Molekulare Onkologie Entstehung, Progression, klinische Aspekte Bearbeitet von Christoph Wagener, Oliver Müller erweitert, überarbeitet 2009. Buch. XIX, 424 S. Hardcover ISBN 978 3 13 103513 4 Format (B x L): 17 x 24 cm Gewicht: 1014 g Weitere Fachgebiete > Medizin > Klinische und Innere Medizin > Onkologie, Psychoonkologie Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte. Onkogene Sonde für das Centromer des Chromosoms, auf dem sich auch das HER2/NEU-Gen befindet (Wolff et al. 2007). MYC Für drei Gene der MYC-Familie wurden in menschlichen Tumoren Amplifikationen beschrieben: MYC (das zelluläre Homolog des retroviralen Onkogens), MYCN und MYCL1. MYCN und MYCL1 sind häufig in Tumoren ektodermalen Ursprungs wie z. B. in Neuroblastomen (MYCN) und kleinzelligen Lungenkarzinomen (MYCL1) amplifiziert. Bei Neuroblastomen korreliert die Zahl der Kopien des MYCN-Gens mit Tumorstadium und Prognose (Schwab 2004). MDM2 Das MDM2-Gen wurde in einer spontan transformierten Mutante einer murinen Fibroblasten-Zelllinie identifiziert. Das Gen kodiert ein Protein, das p53 inaktiviert. Amplifikationen des MDM2-Gens finden sich in etwa einem Drittel verschiedener menschlicher Knochen- und Weichteilsarkome (Oliner et al. 1992). 5.2.4 Aktivierung von Proto-Onkogenen durch Punktmutationen Quantitativ spielt die Aktivierung von Proto-Onkogenen durch Missense-Mutationen die größte Rolle. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass zumindest in soliden Tumoren eine Aktivierung von Proto-Onkogenen durch Aminosäureaustausch in der kodierenden Sequenz wahrscheinlicher ist als die Veränderung der Regulation oder Struktur durch Gen-Rearrangements. Eine Aktivierung der von Proto-Onkogenen kodierten Proteine kann nur gezielt erfolgen, d. h. die Anzahl der Positionen, die sogenannten Hot Spots, an denen Proto-Onkogene mutieren, ist begrenzt. Wie später dargestellt, trifft dies auf klassische Tumorsuppressorproteine nicht zu. Diese können durch Punktmutationen und Deletionen an vielen unterschiedlichen Positionen sowie durch weitere Mechanismen inaktiviert werden. RAS-Gene Mutierte RAS-Gene wurden ursprünglich durch Transfektion von NIH3T3-Fibroblasten mit menschlicher Tumor-DNA entdeckt. Zwei RAS-Gene sind zu 1 Abb. 5.11 Genomische Organisation von Genen der RAS-Familie. retroviralen Onkogenen homolog. Die zellulären Gene werden daher nach den entsprechenden retroviralen Onkogenen bezeichnet (H(arvey)RAS und K(irsten)RAS). Das dritte Onkogen der RAS-Familie wurde aufgrund seiner Homologie zu den vorgenannten Genen zunächst in Neuroblastomen entdeckt und wird daher als NRAS bezeichnet. KRAS und NRAS besitzen vier Exons, KRAS weist zwei alternative vierte Exons auf (Exons IVA und IVB), sodass zwei Produkte des KRAS-Gens vorkommen (Abb. 5.11). RAS-Gene gehören zu denjenigen Genen, die in menschlichen Tumoren am häufigsten mutiert Tabelle 5.2 Mutationen von RAS-Genen in menschlichen Tumoren (Quelle: Bos 1988). Gen Codon Mutation AminosäureAustausch HRAS 12 GGC-GTC GGC-GAC gly-val gly-asp 61 CAG-AAG CAG-GGC gln-lys gln-leu 12 GGT-CGT GGT-AGT GGT-TGT GGT-GAT GGT-GTT GGT-GCT gly-arg gly-ser gly-cys gly-asp gly-val gly-ala 13 GGC-GAC gly-asp 61 CAA-CAT CAA-CAC CAA-CTA gln-his gln-his gln-leu 12 GGT-AGT GGT-GTT GGT-GAT gly-ser gly-val gly-asp 13 GGT-CGT GGT-GTT GGT-GAT gly-arg gly-val gly-asp 61 CAA-CGA CAA-CAT CAA-CTA CAA-AAA glu-arg glu-his glu-leu glu-lys KRAS NRAS 3 4 5 6 7 8 9 10 89 aus: Wagener, Müller, Molekulare Onkologie (ISBN 9783131035134), © 2009 Georg Thieme Verlag KG 2 Mechanismen der Tumorentstehung Tabelle 5.3 Häufigkeit von