20.05.2005 9:09 Uhr Seite 67 Wirkung von ultrafeinen Teilchen auf das Herz-Kreislaufsystem Effect of Ultrafine Particles on the Cardiovascular System Institut für Inhalationsbiologie1 Institut für Toxikologie2 in Kooperation mit dem Institut für Chirurgische Forschung3 der Ludwig-Maximilians-Universität München Aktuelle Themen 067_072_toxi_akt.qxd Holger Schulz1, Andreas Stampfl2, Fritz Krombach3 E pidemiologische Studien zeigen, dass winzige Staubteilchen in der Umgebungsluft, die von Autoabgasen, aber auch Heizungen und Fabriken stammen, unsere Gesundheit – vor allem die HerzKreislauffunktion – beeinträchtigen. Diese Staubteilchen werden mit der Atmung aufgenommen und in der Lunge abgelagert. Für grobe Partikel (größer als 2,5 Mikrometer) besitzt der Mensch mit der Nase und den großen luftleitenden Atemwegen (Bronchien) ein effektives Filtersystem, feine Partikel (0,1 bis 2,5 Mikrometer) werden nur zu einem geringen Anteil in der Lunge abgelagert. Ultrafeine Teilchen (kleiner als 0,1 Mikrometer) gelangen jedoch mit der Atemluft bis in den gasaustauschenden Bereich der Lunge und werden dort zu einem erheblichen Anteil abgelagert. Da der Flüssigkeitsfilm und die Alveolarmembran der Lunge, die den Luftraum der Lunge vom Blutsystem trennen, keine komplette Barriere bilden, können die Teilchen in die Blutbahn gelangen und alle lebenswichtigen Organe erreichen. Über die Wirkungsmechanismen dieser Teilchen ist allerdings noch sehr wenig bekannt. Um die komplexe Wirkung von ultrafeinen Staubteilchen zu untersuchen, arbeiten die GSF-Institute für Epidemiologie, Inhalationsbiologie und Toxikologie sowie das Institut E pidemiological studies show that tiny dust particles in the air – from car exhaust, heating, and factories – affect our health, and especially cardiovascular function. These particles are inhaled and deposited in the lungs. Humans have effective filter systems in the nose and the large airways (the bronchi) for large particles (diameter > 2.5 µm), and only a small fraction of fine particles (0.1 – 2.5 µm) are deposited in the lungs. However, ultrafine particles (< 0.1 µm) penetrate to the alveolar region of the lungs, where the majority are deposited. These particles can penetrate the liquid film and alveolar membrane of the lung that separate the gaseous region from the blood system, and thus enter the bloodstream and reach all the important organs of the body. Little is known, however, about their actual mechanisms of action. The GSF Institutes of Epidemiology, Inhalation Biology, and Toxicology work together with the Institute for Surgical Research of Ludwig Maximilian University in the GSF project ‘Health Relevance of Aerosols’ (coordinator Dr. Wolfgang Kreyling) to investigate the complex effects of ultrafine particles. The epidemiological investigations by Dr. Annette Peters’ Research Group ‘Epidemiology of Air GSF 67 067_072_toxi_akt.qxd 20.05.2005 9:09 Uhr Seite 68 für Chirurgische Forschung der LudwigMaximilians-Universität im GSF-Projektfeld „Gesundheitsrelevanz von Aerosolen“ (Koordinator: Dr. Wolfgang Kreyling) zusammen. Die epidemiologischen Untersuchungen der Arbeitsgruppe „Epidemiologie von Luftschadstoffwirkungen“ von Dr. Annette Peters, GSF-Institut für Epidemiologie und anderer Institute, deuten darauf hin, dass sich bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung nach Einatmen ultrafeiner Teilchen die Schlagadern bei plötzlicher Anstrengung – im Gegensatz zu gesunden Menschen – nicht schnell genug erweitern können. Dadurch wird in solchen Stresssituationen das Herz nicht ausreichend durchblutet. Dies kann zu Herzrhythmusstörungen oder Herzinfarkt führen. Außerdem können durch die ultrafeinen Partikel Blutplättchen aktiviert und dadurch die Gerinnungsfähigkeit des Blutes erhöht werden. Das Blut wird zähflüssiger, und die Gefahr der Bildung von Blutgerinnseln steigt. Weiterhin besteht die Möglichkeit, dass die Partikel die autonome Kontrolle des Herzens, die u.a. den Herzschlag steuert, beeinflussen: Der Puls wird beschleunigt, und das Herz schlägt zu regelmäßig. Um diese Befunde und mögliche