintransportergen (Genotyp 5-HTT mit seinen S-Allel-Variationen) ist von Bedeutung. Lag dieser Risikotyp vor (Caspi et al. 2003, Hauser 2008), so erhöhten anhaltend belastende Lebensumstände oder Traumata das Erkrankungsrisiko für eine Depression erheblich (vgl. auch Bohleber, 2012). Protektive Faktoren konnten das Risiko der Entwicklung einer depressiven Störung bei Kindern mit diesem Genotyp reduzieren (siehe auch Ritchie et al. 2009). • Suomi (2010) zeigte, dass frühe Trennungstraumata einen großen Einfluss auf die neurobiologischen Faktoren haben, die die Entwicklung von Aggression, Angst und sozialer Integration bei Rhesusaffen bestimmen. Trauma & Depression: Neurobiologie • Vythilingan (et al. 2002) zeigte, dass bei Traumatisierungen in der Kindheit bei 21 depressiven Frauen ein kleineres Volumen des linken Hippocampus nachweisbar war. • Heim (et al. 2000) zeigte, dass Frauen mit Missbrauch in der Kindheit und einer gegenwärtigen Depression eine 6 mal stärkere ACTH-Reaktion auf Stress zeigen im Vergleich zu Kontrollen. • Dannlowski (et al. 2011) zeigte, dass Missbrauch in der Kindheit zu einer verstärkten Amygdala-Aktivität bei negativen Gesichtern führt. Den stärksten Zusammenhang wiesen die Autoren für emotionalen Missbrauch und emotionale Vernachlässigung nach. Sexueller Missbrauch & Depression • Der Zusammenhang von sexuellem Missbrauch in der Kindheit und Depressionen im Erwachsenenalter ist vielfach empirisch belegt (Hill, 2010, Fergussen & Mullen, 1999). • Molnar (et al. 2001) zeigte, dass das Risiko an einer Depression zu erkranken unter Männern und Frauen mit sexuellen Missbrauchserfahrungen 1,8 mal höher ist. Andere Studien diskutieren sogar ein 4 mal so hohes Risiko für Depression (Hill 2001, Kendler 2002, Mullen et al. 1993, Nelson, 2002). • Teicher (et al. 2009) zeigte dass 60% der sexuell Missbrauchten Kriterien für eine lebenslange Depression erfüllten und dass sexueller Missbrauch zudem ein Indikator für einen frühen Beginn der Depression ist. Emotionaler Missbrauch & Depression • Emotionaler Missbrauch erhöht signifikant das Risiko für eine Depression (Chapman et al. 2004, Survey; Tucci et al. 2010) bzw. eine Depression im späten Lebensalter (Ritchie et al., 2009). Je chronifizierter der Missbrauch, desto höher die Lebenszeitprävalenz. • Bernet (et al. 1999) belegt signifikant früheren Beginn der Depression bei emotionalem Missbrauch. • Subic-Wrana et al. (2011) zeigten Zusammenhänge für emotionalen Missbrauch und Depression sowie Persönlichkeitsstörungen an einer klinischen Stichprobe. • Etain (et al. 2010) zeigte einen Zusammenhang von emotionalem Missbrauch mit bipolaren Störungen. Emotionale Vernachlässigung & Depression • Frühe Vernachlässigung, unsichere Bindung und früher Verlust von Eltern erhöht die Vulnerabilität für eine Depression (Hill, 2009, Brown & Harris, Widom et al. 2007). Insbesondere „affectionless control“ (Kombination aus wenig Fürsorge und hoher Kontrolle) und wenig Fürsorge zeigen einen robusten Zusammenhang. • Die Autoren belegen zudem früheren Beginn der Depression und höhere Komorbiditäten (Widom et al. 2007). Geschlecht & Traumatisierung • Lampe (2002) fand sexuellen Missbrauch häufiger bei Frauen, körperlichen Missbrauch häufiger bei Jungen. • Risiko für eine Depression bei Männern und Frauen mit Missbrauchserfahrungen gleichermaßen hoch (Nelson et al. 2002, Pimlott-Kubiak et al. 2003, Fitzmaurice et al. 2003). • MacMillan et al. (2001) zeigten, dass Missbrauchserfahrungen bei Frauen ein signifikant erhöhtes Depressionsrisiko aufweisen und dass Frauen ein deutlich erhöhtes Risiko für sexuellen Missbrauch zeigen. • Arnow et al. (2011) fanden, dass signifikant mehr Frauen emotionalen oder sexuellen Missbrauch berichteten, jedoch ließ sich keine signifikante Interaktion zwischen Missbrauch und Geschlecht feststellen. Multiple Traumatisierung & Depression • Chronische Depression steht im Zusammenhang mit multiplen Traumata (Survey nach Tanskanen et al. 2004). • Wetzels (1998) fand, dass 64,3% der sexuell Missbrauchten gleichzeitig Opfer