Physik und Musik I

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Mechanische Schwingungen
Physik und Musik I
Schwebungen
Die Schallsignale, die bei einem Konzert auf die
Zuhörer einströmen, kommen aus der Überlagerung
der Schwingungen vieler Quellen zustande. Besteht
eine Chance, dieses Gewirr mathematisch zu
beschreiben und aus der Überlagerung die einzelnen
Schwingungen wieder zurückzugewinnen?
Versuch 1: Wenn man zwei identische Stimmgabeln
anschlägt, hört man einen Ton. Verstimmt man eine
der Stimmgabeln geringfügig, so hört man weiterhin
einen Ton, dessen Lautstärke periodisch auf- und
abschwillt. ■
fs = |∆f| = |f2 - f1|.
Überlagert man zwei harmonische Schwingungen
gleicher Amplitude, ändert sich die Amplitude der
Schwebung periodisch zwischen der doppelten
Amplitude und Null (Bild 1). Beide Teilschwingungen überlagern sich linear, d. h. die jeweiligen Auslenkungen addieren sich. Sind beide Schwingungen
in Phase, so ergibt sich die doppelte Amplitude, sind
sie gegenphasig, so heben sie sich zu Null auf.
Ein Schwingungsbaukasten
So wie die Schwebung durch additive Überlagerung
zweier frequenzbenachbarter Schwingungen zustande kommt, kann man jede periodische Schwingungsform durch Addition geeigneter Schwingungen
zusammenbauen. Die einzelnen „Bausteine“ sind dabei harmonische Schwingungen, deren Frequenzen
ganzzahlige Vielfache einer Grundfrequenz sind.
Die Schwingungen mit den Frequenzen
fn = n · f0 bezeichnet man als Oberschwingungen oder Harmonische der Grundfrequenz f0.
Versuch 2: Stellen Sie die Überlagerung von Harmonischen zu einer geeigneten Grundfrequenz ω0 = 2π f0
im Rechner grafisch dar. Wählen Sie dazu folgende
1
Schwingung: y = sin ω0t + 1—
3 sin 3ω0t + —
5 sin 5ω0t +
1
—7 sin 7ω0t + … usw. ■
Je mehr Harmonische man überlagert, desto besser
nähert sich das Ergebnis einer Rechteckschwingung
an(Bild 2). So, wie man diese wie mit einem „Baukasten“ zusammensetzen kann, lässt sich jede andere
periodische Schwingungsform aus harmonischen
Grundformen synthetisieren. Dieses Baukastenprinzip resultiert aus der linearen Überlagerung von harmonischen Schwingungen. Seine Formulierung geht
auf den französischen Mathematiker J. B. FOURIER
1 Schwebungen bei Stimmgabelschwingungen
1
0.5
x
0
-0.5
-1
1
4
7
10
13
16
19
22
25
28
31
34
37
40
43
46
49
52
55
58
61
64
67
70
73
Dieses Phänomen bezeichnet man als Schwebung.
Die wahrgenommene Schwebungsfrequenz fs entspricht exakt der Frequenzdifferenz der Stimmgabeln:
sin x
1/3 sin 3x
1/5 sin 5x
sin x -1/3 sin 3x
+1/5 sin 5x
2 Rechteckschwingung aus Sinusschwingungen
zurück. Das Zusammensetzen von Schwingungsformen aus Harmonischen heißt daher auch FourierSynthese. Die Umkehrung, also die Zerlegung von
Schwingungen in ihre Bestandteile, nennt man Frequenz- oder auch Fourier-Analyse.
Versuch 3: Ein Lautsprecher führt eine Rechteckschwingung von 100 Hz aus. Mit einem zweiten Lautsprecher, der an einen Sinusgenerator angeschlossen
ist, wird die Frequenz durchgefahren. Man hört Schwebungen im Bereich von 100, 300, 500 Hz usw. ■
Die in einer Überlagerung vorhandenen Teilschwingungen lassen sich durch Schwebungen mit einem
Testton bekannter Frequenz heraushören und ausmessen. In einer Rechteckschwingung sind somit die
Frequenzkomponenten physikalisch wirklich vorhanden, die man bei der mathematischen Synthese
der Schwingung nach Bild 2 hätte hineinstecken
müssen. Man könnte die Teilschwingungen auch so
ermitteln, dass die zu untersuchende Schwingung
einen Satz von Oszillatoren anregt, deren Frequenzen genau so abgestimmt sind, dass sie einen
Bereich überdecken (vgl. Zungenfrequenzmesser,
S. 83). Die Oszillatoren geraten bei ihrer Eigenfrequenz in Resonanz und filtern so aus der angebotenen Schwingung die jeweilige Frequenzkomponente
heraus. Die Amplitude in Abhängigkeit von der Frequenz gibt das Frequenzspektrum an.
Mechanische Schwingungen und Wellen
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Das Geheimnis der Geigenklänge
Frequenzspektren können ganz einfach mittels Computer, Sound-Karte und geeigneter Software ermittelt werden. Programme zur Frequenzanalyse kehren die bei der Synthese von Schwingungen gemachten Rechenschritte um. Sie berechnen die Amplituden der Harmonischen und tragen diese über der
Frequenz auf.
