Milieugestaltung - Mehr als Möbel -- Irmi

Werbung
Milieugestaltung
Mehr als Möbel
Fachtagung Allgemeinpsychiatrie
14. – 16.01.2015
Koster Irsee
Irmi Breinbauer
Was ist Milieu(therapie)?
In den letzten Jahren ist der Begriff
„Milieutherapie“ so populär geworden, dass
wenige Krankenhäuser zugeben werden,
kein therapeutisches Milieu geschaffen zu
haben. Das führt dazu, dass manche
Krankenhäuser z.B. die Versorgung eines
psychotischen Patienten mit kaum mehr als
drei regelmäßigen Mahlzeiten und einem
Bett als Milieutherapie bezeichnen.
Cumming, 1979
„Milieutherapie“ ist in der Gestaltung des
Klinikalltages von entscheidender
Bedeutung, auch wenn ihr Einfluss nicht
immer ausreichend reflektiert wird. Das
Milieu bildet keineswegs nur den Rahmen
des übrigen therapeutischen Geschehens. In
gekonnter Anwendung hat das Milieu ein
eigenes wichtiges therapeutisches Potential,
und umgekehrt: in falscher oder
nachlässiger Anwendung können durch das
Milieu wichtige therapeutische Schritte
behindert oder gar verhindert werden.
Edgar Heim
Versorgungskulturen
Fürsorgekultur – wohlmeinende Hilfe und
Bevormundung, Einschränkung der Autonomie der
Betroffenen
Behandlungskultur – expertenorientiert;
Compliance; unterschiedliche, meist sich gegenseitig
ausschliessende ätiologische Modelle
(psychotherapeutisch/medizinisch)
Pädagogische Kultur – normative Zielvorgaben,
pädagogische Mittel, freundlich, strukturiert
Empowerment-Kultur – ausgeglichene
Machtverhältnisse durch Abgabe von Expertenmacht,
ressourcenorientiert für eigenständige Entwicklung
der Betroffenen
Schürmann, 1997
Milieu ist…
ExperimentierÜbungs(Über)-LebensErprobungsBeobachtungsPsychischer
Darstellungs Wahrnehmungs Interaktions (soziales/r) Realitäts
- Feld
- Raum
Es geht also darum…
…eine Atmosphäre schaffen, in der
Verbindung und Verbindlichkeit
zwischen Menschen entsteht und
nicht nur zwischen dem Kranken
und der Pflegeperson, ÄrztIn,
SozialpädagogIn oder
FachtherapeutIn.
Hierfür braucht es MitarbeiterInnen, die
sich berühren lassen, die offen sind für
all das, was Menschen in Krisen
erleben.
Es braucht die Bereitschaft
•mitzuschwingen ohne zu bemitleiden,
•sich einzufühlen ohne „im Anderen zu
verschwinden“,
•eindeutig und deutlich zu sein ohne zu
bevormunden.
Beispiel Soteria
• Soteria
Gemeinschaftsleben WG-ähnlich, am Alltag orientierter
Tagesablauf, wohnliche Atmosphäre,
multiprofessionelles Personal „lebt mit“
• Stationen mit Soteriaelementen
Einzelne Elemente wie gemeinsames Essen,
Empfangstresen statt Stationszimmer
Beispiel
Psychiatrische Intensivstation
− Variantenreiches und umfangreiches
multiprofessionelles Beziehungsangebot auf
niederschwelliger Ebene bis in die Abendstunden und an
Wochenenden
− Mehrere Alternativangebote (inhaltlich, räumlich) zur
Prävention bzw. Deeskalation von Erregungszuständen
− Möglichkeit engmaschiger Begleitung in
unterschiedlichen räumlichen Settings
Milieutherapie ist…
die therapeutische Nutzung / Gestaltung des
Alltags, orientiert an den individuellen
Symptomen und Bedürfnissen der Betroffenen
die Umgestaltung des Umfelds zur
Verminderung der emotionalen Spannung der
Einzelnen
– Schaffen einer entspannenden Atmosphäre, in der
sich Menschen wohl fühlen können
– Entwicklung einer (therapeutischen) Gemeinschaft
– tragfähige und beständige Beziehungen
– Zuverlässige Strukturen
Stichwort: Beziehung
Mitarbeiter bieten sich im Handlungsdialog als
Resonanzkörper an und stehen den Betroffenen
somit zur therapeutischen Nutzung zur
Verfügung
Die Haltung der Mitarbeiter gegenüber den
Betroffenen beinhaltet die Anerkennung der
subjektiven Wahrheit des Erlebten
Wesentliche Idee der Begleitung ist die
Förderung von Selbstbefähigung im Umgang
mit der Erkrankung und Teilhabe
„Es entscheidet sich „im tiefsten
Inneren eines Menschen, ob und wie
Hilfe angenommen wird und wirken
kann – also abhängig davon wie
ganzheitlich sich jemand gesehen und
angenommen fühlt“.
