Die Emotionalisierung von F&E

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Die Emotionalisierung von F&E-Mitarbeitern in der Innovationsfrühphase
DISSERTATION
der Universität St. Gallen,
Hochschule für Wirtschafts-,
Rechts- und Sozialwissenschaften
sowie Internationale Beziehungen (HSG)
zur Erlangung der Würde eines
Doktors der Wirtschaftswissenschaften
vorgelegt von
Christoph Meister
von
Schaffhausen und Zürich
Genehmigt auf Antrag der Herren
Prof. Dr. Oliver Gassmann
und
Prof. Dr. Torsten Tomczak
Dissertation Nr. 3971
Difo-Druck GmbH, Bamberg 2012
Die Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und
Sozialwissenschaften sowie Internationale Beziehungen (HSG), gestattet hiermit die
Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen
Anschauungen Stellung zu nehmen.
St. Gallen, den 26. Oktober 2011
Der Rektor:
Prof. Dr. Thomas Bieger
Emotional Empathic Event
Based on much of the folklore and applied literature, one often gets the impression
that inventors or innovators have super-human creative heuristics or abilities to "walk
on water" (Van de Ven and Hudson, 1985)
I
II
Danksagung
Die vorliegende Dissertation ist das Ergebnis meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher
Mitarbeiter am Institut für Technologiemanagement der Universität St. Gallen (ITEMHSG). Diese intensive Zeit ermöglichte mir tiefe Einblicke, sowohl theoretisch wie
auch praktisch, in das Thema des Innovationsmanagements. Die praxisorientierte
Ausrichtung des ITEM-HSG förderte zahlreiche Projekte und Kontakte mit Partnern
aus unterschiedlichen Industrien. Die Arbeit an der Schnittstelle zwischen Forschung
und Praxis, bot ein fruchtbares Umfeld für die theoretische Auseinandersetzung mit
relevanten wirtschaftlichen Problemstellungen.
Meinem Doktorvater Prof. Dr. Oliver Gassmann bin ich für seine vorbehaltlose
Unterstützung und Förderung zu tiefstem Dank verpflichtet. Durch seine Expertise,
Diskussionen, Freiräume sowie seine Geduld, schuf er ein Umfeld welches es mir
ermöglichte meine Dissertation erfolgreich zu verfassen. Ein spezieller Dank geht
auch an Prof. Dr. Torsten Tomczak für die Übernahme des Koreferats sowie seine
Unterstützung während meiner Zeit am Center for Innovation.
Während meinen Jahren am ITEM-HSG durfte ich zahlreiche Kolleginnen und
Kollegen kennenlernen, die mit ihren konstruktiven Diskussionen stets
gewinnbringende Impulse für meine Arbeit lieferten. Ein spezieller Dank geht an Frau
Marion Wolff und Frau Dr. Angela Beckenbauer, die mit ihren Ideen und intensiven
Diskussionen die Grundlage für die vorliegende Arbeit schufen. Mein Kollege Peter
Hürzeler begleitete mich während meiner gesamten Zeit in St. Gallen und war sowohl
fachlich wie auch persönlich eine grosse Bereicherung. Meinen CFI-Kolleginnen
Michaela Csik und Nadin Dörner danke ich für ihre Unterstützung in der schwierigen
Schlussphase und Etienne Prodolliet für die Übernahme des Lektorats.
Für die administrative und moralische Unterstützung geht ein besonderer Dank an
Frau Ursula Elsässer, die stets einen reibungslosen Ablauf des Arbeitsalltags
sicherstellte.
Für ihren vorbehaltlosen Rückhalt und die lebenslange Unterstützung möchte ich mich
auch bei meinen Eltern zu tiefst bedanken. Sie haben mir diese Entwicklung erst
ermöglicht. Schliesslich danke ich auch Frau Katja Meister, ohne die ich diesen Weg
nicht gegangen wäre.
Christoph Meister
Emotional Empathic Event
III
Inhaltsübersicht
Inhaltsübersicht ............................................................................................................. III
Inhaltsverzeichnis .......................................................................................................... V
Abbildungsverzeichnis ............................................................................................... VIII
Tabellenverzeichnis ...................................................................................................... IX
Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................. IX
Zusammenfassung.......................................................................................................... X
Management Summary ................................................................................................. XI
1 Einführung ................................................................................................................ 1
1.1
1.2
1.3
1.4
2
Theoretische Grundlagen ........................................................................................ 20
2.1
2.2
2.3
2.4
2.5
3
Selektion der Regisseure und Datensammlung........................................................... 88
Film-Crew als Innovationsteam .................................................................................. 91
Film als emotionale Sphäre......................................................................................... 91
Emotionalität am Beispiel der Filmproduktion .......................................................... 94
Zusammenfassung ...................................................................................................... 96
Determinanten der Emotionalisierung .................................................................... 98
5.1
5.2
5.3
5.4
6
Automobil AG: Projekt Inventionsgenerierung .......................................................... 61
VW: Projekt Moonraker ............................................................................................. 72
CEWE Color: Projekt CeWe-Fotobuch Software 4.6 ................................................ 81
Emotionalisierung in der Filmindustrie .................................................................. 88
4.1
4.2
4.3
4.4
4.5
5
Neuproduktentwicklung.............................................................................................. 20
Marktorientierung: Schnittstelle Marketing und F&E ................................................ 34
Emotionen im Neuproduktentwicklungsprozess ........................................................ 44
Kreativität und Crossvergenz im Neuproduktentwicklungsprozess ........................... 53
Referenzmodell für die Fallstudienanalyse................................................................. 57
Fallstudien von Emotionalisierungsprozessen in der Industrie .............................. 60
3.1
3.2
3.3
4
Motivation ..................................................................................................................... 1
Forschungsdefizit .......................................................................................................... 3
Forschungsfrage und -design ........................................................................................ 8
Aufbau der Arbeit ....................................................................................................... 18
Faktorenspezifischer Fallstudienvergleich ................................................................. 98
Erfolgsfaktoren des Emotionalisierungsprozesses.................................................... 111
Adaption des Referenzmodells ................................................................................. 124
Zusammenfassung .................................................................................................... 126
Auslöser der Emotionalisierung ........................................................................... 127
IV
6.1
6.2
6.3
6.4
6.5
6.6
7
Gestaltungsmodell für Emotional Empathic Events ............................................. 137
7.1
7.2
8
Typologisierung von Emotionalisierungsprozessen ................................................. 127
Emotionalisierung durch Schock .............................................................................. 130
Emotionalisierung durch Verführung ....................................................................... 131
Emotionalisierung durch Durchdringung ................................................................. 133
Emotionalisierung durch Transformation ................................................................. 134
Zusammenfassung .................................................................................................... 136
Phasen der Emotionalisierung .................................................................................. 139
Propositionen für ein ganzheitliches Konzept .......................................................... 147
Implikationen ........................................................................................................ 161
8.1
8.2
8.3
8.4
Implikationen für die Management Theorie ............................................................. 161
Implikationen für die Management Praxis................................................................ 165
Grenzen der Arbeit.................................................................................................... 168
Ausblick .................................................................................................................... 169
9 Literaturverzeichnis .............................................................................................. 172
Anhang ........................................................................................................................ 185
Emotional Empathic Event
V
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsübersicht ............................................................................................................. III
Inhaltsverzeichnis .......................................................................................................... V
Abbildungsverzeichnis ............................................................................................... VIII
Tabellenverzeichnis ...................................................................................................... IX
Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................. IX
Zusammenfassung.......................................................................................................... X
Management Summary ................................................................................................. XI
1 Einführung ................................................................................................................ 1
1.1
1.2
1.3
Motivation ..................................................................................................................... 1
Forschungsdefizit .......................................................................................................... 3
Forschungsfrage und -design ........................................................................................ 8
1.3.1
1.3.2
1.3.3
1.3.4
1.4
2
Aufbau der Arbeit ....................................................................................................... 18
Theoretische Grundlagen ........................................................................................ 20
2.1
Neuproduktentwicklung.............................................................................................. 20
2.1.1
2.1.2
2.1.3
2.2
2.3
Marktorientierung im Neuproduktentwicklungsprozess ................................................. 34
Kundenorientierung und Kundenintegration im NPD-Prozess ....................................... 39
Emotionen im Neuproduktentwicklungsprozess ........................................................ 44
2.3.1
2.3.2
2.3.3
2.3.4
2.4
2.5
Innovationsprozess .......................................................................................................... 21
Frühe Innovationsphase ................................................................................................... 23
Inkrementelle vs. radikale Innovation ............................................................................. 26
Marktorientierung: Schnittstelle Marketing und F&E ................................................ 34
2.2.1
2.2.2
3
Forschungsziel ................................................................................................................... 8
Forschungsgegenstand ....................................................................................................... 9
Forschungskonzeption ..................................................................................................... 11
Forschungsmethodik........................................................................................................ 12
Definition der Emotion für die vorliegende Arbeit ......................................................... 45
Emotionen und Kundennutzen von Produkten und Innovation ....................................... 46
Emotionen und Kreativität .............................................................................................. 50
Emotionen und Leadership .............................................................................................. 52
Kreativität und Crossvergenz im Neuproduktentwicklungsprozess ........................... 53
Referenzmodell für die Fallstudienanalyse................................................................. 57
Fallstudien von Emotionalisierungsprozessen in der Industrie .............................. 60
3.1
Automobil AG: Projekt Inventionsgenerierung .......................................................... 61
3.1.1
3.1.2
3.1.3
Projektumfeld .................................................................................................................. 61
F&E-Mitarbeiter .............................................................................................................. 64
Emotionale Kundenwelt .................................................................................................. 65
VI
3.1.4
3.1.5
3.2
VW: Projekt Moonraker ............................................................................................. 72
3.2.1
3.2.2
3.2.3
3.2.4
3.2.5
3.3
Selektion der Regisseure und Datensammlung........................................................... 88
Film-Crew als Innovationsteam .................................................................................. 91
Film als emotionale Sphäre......................................................................................... 91
Emotionalität am Beispiel der Filmproduktion .......................................................... 94
Zusammenfassung ...................................................................................................... 96
Determinanten der Emotionalisierung .................................................................... 98
5.1
Faktorenspezifischer Fallstudienvergleich ................................................................. 98
5.1.1
5.1.2
5.1.3
5.1.4
5.1.5
5.2
5.3
5.4
Strategische Faktoren von Emotionalisierungsprojekten ................................................ 99
Prozessuale Faktoren von Emotionalisierungsprojekten ............................................... 100
Organisatorische Faktoren von Emotionalisierungsprojekten ....................................... 104
Personelle Faktoren von Emotionalisierungsprojekten ................................................. 105
Konklusion der vergleichenden Fallstudienanalyse ...................................................... 107
Erfolgsfaktoren des Emotionalisierungsprozesses.................................................... 111
5.2.1
5.2.2
5.2.3
5.2.4
5.2.5
6
Projektumfeld .................................................................................................................. 81
F&E-Mitarbeiter .............................................................................................................. 86
Emotionale Kundenwelt .................................................................................................. 86
Prozess der Emotionalisierung ........................................................................................ 87
Zusammenfassung ........................................................................................................... 87
Emotionalisierung in der Filmindustrie .................................................................. 88
4.1
4.2
4.3
4.4
4.5
5
Projektumfeld .................................................................................................................. 72
F&E-Mitarbeiter .............................................................................................................. 73
Prozess der Emotionalisierung ........................................................................................ 74
Emotionale Kundenwelt .................................................................................................. 76
Zusammenfassung ........................................................................................................... 79
CEWE Color: Projekt CeWe-Fotobuch Software 4.6 ................................................ 81
3.3.1
3.3.2
3.3.3
3.3.4
3.3.5
4
Prozess der Emotionalisierung ........................................................................................ 67
Zusammenfassung ........................................................................................................... 70
Klare Strategie ............................................................................................................... 111
Enger Fokus ................................................................................................................... 114
Innovations-Akteure ...................................................................................................... 116
Emotionale Kundenwelt ................................................................................................ 120
Vermittlung der Emotionalen Kundenwelt.................................................................... 121
Adaption des Referenzmodells ................................................................................. 124
Zusammenfassung .................................................................................................... 126
Auslöser der Emotionalisierung ........................................................................... 127
6.1
6.2
6.3
6.4
6.5
Typologisierung von Emotionalisierungsprozessen ................................................. 127
Emotionalisierung durch Schock .............................................................................. 130
Emotionalisierung durch Verführung ....................................................................... 131
Emotionalisierung durch Durchdringung ................................................................. 133
Emotionalisierung durch Transformation ................................................................. 134
Emotional Empathic Event
6.6
7
Zusammenfassung .................................................................................................... 136
Gestaltungsmodell für Emotional Empathic Events ............................................. 137
7.1
Phasen der Emotionalisierung .................................................................................. 139
7.1.1
7.1.2
7.1.3
7.1.4
7.2
Initiierungsphase ........................................................................................................... 140
Vorbereitungsphase ....................................................................................................... 142
Umsetzungsphase .......................................................................................................... 144
Diffusionsphase ............................................................................................................. 146
Propositionen für ein ganzheitliches Konzept .......................................................... 147
7.2.1
7.2.2
8
VII
Gestaltungsfaktoren für Emotional Empathic Events ................................................... 147
Zusammenfassung ......................................................................................................... 159
Implikationen ........................................................................................................ 161
8.1
8.2
8.3
8.4
Implikationen für die Management Theorie ............................................................. 161
Implikationen für die Management Praxis................................................................ 165
Grenzen der Arbeit.................................................................................................... 168
Ausblick .................................................................................................................... 169
9 Literaturverzeichnis .............................................................................................. 172
Anhang ........................................................................................................................ 185
VIII
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Relevante Literaturströmungen ................................................................ 4
Abbildung 2: Auswahl des Untersuchungsgegenstandes dieser Arbeit ....................... 10
Abbildung 3: Forschungskonzeption ............................................................................ 14
Abbildung 4: Aufbau der Arbeit ................................................................................... 19
Abbildung 5: Neuproduktentwicklungsprozess ............................................................ 23
Abbildung 6: Innovationsarten ..................................................................................... 28
Abbildung 7: Modell der Produktemotionalität ............................................................ 47
Abbildung 8: Klassifikation von Produktemotionen .................................................... 49
Abbildung 9: Der kreative Problemlösungszyklus ....................................................... 55
Abbildung 10: Referenzmodell der Emotionalisierung ................................................ 58
Abbildung 11: Innovationsprozess Zukunftsforschung ................................................ 63
Abbildung 12: Metatrends und Trendausprägungen .................................................... 66
Abbildung 13: Emotionale Zukunftswelten .................................................................. 67
Abbildung 14: Workshop Konzept ............................................................................... 70
Abbildung 15: Future Life Settings .............................................................................. 77
Abbildung 16: Konzeptstudie GX3 .............................................................................. 78
Abbildung 17: Quellen für Ideen bei CeWe Color ....................................................... 85
Abbildung 18: Selektion der relevanten Filmregisseure .............................................. 90
Abbildung 19: Adaptiertes Referenzmodell ................................................................. 97
Abbildung 20: Referenzmodell mit Gestaltungsdimensionen .................................... 110
Abbildung 21: Abschliessendes Referenzmodell ....................................................... 125
Abbildung 22: Typologien der Emotionalisierung ..................................................... 129
Abbildung 23: Phasen der Emotionalisierung ............................................................ 140
Abbildung 24: Auszug der Bewertungsmatrix Filmindustrie ..................................... 193
Emotional Empathic Event
IX
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Erfolgsfaktoren radikaler Innovationen im Unternehmenskontext ............. 33
Tabelle 2: Methoden der Kundenintegration ................................................................ 42
Tabelle 3: Prozessuale Faktoren von Emotionalisierungsprozessen .......................... 103
Tabelle 4: Organisationale Faktoren von Emotionalisierungsprozessen .................... 106
Tabelle 5: Determinanten und Propositionen ............................................................. 160
Tabelle 6: Ausgewählte Regisseure ............................................................................ 193
Tabelle 7: Filmliste nach Box Office Sales ................................................................ 194
Tabelle 8: Filmliste nach gewichtetem Award Ratio.................................................. 195
Tabelle 9: Filmliste nach innovativer Technologie & Technik .................................. 196
Abkürzungsverzeichnis
bzw.
beziehungsweise
F&E
Forschung und Entwicklung
FFE
Fuzzy Front End
HR
Human Resource
NIH
Not Invented Here
NPD
Neuproduktentwicklung
TFA
Technologiefrühaufklärung
v.a.
vor allem
z.T.
zum Teil
X
Zusammenfassung
Zusammenfassung
Während die Emotionalisierung von Produkten in den Disziplinen Marketing und
Design eine immer stärkere Bedeutung erfährt, bleibt die Produktentwicklung selbst
weitgehend emotionsfrei. Gleichzeitig zwingen beschränkte Ressourcen Unternehmen
immer mehr dazu, auch radikale Innovationen ausgerichtet auf den zukünftigen
Kundennutzen zu entwickeln. Während bei inkrementellen Innovationen eine
frühzeitige Kundenintegration in die F&E möglich ist, erschien dies in Bezug auf
radikale Innovationen bisher als nicht geeignet. Durch die Reduktion auf seine
Emotionen lässt sich der Kunde der Zukunft jedoch auf abstrakte Art und Weise
abbilden. Es stellt sich daher die Frage, wie Emotionen in der frühen Phase radikaler
Innovationsprojekte dazu beitragen können, effizient und effektiv neue Produktideen
zu generieren. Aufgrund der mangelnden theoretischen Erkenntnisse untersucht die
vorliegende Arbeit diese Frage anhand einer qualitativen Fallstudienanalyse aus der
Automobil-, Film- und Fotoindustrie.
Die Analyse konkreter Innovationsprojekte hat gezeigt, dass Unternehmen aus den
genannten Industrien Möglichkeiten gefunden haben, emotionale Konzepte erfolgreich
einzusetzen. Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen auf, dass es mittels sogenannten
"Emotional Empathic Events" gelingt, den Kunden der Zukunft in den Köpfen der
F&E-Mitarbeiter zu konstruieren und zu verankern. Dabei werden vier
unterschiedliche Emotionalisierungstypen unterschieden, die alle einem vierphasigen
Emotionalisierungsprozess folgen. Es sind dies der "Schocker", der "Verführer", der
"Durchdringer" und der "Transformator". Kern des Emotional Empathic Events stellt
neben der eigentlichen Emotionalisierung, die zukünftige emotionale Kundenwelt dar.
Indem die F&E-Mitarbeiter in die konstruierte Welt des Kunden hineinversetzt
werden, wird die Identifikation mit dem Kunden der Zukunft ermöglicht. Durch die
gezielte Nutzung des emotionalen Zustandes gelingt es, kundenfokussierte Ideen zu
generieren.
Die Arbeit relativiert die bisherige Annahme, dass eine Ausrichtung am zukünftigen
Kundennutzen in radikalen und technologiegetriebenen Innovationsprojekten nicht
möglich sei und gibt konkrete Handlungsempfehlungen, wie "Emotional Empathic
Events" zu planen und umzusetzen sind.
Emotional Empathic Event
XI
Management Summary
While adding emotions to products is becoming ever more important in the field of
marketing and design, emotions play no role in product development itself. Limited
resources force companies to apply a clear focus on customer value even in radical
innovation projects. As it is well known how customers can be integrated into the
processes of incremental innovations, customer integration into radical innovation
processes is not seen as an appropriate option. By reducing the future customer to his
emotions, he can be described in an abstract manner. This is why the contribution of
emotions in the early phase of innovation is a relevant field of enquiry. How can they
help to develop radically new products in an efficient and effective way? Given scarce
scientific and practical insights, this thesis applies a qualitative case study approach.
Based on cases from the automotive, photo and movie industries the contribution of
emotions is analyzed.
The analysis of empirically observed innovation projects revealed that companies have
found ways to successfully implement emotional concepts into radical R&D projects.
The results show that by accomplishing so called "Emotional Empathic Events", future
customers can be transferred into the heads of the R&D personnel. Thereby four
distinctive types of emotionalization are discovered which all follow a four-phase
process. The types are the "Shocker", the "Seducer", the "Penetrator" and the
"Transformer". The Core of the "Emotional Empathic Event" is the emotional process
itself as well as the customers emotional future life settings. By transferring R&D
personnel into constructed emotional future life settings, they are able to identify
themselves with the future customer. Making use of the emotional situation allows
them to generate and develop customer oriented ideas.
The present thesis puts existing assumptions into perspective that customer orientation
is not appropriate in technologically driven radical innovation projects. The thesis
gives concrete advice on how "Emotional Empathic Events" have to be planned and
implemented.
Emotional Empathic Event
1
1 Einführung
1.1 Motivation
Unternehmen
stehen
den
Herausforderungen
von
immer
kürzeren
Produktlebenszyklen, einer schnelleren Substituierbarkeit von neuen Produkten, einem
stetig zunehmenden Wettbewerbs- und Kostendruck sowie der Konvergenz von zuvor
unabhängigen Branchen und Industrien gegenüber. Dies führte in der Vergangenheit
zur Erkenntnis, dass die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit sowie der wirtschaftliche
Erfolg - insbesondere westeuropäischer Unternehmen - massgeblich von deren
Innovationsfähigkeit abhängig sein wird. Aktuelle Studien zeigen klar auf, dass
Innovation eine hohe Priorität in Bezug auf die strategischen Ziele einnimmt. Die
jährlich durchgeführte Studie der Boston Consulting Group (BCG) zum Thema
Innovation 2010 zeigt, dass eine Mehrheit der befragten Firmen (72%) das Thema
Innovation als eine der Top 3-Strategieprioritäten sieht. Während kurz vor und auch
während der Krise 2007 - 2009 die strategische Relevanz von Innovationen
zurückging, zeigt der Trend nun wieder klar, Innovation ist ein massgeblicher
Differenzierungsfaktor im Kampf um Marktanteile und die Eroberung neuer Märkte
(BCG, 2010). Innovation ist zentral für die Sicherung des nachhaltigen Erfolges. Auch
wenn die aktuelle BCG-Studie aufzeigt, dass Firmen nach der Krise vor allem
inkrementelle Innovationen an bestehenden Produkten und Services favorisieren,
haben andere Studien gezeigt, dass nicht inkrementelle, sondern radikale Innovationen
(Kim und Mauborgne, 1997; Gassmann und Zeschky, 2007) zu überdurchschnittlichen
Erträgen und hohen Gewinnmargen führen. Die Fokussierung auf inkrementelle
Innovationen in den vergangenen Jahren ist im Zusammenhang mit der
vorausgegangenen Wirtschaftskrise und den bestehenden Unsicherheiten in Bezug auf
die nachhaltige Erholung der Weltwirtschaft zu sehen. Für Unternehmen stehen in
Zeiten einer Krise oft eher die kurzfristige Gewinnsicherung und Risikominimierung
im Vordergrund. Es zeigt sich jedoch, dass radikale Innovationen einen besseren
Schutz durch gewerbliche Schutzrechte bieten als inkrementelle Weiterentwicklungen
und somit den langfristigen Erfolg von Unternehmen durch eine temporäre quasi
Monopolstellung sichern können. Daher hat die Aussicht auf höhere Erträge und
besseren Schutz vor Wettbewerbern das Phänomen radikaler Innovation in den letzten
zwei Jahrzehnten immer stärker in den Fokus der Wissenschaft gerückt. Obschon
intensiv im Bereich radikaler Innovationen geforscht wurde, gibt es noch immer
zahlreiche und teilweise auch unterschiedliche Definitionen oder Terminologien für
2
Einführung
diese Art der Innovation. Auch ihre Entstehung wurde bisher noch nicht ausreichend
erforscht.
Radikale Innovationen stellen Unternehmen noch immer vor enorme
Herausforderungen in den Bereichen Struktur, Kultur, Finanzierung sowie
Organisation. Die zunehmende Verkürzung der Innovations- und Produktlebenszyklen
sowie die Tatsache, dass Produkte heute sehr viel stärker als noch vor zehn Jahren mit
branchenfremden Produkten in Konkurrenz stehen, erfordern eine konsequente
Ausrichtung am zukünftigen Kundennutzen, um langfristig erfolgreich zu sein
(Gassmann und Zeschky, 2007). Gerade der Kundennutzen ist jedoch bei radikalen
Innovationen oft noch nicht oder nur schwer quantifizier- und identifizierbar.
Erschwerend kommt hinzu, dass die F&E, als vielzitierte Quelle radikaler
Innovationen, nicht über die geeigneten Kompetenzen und Ressourcen verfügt, um den
Kundennutzen gezielt und adäquat zu identifizieren. Radikale Produktinnovationen
gelten deshalb nach wie vor als stark technologiegetrieben. Bower & Christensen
(1995) konnten an diversen Beispielen aufzeigen, dass radikale Produktinnovationen
oftmals zuerst in Märkten Eingang finden, welche vom Unternehmen zuvor nicht
beachtet und in den seltensten Fällen intensiv bearbeitet wurden. Zudem scheinen
Funktionalitäten und Produkteigenschaften radikaler Produkte gegenüber expliziten
Anforderungen bestehender Kunden und Märkte oftmals diametral verschieden zu
sein. In der Vergangenheit waren radikale Innovationen für gewöhnlich stark
technologiegetrieben (Bower und Christensen, 1995), da es vonseiten Marketing und
Vertrieb oft an der notwendigen Weitsicht und Risikobereitschaft fehlte, um radikale
Innovationen anzustossen. Dieses grundlegende Spannungsfeld zwischen Marketing
und F&E scheint auch heute noch in einer Vielzahl westeuropäischer Firmen zu
bestehen. Zu stark sind die historisch gewachsene Aufgabenteilung und das
Rollenverständnis dieser beiden Gruppen. Dennoch ist gerade in Bezug auf die
Entwicklung radikaler Produkt- und Serviceinnovationen sowie der Etablierung und
Eroberung neuer Märkte ein aktives Zusammenspiel der verschiedenen Disziplinen ein
zentraler Erfolgsfaktor.
Erfolgreichen Firmen gelingt es, radikale Innovationen hervorzubringen durch das
Etablieren von formalen und gelebten Prozessen zur Integration von Wissen über
zukünftige Märkte und Kunden in die frühe Phase des F&E Prozesses. Die reine
Etablierung formaler Prozesse ist jedoch noch keine Garantie für erfolgreiche
Innovationsprojekte, wenn es nicht gelingt, dass diese Prozesse ihre notwendige
Wirkung im Unternehmen entfalten können (O'Connor, 1998).
Emotional Empathic Event
3
Es ist deshalb eine zentrale Herausforderung für Unternehmen, Prozesse zu etablieren,
welche einen optimalen Wissenstransfer zwischen Marktforschung und F&E in der
Frühphase radikaler Innovationen sicherstellen. Denn der Prozess der
Ideengenerierung von alternativen, möglicherweise unvertrauten Produkt- und
Applikationsideen, deren Vertiefung und letztendlich deren Evaluierung ist absolut
erfolgskritisch (Van de Ven, 1986; O'Connor, 1998).
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich daher mit der Organisation und Gestaltung des
frühen Innovationsprozesses für radikal neue Produkte sowie der dazu notwendigen
prozessualen Konvergenz zwischen der emotionalen Marketingperspektive und
rationalen F&E-Perspektive. Die konsequente Ausrichtung am Kundennutzen wird
anhand des Zusammenspiels von Marktforschung, Marketing und F&E mittels des
Konzepts der Emotionalisierung untersucht. Dabei wird berücksichtigt, dass
zukünftige Kaufentscheidungen in allen Märkten entscheidend von Emotionen
beeinflusst werden (Sweeney und Soutar, 2001). In dieser Arbeit wird aufgezeigt, dass
es entscheidend ist, emotionale Konzepte bereits in die technologiedominierte
Frühphase der Neuproduktentwicklung zu integrieren, um radikale Innovation effizient
und effektiv zu entwickeln.
1.2 Forschungsdefizit
Die vorliegende Arbeit ist innerhalb des strategischen Innovationsmanagements
positioniert und beschäftigt sich im speziellen mit den Forschungsfeldern
Innovationsmanagement, Neuproduktentwicklung (Innovationsfrühphase, radikale
Innovation), Marktorientierung (Kundenorientierung, Kundenwert, wahrgenommener
Nutzen), Emotionalität (Kundenemotionen, emotionales Produktdesign) sowie
Kreativität (Ideengenerierung, konvergentes/divergentes Denken).
4
Einführung
Emotionen
Emotionalisierte
Produktentwicklung
Neuproduktentwicklung
Kundenintegration
Marktorientierung
Abbildung 1: Relevante Literaturströmungen
Eine besondere Beachtung findet dabei der Prozess der Diffusion von Wissen aus
Marketing/Marktforschungswissen in die frühe Phase radikaler Innovationsprozesse
sowie die Entwicklung emotionaler Produkte. Dabei handelt es sich nicht um ein
eigenständiges oder geschlossenes Forschungsfeld, sondern um einen
Schnittmengenbereich von Neuproduktentwicklung, Marktorientierung und
Emotionalität. Vertreter aus jedem der zuvor genannten Bereiche beschäftigen sich mit
der Thematik.
Betrachtet man den Bereich der Diffusion von marktrelevantem Wissen zwischen
Marketing und F&E, lassen sich verschiedene Defizite feststellen, die im Folgenden
kurz skizziert werden.
Obwohl die Unterschiede zwischen F&E und Marketing seit den 60er Jahren bekannt
sind (Sherman, Berkowitz et al., 2005), lässt sich feststellen, dass sie grundsätzlich
auch heute noch bestehen. Zahlreiche Studien zur Zusammenarbeit von Marketing und
F&E wurden in den letzten 40 Jahren verfasst, wobei sich die Mehrzahl davon auf die
funktionale Ebene der Zusammenarbeit bezieht. Die Literaturanalyse hat gezeigt, dass
sich vorwiegend Vertreter aus der Marketingdisziplin mit der Thematik der
Marktorientierung innerhalb der Neuproduktentwicklung beschäftigen. Ein Grossteil
dieser Arbeiten behandelt Ansätze für eine stärkere Kundenorientierung durch
Emotional Empathic Event
5
Methoden und Werkzeuge, Ansätze, um Bedürfnisse besser zu erheben oder mit der
direkten Einbindung des Kunden in den NPD-Prozess. Die detaillierte Erhebung von
Kundenbedürfnissen oder die direkte Einbindung von Kunden in radikale
Innovationsprozesse wurde jedoch von verschiedenen Autoren als nicht sinnvoll
bezeichnet. Eisert (2006) zeigt auf, dass gerade radikale Innovationen immer noch
stark von Technologie und F&E getrieben sind. Marketing und Kunden werden jedoch
bei inkrementellen Innovationen stark in die frühe Innovationsphase eingebunden
(Souder, 1981). Im Forschungsfeld für radikale Innovationen gehen diverse Studien
davon aus, dass auch die klassischen Marktforschungsmethoden nur beschränkt
anwendbar sind, da sie Informationen erheben, welche von F&E-Mitarbeitern oftmals
als unbrauchbar bewertet werden (Brockhoff, 1989). Dies deshalb, da für radikale
Innovationen zuerst ein Markt aufgebaut werden muss und Kunden oft noch nicht
bekannt sind. Konkrete Lösungsbeiträge werden jedoch keine aufgezeigt. Es wird
akzeptiert, dass man für radikale Innovationen andere Prozesse, Strukturen und
Informationen benötigt und dass eine Kundenintegration nur beschränkt möglich ist.