RAS-Mutationen in menschlichen Tumoren (Quelle: Bos 1989) Tumor Häufigkeit von Mutationen [ %] Pankreaskarzinom >75 Schilddrüsenkarzinom (follikulär und undifferenziert) >50 kolorektales Karzinom >40 multiples Myelom ca. 30 Lungen-Adenokarzinom ca. 25 akute myeloische Leukämie ca. 30 sind. Die Mutationen betreffen sowohl solide als auch hämatopoetische Tumoren. Bei den Mutationen handelt es sich ausschließlich um Punktmutationen im 12., 13. oder 61. Codon (Tab. 5.2). RASMutationen finden sich am häufigsten in Pankreas-, Schilddrüsen- und kolorektalen Karzinomen (Bos 1988, 1989) (Tab. 5.3). In anderen Tumorarten wie z. B. in Mammakarzinomen spielen RAS-Mutationen keine Rolle. Die durch RAS-Gene kodierten Proteine befinden sich an zentraler Position im MAPK-Signalweg, einem zentralen Signalweg zur Steuerung von Proliferation und Differenzierung (siehe Kap. 8, S. 227). Tiermodelle In Tiermodellen werden RAS-Gene reproduzierbar und teilweise in hoher Frequenz durch chemische Karzinogene mutiert (Tab. 5.4). Bei denjenigen Karzinogenen, deren Wirkungsmechanismus aufgeklärt ist, stimmt die Art des Basenaustauschs in RAS-Genen mit dem Wirkungsmechanismus des jeweiligen Karzinogens überein. In mit N-Methyl-N-Nitroso-Harnstoff (MNH) induzierten Mammakarzinomen fanden sich z. B. regelmäßig G-A-Transitionen in der mittleren Position des 12. Codons des HRAS-Gens (GGA). Die G-A-Transition resultiert aus der Fehlkodierung durch O6-Methylguanin, einem der durch die methylierende Wirkung von MNH entstandenen Addukte. Die Induktion von Hautkarzinomen der Maus durch DMBA (Dimethyl-benz(a)anthrazen) in Verbindung mit Phorbolestern ist ein weiteres Beispiel für eine gezielte Induktion von Punktmutationen durch chemische Karzinogene. DMBA bewirkt eine A-T-Transition in der zweiten Base des 61. Codons. Wie Benzo(a)pyren wirkt DMBA über hochreaktive Epoxide. Bei Induktion muriner Leberkarzinome mit N-Hydroxy-2-AcetylAminofluorid wurden regelmäßig C-A-Transversionen in der ersten Base von Codon 61 beobachtet. Dies stimmt mit der Wirkung verwandter Karzinogene überein, die G:C–T:A-Transversionen bewirken. Diese experimentellen Daten zeigen, dass mutagene Karzinogene direkt auf zelluläre RAS-Gene einwirken. Die hohe Selektivität und Spezifität der induzierten Mutationen hängt mit dem Wirkungsmechanismus des jeweiligen Karzinogens, mit dem onkogenen Potenzial von Basenposition und Basenaustausch sowie möglicherweise auch mit der Fehlerrate von DNA-Reparaturmechanismen zusammen (Barbacid 1987). Es wurden viele Mausmodelle entwickelt, in denen die onkogene Wirkung mutierter Ras-Allele in vivo belegt wurde. In einem dieser Modelle wurde das Kras-Gen mit einer Mutation in Codon 12 (Austausch von Glycin gegen Aspartat (G12D) im kodierten Protein) unter Kontrolle von Doxycyclin in Lungenzellen (Typ II Pneumozyten) exprimiert (Fisher et al. 2001) (Abb. 5.12). Zwei Monate nach der Induktion wuchsen in der Lunge Tabelle 5.4 Spezifische Mutationen von HRAS-Onkogenen in chemisch induzierten, experimentellen Tumoren (Quelle: Barbacid 1987). Spezies Ratte Tumorart Mammakarzinom Karzinogen N-Methyl-N-Nitroso-Harnstoff Dimethyl-benz(a)anthrazen Punktmutation 35 G →A Codon Häufigkeit [ %] 12 100 182,183 61 100 182 →N A Maus Hautpapillom, Hautkarzinom Dimethyl-benz(a)anthrazen A →T 61 89 Maus Hepatokarzinom N-Hydroxy-2-AcetylAminofluorid C181→A 61 100 Vinyl-Carbamat A182→T 61 86 90 aus: Wagener, Müller, Molekulare Onkologie (ISBN 9783131035134), © 2009 Georg Thieme Verlag KG Onkogene 1 2 3 Abb. 5.12 Abhängigkeit eines Tumors von der Aktivität eines mutierten