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4/2006
Zeitschrift der Ausländerbeauftragten des Landes Niedersachsen
Dezember | Januar | Februar | 15. Jahrgang
BETRIFFT
MEHR
HEITEN
MINDER
HEITEN
Religion
Die Gretchenfrage
der Integration?
Religion
Die Gretchenfrage der Integration?
Auf ein Wort
Chancengleichheit und Gleichbehandlung
von Gabriele Erpenbeck
Thema
Liebe Leserinnen
und Leser,
schon immer haben Zuwanderer auch ihre
Religionen mitgebracht – mitunter haben
sie sogar wegen ihres Glaubens ihre Heimat verlassen müssen.
Zuwanderung hat die religiöse Landschaft
in Deutschland sichtbar verändert: Nach
1945 wurden beispielsweise in protestantisch geprägten Ortschaften bescheidene
katholische Kirchen gebaut, die deutschen Flüchtlingen und Vertriebenen eine
religiöse Heimat bieten sollten. Arbeitsmigranten der 1950er bis 70er Jahre aus
Südeuropa richteten sich lange Zeit nur
provisorisch in Deutschland ein – auch mit
ihren religiösen Gemeinschaften. Erst jetzt
werden vereinzelt größere Moscheen gebaut, was nicht selten zu heftigen Diskussionen führt. Doch ob es die Mehrheit will
oder nicht: Heute, gut 30 Jahre nach dem
Anwerbestopp, sind die Muslime nach den
Christen die zweitstärkste religiöse Gruppe
geworden. Sie gehören zu unserem Alltagsleben dazu. Sie sind durch die 2. und
3. Generation in Kindertagesstätten und
Schulen in einer Anzahl präsent, die neue
Konzepte und Schulversuche erfordert.
3
Religion und Integration
von Prof. Dr. Harry Noormann
4
Islam in der Schule:
Hindernis oder Chance für Integration?
von Dr. Haci-Halil Uslucan
8
Geraten die Fundamente der
Machtungleichheit ins Wanken?
von Gerdien Jonker
10
Aleviten – Gott ist in den Menschen
von Rosemarie Kirsch und Dr. Ali Ucar
12
Zusammen spielen, Gemeinsamkeiten entdecken, Unterschiede achten
von Dr. Christoph Dahling-Sander
14
Seelsorge und bildungspolitisches Engagement
von Pfarrer José Antonio Arzoz
16
Niedersachsen ist zum Beispiel mit dem
islamischen Religionsunterricht an Grundschulen auf einem guten Weg, wenn es
darum geht, Religion und Integration
zusammen zu bringen.
Marianne Winkler,
Redaktion „Betrifft“
Forum
Interview mit Prof. Dr. Gunter A. Pilz
von Marianne Winkler
17
Freiwillige Stärken
von Christina Müller-Wille
18
Vladimir Wilhelm aus Belm
von Fred Anders
19
Für eine gerechte Globalisierung
von Dr. Renée Ernst
20
Europa am Nachmittag
von Yuliya Akhmejanova
21
Materialien zum Schwerpunkthema
22
Nachrichten
23
Impressum
Zeitschrift der Ausländerbeauftragten des Landes Niedersachsen • H 5957
Herausgeberin/Verlegerin (ViSdP) und Redaktionsanschrift: Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport (MI) - Ausländerbeauftragte - Postfach 221, 30002 Hannover
Produktion: Anette Hoppenrath, Tel: (0511) 120-4863, E-Mail: [email protected]
Redaktion: Gabriele Erpenbeck, Anette Hoppenrath, Ulrich Kowalke, Marianne Winkler, Liza Yavsan
Titelfoto: Marianne Winkler
Zum Foto auf S.5: Trotz intensiver Bemühungen ist es uns nicht gelungen, Kontakt zum Rechteinhaber herzustellen. Er kann sich ggf. mit uns in Verbindung setzen.
Gestaltung: www.riebschlaeger-partner.de · Druck: Sponholtz Druckerei GmbH & CoKG, Hemmingen · Vertrieb: Lettershop Brendler GmbH, Laatzen
Erscheinungsweise: jeweils Ende März, Juni, September, Dezember
Bezugspreis: Die Zeitschrift kann gegen einen Kostenbeitrag (Einzelexemplar 2 EURO inkl. Versandkosten) bezogen werden.
Nachdruck nur mit Genehmigung der Herausgeberin (wird gern erteilt). Alle Rechte vorbehalten.
© Die Ausländerbeauftragte des Landes Niedersachsen. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung der Herausgeberin und der Redaktion
wieder. Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Materialien übernimmt die Redaktion keine Haftung; im Falle eines Abdrucks kann die Redaktion Kürzungen
ohne Absprache vornehmen.
Betrifft wird auf chlorfrei gebleichtem Material gedruckt: ISSN 0941-6447
BETRIFFT 4 / 2006
Auf ein Wort
Chancengleichheit
und Gleich behandlung
Die Europäische Union hat das Jahr 2007
zum Jahr der Chancengleichheit ausgerufen. Der EU-Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit,
Vladimír Spidla, beschreibt die Herausforderung: “Europa muss sich um eine
echte Gleichbehandlung im täglichen
Leben bemühen.“
Foto: Winkler
Das Europäische Jahr der Chancengleichheit für alle soll einen neuen
Impuls für die uneingeschränkte
Anwendung der Antidiskriminierungsvorschriften der EU bringen.
Die Grundrechte, die Nichtdiskriminierung und die Chancengleichheit sind Schlüsselprioritäten der
Europäischen Kommission. Für das
Europäische Jahr der Chancengleichheit schlägt die Kommission folgende zentrale Themen vor: Rechte,
Vertretung, Anerkennung sowie
Respekt und Toleranz. Gemeint sind
die Sensibilisierung für das Recht auf
Chancengleichheit, die Schaffung
und Verbesserung von Möglichkeiten
der gesellschaftlichen Teilhabe, die
Anerkennung von Vielfalt, sowie die
Förderung eines stärkeren Zusammenhalts der Gesellschaft getragen durch Toleranz und Respekt.
Im August dieses Jahres ist in
Deutschland das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz – AGG – in
Kraft getreten. Damit ist nun auch
Deutschland seiner Verpflichtung
nachgekommen, vier Richtlinien
der Europäischen Gemeinschaft
zum Schutz vor Diskriminierung
in nationales Recht umzusetzen.
Die Richtlinien betreffen verschiedene Bereiche unserer Rechtsordnung - der Schwerpunkt liegt im
Bereich von Beschäftigung und
Beruf. Die Bestimmungen gelten
gleichermaßen für Arbeitnehmer,
Auszubildende und den öffentlichen
Dienst. Betroffen ist aber auch das
Zivilrecht, also Rechtsbeziehungen
zwischen Privatpersonen – insbesondere Verträge mit Lieferanten,
Dienstleistern oder Vermietern.
Im Handlungsprogramm Integration
des Landes Niedersachsen wird deutlich, dass Integration die Herstellung
von Chancengleichheit und weitgehende Rechtsgleichheit voraussetzt.
Das bedeutet, es müssen gleichberechtigte Zugangsmöglichkeiten
zu allen zentralen Bereichen der
Gesellschaft vorhanden sein bzw.
geschaffen werden. Integrationspolitik muss es ermöglichen, dass
individuelle Ressourcen erkannt und
gefördert werden. Neben dem, was
von Migrantinnen und Migranten im
Integrationsprozess zu fordern ist, ist
die Herstellung von Chancengleichheit und das Ebnen der Wege dahin,
Aufgabe der Mehrheitsgesellschaft.
Es ist weitgehend unbestritten, dass
Neuzuwandernde nicht sofort nach
Einreise rechtlich in allen Bereichen
gleichgestellt sind. Dies entspricht
auch internationalen Standards
üblich. Die Auseinandersetzung geht
in der Regel darum, was z. B. faire
rechtliche Voraussetzungen sind, um
eines Tages in die deutsche Staatsangehörigkeit mit allen Rechten
und Pflichten hinein zu wachsen.
Aber das Nichtdiskriminierungsgebot
gilt in weiten Bereichen auch für
diejenigen, die die deutsche Staatsangehörigkeit nicht oder noch nicht
besitzen. Möglichst weitgehende
Chancengleichheit für sie herzustellen und Diskriminierungen zu
sanktionieren, liegt in nicht unerheblichem Maße auch im Interesse der
gesamten Gesellschaft. Menschen,
denen gleiche Chancen auf Dauer
verwehrt sind, werden über kurz
oder lang ein Fall für soziale Transferzahlungen und laufen Gefahr,
eines Tages ihr Leben nicht mehr
selbst bestimmt führen zu können.
Gabriele Erpenbeck
BETRIFFT 4 / 2006
Thema
Religion und
Integration
Von einer schwimmenden Insel
im Meer der Fremde
Wer „Religion und Integration“ sagt, meint zumeist Islam und Integration. Zu Recht, denn der
Islam hat sich bei uns zum ersten Mal in der
Geschichte als zweitstärkste Religion nach den
christlichen Kirchen etabliert. Der Islam ist die
Einwandererreligion schlechthin.
Foto: Badur
K
napp zwei Drittel der 3,2 Mio.
Migranten aus „muslimisch geprägten Ländern“ sind türkischer Herkunft (rund 2 Mio. mit ca.
750.000 schulpflichtigen Kindern).
Sie prägen maßgeblich das Fremdbild dieser Religion in Deutschland.
„Der Islam“ ist bekanntlich eine
Kopfgeburt wie „das Christentum“,
hinter der scharfe Kontraste und
Schattierungen unsichtbar werden:
etwa, dass hierzulande Muslime aus
über 50 Ländern der Erde leben, dass
zumeist von Sunniten (75 - 80%) die
Rede ist und nicht von Schiiten, Aleviten oder Ahmadiya-Anhängern, oder
dass in jeder dieser „Konfessionen“
orthodoxe, fundamentalistische, mystische, reformerische und moderne
Strömungen um einen authentischen
Glauben ringen.
„Der Islam“ ist in Verruf geraten, wo
über Integration gestritten wird. Er
gilt eher als Bremse und Störfaktor
denn als Motor für ein gedeihliches
Zusammenleben. Es scheint, als habe
in Feuilletons und Politmagazinen
eine „akute Generalitis“ die Oberhand gewonnen, die Zwangsheirat
und Ehrenmorde, fundamentalis-
BETRIFFT 4 / 2006
wertkonservativen, traditionalistischen Motiven. Die „importierte Heimat“ bestärkte die Migranten in der
Pflege gewohnter Lebensrhythmen
der eigenen Weltsicht und Selbstachtung, seelische Nahrung, die ihnen
„draußen“ verwehrt wurde. Diese
Enklaven boten geschützte Räume,
Refugien der Ermutigung und Stabilisierung, die auch mit einer bewussten Abgrenzung von der Residenzgesellschaft erkauft wurde. Selbstbehauptung konnte gar mit einem
verschärften moralischen Rigorismus
und betonter ritueller Strenge einhergehen – manchen Familienvater
machten erst Enttäuschungen und
erfahrene Demütigungen zu dem
strammen Muslim, der er in der Heimat nie gewesen war.
Islam in den 1980er und 1990er Jahren – Kampf um das Recht auf den
Unterschied
tische Hasstiraden, Selbstmordattentate und Frauenunterdrückung
munter auf das Konto „des Islam“
verbucht.
Es galt, sich mit der Familie in einer
ungläubigen Umwelt der „sexuellen
Revolution“ und einer verstörenden
Freizügigkeit einzurichten und die
Der Islam ist in Verruf geraten,
wo über Integration gestritten wird.
Was steckt hinter der neuen, bisweilen bizarr anmutenden Integrationsdebatte? Blicken wir zurück auf die
Geschichte des Islam in Deutschland
und auf seine Rolle bei der Integration, um genauer auszumachen, wo
wir heute stehen.
Islam in den 1970er Jahren – importierte Heimat in der Fremde
ethnisch-kulturelle Identität auch der
Kinder zu behaupten. Im Balanceakt
zwischen Anpassung und Selbstpreisgabe wurde die Religion „zu einer
schwimmenden Insel im Meer der
Fremde“. Der Ritus und Wertekodex des Glaubens bot vielen einen
sicheren Anker gegen Brüche und
Verunsicherungen des Lebens in der
Fremde.
Der erste türkisch-islamische Verein entstand 1973 in Köln – im Jahr
des Anwerbestopps nach 12 Jahren
Werbung um türkische Arbeitskräfte.
Diese hatten ihre ungastliche Lage
in Baracken und Billigquartieren mit
dem Trost auf einen Wohlstandszipfel bei der Rückkehr in die Heimat
überbrückt. Nun folgten Frauen und
Kinder den Männern in die Fremde.
