Morphologie I

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Einführung in die Linguistik
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⇒Einführung in die Linguistik
Zur Erinnerung:
Kerngebiete der Linguistik
Phonetik:
Phonologie:
Morphologie:
Syntax:
Semantik:
Pragmatik:
Akustische Eigenschaften
Lautsysteme
Elemente eines Wortes und
deren Kombinationen
Elemente eines Satzes und deren
Kombinationen
Sprachliche Bedeutung von
Wörtern und Sätzen
Bedeutung einer Äußerung im
situativen Kontext
Was ist ein Wort?
Ich will dein Rad fahren
5 Worte
Ich will radfahren
3 Worte
Ich will Räder
4 Worte
fahren
Ist Rad jetzt ein Wort oder nicht?
??? Ich will Rad fahren
Was ist ein Wort?
Die Deutsche Rechtschreibung wurde
gerade reformiert.
Man kann in §33-34 des Regelwerkes ganz
viel zum Thema getrennt und
zusammenschreiben nachlesen (nach lesen?)
Aber sagt uns Rechtschreibung wirklich ob
etwas ein Wort ist?
Antwort: nur bedingt.
Was ist ein Wort?
Man kann versuchen, die Sache aus
sprachwissenschaftlicher Sicht anzugehen:
Also lernen wir etwas über Morphologie,
dann kehren wir zum radfahren (oder auch
staubsaugen) zurück.
Flexion, Lexeme, und Wörter
Hund Katze
Katze
Katzen
flektiertes
Wort
zwei Wörter
und
zwei Wörter
zwei
verschiedene
Lexeme
aber
ein Lexem
Lexem
Abstrakte Einheit, die mit
einem außersprachlichen
Konzept verbunden ist
(Tiefenstruktur)
Wort
Reale Einheit, die als
Bestandteil eines Satzes
funktionieren kann.
(Oberflächenstruktur)
Wenn Wörter (Lexeme) in Isolation gebraucht
werden (z.B. im Lexikon oder in der
Linguistikvorlesung...), benutzt man die
Nennform
diese ist willkürlich festgelegt:
Nomen
Nominativ (sing)
Katze
Verben
Infinitiv
gehen
Morphologie
Katze-n
geh-en
Morphologie ist die Untersuchung
der Bestandteile von Wörtern.
(Gr. morphe ‘form’)
Flexion
Worte können generell flektiert werden.
Flexion wird durch Morpheme
ausgedrückt.
Morphologie
Morpheme sind die kleinsten sprachlichen
Einheiten, die entweder eine Bedeutung oder
eine grammatische Funktion haben
geh-e
1. Person Singular
geh-st
2. Person Singular
geh-t
3. Person Singular
geh-en
1. Person Plural
geh-t
2. Person Plural
geh-en
3. Person Plural
-e, -st, -t, -en sind gebundene Morpheme
denn sie können nur mit anderen
Morphemen zusammen verwendet werden
Freie Morpheme können allein verwendet
werden: Haus, hoch, zu, ich, dann, weil
Regelmäßige Flexion
Es wird zwischen regelmäßiger und
unregelmäßiger Flexion unterschieden.
gehen: regelmäßig
geh-e
1. Person Singular
sein: unregelmäßig
bin
geh-st
2. Person Singular
bist
geh-t
3. Person Singular
ist
geh-en
1. Person Plural
sind
geh-t
2. Person Plural
seid
geh-en
3. Person Plural
sind
Erster Analyseversuch
Meine unfeinen Hunde haben dumm gelacht.
Mein-e un-fein-en Hund-e hab-en dumm
ge-lach-t.
6 gebundene Morph.: -e, -un, -en, -en, -en, ge- -t
6 freie Morpheme: Mein, fein, dumm, Hund,
lach, hab
Was ist mit: ge- -t?
(Zirkumfix!)
Erster Analyseversuch
Mein-e un-fein-en Hund-e hab-en dumm
ge-lach-t.
Was ist mit: hab-, lach-?
Lexeme
Sie sind der Definition nach Morpheme,
werden aber nur selten so bezeichnet.
Grammatisch und gebunden: Morphem
Lexikalisch (=semantisch inhaltsvoll): Lexem
Wurzel und Stamm
Zugrundeliegende Einheit: Wurzel
Einheit, die alleine stehen kann, die man aber
auch noch weiter flektieren kann: Stamm
Im Deutschen sind Wurzel und Stamm oft
identisch (im Gotischen war das noch nicht so):
Katz-/Katz, hab-/hab, lach-/lach
Wurzel und Stamm
Arabisch
Wurzel ist ein abstraktes Muster: z.B. ktb
‫ﻛﺘﺐ‬
(steht für alles was mit lesen/schreiben zu tun
hat)
Diese Wurzel taucht nie in der
Oberflächenform der Sprache auf.
