86 Mechanische Schwingungen Physik und Musik I Schwebungen Die Schallsignale, die bei einem Konzert auf die Zuhörer einströmen, kommen aus der Überlagerung der Schwingungen vieler Quellen zustande. Besteht eine Chance, dieses Gewirr mathematisch zu beschreiben und aus der Überlagerung die einzelnen Schwingungen wieder zurückzugewinnen? Versuch 1: Wenn man zwei identische Stimmgabeln anschlägt, hört man einen Ton. Verstimmt man eine der Stimmgabeln geringfügig, so hört man weiterhin einen Ton, dessen Lautstärke periodisch auf- und abschwillt. ■ fs = |∆f| = |f2 - f1|. Überlagert man zwei harmonische Schwingungen gleicher Amplitude, ändert sich die Amplitude der Schwebung periodisch zwischen der doppelten Amplitude und Null (Bild 1). Beide Teilschwingungen überlagern sich linear, d. h. die jeweiligen Auslenkungen addieren sich. Sind beide Schwingungen in Phase, so ergibt sich die doppelte Amplitude, sind sie gegenphasig, so heben sie sich zu Null auf. Ein Schwingungsbaukasten So wie die Schwebung durch additive Überlagerung zweier frequenzbenachbarter Schwingungen zustande kommt, kann man jede periodische Schwingungsform durch Addition geeigneter Schwingungen zusammenbauen. Die einzelnen „Bausteine“ sind dabei harmonische Schwingungen, deren Frequenzen ganzzahlige Vielfache einer Grundfrequenz sind. Die Schwingungen mit den Frequenzen fn = n · f0 bezeichnet man als Oberschwingungen oder Harmonische der Grundfrequenz f0. Versuch 2: Stellen Sie die Überlagerung von Harmonischen zu einer geeigneten Grundfrequenz ω0 = 2π f0 im Rechner grafisch dar. Wählen Sie dazu folgende 1 Schwingung: y = sin ω0t + 1— 3 sin 3ω0t + — 5 sin 5ω0t + 1 —7 sin 7ω0t + … usw. ■ Je mehr Harmonische man überlagert, desto besser nähert sich das Ergebnis einer Rechteckschwingung an(Bild 2). So, wie man diese wie mit einem „Baukasten“ zusammensetzen kann, lässt sich jede andere periodische Schwingungsform aus harmonischen Grundformen synthetisieren. Dieses Baukastenprinzip resultiert aus der linearen Überlagerung von harmonischen Schwingungen. Seine Formulierung geht auf den französischen Mathematiker J. B. FOURIER 1 Schwebungen bei Stimmgabelschwingungen 1 0.5 x 0 -0.5 -1 1 4 7 10 13 16 19 22 25 28 31 34 37 40 43 46 49 52 55 58 61 64 67 70 73 Dieses Phänomen bezeichnet man als Schwebung. Die wahrgenommene Schwebungsfrequenz fs entspricht exakt der Frequenzdifferenz der Stimmgabeln: sin x 1/3 sin 3x 1/5 sin 5x sin x -1/3 sin 3x +1/5 sin 5x 2 Rechteckschwingung aus Sinusschwingungen zurück. Das Zusammensetzen von Schwingungsformen aus Harmonischen heißt daher auch FourierSynthese. Die Umkehrung, also die Zerlegung von Schwingungen in ihre Bestandteile, nennt man Frequenz- oder auch Fourier-Analyse. Versuch 3: Ein Lautsprecher führt eine Rechteckschwingung von 100 Hz aus. Mit einem zweiten Lautsprecher, der an einen Sinusgenerator angeschlossen ist, wird die Frequenz durchgefahren. Man hört Schwebungen im Bereich von 100, 300, 500 Hz usw. ■ Die in einer Überlagerung vorhandenen Teilschwingungen lassen sich durch Schwebungen mit einem Testton bekannter Frequenz heraushören und ausmessen. In einer Rechteckschwingung sind somit die Frequenzkomponenten physikalisch wirklich vorhanden, die man bei der mathematischen Synthese der Schwingung nach Bild 2 hätte hineinstecken müssen. Man könnte die Teilschwingungen auch so ermitteln, dass die zu untersuchende Schwingung einen Satz von Oszillatoren anregt, deren Frequenzen genau so abgestimmt sind, dass sie einen Bereich überdecken (vgl. Zungenfrequenzmesser, S. 83). Die Oszillatoren geraten bei ihrer Eigenfrequenz in Resonanz und filtern so aus der angebotenen Schwingung die jeweilige Frequenzkomponente heraus. Die Amplitude in Abhängigkeit von der Frequenz gibt das Frequenzspektrum an. Mechanische Schwingungen und Wellen 87 Das Geheimnis der Geigenklänge Frequenzspektren können ganz einfach mittels Computer, Sound-Karte und geeigneter Software ermittelt werden. Programme zur Frequenzanalyse