Bestehende Ansätze zur Kundenorientierung in radikalen Innovationsprojekten
bedingen ein erhebliches Mass an Ressourcen und erfordern von den Beteiligten ein
hohes Fachwissen. Diese Ressourcen stehen in heutigen NPD-Projekten immer
weniger zur Verfügung und die Möglichkeit, sich neben dem technologischen
Fachwissen auch noch die notwendige Fachkompetenz zur Kundenorientierung
anzueignen, fehlt zunehmend. Zusätzlich sind diese Kompetenzen in Unternehmen
oftmals getrennt voneinander organisiert und die Schnittstellen und Interaktionen
zwischen Marketing und F&E sind nicht systematisch im NPD-Prozess abgebildet.
In den letzten Jahren wurden vermehrt wissenschaftliche Beiträge über die
Vergeistigung und Emotionalisierung technischer Produkte publiziert, die sich jedoch
zu einem Grossteil auf den Bereich des Produktdesigns beziehen und mehrheitlich
innerhalb der Konsumgüterindustrie verankert sind. Innerhalb des klassischen
Innovationsmanagements werden Designaspekte selten bereits in der frühen Phase
berücksichtigt. Es stellt sich deshalb die Frage, wie emotionale Konzepte sowie
hedonistische Aspekte bereits in die frühe Innovationsphase integriert werden können.
Die Frage nach Ansätzen, die es F&E-Mitarbeitern ermöglichen, ohne den
aufwändigen und langwierigen Prozess der direkten Kundeninteraktion deren
langfristigen und latenten Bedürfnisse zu identifizieren. Solche werden bisweilen nur
ansatzweise beschrieben. In Zukunft wird die konsequente Ausrichtung am
Kundennutzen jedoch vermehrt von zentraler Bedeutung für den langfristigen Erfolg
sein (Gassmann und Zeschky, 2007). Weiter besteht die Schwierigkeit, dass
Kundenbefragungen in der Regel nur kurz- und mittelfristige Bedürfnisse
6
Einführung
wiederspiegeln. Die Befragung über zukünftige, langfristige Bedürfnisse funktioniert
daher zur Identifizierung von langfristigen Innovationspotentialen nicht. Unternehmen
müssen sich deshalb den Fragen stellen, welchen Zweck sie mit ihren Produkten
erfüllen wollen, welcher Mehrwert dadurch beim Kunden generiert werden soll und
wie der relevante Kundennutzen adressiert werden kann.
In Arbeiten zu Erfolgsfaktoren radikaler Innovationen finden sich verschiedene
Ausprägungen in den Bereichen Kultur, Strategie und Struktur, welche nachweisen,
dass Unternehmen einen starken Fokus auf zukünftige Märkte legen sollten und sich
dabei der Differenzen zwischen Marketing und F&E bewusst sein müssen. Viele
Erfolgsfaktoren wurden in der näheren Vergangenheit empirisch nachgewiesen
(Chandy und Tellis, 2000; Christensen und Overdorf, 2000; Hermann, Tomczak et al.,
2006; Hermann, Gassmann et al., 2007; Tellis, Prabhu et al., 2009), beziehen sich
jedoch mehrheitlich auf eine funktionale oder individuelle Ebene.
In der bestehenden Literatur fehlt ein Prozessbeschrieb, wie es Unternehmen gelingen
kann, klassische und oft teuer erhobene Marktforschungsinformationen in die
Frühphase radikaler Innovationsprojekte einfliessen zu lassen, um gezielt radikale
Innovationen hervorzubringen. Dieses Forschungsdefizit wird im vorliegenden
Dissertationsprojekt adressiert und geschlossen.
1998 hielt O'Connor, nach dem Studium radikaler Innovationsprojekte fest: "First
there is a need to develop a tool to help R&D managers describe to senior
management the benefits to the market of an innovation that does not depend on
fabricated values of market potential." F&E Manager benötigen daher entweder eine
verlässliche Methode, um den zukünftigen Kundennutzen bestimmen zu können, oder
aber einen breit abgestützten systematischen Prozess, der die Wahrscheinlichkeit der
Identifikation und Berücksichtigung von echtem Kundennutzen erhöht.
Beschreibungen von Methoden und Prozessen für kundenorientierte radikale
Innovationen fehlen bisher in der Literatur.
Auch andere Beiträge weisen darauf hin, dass in zukünftigen Forschungsprojekten
untersucht werden sollte, inwiefern Unternehmen mittels Kundenintegration
erfolgreich radikale Produkte entwickeln können (Danneels, 2004).
Emotional Empathic Event
7
Inputs aus der Praxis
Der Impuls für die vorliegende Dissertation kam aus einem Praxisprojekt mit einem
namhaften europäischen Automobilhersteller. Dabei stellte sich das praktische
Problem der zielgerichteten Ideengenerierung für Produktideen 2020+. Ausgangslage
war die Erkenntnis des Kooperationspartners, dass in vergangenen Projekten die
Zusammenarbeit zwischen den im Unternehmen vorhandenen Bereichen wie
Zukunftsforschung, Trendscouts, Vorentwicklung, Design und Marketing nicht
effizient gestaltet war. Es stellte sich die Frage, wie es gelingen könnte, möglichst
effizient langfristige und radikale Produktideen für Features im Automobilbereich zu
generieren.
Weitere Anhaltspunkte für die praktische Relevanz des vorliegenden
Dissertationsvorhabens wurden in verschiedenen Interviews mit Technologie-,
Marketing- und Businessdevelopment-Managern identifiziert. Es zeigte sich das
Bedürfnis nach einer Neugestaltung der vorhandenen Schnittstellen zwischen
Marketing und F&E, bedingt durch sinkende F&E Budgets, die fortschreitende
Öffnung der Innovationsprozesse, immer kürzeren Innovationszyklen sowie der immer
stärkeren Bedrohung durch Wettbewerber aus Fernost. Benötigt wird eine
kundenorientierte Entwicklung von Produkt- und Serviceinnovationen, um sich
langfristig vom Wettbewerb differenzieren zu können. Denn in Zukunft wird es nicht
mehr ausreichen, sich über blosse Funktionalitäten, Preis und Leistung zu
differenzieren. Daraus resultiert das Bedürfnis nach Prozessen, welche diese bisher oft
getrennten Bereiche effektiv und effizient verbinden. Es stellen sich daher Fragen zur
Rolle der beteiligten Bereiche, der Ausgestaltung zukünftiger Prozesse sowie des dafür
notwendigen Kultur- und Selbstverständnisses.
8
Einführung
1.3 Forschungsfrage und -design
1.3.1 Forschungsziel
Im Mittelpunkt der Dissertation stehen Überlegungen zur Initiierung, Planung sowie
der Durchführung von Prozessen zur Emotionalisierung von F&E-Mitarbeiter in der
Innovationsfrühphase von Projekten mit mittlerem oder radikalem Innovationsgrad.
Ziel der Arbeit ist die Entwicklung eines konkreten Gestaltungsmodells, um
emotionale Konzepte systematisch in die frühe Phase radikaler Innovationsprojekte zu
integrieren. Es soll aufgezeigt werden, wie die frühe Innovationsphase ausgestaltet
sein muss, um von Beginn an Ideen und Produkte zu entwickeln, die spezifisch auf die
emotionalen Bedürfnisse der zukünftigen Kunden ausgerichtet sind. Die bisherige
punktuelle Konvergenz von Marketing und F&E ist dazu nicht ausreichend. Daher soll
zwischen der emotionalen (Marketing) und rationalen (F&E) Perspektive ein
crossvergenter Zustand nach Kohli und Jaworski (1990) entwickelt werden. Die Arbeit
will verantwortliche Projektleiter in die Lage versetzen, effektivere und effizientere
Prozesse für die Generierung radikaler Ideen zu planen und durchzuführen.
Gleichzeitig soll durch das zu entwickelnde Gestaltungsmodell ein Beitrag zur
Erhöhung der Erfolgsrate bei der Ideengenerierung und -selektion, geleistet werden.
Die Arbeit basiert auf der Annahme, dass Individuen in gewisser Weise strategische
Vorgaben benötigen, um ihre kreativen Energien an den Unternehmenszielen
ausrichten zu können. Dazu muss es gelingen Mitarbeiter zu inspirieren, zu ermutigen
und nicht zuletzt auch zu führen, ohne dabei das Entstehen von radikalen Ideen zu
unterdrücken (Mascitelli, 2000).
Basierend auf der empirischen Untersuchung von drei Fallbeispielen aus der Praxis,
sowie einer Studie über kreative Persönlichkeiten, werden die relevanten Parameter
eines crossvergenten Emotionalisierungsprozesses identifiziert und beschrieben. Durch
den Abgleich mit einem auf der relevanten Literatur basierenden Referenzmodell,
werden Gestaltungs- und Handlungsfelder identifiziert, um in ein konkretes
Gestaltungsmodell überführt zu werden. Dieses soll konkrete Handlungsempfehlungen
für das Management solcher Prozesse liefern. Eine besondere Beachtung findet dabei
die Dissemination von Marktinformationen in die F&E Abteilungen (Kohli und
Jaworski, 1990).
Ausgehend von der praxisrelevanten Suche nach Konzepten zur Generierung und
Selektion der "richtigen" Ideen sowie der Forderung nach einer Entwicklung
theoretischer Modelle für die führungsbezogene Unterstützung kognitiv-emotionaler
Emotional Empathic Event
9
Prozesse bei betrieblichen Innovationen (Sternberg, 1999; Krause, 2004)1, richten sich
die Forschungsaktivitäten an der folgenden zentralen Forschungsfrage aus:
Wie trägt die Konvergenz der emotionalen und rationalen Perspektive in der
Innovationsfrühphase zur Entstehung erfolgreicher Innovationen bei?
Um sowohl den empirischen als auch den gestalterischen Teil dieser Arbeit an der
übergeordneten Forschungsfrage auszurichten, wurden weitere Unterfragen definiert.
Diese bilden die Basis für den Aufbau und die Gestaltung der einzelnen Teile dieser
Arbeit.
• Welche Formen der Konvergenz können in der frühen Phase des
Innovationsprozesses identifiziert werden? Wie definiert sich das Konstrukt der
Crossvergenz in diesem Zusammenhang?
• Wie wird dabei die Verknüpfung der rationalen mit der emotionalen
Perspektive von F&E gestaltet?
• Welche Elemente sind für das Management der Frühphase crossvergenter
Innovationsprojekte relevant?
1.3.2 Forschungsgegenstand
Ausgerichtet auf die Umsetzbarkeit des Forschungsvorhabens sowie die formulierte
Zielsetzung werden verschiedene Eingrenzungen vorgenommen. Damit wird
sichergestellt, dass bei einer überschaubaren Anzahl von untersuchten Einflussfaktoren
möglichst konkrete Gestaltungs- und Handlungsempfehlungen gemacht werden
können.
Bezogen auf den gesamten Innovationsprozess konzentriert sich die Arbeit auf die
Aktivitäten ganz zu Beginn des Prozesses, die frühe Innovationsphase. Dabei wird die
frühe Innovationsphase als ein klar abgrenzbarer Teil des gesamten
Innovationsprozesses verstanden, welcher sich in verschiedenen Punkten von den
1
"Create a Modus Operandi for creative productivity as the main task/ challenge in the 21'st Century"
(Sternberg,1999, S.50)
"Darüber hinaus ist die Entwicklung theoretischer Modelle zu der Frage nötig, durch welche führungsbezogenen
Massnahmen die kognitiv-emotionalen Prozesse der Beteiligten bei betrieblichen Innovationen unterstützt werden
können". (Krause, 2004, S .77)
10
Einführung
nachfolgenden Phasen unterscheidet. Die frühe Phase hat einen entscheidenden
Einfluss auf den jeweiligen Erfolg eines Innovationsvorhabens. Bezug nehmend auf
die verschiedenen Arten von Innovationen liegt der Fokus auf Produktinnovationen im
B-to-C-Bereich. Die Aussagen sind somit nur begrenzt gültig für Prozess-, Serviceoder Geschäftsmodellinnovationen. Innerhalb des Feldes der Produktinnovationen
wird die Forschungstätigkeit auf Innovationen mit mittlerem oder radikalem
Neuheitsgrad eingeschränkt. Diese weisen sich durch signifikante Verbesserungen
funktionaler Produkteigenschaften aus. Kontinuierliche Produktverbesserungen und weiterentwicklungen (sog. inkrementelle Produktinnovationen) liegen daher nicht im
primären Fokus dieser Arbeit.
Die Untersuchungsebene dieser Dissertation stellt der Ideengenerierungsprozess (das
konkret durchgeführte Projekt) dar. Das Untersuchungsobjekt bezieht sich auf
Produktinnovationen, das Untersuchungssubjekt ist der Produkthersteller. Somit sind
Analyse und Handlungsempfehlungen immer aus Sicht des produzierenden
Unternehmens oder Einheit zu verstehen. Eine Spezifizierung hinsichtlich einer
bestimmten Branche ist aufgrund der Fokussierung auf den Ideengenerierungsprozess
nicht zwingend, jedoch für die Vergleichbarkeit sinnvoll. Innerhalb des empirischen
Teils wird deshalb ein Branchenschwerpunkt auf die Automobilindustrie gelegt.
Ergänzend dazu folgen Beispiele aus der Foto- und Filmindustrie. Eine Eingrenzung
aufgrund von Branchenspezifika hinsichtlich Dauer, Phasen, regulatorischen
Eigenheiten oder Produktcharakteristika wird nicht vorgenommen.
Dimension
Ausprägungen
Phase
Innovationsprozesse
Frühphase
Entwicklung
Test
Kommerzialisierung
Untersuchungsobjekt
Produktinnovation
Prozess
Geschäftsmodell
Sozial
Innovationshöhe
Inkrementell
Markt
Technologie
Radikal
Untersuchungsebene
Produkt
Prozess
Projekt
Unternehmen
Untersuchungssubjekt
Hersteller
Zulieferer
Wissenschaft
Anwender
Markt
B2C
Abbildung 2: Auswahl des Untersuchungsgegenstandes dieser Arbeit
B2B
Emotional Empathic Event
11
1.3.3 Forschungskonzeption
Der vorliegenden Arbeit liegt das Verständnis der Betriebswirtschaft im Sinne einer
angewandten Sozialwissenschaft zugrunde (Ulrich und Hill, 1976). Die
Betriebswirtschaftslehre wird in diesem Zusammenhang als Führungs- und
Managementlehre verstanden, welche sich mit den Problemen der Gestaltung,
Lenkung und Entwicklung zweckgerichteter sozialer Systeme befasst (Ulrich, 1984).
Die Komplexität des sozialen Systems „Unternehmung“ wird dabei anerkannt und der
Standpunkt einer totalen Beherrschbarkeit aufgegeben. Denn als komplexes soziales
System wird ein Unternehmen nicht nur durch Entscheidungen seiner Organe
beeinflusst, sondern auch durch Veränderungen innerhalb der verschiedenen
Umweltsphären (Dubs, Euler et al., 2004) und nicht zuletzt durch die einzelnen
Individuen selbst, welche in die Unternehmensprozesse integriert sind.
Als angewandte Sozialwissenschaft ist es für Forschungsvorhaben innerhalb der
Managementlehre zentral, einen engen Kontakt mit der Praxis zu gewährleisten und
einen Beitrag für die Lösung konkreter Probleme zu leisten. Die Problemstellung der
Integration von zukünftigen Kundenbedürfnissen in die Ideengenerierungsphase
radikaler Innovationsprozesse wurde bisher in der Literatur noch nicht ausreichend
beschrieben. Aufgrund der Eigenheiten dieses Phänomens wird ein explorativer
Forschungsansatz gewählt. Dadurch wird, basierend auf den Ergebnissen aus der
Feldforschung, eine induktive Theoriebildung erlaubt. Der Fokus liegt dabei auf der
Entdeckung von Korrelationen und Interrelationen beobachtbarer Phänomene im
Kontext der zu erforschenden Situation. Dabei werden relevante Fragen aufgeworfen
und Lösungsansätze erarbeitet, um das erforschte Phänomen zu beschreiben (Kromery,
1995). Neue Erkenntnisse werden somit aus der zugrunde liegenden Literatur
gewonnen wie auch durch die Analyse der Daten aus der Feldforschung. Durch den
steten Prozess des Verbindens und Trennens von Daten und Literatur findet
Theoriebildung statt, um einen Beitrag an die existierende Literatur zu leisten.
Dieser Arbeit liegt das Verständnis eines iterativen Lernprozesses zugrunde.
Ausgehend von einem ersten theoretischen Verständnis werden Fragen an die Realität
gestellt, die gemeinsam mit den Phänomenen und Problemen der Praxis die Basis der
empirischen Datensammlung bilden. Aufbauend auf den empirischen Erkenntnissen
kommt es zu einer kritischen Reflexion des gewonnenen Realitätsbildes und letztlich
theorieseitig zu einer Differenzierung, Abstraktion und möglicherweise einem
Perspektivenwechsel. All diese Schritte beeinflussen zusammen mit der
Literaturanalyse das theoretische Verständnis und werden in einem iterativen Sinne
12
Einführung
mehrmals durchlaufen (Kubicek, 1977; Tomczak, 1992; Gassmann, 1997; Van de
Ven, 2007).
Das leitende Motiv dieser Arbeit ist die Generierung und Vermittlung von
praxisorientiertem Wissen. Der oben beschriebene iterative Prozess wird zur
Ermittlung der Definition sowie eines Gestaltungsmodells für die Implementierung
und Führung crossvergenter Prozesse in der frühen Innovationsphase radikaler
Innovationsprozesse angewendet.
1.3.4 Forschungsmethodik
Das Ziel ist die Beantwortung von Fragen bezüglich der Gründe für (wieso?) sowie
der Gestaltung und Führung von (wie?) crossvergenten Prozessen innerhalb der frühen
Innovationsphase. Ebenso ist es eine Zielsetzung, zentrale Elemente eines solchen
Prozesses
zu
identifizieren
(welche?),
um
letztendlich
konkrete
Handlungsempfehlungen daraus abzuleiten. Da der Bereich crossvergenter Prozesse
bisher in der Literatur noch nicht ausreichend analysiert und betrachtet wurde, ist eine
quantitative Überprüfung existierender Daten kein praktikabler Ansatz für die
Beantwortung der Forschungsfrage. Eine Datenerhebung durch standardisierte
Fragebögen ist aufgrund des interaktiven und auf verschiedenen Ebenen stattfindenden
Prozesses ebenfalls nicht zielführend. Da die zu untersuchenden Prozesse einen
aktuellen und gegenwärtig ablaufenden Untersuchungsgegenstand darstellen und
durch den Forscher nicht oder nur bedingt beeinflusst werden können, wird die
Fallstudienanalyse (Yin, 2009) als Forschungsmethode verwendet.
Durchführung
Die empirische Forschung wurde in den Jahren 2007 bis 2010 durchgeführt und
gliedert sich in drei Phasen. Die erste Phase widmete sich der Identifikation der
relevanten Problemstellung in der Praxis. Dazu wurde ein Arbeitskreis mit fünf
produzierenden Firmen aus den Branchen Maschinenbau, Lichttechnologie und
Messtechnik durchgeführt, der wertvolle Einblicke in die Organisation der
Schnittstelle Marketing und F&E lieferte. Dabei zeigten sich auch konkrete
Problemfelder, die neuer Lösungsansätze bedürfen. Die Unternehmen kamen alle aus
dem deutschsprachigen Raum und gelten in ihrer jeweiligen Branche als führend im
Bereich der Innovation. Innerhalb des Arbeitskreises wurden erste Lösungsansätze für
konkrete Teilprobleme des in dieser Arbeit untersuchten Phänomens erarbeitet. Die
Ergebnisse des Arbeitskreises sowie die darin geführten vertiefenden Gespräche mit
Emotional Empathic Event
13
Vertretern des Management (Leiter der F&E-Abteilung sowie Business Units) führten
zur Formulierung der Forschungsfrage und der Suche nach konkreten Fallbeispielen in
der Praxis.
In der zweiten Phase wurden drei relevante Branchen identifiziert, die sich aufgrund
ihrer Charakteristika besonders stark auf den Kunden ausrichten und gleichzeitig ein
hohes Mass an Emotionalität in ihren Produkten aufweisen. Innerhalb dieser Branchen
wurde mittels verschiedener Ansätze untersucht wie F&E-Mitarbeiter während des
Ideengenerierungsprozesses mit zukünftigen Kundenbedürfnissen in Kontakt gebracht
werden. Identifiziert wurden die Automobilindustrie sowie die Fotoindustrie.
Datenerhebungsmethoden waren Interviews, die Durchführung eines konkreten
Praxisprojektes sowie die Untersuchung von Sekundärquellen.
In einer dritten Phase erfolgte die Untersuchung von innovativen, kreativen und
professionellen Filmregisseuren. Hollywood gilt als die westliche Filmstätte per se.
Betrachtet man den Bereich von Emotionen muss man die visuellen Industrien
zwingend berücksichtigen. In Kombination mit Musik bietet der Film als
audiovisuelles Medium ein exemplarisches Beispiel dafür, wie Emotionen beim
Betrachter konserviert und geweckt werden können. Die Filmindustrie ist daher
geeignet, um Erkenntnisse über die Emotionalisierung von Mitarbeitern und Kunden
zu gewinnen. In der zweiten Jahreshälfte von 2009 wurde diese Industrie tiefgehend
untersucht, um daraus Erkenntnisse für die Managementpraxis ableiten zu können. Die
ausgewählten Regisseure zeichneten bzw. zeichnen sich sowohl durch ihren kreativen
und wirtschaftlichen Erfolg wie auch durch ihren Beitrag zur Entwicklung des
Filmemachens aus. Regisseure wurden als Untersuchungsobjekt gewählt, weil sie die
zentrale Rolle in Bezug auf Kreativität in der Filmindustrie spielen (Simonton, 2004).
14
Einführung
Forschungsdesign
Theoriebildung
Entwicklung eines Prozessmodells ,um die
Theorie zu studieren
Entwicklung , Verfeinerung &
Rechtfertigung der Theorie durch
Abduktion, Deduktion und Induktion
Kontaktiere Experten und Leute, die
Zugang zu Informationen haben
Modell
Kontaktiere Experten in den relevanten
Wissenschaftsdisziplinen und Funktionen
Phasen 1+2
Kriterium - Wahrheit
Kriterium - Validität
3 Fallstudien
aus Industrie
Lösung
Impulse
Adaption
ProblemTransfer
Theorie
1 Studie aus
Filmbranche
Problemlösung
Kommunizieren, Interpretieren und
Verhandeln der Ergebnisse mit dem
Zielpublikum
Kontaktiere Zielpublikum, um Bedeutung
und Einsatzmöglichkeiten zu
interpretieren
Phase 3
Realität
Problemformulierung
Bestimmung, Ergründung, Diagnose und
Bezug des Problems aus verschiedenen
Perspektiven
Kontaktiere Experten, die das Problem
erlebt haben und kennen
Kriterium - Relevanz
Kriterium - Wirkung
Quelle: in Anlehnung an Van de Ven (2007)
Abbildung 3: Forschungskonzeption
Datenerhebung und -auswertung: Phase 1 und 2
Die Methodik der Fallstudienanalyse erlaubt eine tiefgreifende Analyse aktueller
Ereignisse aus einer ganzheitlichen und realitätsnahen Perspektive. Ausgehend von der
Fallstudienanalyse wird in dieser Dissertation nicht nur ein Einzelfall betrachtet,
sondern der Ansatz eines multiplen Case Designs verwendet. Mittels einer CrossCase-Analyse von drei Tiefenfallstudien werden Erkenntnisse und Muster eines
erfolgreichen crossvergenten Innovationsprozesses identifiziert (Eisenhardt, 1989).
Zusätzlich zu den drei Tiefenfallstudien werden in einer Studie zehn Filmregisseure
vertiefend auf den Einsatz von Emotionalisierungsprozessen hin untersucht. Die
daraus resultierenden Erkenntnisse werden in Form von Kurzfallstudien aufbereitet,
welche unterschiedliche Aspekte des crossvergenten Prozesses hervorheben und damit
das Verständnis der Thematik vertiefen. Kurzfallstudien, erhöhen durch ihre Nähe zur
Praxis die Akzeptanz von Praxisvertretern und erleichtern die Memorisierung für den
Leser (Tsoukas, 1994).
In qualitativen Forschungsprojekten wird der analytische Prozess bestimmt durch
einen ständigen Wechsel zwischen Datenerhebung und Datenanalyse. Die
Emotional Empathic Event
15
Datenanalyse in den ersten beiden Phasen dieser Arbeit orientiert sich an den
Richtlinien zur Theoriebildung mittels Fallstudien von Eisenhardt (1989). Auf Basis
einer Literaturanalyse wird zuerst ein Referenzframework erstellt, anhand dessen die
Untersuchung des vorliegenden Phänomens gestaltet wird (Eisenhardt, 1989; Miles
und Huberman, 1994). Das Framework bildet die ausgewählten Hauptaspekte ab,
welche innerhalb der Fallstudien untersucht werden sollen (Voss, Tsikriktsis et al.,
2002). Das Framework beinhaltet sowohl prozessuale wie auch situative Elemente,
welche für die Integration emotionaler Konzepte vorhanden sein sollten. Es dient
damit als Grundlage für die Gestaltung und Auswertung der in den Fallstudien
gesammelten Daten und richtet den Fokus auf die Hauptelemente der Gestaltung und
Führung des Innovationssubprozesses. Gleichzeitig zeichnet das Referenzframework
auch eine Struktur vor, anhand derer die Fallstudien vergleichbar gemacht werden.
Für die qualitative Forschungsmethodik gelten Reliabilität und Validität als die
Hauptkriterien für die Gültigkeit der Ergebnisse. Grundsätzlich existieren drei
Hauptkriterien, anhand derer die Validität gemessen wird: (1) Konstruktvalidität, (2)
interne Validität und (3) die externe Validität. Nach Yin (2009) kann die
Konstruktvalidität erhöht werden, indem mehrere Quellen bei der Datenerhebung
genutzt werden. Weiter sollten Beweisketten zwischen den gestellten Fragen, den
gesammelten Daten sowie den daraus gezogenen Schlussfolgerungen und
Entwurfsversionen der Fallstudien durch Schlüsselpersonen/ Informanten gebildet,
überprüft und abgesegnet werden. Um die interne Validität von kausalen
Zusammenhängen sicherzustellen, bedarf es eines seriösen (reliable) Prozesses für die
Datenanalyse sowie ein ständiges Abgleichen der entstehenden Konzepte und
Theorien mit der existierenden Literatur. Dadurch wird die Generalisierbarkeit der
Ergebnisse gewährleistet. Zusätzlich wirkt sich die Methodentriangulation positiv auf
das Konstrukt der internen Validität aus (Yin, 2009). Das Kriterium der externen
Validität fordert eine Generalisierbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse.
Einzelfallstudien können dennoch von erkenntnistheoretischem Mehrwert sein. Das
dritte Kriterium fordert ebenfalls die Nachvollziehbarkeit und Wiederholung durch
andere Wissenschaftler (Eisenhardt, 1989).
Um die Validität der empirischen Untersuchung in den ersten beiden Phasen
sicherzustellen, wurden verschiedene Informationserhebungsmethoden verwendet und
verschiedene Informationsquellen genutzt (Methodentriangulation). Quellen
empirischer Daten sind dabei; ausgewertete Projektunterlagen, durchgeführte
mündliche Interviews, Datenbankrecherchen, die Analyse unternehmensinterner und externer Informationen (Projektunterlagen, Memos, Präsentationen) sowie
16
Einführung
Presseberichte. Die Interpretation der Daten wurde durch nachträglich geführte
Interviews sowie Expertengespräche überprüft.
Um abzusichern, dass die grundlegenden Schritte des iterativen Forschungsvorgehens
adressiert und durchgeführt werden, orientiert sich diese Arbeit an Van de Ven's
Modell of "Engaged Scholarship" (2007). Das Modell bildet den zentralen Teil des
Forschungsprozesses ab und bezieht sich auf die Konstrukte der Relevanz, Reliabilität,
Validität, Wirkung und Kohärenz.
Datenerhebung und -auswertung: Phase 3
Das Vorgehen der Untersuchung der Filmindustrie war wiederum in zwei Phasen
gegliedert. In einer ersten Phase wurden die zu untersuchenden Objekte, sprich
Regisseure, bestimmt. In einer zweiten Phase erfolgten die Datensammlung sowie
deren Auswertung. Für die Studie wurden über 130 Interviews (schriftlich, audio und
video) von ausgewählten Regisseuren ausgewertet. Bei diesen Interviews handelt es
sich um Daten aus bereits vorhandenen Quellen und somit um eine reine Analyse von
Sekundärquellen. Die Rohdaten für die Selektion der zehn erfolgreichsten und
kreativsten Regisseure stammen mehrheitlich aus elektronischen Quellen wie
Internetdatenbanken und offiziellen Homepages. Für die Bestimmung der
Umsatzzahlen, den so genannten Box-Office-Sales (BOS), wurde die Datenbank von
The Movie Times unter http://www.the-movie-times.com als Grundlage genommen,
für nominierte und gewonnene Awards, diejenige der Internet Movie Database unter
http://www.imd.com. Um die Korrektheit der Daten sicherzustellen, wurden
stichprobenweise Abgleiche mit anderen Internetdatenbanken sowie den offiziellen
Homepages der Auszeichnungsinstitutionen vorgenommen. Die anschliessende
Auswertung der gesammelten Daten wurde anhand des Grounded Theory Approach
nach Strauss und Corbin (Strauss und Corbin, 1998) ausgewertet.
Der angewendete Ansatz erfordert eine simultane Auswertung und Sammlung der
Daten. Durch das Auswerten von Beginn weg gewinnt der Forschende erste
Erkenntnisse, welche ihn bei der weiteren Datenerhebung leiten. Durch das konstante
und systematische Vergleichen der Daten mit der sich herauskristallisierenden Theorie
wird sichergestellt, dass alle relevanten Aspekte des Untersuchungsthemas
berücksichtigt werden (Corbin und Strauss, 1990). Die durchgeführte Studie basiert
auf einer Analyse von ausschliesslich sekundären Quellen. Da die Interviews nicht
selbständig durchgeführt wurden, besteht das Problem, dass weder die Köpersprache
noch Reaktionen auf das jeweilige Umfeld beobachtet werden konnten. Um dieses
Emotional Empathic Event
17
Problem zu adressieren, wurden mindestens zehn verschiedene Interviews pro
Regisseur gesammelt und analysiert. Dabei wurde darauf geachtet, dass diese über
einen längeren Zeitraum und verschiedene Interviewer verteilt waren.