Wurzel und Stamm
Arabisch
Wurzel ist ein abstraktes Muster: z.B. ktb
Es wird ein Stamm gebildet, in dem Vokale
zwischen die Konsonanten geschoben werden.
Die gebildeten Stämme können ganz
unterschiedlicher Art sein: z.B. Verb oder
auch ein Nomen.
Wurzel und Stamm
Arabisch
Wurzel:
Stamm:
k
t
b
k a t a b
(alles mit lesen/
schreiben)
(Verb:‘schreiben’)
Flektiertes
k a t a b a t (‘sie schrieb’)
Wort:
Wurzel und Stamm
Arabisch
Wurzel:
Stamm:
k
t
b
k i t a b
(alles mit lesen/
schreiben)
(Nomen:‘Buch’)
(Kann man dann auch weiter flektieren
— Hier nicht gezeigt...)
genereller Aufbau eines Wortes:
Wortform
Stamm
Wurzel/Lexem
Flexion
Wort im Satz
realisiert die
grammatischen
Werte (z.B.
Singular, Plural)
(Ergänzung, z.B. Vokale)
verbunden mit
einem inhaltlichen
Konzept
legt die Stammform
fest (z.B. Verb oder
Nomen)
Was ist ein Wort?
Man kann versuchen, die Sache aus
sprachwissenschaftlicher Sicht anzugehen:
Trennbar?
Wenn etwas trennbar ist, ist es vermutlich
ein Wort.
radfahren: Ich fahre heute Rad.
brustschwimmen: Er schwimmt heute Brust.
Was ist ein Wort?
Man kann versuchen, die Sache aus
sprachwissenschaftlicher Sicht anzugehen:
Flexion?
Wenn etwas flektiert werden kann, dann ist
es sicher ein Wort.
radfahren: *Ich will räderfahren.
brustschwimmen: *Er will brüsteschwimmen.
Was ist ein Wort?
Fazit: Diese Fälle sind schwierig einzuordnen:
Rad und Brust sind zwar eigenständige Wörter,
nehmen aber eine besondere (generische)
Bedeutung an, wenn sie sich mit einem Verb
verbinden (radfahren, staubsagen, danksagen).
D.h. sie formen in gewisser Weise ein neues
Wort zusammen mit dem Verb.
Aber sie sind auch noch eigenständig und deshalb
eiern die Rechtschreibreformer auch rum.
Der morphologische Zoo
Was ist mit: ge- -t? (komisches Morphem?)
Verschiedene Arten von Morphemen
Präfixe: un-, be- (z.B. belebt, bekannt)
Suffixe: -t, -e, -en
Zirkumfixe: ge- -t (z.B. gelacht)
Infixe: (siehe Tagalog)
Affixe
Infixe in Tagalog
Infixe zwängen sich in den Stamm eines
Wortes rein.
Verbstamm
Bedeutung
Infinitiv
aral ‘lehren’
um-aral
sulat
‘schreiben’
s-um-ulat
basa
‘lesen’
b-um-asa
gradwet
‘graduieren’
gr-um-adwet
Zirkumfixe im Deutschen
Zirkumfixe verteilen sich um einen Stamm
herum.
Verbstamm
Bedeutung
Infinitiv
lehr ‘lehren’
ge-lehr-t
schreib
‘schreiben’
ge-schrieb-en
les
‘lesen’
ge-les-en
speis
‘speisen’
ge-speis-t
Ge- vs. Be- im Deutschen
Zirkumfix: Das partizipbildende ge- kann nicht mit allen
möglichen Suffixen auftreten, sondern nur mit -t oder -en.
Wegen dieser Abhängigkeit nimmt man an, dass es ein
Zirkumfix ist.
be- ist nicht so wählerisch, deshalb wird es auch nicht als Teil
eines Zirkumfixes analysiert.
Partizip:
be-leb-t
Präsens:
ich be-leb-e
* ich ge-leb-e
du be-leb-st
* du ge-leb-st
er be-leb-t
* er ge-leb-t
wir be-leb-en
* wir ge-leb-en
ge-leb-t
Noch mehr: Morphophonologische
Markierungen
Reduplikation: man trennt ein Teil des
Stammes ab, kopiert es, und fügt es dazu.
Beispiel: einige lateinische Perfektformen
Reduplikation im Lateinischen
Reduplikation: man nimmt Onset und
Nucleus der ersten Silbe, kopiert sie, und
fügt sie dazu.