kehren die bei der Synthese von Schwingungen gemachten Rechenschritte um. Sie berechnen die Amplituden der Harmonischen und tragen diese über der Frequenz auf. Gehör, Musik und Wohlklang Das menschliche Gehör führt u. a. eine Frequenzanalyse durch und zerlegt Schallschwingungen in ihre Bestandteile. Dass man eine Schwebung hört, kommt durch seine beschränkte Trennschärfe zustande. Ein Bereich im Innenohr schwingt mit und wird von zwei eng benachbarten Frequenzen gleichzeitig angeregt, weshalb man das gleiche Auf und Ab hört, wie es das Oszillografenbild (Bild 1) zeigt. Der Schwebungseindruck verschwindet für ∆f > 20 Hz. Das Auf und Ab der Lautstärke wird nicht mehr zeitlich aufgelöst und verschmilzt zur Empfindung von Rauigkeit. Erst jenseits von ∆f ≈ 100 Hz kann man zwei getrennte Töne aus der Überlagerung heraushören. Versuch 4: Erzeugen Sie mit zwei Tongeneratoren Zweiklänge. Welche Frequenzverhältnisse klingen gut zusammen? ■ Man hat dann eine besondere Empfindung, wenn die Frequenzen im Verhältnis kleiner ganzer Zahlen stehen. Musiker bezeichnen solche Frequenzverhältnisse als Intervalle und geben ihnen besondere Namen. Auch musikalisch Ungeübte können neben dem Unisono (f1/f2 = 1/1), die Oktave (2/1), die Quarte (3/2) und die Quinte (4/3) gut heraushören. Wodurch kommt diese „mathematische“ Fähigkeit des Gehörs zustande? Töne von Musikinstrumenten bestehen aus Grund- und Oberschwingungen. Bei Zweiklängen, deren Grundfrequenzen exakt im Ver- Zeit Hz 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 3 Frequenzspektrum der Geige von A.S.Mutter hältnis kleiner ganzer Zahlen stehen, fallen Frequenzkomponenten zusammen, und zwar umso mehr, je kleiner das Zahlenverhältnis ist. Dadurch verschwinden Schwebungen. Die Teilschwingungen verschmelzen zu einem Gesamteindruck. Bei Abweichungen von der Ganzzahligkeit kommt es zu Schwebungen und Rauigkeiten, deren Stärke von der Verstimmung und der Ordnung der Harmonischen abhängt. Je nach Frequenz und der persönlichen und kulturellen Voreinstellung wird die Rauigkeit als mehr oder minder unangenehm empfunden. Der Klang schlägt von konsonant nach dissonant um. Aufgaben 1 Begründen Sie qualitativ anhand einer Skizze, weshalb die Schwebungsfrequenz gleich der Frequenzdifferenz der Schwingungen ist. 2 In einem Stereo-Kopfhörer werden beide Seiten getrennt an zwei Tongeneratoren angeschlossen. Verstimmt man die Frequenzen leicht (z. B. 400 Hz ± 5 Hz), so hört man eine „Schwebung im Kopf“. Was kann man aus diesem Experiment über die Verarbeitung niederfrequenter Tonsignale im Nervensystem aussagen? 3 Codiert man die Amplitude farblich, so kann man die zeitliche Veränderung von Signalen durch die jeweiligen Spektren darstellen (Sonagramm). Interpretieren sie die „sichtbare Sprache“ in Bild 4. 4 Messen Sie Spektren von Vokalen und Konsonanten. Wie unterscheiden sich Grundfrequenzen und Harmonische? Ermitteln Sie die jeweiligen Formantbereiche. Frequenz In den Frequenzspektren von Musikinstrumenten erkennt man eine große Zahl von Linien, die Harmonischen, deren Frequenzen ganzzahlige Vielfache der Grundfrequenz sind (Bild 3). Die Grundfrequenz legt die Tonhöhe fest. Die charakteristische Klangfarbe des Instruments äußert sich in der Gestalt des Spektrums, in dem bestimmte Frequenzbereiche besonders stark hervortreten. Das Spektrum der Geige ist gegenüber der Schwingung der gestrichenen Saite, die sie antreibt, stark verändert. Der Geigenkörper schwingt mit und strahlt jene Frequenzen besonders gut ab, bei denen er in Resonanz gerät. Die Kunst des Geigenbaus besteht u. a. darin, möglichst gute Resonanzen im Bereich von 1 bis 4 kHz zu erzielen. Das Geheimnis des Klangs einer Stradivari ist allerdings bis heute noch immer nicht vollständig geklärt. Bei der Sprache bezeichnet man die durch Resonanzen hervorgehobenen Frequenzbereiche als Formanten. Amplitude Physi....k mach..t Sp....a......ss.. Zeit 4 Sichtbare Sprache: Sonagramm des Satzes „Physik macht Spaß“