Der Prozess der Theoriebildung begann bereits vor der konkreten Datensammlung.
Mit dem in den ersten beiden Phasen gewonnenen Wissen, dass Kreativität einen
zentralen Stellenwert innerhalb des Innovationsmanagements hat, wurde bereits mit
einer ersten Literaturanalyse begonnen. Basierend auf dieser wurde eine Industrie
bestimmt, welche sowohl ein hohes Mass an Kreativität als auch an Emotionalität
aufweist. Die Filmindustrie erfüllt beide Kriterien massgeblich. Als
Untersuchungsobjekt wurden Regisseure gewählt, um einen optimalen Transfer der
Erkenntnisse in die Unternehmenspraxis gewährleisten zu können. Somit entspricht
die Forschungsmethodik nicht dem reinen Grounded Theory Approach, sondern wurde
aufgrund der Integration in ein bestehendes Forschungsvorhaben adaptiert.
Nachdem die ersten Interviews gesammelt worden waren, wurde eine Line-by-LineAnalyse durchgeführt. Den Regeln des Open Coding (Corbin und Strauss, 1990)
folgend, wurde jedes Interview analysiert und auf Hinweise für Kreativität und
Emotionen innerhalb des Entstehungsprozesses von Filmen untersucht. Erkenntnisse
wurden umgehend in Memos und Interviewausschnitten festgehalten und erste
Kategorien gebildet. Das folgende Interview wurde dann wiederum auf dieselbe Art
und Weise analysiert, wobei die bereits gebildeten Kategorien bestätigt, ergänzt oder
verworfen wurden. Insgesamt wurden über 800 Statements als relevant befunden und
konnten während des Analyseprozesses auf 10 Haupt- und 30 Subkategorien
verdichtet werden.
Um die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse zu erhöhen, wurden die Interviews durch
einen zweiten Reviewer2 im selben Verfahren noch einmal analysiert. Die zweite
unabhängige Analyse resultierte in 23 Kategorien, welche allesamt durch die
Ergebnisse der ersten Analyse bestätigt werden konnten. Das entspricht einer
Übereinstimmung von 57%.
2
BA-Student ohne thematische Vorkenntnisse
18
Einführung
1.4 Aufbau der Arbeit
Die Arbeit gliedert sich wie folgt:
ƒ Kapitel 2 illustriert die theoretischen Grundlagen für die Etablierung von
Emotionalisierungsprozessen im Unternehmenskontext. Dabei wird das Thema
Emotionalisierung aus den Perspektiven der Neuproduktentwicklung, des
Marketings sowie der Psychologie betrachtet und in ein Referenzmodell
überführt. Emotionen betreffen alle Bereiche menschlicher Interaktionen und
somit auch diverse Strömungen der Managementliteratur. Deshalb wird in
diesem Kapitel die Eingrenzung der Thematik auf die frühe Innovationsphase
vorgenommen.
ƒ Kapitel 3 gibt Einblick in das Phänomen der Emotionalisierung aus der
Perspektive der Praxis. Dazu werden drei Tiefenfallstudien von
Emotionalisierungsprozessen
in
ausgewählten
Industrieunternehmen
präsentiert. Die gewonnenen Erkenntnisse aus dem Prozess der
Referenzmodellerstellung sowie den Fallstudien werden in Kapitel 4 durch
"Lessons learned" aus der vertieften Analyse von professionellen Kreativen der
Filmbranche angereichert und verglichen.
ƒ Kapitel 5 illustriert die Analyse sowie die Erkenntnisse der Fallstudien. Dabei
werden
generelle
Rahmenbedingungen
und
Determinanten
von
Emotionalisierungsprozessen identifiziert und vorgestellt. Die dadurch
gewonnenen Erkenntnisse führen letztlich zu einer Adaption des ursprünglichen
Referenzmodells.
ƒ Aufbauend auf der Fallstudienanalyse werden in Kapitel 6 vier verschiedene
Typen von Emotionalisierungsprozessen identifiziert und beschrieben und in
Kapitel 7 ein Gestaltungsmodell mit konkreten Handlungsempfehlungen für das
Management von Emotionalisierungsprozessen präsentiert. Dabei werden
Propositionen zu konkreten Gestaltungsfaktoren abgeleitet, um ein
ganzheitliches Konzept der Emotionalisierung zu entwickeln.
ƒ In Kapitel 8 werden theoretische und praxisrelevante Implikationen für die
Etablierung und Führung von Emotionalisierungsprozessen im betrieblichen
Umfeld abgeleitet. Abschliessend erfolgt eine kritische Würdigung der
vorliegenden Forschungsarbeit, gefolgt von einem Ausblick auf relevante
Trends innerhalb des Feldes der Emotionalisierung.
19
1
Motivation und
Forschungsziel
Forschungsdefizit
Forschungsfrage
und -design
Aufbau der Arbeit
Emotionen im
NPD-Prozess
Referenzmodell
Theoretische Grundlagen
2
Neuproduktentwicklung
Marktorientierung
Fallstudien von Emotionalisierungsprozessen in der Industrie
3
Automobil AG
VW
CeWe Color
Erfolgsfaktoren des
Emotionalisierungsprozesses
Adaptiertes
Referenzmodell
4
Empirische
Analyse
Emotionalisierung in der Filmindustrie
Referenz-modell
Einführung
Theoretische
Grundlagen
Emotional Empathic Event
Filmregisseure
5
Fallstudienvergleich
Auslöser und Gestaltungsmodell der Emotionalisierung
6
Typen der
Emotionalisierung
Emotional Empathic Event
Propositionen
Kritische Würdigung
Ausblick
Zusammenfassung
7
Implikationen
Abbildung 4: Aufbau der Arbeit
Implikationen und
Lösungsvorschläge
Determinanten der Emotionalisierung
20
Theoretische Grundlagen
2 Theoretische Grundlagen
Aufgrund der unter Kapitel 5 beschriebenen Forschungsziele werden die folgenden
Forschungsfelder (inkl. ihrer Teilgebiete) als relevant erachtet:
(1) Neuproduktentwicklung mit einem Fokus auf den Prozess und die Erfolgsfaktoren
der Innovationsfrühphase (Fuzzy Front End) von radikalen Innovationen.
(2) Marktorientierung mit einem Fokus auf den Einfluss des vom Kunden
wahrgenommenen Mehrwerts. Ausgehend von Marktorientierung als Makroebene
werden Kundenorientierung und Kundenintegration im Speziellen betrachtet.
Insbesondere wird das Zusammenspiel von Marketing und F&E im
Neuproduktentwicklungsprozess betrachtet. Dabei liegt der Fokus auf der
Identifikation bestehender Problemfelder und deren Lösungsansätzen, um im
Unternehmen oder Markt vorhandene Daten in den NPD-Prozess einzubinden.
(3) Emotionalität mit Fokus auf den Einfluss von Emotionen im
Entscheidungsverhalten des Kunden sowie bei der Generierung radikaler
Produktideen. Im Zentrum steht dabei die Konvergenz der rationalen mit der
emotionalen Perspektive und deren Bezug zu weiteren Themenbereichen.
Die Aufarbeitung der bestehenden Literatur dient dazu, die für diese Arbeit relevanten
Strömungen und Forschungsfelder zu durchleuchten und den theoretischen
Bezugsrahmen zu bilden. Dabei werden auch der Arbeit zugrundeliegende
Definitionen entwickelt.
2.1 Neuproduktentwicklung
Unter dem Forschungsfeld Neuproduktentwicklung (NPD) verstehen sich jegliche
Fragestellungen zu den Gebieten Strategie, Eigenheiten, Prozess und Aktivitäten bei
der Erstellung und erstmaligen Vermarktung neuer Produkte, Services oder
Dienstleistungen. Es umfasst sämtliche Themengebiete von der Strategie über die
Forschung und Entwicklung, die Vermarktung bis hin zu Organisation, Finanzierung
und Controlling der relevanten Aktivitäten (Albers und Gassmann, 2005).
Im Allgemeinen ist die Neuproduktentwicklung die zentrale Aktivität, um sich einen
Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz zu erarbeiten. Sie stellt daher das
Mittel dar, um mittels Diversifikation, Adaption und Neuerfindung bestehende oder
latente Marktbedürfnisse und technische Anforderungen zu erfüllen (Zeschky, 2009).
Emotional Empathic Event
21
2.1.1 Innovationsprozess
Sowohl in der Theorie als auch in der Praxis nimmt der Innovationsprozess eine
dominante Stellung innerhalb des Innovationsmanagements ein, da er alle Aufgaben
umfasst, die der Führung, Planung und der Kontrolle dienen (Trommsdorff 1990; in
Eisert, 2006). Als Prozess wird hierbei verstanden: die inhaltliche und sachlogische
Folge von Funktionen und Tätigkeiten welche darauf abzielen ein bestimmtes Objekt
oder Produkt mit bestimmten Spezifikationen und Ausprägungen zu erschaffen.
Innovationsprozesse sind Problemlösungsprozesse, in deren Verlauf verschiedene
Entscheidungen getroffen werden müssen. Sie haben deshalb grundsätzlich die Form
einer räumlichen und zeitlichen Aufgabenabfolge (Tatarczyk, 2009). Obschon die
grundsätzliche Phasensegmentierung des Innovationsprozesses spätestens seit der
Etablierung des "Stage-Gate Prozesses" durch Cooper (1990) mit dem Prozessdenken
der Managementlehre in Übereinstimmung gebracht wurde, ist ein solches Denken
nicht ganz unproblematisch. Verschiedene Autoren aus der Problemlösungs-,
Kreativitäts- und Innovationsforschung weisen darauf hin, dass ein striktes
Phasendenken dem Innovationsprojekt seinen iterativen Charakter abspricht. Die
strikte und formalisierte Trennung von räumlichen und zeitlichen Aufgabenabfolgen
ist deshalb stets situativ und in Abhängigkeit des jeweiligen Kontextes zu sehen.
Dennoch ist eine Phasenbetrachtung sinnvoll, da sie durchaus hilfreich für die
Darlegung und das theoretische Verständnis sein kann (Neubauer, 2000).
Im Gegensatz zu verschiedensten Definitionen des Innovationsprozesses herrscht eine
grundlegende Übereinstimmung darin, welche generellen Inhalte und Prozessschritte
einen Innovationsprozess definieren. Es findet sich aber weder in der Praxis noch in
der Literatur ein einheitlicher oder „richtiger“ Ablauf. Die vorhandenen Ansätze
unterscheiden sich vor allem in Bezug auf die Dauer oder die verschiedenen Phasen,
welche den Innovationsprozess definieren. Albach (1994) unterteilt den
Innovationsprozess in 12 Phasen, Gruner (1997) in sechs Phasen und Herstatt und
Verworn (2003) unterteilen ihn in fünf3. Allen den genannten Ansätzen gleich ist die
Zeitspanne innerhalb des Produktlebenszyklus, welche als Innovationsprozess gilt.
Demnach wird der Prozess von der Ideenfindung über die Entwicklung bis zur
Markteinführung und dem erfolgreichen Bestehen des Produktes im Markt als
Produktinnovationprozess verstanden. Die zentralen und übergreifend akzeptierten
3
Albach (1994) unterteilt in; Umfeldanalyse, Ideensuche, Invention, technische Machbarkeit, Entwicklung, Prototypen-Test, ökonomische
Rahmenbedingungen, Prozessplanung, Fertigungstest 1, Bewilligung, Lancierung im Markt. Gruner (1997) unterteilt in: Ideenfindung,
Produktkonzept, Projektdefinition, Konstruktionsentwurf, Prototypenerstellung, Markteinführung. Herstatt (2003) unterteilt in: Ideenphase,
Konzeptphase, Entwicklungsphase, Testphase, Vermarktungsphase.
22
Theoretische Grundlagen
Phasen des Innovationsprozesses sind: die frühe Innovationsphase, die eigentliche
Entwicklung sowie die Markteinführung. Als Hauptphasen werden dabei die frühe und
späte Phase verstanden, wobei die frühe Phase vor allem die Entwicklung von der Idee
zum Konzept beinhaltet und die späte Phase die effektive Umsetzung und
Materialisierung des Konzeptes zum Ziel hat. Die dritte Phase beinhaltet die
Einführung und Durchsetzung der Innovation am Markt.
Bezugnehmend auf den Innovationsprozess als Problemlösungsprozess entsprechen
die drei zuvor genannten Phasen den Prozessschritten, Problemerkenntnis
(unbefriedigende Situation) / Problemklärung / Lösungssuche / Lösungsselektion /
Umsetzung und Nutzung der Lösung (Geschka und Lantelme, 2005; Tatarczyk, 2009).
Jede dieser Phasen kann sich, je nach Branche und unternehmensspezifischen
Gegebenheiten, in eine Vielzahl von weiteren Unterphasen aufteilen. Gleichzeitig ist
der Phasenverlauf nicht zwingend sequentiell gebunden, sondern kann je nach
Erkenntnisstand diverse Rückkoppelungen beinhalten oder das Auslassen bestimmter
Prozessschritte erlauben. Vahs und Burmester (1999) verweisen darauf, dass eine zu
starke Ausdifferenzierung des Innovationsprozesses in den meisten wissenschaftlichen
Beiträgen bewusst ausgeblendet wird, um eine Generalisierbarkeit der Erkenntnisse
sowie die Flexibilität im Innovationsprozess gewährleisten zu können.
Zur Visualisierung des grundsätzlichen Innovationsprozesses wird oft das so genannte
Trichtermodell (vgl. Abbildung 5) verwendet, welches die Eigenheiten der drei
Hauptphasen graphisch abbildet. Während die frühe Innovationsphase offen, locker
oder chaotisch (Cheng und Ven, 1996) gestaltet ist, nimmt der Strukturierungsgrad
entlang der Zeitachse stetig zu. Sowohl in der Literatur wie auch in der Praxis herrscht
Einigkeit darüber, dass zwischen den verschiedenen Phasen adäquate Filter oder Gates
eingeschoben werden müssen. Diese dienen der Steuerung des Prozesses, da sie klare
Entscheidungssituationen repräsentieren. Dazu gehören Tätigkeiten wie
Ideenselektion, Projektreview, Investitionsentscheidungen oder die Definition von
Produkteigenschaften.
Emotional Empathic Event
23
Suchfeldanalyse
Früh aufklärung /
Filter & Gates
Out-side In
Produkt
Inside-out
Frühe Innovationsphase
Entwicklung
Markt
Unterstützende Tätigkeiten (Controlling, Marketing, Qualitätsmanagement)
Quelle: in Anlehnung an Gassmann & Kobe 2001
Abbildung 5: Neuproduktentwicklungsprozess
2.1.2 Frühe Innovationsphase
Obwohl über die Aktivitäten innerhalb der frühen Innovationsphase seit einigen
Jahrzehnten in generischer Art und Weise geforscht wurde, rückte die frühe Phase erst
in den 90'er Jahren in den Fokus der Wissenschaft und Praxis. Populär wurde der
Begriff Fuzzy Front End (FFE) durch den Beitrag von Smith und Reinertsen 1991
(Reid und Brentani, 2004). Weitere Bezeichnungen, welche man in der einschlägigen
Literatur
findet,
sind
"Projektvorphase",
"Vorentwicklungsprojekte",
"predevelopment", "pre-project activities", "Front End Innovation Process" oder "prephase 0" (Koen, Ajamian et al., 2001; Tatarczyk, 2009). Letztere Bezeichnung weist
darauf hin, dass konkrete Projekte oft erst als solche wahrgenommen werden, wenn
zuvor ein formeller Entscheid zur Durchführung getroffen wurde und ein
entsprechender Projektrahmen vorhanden ist. Ist dies nicht der Fall, werden wohl
Themen als interessant erachtet, jedoch nicht weiterverfolgt. Ohne klaren
Projektauftrag und zugesprochene Ressourcen gehen sie im Alltagsgeschäft unter.
Den Bezug zu formellen Entscheiden als Abgrenzungskriterium nimmt in der Literatur
die Grosszahl der Beiträge auf, um die frühe Phase zu markieren. Während der Beginn
der frühen Phase sehr viel schwieriger abzugrenzen ist (Verworn, 2005), bildet der
Entscheid über die Weiterentwicklung des vorhandenen Konzeptes (in einem
konkreten Neuproduktentwicklungsprojekt) normalerweise das Ende der frühen Phase.
24
Theoretische Grundlagen
Die in dieser Arbeit verwendete Abgrenzung der frühen Phase orientiert sich an den in
der Literatur beschriebenen Elementen und definiert sich wie folgt:
Die frühe Phase des (Produkt-) Innovationsprozesses umfasst alle Aktivitäten, die
von sich ergebenden Opportunitäten bzw. der Generierung erster Ideen bis zur
Definition eines neuen Produktkonzeptes reichen. Die Go / No Go Entscheidung zur
Umsetzung des Konzeptes und somit der Aufnahme in den eigentlichen
Neuproduktentwicklungsprozess stellt ihren Abschluss dar.
Die Aktivitäten in der frühen Phase können verschiedene Teilprozesse umfassen, die
nicht zwingend in einer sequentiellen und räumlichen Abfolge zu einander stehen
müssen. Es wird deshalb in der deutschsprachigen Literatur teilweise auch von den
"frühen Phasen" gesprochen (Herstatt und Verworn, 2003; Verworn, 2005). Der
Begriff frühe Phase wird in dieser Arbeit demjenigen der frühen Phasen gleichgestellt.
Der im angelsächsischen oft verwendete Begriff des Fuzzy Front End (FFE) wird im
Sinne von Koen et. al. (2001) verwendet. Koen et al. verweisen darauf, dass das Fuzzy
oft den Charakter von etwas Mystischem vermittelt, das weder plan- noch steuerbar
wäre. Da dies jedoch nicht generell so ist und sich auch die frühe Phase durchaus
steuern lässt, verwenden sie den Begriff des Front End of Innovation (FEI). Der
Begriff des FFE ist jedoch sehr viel weiter verbreitet als jener des FEI. Daher wird in
dieser Arbeit FFE als Abkürzung für die frühe Innovationsphase verwendet.
Typische Aktivitäten wie die Ideengenerierung, Ideenaufbereitung und die
Ideenauswahl stehen in der frühen Innovationsphase im Vordergrund (Wahren, 2004).
Dabei geht es um Aufgaben der Eingrenzung des Suchraums (Identifikation,
Beschreibung, Bewertung und Auswahl von Feldern, in denen Produktideen
identifiziert werden sollen), der Identifikation von Ideen (Identifikation von
Eigenschaftskriterien für Ideen, Finden und Generieren von Ideen und erste Auswahl)
sowie der Ideengestaltung und -auswahl (Ausarbeitung der Idee zum Konzept, dessen
Bewertung und endgültige Auswahl) (Meyer, 2001). Weitere Charakteristika des FFE
ergeben sich faktisch daraus, dass die frühe Phase der Entwicklung von Neuprodukten
üblicherweise mit einem hohen Neuigkeitsgehalt bezüglich des zu entwickelnden
Produktes als auch des bestehenden Know-how in einem Unternehmen einhergeht.
Daraus ergibt sich, dass die Aktivitäten oftmals einen eher chaotischen und
experimentellen Charakter aufweisen und sich die eigentlichen Erkenntnisgewinne und
Inventionen nicht oder nur schwer steuern lassen. Es wird in der Literatur davon
ausgegangen, dass es als positiv zu bewerten ist, wenn die frühe Phase ein hohes Mass
an Interdisziplinarität aufweist. Eine solche wiederum führt dazu, dass
Verantwortlichkeiten und Vorgaben oft unklar sind und sich durch individuelle
Emotional Empathic Event
25
Zielsetzungen der Beteiligten, Interessenskonflikte ergeben können. Die frühe
Innovationsphase ist hoch dynamisch, zeichnet sich durch häufig zu fällende Ad-hocEntscheide aus und weist üblicherweise kaum definierte Prozesse auf. Kennzeichnend
ist zudem ein hoher Grad an Unsicherheit in Bezug auf Technologien, Märkte,
Ressourcenbedarf, Strategiekonformität (Company fit) und die internen Fähigkeiten
(Kim und Wilemon, 2002).
Bedeutung der frühen Innovationsphase
Der frühen Innovationsphase kommt insofern eine hohe Bedeutung zu, als Entscheide
und Aktivitäten in dieser Phase einen wesentlichen Einfluss auf den gesamten
folgenden Innovationsprozess und das Produktportfolio haben. Denn in dieser Phase
wird die Richtung eines jedes neuen Produktpfades vorgegeben (Reid und Brentani,
2004). Je besser die ausgeführten Suchaktivitäten und gewonnen Informationen
verstanden werden, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, daraus einen strategischen
Wettbewerbsvorteil generieren zu können. Reid und Brentani zitieren Smith und
Reinertsen (1991) mit der Aussage: "Of all actions firms can take to improve their
NPD process, those taken at the fuzzy front end give the greatest time savings for the
least expense". Die Aussage wird von diversen Studien untermauert, welche eine
Verbindung zwischen der Performance eines Neuproduktes und der investierten Zeit
für die Aktivitäten in der frühen Phase nachweisen konnten (Cooper und
Kleinschmidt, 1995; Reid und Brentani, 2004). Andere Studien zeigen auf, dass vor
allem der Kostenfaktor im Zusammenhang mit der frühen Innovationsphase nicht zu
unterschätzen ist. So wird davon ausgegangen, dass 75-85% der Gesamtprojektkosten
in dieser Phase festgelegt werden, während lediglich 5-7% der Kosten anfallen (Simth
und Reinertsen, 1991; Bürgel und Zeller, 1997; Reinertsen, 1999). Fehlentscheide und
mögliche Unterlassungen in Bezug auf Informationsbeschaffung und konkrete
Problemlösungen innerhalb der frühen Innovationsphase können im späteren
Projektverlauf gravierende Nach- und Auswirkungen (zeitlich und finanziell) haben.
Es ist deshalb für die erfolgreiche Neuproduktentwicklung von entscheidender
Bedeutung, die Prozesse und Abläufe innerhalb der frühen Innovationsphase zu
verstehen und Methoden zu entwickeln, um diese zu steuern.
Die Ergebnisse der frühen Innovationsphase lassen sich auf drei Ebenen
zusammenfassen (Tatarczyk, 2009). Auf der ersten Ebene befinden sich ausgereiftes
Wissen über zukünftige Opportunitäten, identifizierte Such- und Handlungsfelder
sowie ein erstes Verständnis über mögliche Probleme einzelner Opportunitäten. Die
entsprechende Grundlage der ersten Ebene bilden identifizierte zukünftige Bedürfnisse
26
Theoretische Grundlagen
und Erwartungen der Kunden, Erkenntnisse über technologische Potentiale sowie das
Wissen über die Leistungsfähigkeit und Potentiale des Unternehmens.
Der zweiten Ebene ordnet die Autorin identifizierte Produktideen, Prozessvorschläge,
Technologieanwendungen oder Geschäftsansätze zu, die sich im Zuge der aktiven
Suche und Inkubation bereits bewährt haben. Diese Ansätze stellen erste
Lösungsvorschläge für die auf Ebene eins identifizierten ökonomischen und
technologischen Opportunitäten dar.
Auf der dritten Ebene befinden sich ausgereifte und umsetzbare Konzepte, welche in
allen Dimensionen dazu beitragen, die Unsicherheit der Innovation zu reduzieren. Als
Konzepte werden Prototypen, schriftliche Spezifikationen, Skizzen, physische Modelle
inklusive einer Beschreibung der gewünschten und notwendigen Produkteigenschaften
verstanden. Es kann zwischen Markt-, Technik- und Geschäftsmodellkonzepten sowie
eigentlichen Projektplänen für die Entwicklung unterschieden werden (Tatarczyk,
2009).
Die
reine
Erzeugung
und
Erforschung
technologischen
Wissens,
Grundlagenforschung, Technologieentwicklung oder das generelle Formulieren von
Strategien gehört jedoch nicht in die frühe Phase. Eine Marktorientierung ist bei den
erwähnten Aktivitäten nach allgemeiner Ansicht nicht sinnvoll, weshalb diese für die
vorliegende Arbeit nicht näher betrachtet werden.
2.1.3 Inkrementelle vs. radikale Innovation
Innovationsprozesse bestehen wie oben dargelegt im Wesentlichen aus drei Phasen,
wobei ihre konkrete Ausgestaltung massgeblich von der Art der zu erzeugenden
Innovation bestimmt wird. So fordern Innovationsprojekte mit unterschiedlichen
Innovationsgraden (Höhe/Neuheit) unterschiedliche Prozesse. In Bezug auf den
Innovationsgrad gibt es verschiedene Ansätze und Messkriterien. Als grundsätzliche
Fragen bei der Einordnung von Innovationen anhand ihres Innovationsgrades stellen
sich jene über das Mass der Neuheit; konkret "Was ist neu?", "Wie neu?" und "Neu für
wen?" (Johannessen, Olsen et al., 2001). Die relevanten Dimensionen in welchen sich
diese Fragen stellen sind Markt und Technologie (Chandy und Tellis, 1998; Lynn und
Akgun, 1998; Gassmann, Kobe et al., 2001; Reid und Brentani, 2004; Eisert, 2006),
die um die Dimensionen Umwelt und Unternehmen/Organisation (Salomo, Steinhoff
et al., 2003; Tatarczyk, 2009) ergänzt werden können. Die Dimension der Technologie
legt fest in welchem Ausmass sich eine neue, für das Unternehmen relevante
Technologie von den bisherigen unterscheidet. Handelt es sich dabei um ein neues
technisches Prinzip, sind es neue Verfahren, wurden Leistungssprünge erzielt oder
Emotional Empathic Event
27
wird durch den Einsatz der neuen Technologie, die bisher dominante obsolet? Die
Dimension des Marktes beschreibt das Ausmass, inwiefern das neue Produkt neue
Kundenbedürfnisse oder neue Märkte bedient. Auch in Bezug auf die Kunden können
verschiedene Abstufungen vorgenommen werden. So müssen nicht unbedingt
komplett neue Kunden angesprochen werden, sondern es kann sich um das Bedienen
neuer Kundenbedürfnisse (von bestehenden Kunden) oder um das Anbieten eines
neuen Kundennutzens handeln. Bezüglich Markt handelt es sich um Ausprägungen
wie geographische Märkte, neue Marktsegmente oder auch Marktpositionen. Die
Dimension der Umwelt umfasst Ausprägungen wie Infrastruktur, Politik oder
Wettbewerbsregulierungen (Tatarczyk, 2009). Die Dimension des Unternehmens
umfasst Ausprägungen wie Struktur, Prozesse, Strategien oder Geschäftsmodelle, die
durch die Innovation betroffen sind. Mittels der Einstufung "hoch" oder "tief" auf den
Achsen "Markt" und "Technologie" ergibt sich für die Kategorisierung von
Innovationen eine Matrix mit vier Quadranten (Lynn und Akgun, 1998; Gassmann und
Zeschky, 2008). Dabei werden vier Arten von Innovationen unterschieden: die
"Inkrementelle Innovation", die "Evolutionäre Technologieinnovation", die
"Evolutionäre Marktinnovation" sowie die "Radikale Innovation". Ergänzt man das
ursprüngliche Modell durch die Dimensionen Umwelt und Unternehmen, spannen sich
Felder auf mit unterschiedlicher Ausrichtung. Ist eine Innovation in allen vier
Dimensionen "hoch" ausgeprägt, spricht man von einer radikalen Innovation. Zugleich
existieren verschiedene Beiträge, in denen noch weitere Innovationsarten
unterschieden werden, wie beispielsweise die Scheininnovation oder die Imitation
(Vhas und Burmester, 1999). In der Literaturströmung des Innovationsmanagements
hat sich die grundsätzliche Differenzierung zwischen inkrementellen Innovationen und
radikalen Innovationen durchgesetzt. Beide Innovationsarten repräsentieren eine
Extremposition innerhalb des Innovationskontinuums. Diese Arbeit orientiert sich an
der Kategorisierung entlang der zwei Dimensionen "Technologie" und "Markt",
welche auch in der gängigen Literatur mehrheitlich verwendet werden.
28
Theoretische Grundlagen
Neuigkeitsgrad
des Produktes für das Unternehmen
hoch
tief
Neugikeitsgrad der
Technologie für das
Unternehmen
tief
Inkrementelle
Innovation
Markt
Innovation
Technologie
Innovation
Radikale
Innovation
hoch
Quelle: Chandy & Tellis (1998)
Abbildung 6: Innovationsarten
Inkrementelle Innovationen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sowohl in
technologischer Hinsicht wie auch aus Anwendersicht einen tiefen Neuheitsgrad
aufweisen (Christensen und Overdorf, 2000). Typischerweise handelt es sich dabei um
das Fortschreiben bereits bekannter Trends oder das kontinuierliche Steigern
bekannter Leistungsparameter. Ein typisches Beispiel ist die stetige Zunahme der
Speicherkapazität im Computermarkt bei gleichbleibendem oder sogar abnehmendem
Platzbedarf (Bower, Christensen et al., 1999). Als inkrementell werden demnach
minimale Veränderungen an der technologischen Basis verstanden, welche
einhergehen mit einer minimalen Erhöhung des Kundennutzens (Hermann, Tomczak
et al., 2006). Firmen begegnen dieser Art der Innovation typischerweise mit
kontinuierlichen Optimierungsprozessen, der Offenheit mögliche Alternativen
einzubeziehen sowie etablierten Lernprozessen. Bezogen auf den Innovationsprozess
liegen klar strukturierte Projekt und Prozessabläufe vor, findet man etablierte
Rollenverständnisse und können Ressourcen effizient und effektiv eingesetzt werden.
Vorhandene Unsicherheiten können in einem solchen Umfeld auf ein Minimum
reduziert werden. Dieses hohe Mass an Sicherheit innerhalb des Innovationsprozesses
geht jedoch einher mit der Gefahr plötzlich von der Konkurrenz vom Markt verdrängt
zu werden (Bower, Christensen et al., 1999) oder strategische und wirtschaftliche
Potentiale nicht auszunutzen. So zeigen Kim und Mauborgne (1997) in ihrer Studie
auf, dass obwohl 86% aller Innovationen inkrementeller Art waren, diese nur einen
Anteil von 39% an den Unternehmensgewinn beisteuerten. Im Gegensatz dazu
steuerten 14% als radikal (true value innovations) eingestufte Innovationen 61% zum
Unternehmensgewinn bei.