Kras-Gens („oncogene addiction“). Es wurde ein bitransgenes Mausmodell generiert, in dem ein reverser Tetracyclin-Transaktivator (rtTA) unter der Kontrolle eines Promotors stand, der das rtTA-Gen in Lungenepithelzellen aktivierte. In Anwesenheit von Doxycyclin wird ein mutiertes Kras-Gen über die Bindung von rtTA an das tet-Operon transkribiert. Dies führte zum Wachstum von Adenomen und Adenokarzinomen in der Lunge. Nach Entzug des Doxycyclins kam es innerhalb von drei Tagen zu einer Regression der Tumoren, nach einem Monat waren die Tumoren nicht mehr nachweisbar (Quelle: Daten von Fisher et al. 2001). Adenome und Adenokarzinome, die in das umgebende Gewebe invadierten. Ein Befund war in diesem Modell von zentraler Bedeutung: Wenn die Induktion des mutierten Transgens durch Entzug von Doxycyclin beendet wurde, kam es zu einer Regression der Adenome und Karzinome durch Apoptose der Tumorzellen. Dies zeigt, dass das aktive Onkogen nicht nur eine hinreichende, sondern eine notwendige Bedingung für das Tumorwachstum sein kann. Die Tatsache, dass Wachstum und Vitalität eines Tumors von der Aktivität eines Onkogens abhängen, wird im Englischen als „oncogene addiction“ (OnkogenAbhängigkeit) bezeichnet. Die Onkogen-Abhängigkeit von Tumoren hat wichtige therapeutische Implikationen: Selbst bei ansonsten großer genomischer Heterogenität kann die Ausschaltung eines einzigen Gens den Untergang des Tumors auslösen. Aus den verschiedenen Tiermodellen zur Karzinogenese durch mutierte Ras-Allele lässt sich noch eine zweite Lehre ziehen: In manchen Tiermodellen reicht das mutierte Ras-Allel zur Induktion von Tumoren aus. In anderen Tiermodellen, so z. B. bei der Induktion von Melanomen, muss erst ein anderes Tumorgen verändert sein, bevor mutierte Ras-Allele Tumoren induzieren können. Schließlich wurde in verschiedenen Modellen gezeigt, dass bei Kooperation von zwei Tumorgenen, so z. B. von Ras und Myc, mehr Tumoren entstehen und dass das Tumorwachstum früher einsetzt. Die Kooperation von Tumorgenen wurde in diesen Modellen zuerst belegt (Janssen et al. 2005). 4 5 6 Diagnostik Im Allgemeinen sind RAS-Mutationen bereits in Frühstadien von Tumoren vorhanden (z. B. in annähernd der Hälfte größerer villöser Adenome des Kolons). Daher und aus rein praktischen Gründen bietet sich das RAS-Gen als diagnostischer Parameter in der molekularen Frühdiagnose an (Cairns u. Sidransky 1999). Das Gen ist kurz, Anzahl und Positionen der möglichen Mutationen sind begrenzt und die Mutationsrate ist hoch. Mutationen lassen sich sensitiv und spezifisch durch mutationsspezifische PCR nachweisen. Tatsächlich gelang der Nachweis von KRAS-Mutationen im Stuhl von Kolon- und Pankreastumorpatienten und im Sputum von Lungentumorpatienten. In allen Fällen konnten dieselben Mutationen anschließend auch in den chirurgisch entfernten Tumoren detektiert werden. Wie in Kapitel 8 erläutert, liegt das RAS-Protein im Signalweg des EGF-Rezeptors. Bei Patienten mit kolorektalen Karzinomen sind Inhibitoren des EGF- 91 aus: Wagener, Müller, Molekulare Onkologie (ISBN 9783131035134), © 2009 Georg Thieme Verlag KG 7 8 9 10 Mechanismen der Tumorentstehung Rezeptors wirkungslos, wenn das KRAS-Gen mutiert ist. Vor einer Therapie mit EGF-RezeptorHemmern wird daher eine Mutationsanalyse des KRAS-Gens empfohlen. PIK3CA Wie später ausgeführt, stehen Phosphatidylinositol-3-Kinasen (PI3Ks) im Zentrum der Onkogenese. Enzyme dieser Familie sind Knotenpunkte in der Signalübertragung, in die Signale einfließen und aus denen Signale weiter verteilt werden. Die Aktivierung eines PI3-Kinase-Gens