Die religiösen Versammlungsstätten
verströmten in Farben, Tönen, Worten und Gerüchen vertraut-heimatliche Gefühle, sie waren aber auch
der Marktplatz für ganz praktische
Probleme, für Wohnungssuche,
Rechtsberatung, Tipps im Umgang
mit Behörden und Arbeitgebern. In
den Hinterhofmoscheen gedieh eine
„defensive Religion“, getragen von
Für die heute 30- bis 45-jährigen
Kinder der eingewanderten Muslime, die hier geboren wurden oder
nachgeholt ihre Jugend in Deutschland verbracht haben, stellte sich
die Frage nach einer muslimischen
Identität strukturell anders als bei
ihren Eltern. Ihre Sozialisation ist in
der Doppelbindung zwischen häufig
traditionsbewussten Elternhäusern
bzw. Gemeinden und der Residenzgesellschaft verlaufen. Sie haben den
Spagat zwischen den Lebenswelten
durchlebt, sie haben bildungsbewusst
die Versprechen auf Teilhabe und
Selbstverwirklichung internalisiert,
haben sich auf der eigenen biografischen Baustelle abgemüht um Anerkennung und Zugehörigkeit. Sie
sind konfrontiert worden mit einer
Vielfalt von Lebensstilen: Man kann
ohne Religion leben, und mit Religion in vielfältigen Gestaltformen.
Religiöse Pluralität zwingt zu selbst
autorisierter Wahl, die möglichen Optionen verlangen nach einer Entscheidung, zu der man „stehen kann“.
In dem Augenblick, wo man nicht
mehr „fraglos“ und „gedankenlos“
in religiöse Formen und Überzeugungen hineinwächst, sondern sich
veranlasst sieht und sich darauf ein-
BETRIFFT 4 / 2006
Foto: Hoppenrath
lässt, sich „Gedanken zu machen“,
warum die eigene Sicht besser oder
unzulänglich ist im Vergleich zu anderen, wird „Religion“ zur Bildungsfrage.
Foto: Winkler
Das Bekenntnis zum Islam gewinnt
nun den Charakter eines selbstbewussten, gelegentlich ostentativen
Unterscheidungsmerkmals, eines
persönlichen und sozialen Identitätslabels. Der Islam entwickelt sich zu
einer „distinktiven Religion“: institutionell in den überregionalen „Lobby“-Verbänden für Religionsfreiheit
und Gleichberechtigung in den 80er
und 90er Jahren, individuell wird
das „Recht auf Differenz“ bei Frauen
sichtbar, die freiwillig das Kopftuch
tragen oder bei Jugendlichen der
dritten Generation, die ihren christlichen Mitschüler/innen Blutlehre und
Laxheit ihrer Religion vorhalten.
Im Prozess „distinktiver“, subjektiver
Aneignung des Islam verliert die Religion ihren monolithischen Charakter
und setzt zentrifugale Kräfte frei, die
auf dem einen Pol moderne, „inkulturierende“ Glaubensvarianten hervorbringen kann, auf dem anderen
Pol ultraorthodoxe.
Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts
hat der Islam in Deutschland diese
differenzierte Gestalt gewonnen.
Seine Wandlungsfähigkeit in den
subjektiven Aneignungsweisen ist in
qualitativen Studien eindrucksvoll
herausgearbeitet worden. Karakasoglu-Aydin stellte 1999 bei türkischen Pädagogikstudentinnen fest:
BETRIFFT 4 / 2006
Diese Frauen begründen die Gleichheit und Rechte der Frau oder moderne Ideale wie Toleranz, Gewaltverzicht und Humanismus nicht im
Rekurs auf westliche Grundwerte,
sondern auf Koran und Sunna. Sie
beziehen sich auf genuin islamische
Leitvorstellungen in der Erziehung,
wenn sie eine auf Eigenständigkeit, Mündigkeit und Partnerschaft
ausgerichtete Pädagogik einfordern.
Im subjektiven und professionellen
Selbstkonzept dieser Studentinnen
geht ein selbst autorisierter und modellierter islamischer Glaube eine
Synthese mit westlichen (oder besser:
westlich reklamierten) Wertvorstellungen ein. Ihre Identitätsarbeit trägt
transkulturelle Züge. Andere Studien,
die zu ähnlichen Ergebnissen gelangten, lassen den Schluss zu:
„Leistungsethos, Eigenverantwortlichkeit, Entscheidung aufgrund
bewusster Wahl, Subjektzentrierung
und Religiössein als individuelles
Projekt – dieses sind nun ihrerseits
Muster und Werte, die in hohem
Maße Anforderungen und Erwartungen westlich-industrieller Gesellschaften entsprechen. Islamisierungsprozesse in westlichen Gesellschaften
können hochintegrativ und adaptionsproduktiv sein – sowohl für die
jungen Migrantinnen und Migranten
als auch für die Aufnahme- bzw. Residenzgesellschaft“.
Diese Beispiele sind selbstredend
nicht repräsentativ, aber in hohem
Maße symptomatisch für religiöse
Transformationsprozesse im gegenwärtigen Islam.
Die Globalisierung wird diesen Trend
eher beschleunigen. Nach dem jüngsten Mikrozensus von 2005 haben
27,2% der unter 25-Jährigen individuelle oder familiale Zuwanderungserfahrungen, in großen Städten bis
40%. Die starren Grenzen zwischen
„Einheimischen“ und „Migranten“
werden porös – nicht zuletzt im Blick
auf berufliche Arbeit und soziale
Entsicherung. Technik überspielt Zeitund Raumgrenzen: Reise-, Internetund TV-Verbindungen schaffen eine
transnationale Lebenswirklichkeit,
die virtuell und physisch Mehrfachzugehörigkeiten erleichtern.
Hier Nationalflaggen schwenkende
Deutschländer an der Seite deutscher
Fußballfans, dort brennende dänische
Flaggen im Karikaturenstreit, hier das
Islam-Forum mit einer deutschen Fassung der Sharia im Einklang mit dem
Grundgesetz, dort Islamophobie vor
einer fremd gebliebenen Religion,
der man misstraut, wo es um Grundrechte, Gewaltbereitschaftund Kritikfähigkeit geht.
Der Bundesinnenminister hat anlässlich seiner Einladung zur ersten Islamkonferenz eine zeitdiagnostische
Formel gefunden, die den Schlüssel
Je stärker die religiöse Bindung, desto niedriger die
Deutschkenntnisse und geringer die Kontakte zu Deutschen.
Den Optimismus qualitativer Studien über einen individualisierten Neoislam dämpfen repräsentative Erhebungen, die eine desintegrative
Breitenwirkung traditionalistischer
Glaubensüberzeugungen und Religionspraxis ausmachen. Leibold/
Kühnel/Heitmeyer konstatieren nach
Auswertung verschiedener Umfragen einen Anstieg im Grad der
Religiosität unter Muslimen seit 2000
(Selbsteinschätzungen) und machen
eine alarmierende Gleichung auf: Je
stärker die religiöse Bindung, desto
niedriger die Deutschkenntnisse und
geringer die Kontakte zu Deutschen.
Höhere Religiosität korrespondiert
mit einem niedrigeren sozioökonomischen Familienstatus.
Da Migrant/innen von Ausgrenzung
und Verarmungsprozessen stärker betroffen sind, könnte die Religion, ihr
„letztes kulturelles Kapital, über das
die betroffenen Migranten autonom
verfügen“, immer mehr an Bedeutung gewinnen – und desintegrative
Effekte verstärken.
Paradoxien auf dem Weg zu einer
diskursiven Religion – die Gegenwart
Spannungsvoll wie die Forschung
zeigt sich die gesellschaftliche Wirklichkeit selbst. „Mein Deutschland“,
titelt mit Stolz auf seine neue Heimat Feridun Zaimoglu. „Du bleibst
ein schlechter Ausländer dein Leben
lang“, kontert die deutschtürkische
Journalistin Aysun Ertan in der ZEIT.
zum Verständnis der verwirrend
widersprüchlichen Phänomene bieten
kann. Die drei Millionen Muslime
sind, so Wolfgang Schäuble, „Teil
der deutschen Gegenwart und
Zukunft, so wie der Islam ja auch
Teil Europas ist.“ Der Islam ist in
Deutschland angekommen, auch mit
seinen tabuisierten Seiten! Er ist de
facto eingetreten in den allgemeinen Diskurs über einen Wertekodex,
der diese Gesellschaft tragen und
zusammenhalten soll. Was mit dem
Ruf nach einer deutschen Leitkultur
im Jahr 2000 begann, spiegelt sich in
den zugespitzten Konfliktszenarien
der Gegenwart wider. Tatsächlich
ginge es dann nicht länger um die Integration einer Migrantenminderheit
und ihrer Religion in die Mehrheitsgesellschaft (zweispurig, versteht
sich), sondern um die Frage an alle
und gemeinsam, „wer wir sind und
wer wir sein wollen“.
Der Diskurs über Kultur und Religion
wird in den islamischen Communities
selbst aktiv ausgetragen und führt
zu heftigen Kontroversen über die
Deutungshoheit. Die schärfste Kritik
an einem „voraufgeklärten“ Islam
kommt – wenn auch mit unzulässiger
Generalisierung – aus den eigenen
Reihen. In den muslimischen Netzwerken wird leidenschaftlich um einen
partizipationsfähigen Islam gerungen,
der diese Gesellschaft konstruktiv mitgestalten kann.
Foto: Winkler
Würde die Chance einer „Einbürgerung“ des Islam vertan, müsste man
die Warnung vor einer Abschottungsfalle sehr ernst nehmen: verschärfte
sozioökonomische Ausgrenzung
könnte Teile der Muslime auf die Insel
einer dialogunwilligen, dogmatischen
Religion zurückdrängen.
Die großen Religionen in Deutschland müssen ihre Pluralismusfähigkeit
beglaubigen. Pluralismusfähig
ist eine Religion, wenn sie im Glauben an das oder den Absolute/n
das Bewusstsein für die Relativität
menschlicher Erkenntnis weckt und
wach hält, wenn sie eine Glaubensgewissheit bietet, die „den Menschen
unentwegt in Frage stellen kann“.
Eine bittere Lektion aus der christlichen Geschichte lautet:
„Köpfe rollen, wo man sich selbst
nicht relativieren kann“.
Prof. Dr. Harry Noormann
Universität Hannover,
Institut für Theologie
BETRIFFT 4 / 2006
Thema
Islam in der Schule:
Hindernis oder
Chance für Integration?
Schule ist der exemplarische Ort, an dem sich deutsche
Schüler und Schüler nichtdeutscher Herkunft begegnen.
Insofern ist Schule auch der Ort, an dem das Zusammenleben am besten eingeübt werden kann.
In Niedersachsen wird seit dem
Schuljahr 2003/2004 in einem
Schulversuch „Islamischer Religionsunterricht“ an ausgewählten
Grundschulen durchgeführt. Davon
nahmen 10 Grundschulen mit insgesamt 214 Schülerinnen und Schülern
muslimischer Herkunft im Oktober
2005 bis Februar 2006 an einer Befragung zur Integrationsorientierung
und zur Akzeptanz dieses modellhaften Unterrichts teil.
Foto: Windolph (2)
Islam, Integration und Schule
Die Schule ist Schauplatz gelingender oder misslingender Integration par excellence. In den letzten
Jahren wurde sie auch als ein Forum
der Konfrontation eines säkularen
und religiösen Weltbildes wahrgenommen. Neben den Debatten um
einen islamischen Religionsunterricht waren und sind die Versuche
muslimischer Eltern, ihre Kinder
bzw. ihre Töchter vom Sport- und
Schwimmunterricht oder vom Sexualkundeunterricht zu befreien sowie
auch die Teilnahme ihrer Kinder an
Wandertagen und Klassenfahrten zu
unterbinden, Gegenstand zahlreicher
Diskussionen. Beides tangiert die
Integrationschancen muslimischer
Kinder wesentlich.
BETRIFFT 4 / 2006
Muslimische Schüler und ihre Integrationsbereitschaft
Der Übergang vom Elternhaus zur
Schule bzw. der Schuleintritt ist
generell für Kinder ein kritisches
Lebensereignis, das potenziell
Stress verursachend ist. Für Kinder
mit Migrationshintergrund kann
dieser Übergang möglicherweise
noch gravierender sein, wenn sie
zuvor keine Kindertagesstätte besucht haben und in der Schule zum
ersten Mal mit dem eigenen ethnischen Hintergrund konfrontiert werden. Sie stehen vor der
besonderen Herausforderung, das
doppelte Verhältnis – einerseits zur
eigenen Ethnie, andererseits zur
Aufnahmegesellschaft – eigenaktiv
gestalten zu müssen. Hierbei lassen
sich kulturpsychologischen Forschungen folgend in idealisierter
Form vier Optionen unterscheiden,
wie dieses Verhältnis gestaltet werden kann: Integration, Assimilation,
Separation und Marginalisierung.