Emotional Empathic Event
29
Radikale Innovationen zeichnen sich im Gegensatz zu inkrementellen durch ein
extrem hohes Mass an Veränderung in Bezug auf den technologischen aber auch den
marktseitigen Ist-Zustand aus. In der Literatur bestehen verschiedene Ansätze und
Definitionen bezüglich radikaler Innovationen. Auch die Namensgebung ist bei
weitem nicht einheitlich, so dass die Begriffe Disruptiv (Bower und Christensen, 1995;
Danneels, 2004; Danneels, 2006; Schmidt und Druehl, 2008) Breakthrough (Coyne,
Clifford et al., 2007) und Radikal (Chandy und Tellis, 1998; Hermann, Tomczak et al.,
2006; Hermann, Gassmann et al., 2007; Aboulnasr, Narasimhan et al., 2008) mehr
oder weniger synonym für dasselbe Phänomen verwendet werden. Diesen Ansätzen
gemein ist, dass es sich jeweils um die extremste Form der Innovation handelt, die die
höchsten Anforderungen an die Beteiligten stellt, gleichzeitig aber auch die grössten
Potentiale birgt. Extrem ist die Innovation vor allem deshalb, da radikale Innovationen
oft das Potential haben, existierende Technologien oder Konzepte obsolet werden zu
lassen. Das bekannteste Beispiel ist vielleicht die Ablösung der Schreibmaschine
durch den Personal Computer (Bower und Christensen, 1995; Bower, Christensen et
al., 1999). Gleichzeitig stellen radikale Innovationen enorme Ansprüche an die
Organisation selbst, denn üblicherweise sind zu Beginn des Projektes weder der Markt
noch die konkreten Kundenbedürfnisse vollständig bekannt (Lynn und Akgun, 1998;
O'Connor, 1998). Die Ausrichtung auf den wahrgenommenen Kundennutzen erscheint
deshalb in Bezug auf radikale Innovationen geradezu als Widerspruch. Dies, da
radikale Innovationsprojekte auf Grund ihrer disruptiven Art in bestehenden Märkten
auf Unverständnis und Ablehnung stossen. Oft entsprechen sie zu Beginn nicht der im
Markt etablierten, dominanten Logik und sind in einer oder sogar mehreren relevanten
Nutzendimensionen den etablierten Produkten und Technologien unterlegen (Bower
und Christensen, 1995).
Definition von "Radikal" für diese Arbeit:
Während Eisert (2006) in seiner Arbeit radikale Innovationen in Bezug auf die
Makroebene definiert, liegt dieser Arbeit die Definition in Bezug auf die Mikroebene
(Unternehmenssicht) zu Grunde. Die Makroebene beschreibt Radikalität in Bezug auf
die Wissensbasis einer Industrie, eines Staates oder im Vergleich mit der weltweiten
Wissensbasis. Die Mikroebene dagegen setzt die Radikalität einer Innovation in Bezug
zum einzelnen Unternehmen.
Als radikal gilt in dieser Arbeit eine Innovation, wenn sie für das jeweilige
Unternehmen sowohl durch eine Diskontinuität auf Seiten der Technologiebasis als
auch des relevanten Marktes gekennzeichnet ist.
30
Theoretische Grundlagen
Radikale Innovationen werden demnach nicht als "New to the world"-Produkte
verstanden, wie dies aus einer naturwissenschaftlichen Perspektive in der Praxis oft
gefordert und interpretiert wird.
Charakteristika radikaler Innovationsprozesse
Konkrete Prozessbeschreibungen für radikale Produktentwicklungen finden bisher
keinen oder nur sehr spärlich Eingang in die Grundlagenwerke zu
Innovationsprozessen (Eisert, 2006). Dennoch lassen sich in den letzten Jahren,
einhergehend mit diversen Initiativen zur Förderungen radikaler Innovationen,
vermehrt Beiträge finden, welche die Unterschiede zwischen radikalen und
inkrementellen
Innovationen
hervorheben.
Dabei
stehen
mehrheitlich
Projekteigenschaften wie die höhere Unsicherheit bezüglich technologischer
Umsetzbarkeit und Absatzmarkt, der erhöhte und oft nicht genau planbare
Zeitaufwand sowie das höhere finanzielle Risiko im Vordergrund. Weniger Beachtung
finden Unterschiede betreffend der Prozessstrukturen (O'Connor, 1998; Rice,
O'Connor et al., 1998; McDermott und Handfield, 2000; Gassmann, Kobe et al.,
2001). Neben den eigentlichen Unterschieden bezüglich Projekteigenschaften setzen
sich verschiedene Beiträge vor allem mit der organisatorischen und kulturellen
Perspektive radikaler Innovationen auseinander. Dabei werden in der Mehrzahl
Gestaltungsalternativen diskutiert, die sich über ein breites Spektrum von zentral vs.
dezentral (von Zedtwitz und Gassmann, 2002) über intern vs. extern bis hin zur
Etablierung verschiedener Kulturen (O'Reilly und Tushman, 2004) erstrecken. "Das
Bewusstsein für die Spezifika radikaler Innovationen" (Eisert, 2006) führte bei
verschiedenen Autoren zur Einsicht, dass der oftmals sequentiell gestaltete und einem
klaren zeitlichen Ablauf folgende Innovationsprozess nicht adäquat auf radikale
Innovationen anzuwenden ist. Auch der vielbeschriebene und in Bezug auf
inkrementelle Innovationen bewährte Stage-Gate-Prozess nach Cooper (1990) scheint
auf Grund seiner eher starren Struktur und im Voraus klar definierten Gates nicht auf
radikale Innovationen anwendbar zu sein. In Bezug auf radikale Innovationsprozesse
wird deshalb mehrheitlich eine iterative Vorgehensweise beschrieben, welche sich vor
allem in der frühen Innovationsphase durch eine Vielzahl von Feedbackschlaufen
auszeichnet, innerhalb derer die frühen Ideen und Prototypen immer wieder adaptiert
werden. Der wohl bekannteste iterative Ansatz wurde von Lynn et al. (1996) als probe
and learn process beschrieben. Weitere Ansätze sind market learning (O'Connor,
1998), prototype construction (Veryzer, 1998), market experiments (Narver und Slater,
1990) oder expeditionary marketing (Hamel und Prahalad, 1994).
Emotional Empathic Event
31
Erfolgsfaktoren radikaler Innovation
Bezugnehmend auf die vorangegangenen Ausführungen zur frühen Innovationsphase
und den Spezifika radikaler Innovationen sollen im Folgenden kurz die als relevant
erachteten Erfolgsfaktoren beschrieben werden. Die Erfolgsfaktorenforschung, welche
innerhalb der Organisationstheorie und des strategischen Managements einzuordnen
ist, besteht seit den Anfängen der Betriebswirtschaftslehre, wurde aber seit den 80er
Jahren stark intensiviert. Zu Beginn stand vor allem das Produkt im Vordergrund, erst
später wurden dann auch die Prozesse auf Erfolgsfaktoren hin untersucht (Cooper und
Kleinschmidt, 1995). Bei der Erfolgsfaktorenforschung wird versucht, mittels
empirischer Untersuchungen und Erhebungen herauszufinden, wie eingetretener
Erfolg auf das komplexe Verhalten von Organisation, Mitarbeiter und Kunden
zurückzuführen ist. Mittels statistischer Methoden wird versucht, bestimmte
Massnahmen auf ihre Effektivität bei der Leistungserstellung zu identifizieren und zu
verifizieren. Auf Grund der Komplexität betriebswirtschaftlicher Abläufe sind die
dabei generierten Resultate nie als isolierte und generell gültige Einzelfaktoren zu
betrachten, sondern immer als Bestandteile eines interdependenten Netzwerkes zu
verstehen. Eine umfassende Studie der Harvard Business School unter dem Namen
PIMS (Profit Impact of Market Strategies) hat in regelmässigen Abständen über 50
verschiedene Indikatoren erhoben. Das Projekt wurde in den 90er Jahren eingestellt,
da es, trotz nachweisbaren Erfolgsfaktoren, eine Unzahl an firmenspezifischen
Einflussgrössen gibt, die zwar nicht konkret beobachtbar sind, aber dennoch einen
Einfluss auf den Erfolg haben (Albers und Hildebrandt, 2006). Die
Erfolgsfaktorenforschung wurde jedoch nicht komplett eingestellt, sondern wird heute
mit verschiedenen Ansätzen aus der Verhaltensforschung fortgesetzt, um sogenannte
"weiche Faktoren" zu identifizieren. Oft werden dabei Verfahren aus der
Konsumentenverhaltensforschung verwendet, um das Verhalten sozialer Einheiten und
deren Einfluss auf andere Einheiten zu beschreiben.
In Bezug auf radikale Innovationen kann man Erfolgsfaktoren auf zwei verschiedenen
Ebenen unterscheiden. Einerseits befassen sich Studien mit der Makroebene, wo
versucht wird zu erforschen, welche Voraussetzungen eine geopolitische Einheit
(Staat) schaffen oder besitzen muss, um radikale Innovationen zu ermöglichen.
Andererseits stellen sich diese Fragen auch auf einer Mikroebene, zu Erfolgsfaktoren,
die es innerhalb eines Unternehmens benötigt, um radikale Innovationen zu
ermöglichen. Bevor auf ausgewählte Erfolgsfaktoren näher eingegangen wird, folgt
eine Übersicht aktueller Studien über Erfolgsfaktoren radikaler Innovationen. Es gibt
keine global anerkannte und konkrete Definition von radikalen Innovationen, weshalb
32
Theoretische Grundlagen
Studien aus den Bereichen des Technologie- und Produktmanagements, des
Marketings und der Kreativität als Grundlage dienten.
Auf Makroebene haben sich in der aktuelleren Vergangenheit vor allem Tellis et al.
(2009) und Hofstede (2003) mit den Erfolgsfaktoren für die Entstehung radikaler
Innovationen beschäftigt. Dabei zeigen sie auf, dass die historisch gefestigten Faktoren
wie Arbeit, Kapital, Staat und Kultur durch die fortschreitende Globalisierung nahezu
egalisiert werden. Die grundlegenden ökonomischen Faktoren sind weiterhin von
Bedeutung, gelten jedoch nicht als Schlüsselfaktoren, wenn es darum geht zu
unterscheiden, wo radikale Innovationen in Firmen entstehen. Dennoch sind
bestimmte Ausprägungen der vier Makrofaktoren als erfolgsrelevant anzusehen. Tellis
et. al. (2009) nennen in Bezug auf den Faktor Arbeit folgende Ausprägungen: die
Verfügbarkeit von Wissenschaftlern und Ingenieuren, die Qualität der
wissenschaftlichen Forschungsinstitute sowie die staatlichen Ausgaben für Bildung. In
Bezug auf den Faktor Kapital ist die Verfügbarkeit von Venture Capital sowie die
allgemeine Kreditwürdigkeit der Banken von entscheidender Bedeutung. Von Seiten
des Staates hat die Rechtssicherheit, der Schutz von geistigem Eigentum im
Speziellen, einen Einfluss auf das Entstehen von radikalen Innovationen. Neben diesen
eher harten Faktoren wurde auch nachgewiesen, dass kulturelle Ausprägungen
ebenfalls die Entstehung von radikalen Innovationen beeinflussen. Speziell aufgezeigt
wurde dieser Zusammenhang in Bezug auf die vorherrschende Religionszugehörigkeit
sowie die gelebten Werte einer Gesellschaft.
Die weitaus grössere Zahl an Studien zu Erfolgsfaktoren für radikale Innovationen
wurde in einem firmenspezifischen Kontext durchgeführt. Dabei lassen sich die
gefundenen Faktoren in fünf Hauptkategorien mit mehreren Unterkategorien
unterteilen. Als zentrale firmenspezifische Kategorien wurden Arbeit, Kultur,
Strategie, Struktur und Weitere identifiziert. Die folgende Tabelle fasst diese Faktoren
zusammen.
Emotional Empathic Event
33
Tabelle 1: Erfolgsfaktoren radikaler Innovationen im Unternehmenskontext
Faktoren
Autoren
Strategie:
• Orientierung an Zukunftsmärkten (Fokus auf neue Kunden)
• Unternehmensalter und -grösse
• Etablierte Firmen müssen den richtigen Zeitpunkt wählen für
den Einstieg
• Top-Management muss über Ressourcen entscheiden
• Integration externer Experten
• Orientierung an technologischen Innovationen
• Marktfokus und Kernkompetenzen
(Christensen und Overdorf, 2000;
Danneels, 2004; Hermann, Tomczak
et al., 2006; Markides, 2006;
Hermann, Gassmann et al., 2007;
Tellis, Prabhu et al., 2009)
Struktur:
• Schaffung passender Strukturen
• Spin-offs wenn die Schlüsselfaktoren keine Ressourcen
darstellen
• Unabhängige Geschäftseinheiten und interne Marktplätze
• Clusterbildung (Lieferanten , Hersteller, Kunden)
(Bower und Christensen, 1995;
Chandy und Tellis, 1998; Christensen
und Overdorf, 2000; Hermann,
Tomczak et al., 2006; Hermann,
Gassmann et al., 2007; Tellis, Prabhu
et al., 2009)
Fähigkeiten:
• Wissen über den Kunden
• Marketingkompetenzen
• Individuelle Rolle des Managements
• Bereitschaft und Fähigkeit radikale Projekte
Geschäftseinheiten zu überführen
• F&E-Mitarbeiter in % der gesamten Mitarbeiter
(O'Connor, 1998; Chandy und Tellis,
2000; McDermott und O'Connor,
2002; Danneels, 2004; Tellis, Prabhu
et al., 2009)
in
die
Kultur:
• Bereitschaft getätigte Investments selbst zu kannibalisieren
• Risikotoleranz / Risikobereitschaft
• Klare Produktchampions
• Heavy weight Teams
• Iterative Lernansätze
• Lebenslanges Lernen verankert
• Wissen über Differenzen zwischen Marketing/Technology
• Dynamisches Organisationsklima
(Bower und Christensen, 1995;
Chandy und Tellis, 2000; Christensen
und Overdorf, 2000; Hermann,
Tomczak et al., 2006; Hermann,
Gassmann et al., 2007; Tellis, Prabhu
et al., 2009)
Neben Faktoren, die sich positiv auf die Entstehung von radikalen Innovationen
auswirken, zeigen verschiedene Studien auch Barrieren und Hindernisse auf, die sich
negativ auswirken (Bower und Christensen, 1995; Chandy und Tellis, 2000;
Christensen und Overdorf, 2000; Lettice und Thomond, 2003; Thomond, Herzberg et
al., 2003; Hermann, Gassmann et al., 2007). Grösstenteils stellen diese Faktoren
lediglich die negative Ausprägung der oben erwähnten Erfolgsfaktoren dar. Es finden
sich aber auch Beiträge, die aufzeigen, dass beispielsweise eine zu starke Fokussierung
34
Theoretische Grundlagen
auf Erfolgsfaktoren negative Auswirkungen haben kann. Als Barrieren für die
Entstehung von radikalen Innovationen werden die folgenden gesehen: ein
mangelndes Bewusstsein für die strategische Bedeutung radikaler Innovationen und
damit einhergehend eine Unfähigkeit radikale Ideen zuzulassen und zu finanzieren;
starre Prozesse und interne Denkmuster, die auf Gewinne und Kostenstrukturen
ausgerichtet sind und so die Schaffung von kreativen Opportunitäten verhindern; eine
Fokussierung auf existierende "Lead-Kunden"; eine Langzeitorientierung, welche die
kurzfristige Transformation von Kompetenzen verhindert; Stage-Gate-Prozesse sowie
eine allgemeine Bürokratie und Trägheit.
2.2 Marktorientierung: Schnittstelle Marketing und F&E
2.2.1 Marktorientierung im Neuproduktentwicklungsprozess
Der Kontext und die handlungsweisenden Grundsätze innerhalb bestehender F&EAbteilungen sind auch heute noch von einer starken Produktorientierung
gekennzeichnet. Organisation, Prozesse und Ressourcen konzentrieren sich (auch
aufgrund des Auftrages) auf die Entwicklung, Verbesserung oder Weiterentwicklung
von Produkten. Demgegenüber steht das Konzept der Marktorientierung, welches
nicht auf Produkte, sondern auf Kundenbedürfnisse fokussiert. Dabei zeigt sich
Marktorientierung als Reaktion auf die Verschiebung von Herstellermärkten hin zu
Käufermärkten. Massgeblich in den 80'er Jahren (Kuss und Tomczak, 2002) wurde
erkannt, dass Produkte nach einer bestimmten Lebensdauer verschwinden, während
Kundenbedürfnisse, welche damit befriedigt wurden, weiterhin bestehen bleiben.
Hauptaufgabe eines Unternehmens ist es deshalb, Kundenbedürfnisse zu befriedigen
und nicht primär Produkte zu erzeugen. Als Beispiel nennen Kuss und Tomczak
(2002) die Pferdekutsche, welche nahezu vom Markt verschwand, während das
grundlegende Kundenbedürfnis nach individueller Mobilität weiterhin vorhanden ist
und derzeit durch das Automobil befriedigt wird. Mc Namara (1972, S. 51) in (Kohli
und Jaworski, 1990) geht sogar soweit, Marktorientierung als eigentliche
Führungsphilosophie zu bezeichnen. Er definiert das Konzept der Marktorientierung
als "a philosophy of business management, based upon a company-wide acceptance of
the need for customer orientation, profit orientation, and recognition of the important
role of marketing in communicating the needs of the market to all major corporate
departments." Kohli und Jaworski (1990) identifizierten drei Kernthemen innerhalb
des Feldes der Marktorientierung: (1) Kundenorientierung, (2) koordiniertes
Marketing und (3) Profitabilität. Die beiden Kernthemen Marketing und Profitabilität
Emotional Empathic Event
35
sind für diese Arbeit nur von marginaler Bedeutung, da die Frage nach einer
möglichen Integration von zukünftigen Kunden in den Entstehungsprozess radikaler
Innovationen im Mittelpunkt steht.
Zusammenspiel von F&E und Marketing
Die Erkenntnis, dass Wissen über bestehende und zukünftige Kundenbedürfnisse in
alle relevanten Unternehmensbereiche verteilt werden muss, ist eine zentrale
Eigenschaft eines marktorientierten Unternehmens. In Bezug auf die Kommunikation
von Kundenbedürfnissen in die F&E Abteilungen wurde in der relevanten Literatur
auf einer organisationalen wie auch auf der funktional operativen Ebene geforscht.
Die organisationale Ebene nimmt Bezug auf Organisationsformen (Hausschildt, 1997;
Gassmann und von Zedtwitz, 2003), Kooperationsformen, Schnittstellenmanagement
bis hin zu Finanzierung oder Führungsstrukturen. Der Fokus dieser Arbeit liegt auf der
organisationalen
Ebene,
wobei
vor
allem
das
unternehmensinterne
Schnittstellenmanagement zwischen Marketing und F&E berücksichtigt wird.
Hausschildt (1997) bezeichnet diese Schnittstelle als die bedeutsamste, da es
betriebswirtschaftlich gegeben ist, dass erfolgreiche neue Produkte immer auch einen
Markt benötigen. Dieser muss im Falle radikaler Innovationen oftmals erst aufgebaut
werden. Neben Hausschildt verweisen auch weitere Studien auf die Wichtigkeit, die
ein funktionierendes Zusammenspiel zwischen Marketing und F&E innerhalb der
Neuproduktentwicklung besitzt (Souder, 1988; Song, Montoya-Weiss et al., 1997;
Jassawalla und Sashittal, 1998; Souder und Song, 1998; Norrgren und Schaller, 1999;
Kahn, 2001; Olson, Walker et al., 2001). Im Allgemeinen konnten diese empirischen
Studien einen positiven Einfluss funktionsübergreifender Zusammenarbeit auf das neu
entwickelte Produkt nachweisen. Vor allem von Seiten der Marktforschung wurde in
den letzten Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass eine Zusammenarbeit dieser
zwei Bereiche in Bezug auf radikale Produktinnovationen einen starken und positiven
Einfluss hat. Es ist daher aus Sicht der Marketingforschung naheliegend, dass der
komplexe Abgleichungsprozess am besten durch interdisziplinäre Teams gewährleistet
werden kann (Souder, 1988; O'Connor, 1998; Sherman, Berkowitz et al., 2005). Die
Mehrzahl wissenschaftlicher Beiträge bezieht sich auf die Zusammenarbeit von
Marketing und F&E auf einer funktional operativen Ebene. Studien zu erfolgreichen
internen Kooperationen fokussierten sich auf interdisziplinäre Teams, interdisziplinäre
Teammitglieder (Job Rotation) und interdisziplinäre Steuerungskomitees.
Voraussetzungen für erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen verschiedenen
funktionalen Einheiten sind eine positive und offene Einstellung der Teilnehmer
36
Theoretische Grundlagen
gegenüber Kommunikation, Vertrauen, Koordination und Kooperation sowie ein
Verständnis der unterschiedlichen Rahmenbedingungen beider Bereiche (Jassawalla
und Sashittal, 1998). Neben der Neuproduktentwicklungsliteratur finden sich in der
marktorientierten Forschung quantitative Studien, die aufzeigen, dass ein
Informationsaustausch und -abgleich zwischen den Produktentwicklungsabteilungen,
dem Marketing, dem Verkauf sowie dem Design positive Auswirkungen auf die
Projekt- und Produktperformance hat (Jaworski und Kohli, 1993; Rein, 2004; Veryzer,
2005). Das Konstrukt der Marktorientierung basiert dabei mehrheitlich auf den von
Kohli und Jaworski (1990) definierten zentralen Aktivitäten der "generation of market
intelligence", der "dissemination of the intelligence across departments" und der
"organisationwide responsiveness". Marktorientierung bedeutet also nicht nur die
Durchführung von Marktstudien oder das Sammeln von marktrelevanten Daten,
sondern auch die anschliessende Diffusion und die Zurverfügungstellung dieses
Wissens für alle relevanten Stellen innerhalb eines Unternehmens. Die dritte Aktivität
"organisationwide responsiveness" beziehen Kohli und Jaworski (1990) auf die
Tatsache, dass sich keine erfolgreiche Marktorientierung einstellen kann, solange die
gesammelten und verteilten Informationen nicht auch in konkrete Projekte integriert
werden, um somit das neue Produkt an den Marktbedürfnissen auszurichten. Neben
dem blossen Einfluss auf das zu entwickelnde Neuprodukt beinhaltet Responsiveness
auch die Selektion neuer Märkte oder Marktsegmente, das fällen von Entscheiden
betreffend Design und Distribution sowie die aktive Promotion des Neuproduktes
(intern und extern). Marktorientierung wird sowohl von Jaworski und Kohli (1993) als
auch von Narver und Slater (1990) als das ganzheitliche und übergeordnete Konzept
verstanden, welches alle relevanten Marktteilnehmer betrachtet, neben Kunden also
auch Wettbewerber und weitere Anspruchsgruppen.
Eine der wesentlichsten Komponenten von Marktorientierung stellt das Konzept der
Kundenorientierung dar. Salomo et. al (2003) definieren für ihre Studien die
Kundenorientierung als gleichbedeutend mit Marktorientierung mit der Begründung
"…the customer still constitutes the focal point of all market related activities." (S.
444). Auch wenn der Kunde als Dreh- und Angelpunkt der Marktorientierung gesehen
wird, so bedeutet Kundenorientierung durchaus nicht nur Kundenintegration (z.B.
durch Befragungen), sondern jegliche Marktforschung über gegenwärtige und
zukünftige Bedürfnisse existierender und potentieller Kunden. Weiter müssen
zwingend auch externe Variablen wie beispielsweise Wettbewerber oder politische
Veränderungen und Regulierungen mit einbezogen werden, da auch diese einen
erheblichen Einfluss auf existierende und latente Kundenbedürfnisse haben können
(Kohli und Jaworski, 1990).
Emotional Empathic Event
37
Bezogen auf die frühe Innovationsphase radikaler Innovationsprojekte ist festzuhalten,
dass oft nur vage, diffuse und möglicherweise keine Vorstellungen über den
potentiellen Kunden vorhanden sind. Entsprechend wird versucht mittels abstrakten
und kreativen Methoden, analytische, logische und vor allem konsistente Erkenntnisse
über die Zukunft zu generieren. Dies geschieht mittels Kreativitätsmethoden,
Mustererkennung, Analogiebildungen, Synthesen bestehender Wissens- und
Praxisbereiche sowie unterschiedlichen Ansätzen aus der empirischen Trendforschung.
Üblicherweise basiert die Suche in diesem frühen Stadium auf Annahmen zu
Ausgangsvariablen welche im Verlauf des Projektes immer wieder in einem iterativen
Prozess überprüft und mit gehaltvolleren Informationen angereichert werden müssen
(Tatarczyk, 2009). Die verwendeten Ansätze unterscheiden sich in Bezug auf ihren
Fokus (Technologie oder Wissensgenerierung), ihre Dauer (lang oder kurzfristig)
sowie die verwendete Forschungsmethodik (quantitativ oder qualitativ) (Gassmann,
Kobe et al., 2001; Tatarczyk, 2009). Zu jedem der verschiedenen Ansätze gehören
verschiedene Methoden und Vorgehensweisen, um die für die Innovationsprojekte
relevanten Informationen zu generieren. Ein vertieftes Eingehen auf die einzelnen
Ansätze würde den Rahmen dieser Arbeit übersteigen, weshalb im Folgenden lediglich
ein kurzer Überblick über die für diese Arbeit relevanten Ansätze gegeben wird.
Zukunftsforschung
Unter dem Ansatz der Zukunftsforschung versteht sich ein umfassendes Konzept
welches auf einen sehr langen Zeithorizont ausgerichtet ist. Es dient dem Zweck
mittels einer umfassenden und vorausschauenden Suche und Analyse von
Informationen über gesellschaftliche, technologische und politische Trends, die
Planung und Strategiebildung eines Unternehmens zu unterstützen. Dabei dienen die
gewonnenen Erkenntnisse auch als Frühwarnung, Planung, Krisenbewältigung und
Krisenprävention, der Qualifikation von Entscheidungsprozessen sowie der Initiierung
strategischer Innovationsprojekte (Tatarczyk, 2009). Aufgrund der hohen Unsicherheit
über zukünftige Verläufe heutiger Trends wird die Methode der Szenariotechnik
eingesetzt. Dabei steht das Denken in verschiedenen, alternativen
Entwicklungsverläufen im Mittelpunkt, die sich aufgrund unterschiedlicher Annahmen
und erwarteten Veränderungen von Systemvariablen ergeben. Inputs für die
Zukunftsforschung stammen aus den verschiedensten Arten der Marktforschung.
Typischerweise werden Umwelt- und Gesellschaftsanalysen gemacht, Interviews
geführt, Filme, Storys und Studien analysiert und 360 Grad Analysen inkl. Feedbacks
integriert. Aufgrund des erheblichen Aufwandes und des spezifischen Know-hows
sind eigene Zukunftsforschungsabteilungen überwiegend in grossen multinationalen
38
Theoretische Grundlagen
Konzernstrukturen zu finden. Unternehmen, welche über keine eigene
Zukunftsforschung verfügen, beziehen diese Informationen über spezialisierte externe
Institutionen.
Während Zukunftsforschung ein sehr weit gefasster Begriff ist, der verschiedenste
Bereiche und Methoden in sich vereint, stellt die Technologiefrühaufklärung (TFA)
eine spezifische Form der Aufklärung dar. Sie wird, wie der Name bereits impliziert,
im technologieorientierten Umfeld durchgeführt.
Technologiefrühaufklärung
Technologiefrühaufklärung, auch bekannt als Technologiefrüherkennung, Technologie
Scouting oder Forcasting, widmet sich speziell der Erkennung und Abschätzung von
langfristigen Technologietrends. Das Verständnis der TFA hat sich im Laufe der Zeit
jedoch stark verändert (Gassmann, Kobe et al., 2001). Während es zu Beginn noch als
" das systematische Beobachten bestehender und das Erkennen neuer Technologien,
die sich häufig in Form schwacher Signale ankündigen" (S. 252) verstanden wurde,
näherte es sich immer mehr der Definition der allgemeinen Zukunftsforschung an.
Heute wird unter TFA "der systematische Versuch verstanden, die langfristige Zukunft
von Wissenschaft, Technologie, Ökonomie, Umwelt und Gesellschaft abzuschätzen".
Ziel dieser Abschätzung mit Fokus auf Wissenschaft und Technologie ist die
Identifizierung strategischer Forschungs- und Innovationsvorhaben und das Erkennen
von Technologien, die den grösstmöglichen ökonomischen und sozialen Nutzen
versprechen (S. 252). Vier Hauptelemente werden dabei unterschieden. Die
Technologie-Analyse
für
die
Identifikation
der
wettbewerbsrelevanten
Technologiebereiche, das Technologie-Monitoring als sorgfältige Beobachtung und
Informationsgewinnung von erforschten Technologien, das Technologie-Scanning als
Suche nach Potentialen ausserhalb bestehender Technologiebereiche sowie die
Technologie-Prognose als Verdichtung der Informationen zu Aussagen über die
zukünftige Entwicklung.
Die Elemente der TFA werden auf allen Ebnen des Unternehmens ausgeführt und
unterscheiden sich vor allem in Bezug auf ihren Zeithorizont. Während in einzelnen
Geschäftsbereichen üblicherweise nicht weiter als 3 Jahre in die Zukunft "gesehen"
wird, kann sich dieser Zeitraum auf Konzernebene auf bis zu 30 Jahre ausdehnen. Die
Ebene der virtuellen Organisationsformen und vor allem die der externen Partner
gewinnen vermehrt an Stellenwert. So schliessen sich teilweise gegenwärtige, direkte
Konkurrenten zusammen, wenn es darum geht, ein gemeinsames Zukunftsbild zu
erstellen, ganz nach dem Motto von "der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist sie
zu gestalten" (Willy Brandt). Ein Beispiel dafür bietet das Siemens eigene Magazin
Emotional Empathic Event
39
Picture of the Future das gemeinsam mit Konkurrenten erstellt wird und wesentliche
Technologietrends schildert sowie einzelne Zukunftsszenarien entwirft (Siemens,
2010).
Je nach Definition und Klassifizierung werden noch weitere Früherkennungskonzepte
unterschieden oder den beiden zuvor beschriebenen zugeordnet. Als eigenständige
Konzepte zu erwähnen sind beispielsweise die Umweltanalyse, Business Intelligence
sowie die Wettbewerbs- und Konkurrenzanalyse (Tatarczyk, 2009). Andere Autoren
fassen diese Tätigkeiten als Methoden unter den Konzepten der Zukunftsforschung
und Technologiefrühaufklärung zusammen. Allen Ansätzen gemeinsam ist jedoch das
Ziel,
mittels
verschiedenartiger
Methoden
in
allen
Bereichen
der
Unternehmensumwelt Bruchstücke über das Wissen der Zukunft zu generieren und
diese anschliessend zu einem in sich konsistenten Bild zusammenzufügen. Dieses Bild
oder Szenario, dient dann der Entscheidungsfindung und der Strategiebildung, der
Projektlancierung sowie auch den Kommunikations- und Lobbyingaktivitäten.