durch ein chronisches Retrovirus war der erste Hinweis auf eine mögliche Bedeutung von Genen dieser Familie für die Tumorentstehung. Durch systematische Sequenzierung von Genen, die für PI3-Kinasen kodieren, wurden im PIK3CA-Gen häufig Missense-Mutationen nachgewiesen. Das PIK3CA-Gen kodiert die katalytische Untereinheit eines PI3-Kinase-Isoenzyms. In Tab. 5.5 sind die Häufigkeiten von Mutationen im PIK3CA-Gen in verschiedenen Tumoren des Menschen aufgeführt. Das PIK3CA-Gen gehört zu denjenigen Genen, die in Tumoren des Menschen am häufigsten mutiert sind. PIK3CA-Gene mit Mutationen, die in menschlichen Tumoren vorkommen, wirken transformierend (Karakas et al. 2006). BRAF Die Familie von RAF-Genen umfasst drei Mitglieder: RAF1, ARAF und BRAF. Die Gene kodieren Serin-/ Threoninkinasen, die im MAPK-Signalweg unterhalb der RAS-Proteine liegen (siehe Kap. 8, S. 200). Auf eine mögliche Bedeutung von RAF-Genen für Tabelle 5.5 Mutationen des PIK3CA-Gens in Tumoren des Menschen (Quelle: Karakas et al. 2006). Tumorart Anteil an Mutationen [ %] hepatozelluläres Karzinom 36 Mammakarzinom 26 kolorektales Karzinom 25 Ovarialkarzinom 9 Magenkarzinom 7 Hirntumoren 6 Lungenkarzinom 2 die Onkogenese wies zuerst die Aktivierung des Orthologen des RAF1-Gens durch retrovirale Insertion hin. In humanen Tumoren finden sich somatische Mutationen des BRAF-Gens vor allem bei Patienten mit Melanomen (ungefähr 60 % der Fälle) und papillären Schilddrüsenkarzinomen (etwa 45 % der Fälle). Die Mutationen führen überwiegend zu einem Austausch von Glutamat gegen Valin in Position 600 des Genprodukts (V600E), der eine ungefähr 500-fach erhöhte konstitutive Kinaseaktivität bewirkt. Transgene Mäuse, die die V600E-Mutante spezifisch in der Schilddrüse exprimieren, entwickeln papilläre Schilddrüsenkarzinome mit hoher Penetranz (Ciampi u. Nikiforov 2007). Die Epidemiologie der BRAF-Mutation beim Melanom zeigt, dass der kausale Bezug zwischen Umwelteinfluss und Karzinogenese komplex sein kann. Melanome können an Hautregionen entstehen, die chronischer Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind (wie im Gesicht), oder aber an Körperstellen, die Episoden intensiver UV-Belastung ausgesetzt sind (etwa am Oberkörper). Bei Melanomen, die an den Fußsohlen oder in inneren Organen entstehen, spielt die Sonneneinstrahlung keine Rolle. Interessanterweise finden sich BRAF-Mutationen ganz überwiegend in Melanomen, die durch kurzfristige und intensive Sonneneinstrahlung hervorgerufen werden, nicht hingegen in Tumoren, die durch chronische Sonnenbelastung entstehen. Voraussetzung für die V600E-Mutation im BRAF-Protein ist eine Mutation des kodierenden Codons von GTG zu GAG – eine Mutation, die nicht typisch für direkte Mutagenese durch UV-Strahlen ist. Diese Zusammenhänge sprechen dafür, dass durch intensive Sonneneinstrahlung und den dadurch hervorgerufenen Sonnenbrand Entzündungsreaktionen ausgelöst werden, die sekundär zum Austausch einer Aminosäure im BRAF-Protein führen. Dass sich die Tumoren oft erst mehr als 20 Jahren nach Sonnenexposition entwickeln, zeigt, dass diese Mutation alleine für eine Tumorentstehung nicht ausreicht, sondern dass weitere mutagene Ereignisse erforderlich sind (Dhomen u. Marais 2007). 5.2.5 ERBB: somatische Aktivierung eines Onkogens durch Punktmutationen, Deletionen und Insertionen Das ERBB-Gen kodiert für den EGF-Rezeptor, eine Rezeptor-Tyrosinkinase, die in der Kontrolle von Proliferation und Differenzierung eine überragende 92 aus: Wagener, Müller, Molekulare Onkologie (ISBN 9783131035134), © 2009 Georg Thieme Verlag KG