Bezug nehmend auf dieses Modell
wurde versucht, anhand einiger ausgewählter Bereiche die Integrationsbereitschaft von Schülern zu erfassen. Vorsichtig gedeutet können die
Ergebnisse einen Hinweis geben,
wie „integrationsoffen“ muslimische
Familien und Schüler sind. Allerdings
wurde im Rahmen dieser Erhebung
nicht ausdrücklich erfasst, aufgrund
welcher eigenen Erfahrungen diese
Einstellungen favorisiert werden.
Gefragt wurde nach sprachlichen
Vorzügen (Deutsch oder Herkunftssprache der Eltern), nach Wertschätzung familialer Traditionen (Deutsche
vs. Herkunftstradition der Eltern),
nach Kontaktwünschen und Freundschaften zu Mitgliedern eigener
Ethnie und zu Deutschen etc.
Deutlich wurde, dass in den untersuchten Klassen die Orientierung
in Richtung Integration die stärkste
Dimension bildet, gefolgt von eher
separationistischen Tendenzen. Das
heißt, in ihrer Beziehungsgestaltung zu relevanten Aspekten der
Mehrheitsgesellschaft möchten die
Schülerinnen und Schüler in erster
Linie sowohl Bezüge zu ihrer eigenen
familialen Tradition als auch Bezüge zu deutschen bzw. nicht-muslimischen Familien haben. Was Schüler
allerdings auf jeden Fall ablehnen,
ist eine eindeutige Assimilationshaltung, also die Aufgabe der eigenkulturellen Bezüge und eine völlige
Identifikation mit mehrheitskulturellen Aspekten. Aber auch die
Haltung der Marginalisation, d.h.
eine skeptische Haltung zur eigenen wie der Mehrheitskultur zugleich, wird deutlich abgelehnt.
Diese Orientierungen stellen keine
Ausschlussverhältnisse dar: Die befragten Schülerinnen und Schüler
sollten sich nicht beispielsweise
entweder für Integration oder
Assimilation äußern, sondern eher
für sich quantitativ die Bedeutung
dieser Orientierungen gewichten.
Die ebenfalls recht hohe Ausprägung
der Dimension „Separation“ ist vor
dem entwicklungspsychologischen
Hintergrund zu verstehen, dass in
dieser Altersphase (Grundschulalter)
für Kinder die Zugehörigkeit zu einer
„Wir-Gruppe“ und die Abgrenzung
von den „Anderen“ für die eigene
Identitätsentwicklung bedeutsam ist.
Der „Islamische Religionsunterricht“
in der Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler
Bei der Befragung zu ihrer Einschätzung des „Islamischen Religionsunterrichts“ und ihrer Beziehung zu
ihrer Religionslehrkraft wurde den
Schülerinnen und Schülern ausdrücklich versichert, es gäbe hierbei kein
„richtig“ und „falsch“, sondern ausschließlich ihre Meinung sei relevant.
Es wurden u.a. folgende Dimensionen des Schul- bzw. Unterrichtsklimas gemessen: Fürsorglichkeit des
Lehrers, Zufriedenheit der Schüler
mit dem Unterricht sowie das Klima
in der Klasse.
Die empirischen Daten zum Schulbzw. Unterrichtsklima zeigen
eindrücklich, dass der größte Teil der
Schüler (die Variation reicht hierbei
von etwas mehr als die Hälfte bis zu
drei Viertel aller befragten Schüler)
ihre Religionslehrkräfte im allgemeinen als sehr fürsorglich und verständnisvoll erleben; ein Fünftel bis
ein Drittel haben gelegentlich Kritik
am Unterrichtsklima auszusetzen
und allenfalls eine kleine Gruppe von
rund 10 % der Schüler zeigen sich
mit den Lehrkräften unzufrieden.
Bei den Fragen nach der direkten
Zufriedenheit der Schüler mit dem
Islamunterricht wurde deutlich,
dass auch hier rund zwei Drittel der
Schüler mit dem durchgeführten
Unterricht voll zufrieden sind. Etwa
20 bis 28% der Schüler zeigen sich
nur gelegentlich zufrieden und eine
eher kleine Minderheit von 10 bis
15% äußert eher ihr Unbehagen
zum Verlauf des Unterrichts. Was die
Einschätzung des Klassenklimas betrifft, so zeigen die Daten hier eine
recht große Heterogenität. Zwar
ist die überwiegende Mehrheit der
Schüler mit dem Lernklima in ihrer
Klasse zufrieden, jedoch scheinen
Wettbewerbssituationen, Ausgrenzungen und Rivalisierungen – wie in
allen Schulklassen – auch den Schülern des islamischen Religionsunterrichts nicht fremd zu sein.
Da der Zweck des Religionsunterrichts natürlich auch darin besteht,
sowohl das Wissen über religiöse
Inhalte zu mehren bzw. vorhandenes
Wissen zu vertiefen, wurde ausdrücklich danach gefragt, wieviel die
Schüler aus ihrer Sicht im Unterricht
zu einzelnen Aspekten der Religion
gelernt haben.
Die Ergebnisse belegen, dass der
islamische Religionsunterricht aus
der subjektiven Sicht der Schüler
zu einem beträchtlichen Wissenszuwachs geführt hat; fast 90%
(„sehr viel“ und „etwas“ zusammen
betrachtet) bekundeten, durch
den Religionsunterricht Wissen zu
relevanten Aspekten des Islams (wie
etwa zum Propheten Mohammed,
zur islamischen Geschichte, zum
Koran) vermittelt zu bekommen. Lediglich für etwa 10 % der befragten
Schüler hat der bisherige „Islamische
Religionsunterricht“ dagegen kaum
oder gar nicht zu einem Wissenszuwachs geführt.
Bei der Frage, ob andere Religionen
genauso wichtig seien wie der Islam,
gaben rund 61 % der Schüler eine
eindeutig befürwortende Haltung,
knapp 18 % hatte eher eine einschränkende Haltung und rund 20 %
lehnten dies jedoch ab bzw. drückten aus, dass andere Religionen für
sie nicht genauso wichtig wie der Islam seien. Die Frage, ob sie sich mehr
Kenntnisse auch über andere Religionen wünschten, befürworteten
rund ein Drittel eindeutig, ein Drittel
gab an, sich manchmal mehr Kenntnisse über andere Religionen zu
wünschen. Knapp 12 % lehnten aber
mehr Kenntnisse eher ab; rund 21 %
wünschten explizit keine Kenntnisse
über andere Religionen. Insofern
lassen sich hieraus wichtige Hinweise
dafür ableiten, dass für die Schüler
des Islamunterrichts die Beschäftigung mit dem Islam keineswegs eine
selbstgenügsame Haltung bedeutet,
sondern sie weitestgehend offen für
Kenntnisse anderer Religionen sind.
Die bisherigen Ergebnisse zusammenfassend läßt sich festhalten,
dass Schüler des islamischen Religionsunterrichts in keinster Weise
antiintegrative Tendenzen aufweisen, sondern sie primär Integration
favorisieren. Befürchtungen, an
einem islamischen Religionsunterricht könnten eher separationistisch
eingestellte Familien und deren Kinder interessiert sein, sind deshalb
weitestgehend unbegründet.
Diese Aussage wird im Übrigen auch
durch die Daten der Eltern bestätigt.
Ferner zeigt sich, dass die bisherige Form des Islamunterrichts eine
überwiegend positive Resonanz und
Akzeptanz findet, wenngleich die
Schüler wie auch die Eltern einige
Verbesserungspotenziale ausfindig
machen konnten.
Die Ergebnisse weiterer Erhebungen
in den Folgejahren des Pilotprojektes werden zeigen, wie sich dieser
zunächst grundlegend positiv und
erfolgreich initiierte Schulversuch in
Niedersachsen weiterhin gestalten
wird.
Dr. Haci-Halil Uslucan
Otto-von-Guericke Universität
Magdeburg,
Institut für Psychologie
BETRIFFT 4 / 2006
Thema
Geraten die Fundamente
der Machtungleichheit
ins Wanken?
Muslimische Expertinnen in der Bundesrepublik
Muslimische Frauen in Deutschland, die zu der Auslegung der islamischen Tradition einen Beitrag aus
der Frauenperspektive leisten möchten, sehen sich zunächst in einer schwierigen Situation.
N
ach wie vor wird der Zugang
zum islamischen Wissen von
Männern dominiert. Frauen
bekommen zu diesen Feldern nur
insoweit Zugang, wie es ihre Verantwortung für die Erziehung der
Kinder betrifft. Die Stimmen und
Gesichter selbst des modernen
Islams sind überwiegend männlich.
Daran hat sich auch in Europa noch
nichts geändert.
Frauen ist es generell nicht gestattet, vor einem männlichen Publikum
über religiöse Themen zu sprechen.
Was sie an Kenntnissen und Einsichten produzieren, gilt ausschließlich
dem Frauenkreis und erfährt nur
dann Aufmerksamkeit seitens des
Zentrums, wenn der Inhalt nicht
mit den dominanten Vorstellungen
übereinstimmt.
Das Vakuum, in dem sich der westeuropäische Islam gegenwärtig
befindet, fordert jedoch die Kreativität muslimischer Frauen geradezu
heraus. Seit Anfang der 1990er Jahre
wurde in den türkischen Moscheen
Platz für aktive Frauen geschaffen
und junge Frauen suchen seitdem
religiöse Ausbildungen auf, um die
neu entstandene Berufsmöglichkeit
entsprechend zu füllen. Es fehlte
beispielsweise an Brücken zur Mehrheitsgesellschaft - und muslimische
Frauen erwiesen sich Mal auf Mal als
pragmatische und tüchtige Brückenbauerinnen. Dennoch waren die
islamischen Gemeinden und Vereine nicht darauf vorbereitet, als
einige Frauen anfingen, ihre eigene
Position zu hinterfragen. Der status
quo, den sie anzufechten versuchen,
betrifft die Fundamente der Machtungleichheit, die in der Scharia
festgelegt wurden: Die ungleiche
Verteilung von Verantwortung und
Gehorsam und die daraus resultierende Gewalt in der Ehe; das ungleiche Recht auf Scheidung, die ungleichen Bedingungen bei Erbschaft,
Handelsabschlüssen und Zeugenschaft; die ungleichen Bedingungen
für Ehen mit Nichtmuslimen; die Verweigerung, Frauen an Gottesdiensten teilnehmen zu lassen, sowie die
einseitige Tabuisierung des weiblichen Körpers.
Der Protest gegen ihre Ungleichbehandlung kommt indes von Frauen,
die sich unabhängig von den Gemeinden bewegen können. Innerhalb der meisten Gemeinden ist
die Stimme der Frauen noch recht
schwach. Dennoch ist eine Änderung
des status quo nur dann zu erwarten, wenn sie auch innerhalb der
islamischen Gemeinden diskutiert
Foto: Winkler
10 BETRIFFT 4 / 2006
wird. Um die Bandbreite der weiblichen Einmischung aufzuzeichnen,
mache ich im Folgenden einen
kleinen Rundgang durch die wichtigsten religiösen Ausbildungen für
muslimische Frauen in Deutschland.
Die Daten wurden verschiedenen
Feldforschungen entnommen, die ich
zwischen 1997 und 2003 durchführte.
Die türkische staatliche Religionsbehörde
Weibliche Hocas, die sich im Auftrag
der türkischen Religionsbehörde
DIYANET in Deutschland befanden,
sagten aus, in der Türkei die staatliche
Fachausbildung als Religionslehrerin
hinter sich gebracht zu haben. Mit
Kritik gaben sich diese Lehrerinnen
nicht ab. Die religiöse Bestimmung
des Alltags wird im DIYANET-Spektrum weitgehend dem Ermessen des
Einzelnen überlassen, eine Haltung,
die die Weichen für die weit verbreitete Säkularisierung türkischer
Muslime stellt.
Dennoch bemüht sich die Behörde
um Richtlinien. Nicht zufällig sind ein
Drittel davon „Frauenprobleme“.
Zwar können DITIB-Frauen ohne weiteres an Freitagspredigten, Totengebeten und anderen Feiern teilnehmen
und auch die Ungleichheit bei Zeugenschaft sowie in Handelstransaktionen
wird als historisch bedingt gedeutet,
dennoch geben die türkischen Theologen dem Mann weiterhin das Recht
auf eine größere Erbschaft sowie auf
den Gehorsam seiner Frau. So bleibt
der Kern der tatsächlichen Ungleichheit bislang unangetastet und für
die wirklichen Probleme zeichnet sich
keine Lösung ab.
Der Verband Islamischer Kulturzentren
Die erste weibliche Hoca-Ausbildung auf deutschem Boden begann
bereits Anfang der 1990er Jahre in
Köln – im Verband der Islamischen
Kulturzentren (VIKZ). Die Geschlechter werden dort getrennt, aber nach
demselben Lehrplan unterrichtet.