Die Menge an verschiedenen quantitativen und qualitativen Ansätzen der
Informationsgenerierung ist gross. Beispielhaft zu nennen sind Methoden wie Delphi,
Roadmaps, Patentanalysen, Trendextrapolation, Empathic Design, Cross Industry
Innovation, Analogieverfahren und Kreativitätstechniken.
Ein spezielles und für diese Arbeit relevantes Feld sind Methoden der direkten
Kundenintegration oder Kundenorientierung. Bei der Kundenorientierung wird
versucht zukünftige Kundenbedürfnisse zu erkennen, zu bewerten und in
Anforderungen an Produkte und Services zu übersetzen. Wo der Kunde noch nicht
bekannt ist, wird versucht, Bedürfnisse durch Ableitung aus anderen
Informationsquellen zu antizipieren. Im Folgenden wird Kundenintegration als
spezifisches Unterthema der Marktorientierung vertieft behandelt, da es in dieser
Arbeit eine zentrale Fragestellung ist, wie eine solche Integration bei radikalen
Innovationen stattfinden könnte.
2.2.2 Kundenorientierung und Kundenintegration im NPD-Prozess
Kunden gelten innerhalb der Unternehmensumwelt als die zentralste Anspruchsgruppe
und finden daher auch in der Literatur die entsprechende Aufmerksamkeit. Kunden
üben mit dem Kauf oder Nicht-Kauf von Produkten einen ganz erheblichen Einfluss
auf den Fortbestand eines Unternehmens aus. Es ist daher nicht überraschend, dass
Informationen über die Bedürfnisse des Kunden, eine zentrale Ressource in der
Neuproduktentwicklung darstellen. Salomo et. al. (2003) sehen in der
Kundenorientierung eine Strategie um einerseits an die kritische Ressource
40
Theoretische Grundlagen
"Kundenbedürfnisse"
zu
gelangen
und
andererseits
die
bestehende
Informationsasymmetrie zwischen Kunden und Unternehmen zu überwinden. Dabei
wird der Tatsache Rechnung getragen, dass der Kunde ein besseres Verständnis über
seine aktuellen und zukünftigen Bedürfnisse sowie über die relevanten
Produktanforderungen hat. Gerade im NPD-Prozess ist diese Brückenfunktion
entscheidend, um auf Kundenbedürfnisse ausgerichtete Produkte zu entwickeln. In
Bezug auf radikale Innovationsprojekte trifft dies jedoch nicht oder nur partiell zu, da
der potentielle Kunde entweder noch gar nicht bekannt ist oder bestehende Kunden mit
zunehmendem Innovationsgrad und Zeithorizont typischerweise nicht mehr in der
Lage sind, ihre zukünftigen (latenten) Bedürfnisse zu artikulieren (Trommsdorff und
Binsack, 1999; Leonard-Barton, 2002). Dennoch wird die Kundenorientierung
generell für beide Innovationsarten als ein Schlüsselelement erachtet und in diversen
Studien als Erfolgsfaktor nachgewiesen. Dass Kundenorientierung in radikalen
Innovationsprojekten dabei über die traditionellen quantitativen Marktstudien hinaus
gehen muss, ergibt sich daraus, dass die generierten Informationen von F&EMitarbeitern oft als zu wenig detailliert angesehen werden, da latente Bedürfnisse nur
sehr schwer über standardisierte Interviews und Befragungen erfassbar sind.
Gemünden und Melheritz (1998) zeigen, dass Informationen, welche durch die
Marktforschung bezüglich NPD generiert wurden, von F&E-Mitarbeitern als
ungenügend bewertet und deshalb auch nur ungenügend genutzt werden. Deshalb
müssen neben der klassischen Marktforschung und der Bildung interdisziplinärer
Teams, weitere Methoden verwendet werden, um die Kundenperspektive erfolgreich
in den Innovationsprozess zu integrieren. Ergänzend zu den quantitativen Methoden
benötigt es auch qualitative Ansätze, die ein besseres und tieferes Verständnis über
den Kunden ermöglichen. Die höchste Ausprägung an Kundennähe wird durch eine
qualitative und direkte Integration des Kunden in den NPD-Prozess erreicht (Salomo,
Steinhoff et al., 2003). Salomo et al. führen diesbezüglich aus: "The most customer
oriented market research is achieved by using qualitative, interactive, dialogueoriented activities and intensive informal interaction." Es ist demzufolge nur durch
eine solch starke Interaktion möglich, ein tiefes Verständnis für den Kunden zu
entwickeln und zu erkennen, wie und warum Kunden Produkte verwenden und welche
Verhaltensweisen und Schwierigkeiten damit verbunden sind. Weiter gelingt es
dadurch besser, die Wünsche, Bedürfnisse und Anforderungen (auch latente) des
Kunden zu erheben. Die direkte Interaktion mit dem Kunden wird in der Literatur vor
allem innerhalb der Kundenintegrationsforschung behandelt.
In Bezug auf die Neuproduktentwicklung sind vor allem die Arbeiten von Eric von
Hippel in den späten 70er Jahren wegweisend für die Integration von Kunden.
Emotional Empathic Event
41
Basierend darauf entstand, vorwiegend in den letzten 25-30 Jahren, eine erhebliche
Anzahl an Forschungsarbeiten, welche über die blosse Integration im
Ideengenerierungsprozess hinausgehen und Kundenintegration für den Zeitraum des
gesamten Innovationsprozesses betrachten.
Kundenintegration betrifft nicht nur den Austausch von Informationen, sondern auch
verschiedenste angrenzende Bereiche der Betriebswirtschaftslehre, und zwar sowohl
auf Hersteller- wie auch auf Kundenseite. Beispielsweise beschäftigen sich zahlreiche
Arbeiten
mit
der
Übereinstimmung
zwischen
Unternehmensund
Kundenintegrationsstrategie sowie der Fähigkeit den Kunden zu verstehen und die
gewonnen Informationen in den Innovationsprozess einfliessen zu lassen (Absorptive
Capacity). Wecht (2006) gliedert deshalb die relevanten wissenschaftlichen
Publikationen in drei grundsätzliche Themenfelder: die Herstellerseite, die
Kundenseite und den dazwischenliegenden eigentlichen Integrationsprozess. Alle drei
Themenfelder befinden sich innerhalb des Spannungsfeldes Marketing und F&E. Das
Spannungsfeld umfasst dabei Fragen bezüglich Strategiefit, Kulturfit, Strukturfit,
Rollenverständnis sowie die Art und Weise der Integration ausgewählter Kunden.
Neben strategisch organisationalen Ansätzen wurden zahlreiche konkrete Methoden
entwickelt, um bestehende oder mögliche Kunden erfolgreich in die
Produktentwicklung zu integrieren. Die bekannteste ist die von Eric v. Hippel (1986)
entwickelte Lead-User Methode. Weitere Methoden, die entwickelt und adaptiert
wurden, sind:
42
Theoretische Grundlagen
Tabelle 2: Methoden der Kundenintegration
Methode
Studien
Anthropologische Expedition (verschiedene (Leonard-Barton, 1995; Gassmann und Sutter, 2008)
Methoden der Ethnographie),
Behavioral Mapping
(Larson, Bradlow et al., 2005)
Benutzerorientierte Produktentwicklung
(Rosenblad-Wallin, 1985; Dahlmann, 1986)
Betatest
(Dolan und Matthews, 1993; Nielsen, 1994)
Consumer idealized design
(Ciccantelli und Magidson, 1993)
Empathic Design
(Leonard-Barton und Rayport, 1997)
Experiential Interviews
(Griffin und Hauser, 1993; Leonard-Barton und
Deepak, 1993; Hepner-Brodie, 2000; Burchill und
Hepner-Brodie, 2005)
Face of the Customer (FOC) Methode
(Dahan und Hauser, 2002)
Fokusgruppen
(Calder, 1977; Fern, 1982)
Interviews und Befragungen
(Dahan und Hauser, 2002)
Kano Modell
(Matzler und Hinterhuber, 1998; Tan und Xie, 1999;
Dahan und Hauser, 2002)
Konzepttest
(Acito und Hustad, 1981; Moore, 1982; Page und
Rosenbaum, 1992)
Laddering /Means-End-Chain / Five Why's
(Young und Feigin, 1975; Asselbergs, 1989; Grunert
und Grunert, 1995)
Lead-User Methode
(Urban und von Hippel, 1988; Herstatt und vonHippel,
1992; Lilien, Morrison et al., 2002)
Participatory ergonomics
(Noro und Imada, 1991)
Quality Function Deployment (QFD)
(Hauser und Clausing, 1988; Akao, 1990; Eureka und
Ryan, 1994; Pullman, Moore et al., 2002; Ullmann,
2002)
Strategyn's 5-Schritt Methode
(Ullwick, 2002)
Virtual Customer Methoden
(Paustian, 2001; Dahan und Hauser, 2002; Nambisan,
2002; von Hippel und Katz, 2002)
Voice-of-the-customer Analyse
(Hauser und Clausing, 1988; Griffin und Hauser,
1993)
Quelle: in Anlehnung an Wecht (2003)
Emotional Empathic Event
43
In den vergangenen fünf bis zehn Jahren wurde die Kundenintegration in verschiedenen
Studien kritisch beleuchtet. Hinterfragt wurde vor allem die Fähigkeit des Kunden, die
Anforderungen an neue Produkte stets zu kennen, die Annahme, dass es für
Unternehmen von Vorteil wäre, ihn immer so früh als möglich in den
Innovationsprozess mit einzubeziehen, seine Rolle sowie der Zeitpunkt der
Kundenintegration. Ebenfalls wurde die Kundenintegration in Relation zur jeweiligen
Innovationshöhe des neuen Produktes kritisch betrachtet.
Bei radikalen Innovationsvorhaben stellt die Integration von Kunden eine besondere
Herausforderung dar. Während bei inkrementellen Entwicklungsprojekten die
Integrationsschritte und -phasen relativ gut dokumentiert sind, liefern bei radikal neuen
Technologien und Produkten Kundenbeiträge oft nur einen beschränkten Mehrwert.
Lösungen für dieses Problem sind, (1.) ein divergentes Denken zu betonen, (2.) das
Verständnis von Benutzungssituationen (gegenwärtig als auch zukünftig) aufzubauen
sowie (3.) den Zeitpunkt der Kundenintegration vorzuverlegen (O'Connor, 1998).
Ausserdem wird empfohlen einen Katalysator zwischen Markt und Technologie zu
installieren. Als Katalysator ist in diesem Zusammenhang ein verantwortlicher
Mitarbeiter aus dem Bereich Business Development zu verstehen, der direkt innerhalb
der F&E-Abteilung verortet ist. Solange die Person projektunabhängig und, basierend
auf einer starken informellen internen Vernetzung, marktrelevante Daten sammeln,
verdichten und an die F&E weiterleiten kann, werden nach O'Connor (1998) die
Informationen von den F&E-Mitarbeitern akzeptiert. Geschieht die Erhebung von
markt- und kundenrelevanten Daten jedoch auf klassische Art und Weise, stossen die
Informationen F&E intern auf Ablehnung und werden als nicht geeignet angesehen, um
radikale Innovation zu fördern (O'Connor, 1998). Ebenfalls akzeptanzfördernd wirkt
sich ein Mitspracherecht der F&E bei der Auswahl der Marktforschungsmethoden aus.
Bezogen auf radikale Innovationen werden im Vergleich zu inkrementellen
Innovationsprozessen klar unterschiedliche Markforschungsmethoden benötigt. Diese
müssen sehr viel kreativer und proaktiver sein als klassische Marktforschungsmethoden
wie beispielsweise Quality Function Deployment oder die Conjoint Analyse. Basierend
auf einem Vergleich von acht radikalen Innovationsprojekten zeigt O'Connor (1998)
auf, dass sich neben den Methoden, auch die Inhalte zwischen inkrementellen und
radikalen Innovationsprozessen unterscheiden. Fragen bezüglich Marktgrösse und
Kundenakzeptanz spielen bei radikalen Projekten typischerweise erst in einer späteren
Phase eine Rolle, wenn die technologische Machbarkeit (Feasibility) bereits
nachgewiesen werden konnte.
44
Theoretische Grundlagen
Obschon die Integration von Kunden in radikale Innovationsprojekte umstritten ist, sind
Unternehmen weiterhin stark daran interessiert, um Unsicherheiten und mögliche
Verluste durch nicht akzeptierte Produkte zu vermeiden. Es werden Lösungen gefordert,
welche es erlauben, einen heute noch nicht existierenden potentiellen Kunden bereits in
die Frühphase radikaler Innovationen zu integrieren, um somit zielgerichtete Ideen und
Produktkonzepte zu generieren.
2.3 Emotionen im Neuproduktentwicklungsprozess
Die traditionelle ökonomische Sichtweise auf den Kunden (Menschen) betrachtet diesen
als ausgewiesenen Homo oeconomicus, der seine Entscheidungen immer perfekt
rational trifft und sich durch konsistente Präferenzen auszeichnet, die sich nur an der
Maximierung des individuellen Nutzens/Gewinns ausrichten (Kirchgässner, 2000;
Grichnik, Smeja et al., 2010). Auswirkungen kognitiver Verzerrungen sowie der
Einfluss von Emotionen wurden zu Beginn vor allem innerhalb der
Nationalökonometrie, und der Mikroökonomie im Speziellen, als praktisch inexistent
angesehen. Das Konzept des völlig rational agierenden Kunden oder auch Produzenten,
wurde jedoch von diversen Seiten kritisiert. Schon früh wurden die
Verhaltenseigenschaften des Homo oeconomicus durch verschiedene Ansätze erweitert,
beispielsweise dem Ansatz der Bounded Rationality (Grichnik, Smeja et al., 2010). Der
heutige Homo oeconomicus unterscheidet sich ganz erheblich von seinem traditionellen
Vorgänger und wurde in der näheren Vergangenheit unter Einbezug von robusten
psychologischen Erkenntnissen noch einmal massgeblich erweitert.
Beeinflusst durch die Verschiebung von den klassischen Verkäufermärkten hin zu
Käufermärkten begann man, den Kunden immer differenzierter wahrzunehmen und
anzusprechen. Schlagworte wie Customizing und Segment of One-Marketing sind heute
keine Fremdwörter mehr. Wird die Differenzierung durch blosse Funktionalitäten und
objektiv wahrnehmbare Produkteigenschaften schwieriger, treten Individualisierung und
damit emotionale Aspekte in den Vordergrund von Verkaufsbotschaften. Während sich
zu Beginn vor allem die betriebswirtschaftliche Disziplin des Marketings die
Erkenntnisse aus der Psychologie und Verhaltensforschung angeeignet hat (Bagozzi,
Gopinath et al., 1999), befassen sich aktuell praktisch alle betriebswirtschaftlichen
Disziplinen mit dem Thema Emotionen und deren Auswirkungen. Zu den wichtigsten
von Emotionen beeinflussten Bereichen zählen neben dem klassischen Marketing auch
Kreativität (Amabile, Barsade et al., 2005), Leadership (Amabile, Schatzel et al., 2004)
und Entrepreneurship (Grichnik, Smeja et al., 2010). Es gilt als anerkannt, dass heute
neben den genannten Bereichen jegliche Interaktion eines Unternehmens mit seiner
Emotional Empathic Event
45
Umwelt von Emotionen beeinflusst ist. Der in dieser Arbeit verfolgte Ansatz orientiert
sich grundsätzlich an den Bereichen des Marketings und der Kreativitätsforschung.
2.3.1 Definition der Emotion für die vorliegende Arbeit
In dieser Arbeit werden Emotionen gemäss der psychologischen Perspektive von Frijda
(1986) als Veränderungen von Zuständen der Aktionsbereitschaft verstanden. Frijda
führt dazu vertiefend aus: "Emotions are changes in readiness for action as such, or
changes in cognitive readiness, or changes in readiness for modifying or establishing
relationships with the environment, or changes in readiness for specific concernsatisfying activities" (S. 466). Bagozzi et al. (1999) fassen diese ausführliche Defintion
vereinfachend zusammen in dem sie Emotionen definieren als "mental states of
readiness that arise from appraisals of events or one's own thoughts".
Beiden Ansätzen ist inhärent, dass Emotionen, neben einer mentalen
Aktionsbereitschaft, auch physiologische Prozesse beinhalten. Diese äussern sich oft
durch physikalische Merkmale (z.B. Gestikulieren, Muskelanspannungen, Veränderung
der Gesichtszüge) und manifestieren sich in konkreten Aktionen (emotionalen
Erlebnissen), um die ausgelöste Emotion zu bewältigen. Emotionen beziehen sich aber
immer auf die Bedeutung (Werte, Normen Ziele) sowie die individuellen, kognitiven
Fähigkeiten der jeweiligen Personen (Bagozzi, Gopinath et al., 1999).
Die Unterscheidung von Emotionen und Stimmungen (Moods) ist nicht immer ganz
klar vorzunehmen. In der Literatur wird dazu grundsätzlich der Zeitfaktor als
Abgrenzungsmerkmal verwendet. Emotionen sind nur von zeitlich begrenzter Dauer,
während Stimmungen (Moods) über einen längeren Zeitraum bestehen können
(Bagozzi, Gopinath et al., 1999). Als zusätzliches Unterscheidungsmerkmal wird auch
der Auslöser (Stimulus) angeführt, welcher bei Emotionen zwingend, bei Stimmungen
jedoch nicht notwendigerweise vorhanden sein muss (Frijda, 1986).
Emotionen nehmen einen immer wichtigeren Stellenwert innerhalb der
Betriebswirtschaft ein. In Bereichen, die sich bereits seit längerem mit dem Thema
Emotionalität im Produktumfeld befassen (siehe oben), stand vor allem die
Fragestellung der Beeinflussbarkeit emotionaler Zustände im Vordergrund, um das
Verhalten in der Kaufsituation aktiv zugunsten des Unternehmens zu beeinflussen. Das
vorrangige Gebiet für Emotionalität im Produktumfeld ist das Produktdesign sowie das
Marketing. Beide Bereiche werden im folgenden Abschnitt, aufgrund der Relevanz für
diese Arbeit, ausführlich behandelt.
46
Theoretische Grundlagen
2.3.2 Emotionen und Kundennutzen von Produkten und Innovation
In Bezug auf Produkte spielen Emotionen sowohl beim Kauf als auch für die
Befriedigung bei der Nutzung des Produktes nach dem Kauf (Desmet, Overbeeke et al.,
2001) eine entscheidende Rolle. Dhar und Wertenbroch (2000) zeigen auf, dass die
Produktauswahl und Kaufentscheidungen von Kunden nicht nur von rein rational
utilitaristischen Bedürfnissen getrieben werden, sondern immer auch bestimmte
hedonistische Komponenten beinhalten. Dabei ist festzuhalten, dass hedonistische Güter
bei der Konsumation aufgrund einer stärkeren Interaktion und intensiveren
Produkterfahrung (Spass und Freude) eine grössere Befriedigung hervorrufen, als dies
utilitaristische Güter tun. Letztere sind eher instrumentell und funktional in ihrer
Benutzung. Als hedonistische Güter nennen Dhar und Wertenbroch (2000)
exemplarisch Designerkleider, Sportwagen, und Luxusuhren, als utilitaristische Güter
Mikrowellenherde, Minivans und Personal Computer. In ihrer Studie zeigen sie auf,
dass bei der Entscheidung des Kunden, je nach Situation, die utilitaristischen oder aber
die hedonistischen Werte überwiegen. Bei Entscheiden über eine erstmalige
Beschaffung, die zwangsläufig mit grossen Unsicherheiten bezüglich dem wirklichen
Wert und der Performance einhergehen, überwiegen klar definierbare und erkennbare
utilitaristische Werte. Bei Entscheidungen mit einem klaren Referenzpunkt hingegen
überwiegen oft hedonistische Werte. Vor allem in Situationen, in denen sich der Kunde
zwischen Alternativen entscheiden muss, die einen Verlust/Abnahme von aktuell
vorhandenen Produktausprägungen beinhalten, konnten sie nachweisen, dass
hedonistische Werte überwiegen. Hedonistische Werte werden stärker mit Emotionen in
Verbindung gebracht, während utilitaristische Werte für rationale Aspekte stehen.
Hedonistische Werte sind jedoch nicht mit Emotionen gleichzusetzen. Denn Emotionen
sind ein sehr individuelles Phänomen und es ist sehr schwer, ein Produkt zu entwickeln,
das die Emotionen einer grossen Anzahl Menschen auf die gleiche Art und Weise
positiv beeinflusst. Jede Person wird andere Emotionen zum selben Produkt entwickeln.
Desmet und Hekkert in (2001) gehen jedoch davon aus, dass obwohl jeder Mensch
individuelle emotionale Reaktionen zeigt, nur eine beschränkte Anzahl Parameter für
die Entstehung von Emotionen verantwortlich sind. Sie entwickelten ein Model für
Produktemotionalität, das auf einer kognitiv-funktionalistischen Perspektive basiert
(Desmet, Overbeeke et al., 2001). Funktionalistisch betrachtet definiert sich eine
Emotion nach (Desmet, Overbeeke et al., 2001) wie folgt: "the felt tendency toward
anything intuitively appraised as beneficial, or away from anything intuitively
appraised as harmful". Die von ihnen eingenommene Sichtweise ordnet Emotionen eine
Funktion zu, die das menschliche Verhalten in einer positiven Art und Weise steuert.
Emotional Empathic Event
47
Desmet und Overbeeke (2001) fassen zusammen: "in short, emotions will pull us
towards 'good' stimuli and push us away from 'bad' stimuli." Was das Individuum als
"gut" oder "schlecht" empfindet, trifft dabei auf eine grössere Anzahl von Individuen
zu, als dies in Bezug auf die individuelle emotionale Reaktion der Fall ist. Frijda (1986)
verweist diesbezüglich darauf, dass Wertvorstellungen jeweils für einzelne Staaten
gelten können und gleichzeitig persönliche (konstante) Lebensmotive darstellen.
Initiator für die Auslösung bestimmter Emotionen ist ein gewisser Stimulus, welcher als
positiv oder negativ empfunden wird, je nach dem, ob er dazu beiträgt, einen
gewünschten Zustand zu erreichen oder einen daran hindert. Es ist davon auszugehen,
dass grundlegende Wertvorstellungen über "gut" und "schlecht" nicht nur für bestimmte
Kulturen, sondern letztendlich auch für einzelne Kundensegmente übereinstimmen.
Emotionen werden aufgrund bestimmter Stimuli ausgelöst. Ob diese Stimuli physischer
Natur oder blosse mentale Konstrukte sind, ist dabei unbedeutend. Ein Stimulus per se
löst jedoch noch keine Emotionen aus. Erst die individuelle Bedeutung durch den
Abgleich mit persönlichen Lebensmotiven entscheidet darüber ob, und wenn ja, welche
Emotionen durch den Stimulus ausgelöst werden.
Emotion
Produkt
Person
Ziele
Standards
Wertschätzung
Stimulus
Einstellungen
Quelle: Desmet & Hekkert (2000)
Abbildung 7: Modell der Produktemotionalität
48
Theoretische Grundlagen
Bezogen auf Produkte bilden sowohl konkrete Produkteigenschaften wie auch damit
verbundene Assoziationen den Stimulus. Als Lebensmotive oder Interessen
unterscheiden Desmet und Overbeeke grundsätzlich drei Typen: (1.) Ziele (Goals),
welche sie als Interessen bezeichnen, die das Individuum unbedingt erreichen will.
Diese Ziele wiederum können utilitaristischer, sozialer oder hedonistischer
Ausprägung sein. Produkte werden als positiv wahrgenommen, wenn sie zur
Erreichung dieser Ziele beitragen. Stehen sie jedoch in Konflikt mit den jeweiligen
Zielen, wirkt sich dies negativ auf die Wahrnehmung aus. (2.) Standards, die sich in
Glaubensgrundsätzen, Normen und Konventionen wiederspiegeln, mittels derer das
Individuum definiert, wie "Etwas" sein sollte. Korrelieren Produkteigenschaften mit
diesen Vorstellungen, wird es als positiv (wünschenswert) betrachtet, konfligieren sie
mit diesen, wirkt sich dies negativ auf die Wahrnehmung aus. (3.) Einstellungen
(Attitudes) als persönliche Neigungen bezüglich "liking" und "disliking" von
bestimmten Produkteigenschaften oder Produktkategorien.
In der Realität wirken sich Stimuli nicht eindimensional auf einen der drei
Interessenstypen aus, sondern wirken auf Interesse als ein komplexes Konstrukt. Dabei
können alle drei Typen gleichzeitig und in verschiedener Ausprägung untereinander
interagieren. Eine Person kann ein Produkt sehr schön finden, es als absolut
wünschenswert erachten und dennoch davon enttäuscht sein, da es nicht alle
Funktionen besitzt, die aus einer utilitaristischen Perspektive gefordert werden. Ein
neues Auto, das dem Kunden gefällt, könnte beispielsweise über nur zwei Plätze
verfügen, wohingegen der Kunde eine Familie mit drei Kindern hat.
Bezogen auf die Entwicklung von Produkten, die dem Kunden einen emotionalen
Mehrwert liefern sollen, nennen Desmet & Overbeeke (2001) vor allem das Design,
als zentrales Trägerelement von Emotionen. Dies bestätigen auch Experimente von
Page und Herr (2002), die aufzeigen, dass Design und Ästhetik einen direkten und
signifikanten Einfluss auf das "liking" eines Produktes haben. Aber nicht nur Design
und Ästhetik beeinflussen Emotionen, sondern auch andere Aspekte des Produktes wie
beispielsweise seine Funktionalitäten, Markenname, Produktverhalten oder mit dem
Produkt assoziierte Werte und Vorstellungen. Trotz des vermehrt geforderten
Konzepts des "design for emotions" (Desmet, 2003) gilt dieses Unterfangen als
äusserst schwierig. Desmet (2003) versucht dieser Komplexität ansatzweise gerecht zu
werden, in dem er Produktemotionen aufgrund des jeweiligen Bewertungskonzeptes
zu klassifizieren versucht. In Anlehnung an diverse wissenschaftliche Beiträge und
Studien unterscheidet er fünf unterschiedliche Produktemotionsklassen mit den
dazugehörigen Bewertungskonzepten und Lebensmotiven.
Emotional Empathic Event
Anliegen
49
Beurteilung
Neuheit
Ziel
Motivbefolgung
Einstellung
Intrinsische Freude
Standard
Legitimität
Herausforderung &
Versprechen
Emotion
Überraschungsemotionen
(z.B. Überraschung, Verblüffung)
Instrumentelle Emotionen
(z.B. Enttäuschung, Befriedigung)
Ästhetische Emotionen
(z.B. Ekel, Anziehung)
Soziale Emotionen
(z.B. Empörung, Verehrung)
Interessens Emotionen
(z.B. Langeweile, Faszination)
Quelle: Desmet (2003)
Abbildung 8: Klassifikation von Produktemotionen
Überraschungsemotionen entstehen durch den Abgleich mit allen drei Arten der
relevanten Lebensmotive anhand des Bewertungskriteriums Neuheit. Sie sind
demnach nicht an einen bestimmten Lebensmotivtyp gebunden.
Instrumentelle Emotionen entstehen, wenn Produkte helfen, ein individuelles Ziel zu
erreichen. Dieser Klasse liegt die Annahme zu Grunde, dass jeder Produktkauf mit
einer bestimmten Absicht, einem bestimmten Motiv, geschieht, da nicht unendlich
viele Ressourcen vorhanden sind. Das Produkt wird dadurch zum Instrument, welches
den Kunden hilft oder sie daran hindert, ihre Ziele zu erreichen.
Ästhetische Emotionen entstehen auf Grund der Tatsache, dass Produkte
physikalische Objekte sind, welche ein individuelles Aussehen besitzen, einen eigenen
Geschmack haben, riechen und auch individuell klingen. Da jedes dieser
Charakteristika durch die Sinne positiv oder negativ wahrgenommen werden kann,
setzt ihnen Desmet das Bewertungskriterium des intrinsischen Gefallens gegenüber.
Auf Seiten der Lebensmotive korreliert "gefallen" mit dem Typus Einstellungen, da
diese die Basis dafür bilden, was wir mögen oder eben nicht mögen. Einstellungen
können dabei angeboren oder erlernt sein.
Soziale Produktemotionen korrelieren mit dem dritten Lebensmotivtyp, den
Glaubensgrundsätzen, aufgrund derer Menschen definieren, was wünschenswert ist
(wie die Dinge sein sollten) und was nicht. Da die meisten dieser Grundsätze sozial
erlernt und geprägt sind, berücksichtigen sie im speziellen Masse das Umfeld, in
welches Produkte und ihre Benutzung eingebettet sind. Soziale Werte und Normen
werden normalerweise mittels des Kriteriums der Legitimität bewertet.
50
Theoretische Grundlagen
Interessensbasierte Emotionen stellen auf Grund der Tatsache, dass ihnen kein
spezifischer Lebensmotivtyp gegenübergestellt wird, eine spezielle Art der
Produktemotionen dar. Desmet definiert sie als Emotionen, die eine Neigung zur
Herausforderung darstellen, welche kombiniert ist mit einer Art Versprechen. Dabei
spielt auch der Aspekt der Stimulation eine wichtige Rolle. Seine Aussage basiert auf
der psychologischen Annahme, dass Menschen intrinsisch motiviert sind, einen
optimalen Grad an Erregung (State of arousal) zu erreichen. Jede Abweichung davon
wird grundsätzlich als negativ wahrgenommen und löst einen bestimmten
Handlungsdrang aus, den optimalen Zustand wieder zu erlangen. Interessensbasierte
Emotionen sind den ästhetischen sehr ähnlich.
Die Klassifizierung in fünf Emotionsarten zeigt die Komplexität des Konstrukts
Produktemotion und die Schwierigkeit mittels Produktausprägungen, gezielt
Emotionen beim Kunden auszulösen. Grund dafür sind Interaktionen, die es zwischen
den Emotionsklassen, deren Bewertungskriterien und den zu Grunde liegenden
Lebensmotiven gibt. Will ein Designer Produkte emotional aufladen, so benötigt er
ganz konkretes Wissen über die Ziele, die Standards sowie die Einstellungen der
möglichen Kunden oder Kundensegmente. Dabei halten die beiden Autoren fest, dass
der direkte Kontakt mit potentiellen Kunden der indirekten Kommunikation über
Marktforschungseinheiten vorzuziehen ist. Zur Erhebung des benötigten
Kundenwissens gibt es eine grosse Anzahl an Methoden aus den Bereichen der
Psychologie, Soziologie, Design und dem Marketing. Desmet und Overbeeke (2001)
heben speziell die "Means-End-Analyse" hervor, um festzustellen, wie Produkte bei
der Erreichung von persönlichen Zielen helfen. Weiter nennen sie das "Laddering" als
eine Tiefeninterview-Technik oder das Semantische Differenzial, um herauszufinden,
welche Vorstellungen Personen mit bestimmten Begriffen, Funktionalitäten oder
Produkten verbinden. All diesen Methoden gemeinsam ist, dass sie oft sehr spezifische
Fähigkeiten und viel Zeit benötigen.