Thomas Bock
Es braucht wohlwollende
Menschen, die sich für das
Innenleben des Gegenübers
interessieren, aber nicht zu nahe
kommen und nicht zu viel auf
einmal wollen und tun...
Grundlagen…
Schaffen von zuverlässigen, durchschaubaren,
vertrauensvollen sozialen Strukturen
Übereinstimmung der vermittelten und gelebten
Wertsysteme
Verlässliche Gewohnheiten, Rituale, Verhaltensregeln
Auswirkung des Gruppenprozesses erkennen und
beachten
Beachtung der gelebten Einstellungen und Gefühle des
Personals
Therapeutische Elastizität
Fritz Redl, 1953
Pathologische und therapeutische Milieueinflüsse
(nach Ciompi 1981)
Pathologisches Milieu
(z. B. Familie, Institution)
Psychopathologische Störung
beim Pat.
Optimal therapeutisches
Milieu
Spannung, Angst, Unruhe, zu
viele Stimuli
Spannung, Angst, Erregung,
produktiv-psychotische
Symptome
Entspannung, Ruhe, Sicherheit,
Gelassenheit, Reduktion von
Stimuli
Komplexe, unklare,
unübersichtliche Umgebung
Derealisation
Einfache, klare, übersichtliche
Umgebung
Misstrauen, Intoleranz
Misstrauen, Spannung, Ärger,
Wut, niedriges Selbstwertgefühl
Vertrauen; Validierung von
Wahrnehmungen, Gedanken,
Gefühlen; Toleranz
Symbiotisch-narzisstische
Beziehung, erzwungener
Konsensus, Verleugnung von
Unterschieden,
Unscharfe Ich-Grenzen,
Überempfindlichkeit,
Konfliktunfähigkeit, Verneinung,
Verleugnung
Klare Demarkation der Person,
Anerkennung von
Unterschieden in Meinungen,
Gefühlen, Verhalten
Widersprüchliche Ge- und Verbote
(double bind), „unmögliche
Mission“, widersprüchliche,
implizite Erwartungen
Ambivalenz, Denk- und
Fühlstörung, Inkohärenz, Wahn,
Halluzination
Eindeutigkeit von Ge- und
Verboten; realistische,
eindeutige, explizite
Erwartungen
Infantilisierung, Abhängigkeit,
mangelnde Verantwortung
Regression, Infantilismus,
Inkompetenz
Autonomisierung,
Verantwortlichkeit, Vertrauen
Rigidität, stereotype Rollen
Rigidifizierung, Stereotypien,
Manierismen
Beweglichkeit, Rollenflexibilität
Zusammenfassung
Orientierung am „Normalen“
Flexible Stationsstrukturen mit Platz für neue Ideen
Eine wertschätzende, akzeptierende und respektierende
Haltung gegenüber den Patienten
Mitbestimmungsrecht der Patienten bei alltäglichen Dingen
auf der Station
Motivation, gemeinsam mit den Patienten etwas zu tun und
sie dabei zu aktivieren
Das Bestärken der Patienten in ihrem Tun und Handeln
Eine kontinuierliche Beziehungspflege
Klare und sinngerechte Kommunikation
Unsere Vorbildfunktion nutzen
Bewusstwerden unserer eigenen Gedanken und Gefühle
Regelmäßige Reflexion unserer eigenen Person und des
Teams
Herunterladen