Die Schüler und Schülerinnen kommen nach der 10. Klasse in die Ausbildung und lernen das Basiswissen
für die Durchführung gottesdienstlicher Handlungen und die Handhabung eines komplett nach der
Scharia ausgerichteten Alltags. Der
VIKZ betrachtet die Religion als für
den gesamten Lebensbereich gültig,
mit Ausnahme der Politik. An den
einst aufgestellten Regeln gibt es für
sie nichts zu deuten, zu ändern oder
gar zu erneuern. Im Spektrum der
islamischen Gemeinden in Deutschland steht der Verband somit für
eine ultra-orthodoxe Variante des
Islams.
Die Ausbildung dauert vier Jahre
und umfasst Theologie, Logik, Rechtslehre und Rhetorik. Moderne Hilfsfächer sind aber in diesem Lehrplan
nicht vorgesehen. Der Unterricht verläuft in türkischer Sprache. Muslime
in der Bundesrepublik kritisieren den
VIKZ als zu traditionell und werfen
ihm vor, nicht nach neuen Antworten auf Fragen zu suchen, die das
Leben in Europa betreffen.
Jährlich erhalten etwa dreißig bis
vierzig junge Frauen die Lehrerlaubnis. Anschließend finden sie in den
verbandseigenen Moscheen eine
Stelle als Lehrerin. Sowohl weibliche
als auch männliche Lehrkräfte unterrichten Kinder aus den VIKZ-Moscheen.
Selbst säkular lebenden Eltern entschließen sich mitunter dazu, ihre
Kinder in diesen traditionellen Koranunterricht zu schicken, auch wenn
der Verband sich in ihren Augen zu
starr darstellt.
Foto: Agsten
Die Hamburger Theologenschule
Schlussbemerkungen
Seit mehr als 20 Jahren hat der schiitische Theologe Mehdi Razvi in Hamburg einen Kreis Männer und Frauen
um sich geschart, den er jeden Samstag in der Imam-Ali-Moschee unterrichtet. Der Kreis bildet einen der
wenigen Orte in der Bundesrepublik, wo versucht wird, den Koran
für moderne Muslime zugänglich
zu machen, ohne dabei weder die
Spiritualität noch die real existierende Moscheegemeinschaft aus den
Augen zu verlieren. Es geht darum,
den „Geist des Korans“ in Betracht
zu ziehen und damit einen neuen
Zugang zum Text zu schaffen, was
unter anderem auch die tatsächliche
Ungleichheit zwischen Männern und
Frauen in Frage stellt.
Die Schüler und Schülerinnen durchlaufen daneben das klassische Theologiestudium und können nach sechs
Jahren die Lehrerlaubnis empfangen
und als Theologen und Theologinnen arbeiten.
Das bedeutet nicht, dass sie sich
auch als Rechtsgelehrte betrachten
können. Zu allgemein verbindlichen
Aussprachen (Fatwa’s) fühlen sich
weder die Ausbilder noch die von
ihnen ausgebildeten Theologen angehalten: Sie betrachten ‚lediglich‘
ein Problem von allen Seiten und
formulieren dann ihre persönliche
Meinung. Im Unterschied zu den
oben erwähnten DIYANET-Theologen
allerdings folgt das von ihnen entworfene theologische Gebäude den
pragmatischen Entscheidungen des
Alltags dicht auf dem Fuß. Es geht
ihnen um die religiöse Dimension
des Lebens, nicht um die Theorie.
Muslimische Expertinnen produzieren Wissen in einem gesellschaftlichen Kontext, in dem der Islam zu
einer Minderheiten-Religion unter
vielen reduziert wurde. Ihre Teilnahme an interreligiösen und kulturellen Dialogen wird heutzutage
als essentiell angesehen. Das bietet
eine Chance, die viele Frauen in eine
Schlüsselposition gebracht hat.
Wie in anderen europäischen
Ländern weigern sich Teile der in
Deutschland geborenen muslimischen Generationen, die historische
Version ihrer Eltern zu akzeptieren
und schaffen eine globale Religion,
die stattdessen auf der Erzählung
des Korans und der Sunna beruht.
Die schriftliche Grundlage auf ihren
Ursprung zu beschränken, hat den
Weg für viele moderne Ansätze muslimischer Theologie gebahnt.
Schließlich, das Wissen über den
Islam wird durch mannigfaltige
Medien verbreitet, die in Deutschland praktisch jedem zur Verfügung
stehen. Das versetzt Frauen in die
Lage, dort ihre Stimme zu erheben,
wo sie es innerhalb der Gemeinde
der Moschee nicht gewagt hätten.
Gerdien Jonker
Georg-Eckert-Institut für
Internationale Schulbuchforschung,
Braunschweig
BETRIFFT 4 / 2006
11
Thema
Aleviten – Gott ist
in den Menschen
In der Türkei gibt es neben der islamischen Mehrheit der Sunniten eine religiöse islamische
Minderheit, über die in der deutschen Öffentlichkeit wenig bekannt ist: Die Aleviten
auch in den staatlichen Schulen
eingeführt, der ausschließlich die
sunnitische Interpretation und den
sunnitischen Verhaltenskodex des
Islam lehrt. Die alevitischen Kinder
sollen über die religiöse sunnitische
Erziehung assimiliert werden.
Aleviten fühlen sich in der Türkei
häufig diskriminiert. Deshalb verschweigen sie ihre Religion in der
Regel und üben sie mehr oder
weniger geheim aus.
Foto: Martin Koch, Coburg
S
ie machen in der Türkei etwa
25 - 30 % der islamischen Bevölkerung aus. In Deutschland
leben schätzungsweise 600.000
- 700.000 Aleviten. Das Auftreten
dieser religiösen Gemeinschaft
ist durch Zurückhaltung geprägt
– sowohl in der Türkei, als auch in
Deutschland. Das hat Gründe:
Nach der türkischen Politik existieren offiziell neben dem sunnitischen
Islam keine anderen islamischen
Glaubensrichtungen. In Regierungsund Verwaltungsebenen, so etwa
im Amt für Religionsangelegenheiten, gibt es keinen offiziellen
Vertreter der alevitischen Gläubigen.
Nach dem Militärputsch von 1980
wurde in der laizistischen Türkei ein
verbindlicher Religionsunterricht
12 BETRIFFT 4 / 2006
Die historischen Ursachen dafür
liegen in der Zeit nach dem Tod
Mohammeds, in der es kriegerische
Auseinandersetzungen zwischen den
Stämmen um Mohammeds Nachfolge gab. Es wurden nacheinander
drei Kalifen benannt – Abu Bekir,
Omar und Osman. Der Kampf um
die politische Macht des Kalifenamts war so heftig, dass nur Abu
Bekir eines natürlichen Todes starb.
Omar und Osman wurden ermordet.
Als vierter Kalif wurde schließlich
Ali ernannt, Mohammeds Vetter,
der gleichzeitig sein Schwiegersohn war. Seine Anhänger wurden
als Partei Alis (Schia) bezeichnet.
Auch er wurde im Jahre 661 ermordet, ebenso seine Söhne Hasan
und Hüseyin. Hüseyins Ermordung
geschah auf besonders tragische
Weise im heiligen Monat Muharrem
(am 10.Tag). Dieser Tag im Jahr 680
hatte die endgültige Trennung der
Anhänger Alis von den anderen
islamischen Richtungen zur Folge.
Er ist bis heute ein wichtiger Gedenktag der Aleviten und auch der
Schiiten in den anderen islamischen
Ländern. Nach Hasan und Hüseyin
kamen in der Nachfolge von Ali noch
10 weitere religiöse Führer, die von
den Aleviten bis heute als „Imame“
und Märtyrer verehrt werden.
Die Bezeichnung „Alevi“ setzte
sich erst allmählich im 16. Jahrhundert durch und meinte die
religiösen Anhänger von Ali.
Die religiöse Identität wird von
ihnen selbst umschrieben als „eline,
diline, beline, sahip olanlar“. Das
bedeutet: diejenigen, die Herr sind
über ihre Hände, Zunge und Lende, das heißt die, die verschwiegen
sind und sich beherrschen können.
Im alevitischen Glaubenssystem ist
der Mensch eine Schöpfung Gottes und Gott ist in den Menschen.
Damit steht der Mensch und sein
Wohlergehen im Mittelpunkt der
alevitischen Glaubenslehre. „Wenn
du deinen Gott lieben willst, sollst
du deine Menschen lieben (Insan
Sevgisi = Menschenliebe)“. Dieses
Menschenbild wird als perfekt
angesehen (Kamil Insan), ohne
Rassen- und Geschlechtertrennung.
Aleviten glauben an Gott, Muhammed und Ali. Es besteht für
sie eine universelle Einheit zwischen Gott, dem Propheten und
rehber = Wegweiser auf der
unteren Ebene
mürschid = Der den Weg auf
der zweithöchsten Ebene zeigt
pir = In der Mystik der, der die
höchste spirituelle Ebene erreicht hat und den Weg zeigt
Foto: Ucar
den Menschen. Sie akzeptieren
den Koran, legen ihn aber zum
Teil anders aus als die Sunniten.
In der praktischen Religionsausübung unterscheiden sich die Aleviten fundamental von den Sunniten.
Aleviten gehen nicht in die Moschee.
Sie halten ihre Gottesdienste je nach
Bedarf in großen Räumen ab, in
denen alle Gläubigen Platz finden
können. Solch ein Haus nennt man
„Cem“-Haus, das heißt Haus, in dem
das gemeinsame Gebet stattfindet. Bei den Aleviten gibt es keine
ausdrücklichen Sakralgebäude.
Die Gottesdienste finden nur
wenige Male im Jahr regelmäßig,
ansonsten je nach Bedarf und den
Möglichkeiten der Gemeinde statt
– anders als bei den Sunniten, die
fünf Mal am Tag in der Moschee
mit dem Vorbeter beten können.
Die Aleviten machen keine Pilgerfahrt nach Mekka. Ihre Gebetssprache ist nicht Arabisch wie bei den
Sunniten, sondern Türkisch. Auch
ihre Fasten-Rituale unterscheiden
sich von der sunnitischen Mehrheit.
Die Sunniten fasten im Monat Ramadan 30 Tage lang, die Aleviten fasten
im Monat Muharrem über 12 Tage.
Das größte religiöse Fest bei den
Aleviten ist – wie bei den Sunniten –,
das Opferfest (Kurban Bayrami).
Es erinnert an Abraham im alten
Testament, der bereit war, seinen
Sohn Ismael Gott zu opfern.
Am Gottesdienst, der Versammlung
der Gläubigen – Cem – nehmen alle
Aleviten gemeinsam teil: Männer,
Frauen und Kinder. Eine räumliche
Trennung der Geschlechter, wie
sie bei den Sunniten praktiziert
wird, gibt es bei den Aleviten nicht.
Der Gottesdienst dauert etwa vier
Stunden, der „dede“ leitet das
gemeinsame Gebet und predigt.
Der Höhepunkt des Gottesdienstes
ist die „semah“, ein religiös-meditativer Tanz mit alevitischer Musik
auf traditionellen Instrumenten
der Türkei, an dem alle Anwesenden gemeinsam teilnehmen.
Eine weitreichende Unterscheidung der Aleviten von anderen
islamischen Gruppen ist ihre
unabhängige religiöse Organisation. Die Gläubigen werden von
religiösen Führern, deren Abstammung immer auf Ali zurückgehen
muss, angeleitet. Man nennt sie
„rehber“, „pir“, „mürschid“.
Die alevitische Lehre wird überwiegend mündlich übermittelt
von einem „asik“, die Überlieferung geschieht in Form von Erzählungen und Liedern. Sie beinhalten
ebenso religiöse wie soziale und
politische Themen, in denen aktuelle Probleme der Menschen
zum Ausdruck gebracht werden.
Ein großer Teil der türkischen Volksdichter gehört zum alevitischen
Glauben, wie Pir Sultan Abdal, Yunus
Emre, Asik Veysel und andere.
Die Aleviten sind die Bevölkerungsgruppe in der Türkei, die sich am
klarsten für die Trennung von Staat
und Religion einsetzen. Sie haben
einen großen Beitrag bei der Entstehung der modernen, laizistischen,
westlich orientierten Türkei geleistet.
Ihre Frauen haben die volle Gleichberechtigung und sind nicht verschleiert. Ihre Kinder besuchen keine
religiösen Schulen. Sie lehnen die
Koranschulen ab. Das besondere
Interesse vieler alevitischer Familien
gilt der Ausbildung ihrer Töchter.
Gegenüber anderen Kulturen sind
sie aufgeschlossen und tolerant.
In Deutschland haben sich die
Aleviten in den letzten Jahren zu
vielen regionalen Vereinen zusammengeschlossen und eine Organisation auf Bundesebene gebildet,
die „Almanya Alevi Birlikleri Federasyonu“, die Förderation alevitischer Gemeinden in Deutschland.
In einigen Bundesländern haben die
Aleviten die Genehmigung erhalten,
in den Schulen auf freiwilliger Basis
Religionsunterricht zu erteilen.