2.3.3 Emotionen und Kreativität
Kreativität ist gemäss Sternberg (1999) definiert durch die Fähigkeit, Werke zu
schaffen, welche gleicherweise neu (z.B. originell, unerwartet) und angemessen sind
(z.B. nützlich, den Umständen entsprechend angepasst) (S. 3). Werke können dabei
physische Produkte, Lösungsansätze, Modelle, Ideen oder auch Kunstwerke sein.
Neben den individuellen Voraussetzungen ist auch das organisationale sowie das
gesellschaftliche Umfeld von grosser Relevanz, um kreative Leistungen erbringen zu
können. Aus emotionaler oder affektorientierter Sicht ist vor allem das organisationale
Emotional Empathic Event
51
Umfeld relevant. Organisationen gelten als affektiv aufgeladene Zonen (Amabile,
Barsade et al., 2005). Unter dem Konstrukt Affekt werden die beiden Konzepte
Emotionen und Stimmungen (Moods) verstanden. Beide Konzepte haben einen
nachgewiesenen Einfluss auf die Leistungsbereitschaft, die Leistungsqualität sowie die
Produktivität und Effizienz von Individuen.
Kreativität ist ein Ansatz, um den in den vorhergehenden Kapiteln beschriebenen
Herausforderungen zur Generierung von neuen und frischen Lösungsansätzen für
Produkte gerecht zu werden. Der kreative Prozess benötigt bestimmte kognitive
Fähigkeiten und wird von Amabile (2005) als affektiv aufgeladener Event bezeichnet
(S. 367).
Während innerhalb des Marketings und des Produktdesigns Emotionen im Zentrum
stehen, sind es in Bezug auf den kreativen Prozess vor allem die Stimmungen
(Moods). Bisher konnte nicht klar aufgezeigt werden, dass der kreative Einfall oder
Prozess konkrete Emotionen auslöst (Amabile, Barsade et al., 2005). Was jedoch
verschiedene Studien und autobiographische Reports aufzeigen, ist, dass der
allgemeine Stimmungszustand durchaus einen Einfluss auf den kognitiven Prozess und
die Motivation für eine kreative Problemlösung haben. In ihrer Studie zeigen Amabile
et al. (2005) auf, dass innerhalb eines Unternehmenskontextes grundsätzlich gilt: Je
positiver ein Mitarbeiter gestimmt ist, umso kreativer ist er oder sie (S. 391). Daneben
fanden sich vier markant unterschiedliche Muster, wie Emotionen oder Stimmungen
innerhalb des kreativen Prozesses auftreten können. Erstens als Ursache oder Auslöser
von Kreativität, zweitens als direkte oder drittens indirekte Konsequenz von
Kreativität und viertens können Affekte simultan mit der kreativen Aktivität auftreten.
Obschon empirisch noch nicht eindeutig bewiesen ist, wie genau Affekte auf
Kreativität wirken, zeigen die Ergebnisse von Amabile et. al. (2005), dass Emotionen
und kreative Prozesse auf verschiedenste Art und Weise miteinander verbunden sind.
Sehr viel klarer als in Bezug auf den kreativen Prozess selbst ist der Einfluss des
emotionalen Umfelds auf die individuelle Fähigkeit, kreativ zu sein. Innerhalb eines
Unternehmens wird dieses Umfeld massgeblich durch die entsprechenden Kollegen
und Führungskräfte gestaltet. Der folgende Absatz befasst sich daher mit den
Einflussfaktoren und Auswirkungen von Leadership auf das Arbeitsumfeld und auf
den Mitarbeiter selbst.
52
Theoretische Grundlagen
2.3.4 Emotionen und Leadership
Kreative Prozesse hängen, neben einer Vielzahl anderer Faktoren, vom Zustand des
Umfeldes ab, in dem sie stattfinden. Dieses wird im betriebswirtschaftlichen Umfeld
durch die Organisation, sprich seine Organe sowie die Mitarbeitenden gestaltet und
gepflegt. Neben Strukturen, Prozessen und Strategien gehören vor allem die Kultur
und die damit verbundenen Wertvorstellungen zu den wichtigsten Einflussgrössen auf
den Stimmungszustand der Mitarbeiter. Noch entscheidender ist der Einfluss der
jeweiligen Führungskräfte. Amabile et al. (Amabile, Conti et al., 1996; Amabile,
Schatzel et al., 2004; 2005) konnten aufzeigen, dass es Führungskräfte benötigt,
welche motivierend wirken, Freiräume schaffen und auf Mitarbeiter zugeschnittene,
herausfordernde Aufgaben verteilen. Es wurde aufgezeigt, dass beispielsweise
positives Feedback auch einen positiven Einfluss auf die kreative Leistung eines
Mitarbeiters hat. Weiter wurde aufgezeigt, dass der emotionale Zustand der
Führungskraft selbst einen unmittelbaren Effekt auf das Innovationsverhalten von
Mitarbeitern haben kann (Krause, 2004). Es zeigte sich ebenfalls, dass organisationale
Events den Gemütszustand von Mitarbeitenden beeinflussen können und somit
entweder förderlich oder hinderlich sind für kreatives Arbeiten. Daraus zu schliessen,
dass nur in einem fröhlichen, entspannten und lockeren Umfeld kreative Ideen
entstehen können, wäre jedoch falsch. Es braucht durchaus einen gewissen
äusserlichen Druck damit Mitarbeiter überhaupt beginnen, aktiv und kreativ Probleme
zu lösen. Ist dieser Druck oder Missstand ungenügend hoch, so besteht für das
Individuum kein Grund, etwas an der bestehenden Situation zu verändern. Ist der
Druck hingegen zu hoch, so sind Personen zwar motiviert, den Zustand zu verändern,
können jedoch nicht mehr ihr volles kognitives Potential abrufen. Dieses ist für das
Generieren von neuen und nützlichen Lösungen jedoch unablässig (Sternberg, 1999;
Krause, 2004). Ist für den Designer für emotionales Produktdesign das Wissen über
die Kunden wichtig, so ist es für die Führungskraft zentral, ihre Mitarbeiter zu kennen,
um sie mit den entsprechenden Mitteln in einen optimalen kreativen Zustand versetzen
zu können.
Ausgerichtet auf den Fokus dieser Arbeit wird im folgenden Abschnitt vertieft auf die
Stellung von Kreativität in der frühen Innovationsphase eingegangen. Denn Kreativität
ist ein zentraler Bestandteil der Ideengenerierung innerhalb von Innovations- und
Problemlösungsprozessen.
Emotional Empathic Event
53
2.4 Kreativität und Crossvergenz im Neuproduktentwicklungsprozess
Bezogen auf die Frühphase der Entwicklung von radikal neuen Produkten lässt sich
feststellen, dass neben der Generierung des notwendigen Wissens über mögliche
zukünftige Märkte und deren Kunden vor allem auch die Ideengenerierung eine
zentrale Rolle spielt. Dabei wird von mehreren Autoren aufgezeigt, dass sich nicht nur
der Innovationsprozess an sich (Lynn et al., 1996), sondern auch der Prozess der
Ideengenerierung grundlegend von demjenigen inkrementeller Innovationen
unterscheidet. Dies vor allem auf Grund der Tatsache, dass das Ziel eines solchen
Ideengenerierungsprozesses in der Entwicklung von alternativen und völlig neuartigen
Anwendungen liegt. Er steht daher im Gegensatz zur täglichen Routine und dem
vorhandenen Wissen in etablierten Unternehmen und ist somit für das Unternehmen
(und die Projektteams im Speziellen) ungewohnt. Das Aneignen von Wissen über
Alternativen und die Fähigkeit, diese zu evaluieren, sind dabei kritische
Erfolgsfaktoren (O'Connor, 1998).
Radikale Prozesse und Ideen stossen in etablierten Unternehmen oft auf verschiedenste
Hindernisse. Das gewachsene Unternehmensgedächtnis sowie etablierte Routinen und
Standards gelten als vorrangige Hürden. Während erstere das unternehmerische
Improvisieren und das Vorstossen in neue Märkte und Anwendungsfelder verhindern,
behindern letztere die Möglichkeiten, sich ausserhalb der existierenden Muster zu
bewegen (O'Connor, 1998). Gerade für die Entstehung von radikalen Innovationen ist
jedoch das Ausbrechen aus dem gewohnten Umfeld (Komfortzone) eine
Grundvoraussetzung. Es ist deshalb nachvollziehbar, dass Kreativitäts- und
Ideengenerierungsprozesse für radikale Innovationen anders gestaltet sein müssen, als
dies für inkrementelle Innovationen der Fall ist. Betrachtet man die
Kreativitätsliteratur, stellt man fest, dass zwei grundlegende Arten des kreativen
Denkens unterschieden werden. Es sind dies das divergente Denken und das
konvergente Denken. Im Bereich der Kreativität wurde vor allem seit den Arbeiten
von Guilford (1949 / 1950, in Cropley 2006) das divergente Denken in den Fokus
verschiedenster Beiträge gestellt. Cropley (2006) stellt fest, dass divergentes Denken
anschliessend sehr schnell als Synonym für Kreativität verwendet und konvergentem
Denken ein zeitweise sogar negativer Touch angehaftet wurde. In den letzten Jahren
wurde jedoch von mehreren Autoren darauf hingewiesen, dass Kreativität sowohl die
divergente als auch die konvergente Komponente benötigt, um erfolgreich neue und
umsetzbare Ideen zu generieren.
54
Theoretische Grundlagen
Cropley (2006, S. 391) beschreibt divergentes Denken wie folgt: "Divergent
thinking,…, involves producing multiple or alternative answers from available
information. It requires making unexpected combinations, recognizing links among
remote associates, transforming information into unexpected forms, and the like." Der
Prozess der Divergenz beinhaltet dementsprechend zwangsläufig eine gewisse
Offenheit gegenüber andersartigen und unbekannten Einflüssen, Informationen und
Wissensgebieten, mit anderen Worten: ein Ausbrechen aus bekannten Routinen und
Mustern. Basierend auf der Erkenntnis, dass durch die Kombination von komplett
verschiedenartigen Bereichen echte Innovationen entstehen können, sind in der
näheren Vergangenheit auch neue Ansätze innerhalb des Innovationsmanagements
aufgekommen, die eine solche Kombination des Unerwarteten erlauben. Das
bekannteste Beispiel ist der Open-Innovation-Ansatz von Chesbrough (2003). Auch
andere Autoren verweisen auf die vermehrte Verflechtung von zuvor komplett
unterschiedlichen Branchen (Bröring, 2007 / Gassmann & Enkel 2004). Bezogen auf
radikale Innovationen ist deshalb ein mehrheitlich divergentes Denken zu erwarten
(O'Connor, 1998), da solche Innovationen definitionsgemäss eine hohe Anzahl Ideen
mit einem grossen Spannungsfeld und einem hohen Mass an Neuigkeit und
Ungewöhnlichkeit bedingen (Stevens & Burley, 2003).
Konvergentes Denken hingegen führt nicht zu einer Vielzahl an Lösungen, sondern
die gesammelten Informationen werden in Bezug auf die einzig richtige Antwort
ausgewertet. Cropley (2006, S. 391) beschreibt dies wie folgt: "Convergent thinking is
oriented toward deriving the single best (or correct) answer to a clearly defined
question. It emphasizes speed, accuracy, logic, and the like and focuses on recognizing
the familiar, reapplying set techniques, and accumulating information…it leads to a
single best answer and thus, leaves no room for ambiguity." Konvergentes Denken
scheint deshalb vor allem in Situationen geeignet, in denen die eigentliche Antwort auf
eine klare Frage oder Problemstellung bereits vorhanden ist und eigentlich nur noch
aus den vorhandenen Informationen extrahiert werden muss. Dies geschieht durch den
Einsatz
bekannter
und
konventioneller
Such-,
Verarbeitungsund
Entscheidungsstrategien. Im Kontext radikaler und inkrementeller Innovationen
erscheint es daher plausibel, dass konvergentes Denken vor allem im Zusammenhang
mit Selektionsprozessen sinnvoll ist.
Die nach Cropley oft verbreitete Meinung, dass allein divergentes Denken radikale
Innovationen hervorbringen kann, erscheint oberflächlich einleuchtend, erweist sich
jedoch bei genauerer Betrachtung als Trugschluss. Sowohl Geschka (2005) als auch
Cropley (2006) zeigen auf, dass der kreative Prozess beide Denkarten beinhalten muss,
Emotional Empathic Event
55
um nicht Gefahr zu laufen, blosses Wunschdenken und Utopien zu produzieren. Eine
Bewertung und Selektion der generierten Ideen ist deshalb zwingend. Dies ist umso
wichtiger, als gerade im betriebswirtschaftlichen Umfeld erfolgreiche Ideen zwingend
eine praktische Umsetzung bedingen. Während Geschka (2005) konvergentes Denken
vor allem in der Phase der Ideenauswahl beschreibt, zeigt Cropley (2006), dass
konvergentes Denken bereits vor der eigentlichen Ideengenerierung eine zentrale Rolle
spielt. Er bezeichnet konvergentes Denken dabei als die Basis, auf welcher kreatives
und divergentes Denken erst ermöglicht wird und sich in Form von Wissen
konstitutionalisiert. Mit anderen Worten, Ideen tauchen nicht einfach plötzlich aus
dem Nichts auf, sondern basieren immer auf dem vorhandenen impliziten oder taciten
Wissen des Individuums. Diesen Umstand gibt ein Zitat von Louis Pasteur (1854) sehr
treffend wieder: "Chance favors only the prepared mind".
Divergentes
Denken
2. Ideenfindung
1. Problemklärung
Ideen, Lösungsansätze
• viele Ideen
• offen
• alles ist zugelassen
•Thema wird ausgelotet
Konvergentes
Denken
3. Ideenauswahl
Auswahl, Fokussierung
• wenige Vorschläge
• machbar
• wirkungsvoll
• effizient
• wirtschaftlich
4. Umsetzungsentscheidung
Quelle: Geschka (2006)
Abbildung 9: Der kreative Problemlösungszyklus
Konvergenz und Divergenz spielen nicht nur bei Kreativität eine zentrale Rolle,
sondern zeigen sich innerhalb des Innovationsmanagements auch an verschiedenen
weiteren Stellen. Wie bereits erwähnt hat sich, ausgehend vom Open-InnovationParadigma (Chesbrough, 2003), die Erkenntnis durchgesetzt, dass Unternehmen in der
heutigen Zeit nicht mehr alles intern "erfinden und entwickeln" können, sondern ihren
Innovationsprozess vermehrt öffnen müssen. Ausgehend von der Öffnung des
Innovationsprozesses haben sich weitere Subströmungen ausgebildet, wie
beispielsweise der Bereich der Cross-Industry-Innovation (Gassmann & Enkel 2004)
oder die Beiträge von Bröring (2007) zum Phänomen der zunehmenden
Industriekonvergenz und deren Auswirkungen auf die frühe Phase des
56
Theoretische Grundlagen
Innovationsmanagements. Diesen Ansätzen gemeinsam ist die Idee, dass radikale
Innovationen durch eine Kooperation komplett unterschiedlicher Partner aus z.T.
unterschiedlichen Branchen und Industrien gefördert werden. Dadurch wird vermehrt
fremdes Denken im Innovationsprozess zugelassen und Divergenz gefördert. Wie
bereits im Abschnitt zu radikale vs. inkrementelle Innovationen behandelt, zeigt sich
auch in Bezug auf Divergenz und Konvergenz, dass beide Formen unterschiedliche
Ansprüche an die Organisation und Gestaltung der benötigten Prozesse und Strukturen
stellen.
Ein weiterer Bereich, in welchem Konvergenz und Divergenz eine wichtige Rolle
spielen, bildet das Internationale Management. Dabei wird vor allem im Bezug auf
Hofstede (1980) die Frage diskutiert, ob die Globalisierung der Wirtschaftsaktivitäten
und der zunehmende Austausch an Humanressourcen zwangsläufig einen einzigartigen
Managementtypen erfordern. Im Sinne der Konvergenz würde dieser Typ Manager in
allen globalen Unternehmen einheitliche Ausprägungen aufweisen. Dem
gegenübergestellt würde der Aspekt der Divergenz bedeuten, dass sich die Typologien
verstärkt an ihren nationalen Kulturen und Ideologien ausrichten. Kultur
(Western/Eastern) und Ideologie (Capitalism/Socialism) spannen als unabhängige
Variablen eine Matrix auf, in der sich vier idealtypische Zustände abbilden lassen.
Ralston et al. (1993) stellen fest, dass sowohl Konvergenz als auch Divergenz
Extrempositionen abbilden und argumentieren, dass weder der eine noch der andere
Zustand die Praxis adäquat abbildet. Sie entwickeln deshalb das Konzept der
Crossvergenz, das sie als Zustand zwischen den idealtypischen Werten von Kultur und
Ideologie beschreiben. Dabei verstehen sie Crossvergenz nicht als einen statischen,
sondern als einen dynamischen, zeitlich beschränkten, aber dennoch eigenständigen
Zustand. Sie definieren Crossvergenz wie folgt: "Crossvergence occurs when an
individual incorporates both national culture influences and economic ideology
influences synergistically to form a unique value system that is different from the value
set supported by either national culture or economic ideology". Das Konzept der
Crossvergenz ist für diese Arbeit von Bedeutung, weil die Anwendung von
emotionalen Konzepten über die blosse punktuelle Konvergenz zwischen Marketing
und F&E hinausgehen muss.
Emotional Empathic Event
57
2.5 Referenzmodell für die Fallstudienanalyse
Das Ziel dieser Forschungsarbeit ist es, neben der Beantwortung der eigentlichen
Forschungsfrage, auch einen Beitrag zur bestehenden Managementliteratur und
Managementheorie zu leisten. Um einen solchen Beitrag leisten zu können und
gleichzeitig die Datenerhebung und Auswertung unterstützend zu vereinfachen, hilft
die Entwicklung eines Referenzmodells (Miles und Huberman, 1994). Ein solches
Referenzmodell hilft den Prozess der Datenerhebung zu strukturieren und fördert ein
besseres Verständnis der Thematik. Zudem erweitert es die Perspektive mittels derer
die relevanten Daten aus den Fallstudien aufbereitet und ausgewertet werden. Das
Referenzmodell basiert auf einer extensiven Analyse der relevanten Literatur und dient
als Ausgangspunkt für die Bildung von Arbeitshypothesen.
Das Referenzmodell ist das Ergebnis aus verschiedenen Literaturströmen der
Managementliteratur wie der Innovationsforschung, der Marktforschung, der
Psychologie und der Kreativität (vgl. Abbildung 1). Entsprechend der Forschungsfrage
liegt ein besonderer Fokus auf dem Bereich der Emotionalisierung von F&EMitarbeitern, um die Entstehung erfolgreicher Innovationen zu fördern. Basierend auf
der vorangegangenen Literaturanalyse wird die Annahme getroffen, dass emotionale
Zustände latente zukünftige Kundenbedürfnisse repräsentieren können. Ein zentrales
Element dieser Arbeit sind die F&E-Mitarbeiter als Individuen, welche das Subjekt für
den betrieblichen Ideengenerierungsprozess verkörpern. Jeder einzelne F&EMitarbeiter vereint in sich berufliche wie auch persönliche Ziele, Standards und
Einstellungen, nach denen er handelt und urteilt. Um ein Individuum in einen
emotionalen Zustand zu versetzen, wird ein Stimulus benötigt. Für diese
Forschungsarbeit wird angenommen, dass es sich bei diesem Stimulus um spezifisch
aufbereitete Informationen über die Zukunft (z.B. latente Kundenbedürfnisse) handelt.
Wie Erkenntnisse aus der Emotionsforschung zeigen, entstehen Emotionen nur dann,
wenn dieser Stimulus eine entsprechende Resonanz auf Seiten der individuellen Ziele,
Standards und Einstellungen auslöst. Die Reaktion kann sowohl positiv wie auch
negativ sein. Ist sie jedoch neutral, entstehen keine Emotionen. Durch eine
Identifikation mit dem entsprechenden Stimulus erfolgt eine Transformation des
rationalen F&E-Mitarbeiters zum emotionalisierten F&E-Mitarbeiter.
58
Theoretische Grundlagen
Ein wichtiger Bestandteil des Innovationsprozesses stellt die Kreativität dar.
Kreativität, als Prozess und Methodik bestimmt massgeblich die Menge und Qualität
der generierten Ideen. Dem Referenzmodell implizit ist die Annahme, dass der
emotionalisierte F&E-Mitarbeiter in Bezug auf radikale Innovationen Ideen generiert,
die kreativer und fokussierter und somit von höherer Qualität sind.
Zusammenfassung der Arbeitshypothesen:
1. Emotionale Zustände repräsentieren zukünftige Kundenbedürfnisse.
2. Stimulus der Emotionalisierung sind verdichtete Informationen über die
Zukunft.
3. Emotionen entstehen nur wenn die Stimuli relevant sind für individuelle Ziele,
Einstellungen und Standards.
4. Gelingt die Emotionalisierung, werden rationale F&E-Mitarbeiter in emotional
aufgeladene F&E-Mitarbeiter transformiert.
5. Emotionalisierte F&E-Mitarbeiter generieren zielgerichteter Ideen.
F&E
Mitarbeiter
Nicht fokussierte
Kreativität
Informationen über
die Zukunft
Emotionalisierter
F&E Mitarbeiter
Ziele
Standards
Einstellungen
Identifikation /
Transformation
Fokussierte
Kreativität
Stimulus
Abbildung 10: Referenzmodell der Emotionalisierung
Das Modell stellt somit nicht nur die abstrakte Darstellung theoretischer
Forschungsergebnisse dar, sondern auch einen Prozess, wie Unternehmen das
Konstrukt der Emotionalisierung innerhalb ihrer Ideengenerierungsprozesse umsetzen
können. Durch die Ausrichtung der Forschungsaktivitäten an diesem Framework
Emotional Empathic Event
59
ergibt sich das Potential, konkrete Ergebnisse zu erzielen und dadurch einen Beitrag
zur bestehenden Innovationsforschung zu leisten.
Da es sich beim hier gewählten Forschungsvorgehen um ein iteratives Verfahren
handelt, wird das vorgestellte Referenzmodell nicht als unumstösslich betrachtet,
sondern soll es ermöglichen, im Zuge neuer Erkenntnisse entsprechend adaptiert zu
werden. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die in dieser Forschungsarbeit
beobachteten realen Prozesse und Gegebenheiten so exakt wie möglich dargestellt und
reflektiert werden. Zudem erlaubt der Prozess der Adaption das Formulieren
entsprechender Hypothesen, durch deren Bestätigung oder Falsifikation die bestehende
Literatur ergänzt werden kann.
60
Fallstudien von Emotionalisierungsprozessen
3 Fallstudien
Industrie
von
Emotionalisierungsprozessen
in
der
Die Datenerhebung und -aufbereitung orientierte sich gundsätzlich am entwickelten
Referenzmodell. Um die einzelnen Fallstudien vergleichbar zu machen, orientiert sich
auch deren Struktur an den Bestandteilen des Referenzmodells. Die Grundstruktur für
die Fallstudien ist die folgende:
Kurzvorstellung des Unternehmens oder Industrie: Zu jedem Unternehmen
werden die wichtigsten Daten zum wirtschaftlichen Umfeld sowie zu den
relevanten Märkten und Kunden präsentiert.
Projektumfeld: Die für das untersuchte Projekt relevanten Parameter bezüglich
organisationaler Bezugsrahmen, Ressourcen und Managementsupport werden
beschrieben.
F&E-Mitarbeiter: Informationen über die beteiligten und ausgewählten
Prozessteilnehmer werden präsentiert sowie Angaben über zentrale Rollen und
involvierte Stellen (bspw. Top-Management) gemacht.
Emotionale Kundenwelt: Der Prozess der Generierung und Ausgestaltung
emotionaler Kundenwelten wird aufgezeigt. Ansätze, Methoden und
Vorgehensweisen erläutert.
Prozess der Emotionalisierung: Die Vorgehensweise, wie die involierten
Teilnehmer in die emotionale Kundenwelt integriert werden, wird erläutert.
Angaben über Methoden und Prozesse der emotionalen Stimulierung werden
gemacht.
Zusammenfassung: Der letzte Absatz gibt in einer kurzen Zusammenfassung
die fallspezifischen Erfolgsfaktoren und Erkentnisse wieder.
Emotional Empathic Event
61
3.1 Automobil AG: Projekt Inventionsgenerierung
Die Automobil AG ist ein globaler Automobilkonzern, unter dessen Dach
verschiedene Marken aus verschiedenen europäischen Ländern vereint sind. 2009
setzte der Automobil AG-Konzern weit mehr als 5 Mio. Fahrzeuge ab und generierte
einen Umsatz im dreistelligen Milliarden Euro-Bereich. In zahlreichen
Fertigungsstätten arbeiten weltweit mehrere hunderttausend Mitarbeiter und
Mitarbeiterinnen. Im selben Jahr befanden sich die konzernweiten F&E-Ausgaben im
mittleren einstelligen Mrd. Euro Bereich, was einer F&E-Quote von ca. 6 %
entspricht. Insgesamt arbeiteten konzernweit mehrere zehntausend Mitarbeitende im
Bereich Forschung und Entwicklung.
2008 wurde eine strategische Initiative zur Integration der konzernweiten F&EAnstrengungen lanciert, um diese voranzutreiben und damit einen integrativen
Gesamtprozess des Innovationsmanagements zu etablieren. Dieser Gesamtprozess
umfasst neben dem Geschäftsbereich Forschung und Entwicklung auch die Bereiche
Beschaffung, Produktion, Vertrieb und Komponenten und betrifft alle eigenständigen
Marken.
Dem Risiko, die Kundenbedürfnisse bei der Entwicklung unzureichend zu
berücksichtigen, begegnet die Automobil AG auf Konzernebene mit umfangreichen
Trendanalysen, Kundenbefragungen und Scouting-Aktivitäten. Dadurch wird versucht,
Trends frühzeitig zu erkennen und ihre Relevanz für bestehende und zukünftige
Kunden zu überprüfen. Dazu hat die Automobil AG die Abteilung Zukunftsforschung
und Trendtransfer ins Leben gerufen. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich
auf diese spezielle Abteilung.
3.1.1 Projektumfeld
Die Abteilung Zukunftsforschung und Trendtransfer umfasst 13 Mitarbeiter und
Mitarbeiterinnen und analysiert gesellschaftliche und technologische Entwicklungen.
Die Aufgaben umfassen die vier Hauptfelder Gesellschaftliche Frühaufklärung,
Politische Frühaufklärung und Technologische Frühaufklärung sowie die
Forschungsförderung. Inputs für die Gesellschafts- und Umweltanalysen stammen aus
Interviews, Filmen, Texten, Szenarien, Studien und 360 Grad Analysen sowie
Feedbacks. Outputs sind Forschungsscreenings, Forschungsprojektvorschläge,
einzelne Business Pläne sowie Kommunikationskonzepte. Der Bereich schliesst mit
seinen Aktivitäten den Gap zwischen den Bedürfnissen der Nutzer auf Basis
zukünftiger gesellschaftlicher Entwicklungen und Trends und den notwendigen
62
Fallstudien von Emotionalisierungsprozessen
Features der Zukunft, die diese Bedürfnisse im Fahrzeug befriedigen können. Der
Bereich bildet somit die Brücke zwischen extrahierten Themenfeldern der Zukunft und
der heutigen, durch die Ingenieure umgesetzten Entwicklung von Features für das
Zukunftsauto.
Die internen Kooperationen sind vielfältig und eine absolute Notwendigkeit für diese
Art Abteilung. Ein Beispiel: Gemeinsam mit existierenden Marktforschungs- und Marktanalyseeinheiten werden zukünftige Kundenbedürfnisse generiert und
beschrieben. Eine Hauptschwierigkeit des Bereichs ist die zielführende und
nachhaltige Kommunikation der Ergebnisse innerhalb und ausserhalb des Konzerns
und seiner Marken.
Innovationsprozess bei Zukunftsforschung und Trendtransfer
Die frühe Phase des integrierten Innovationsprozesses beginnt mit der
Bestandesaufnahme (Trends, Analysen etc.) und führt über sieben Stufen zur
Empfehlung von Innovationsprojekten für den Konzern oder seine Marken. Mit
fortschreitendem Zeitfaktor nimmt die Einbindung der eigenständigen Marken zu.
Auslöser und Initiativen für den Prozess können sowohl von Konzern- wie auch von
Markenbereichen kommen. Während die ersten beiden Phasen eher visionär und
analytisch geprägt sind, ist vor allem Phase sechs strategisch geprägt und ausgerichtet
auf die Ausarbeitung von konkreten Empfehlungen. Ausgehend von Informationen
über die Zukunft werden Inhalte gebündelt und in, für das Unternehmen relevante,
Zukunftsbilder transferiert. Auf der Grundlage dieser Zukunftsbilder werden
anschliessend in Schritt drei und vier konkrete Kundenbedürfnisse abgeleitet und dazu
Ideen für Funktionen generiert. In Schritt fünf folgt die Priorisierung der
Funktionsideen durch Experten des Konzerns. Aus den priorisierten Funktionen und
Anforderungen werden in Schritt sechs konkrete strategische Projekte formuliert,
welche letztendlich in Empfehlungen für Konzernprojekte resultieren.