Gehör, Musik und Wohlklang
Das menschliche Gehör führt u. a. eine Frequenzanalyse durch und zerlegt Schallschwingungen in ihre
Bestandteile. Dass man eine Schwebung hört, kommt
durch seine beschränkte Trennschärfe zustande. Ein
Bereich im Innenohr schwingt mit und wird von zwei
eng benachbarten Frequenzen gleichzeitig angeregt,
weshalb man das gleiche Auf und Ab hört, wie es das
Oszillografenbild (Bild 1) zeigt. Der Schwebungseindruck verschwindet für ∆f > 20 Hz. Das Auf und Ab
der Lautstärke wird nicht mehr zeitlich aufgelöst und
verschmilzt zur Empfindung von Rauigkeit. Erst jenseits von ∆f ≈ 100 Hz kann man zwei getrennte
Töne aus der Überlagerung heraushören.
Versuch 4: Erzeugen Sie mit zwei Tongeneratoren
Zweiklänge. Welche Frequenzverhältnisse klingen gut
zusammen? ■
Man hat dann eine besondere Empfindung, wenn die
Frequenzen im Verhältnis kleiner ganzer Zahlen stehen. Musiker bezeichnen solche Frequenzverhältnisse als Intervalle und geben ihnen besondere
Namen. Auch musikalisch Ungeübte können neben
dem Unisono (f1/f2 = 1/1), die Oktave (2/1), die
Quarte (3/2) und die Quinte (4/3) gut heraushören.
Wodurch kommt diese „mathematische“ Fähigkeit
des Gehörs zustande? Töne von Musikinstrumenten
bestehen aus Grund- und Oberschwingungen. Bei
Zweiklängen, deren Grundfrequenzen exakt im Ver-
Zeit
Hz
1000
2000
3000
4000
5000
6000
7000
3 Frequenzspektrum der Geige von A.S.Mutter
hältnis kleiner ganzer Zahlen stehen, fallen Frequenzkomponenten zusammen, und zwar umso
mehr, je kleiner das Zahlenverhältnis ist. Dadurch
verschwinden Schwebungen. Die Teilschwingungen
verschmelzen zu einem Gesamteindruck. Bei Abweichungen von der Ganzzahligkeit kommt es zu
Schwebungen und Rauigkeiten, deren Stärke von der
Verstimmung und der Ordnung der Harmonischen
abhängt. Je nach Frequenz und der persönlichen und
kulturellen Voreinstellung wird die Rauigkeit als
mehr oder minder unangenehm empfunden. Der
Klang schlägt von konsonant nach dissonant um.
Aufgaben
1 Begründen Sie qualitativ anhand einer Skizze, weshalb die Schwebungsfrequenz gleich der Frequenzdifferenz der Schwingungen ist.
2 In einem Stereo-Kopfhörer werden beide Seiten
getrennt an zwei Tongeneratoren angeschlossen. Verstimmt man die Frequenzen leicht (z. B. 400 Hz
± 5 Hz), so hört man eine „Schwebung im Kopf“. Was
kann man aus diesem Experiment über die Verarbeitung niederfrequenter Tonsignale im Nervensystem
aussagen?
3 Codiert man die Amplitude farblich, so kann man
die zeitliche Veränderung von Signalen durch die
jeweiligen Spektren darstellen (Sonagramm). Interpretieren sie die „sichtbare Sprache“ in Bild 4.
4 Messen Sie Spektren von Vokalen und Konsonanten. Wie unterscheiden sich Grundfrequenzen und
Harmonische? Ermitteln Sie die jeweiligen Formantbereiche.
Frequenz
In den Frequenzspektren von Musikinstrumenten
erkennt man eine große Zahl von Linien, die
Harmonischen, deren Frequenzen ganzzahlige Vielfache der Grundfrequenz sind (Bild 3). Die Grundfrequenz legt die Tonhöhe fest. Die charakteristische
Klangfarbe des Instruments äußert sich in der
Gestalt des Spektrums, in dem bestimmte Frequenzbereiche besonders stark hervortreten. Das Spektrum der Geige ist gegenüber der Schwingung der
gestrichenen Saite, die sie antreibt, stark verändert.
Der Geigenkörper schwingt mit und strahlt jene Frequenzen besonders gut ab, bei denen er in Resonanz
gerät. Die Kunst des Geigenbaus besteht u. a. darin,
möglichst gute Resonanzen im Bereich von 1 bis
4 kHz zu erzielen. Das Geheimnis des Klangs einer
Stradivari ist allerdings bis heute noch immer nicht
vollständig geklärt. Bei der Sprache bezeichnet man
die durch Resonanzen hervorgehobenen Frequenzbereiche als Formanten.
Amplitude
Physi....k
mach..t
Sp....a......ss..
Zeit
4 Sichtbare Sprache: Sonagramm des Satzes „Physik
macht Spaß“
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