Rosemarie Kirsch,
Dr. Ali Ucar, Berlin
BETRIFFT 4 / 2006
13
Thema
Zusammen spielen,
Gemeinsamkeiten
entdecken, Unterschiede achten
Muslimische Kinder im christlichen Kindergarten
Glitzernde Murmeln, graue Steine und bunte Blätter, Kastanien, Bucheckern, Tannenzapfen und noch
mehr bieten die verschiedenen Körbe. Dazu kommen farbige Tücher und speziell angefertigte Holzfiguren. Die Kinder der zwei evangelischen und der katholischen Kindertagesstätte im Stadtteil Hannover-Vahrenheide legen damit gemeinsam den Weg Abrahams.
D
ie Figuren und die Naturmaterialien ermöglichen ihnen, die
Geschichte Abrahams elementar kennen zu lernen, anschaulich zu
fassen, zu fühlen, zu riechen, eben
mit allen Sinnen. Zugleich bringen
sie sich mit ihrer eigenen Geschichte ein, prägen den Weg mit ihrer
Persönlichkeit. Ein gemeinsames Bild
entsteht und jedes Kind hat daran
Anteil. Die Jungen und Mädchen
werden mit ihren Erfahrungen und
mit ihrem Glauben ernst genommen.
Jedes Kind wird respektiert, egal
ob Jude, Christ, Muslim, mit einer
anderen oder ohne Religionszugehörigkeit. Dies erfahren sie auch
beim Basteln, Theaterspielen und
Singen zur Abrahamgeschichte.
Der gegenseitige Respekt, das
Kennenlernen gemeinsamer Wurzeln und der je anderen religiösen
Traditionen wird in diesem Projekt
gefördert. Denn mit der Erzählung
der biblischen Abrahamgeschichte
kommen auch die jüdischen und
muslimischen Erzählungen und
Sichtweisen zu Abraham zur Sprache. Unterschiede in den Gottesbildern und Menschenbildern werden
ernst genommen und geachtet.
Die evangelischen Erzieherinnen
haben sich dafür intensiv in Stu-
14 BETRIFFT 4 / 2006
dientagen vorbereitet. Sie wurden
professionell religionspädagogisch
und religionswissenschaftlich begleitet. „So trägt das mehrwöchige
Abrahamprojekt nun zu einer gelingenden Integration der Kinder und
ihrer Familien bei“, berichten sie.
Kindertagesstätten sind die erste
Bildungseinrichtung für Kinder, sie
sollen die Erziehung und Förderung
der Kinder in der Familie ergänzen und unterstützen. Das Ziel der
Kindertagesstätten in christlicher
Trägerschaft ist es darüber hinaus, die
ihnen anvertrauten Kinder mit der
befreienden Botschaft Jesu Christi
und dem gelebten Glauben vertraut
zu machen. Doch in christlichen Kindertagesstätten kommen nicht nur
christliche Kinder zusammen, sondern
Kinder unterschiedlicher Religionszugehörigkeit und Herkunft. Die
Foto: Winkler
damit verbundenen interreligiösen
und interkulturellen Begegnungen
bieten eine große Chance: Nachbarschaftliches Zusammenleben können
die Kinder schon in der Kindertagesstätte einüben und erfahren.
Nach einer Erhebung der hannoverschen Landeskirche vom August
2004 betreuen ihre evangelischen
Kindertagesstätten rund 45.000
Kinder. Etwa zwei Drittel der Kinder
sind christlich (66,17 %). Circa ein
Viertel der Kinder ist konfessionslos
oder ohne Angaben zur Konfession (24,42 %). Fast jedes elfte Kind
gehört zu einer nichtchristlichen
Religion (9,41 %), etwa jedes 15.
Kind ist muslimisch (6,67 %). Muslimische Kinder bilden in evangelischen
Kindertagesstätten vor allem in den
Ballungsräumen einen hohen Anteil
(in Hannover etwa 16 %, d.h. 660 von
4104 Kindern). Insgesamt erreicht in
der hannoverschen Landeskirche der
Anteil muslimischer Kinder bei fünf
Kindertagesstätten bis zu 50 %.
Die Kirchen, die Diakonischen Werke
und die Caritas haben in Niedersachsen dazu beigetragen, dass ethische
Grundlagen und Religion als Lernfelder im niedersächsischen Orientierungsplan für alle Kindertagesstätten verbindlich festgeschrieben
worden sind. Das ist wegweisend.
rigkeit würden religiös überwältigt.
Auch die religiösen Feste können
zum Anlass genommen werden, mit
den Eltern unterschiedliche Perspektiven zur Sprache zu bringen. Bei
der Thematisierung muslimischer
Feste sollten muslimische Eltern
gewonnen werden, um die Feste
den Kindern authentisch zu erklären.
Muslimische Eltern werden so mit
ihren Kompetenzen wertgeschätzt.
Foto: Agsten
Der Bildungsauftrag der Kindertagesstätten ist allerdings nicht isoliert
von den Elternhäusern zu sehen.
Gerade zwischen christlicher Kindertagesstätte und nichtchristlichem
Elternhaus kann sich bei nichtchristlichen Kindern eine spannungsvolle
Wechselbeziehung ergeben. Dies
ist jedoch produktiv zu nutzen. So
wird die Nähe und Fremdheit von
Judentum, Christentum und Islam
deutlich, wenn es zum Beispiel um
die Figur Abrahams und ihre unterschiedliche Interpretation in den
drei Religionen geht. Des Weiteren
müssen die Ziele christlicher Erziehung und diakonischen Handelns
in eine konstruktive Beziehung
gebracht werden. Während die
christliche Erziehung auf die religiöse
Bildung der Kinder zielt, richtet sich
das diakonische Handeln in diesem
Zusammenhang vorrangig auf die soziale Integration. Selbstverständlich
ist vorauszusetzen, dass die Kinder
nicht religiös überwältigt werden.
So werden Brücken gebaut und
Grenzen überschritten. Ausgrenzung
widerspricht dem christlichen Profil.
Berichte von jüdischen und muslimischen Eltern zeigen, wie sehr ein
solches klares Profil der christlichen
Kindertagesstätten geschätzt wird.
Kinder fragen nach Gott. Sie machen
sich Gedanken, sie fragen weiter und
geben Antworten. Oft geschieht
dies in radikalerer Form als bei
Erwachsenen. Dadurch sind andere
Kinder und die Erwachsenen nicht
nur herausgefordert, sondern profitieren voneinander. Die religiösen
Fragen haben im Alltag der Kinder
Bedeutung. Sie können darin nicht
allein gelassen werden. Zur Entwicklung ihrer religiösen Identität sind
sie auf Begleitung angewiesen.
Die Fähigkeit, mit der jeweiligen
Nähe und Fremdheit von Judentum,
Christentum und Islam aus christlicher Perspektive einen Umgang
zu finden (Fremdheitskompetenz),
erweist sich dabei als Schlüsselqualifikation. Erzieherinnen und Erzieher
brauchen dazu Grundkenntnisse zum
Judentum und Islam sowie zu kulturellen Gepflogenheiten. Darüber
hinaus benötigen sie Fähigkeiten,
damit aus einer christlich geprägten
Haltung umzugehen. Zum Erwerb
dieser Fremdheitskompetenz dienen
kirchliche Aus- und Fortbildungen.
Unerlässlich ist auch die Elternarbeit,
selbst wenn sie zum Teil mühsam ist.
Muslimischen Eltern ist schon bei
der Anmeldung das religionspädagogische Konzept der christlichen
Kindertagesstätte zu erklären (bei
Bedarf mit Dolmetscher): tägliche
Rituale, christliche Lieder bis hin
zu den Feiern christlicher Feste,
ebenso die soziale Integration und
das Respektieren andersgläubiger
Kinder. Diese Transparenz kann
Befürchtungen abbauen, Kinder
anderer oder ohne Religionszugehö-
Regelmäßige Angebote für Einzelgespräche mit den Eltern und Elternabende schaffen darüber hinaus eine
Basis, die Vertrauen und ein nachbarschaftliches Miteinander ermöglicht. Die Kindertagesstätte erweist
sich dabei als ein kommunikativer
Knotenpunkt, der die Entstehung
neuer hilfreicher Netzwerke fördert.
Schließlich führt auch die Zusammenarbeit im Gemeinwesen weiter,
beispielsweise mit einer benachbarten Moscheegemeinde, mit Kulturvereinen oder anderen örtlichen
Initiativen. Dies ermöglicht u.a.
wechselseitige Besuche der Kirche
und der Moschee. Weitere Begegnungen und Projekte können daraus
entstehen. Werden dabei bestehende Ängste oder soziale, kulturelle
bzw. religiöse Spannungen ernst
genommen werden, trägt die christliche Kindertagesstätte zu einem
aufmerksameren, friedvolleren Zusammenleben im Gemeinwesen bei.
Die religiöse Bildung und die Integration der Kinder unterschiedlicher
Religionszugehörigkeit und Herkunft
rücken die Kinder in den Mittelpunkt. Der Fremdheitskompetenz,
der Arbeit mit den Eltern und den
Kooperationen im Gemeinwesen
kommt hierbei eine fundamentale
Bedeutung zu. Für die Kinder wird
ihre Kindertagesstätte so zu einem
Ort, an dem sie exemplarisch ein
besseres Miteinander im Alltag
erproben und erleben können.
Dies trägt für die Kinder – und
weit über sie hinaus – zum Respekt
gegenüber anderen religiösen
und kulturellen Traditionen bei.
Dr. Christoph Dahling-Sander,
Leiter der Arbeitsstelle Islam und
Migration im Haus kirchlicher
Dienste der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers
BETRIFFT 4 / 2006
15
Thema
Seelsorge und bildungspolitisches Engagement
Spanier in Deutschland
schaften und politischen Parteien,
besonders der kommunistischen
Partei, und der katholischen Kirche,
beeinflussten aktiv die Entstehung
von Organisationen - insbesondere
von Elternvereinen bundesweit.
Nach dem Anwerbestopp 1973
entschied sich ein großer Teil der
Spanier für den Familiennachzug.
Damit gewannen die Fragen nach
der Zukunft der Kinder und ihrer
Schulbildung sehr schnell eine hohe
Bedeutung. Bezeichnenderweise
wurde im selben Jahr die „Confederación“, der Bund der spanischen
Elternvereine, gegründet, mit
den zwei Zielen: die Integration
der Kinder in die deutsche Regelschule und die Durchsetzung des
muttersprachlichen Unterrichts.
Foto: Agsten
M
it dem bilateralen Anwerbevertrag vom 29. März 1960
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Spanien begann
die Migration der spanischen „Gastarbeiter“. 1966 gab es schon 185.336
Einwanderer; der Höhepunkt wurde
im Jahre 1973 mit 287.000 spanischen
Arbeitnehmern und ihren Familienangehörigen erreicht. Im Jahr 2000
waren es nur noch 129.000 und ihre
Zahl nimmt kontinuierlich ab – Ende
2005 waren es knapp 108.000.
Für die seelsorgliche Betreuung der
Migranten kamen zeitgleich Priester
aus Spanien. Schon 1960 entstanden die katholischen spanischen
Missionen (ähnlich den deutschen
Pfarreien), die sich neben ihrer pastoralen Tätigkeit auch sozial sehr
engagierten. Eingewanderte Aktivisten der während der Francodiktatur
(1939-1975) verbotenen Gewerk-
16 BETRIFFT 4 / 2006
Mit der Integration der Kinder in
die deutsche Regelschule sollte die
Gleichstellung und mit der Forderung nach muttersprachlichem
Unterricht sollte gleichzeitig die kulturelle Identität der Kinder bewahrt
werden. Diese einfachen aber klaren
Forderungen hatten ein großes
Mobilisierungspotential. Ende der
siebziger Jahre gab es in der Bundesrepublik bereits über 100 spanische
Elternvereine, die die spanischen
Migranten zu einem gemeinsamen
Werk, unabhängig von ihren politischen, religiösen oder ideologischen Überzeugungen vereinten.
Die Elternvereine trugen so entscheidend zur Entwicklung einer politischen Kultur unter den spanischen
Migranten bei: Aus Gastarbeitern
wurden Bürger, die ihre Interessen
erkannten, sie vertraten und merkten, dass auch sie, als die besten Vertreter und Verteidiger der Interessen
ihrer Kinder, soziale und schulpolitische Realität verändern konnten.
Von dieser Elternarbeit, die schon ab
1972 durch das Referat für Schulwesen und Erwachsenenbildung
der „Confederación“ gefördert
und koordiniert wurde, haben die
spanischen Kinder deutlich profitiert.
Die damals erhobenen Vorwürfe
der doppelten Überforderung der
ausländischen Kinder durch muttersprachlichen Unterricht zusätzlich
zur deutschen Regelschule konnten
völlig entkräftet werden. Erreichten
1973 70 % der spanischen Kinder in
Deutschland keinen Schulabschluss,
haben im Jahre 2003 70 % der
spanischen Kinder die Hochschuloder Fachhochschulreife erreicht.