Emotional Empathic Event
63
Interne & Externe
Quellen
analytisch / visionär
strategisch
Zukunftstransfer /
Verdichtung
Kunde
Gesellschaft
zukünftige
Kundenbedürfnisse
Ideengenerierung
Mögliche
Funktionen
Priorisierung
Funktionen
im Konzern
Ableitung
von
Projekten
aus
Funktionen
Empfehlung
von Konzern
Innovationsprojekten
Design
Technik
Marktstruktur
Konzern
Marken
Abbildung 11: Innovationsprozess Zukunftsforschung
Die erste Phase der Bestandsaufnahme dient dem Zusammentragen von Informationen
über Trends, Entwicklungen und Ausprägungen in den Bereichen Kunde, Gesellschaft,
Design, Technologie und Technik sowie Markt und dessen Struktur. Als
Informationsquellen dienen dabei die verschiedenen auf die Zukunft ausgerichteten
Stellen innerhalb des Konzerns, aber auch der Marken. Inputs stammen aus Quellen
wie
Zukunftsforschung,
Szenarioanalysen,
Trendscouts,
Marktforschung,
Delphistudien sowie externen Instituten. Zusätzlich werden auch Ergebnisse von
Kundenbefragungen und -analysen mit einbezogen. Ein grundlegendes Mittel der
Auswertung und Gewichtung der einzelnen Informationen und Aussagen bildet die
Stärken/Schwächen-Analyse. Im hier beschriebenen Projekt war der Bereich
Zukunftsforschung und Trendtransfer für das Zusammentragen und das Erstellen der,
für das Projekt relevanten, Informationen zuständig. Während die erste Phase durchaus
durch autonome Einheiten innerhalb des Konzerns bestritten werden kann, liegt die
Verantwortlichkeit bei Schritt zwei klar bei der Abteilung Zukunftsforschung und
Trendtransfer. Ausgehend von den relevanten Trends und Zukunftsszenarios, werden
anschliessend zukünftige Kundenbedürfnisse abgeleitet. Das Erstellen von
Kundenbedürfnissen ist deshalb relevant, weil der Kunde der Zukunft noch nicht in
der Lage ist, seine Wünsche direkt auszusprechen. Zudem erlauben
Bedürfnisstrukturen mehr Raum für die folgenden Phasen der Ideengenerierung, weil
sie auf einer abstrakteren Ebene sind als konkrete Kundenanforderungen, welche
üblicherweise aus der Marktforschung an die Entwicklung herangetragen werden. Die
vierte Phase dient der Generierung von Ideen zu Funktionen und Features, welche die
erarbeiteten Bedürfnisstrukturen befriedigen könnten. Wie bereits die
Kundenbedürfnisse auch, bietet die Fokussierung auf Funktionen und Features ein
64
Fallstudien von Emotionalisierungsprozessen
abstrakteres Niveau als der oft verwendete Ansatz, zuerst Technologien zu entwickeln
und erst danach zu sehen, welche Funktionen damit umgesetzt werden können. Das
Ableiten von Funktionen aus Kundenbedürfnissen entspricht dabei einem eher
deduktiven oder Top-down-Vorgehen im Gegensatz zum Bottom-up-Ansatz bei
Konzentration auf Technologien. Die vielversprechendsten Ideen werden in Schritt
fünf durch ausgewählte Konzernexperten evaluiert, vertieft und letztendlich auch
priorisiert. Resultat dieser Phase ist eine sogenannte Funktionsroadmap. Kriterien sind
dabei zum Beispiel klare Alleinstellungsmerkmale sowie klar erkennbare
Einsatzszenarios. Ausgehend von den priorisierten Funktionen erfolgt in Schritt sechs
die Ableitung konkreter Projektvorschläge für den Konzern oder geeignete Marken.
Auf der Grundlage dieser Projektvorschläge entscheidet der Konzernarbeitskreis
Innovation über konkrete Projektlancierungen und entsprechend freizusetzende
Ressourcen. Resultat der frühen Innovationsphase ist die so genannte
Innovationsroadmap.
2007 startete der Bereich Zukunftsforschung und Trendtransfer ein Projekt, welches
auf der Grundlage von erarbeiteten Metatrends Grob- und Feinideen für das
Automobil der Zukunft generieren sollte. Dabei wurden in fünf zweitägigen
Workshops, zu jeweils fünf verschiedenen Metatrends, Ideen für innovative
Technologien, Funktionen und einzelne Features generiert. Ausgangslage dafür
bildeten von der Zukunftsforschungsabteilung interdisziplinär erarbeitete
Kundenbedürfnisse. Diese wurden aus den unternehmensweit verfügbaren
Zukunftsinformationen extrahiert.
3.1.2 F&E-Mitarbeiter
Um einerseits die Diffusion der Themenfelder und Ideen zu gewährleisten, das
bestehende Expertenwissen zu nutzen sowie die interdisziplinäre Zusammenarbeit
innerhalb der Konzernmarken und -bereiche sicherzustellen, bestand das
Teilnehmerfeld aus Vertretern verschiedenster Bereiche. In dieses Projekt integriert
waren Mitarbeiter aus den Bereichen Nutzfahrzeuge, Elektronik, Strategie, Innovation,
Umwelt, Werkstoffe, Patentmanagement, Design, Konzeptentwicklung und
Vorentwicklung. Die Auswahl und Rekrutierung der Teilnehmer erfolgte
hauptsächlich über die jeweiligen Führungskräfte der involvierten Bereiche. Ihnen
wurden durch die Projektleitung die benötigten Informationen zugestellt. Diese
beinhalteten die Gründe sowie die Ziele des Projektes wie auch gewisse
Grundanforderungen an mögliche Teilnehmer aus den jeweiligen Bereichen. Eine
Emotional Empathic Event
65
wichtige Grundvoraussetzung, welche die Teilnehmer mitbringen sollten, war
Offenheit gegenüber neuen Methoden. Die Teilnehmer wurden entweder direkt durch
die vorgesetzten Stellen selektiert oder konnten sich freiwillig auf entsprechende
Ausschreibungen melden.
Um den Prozess der Emotionalisierung sowie die Konstruktion der emotionalen
Kundenwelten optimal auf die Teilnehmer abzustimmen, wurden im Vorfeld, mit
durch die Projektleitung ausgewählten Mitarbeitern, 45 minütige Einzelinterviews
durchgeführt. Dabei ging es darum, die involvierten Arbeitsbereiche vertieft kennen zu
lernen. Gleichzeitig wurden vorhandene Erwartungen eruiert und Fragen zu
Erfahrungen mit anderen Innovationsprojekten und Methoden gestellt.
Rollen und Support durch das Top-Management: Die Initiierung des Projektes
fand auf Konzernebene statt und wurde durch den Leiter Innovation unterstützt. Um
die Relevanz sowie die Interdisziplinarität sicherzustellen wurde, noch bevor das
eigentliche Projekt gestartet wurde, ein Meeting mit den Führungskräften aus den für
relevant erachteten Konzernbereichen, der Projektleitung sowie den externen
Moderatoren der einzelnen Workshops abgehalten. Dabei nahm der Leiter Innovation
die Rolle des Machtpromotors (Hausschildt, 1997) wahr, die Bereichsleiter die des
Fachpromotors und der externe Moderator diejenige des Prozesspromotors. Durch die
frühe Einbindung der relevanten Führungskräfte wurde sichergestellt, dass einerseits
die vorhandenen Erwartungen und Ziele gemeinsam abgesichert und andererseits auch
die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung gestellt wurden. Ebenfalls wurde
vereinbart, dass am Ende des Prozesses die von den Teilnehmern als die
vielversprechendsten gewählten Ideen demselben Gremium präsentiert werden sollen.
3.1.3 Emotionale Kundenwelt
Bereits vorgängig wurden in Schritt eins und zwei des Innovationsprozesses
Ergebnisse aus Marktanalysen und Trendstudien zu relevanten Zukunftsszenarios
zusammengefasst und in Metatrends übersetzt. Für jeden einzelnen Metatrend wurden
in einem interdisziplinären Prozess zwischen 4-6 Trendausprägungen erstellt. Diese
Trendausprägungen wurden mittels verschiedenen Konzepten visualisiert und
verdeutlicht. Es wurden Key-Words generiert und ein übergeordnetes Ziel formuliert.
Die Key-Words brachten dabei die wichtigsten Adjektive, Nomen und auch
Emotionen zum Ausdruck, welche die beschriebenen Zielgruppen kennzeichneten. In
einem weiteren Schritt wurden zu den einzelnen Trendausprägungen kurze Stories
verfasst, welche dem Leser einen Augenblick im Leben eines Individuums dieser
zukünftigen Zielgruppe aufzeigt. Zudem wurden die Key-Words mit einigen
66
Fallstudien von Emotionalisierungsprozessen
prägnanten Punkten ergänzt, an welche man in Bezug auf diese Zielgruppe denken
sollte. Anschliessend folgte eine kurze Beschreibung der den Trendausprägungen
zugrundeliegenden Indikatoren. Dabei wurden festgestellte Entwicklungen und
Ereignisse beschrieben, welche zur Formulierung des Metatrends und seiner
Trendausprägungen geführt haben. Somit wurden die Key-Words und Stories in einen
Gesamtkontext integriert. Die beschriebenen Indikatoren kamen dabei aus Bereichen
wie Technologie, Mode, Design, Gesellschaft, Politik usw. Zusätzlich wurden den
Trendausprägungen auch Bilder und sogar spezifische Farben und Farbkonzepte
zugeordnet. Nachdem die Fragen nach dem "Was es ist", "Wofür es steht", "Woher es
kommt" und "Wohin es führt" geklärt waren, folgte der nächste Schritt. Dabei wurden
aus den einzelnen Metatrends abstrakte Bedürfnisse und Anforderungen an das Auto
der Zukunft abgeleitet. Diese Bedürfnisse bzw. Anforderungen wurden sehr allgemein
und teilweise emotional formuliert und manifestierten sich in Aussagen die klar
wiedergaben, was das Auto können sollte oder müsste, um der Trendausprägung
gerecht zu werden.
Metatrend
Trendausprägung 1
Bedürfnisanforderung Fzg.
Trendausprägung 2
Bedürfnisanforderung Fzg.
Trendausprägung 3
Trendausprägung 4
Trendausprägung 5
Bedürfnisanforderung Fzg.
Bedürfnisanforderung Fzg.
Bedürfnisanforderung Fzg.
Bedürfnisanforderung Fzg.
Bedürfnisanforderung Fzg.
Bedürfnisanforderung Fzg.
Bedürfnisanforderung Fzg.
Abbildung 12: Metatrends und Trendausprägungen
Nach Abschluss der Schritte eins, zwei und drei sowie dem Vorliegen der
Trendausprägungen und deren Bedürfnisstrukturen und Anforderungen erfolgte im
Schritt vier die konkrete Inventionsgenerierung in Bezug auf Funktionen, Features,
Konzepte und Design des Autos der Zukunft. Dies sollte in mehreren interaktiven und
interdisziplinären Workshops geschehen. Die Umsetzung, Durchführung und
Emotional E
Empathic Event
67
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68
Fallstudien von Emotionalisierungsprozessen
Bedürfnisstrukturen führten, haben gezeigt, dass die Emotionalisierung von Produkten
in Zukunft eine immer stärkere Rolle spielen wird. Dies nicht nur im Sinne einer
emotionalen Marken- oder Werbebotschaft, sondern durch einen klar definierbaren
aktiven Einfluss bestimmter Fahrzeugkomponenten auf die emotionalen Zustände des
Kunden. Ziel war es deshalb, die Teilnehmer durch verschiedene Massnahmen in den
Kunden der Zukunft hineinzuversetzen und sie erst dann Ideen für die einzelnen
Trendausprägungen und Bedürfnisse generieren zu lassen. Grundsätzlich sollte der
Teilnehmer also zuerst die Zukunft erleben, eigene Emotionen fühlen und dann, noch
während er sich in diesem Zustand befand, Ideen generieren. Als Zeitfaktor standen
den Veranstaltern zwei Tage zur Verfügung; jeweils ein Metatrend inkl. fünf
Trendausprägungen wurden behandelt.
Das konkrete Vorgehen bestand aus vier zentralen Phasen: Get it all out,
Impulsvortrag, Ideengenerierung, Ideenvertiefung.
Get it all out: In einer ersten Phase wurden die bereits vorhandenen Ideen von den
Teilnehmern abgefragt. Bereits bestehende Ideen für Innovationen, Verbesserungen
und Anpassungen von Fahrzeugen sollten für alle verständlich geäussert werden.
Dabei spielte es keine Rolle, welcher Natur diese Ideen waren (technisch,
konzeptionell, design) oder welchen Zeithorizont sie betrafen (kurz, mittel, lang). Ziel
dieser Phase war es, dass die Teilnehmer sich anschliessend vollständig auf die
Generierung von neuen Ideen einlassen konnten und nicht stets ihren schon längst
vorhanden Ideen nachgehen und versuchen, den Rest der Gruppe davon zu
überzeugen. Die geäusserten Ideen wurden im Plenum diskutiert und bewertet.
Kombiniert mit der Frage, welches denn die grössten Innovationen innerhalb der
Fahrzeugindustrie der letzten Jahre waren, ergab sich ein erster gruppenspezifischer
Massstab für die Einordnung zukünftiger Ideen aufgrund ihres Innovationsgrades.
Gleichzeitig wurden die Ideen durch einen anwesenden Graphical Recorder
(Industriedesigner) visualisiert.
Impulsvortrag: Mittels eines Impulsvortrages wurde den Teilnehmern durch die
Projektleitung und Teammitglieder die Ergebnisse der Zukunftsforschung aus den
ersten drei Phasen, das erstellte Zukunftsbild, die daraus resultierenden Metatrends
und die relevanten Trendausprägungen erläutert. Dabei ging es einerseits darum, eine
bestimmte Awareness der Teilnehmer zu schaffen und gleichzeitig ein konsistentes
und für alle verbindliches Automobil-AG-Zukunftsbild zu vermitteln. Durch die
Teilnahme verschiedenster Bereiche wurde auch die Diffusion der Szenarien, des
Wordings und der Inhalte sichergestellt.
Emotional Empathic Event
69
Ideengenerierung: Für eine zielgerichtete Ideengenerierung wurden die Teilnehmer
in die generierten "emotionalen Kundenwelten" hineinversetzt. Jeder Trendausprägung
wurde vorgängig eine spezifische Kreativitätstechnik zugewiesen, welche die
methodische Grundlage der Ideengenerierung bildete und zugleich den Rahmen für die
Formulierung und Speicherung der Ideen vorgab.
Um eine zielführende Durchführung der Workshops sicherzustellen, wurden
Dreierteams gebildet, die jeweils drei verschiedene Trendausprägungen gemeinsam
durchschritten und durchlebten.
Die Ideen der einzelnen Gruppen blieben jeweils im Raum zurück, dienten den
folgenden Gruppen als Anregung und halfen dabei Wiederholungen zu vermeiden. Die
Ideen von Vorgängergruppen durften jederzeit verändert, ausgebaut oder ergänzt
werden. Anschliessend an die kreative Phase wurden die Ideen im Plenum vorgestellt
und diskutiert. Wiederum visualisierte der anwesende Graphical Recorder die
generierten Ideen.
Ideenvertiefung: Am zweiten Tag wurden die generierten Ideen in neu
zusammengestellten Teams vertieft und konkretisiert. Jedes Team konnte dazu drei
Ideen auswählen, welche mittels einer systematischen Kreativitätstechnik (z.B.
Osborn) vertieft werden sollten. Dabei ging es stärker als noch am Vortag um die
Beschreibung und Visualisierung von konkreten Features und den dazu notwendigen
Technologien. Ziel war es neben den Features auch gleich die konzerninternen
Experten dazu zu nutzen, ihr Wissen für die generierten Ideen zu explizieren. Dieses
beinhaltete Informationen über bereits bestehende Patente, bekannte Experten und
Abteilungen innerhalb des Konzerns, vergangene und laufende Forschungsprojekte in
diesem oder einem angrenzenden Themenbereich sowie Informationen über mögliche
Konkurrenzprodukte. Anschliessend wurden die vertieften Ideen dem Plenum
vorgestellt und von diesem bewertet. Die besten drei Ideen wurden gemeinsam mit der
Gruppe durch den Graphical Recorder sauber und ausführlich visualisiert. Die
Visualisierung nach Standards des Industriedesigns diente einerseits der Gruppe, um
ihre Idee für Externe verständlicher zu machen und andererseits ermöglichte sie die
problemlose Diffusion in einzelne Technologiebereiche, welche sich solche Skizzen
gewohnt sind.
70
Fallstudien von Emotionalisierungsprozessen
Ideenverwertung: Insgesamt wurden in den fünf Inventionsgenerierungs Workshops
376 Ideen generiert, expliziert und visualisiert. Den Abschluss der
Inventionsgenerierung bildete die Vorstellung aller 25 Top Ideen vor dem
Management, welches sich für einzelne Ideen committen musste. Somit wurde nicht
nur sichergestellt, dass die Prozesse der Ideengenerierung auch zu einem nützlichen
Output führten, sondern auch dass die Diffusion der Informationen bezüglich
Metatrends und deren Ausprägungen aus dem Bereich Zukunftsforschung und
Trendtransfer gewährleistet wurde.
Anzahl
Workshoptag 2
Schritt 3
58
Workshoptag 1
Ideen
Schritt 4
Schritt 2
194
Schritt 1
184
25
5
vertiefte
Rohideen
Ideenvertiefung
(mit Osborn Ideen vertiefen)
Ideengenerierung
basierend auf den Trendausprägungen
Get it all out.
Was ist schon in den Köpfen?
Abbildung 14: Workshop Konzept
3.1.5 Zusammenfassung
Mit dem integrativen Inventionsgenerierungsprojekt des Bereichs Zukunftsforschung
und Trendtransfer gelang es der Automobil AG ihre Ressourcen optimal zu bündeln
und auf ein gemeinsames Ziel auszurichten. Während Marktinformationen in
verschiedensten Bereichen, auf verschiedensten Ebenen und auch für unterschiedliche
Zeitintervalle erhoben werden, werden diese Informationen oft nicht gewinnbringend
eingesetzt und nur sehr selten zu einem kohärenten Zukunftsbild zusammengefasst.
Dieser Mangel wurde im vorliegenden Projekt gezielt behoben. Durch das Erstellen
von, für das Unternehmen relevanten, Metatrends deren Konkretisierung mittels
Trendausprägungen und dem letztendlichen Ableiten von abstrakten Bedürfnissen und
Anforderungen gelang es der Automobil AG eine optimale Grundlage für das
konzerninterne Generieren von Ideen zu schaffen.
Emotional Empathic Event
71
Wie der Name des verantwortlichen Bereichs bereits aussagt, handelt es sich um
Projekte, welche die entferntere Zukunft betreffen und weniger die aktuellen Märkte
ansprechen. Deshalb ist eine direkte Integration des Kunden, wie sie innerhalb des
Innovationsmanagements bekannt ist (Lead User, Empathic Design, Toolboxes usw.),
nicht oder nur sehr beschränkt möglich. Zudem hat sich eine direkte Interaktion
zwischen Kunde/Verbraucher und Entwickler als sehr schwierig herausgestellt.
Dennoch stellte sich die Automobil AG die Frage, wie Entwicklungsprojekte
zielgerichtet am zukünftigen Kunden ausgerichtet werden können. Die Lösung wurde
nicht darin gesehen, den Entwickler zum Kunden, sondern den Kunden in den Kopf
des Entwicklers zu bringen. Durch die Kreation von "emotionalen Kundenwelten"
wurde sichergestellt, dass einerseits die abstrakten Informationen aus Wettbewerbsund Marktanalyse greifbar gemacht wurden und andererseits eine Identifikation des
Entwicklers mit dem zukünftigen Kunden ermöglicht wurde. Dadurch konnte
einerseits die zielgerichtete Ideengenerierung sichergestellt und andererseits die viel
zitierte Lücke zwischen Marketing/Marktforschung und F&E überwunden werden.
Gleichzeitig wurden die Ergebnisse durch die hohe Interdisziplinarität der Teilnehmer
optimal in die Konzernbereiche diffundiert und die konzerninterne Vernetzung,
gemäss dem integrativen Innovationsprozess, bei der Automobil AG gestärkt.
72
Fallstudien von Emotionalisierungsprozessen
3.2 VW: Projekt Moonraker
3.2.1 Projektumfeld
In der Nachkriegszeit und speziell in den 60er und 70er Jahren waren Autos aus der
Wolfsburger Autoschmiede in Amerika gefragt wie nie. Vor allem der VW Käfer, der
Jetta und der legendäre VW Bus waren die umsatzstärksten Modelle und machten VW
zu einem der grössten Fahrzeugimporteure auf dem US Markt. Während zu
Spitzenzeiten über 600'000 VWs verkauft wurden, sank der Absatz bis ins Jahr 1993
auf lediglich 49'000 Stück. Immer wieder mussten Modelle nach einem misslungenen
Verkaufsstart in Nord Amerika aus dem Sortiment gestrichen werden. Die Gründe für
den starken und im Vergleich zur Konkurrenz überdurchschnittlichen
Marktanteilsverlust waren vielfältig. Neben historisch bedingt hohen Herstellungsund Lohnkosten sowie schlechten Services und Qualitätsproblemen lag der
Hauptgrund vor allem in der Unzufriedenheit der Kunden mit den angebotenen
Produkten. Obwohl mit der Wiederbelebung des Käfers durch das Modell "New
Beetle" und einer starken Werbekampagne 2001 ein gelungenes Comeback gefeiert
werden konnte (356'000 verkaufte Fzg.), waren die Verkaufszahlen bis 2004 erneut
rückläufig (257'000). Studien und Umfragen zur Kundenzufriedenheit zeigten auf,
dass Volkswagen den Bezug zu den nordamerikanischen Kunden praktisch vollständig
verloren hatte. Das sich dynamisch entwickelnde Marktumfeld und die sich ändernden
Kundenbedürfnisse verunmöglichten es, weiterhin weltweit ein und dasselbe Auto zu
verkaufen. Zu unterschiedlich hatten sich die Lebensweisen der Amerikaner im
Vergleich zu den Europäern entwickelt, als dass man weiterhin mit einem für den
europäischen (den deutschen im speziellen) Markt entwickelten Auto Marktanteile in
Nordamerika hätte gewinnen können. Diverse strategische Initiativen in den Bereichen
Qualität, Produktion und Vertrieb wurden gestartet, um die Marke VW wieder zu
stärken mit dem Ziel, den Gesamtfahrzeugabsatz bis 2015 auf einen Marktanteil von
12 Prozent zu steigern. Im Bereich Entwicklung und Marktforschung wurde neben den
existierenden Initiativen das Projekt Moonraker ins Leben gerufen.
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf das Projekt Moonraker, welches seinen
Namen dem NASA Mondlandeprojekt (bevor es in Apollo 11 umbenannt wurde)
verdankt.
Das Projekt Moonraker wurde Ende 2004 durch die Konzernleitung initiiert und am
25. Januar 2005 ins Leben gerufen. Moonraker hatte mehrere Ziele. Kurzfristig sollte
das Team ein tiefes und qualifiziertes Markt- und Kundenverständnis in den USA
erlangen und dieses dann in einem ersten Fahrzeugkonzept umsetzen. Dadurch sollte
Emotional Empathic Event
73
das Image, sprich die Marke Volkswagen, positiv belebt werden. Mittelfristiges Ziel
war die Entwicklung eines volumenstarken und landesspezifischen Fahrzeugkonzepts
für den nordamerikanischen Markt. Dieses sollte den allgemeinen Kundenbedürfnissen
entsprechen, als auch abgestimmt auf die VW Markenwerte sein. Langfristig sollten
Marken- und Portfoliostrategien entwickelt werden und die Vision einer neuen
Innovationskultur für die Volkswagengruppe in die Realität umgesetzt werden.
Personelle Wechsel des Top-Managements führten dazu, dass sich auch die
Projektziele veränderten. Neben den langfristigen Zielen ging es darum, die
gewonnenen Erkenntnisse möglichst gezielt in aktuelle Entwicklungsprojekte von VW
zu integrieren. Letztlich wurden während des Projektes Moonraker 42 Einzelprojekte
abgearbeitet. Ein zentrales Projekt stellte die Erstellung der geplanten
Fahrzeugkonzeptstudie dar. Jedes Einzelprojekt wies individuelle Ausprägungen und
Abläufe auf. Um die Lesbarkeit der Fallstudie zu erhöhen, wurden die einzelnen
Projekte in einem Metaprozess zusammengefasst. Obschon einzelne Schritte immer
wieder iterativ durchlaufen wurden, wird Moonraker hier als linearer Prozess
beschrieben.
3.2.2 F&E-Mitarbeiter
Um die vorgegebenen Ziele zu erreichen, wurden 23 VW-Mitarbeiter aus allen
Bereichen der internen Wertschöpfungskette selektiert und für eine Dauer von 16
Monaten nach Malibu, Kalifornien, entsandt. Die Teammitglieder kamen neben den
F&E-Bereichen auch aus den Bereichen Marketing, Produktion, Logistik und
Kundendienst. Dabei wurde bei den einzelnen Bereichen wiederum darauf geachtet,
dass die Vertreter alle relevanten Fahrzeugkomponenten repräsentierten. Das Team
lebte und arbeitete mehrheitlich im eigens dafür angemieteten 1100 m2 Anwesen in
den Hügeln von Malibu. Das Projekt wurde in enger Kooperation mit VW of America,
dem VW-DesignStudio in LA, Technical Service Center sowie lokalen Händlern,
Familien und weiteren externen Partnern durchgeführt. Neben den externen Partnern
waren auch die internen Netzwerke von Bedeutung für die erfolgreiche Durchführung
des Projektes. Eine wichtige Rolle spielten dabei die internen Promotoren, speziell die
Machtpromotoren aus dem Top-Management. Diese waren vor allem in Hinsicht auf
die Ressourcenzuweisung vor und während des Projektes von zentraler Bedeutung.
74
Fallstudien von Emotionalisierungsprozessen
3.2.3 Prozess der Emotionalisierung
Vorbereitung: Onboarding für die 23 "Astronauten" des Moonraker Projektes war am
25 Januar 2005 mit der Einrichtung und dem Bezug des Büros in Berlin. Ziel der
ersten Phase war das Teambuilding sowie die Vorbereitung und Schulung im Hinblick
auf den erhaltenen Auftrag in Amerika. Dies bedeutete vor allem eine intensive
Schulung der Mitarbeiter in Methoden der ethnographischen Beobachtung und des
Durchführens von Interviews. Durch die Interdisziplinarität des Teams brachten nicht
alle Teammitglieder das entsprechende Wissen aus Marktforschung und Psychologie
mit. Durch spezifische Trainer, Workshops und real life Experimente wurden die
notwendigen Fähigkeiten aufgebaut. Beispielsweise wurde das Verhalten von
Personen im U-Bahn Verkehr beobachtet oder das Verhalten, die Schwierigkeiten und
die Gefühle von Blinden am eigenen Leib erfahren. Neben der Vermittlung des
Wissens über die Anwendung und Auswertung von Markt-, Kreativitäts- und
Trendforschungsmethoden galt es auch die relevanten Informationen über Volkswagen
und seine US-Geschichte zu erhalten. Da es unter anderem eine Aufgabe war auch
eine Marken- & Portfoliostrategie zu entwickeln, war es absolut notwendig, dass jeder
Einzelne die bestehenden Werte und Strategien verinnerlichte. Deshalb wurde das
Team ausführlich über die aktuelle Marktsituation in den USA in Kenntnis gesetzt und
bekam die Markenwerte noch einmal speziell vermittelt. In dieser Zeit wurde den
einzelnen Mitgliedern auch ihre spezifische Rolle zugewiesen, welche sie innerhalb
des Teams und gegenüber Aussen einnehmen sollten. Beispielsweise wurde ein
Teamsprecher gewählt.
Den Abschluss der ersten Phase bildeten Präsentationen vor dem Top-Management, in
denen über das bereits Erreichte informiert und die weiteren Schritte erläutert wurden.
Scouting Trip: Direkt im Anschluss an das Onboarding in Berlin (Vorbereitungszeit)
folgte die Infiltrierung des amerikanischen Marktes. Mit der Verlegung des
Projektteams nach Amerika begann die Phase der Informationsbeschaffung vor Ort.
Ziel dieser Phase war es, den amerikanischen Kunden bis ins Detail kennen zu lernen
und zu verstehen sowie Grundlagen für die Erstellung von verlässlichen Aussagen
über zukünftige Kundenbedürfnisse sowie Zukunftsszenarien zu erarbeiten. Gestartet
wurde mit einem Roadtrip durch 24 Staaten, im Zuge dessen das Projektteam
verschiedenste Interviews und Meetings abhielt. Städteführungen und erste
ethnographische Beobachtungen fanden ebenfalls statt. Dabei ging es aber nicht nur
um das Beobachten des Nutzungsverhaltens von Kunden, sondern auch darum die
emotionalen Befindlichkeiten, Neigungen und Welten, in denen sich die Kunden
Emotional Empathic Event
75
bewegen, selbst zu erleben. Das Eintauchen in die Welt des Kunden war grundsätzlich
in fünf Blöcke unterteilt. Jedem dieser Blöcke waren spezifische Methoden
zugeordnet, um die gewünschten Informationen zielgerichtet zu generieren. Der erste
Block stand unter dem Motto "Talk". In diesem Block wurden verschiedene
Interviewtechniken eingesetzt, wie beispielsweise Spontaninterviews auf der Strasse
oder gezielte schriftliche Befragungen mit ausgewählten Teilnehmern. Der zweite
Block stand unter dem Motto "Observe". Dabei wurden verschiedene Methoden
verwendet, mittels derer die Teilnehmer ausgewählte Anwender in ihrem täglichen
Leben beobachteten. Es wurden nicht nur die direkten Interaktionen mit dem Fahrzeug
beobachtet, sondern der gesamte Tagesablauf wurde analysiert. Zu diesem Zwecke
kamen Methoden wie ethnographische Ride-along's, Shadowing oder Homestay's zum
Einsatz. Beispielsweise fügten sich Moonraker-Mitarbeiter als Beobachter in sorgfältig
ausgewählte Familien ein, um tiefe Einblicke in die alltäglichen Abläufe im Leben
eines typischen Amerikaners zu bekommen. Sie verbrachten beispielsweise Zeit mit
den Familien zu Hause, feierten gemeinsam Thanksgiving, gingen mit zum Einkaufen
oder waren dabei, wenn die Mütter ihre Kinder zur Schule und zum Fussball fuhren.
Dabei wurden unter anderem Erkenntnisse gewonnen, wie und wann der Kunde
bestimmte Features im Auto gebraucht oder wo er sie nicht so verwendet, wie sie
ursprünglich vom Hersteller angedacht waren. Dadurch, dass das Team physisch in
Malibu stationiert war, wurde die Welt des Kunden nicht nur beobachtet, sondern rund
um die Uhr auch selbst erlebt. Der dritte Block war dem Motto "Experience"
gewidmet. Die Teammitglieder sollten selber erfahren, was Mobilität in Amerika
bedeutet. Beispielsweise wurden mit den verschiedensten Automobilmodellen
Testfahrten durchgeführt. Auch zwei Trips mit dem legendären Greyhound fanden
statt von Seattle nach Portland und von St. Paul nach Mineapolis, um die Vor- und
Nachteile des öffentlichen Verkehrs kennen zu lernen. Ein weiteres prägendes Erlebnis
war der "Walk of Pain" - ein zweitägiger Marsch von Long Beach nach Hollywood wo das Team am eigenen Leib erfuhr, was Mobilität bedeutet, und die Zeit dazu
nutzte, um öffentliche Parkplätze sehr genau zu beobachten. Es fanden auch
architektonische Führungen durch Amerikas Grossstädte statt. Unter anderem
verbrachte das Team jeweils eine Woche in New York, Las Vegas und sogar in Tokyo.