Verb(Infinitiv) mord-e:re ‘beissen’
pend-e:re ‘hängen’
kad-ere ‘fallen’
fall-ere ‘betrügen’
tang-ere ‘berühren’
da-re ‘geben’
Redup.
momordi:
pependi:
kakidi:
fafelli:
tatigi:
dadi:
1.Sg.Perfect
‘ich habe gebissen’
‘ich habe gehangen’
‘ich bin gefallen’
‘ich habe betrogen’
‘ich habe berührt’
‘ich habe gegeben’
Reduplikation im Lateinischen
Noch zusätzlich: Phonologische Regel
a -> e
Verb(Infinitiv) mord-e:re ‘beissen’
pend-e:re ‘hängen’
kad-ere ‘fallen’
fall-ere ‘betrügen’
tang-ere ‘berühren’
da-re ‘geben’
1.Sg.Perfect
momordi: ‘ich habe gebissen’
pependi: ‘ich habe gehangen’
kekidi:
‘ich bin gefallen’
fefelli:
‘ich habe betrogen’
tetigi:
‘ich habe berührt’
dedi:
‘ich habe gegeben’
Noch mehr: Morphophonologische
Markierungen
Umlaut (nicht mehr produktiv -kann man
heutzutage mit neuen Wörtern nicht mehr
machen)
Verb futtern trinken
sinken
(offen)
Kausativ
füttern
tränken
senken
öffnen
(Kausativ= etwas veranlassen von Lt. causare)
Kausativ: Umlaut vs.
“ordentliches” Morphem
Deutsch:
Verb futtern trinken
sinken
(offen)
Urdu (-a:):
Kausativ
füttern
tränken
senken
öffnen
Verb kHa: pi: du:b kHul
Kausativ
kHil-a:
pil-a:
du:b-a:
kHul-a:
(Kausativ= etwas veranlassen von Lt. causare)
Wo die Phonologie noch reinfunkt
Phonologie: Phonem/Allophon
Z.B. Deutsch: [ç] (ich) vs. [x] (ach)
Morphologie: Morphem/Allomorph
Allomorphe
Englisch:
inelegant, inaccessible, inalienable
labial
alveolar
velar
imposssible, implausible
in-, im-, il- bedeuten
illegal, illiterate
soviel wie ‘nicht’
inconceivable, incongruous
[N]
3Morpheme oder
nur 1?
Allomorphe
Analyse:
/in/ ist das Morphem, [il], [im], [iN]
sind Allomorphe dieses Morphems.
Phonologischer Prozess: Assimilation
zum Artikulationsort des darauffolgenden
Konsonanten.
inelegant, inaccessible, inalienable
imposssible, implausible, illegal, illiterate
inconceivable, incongruous
Nur 1 Morphem!
Allomorphe
Noch ein Beispiel: Englische Pluralbildung
cats, rats, kicks, flips
[s]
beds, dogs, pubs
[z]
Phonologischer Prozess: Voicing
Assimilation zum vorherigen Konsonanten
/z/
/s/
[s]
[z]
?
Allomorphe: Englischer Plural
busses, buzzes
[´z]
Phonologischer Prozess: Schwa einfügen
nach einem Frikativ/Affrikativ (/s/, /z/, etc.)
Erste Hypothese: /s/ ist das zugrundeliegende
Pluralmorphem im Englischen.
Funktioniert dann alles?
Allomorphe: Englischer Plural
busses, buzzes
[´z]
Wir versuchen es mal mit dem Plural von bus.
1. Schritt --- Pluralbildung: bus+s
2. Schritt --- Schwa einfügen: bus+´+s
3. Schritt --- Voicing Assimilation: passiert
nichts
Aber: man sagt [bøs´z] nicht [bøs´s]!
Allomorphe: Englischer Plural
Also:
/s/
[z]
Nächste Hypothese: /z/ ist das zugrundeliegende Pluralmorphem im Englischen.
Voicing Assimilation dann:
/z/
[s]
/ C_
[-voice]
Allomorphe: Englischer Plural
busses, buzzes
[´z]
Wir versuchen es wieder mit bus.
1. Schritt --- Pluralbildung: bus+z
2. Schritt --- Schwa einfügen: bus+´+z
3. Schritt --- Voicing Assimilation: passiert
nichts
Resultat: [bøs´z]
Alles in Ordnung!
Beispielanalyse: Samoan
manao matua
malosi
atamaki
savali
laga mananao
‘er wünscht (sich)’
Wie sagt man?
‘er ist alt’
‘sie reisen’
savavali
‘er ist stark’
‘er ist weise’
‘er singt’
pese
‘er reist’
‘er webt’
‘sie wünschen (sich)’
matutua ‘sie sind alt’
malolosi ‘sie sind stark’
atamamaki ‘sie sind weise’
pepese
‘sie singen’
‘sie weben’
lalaga
Pluralbildung durch
Reduplikation!
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