Wirkungsmechanismen experimentell zu erhärten, wurden verschiedene sich ergänzende Experimente geplant, die das Know-how der einzelnen Arbeitsgruppen nutzen, die im Projektfeld den kardiovaskulären Bereich bearbeiten. Prinzipiell werden drei Wirkmechanismen untersucht: 1) Störung des vegetativen Gleichgewichts zwischen sympathischem und parasympathischem System, 2) Störung der Homöostase und Induktion einer leichten Entzündung in der Lunge, die zur Freisetzung von Botenstoffen führt, 3) direkte Wirkung ultrafeiner Partikel auf andere Organe, nachdem die Partikel in die Blutbahn gelangt sind (siehe Jahresbericht des Instituts für Inhalationsbiologie, Seite 147). Anstieg der Herzfrequenz und Verminderung der Frequenzvariabilität In Inhalationsexperimenten mit Ratten wurden das Elektrokardiogramm (EKG) und der Blutdruck erfasst. Als Modellpartikel wurden Kohlenstoffteilchen verwendet. Es 68 GSF Pollutant Impacts’ in the GSF Institute of Epidemiology and by other institutes indicate that after patients with coronary heart disease breathe in ultrafine particles, their arteries cannot expand rapidly enough in situations of sudden exertion – in contrast to healthy patients. This means that in this type of stress situation the blood supply to the heart is insufficient. This can lead to heart rhythm defects or a heart attack. Furthermore, the ultrafine particles can activate the platelets raising the coagulability of the blood. The blood becomes more viscous and the danger of thrombus formation increases. Furthermore, there is the possibility that the particles directly affect the autonomous control system of the heart, which regulates the heartbeat. The pulse rate rises and the heart beats too regularly. In order to confirm these results and possible mechanisms of action experimentally, various complementary experiments were planned using the know-how of the different research groups working in the project area of cardiovascular disease. Essentially, three different mechanisms of action are investigated: 1) perturbations of the vegetative balance, that is of the sympathetic and parasympathetic systems; 2) disturbances of homeostasis and induction of mild inflammation in the lung which leads to the release of messenger substances; and 3) direct effects of ultrafine particles on other organs after the particles enter the bloodstream (see Annual Report of the Institute of Inhalation Biology, p. 147). zeigte sich, dass bereits umweltnahe Teilchenkonzentrationen zu einem Anstieg der Herzfrequenz und einer Verminderung der Frequenzvariabilität führen (Abb. 1). Ursache ist wahrscheinlich eine Störung des vegetativen Gleichgewichts über die Aktivierung von Rezeptoren im Atemtrakt. Beide Kontrollperiode 9:09 Uhr Kohlenstaubinhalation Erholungsperiode Seite 69 450 Blutdruck (mm Hg) * 120 400 100 80 350 0 0 Abb. 1: Effekte von Kohlenstaubinhalation auf Blutdruck und Herzfrequenz. Säulendiagramm des diastolischen (blau) und systolischen Blutdrucks (schwarz) sowie der Herzfrequenz (rot) gesunder WKY-Ratten (n = 7; Gewicht: 282g – 445 g) vor, während und nach einer Kohlenstaubinhalation (Mittelwerte mit Standardabweichung). Das *-Symbol markiert eine statistisch signifikante Abweichung vom Mittelwert der Kontrollperiode bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von < 5%. Befunde gelten – insbesondere bei Patienten mit Herzerkrankungen – als Risikofaktoren. Um die Frage zu beantworten, ob in die Blutbahn gelangte Partikel direkt auf das Herz wirken können, wurden Untersuchungen am isolierten Herzen beziehungsweise an Herzmuskelzellen durchgeführt. Die Experimente mit isolierten Herzen zeigten unter dem Einfluss von ultrafeinen Teilchen ebenfalls eine Zunahme der Herzfrequenz QRS-Komplex Abb. 2: EKG eines isoliert perfundierten Meerschweinchenherzens. Oben: normales EKG mit fester Reihenfolge P-Welle – QRS-Komplex. Unten: EKG zwei Stunden nach Perfusion mit ultrafeinen Teilchen; die P-Welle ist nur noch unregelmäßig und nicht mehr mit dem QRSKomplex gekoppelt. und eine Veränderung des EKG. In Abbildung 2 ist die Veränderung einer EKGAbleitung (Ableitung I nach Einthoven) eines isoliert perfundierten Meerschweinchenherzens zu sehen. Teil A zeigt das EKG vor einer Perfusion mit ultrafeinen Partikeln, Teil B das EKG zwei Stunden nach Zugabe von ultrafeinen Partikeln. Wahrscheinlich haben die Modellpartikel die Weiterleitung des Signals des autonomen Erregungszentrums des Herzens gestört und so zu einer Entkopplung der P-Welle (elektrische Erregung der Herzvorhöfe) von dem QRS-Komplex (elektrische Erregung der Herzkammern) geführt. Ein derartig gestörter Ablauf der Herzaktion reduziert die Leistung des Herzens. Aktuelle Themen 140 20.05.2005 Herzfrequenz (Schläge/min) 067_072_toxi_akt.qxd Gestörte Kalzium-Regulation An einzelnen isolierten, elektrisch stimulierten Herzzellen wurde durch schnelle Fluoreszenzmikroskopie das intrazelluläre frei verfügbare Kalzium und dessen Regulation untersucht. Kalzium ist ein wichtiges Ion für die Herzfunktion. Es reguliert zum einen die Kontraktionskraft des Herzmuskels und ist zum anderen für den regelrechten Ablauf der einzelnen Herzaktionen mit verantwortlich. In der Ruhephase – zwischen den einzelnen Kontraktionen der Herzzelle – beträgt die freie intrazelluläre Kalzium-Konzentration nur etwa 100 nM. Wenn die Zelle stimuliert wird, steigt normalerweise das freie Kalzium sehr schnell auf Konzentrationen von etwa 1300 nM an und sinkt innerhalb von etwa 300 Millisekunden wieder auf den Ruhewert ab. Bei Kalzium-Konzentrationen von über 500 nM kontrahiert sich die Herzmuskelzelle. Die Stärke der Kontraktionskraft wird durch die Höhe der KalziumKonzentration bestimmt. In Gegenwart von Modellpartikeln verändert sich das KalziumProfil: einerseits nimmt die maximal erreichte Kalzium-Konzentration in der Zelle ab, andererseits steigt die Konzentration in der Ruhephase an. Dies bedeutet, dass die Kontraktionskraft der Zelle und damit die des Herzens durch die Partikel vermindert wird. Diese Effekte beruhen wahrscheinlich auf einer durch die Partikel hervorgerufenen Verminderung des Einstroms von Kalzium in GSF 69 9:09 Uhr Seite 70 A B Freies intrazelluläres Kalzium Zellkontraktion 200 ms Reizpuls C Kontrolle Wirkung ultrafeiner Teilchen 200 ms Abb. 3: Wirkung ultrafeiner Teilchen auf eine stimulierte Herzzelle. A: Isolierte, sich kontrahierende Herzmuskelzelle. Die freie intrazelluläre Kalzium-Konzentration ist in Fehlfarben dargestellt. Dunkles Blau entspricht niedriger (ca. 100 nM), Rot hoher Konzentration (ca. 1200 nM). B: Zeitverlauf der Kalzium-Konzentration einer stimulierten, sich kontrahierenden Herzzelle. C: Ultrafeine Teilchen wirken auf den Kalziumtransienten (Konzentrationsdifferenz zwischen Ruheund Stimulationsphase) und das Kalzium während der Erregungspausen. die Zelle bei der Erregung und einer reduzierten Elimination von Kalzium in der Ruhephase (Abb. 3). Ultrafeine Partikel induzieren Ablagerung von Blutplättchen in Mikrogefäßen Mittels intravitaler Fluoreszenzmikroskopie wurde in der Leber von Mäusen die Interaktion von Thrombozyten mit den die Mikrogefäße auskleidenden Endothelzellen untersucht. Dazu wurden Thrombozyten von Mäusen isoliert, mit dem Fluoreszenzfarbstoff Rhodamin beladen und zwei Stunden nach Infusion der ultrafeinen Partikel in die 70 GSF 15 300 250 * * 200 * * 10 150 5 100 50 0 0 Kontrolle UFPs 1x107 UFPs 5x107 UFPs 1x107 + Tirofiban Akkumulierte Thrombozyten [1/Azinus] 20.05.2005 Adhärente Thrombozyten [1/mm2] 067_072_toxi_akt.qxd Abb. 4: Intraarterielle Applikation von ultrafeinen Partikeln. Die intraarterielle Applikation von ultrafeinen Partikeln (UFPs) in zwei unterschiedlichen Konzentrationen induzierte zwei Stunden nach der Verabreichung einen signifikanten Anstieg der Thrombozytenadhärenz beziehungsweise -akkumulation in post-sinusoidalen Venolen (weiß) und in Sinusoiden (grau), jedoch keinen signifikanten Anstieg in den terminalen Arteriolen (schwarz). Der Anstieg der Thrombozyten-Endothelzell-Interaktion wurde durch eine Blockade des Rezeptors GPIIb/IIIa mit Tirofiban komplett verhindert. Arterien injiziert. Durch Fluoreszenzmikroskopie konnten dann Anlagerungen der Blutplättchen lokalisiert werden. Zwei