Das ist die Bildungserfolgsgeschichte
der spanischen Familien in Deutschland, aus der das interkulturelle
Projekt „Schlaue Kinder starker
Eltern“ entstanden ist, gestaltet
durch die „AEF - Spanische Weiterbildungs-akademie“, und die „Confederación - Bund der spanischen
Elternvereine“. Diese Erfahrung der
spanischen Eltern wird nun auch auf
andere Nationalitäten übertragen
und von der nordrhein-westfälischen Landesregierung gefördert.
Migranteneltern und Multiplikatoren
werden qualifiziert zur Mitwirkung
am Bildungs- und Schulerfolg ihrer
Kinder. Das Erziehungs- und Schulsystem sind die entscheidenden Bereiche, wo die Grundlagen für eine
gelingende Integration gelegt werden oder wo diese blockiert wird.
Pfarrer José Antonio Arzoz
Delegat der Spanischsprachigen
katholischen Seelsorge
in Deutschland
Forum
Interview mit
Prof. Dr.
Gunter A. Pilz
Thema: Rassismus im Fußball
Foto: privat
stärkt, dass zwei Generationen in
Diktaturen gelebt haben und insofern eine langjährige Demokratieerfahrung fehlt.
Betrifft: Was ist gegen Rassismus im
Fußball zu tun, wer muss handeln?
Pilz: Es ist richtig und notwendig,
rassistisch motivierten Fans durch Bestrafung und Sanktionen Einhalt zu
gebieten. Durch entsprechende Verschärfung des Strafenkatalogs und
durch das nationale Konzept des DFB
„Sport und Sicherheit“ kann der Rassismus in seiner offensiven Erscheinungsform reduziert werden.
Wichtig ist außerdem, dass sich die
einzelnen Vereine vehement gegen
Rassismus einsetzen und rassistisches
Verhalten massiv bestrafen. Wenn
Vereine deutlich Flagge zeigen, motiviert das junge Menschen, Zivilcourage zu entwickeln und sich gegen
Rassismus einzusetzen.
Doch das reicht noch nicht aus. Rassisten müssen von allen Seiten Druck
bekommen, insbesondere auch von
denen, die im Fußball zu ihren Idolen
zählen. Ich will auf das von Ihnen eingangs genannte Beispiel zurückkommen. Asamoah hat sich gegen die auf
ihn gezielten rassistischen Angriffe
vehement zur Wehr gesetzt. Das kam
einem Hilferuf an die Gesellschaft
gleich. Hier hätte ich mir gewünscht,
dass sich der Mannschaftskapitän zu
Wort gemeldet und sich deutlich hinter ihn gestellt hätte. Mannschaftskapitäne könnten bereits im Stadion
Ansprachen an die entsprechenden
Kurven richten, aus denen rassistische Beleidigungen kommen. Mannschaftskapitäne müssen Gesicht zeigen.
Alle müssen handeln, der DFB, die
Vereine, die Spieler, die Kapitäne
– und darüber hinaus die Politik und
die Schule. Die Ursachen des Rassismus müssen beseitigt werden. Junge
Menschen müssen sozialpädagogisch
begleitet und aus ihrer Perspektivlo-
sigkeit herausgeholt werden.
Betrifft: Herr Prof. Pilz, Sie leiten
oder begleiten seit Jahren Projekte
im Bereich des Sports zur Gewaltprävention; Sie sind Mitglied in Beiräten
mehrerer Fan-Projekte – welche Maßnahmen sind nach Ihren Analysen
besonders wirksam gegen Rassismus
und gegen andere Formen von Gewalt im Fußball?
Pilz: Das Fan-Projekt von Hannover
96 begleite ich seit 21 Jahren. Wir
haben wichtige Dinge erreicht. Das
Fan-Projekt betreut Jugendliche aus
der Fan-Szene in schwierigen Lebenssituationen – und es unterstützt
die Arbeitsgruppe gegen Rassismus.
Das Fan-Projekt ist Mitglied der „Interdisziplinären Arbeitsgruppe zur
Bekämpfung rechter Umtriebe im
Fußballbereich“ – IdAG BrUF, die Konzepte gegen Rassismus und Rechtsextremismus erarbeitet.
So hat Hannover 96 beispielsweise
eine von der IdAG BrUF erarbeitete
Hausordnung erlassen, nach der alles
verboten ist, was den Eindruck erwecken könnte, Ausdruck einer rechtsextremen Gesinnung zu sein. Seitdem
sind auch die verdeckten Formen des
Rassismus im Stadion tabu. Der Verein
Hannover 96 ist klar gegen Rassismus
und Rechtsextremismus positioniert.
Betrifft: Vielen Dank, Herr Prof. Pilz.
Prof. Dr. Gunter A. Pilz ist Soziologe
am Institut für Sportwissenschaft der
Leibniz-Universität Hannover und
Lehrbeauftragter an der Ev. FH Hannover. Als Experte der Gewalt- und
Konfliktforschung im Sportbereich ist
er als Gutachter und als Berater gefragt. Er wurde in die Task Force „Gewalt und Rassismus“ des DFB berufen.
www.fanprojekt-hannover.de
Die Fragen stellte Marianne Winkler,
Redaktion „Betrifft“
BETRIFFT 4 / 2006
17
Interview
Betrifft: Herr Prof. Pilz, spätestens
seit den Schmährufen gegen Gerald
Asamoah ist Rassismus im deutschen
Fußball wieder ein Thema. Wie bewerten Sie die Entwicklung und das
aktuelle Ausmaß rassistisch motivierter Vorfälle in diesem publikumsstarken Sportbereich?
Pilz: Wir beobachten unterschiedliche Entwicklungen. In den Stadien
der ersten und zweiten Bundesliga
sind die offenen rassistischen Äußerungen zurückgegangen, nicht aber
der Rassismus an sich. Er wird eher in
verdeckteren Codes ausgedrückt, mit
denen die Fans nicht mit dem § 86a in
Konflikt geraten. Wir stellen im Fußball außerdem eine Verlagerung offener rassistischer Äußerungen in die
niedrigeren Ligen fest. Ebenso fallen
Fans bei langen Auswärtsfahrten
dadurch auf, dass sie nach Verlassen
der Züge und außerhalb der kontrollierten Bahnhöfe auf dem Weg zum
Stadion rassistische Verbalattacken
lautstark rufen.
Betrifft: Was sind das für Fans, welches soziale Bild steckt hinter denen,
die rassistische Parolen grölen? Wie
sieht deren Lebenswirklichkeit aus?
Pilz: Auch hier müssen Unterschiede
festgestellt werden. Eine neue Studie
der Friedrich-Ebert-Stiftung
weist
eine Intellektualisierung des Rassismus nach – und der Bielefelder Soziologe Heitmeyer analysiert, dass
Rassismus und rechtsextremes Gedankengut aus der Mitte der Gesellschaft
kommen. Auch die Mittelschicht ist
heute verunsichert, fühlt sich bedroht
und nimmt eine Abwehrhaltung zur
Verteidigung ihrer Lebenswelt ein.
Daneben bilden die Perspektivlosigkeit und permanente Erfahrungen
der Selbstentwertung von Unterschichtangehörigen den Nährboden
für Rassismus. Das sehen wir besonders in den neuen Bundesländern.
Dort wird die Empfänglichkeit für
Rassismus im Übrigen dadurch ver-
Forum
Freiwillige Stärken
Qualifizierung von Integrationslotsen
„Wolle wird nur deshalb zu einem Teppich, weil das entsprechende Wissen vorhanden ist.“
U
nter dieses Motto – einer alten
Weisheit des Sufimeisters Rumi
aus dem 13. Jahrhundert – stellte
die AWO ihren Beitrag zum Auftakt
des Pilotprojektes „Integrationslotsen“. Im Bereich Integration und
Migration gibt es ein großes Potential an freiwilligem Engagement.
Foto: Winkler
Gut integrierte Zugewanderte sind
oft hoch motiviert, Landsleute, die
später eingereist sind, zu unterstützen. Einige engagieren sich als
Einzelperson für Einzelpersonen,
schätzen den individuellen, flexiblen
Einsatz. Manche brauchen für ihr
Engagement einen strukturierten
Rahmen mit festen Zeiten und
Orten. Andere wiederum gründen
Vereine und führen eigene Projekte
durch. Und es gibt solche, die sich im
Rahmen der Nachbarschaft einsetzen
und die Aufgabe der Integration
als Familienerweiterung ansehen.
Immer geht es um Freiwillige Stärken
in beiden Bedeutungen: Um die Stärken von Freiwilligen und darum, die
Freiwilligen zu stärken. Das erfordert
die Unterstützung durch Fachkräfte
und es braucht Qualifizierung. Die
können ehrenamtliche Integrationshelfer im Osnabrücker Integrationslotsenprojekt erwerben. In einem
Basismodul werden die für das interkulturelle Handeln als Integrationslotse wichtigen sozialen und kommunikativen Kompetenzen gefördert
und Kenntnisse über Integrationsabläufe und –verläufe vermittelt.
18 BETRIFFT 4 / 2006
Im Verlauf der Qualifizierung wird
der Gruppenprozess zwischen verschiedenen Migrantengruppen und
Einheimischen initiiert und die Erfahrungen und Kenntnisse bereits bestehender familiärer und informeller
Netzwerke werden bewusst genutzt.
Inhaltlich werden in der von der
AWO-MEB entwickelten und der
VHS durchgeführten Qualifizierung Themen behandelt wie:
Biografische Erfahrungen, kulturelle Dimensionen des Ehrenamtes,
Wege, Brücken und Bremsen der
Integration, Integrationsmodelle,
Zuwanderungsformen, Gesetze
und gesellschaftliche Förderung,
Kommunikationsmodelle und
-stile, Vorurteilsbewusstsein,
Selbstreflexion, interkulturelle
Kompetenz, Anforderungen und
Aufgaben, Aushandlungsprozesse.
Die Teilnehmenden beginnen mit
ihren persönlichen Erfahrungen,
werden dann über die Distanz
theoretischer Modelle und gesetzlicher Rahmenbedingungen in einen
Aushandlungsprozess geführt,
um danach ihre möglichen Aufgaben und Ziele zu konkretisieren.
In der gesamten Durchführung des
Lehrgangs wird immer wieder das
Wesen des freiwilligen Engagements
thematisiert. Es geht darum, selbst
zu bestimmen was man wann, wo,
wie und wie lange tun möchte.
Die Zusammensetzung der Lehrgänge ist sehr heterogen, in Bezug auf
das Alter, die Herkunftskulturen,
die Migrationserfahrungen und die
Erfahrungen und Perspektiven des
ehrenamtlichen Engagements.
Einige wollen einfach nur helfen, sich
um ihre Landsleute kümmern, andere wollen ihr Fachwissen zur Verfügung stellen. Dieses breite Spektrum
verschiedener Menschen mit unterschiedlichen Biografien und aus unterschiedlichen Berufsfeldern erfordert im Integrationslotsenlehrgang
Methodenvielfalt und Flexibilität.
Das Konzept des Lehrgangs verbindet selbst organisiertes Lernen
mit Informationsvermittlung.
Der Wechsel zwischen Kursabenden und Tagesseminaren
fördert diesen Prozess.
Die Kursabende werden von der
Lehrgangsleitung begleitet und von
ReferentInnen aus unterschiedlichen
Fachbereichen wie Wissenschaft,
Ausländerbehörde, Erwachsenenbildung, Migrationssozialarbeit und
Freiwilligenagentur gestaltet.
An den Kursabenden geht es um
Theorie, Information, Diskussion,
Fragen und Kontakt zu verschiedenen Diensten und ihrer spezifischen kulturellen Ausprägung.
Die Tagesseminare dienen der
Reflexion, der Gruppenbildung
und dem Vernetzungsprozess.
Sie bieten Raum für Emotionen
und für den Praxisbezug.
Der Einsatz als Integrationslotse
wird im Einzelfall von Fachkräften
angeleitet; im Netzwerk finden
Erfahrungsaustausch, fachliche
Diskussionen und Supervision statt.
In jedem Lehrgang gibt es neue Ideen
und es eröffnen sich neue Felder.
Um bei dem Bild des Teppichs zu
bleiben: Integration kann heißen, gemeinsam einen Teppich
unter den Füssen zu haben mit
vielfältigen Mustern, aber als ein
zusammenhängendes Stück. Und
die Wolle, die zu einem Teppich
wird, lässt sich flechten, häkeln,
knüpfen, stricken, weben...
Christina Müller-Wille
AWO-Migrationserstberatung,
Osnabrück
Forum
Vladimir Wilhelm
aus Belm
Auf der Überholspur
Mit dem Erreichten gibt er sich nicht zufrieden,
für ihn machen neue Herausforderungen das
Leben erst richtig spannend.