häufiger bzw. intensiver körperlicher Gewalt durch die Eltern waren. • In einer US-Befragung von Krankenkassenmitgliedern (n=8667) gaben 34,7% mehr als eine Form der Misshandlung an (Edwards et al. 2003). Traumatisierte Männer vs. Frauen – PSYSOM Skalen Emotionaler Missbrauch Körperlicher Missbrauch Sexueller Missbrauch Emotionale Vernachlässigung Körperliche Vernachlässigung Trauma Gesamt Männer 50% 36,4% 31,8% 45,5% 31,8% 68,2% N=15 Frauen Chi2 81,1% Chi2 = 6,2, p = 0,01* 43,2% Chi2 = 0,2, p = 0.60 59,5% Chi2 = 4,2, p = 0.04* 75,7% Chi2 = 5,4, p = 0,01* 43,2% Chi2 = 0,7, p = 0.38 91,9% N=34 Chi2 = 5,5, p = 0.01* PSYSOM (Mann-Whitney-U-Test) Emotionale Missbrauch < 10 (N = 18) ≥ 10 (N = 41) Körperlicher Missbrauch < 8 (N = 35) ≥ 8 (N = 24) Sexuelle Gewalt/Missbrauch < 8 (N = 30) ≥ 8 (N = 29) Emotionale Vernachlässigung < 15 (N = 21) ≥ 15 (N = 38) Körperliche Vernachlässigung < 8 (N = 36) ≥ 8 (N = 23) BDI Mittelwert (s) GSI Mittelwert (s) 23,3 (12,2) 28,4 (9,2) *p=0,04 d=0,29 1,1 (0,1) 1,4 (0,7) p=0,09 27,0 (10,7) 26,3 (10,0) p=0,73 1,3 (0,6) 1,4 (0,5) p=0,73 27,4 (11,2) 26,1 (9,6) p=0,59 1,4 (0,7) 1,3 (0,5) p=0,64 24,7 (11,9) 27,9 (9,4) p=0.23 1,2 (0,7) 1,4 (0,5) p=0,26 27,5 (10,8) 25,5 (9,7) p=0.41 1,3 (0,6) 1,4 (0,5) p=0,64 Multiple logistische Regression für den Zusammenhang von Depression (BDI) und den Traumatypen (CTQ) – PSYSOM Emotionaler Missbrauch B Standard -fehler Odds Ratio Signifikanz 95% CI 1,5 0,6 4,5 0,01** 1,3-15,1 Körperlicher Missbrauch 0,14 Sexueller Missbrauch 0,24 Emotionale Vernachlässigung 0,83 Körperliche Vernachlässigung 0,51 Zusammenfassung der Ergebnisse • Traumatische Erfahrungen finden den Weg zentral in die Depression. • Etwa 80% klinisch relevante Traumatisierungen • Frauen sind belasteter in der Depression und in der Angabe von Traumatisierungen • Traumatisierte Patienten unterscheiden sich signifikant von den nicht traumatisierten in für die Depression relevanten Dimensionen • Es bleibt eine Gruppe von Depressiven (20%), die gleichermaßen depressiv sind ohne berichtete Traumatisierung. Zusammenfassung der Ergebnisse • Es geht nicht nur um die Frage, ob Traumatisierungen in der Kindheit in die Depression führen, sondern wie dieses Wissen zu den Risiken unser Verständnis der Depression erhöhen kann. • Emotionaler Missbrauch scheint dabei ein entscheidender Faktor, der das Risiko einer depressiven Entwicklung bedeutsam erhöht. TYPISCHE THEMEN IN DER BEHANDLUNG • • • • • • • • Objektverlust, Trauer, Ambivalenz Seelischer Schmerz und Selbstdestruktivität Depressiver Schmerz Die innere Natur der Depression: Sich gut fühlen/sich schlecht fühlen – Wiedererweckung von Erfahrungen mit einem guten inneren Objekt Identifikation, Desidentifizierung und Verzicht Ärger, Feindseligkeit, Zorn, Zerstörungswut Schuld und Selbsthass Sehnsucht nach Verstandenwerden TYPISCHE THEMEN IN DER BEHANDLUNG • • • • Idealisierung Wiedergutmachungswunsch Sado-Masochismus / Angst vor der Freiheit Schmerzliche Erfahrungen in der Entwicklung, die sich im Charakter niedergeschlagen haben • Tendenzen, Muster von Verlusten und Enttäuschungen zu wiederholen • Muster interpersoneller Beziehungen und Charaktereigenschaften, z. B. der selbst „genährte“ Kummer (Sammeln von „Ungerechtigkeitserfahrungen“) • Passivität und projizierte Selbstanteile Psychotherapie der Depression Psychotherapie der Depression Liegt es an der Länge der Therapie? Psychotherapie der Depression • Ansprechen auf KZT (25 Std.) hängt von Symptomatik ab: • Akuter Distress 70% • Chronischer Distress 60% • Persönlichkeitsstörung 40% • Chronische Depression ist häufig assoziiert mit multiplen psychischen Symptomen und Persönlichkeitsstörung, Behandlung braucht längere Zeit (Kopta et al. 1994) Kopta et al. 1994 Psychotherapie der Depression • Münchner Depressionsstudie: 3-Jahres-Katamnese Remission der Depressionssymptomaik: • Psychoanalyse: 83% • Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie 68% • Kognitive Verhaltenstherapie 53% • Therapiedosis und -dauer sind entscheidend Caspar Friedrich David, Der Mönch am Meer,1808-1810