An ihr Essen stellen die Verbraucher hohe Ansprüche. Die Hersteller entwickeln deshalb immer neue, vermeintlich bessere Produkte. Ein großes Feld neuer Möglichkeiten bietet dabei die Verwendung von Nanopartikeln. Die millionstel Millimeter winzigen Teilchen bieten aber neben neuen Chancen womöglich auch Risiken. „Man hat derzeit die unbefriedigende Situation, dass es für Lebensmittel kaum öffentlich zugängliche Studien über die Wirkung von Nanopartikeln gibt“, sagt der Toxikologe Rolf Hertel vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Als Nanopartikel werden Partikel bezeichnet, die kleiner als 100 Nanometer sind. Eine gesetzlich festgelegte Definition gibt es allerdings noch nicht. Unternehmen erhoffen sich von Verfahren und Produkten im Nanobereich neue große Märkte. Beim „Project on Emerging Nanotechnologies“, einer vom Woodrow Wilson International Center for Scholars geschaffenen Datenbank in den USA, sind bereits etliche Nahrungsmittelzusätze registriert. Nanopartikel seien beispielsweise in einem Schokoladen-Schlankheitsgetränk, einem chinesischen Tee sowie einem israelischen Öl enthalten. Auch deutsche Firmen sind im Nanogeschäft: das Griesheimer Unternehmen Neosino beispielsweise mit Kapseln, die Siliziumdioxid, Magnesium und Kalzium in Form von Nanopartikeln enthalten, und die Darmstädter Aquanova, die wasserlösliche Transportvehikel anbietet. Die Anwendungsmöglichkeiten seien vielfältig, sagt Anne Theobald von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority, EFSA). Im Einsatz seien bereits Verpackungen: Nanotechnik soll die Umhüllungen leichter und widerstandsfähiger gegen Licht, Hitze, Belastungen und Durchfeuchtung oder auch undurchlässig für Sauerstoff machen. Angedacht sind zudem Nanosensoren, die die Frische eines Produktes prüfen. Auch dem „Functional Food“, also Nahrung mit Zusatzstoffen für angebliche oder tatsächliche positive Gesundheitseffekte, würden Nanopartikel zugefügt, sagt Theobald. Zudem ließen sich Geschmack und Konsistenz verändern, beispielsweise bei Eiscremes mit vollem Geschmack trotz geringen Fettgehaltes. „Am weitesten fortgeschritten ist der Einsatz bei den Verpackungen“, sagt Herbert Buckenhüskes, Präsident der Gesellschaft Deutscher Lebensmitteltechnologen (GDL). „Weil die Sicherheitsfrage noch nicht geklärt ist“, so der GDL-Chef, führten die Unternehmen diese Produkte aber nur zurückhaltend auf dem Markt ein. Tatsächlich stapeln die Unternehmen nach außen hin tief: Beim Lebensmittelkonzern Nestlé in Frankfurt heißt es, derartige Produkte seien nicht auf dem Markt. Lediglich die Studien zum Thema würden aufmerksam gelesen. Bei Kraft Foods in Bremen lautet die Auskunft ähnlich. Allerdings hat der Konzern in den USA vor einigen Jahren das Konsortium „NanoteK“ zur Erprobung nanotechnologischer Verfahren mitgegründet, an dem mehr als zwölf Universitäten und nationale Forschungseinrichtungen beteiligt sind. Mehrzahl der Verbraucher lehnt Nanoprodukte ab Die Lebensmittelwirtschaft sei in der Anwendung so zurückhaltend, weil sie Vertrauensverluste bei den Verbrauchern fürchte, erklärt Sieglinde Stähle vom Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL). Einer BfR-Studie zufolge halten Verbraucher nicht viel von Nanotechnologie in Lebensmitteln: 84 Prozent lehnen Nanopartikel ab, die Lebensmittel länger frisch aussehen lassen. Auch Verbraucher- und Umweltschutzverbände sind alles andere als glücklich mit dem Einsatz der Kleinstpartikel. „Wir sind der Meinung, dass Nanopartikel in Lebensmitteln nichts zu suchen haben, solange die Risiken nicht geklärt sind“, sagt Patricia Cameron vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Dies gelte auch für die Herstellungsprozesse und die Beschichtungen, die beispielsweise in Ketchupflaschen und Soßendosen verwendet würden. Zusammen mit dem Einsatz der winzigen Partikel in der Landwirtschaft könne sich die Aufnahme so rasch vervielfachen – mit derzeit nicht absehbaren Folgen. Aus den Beschichtungen dürfe gar kein Material ins jeweilige Lebensmittel übergehen, betont BLLExpertin Stähle. „Das ist nicht nur ein Gebot, das ist ein Gesetz.“ Derzeit würden NanoVerpackungsmaterialien ohnehin kaum verwendet, da die Herstellung noch sehr teuer sei. Oft gehe es zudem gar nicht um neue Substanzen, sondern um jahrelang verwendete, nur eben in nanoskaligem Format. Zum Beispiel um Siliziumdioxid, das als Rieselhilfe in Salz genutzt werde. Entzündungen durch Nanopartikel Dieses Argument allerdings halten Toxikologen für riskant. Denn die auf wenige Nanometer geschrumpften Stoffe veränderten ihre Eigenschaften häufig völlig: Vormals chemisch träge Materialien würden plötzlich hochreaktiv und damit gefährlich, sagt Paul Borm von der ZuydUniversität in Heerlen (Niederlande). Versuche mit Titandioxid hätten gezeigt, dass 20 Nanometer große Teilchen bei Ratten zu Entzündungen in der Lunge führen, größere Partikel dagegen nicht. Das weiße Titandioxid wird als Aufheller in Arzneimitteln und Zahnpasta genutzt. Der Toxikologe Günter Oberdörster von der Universität Rochester (US-Staat New York) wies schon vor Jahren nach, dass Nanopartikel im Körper Entzündungen hervorrufen können. Werden die Teilchen mit dem Essen aufgenommen, können sie über die Darmwand ins Blut gelangen. Dieses transportiert die Partikel zu den Organen, auch die Blut-HirnSchranke wird passiert. Die Schweizer Rückversicherergesellschaft SwissRe hat Nano-Studien in dem Bericht „Nanotechnologie. Kleine Teile große Zukunft?“ zusammengefasst. Partikel mit weniger als 200 Nanometer Durchmesser in der Blutbahn würden anders als körperfremde Stoffe normalerweise nicht nur von spezialisierten Fresszellen aufgenommen, sondern „scheinbar grundlos“ auch von anderen Zellen. „Das Problem ist, dass viele solcher unerwarteter Nebenwirkungen erst mit großer Verzögerung bekannt werden. Mehrere Jahre können vergehen, bevor völlig unerwartete Risiken auftreten und erst im Nachhinein verständlich werden“, steht in dem Bericht zusammenfassend. Auch die Politik setzt sich zunehmend mit dem Thema auseinander. Anfang vergangenen Jahres gaben das Forschungsministerium und mehrere Unternehmen bekannt, insgesamt 7,6 Millionen Euro in die Erforschung der Sicherheit von Nanoteilchen zu investieren. Die EU hat Datensammlungsprojekte wie „Nanotox“ und „Impart“ gestartet. Informationen im Internet: www.nanotechproject.org www.efsa.europa.eu