Was treibt ihn an, wie lassen sich die
Kräfte zielgerichtet bündeln in einer
neuen Umgebung, die in den Jahren
nach und nach zur Heimat geworden
ist? „Ich unterhalte mich gerne mit
Leuten, freue mich unter Menschen
zu sein“, antwortet er spontan. Diese Offenheit hat ihm in der Vergangenheit schon so manche Tür geöffnet und Kontakte möglich gemacht.
Etwa in der Belmer Jugendwerkstatt,
in der er nach seiner Ankunft in
Deutschland schnell den Realschulabschluss nachgemacht hat, „übrigens
als Klassenbester“. Die Mitarbeiter
waren letztlich so sehr überzeugt von
seinen fachlichen und menschlichen
Qualitäten, dass im Anschluss die Vermittlung auf einen Ausbildungsplatz
als Fertigungsmechaniker die logische
Konsequenz war. Auch wenn nach der
Ausbildung nur ein befristeter Arbeitsvertrag möglich war, waren die Weichen gestellt. Der Besuch der Technikerschule soll ihm seinem heimlichen
Berufsziel ein Stück näher bringen.
„Bei Airbus die großen Flieger zusammenbauen, das wäre schon toll“.
Bis es soweit ist, ist aber ans Abheben
nicht zu denken. Vielmehr sind Stra-
tegien gefragt, mit denen die vierköpfige Familie die finanziellen Engpässe bewältigt, die sich durch die
Weiterbildung des Vaters ergeben.
„Wir kriegen das schon hin“, macht
er sich Mut und deutlich wird eine
weitere Antriebskraft. „Ich möchte
auch dazu gehören, meinen Platz in
der Gesellschaft finden und ein bisschen Anerkennung erfahren“, macht
er deutlich. Seine Kontaktfreudigkeit
und der Wunsch nach Anerkennung
spiegeln sich auch in dem wider, was
seine Freizeit bestimmt, denn „im
Leben muss man Spaß haben, nur arbeiten ist zu wenig“. Seit zwei Jahren
engagiert sich Vladimir Wilhelm im
Belmer Kulturverein. Das Talent zum
Schnitzen von Holzfiguren hat er in
seiner Zeit beim Militär in Russland
perfektioniert. Vor kurzem hat er dem
Kindergarten, in dem auch Tochter
Victoria-Sophie den Vormittag verbringt, ein großes Eichhörnchen aus
Holz für den Außenbereich gestiftet.
Zurzeit arbeitet er im Verein in einer
Skulpturenwerkstatt mit, die sich die
Verschönerung der Gemeinde durch
Kunst zum Ziel gesetzt hat.
Mitspracherechte wahrnehmen ist
ein weiteres Thema, das ihn seit
kurzem interessiert. In dem Belmer
Ortsteil Powe, ausgewiesen als Gebiet mit Entwicklungsbedarf im Förderprogramm „Soziale Stadt“, engagiert er sich daher als Mitglied im
so genannten LOS-Begleitausschuss
„Lokales Kapital für soziale Zwecke“.
Das besondere daran: Die Mitglieder
können selbstständig über die Mit-
Portrait
Vladimir Wilhelm ist erst seit fünf
Jahren in Deutschland, doch er hat
bereits viel erreicht. Und die „Überholspur“ will der 26-jährige, der in
Rostov am Don seine Kindheit verbracht hat, so schnell nicht wieder
verlassen. Mit dem Besuch der Technikerschule hat er jetzt den nächsten
Schritt gemacht und auch in der Freizeit stehen neue Projekte an.
Foto: Thomas Osterfeld
telvergabe für soziale Projekte entscheiden, mit denen die beruflichen
Perspektiven von benachteiligten
Bewohnern verbessert werden können. „Wenn ich kann, helfe ich gerne
und setze mich auch für andere ein“,
bemerkt er abschließend und muss
schon wieder zum nächsten Termin.
Weil er Mathematik sozusagen im
Schlaf beherrscht, haben ihn Kollegen aus der Technikerschule gebeten,
einige Rechenaufgaben noch einmal
im kleinen Kreis zu erklären.
Fred Anders
Journalist, Belm
BETRIFFT 4 / 2006
19
Forum
Für eine gerechte
Globalisierung
Die Millenniums-Entwicklungsziele
Als im Oktober 2006 der Friedensnobelpreis an Muhammad Yunus vergeben wurde, würdigte das Komitee
den Wirtschaftsprofessor aus Bangladesch mit seinem auf Kleinstkredite
spezialisierten Institut als weltweites
Beispiel im Kampf gegen Armut. Die
bis dahin absolut Mittellosen bekamen Mitte der siebziger Jahre ein
Darlehen über 30 Dollar, damit sie ein
paar Hühner oder den Stoff für ihre
Korbflechterei kaufen konnten, um
damit ein kleines Geschäft aufzubauen. Wie Yunus hervorhebt, hat sich
seither jeder zweite Instituts-Kunde
– inzwischen über 6 Mio. Mitglieder –
aus extremer Armut befreien können.
Foto: UN- Milleniumcampaign
Ein ermutigendes Beispiel für den
Kampf gegen Armut. Dennoch: Wohlstandsgefälle, Ungerechtigkeit, Ohnmacht und mangelnde Zukunftsaussichten sind weiter in vielen Ländern
der Nährboden für Unzufriedenheit,
Spannungen, Gewalt und Konflikte.
Sie bewirken auch, dass heute mehr
als doppelt so viele Menschen auf der
Suche nach einem besseren Leben
ihre Heimatländer verlassen als noch
vor 25 Jahren. Nach einer Erhebung
der UN gab es 2005 weltweit 200 Millionen Migranten einschließlich 9,2
Mio. Flüchtlingen.
20 BETRIFFT 4 / 2006
Niemals zuvor war aber auch der
weltweite Wohlstand größer als heute. Dennoch müssen 1,1 Milliarden
Menschen mit weniger als 1 Dollar
pro Tag auskommen. 800 Millionen
Menschen haben nicht genug zu essen, über 100 Millionen Kinder gehen
nicht zur Schule. Die Kluft zwischen
Arm und Reich wird sowohl zwischen
Nord und Süd, aber auch innerhalb
der Gesellschaften immer größer.
Kosten und Chancen der Globalisierung sind sehr ungleich verteilt.
Auf dem Millenniumsgipfel der Vereinten Nationen im September 2000
haben sich die Staats- und Regierungschefs fast aller Länder verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Globalisierung zu einer positiven Kraft für
alle Menschen wird. Ihre Absichtserklärung fassten sie in acht messbare
Ziele – die Millenniums-Entwicklungsziele – die bis zum Jahr 2015 erreicht
sein sollen.
Ziel 1: Beseitigung von extremer
Armut und Hunger – Halbierung des
Anteils der Menschen, die mit weniger als einem Dollar am Tag auskommen müssen.
Ziel 2: Grundschulausbildung
für
alle Kinder weltweit.
Ziel 3: Gleichstellung und Förderung der Frau.
Ziel 4: Senkung der Kindersterblichkeit um zwei Drittel.
Ziel 5: Verbesserung der Gesundheit von Müttern – Senkung der
Sterblichkeitsrat um drei Viertel.
Ziel 6: Bekämpfung von HIV/AIDS,
Malaria und anderen Krankheiten.
Ziel 7: Implementierung von nachhaltigem Umweltschutz – u. a. Halbierung der Zahl von Menschen ohne
Zugang zu sauberem Trinkwasser.
Ziel 8: Schaffung einer globalen
Partnerschaft für Entwicklungszusammenarbeit – u. a. gerechtes Han-
delssystem, Schuldenerlass, mehr Mittel für Entwicklungszusammenarbeit.
Die Millenniums-Entwicklungsziele
können nur in gemeinsamer Verantwortung der reichen und der armen
Länder erreicht werden. Auf die Zuwanderungspolitik bezogen bedeutet das zum Beispiel, dass nicht nur
soziale, arbeitsmarkt- und sicherheitspolitische Aspekte zu berücksichtigen sind. Politik und Zivilgesellschaft
müssen dazu beitragen, die Entwicklungschancen in den Heimatländern
von Migranten zu erhöhen und die
dortigen Lebensperspektiven zu verbessern, aber auch den Nutzen der
Migration für die Herkunftsländer zu
maximieren. Immerhin – so ein UNBericht – fanden 2004 weltweit ca.
450 Milliarden Dollar Rücküberweisungen von Migranten in ihre Heimatländer statt – fast das Dreifache
der offiziellen Entwicklungshilfe.
Die weltweite Millenniumkampagne
der Vereinten Nationen will die anfängliche Aufbruchstimmung wiederherstellen und die Regierungen zum
Handeln bringen. Auch in Deutschland trägt sie das Thema in die Öffentlichkeit und versucht, möglichst
viele Menschen durch konkrete Aktionen und Lobbyarbeit zum Engagement für die Millenniumsziele zu
mobilisieren. Eine noch deutlichere
Unterstützung gerade auch von Migrantinnen und Migranten mit ihren
Kenntnissen und Erfahrungen wäre
dabei wünschenswert.
Anregungen, wie Bürgerinnen und
Bürger die Kampagne unterstützen
können, finden Sie unter
www.millenniumkampagne.de
Dr. Renée Ernst
Beauftragte für die
UN-Millenniumkampagne
in Deutschland
Forum
Europa am Nachmittag
Foto: EIZ Niedersachsen
„Europa und die Welt“ erlebten 40
Schülerinnen und Schüler der Integrierten Gesamtschule (IGS) Göttingen einen Nachmittag lang während der Europa-Woche im Mai 2006.
Die 13-Jährigen der Arbeitsgruppe
„International Education“ lernten 17
Studierende aus 13 Ländern kennen.
Sie erfuhren an Hand von Ratespielen
und Präsentationen einiges über diese Länder und über die Europäische
Union. Die Initiatoren der Aktion
waren das Europäische InformationsZentrum Niedersachsen und der Euroculture-Studiengang der Universität
Göttingen. Die Studierenden hatten
sich ein Semester lang mit Theorie
und Praxis des Projektmanagements
beschäftigt und wollten nun die geplanten Projekte in der IGS umsetzen.
Den Nachmittag in der Schule gestalteten sie in vier Kleingruppen. Die
Hauptsprache war Englisch.
Die erste Gruppe hatte das Ziel, die
Europakenntnisse zu verbessern. Die
Studierenden hatten zwei Spiele entwickelt. Im ersten sollten die Schülerinnen und Schüler durch richtige
Antworten das Ende eines Labyrinths
erreichen. Die Fragen lauteten z.B.:
“Which northern European city used
to be called Christiania?” (Oslo) und:
“Which country has the tallest people in Europe, 182,35 cm for men and
170,56 cm for women?” (die Niederlande). Bei dem nachfolgenden Geschwindigkeitsspiel mussten Hauptstädte den richtigen Ländern so schnell
wie möglich zugeordnet werden.
Die Studierenden waren sehr über-
rascht über die guten Europakenntnisse der Jugendlichen, die den Nachmittag als eine schöne Abwechslung
zum normalen Unterricht empfunden
haben.
In der zweiten Gruppe ging es „um
die Welt in 90 Minuten“. Die Themen unterschieden sich von denen
der anderen, da die Studierenden
in dieser Gruppe überwiegend aus
Nicht-EU-Staaten kamen und zwar
aus dem Iran, der Türkei, Lettland,
Bosnien-Herzegowina und Mexiko.
Die Jugendlichen konnten zunächst
in Zweiergruppen anhand von Powerpoint-Präsentationen mehr über
ein Land erfahren. Das Wissen gaben
sie dann an die nächste Kleinstgruppe
weiter, bevor sie sich über das nächste Land informierten.
Die Studierenden waren beeindruckt
von der kooperativen und engagierten Schülergruppe.
In der dritten Gruppe stellten sich die
Studierenden in ihren Muttersprachen vor und die Schülerinnen und
Schüler mussten die Länder raten.
Das war auf Spanisch und Niederländisch noch einfach, Usbekisch und
Moldawisch zuzuordnen war schon
sehr viel schwerer. Welche Vorteile
die Europäische Union bietet – wie
z.B. europaweit verreisen zu können,
persönliche Erfahrung im Ausland zu
sammeln oder dort zu studieren – war
das nächste Thema.
Das Interessanteste war jedoch ein
Puzzle, das die Jugendlichen durch
Beantwortung von Fragen zu einer
Europakarte zusammenlegten. An
dieser Gruppe nahmen auch einige
französische Austauschschülerinnen
teil, so dass die Verständigung zwischen Deutsch, Englisch und Französisch hin und her wechselte. Es war
ein anregender Nachmittag! Selbst
das Erklären der komplizierten EUInstitutionen langweilte die Schülerinnen und Schüler nicht. Am spannendsten für die Jugendlichen war
aber wohl, dass die Studierenden aus
vier sehr unterschiedlichen Ländern
stammten.
In der vierten Gruppe sollten die Jugendlichen die Austauschprogramme
der EU für Schüler und Studierende
kennen lernen.