Stunden nach Applikation der ultrafeinen Partikel war die Anlagerung der Blutplättchen in allen untersuchten Bereichen der Lebermikrogefäße gegenüber der unbehandelten Kontrollgruppe signifikant erhöht. Durch Zugabe von Tirofiban, einer Substanz, die den Glycoprotein-lIb/Illa-Rezeptor inaktiviert, der für die Bindung von Thrombozyten an die Endothelzellen mit verantwortlich ist, wurde die durch ultrafeine Partikel hervorgerufene Adhäsion aufgehoben (Abb. 4). Dies ist ein starkes Indiz dafür, dass die vermehrte Anlagerung der Blutplättchen an die Endothelzellen nach Zugabe von ultrafeinen Teilchen durch Aktivierung des Glycoprotein-lIb/Illa-Rezeptorkomplexes vermittelt wird. Durch Analyse der intravaskulären Ablagerung und Verteilung von Fibrin/ Fibrinogen – einem maßgeblichen Gerinnungsfaktor – konnte gezeigt werden, dass die Anlagerung der Thrombozyten mit einer Fibrindeposition assoziiert ist. Unter Normalbedingungen wurde keine intravasale Deposition beobachtet, nach Zugabe von 20.05.2005 9:09 Uhr Seite 71 ultrafeinen Partikeln wurde jedoch Fluoreszenz-markiertes Fibrin an der Oberfläche der Endothelzellen der Mikrogefäße nachgewiesen (Abb. 5). Etwa 80 Prozent der Thrombozyten lagerten sich in Bereichen an, in denen Fibrin gebunden war. Interessanterweise konnte eine durch ultrafeine Partikel induzierte Ablagerung von Fibrin nicht nur in Mikrogefäßen der Leber, sondern auch in den kleinen Gefäßen des Herzens nachgewiesen werden. Diese mit Modellpartikeln in umweltrelevanten Konzentrationen erarbeiteten experimentellen Daten stimmen mit epidemiologischen Befunden überein und unterstützen die eingangs vorgestellten Hypothesen über Wirkungsmechanismen ultrafeiner Partikel. Es bleibt jedoch noch zu klären, welche Stoffe, welche physikalischen und chemischen Eigenschaften und welche Beladung mit organischen Stoffen und Schwermetallen sich auf das kardiovaskuläre System des Menschen besonders ungünstig auswirken. Für diese Arbeiten erhielten Dr. Andrej Khandoga und Professor Fritz Krombach vom Institut für Chirurgische Forschung der Ludwig-Maximilians-Universität München, Roman Radykewicz und Andreas Stampfl vom Institut für Toxikologie sowie Dr. Wolfgang Kreyling, Dr. Shinji Takenaka und Professor Holger Schulz vom Institut für Inhalationsbiologie den Paula und Richard von Hertwig-Preis 2004 für interdisziplinäre Zusammenarbeit. Aktuelle Themen 067_072_toxi_akt.qxd A B Abb. 5: Intravitalmikroskopische Aufnahmen der Leber. Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe (A) zeigt sich in Mikrogefäßen bereits zwei Stunden nach einer intraarteriellen Verabreichung von ultrafeinen Partikeln (B) eine deutliche Deposition von Fluoreszenzfarbstoff-konjugiertem Fibrin. GSF 71 067_072_toxi_akt.qxd 20.05.2005 9:09 Uhr Seite 72 Ausgewählte Veröffentlichungen Harder, V., Gilmour, P., Lentner, B., Karg, E., Takenaka, S., Ziesenis, A., Stampfl, A., Kodavanti, U., Heyder, J., Schulz, H.: Cardiovascular responses in unrestrained WKY rats to inhaled ultrafine carbon particles. Inhal. Toxicol. 17: 1-14 (2005) Khandoga, A., Stampfl, A., Takenaka, S., Schulz, H., Radykewicz, R., Kreyling, W. G., Krombach, F.: Ultrafine particle exert prothrombothic but not inflammatory effects on the hepatic microcirculation in healthy mice in vivo. Circulation 109: 1320-1325 (2004) Peters, A., von Klot, S., Heier, M., Trentinaglia, I., Hörmann, A., Wichmann, H. E., Löwel, H. for the Cooperative Health Research in the Region of Augsburg Study Group. Exposure to traffic and the onset of myocardial infarction. The New England Journal of Medicine 21: 17211730 (2004) 72 GSF Schulz, H., Harder, V., Ibald-Mulli, A., Khandoga, A., Koenig, W., Krombach, F., Radykewicz, R., Stampfl, A., Thorand, B., Peters, A.: Cardiovascular effects of fine and ultrafine particles. J. Aerosol Med. 18 (2005) Semmler, M., Seitz, J., Erbe, F., Mayer, P., Heyder, J., Oberdörster, G., Kreyling, W. G.: Long-term clearance kinetics of inhaled ultrafine insoluble iridium particles from the rat lung including transient translocation into secondary organs. Inhal. Toxicol. 16: 453-459 (2004)