Für die Projektgruppe des Euroculture-Studiengangs war spannend, auf
junge Weltbummler zu stoßen, die
anscheinend jede Ecke Europas kannten und hoch motiviert und interessiert noch viel mehr wissen wollten.
Yuliya Akhmejanova
Georg-August-Universität Göttingen
Die Euroculture-Studenten im Sommersemester 2006
Bulgarien: Neli Todorova, BosnienHerzegowina: Melina Sadikovic,
Frankreich: Sarah Kremer und Cécile
Combes, Iran: Jasin Ramin, Italien:
Georgia Renata Loukas, Lettland:
Kristine Vdovicenko, Mexiko: Marcela Flores, Niederlande: Sarah de
Jong, Liesbeth Sturing und Martje
van Bruggen, Spanien: Miriam Diaz
Leiva, Republik Moldau: Natalia und
Sergiu Corobca, Türkei: Eren Özalay,
Usbekistan: Rustam Akramov, Vietnam: The Tu Tran Ngoc
Masterstudiengang Euroculture
Euroculture ist ein eineinhalbjähriger, interdisziplinärer Studiengang
der Universität Göttingen und sieben
anderer europäischer Universitäten. Er vermittelt Wissen über die
Geschichte und Kultur Europas und
seiner Institutionen. In speziellen
Projektmodulen werden Qualifikationen vermittelt, die Berufsperspektiven in einem zunehmend auf
Europa ausgerichteten Arbeitsmarkt
eröffnen.
BETRIFFT 4 / 2006
21
Materialien
Materialien zum
Schwerpunktthema
Literatur
Wenn Christine und Mohammed
nach Gott fragen … Muslimische Kinder im evangelischen Kindergarten
Hannover 2006
Die Publikation bietet Hintergrundinformationen für das
Gelingen von Begegnungen zwischen Christen und Muslimen in
evangelischen Kindergärten.
Schritte gehen – aufeinander zu
Positionen, Projekte, Anregungen für christlich-muslimische Begegnungen
Hannover 2006
Das Arbeitsheft bietet praxisorientiert und umfassend Informationen und gibt Anregungen
für christlich-muslimische Begegnungen innerhalb der Kirche.
Arbeitsstelle für Islam und Migration im Haus kirchlicher Dienste der Evangelisch-lutherischen
Landeskirche Hannovers, islam.
[email protected].
Woran ich glaube. Ein Muslim
und ein Christ im Gespräch
Schwarzenfeld 2005,
ISBN 3-93789-615-5
Dieses Buch zeigt, wie es trotz großer Unterschiede gelingen kann, den
eigenen Glauben zu bezeugen und
respektvoll aufeinander zu hören.
[email protected],
www.neufeld-verlag.de
Islamischer Religionsunterricht
in Europa. Lehrtexte als Instrumente muslimischer Selbstverortung im Vergleich
Bielefeld 2006,
ISBN 3-89942-453-0
Lehrtexte aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden transportieren, wie muslimische LehrplanerInnen ihre Religion für die Schule
organisieren und welche Angebote
sie der nachwachsenden Genera-
22 BETRIFFT 4 / 2006
tion machen, sich in den europäischen Gesellschaften zu verorten.
[email protected],
www.transcript-verlag.de
Christentum und Islam – ein neuer Dialog des Handelns. Begegnungen in Europa und Afrika
Frankfurt a. M. 2006,
ISBN 3-38099-854-4
Auf seinen Stationen der letzten 15
Jahre beobachtete und gestaltete Erhard Brunn inmitten vieler Konflikte
Modelle einer gemeinsamen Verantwortung von Christen und Muslimen
mit. Seine zahlreichen Begegnungen
mit religiösen Persönlichkeiten, darunter Afrika-Missionaren, Kardinälen
und muslimischen Vertretern, hat er
in einem Buch zusammengestellt.
Die Portraits sind eindrucksvolle
Dokumente über Menschen, deren
Wirken für einen neuen Dialog zwischen Christentum und Islam stehen.
Brandes & Apsel Verlag
Sexualität und Körperpraxis im Islam
Frankfurt a. M. 2006,
ISBN 3-86099-851-X
Die bekannte Publizistin Farideh
Akashe-Böhme legt eine grundlegende Analyse zur Sexualität und
den Geschlechterkampf im Islam vor.
Sie behandelt das Thema im Rahmen der islamischen Anthropologie
und trägt damit ein wesentliches
Element zur besseren Kenntnis
dieser Religion bei. Ihre zentralen
Themen sind Reinheit und Tabus,
Ehre, Geschlechterbiographie,
patriarchale Strukturen und Muslime in der säkularisierten Welt.
[email protected],
www.brandes-apsel-verlag.de
Die Kinder des Engel Pfau. Religion
und Geschichte der kurdischen Yezidi
Köln 2004, ISBN 3-927213-23-3
Johannes Düchting berichtet kenntnisreich über die yezidischen Religion
und die Geschichte des yezidischen
Volkes. Schwerpunkt des ersten Teils
des auf zwei Bände konzipierten
Werkes sind die Inhalte und die Pra-
xis des Yezidentums, die der Autor
im Vergleich mit zahlreichen anderen kurdischen und nah-östlichen
Religionen darstellt, die Einfluss
auf die Yezidi hatten, aber auch
von diesen beeinflusst wurden.
KOMKAR – Verband der Vereine aus Kurdistan, komkar@
t-online.de www.komkar.org
Handbuch Interreligiöser Dialog. Aus
katholischer, evangelischer, sunnitischer und alevitischer Perspektive
Köln 2006, ISBN 3-00-017959-3
Die Handbuch ist Produkt der
Multireligiösen Studiengruppe
(MUREST), die mehr als zwei Jahre
zu diesem Thema gearbeitet hat,
um Antworten auf Grenzfragen im
interreligiösen Dialog aus Sicht von
katholischen, evangelischen, sunnitischen und alevitischen Experten
und Expertinnen zu geben. Es richtet
sich nicht nur an die Mitglieder der
Religionsgemeinschaften, sondern
bietet eine Hilfestellung und wichtige Ergänzung zu vorhandenen Unterrichtsmaterialien für LehrerInnen
und Hintergrundinformationen für
MultiplikatorInnen in den unterschiedlichsten Tätigkeitsfeldern.
Glaubenselemente im alevitischen
und sunnitischen Selbstverständnis
Köln 2006-10-23
Die Synopse bietet einen tieferen
Einblick in das religiöse Selbstverständnis beider Gruppen in Deutschland und greift ausgewählte Themen
wie Gottesverständnis, Menschenbild, Geschlechterverhältnis, interreligiöse Eheschließung, Anerkennung
anderer Glaubensgemeinschaften
sowie den interreligiösen Dialog auf.
AABF – Alevitische Gemeinde Deutschland e.V., info@
alevi.com, www.alevi.com
Jesus und Mohammed. Erstaunliche Unterschiede und überraschende Ähnlichkeiten
Gräfelfing 2006,
ISBN-10: 3-935197-52-7
Der Autor vergleicht das Leben von
Jesus und Mohammed. Er beschreibt,
wie sie sich selbst gesehen haben,
wie sie auf die Herausforderungen
durch Juden reagierten, wie und
ob sie Wunder vollbrachten, wie
sie lehrten zu beten, wie man
einem Feind begegnet und was
sie über Frauen dachten. Mit diesen und anderen Vergleichen ist
es dem Leser möglich, besser den
Einfluss der Botschaften auf unsere heutige Zeit zu verstehen.
Verlag Dr. Ingo Resch GmbH,
[email protected],
www.resch-verlag.com
Sprache beschriftet. Der Gebetsteppich liegt in Blickrichtung Mekka
und ist von Sitzkissen umgeben.
www.klinikum-peine.de/default.htm
Islamforen in Deutschland.
Dialoge mit Muslimen
Frankfurt a. M. 2005,
ISBN 3-87476-478-8
Der Interkulturelle Rat in Deutschland hat erstmals am 26. Juni 2002
zu einem Forum Islam eingeladen.
Kritische Fragen des Zusammenlebens sollten offen und kontrovers
erörtert werden. Vertretungen aller
relevanten muslimischen Verbände nahmen daran ebenso teil wie
Persönlichkeiten aus Staat, Gesellschaft, Kirchen und Wissenschaft.
Die Publikation informiert über
den Beginn, bisherige Erfahrungen
und Ergebnisse der Islamforen.
Verlag Otto Lembeck, www.lembeck.de, [email protected]
Hier wohnen nur noch Türken
42 02529, 20 min
Festkalender 2007
Der Festkalender für Juden, Christen und Muslime soll zum besseren
gegenseitigen Verständnis der
verschiedenen Religionen beitragen. Er benennt die unterschiedlichen religiösen Festtage und
deren historische Hintergründe.
[email protected],
www.klartext-verlag.de
Neu im Klinikum Peine
Im Klinikum sind zwei Gebetsräume
(Mescid) für Muslime (für Frauen
und Männer getrennt) eingerichtet. Die Wände sind in arabischer
Medien
VHS-Videos des Niedersächsischen
Landesamtes für Lehrerbildung
und Schulentwicklung (NiLS)
www.nibis.de, [email protected]
Die Moschee.
Das Gotteshaus der Muslime
42 02238, 20 min
der interkulturellen Beratung in
verschiedenen sozialen Bereichen
reflektiert und anhand von Ergebnissen durchgeführter Projekte
konkret über den Einsatz interkultureller Beratung diskutiert werden.
Eine Teilnahmegebühr
wird nicht erhoben.
Veranstalter: VNB und
Kargah (ALBuM)
Informationen: [email protected]
Fit und gesund mit Spaß
Gesundheitssport für Migrantinnen
bietet der VfL Hannover an.
Infos: Solveig Vogel, Tel. (0511)
1236846, [email protected]
In eigener Sache
Koran im Klassenzimmer
42 02585, 20 min
Kopftuch und Minirock
42 54876, 30 min
Nachrichten
Refugium: Ausgezeichnet!
Das Beratungsbüro des Vereins
Flüchtlingshilfe Braunschweig,
„Refugium“, wurde 2006 mit
dem Preis „Aktiv für Demokratie
und Toleranz“ ausgezeichnet.
Refugium erhielt die Auszeichnung
für das Projekt „Ausländische Kulturen zum Anfassen“. Das Projekt
wird in Schulen durchgeführt. Es
fördert den interkulturellen Dialog und sensibilisiert Schülerinnen
und Schüler für jegliche Form von
Diskriminierung und Rassismus.
[email protected],
www.refugium-braunschweig.de
Praxistag zum Thema:
Interkulturelle Beratung im
Spannungsfeld zwischen
Laien und Professionalität
23.01.2007, Kargah e.V.
Im Rahmen dieser Abschluss-Veranstaltung der Weiterbildung „BeraterInnen für interkulturelle Fragestellungen“ soll über die Relevanz
Ausgewandert
In Deutschland wird in Bezug auf
das aktuelle Migrationsgeschehen
ein „Minussaldo“ festgestellt. Das
heißt, die Zahl der Auswanderer
ist höher als die der Einwanderer.
So stellt sich auch die Situation im
Büro der Ausländerbeauftragten
des Landes Niedersachsen dar. Im
Jahr 2006 mussten zwei „Auswanderungen“ verkraftet werden.
Ute Abels hat Niedersachsen den Rücken gekehrt und ist nach NordrheinWestfalen gezogen. Sie gehörte seit
1991 zum Team und hinterlässt in
der Pflege unserer Datenbank sowie
im gesamten schreibtechnischen
Bereich eine riesengroße Lücke.
Katerina Agsten ist in die USA
ausgewandert. Ihr Fortgang wirkt
sich auf unsere Registratur, Infothek
und Internetpräsenz aus, deren
Stand zurzeit nicht immer aktuell
ist. Außerdem fehlen uns ihr ästhetisch geschulter Blick auf alles,
was es zu gestalten gibt, sowie ihre
nahezu professionellen Fotos.
Wir wünschen Ute Abels und Katerina Agsten alles Gute und viel Glück
in ihrem neuen Lebensabschnitt.
BETRIFFT 4 / 2006
23
Postkartenaktion
„Vielfalt in Niedersachsen“
Jugendliche von s’putnike <jungeKultur> im
CJD Nienburg haben diese „Namens-Karte“
plus Botschaft entworfen.
In einer landesweiten Aktion der Ausländerbeauftragten wird die Postkarte in mehreren
niedersächsischen Städten verteilt.
Sie kann darüber hinaus von Lehrkräften
niedersächsischer Schulen sowie von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus der
Jugend- und Integrationsarbeit bei der Ausländerbeauftragten des Landes Niedersachsen bestellt werden.
Die Lieferung erfolgt kostenlos in Mengen
zu 50, 100 oder 200 Karten (bitte angeben) –
solange der Vorrat reicht.
Bezugsadresse:
[email protected]
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