Im vierten Block "Learn" stand neben dem Austausch mit verschiedenen Universitäten
und weltbekannten Marktgiganten wie 3M, Starbucks, Apple, Nike oder Quicksilver
vor allem die Segmentierung und Bildung von Kundentypen im Fokus. Dazu wurden
acht konkrete Charaktere selektiert und visualisiert. Die Charaktere wurden nicht nur
beschrieben, sondern mittels Pappkartonfiguren, Filmen, Stories und Gegenständen
visualisiert und "erlebbar" gemacht und in Wolfsburg gezeigt. Im fünften Block
76
Fallstudien von Emotionalisierungsprozessen
"Inspire" ging es zusätzlich darum, auch ausserhalb der Automobilindustrie
Inspirationen zu holen und gleichzeitig auch zu inspirieren. Deshalb wurde
beispielsweise die Computerspielemesse E3 besucht, um herauszufinden, was die
junge Generation antreibt und beschäftigt. Dann arbeiteten die Teammitglieder auch
an Autoshows am VW-Stand, wo sie persönliche Gespräche und Interviews mit
Interessierten durchführen konnten. Inspire beinhaltete aber auch die Diskussion mit
eigentlichen Automobilenthusiasten auf Tuningmessen, wofür beispielsweise extra ein
entsprechendes Fahrzeugmodell aus Deutschland eingeflogen wurde.
Die fünf Scoutingblöcke "Talk", "Observe", "Experience", "Learn" und "Inspire"
wurden während der gesamten Projektdauer immer wieder durchlaufen und vertieft,
um die gefundenen Ergebnisse zu reflektieren und auf neue Fragestellungen
auszuweiten.
3.2.4 Emotionale Kundenwelt
Durch das Leben vor Ort und die intensive Einbindung der Teammitglieder in die
amerikanische Kultur bildete das eigentliche Lebensumfeld die emotionale
Kundenwelt. Dennoch wurden während des Projektes auch künstliche und spezifisch
auf den Kunden der Zukunft ausgerichtete Welten erstellt, um die gesammelten Daten
zu plausiblen Zukunftsszenarien, Kundensegmenten, Charakteren und Trends zu
verdichten und zu visualisieren.
Ein Beispiel dafür sind die sogenannten Future-Life-Settings. Zusammen mit externen
Spezialisten für architektonisches Design sowie spezialisierten Partnern aus den
Bereichen Material und Lichttechnik wurden zukünftige Lebensräume erstellt, die
ausgewählte Kundensegmente aus dem Jahre 2020 repräsentierten. Sie ermöglichten
es, die abstrakten Informationen in eine erlebbare Realität zu transformieren. Konkret
repräsentierten die verwendeten Materialien, Designkonzepte und Lichteffekte
zukünftige Kundenbedürfnisse und -wünsche sowie Themen, welche in den nächsten
Jahren eine zunehmende Wichtigkeit erfahren sollten. Die konkrete Umsetzung in
einer Industriehalle ermöglichte es, angemessene zukünftige Technologien, Marken
und teilweise sogar Produkte fass- und erlebbar zu machen. Als Nebeneffekt ergab die
Umsetzung mit externen Partnern einen tiefen Einblick in andere Industrien und deren
Einschätzung über zukünftige Entwicklungen. Die Partner hatten bei der Umsetzung
der Lebensräume freie Hand. Durch die Umsetzung wurden nachhaltige Beziehungen
zwischen den Partnern und VW of America geschaffen.
Emotional E
Empathic Event
77
Abbildunng 15: Future Life
L Settings
Evaluaation Tren
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E
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sind anschlieessend in mehreren
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w
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he mit Veertretern aaus Univerrsitäten,
und übberprüft worden.
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d
alss kulturell wichtig
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A
Way
W of Liife besond
ders gut
wiederggaben. Zu erwähnen ist beispieelsweise daas Oldtimertreffen in Daytona oder
o
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78
Fallstudien von Emotionalisierungsprozessen
Fahrzeuges. Das G steht für G-Forces, welche das Fahrzeug in den Kurven absorbieren
kann, das X für Crossover (Sportwagen/Motorrad) und das 3 steht für die Anzahl
Räder. Die sehr minimale Ausstattung bestand aus hochwertigen Materialien und war
gleichzeitig auch wasserresistent. Der Top Speed betrug 200 km/h und da das
Fahrzeug als Motorrad klassifiziert wurde, konnte man es in Kalifornien auf den
speziell eingerichteten Carpool lanes fahren. Durch seine minimale Ausstattung und
seine Kompaktheit war das Fahrzeug zugleich eine Antwort auf den Trend der
Miniaturisierung auf dem Fahrzeugmarkt. Die Konzeptstudie wurde mit ausgewählten
externen Partnern realisiert und auf der Los Angeles Auto Show 2006 zum ersten Mal
vorgestellt. Die Konzeptstudie erregte weltweit das Aufsehen des Publikums sowie der
Fachpresse. Obwohl das Fahrzeug vergleichsweise kostengünstig hätte hergestellt
werden können und eine klare Nachfrage bestand, wurde es aus rechtlichen Gründen
nie in Serie produziert. Dennoch halfen die Publicity und der offensichtliche Bruch mit
allem, womit man VW of Amerika in Verbindung brachte, das Image der Marke VW
positiv zu beeinflussen.
Abbildung 16: Konzeptstudie GX3
Emotional Empathic Event
79
Diffusion des Wissens in die Konzernzentrale: Während der gesamten Projektdauer
wurden regelmässige Meilensteinpräsentationen gehalten und wöchentliche Updates
zurück in die Konzernzentrale gesendet. Die Informationen wurden dabei in
verschiedenster Art und Weise aufbereitet. Neben schriftlichen Berichten beinhaltete
der Wissenstransfer auch Skizzen, Videos, Podcasts und persönliche Meetings. Neben
der Konzernzentrale wurde auch sehr stark mit den lokalen Niederlassungen von VW
of America und dem vor Ort ansässigen Designstudio zusammen gearbeitet. Es
wurden spezielle Brand- oder Produktkostenworkshops mit der Zentrale in Detroit
abgehalten, wo das gesammelte Wissen an die verantwortlichen Stellen weitergegeben
wurde. Dieser Transfer gestaltete sich an einigen Stellen schwierig, da das gewonnene
Wissen und dessen Grundlagen nicht immer mit jenem in den Bereichen
übereinstimmten. Es musste deshalb teilweise sehr viel Überzeugungsarbeit geleistet
werden. Nicht zuletzt um Kommunikationsbarrieren zu überwinden, wurden die vom
Team erstellten Charaktere als möglichst echte Persönlichkeiten dargestellt. Dazu
dienten Filme, Gegenstände und bekannte Namen wie bspw. Lara Croft. Ein sehr
ausführlicher Transfer des erworbenen Wissens fand an speziell organisierten Events
namentlich den "Voice of America Days" statt. Dort wurden die gewonnen
Erkenntnisse direkt der Konzernleitung vorgestellt und ausführlich erläutert. Obwohl
das Projekt die volle Unterstützung des Top-Managements hatte, wurde es für das
Moonraker Team kein Leichtes, die gewonnenen Informationen dem Rest des
Konzerns zugänglich und vor allem verständlich zu machen.
3.2.5 Zusammenfassung
Aufgrund des verlorenen Wissens über die Bedürfnisse und Ansprüche der
amerikanischen Kunden war VW gezwungen zu handeln. Neben den üblichen
Marktforschungsansätzen wurde deshalb entschieden, ein Team zusammenzustellen,
welches aus Personen aus allen relevanten Konzernbereichen bestand. Auftrag war ein
tiefes Eintauchen in die amerikanische Kultur, ja den Amerikaner selbst. Durch eine
intensive Schulung in Teamwork und Marktforschungsmethoden sowie deren
Auswertung wurde die Grundlage für die Mission geschaffen. Das Leben um und mit
dem potentiellen Kunden der Zukunft emotionalisierte die Teilnehmer tiefgehend und
förderte das Marktverständnis der beteiligten Entwickler nachhaltig. Durch die
Vermittlung der VW-spezifischen Marken und Kulturwerte wurde erreicht, dass die
gewonnenen Erkenntnisse auch entsprechend zielgerichtet verknüpft wurden und
somit in konkrete Strategien, Fahrzeugkonzepte und Features übersetzt werden
80
Fallstudien von Emotionalisierungsprozessen
konnten. Selbst längere Zeit nach Abschluss des Projektes hilft das gewonnene
Marktverständnis bei der Entwicklung von Ideen zu einzelnen Fahrzeugkomponenten.
Schwierigkeiten bereitete die Vermittlung von Informationen vom völlig losgelösten
Moonraker-Team zu Konzernstellen und in die eigenständigen Marken. Auch wenn
die aus dem Projekt hervorgegangene Konzeptstudie GX3 nie in Produktion ging, sind
die positiven Effekte des Projekts bis heute spürbar. Diverse Informationen wurden zur
Entwicklung einzelner Features und speziellen Anpassungen von Fahrzeugen für den
amerikanischen Nutzer genutzt. Auch das Image und bestehende Brandattribute
wurden nachhaltig positiv beeinflusst. Die mit dem Pilotprojekt gemachten
Erfahrungen flossen auch in ähnliche Projekte für die Märkte in China, Indien und
sogar Deutschland ein. Auch einzelne Marken wie Audi haben eigene Projektteams
lanciert. Zusätzlich wurde aus den gesammelten Erfahrungen und eingesetzten
Methoden ein eigenes Scouting-Handbuch durch die Marktforschung verfasst.
Ebenfalls als schwierig stellte sich die Reintegration (Resozialisierung) der
Teammitglieder dar. Da es keine konkreten Stellen für Mitarbeiter dieser Art in den
angestammten Konzernbereichen gab, mussten sich diese wieder in "normale"
Positionen einfügen. Da dies nicht für alle Teammitglieder die Art und Weise war, wie
sie nach einer solchen Erfahrung weiterarbeiten wollten, verliessen einzelne nach
Abschluss des Projektes das Unternehmen.
Emotional Empathic Event
81
3.3 CEWE Color: Projekt CeWe-Fotobuch Software 4.6
3.3.1 Projektumfeld
CeWe Color ist in 24 europäischen Staaten präsent und damit der führende
Fotofinishing-Servicepartner für Premium-Handelsmarken im europäischen
Fotomarkt. Mit über 2700 Mitarbeitern in 12 Produktionsstätten bedient CeWe sowohl
das Geschäft für Fotos und andere digitale Produkte mit dem stationären Handel wie
auch über das Internet. Die ausschlaggebenden Wettbewerbsvorteile sind die
Kernkompetenzen im Bereich des digitalen Druckens und die hoch effiziente
industrielle Fertigung von Fotos und ähnlichen digitalen Produkten. Kombiniert mit
einem riesigen Distributionsnetzwerk von über 45'000 Fach- und Grosshändlern sowie
dem Internet als wachsendem Vertriebskanal ergibt sich die Marktführerschaft von
CeWe Color. Zu den Fach- und Grosshändlern kommen weitere 191 Fachgeschäfte,
welche durch insgesamt 1300 externe Fahrer beliefert werden. Im Jahre 2009
entwickelte das Unternehmen 2.6 Milliarden Bilder, über 3.6 Millionen CeWeFotobücher sowie andere Fotogeschenke und erzielte einen Umsatz von 410 Mio.
Euro. Seit seiner Gründung im Jahre 1961 hat CeWe Color diverse einschneidende
Veränderungen der angestammten Industrie überlebt und dabei die Fähigkeit
bewiesen, sich immer wieder selbst neu zu erfinden. Erwähnenswert sind an dieser
Stelle beispielsweise der Wechsel von der schwarz/weiss Fotografie zur Farbfotografie
sowie die Verdrängung der analogen Kameras durch ihre digitalen Nachfolger. Beide
Entwicklungen hatten sowohl Auswirkungen auf das eigentliche Kerngeschäft, das
Entwickeln von Fotos, als auch die Vertriebstätigkeit und letztendlich auch auf das
Kundenverhalten.
In den späten 90er Jahren erkannte die Unternehmensleitung, dass die rasch
fortschreitenden Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnologien
nicht nur eine Gefahr für das analoge Kerngeschäft darstellen, sondern im Hinblick auf
das Gesamtunternehmen auch eine Chance sein können. Gemeinsam mit dem
Technologievorstand beschloss der damalige Vorstandsvorsitzende 1997 eine Einheit
ins Leben zu rufen, welche sich komplett auf die digitale Fotografie spezialisieren
sollte und den Auftrag hatte, das neue Geschäftsfeld für CeWe Color zu erschliessen.
Dazu gehörten die Entwicklung neuer Prozesse und Produktionsabläufe genauso wie
diejenige von neuen Dienstleistungsangeboten und Vertriebsmöglichkeiten. Um das
hoch effiziente Kerngeschäft des analogen Fotofinishings nicht zu beeinträchtigen,
wurde entschieden, die Einheit in eine eigenständige Tochtergesellschaft
auszugliedern. Dadurch sollte verhindert werden, dass interne Konflikte entstehen, da
82
Fallstudien von Emotionalisierungsprozessen
sich die beiden Geschäftseinheiten mit ihren Produkten grundsätzlich konkurrierten.
Gleichzeitig ermöglichte die komplette Ausgliederung aber auch, die neue CeWe
Digital GmbH mit komplett neuem Personal ausstatten zu können. Einerseits war dies
unumgänglich, um die notwendigen Kompetenzen für dieses neue Geschäftsfeld ins
Unternehmen zu holen, und andererseits konnten die langjährig intern aufgebauten
Spezialisten für das analoge Business weiterhin das angestammte Kerngeschäft
entwickeln.
Der Prozess der Digitalisierung war, wie dies bei CeWe Color schon immer der Fall
war, stark technologiegetrieben. Geschützt durch den entsprechenden TopManagement Support konnte sich CeWe Digital ganz auf seine Aufgaben
konzentrieren und das Potential der neuen Technologien vollständig ausschöpfen.
Bereits im ersten Jahr entwickelte das junge Spin-off den weltweit ersten digitalen
Photo-Terminal. Weitere Entwicklungen und ausgewählte Partnerschaften mit anderen
Technologieführern führten dazu, dass bereits 5 Jahre später über 2400 Terminals in
Fachgeschäften aufgestellt waren. Höhere Bandbreiten, Entwicklungen in der
Kameraherstellung und vor allem den Speichermedien bedeuteten den Siegeszug der
digitalen Fotografie. Wiederum stark technologiegetrieben entwickelte CeWe seine
erste Bildbearbeitungssoftware. All dies war jedoch nicht genug, um die dramatisch
sinkenden Entwicklungsvolumen im analogen Markt zu egalisieren. Der analoge
Markt verlor von 2000 bis 2008 88% seines Volumens. Obwohl das schnell
wachsende digitale Geschäft die Verluste auf der analogen Seite teilweise auffangen
konnten, erkannte CeWe Color, dass es weitere Angebote brauchte um auch in
Zukunft noch wachsen zu können. Die Digitalisierung von Bildern bot die benötigten
Chancen, neue Produkte zu kreieren. So wurde es beispielsweise möglich, ebenfalls
hoch automatisiert Kalender, T-Shirts, Rucksäcke, Tassen, Mousepads und viele
weitere personalisierte Geschenkartikel zu erstellen. Die wohl wichtigste Innovation
aber stellte das CeWe-Fotobuch dar. Mit der eigens dafür entwickelten Software wird
es dem Kunden computerunterstützt ermöglicht seine digitalen Bilder in einem
graphisch hochstehenden Album darzustellen und es 3-4 Tage später als echtes
Fotoalbum in Händen zu halten. Der Erfolg des CeWe-Fotobuches basiert auf einem
sehr tiefen Kundenverständnis, entsprechenden Entwicklungen in der digitalen
Bildindustrie sowie der langjährigen Kompetenz im Bereich des digitalen Druckens.
Emotional Empathic Event
83
Innovationsprozess bei CeWe Color
Aufgrund seiner Historie als klassisches Produktionsunternehmen, welches Maschinen
zukaufte, sie teilweise adaptierte oder weiterentwickelte, existieren erst seit einigen
Jahren klare F&E-Strukturen. Der eigentliche Beginn der eigenen Forschungs- und
Entwicklungsarbeiten stellt die Gründung der bereits beschriebenen CeWe Digital dar.
Innerhalb dieser eigenständigen Tochtergesellschaft bestand die explizite Aufgabe der
Mitarbeiter darin, die Potentiale bestehender Technologien nutzbar zu machen und
gleichzeitig diese innerhalb der eigenen Industrie weiterzuentwickeln.
Produktionskapazitäten mussten erst entwickelt und aufgebaut werden, da diese noch
nicht bestanden. Auch das Marketing und der Vertrieb wurden für die digitalen
Produkte eigenständig entwickelt und erst mit der Wiedereingliederung der CeWe
Digital in die Muttergesellschaft zusammengelegt. Aus dieser Zeit stammt auch die
Einrichtung der Digital- und Marketingrunde, in welcher sich leitende Mitarbeiter aus
allen relevanten Bereichen wöchentlich treffen, um sich über relevante Trends und
neue Ideen auszutauschen. Grundsätzlich sind in dieser Runde die Bereiche F&E,
Produktion, Produktmanagement, Vertrieb, Marketing, Kundendienst sowie Teile des
Vorstandes vertreten. Durch diese Interdisziplinarität wird sichergestellt, dass die
Ideen von verschiedenen Blickpunkten aus betrachtet werden und die einzelnen
Fachbereiche Ergänzungen einbringen können. Für sinnvoll erachtete Ideen und
Ansätze werden dann in jeglicher Art und Weise (Rohdaten oder bereits
ausformulierte Ideen) an das sogenannte Release Control Board (RCB) weitergeleitet.
Das RCB ist ebenfalls ein interdisziplinär besetztes Board der Vorstandsmitglieder, in
welchem der Vorsitzende die letztendliche Entscheidungsbefugnis hat. Dieses RCBBoard sichtet und berät die aus den verschiedensten Quellen stammenden Ideen,
priorisiert diese und entscheidet, welche Ideen in der Entwicklung weiterverfolgt
werden sollen und welche aus dem Prozess ausscheiden. Wird entschieden, dass man
eine bestimmte Idee weiterverfolgen will, wird diese an die dafür geeignete Abteilung
weitergleitet und entwickelt. Anschliessend folgen ausführliche Usability- und
Kundentests, bevor das endgültige Produkt gelaunched wird.
Open Innovation bei CeWe
Obwohl CeWe Color eine starke interne F&E-Abteilung hat, besitzt das Unternehmen
eine ausgesprochen offene Kultur. Einerseits basiert dies auf dem historisch mit den
Partnern gewachsenen Geschäftserfolg, auf der anderen Seite hat man durch die
Erfahrungen bei cewe digital gelernt, dass eine intensive Vernetzung in und ausserhalb
der eigenen Industrie und über alle Wertschöpfungsstufen hinweg absolut zentral ist
84
Fallstudien von Emotionalisierungsprozessen
für den nachhaltigen Erfolg. Ideen werden deshalb nicht nur in den internen Meetings
der Digital-Marketing-Runde oder innerhalb des RCB generiert, sondern stammen aus
einer Vielzahl von Quellen. Auf technologischer Seite steht vor allem die Vernetzung
innerhalb der eigenen Industrie im Vordergrund. So sind Vertreter von CeWe jeweils
auf allen relevanten Messen, Konferenzen und Tagungen vertreten und engagieren
sich in einschlägigen Gremien und Kommissionen, bspw. wenn es um das Setzen von
neuen Industriestandards geht. Üblicherweise sind es leitende Mitarbeiter, die diese
Netzwerke über Jahre aufgebaut haben, welche sich in solchen Gremien engagieren.
Die dort erhaltenen Informationen und möglicherweise auch generierten Ideen werden
anschliessend beispielsweise in Form von Besuchsberichten in das Unternehmen
zurückgespielt. Je nach Information geschieht dies bilateral oder aber in
entsprechenden Teammeetings. Aufgrund der Markt- und Technologieführerschaft von
CeWe Color sowie der Tatsache, dass das Unternehmen die Entwicklung des digitalen
Fotogeschäfts in Europa massgeblich geprägt hat, sind gute Beziehungen zu Partnern
auf allen Wertschöpfungsstufen unerlässlich. Diese Beziehungen sind multilateral, da
es aufgrund der unterschiedlichen Plattformen nicht sinnvoll wäre, sich nur auf einen
Partner zu konzentrieren. So wird beispielsweise sowohl mit Apple als auch mit
Microsoft zusammengearbeitet. Microsoft beispielsweise hat in seinem Betriebssystem
Windows 7 die CeWe-Fotobuch-Software als Standardkomponente integriert. Auf der
anderen Seite arbeitet CeWe Color jedoch auch mit Nokia zusammen, um die
Dienstleistung XpressPrint auf allen N-Series Handys zu ermöglichen. Weiter
bestehen technologieseitig enge Beziehungen zu den Druckerherstellern, wobei CeWe
oft erste Tests für neue Technologien und Verfahren durchführt. Gleichzeitig werden
neue Ideen auf Herstellerseite immer wieder auch mit CeWe diskutiert, um Potentiale
oder mögliche Schwierigkeiten zu erkennen. In Bezug auf die Entwicklung des
kommerziellen Digitaldrucks wurde beispielsweise wiederum eine eigenständige
Tochtergesellschaft gegründet, welche dieses Thema vorantreiben soll. Daneben
unterhält das Unternehmen auch enge Beziehungen zu Universitäten und anderen
Wissenseinrichtungen, um auch im Bereich der Grundlagenforschung Fortschritte zu
machen. Mittel für solche Partnerschaften sind Stipendien für Forschungsarbeiten oder
Preisausschreiben für Entwicklungen in zuvor festgelegten Bereichen. In den
vergangenen Jahren lag der Fokus für solches Zusammenarbeiten auf Entwicklungen
im Zusammenhang mit dem CeWe-Fotobuch und der zugehörigen Software.
Neben den diversen eher technologiegetriebenen Partnerschaften weist CeWe auch
einen starken Kundenfokus auf. So betreibt das Unternehmen regelmässig
Markforschungen und Konsumentenbefragungen, unterhält seine eigenen Foren und
führt Usability Tests mit ausgewählten Handelspartnern und Kunden durch. Die
Emotional Empathic Event
85
dadurch generierten Informationen werden analysiert, erkennbare Trends abgeleitet
und Szenarien generiert. Gleichzeitig werden über diese Kanäle auch immer wieder
spezifische Ideen an das Unternehmen herangetragen. Diese liegen vor allem im
Bereich der Bedien- und Nutzerfreundlichkeit. Vielversprechende Ideen werden
wiederum entweder direkt an die entsprechenden Stellen weitergeleitet oder in den
vorhandenen Gremien behandelt.
Die auf den vorhandenen Kanälen generierten Einblicke, Ausblicke und Ideen sind
nach Aussagen des Managements so gut, dass es CeWe Color als ausreichend
empfindet, alle zwei bis drei Jahre einen gross angelegten Ideengenerierungsworkshop
mit externen Dienstleistern und ausgewählten Drittpersonen durchzuführen.
Erfahrungen haben gezeigt, dass die Ideen welche aus diesen Workshops hervorgehen,
typischerweise nicht komplett neu sind für das Unternehmen, jedoch hervorragend
dazu geeignet sind, mögliche Trends und Bedürfnisse zu bestätigen.
Grundsätzlich lässt sich für CeWe Color sagen, dass radikale Innovationen weiterhin
eher
technologiegetrieben
sind
während
Produktevaluationen
und
Weiterentwicklungen mehrheitlich marktgetrieben sind.
Strategieworkshops Vorstand
CEO
Lean Innovation
Fast Innovation
Produktion
Produktmarketing
Vertrieb
Kundendienst
Digitalund
Marketingrunde
F&E
R
C
B
Forum
Kundendienst
Usability Tests
Eye Tracking
Produkt-DBR
Kunden
Konsumenten
Mafo
VV Mitarbeiter
PR / IR
Controlling
Workshops und Open Innovation
Quelle: CTO Dr. R. Faghet (2010)
Abbildung 17: Quellen für Ideen bei CeWe Color
86
Fallstudien von Emotionalisierungsprozessen
3.3.2 F&E-Mitarbeiter
Die für das hier beschriebene Projekt ausgewählten Mitarbeiter waren sämtliche
Produktmanager sowie drei Personen aus der F&E. Bei den aus der F&E entsandten
Personen handelte es sich um die Abteilungsleiterin Software, den verantwortlichen
Entwickler Software sowie den zuständigen Entwickler für die graphische Umsetzung.
Da es das Ziel war, sich in Kundenwelten, sprich von Kunden kreierte Welten
hineinzuversetzen, um daraus Erkenntnisse für das eigene Produkt abzuleiten, war es
aus Sicht des Managements absolut zentral, alle involvierten Stellen miteinander zu
vernetzen sowie die entsprechenden Entscheidungsträger schon früh zu integrieren.
Aus Sicht der F&E war deshalb die verantwortliche Person für die Steuerung des
Prozesses diejenige, welche die Anforderungen konkret umsetzen musste, sowie die
für das finale Erscheinungsbild zuständige Person involviert. Damit wurde verhindert,
dass es anschliessend zu Diskussionen über die vom Projektteam erarbeiteten
Ergebnisse kam und bereits von Beginn weg die Objektivität sichergestellt werden
konnte. Zudem war sich das Management bewusst, dass in dieser Branche
Geschwindigkeit ein zentrales Element für den Erfolg ist.
Ein ebenfalls zentrales Element im Innovationsprozess von CeWe Color ist die
Digital- und Marketingrunde, welche aus den leitenden Angestellten aller Bereiche
besteht. Die Runde stammt eigentlich aus der Anfangszeit der Digitalisierung von
CeWe Color, wurde aber auch nach der Reintegration der cewe digital GmbH
beibehalten. Weiterhin trifft sich das interdisziplinäre Team jeweils am Montag, um
über Rückmeldungen aus den Bereichen zu diskutieren und Projekte zu priorisieren
und freizugeben. Die Argumente für die interdisziplinäre Ausrichtung sind
Objektivität, Know-how und Geschwindigkeit. Zudem wird das gegenseitige
Verständnis unternehmensweit gefördert.
3.3.3 Emotionale Kundenwelt
In Bezug auf die Entwicklung von emotionalen Kundenwelten weist CeWe Color
einige Eigenheiten auf, welche im Folgenden näher erläutert werden sollen. Als
Dienstleister in der Fotoindustrie versteht sich das Unternehmen weniger in der
Position, aktiv Emotionen kreieren zu müssen, sondern sieht seine Hauptaufgabe
darin, Emotionen zu konservieren und wiederherzustellen. Hauptprodukt für diese
Aufgabe sind die Bilder selbst. Diese sind in sich bereits hochgradig emotional und
dienen den Kunden dazu, sich an die bereits durchlebten Emotionen zu erinnern oder
sie mit Drittpersonen zu teilen. Bei CeWe Color werden durch Design und
Produktfeatures nicht vordergründig Emotionen geschaffen, sondern die
Emotional Empathic Event
87
Rahmenbedingungen kreiert, um Emotionen zu konservieren. Die emotionalen
Kundenwelten werden in diesem Sinne nicht durch CeWe kreiert, sondern durch die
Kunden selbst. Indem sie ihre Geschichten durch das Erstellen eines CeWe-Fotobuchs
erzählen, geben sie einen tiefen Einblick in ihr Leben. Dieses Fenster nutzte CeWe
Color in seinem Projekt, um die Mitarbeiter tief in diese persönlichen Kundenwelten
einzutauchen.
3.3.4 Prozess der Emotionalisierung
Der Prozess der Emotionalisierung der F&E-Mitarbeiter geschieht, indem real erstellte
Fotobücher betrachtet werden, um daraus Ideen für Innovation im Software- oder
Hardwarebereich zu generieren. Dabei steht immer im Vordergrund, wie man den
Kunden beim Erzählen seiner Geschichte noch besser unterstützen könnte. Allein die
lange und intensive Betrachtung bestimmter Fotobücher löst bei den Mitarbeitern
Emotionen aus. Beispielsweise wenn sie spüren, mit welchem Aufwand und mit wie
viel Gefühl diese erstellt wurden. Die Bilder und Stimmungen dienen als Stimuli, um
sich an ähnliche Situationen aus dem eigenen Leben zu erinnern und lösen dadurch die
damals gefühlten Emotionen aus. In einem zweiten Schritt versetzen sich die
Mitarbeiter in die Situation solcher Kunden, um zu überlegen, was den Prozess der
Erstellung im Kern vereinfachen würde. Gleichzeitig überlegen sie sich auch, wie das
gesamte Umfeld von Fotos noch verstärkt durch neue Angebote durchdrungen werden
könnte. Dieses Vorgehen resultierte beispielsweise in Investitionen im
Millionenbereich für ganze Designwelten, die es den Kunden ermöglichen, einen
Event wie eine Hochzeit noch einfacher und in sich stimmig zu gestalten. So ist es
heute möglich von der Einladungskarte über die Tischkarten bis hin zum Menü und
letztendlich den Dankeskarten und dem Fotoalbum mittels CeWe Software zu
designen.
3.3.5 Zusammenfassung
Aufgrund spezifischer Rahmenbedingungen und Eigenheiten der Industrie ist CeWe
Color in der einmaligen Lage, direkt von den Kunden selbst einen Einblick in deren
emotionale Welten zu bekommen. Durch die Identifikation der eigenen Mitarbeiter mit
den Situationen und Geschichten, die in den Fotobüchern erzählt werden, wurden
diese emotionalisiert. Im Zusammenspiel mit den starken multilateralen Netzwerken
mit diversen externen Partnern gelang es, zielgerichtete Ideen zu generieren, welche
einen echten Mehrwert für die Kunden, aber auch das Unternehmen selbst generieren.
88
Fallstudien von Emotionalisierungsprozessen
4 Emotionalisierung in der Filmindustrie
Hollywood gilt als die westliche Filmstätte per se. Betrachtet man den Bereich von
Emotionen, so muss man die visuellen Industrien zwingend berücksichtigen.
Kombiniert mit Musik bietet der Film als audiovisuelles Medium ein exemplarisches
Beispiel dafür, wie Emotionen beim Betrachter konserviert und geweckt werden
können. Daher stellt die Filmindustrie eine geeignete Analogie dar, um Erkenntnisse
über die Emotionalisierung von Mitarbeitern und Kunden zu gewinnen. In 2009 wurde
diese Industrie daher tiefgehend untersucht, um daraus Erkenntnisse für die
Managementpraxis ableiten zu können. Als Untersuchungsobjekt diente eine sorgfältig
ausgewählte Anzahl von Regisseuren, die sich sowohl durch ihren kreativen und
wirtschaftlichen Erfolg wie auch durch ihren Beitrag zur Entwicklung des
Filmemachens auszeichneten bzw. immer noch auszeichnen. Regisseure wurden
deshalb als Untersuchungsobjekt gewählt, weil sie die zentrale Rolle in Bezug auf
Kreativität in der Filmindustrie spielen (Simonton, 2004).
4.1 Selektion der Regisseure und Datensammlung
Die Grundmenge für die Selektion der Forschungsobjekte bildete eine Liste aus 158
Filmen4. Diese setzte sich zusammen aus den Top 100 Filmen geordnet nach Umsatz,
sowie 70 weiteren Filmen, die aufgrund innovativer Technologien und Techniken
ausgewählt wurden. Nach dem Eliminieren von Doppelnennungen blieben 158 Filme
übrig, welche als Grundlage für die folgenden Untersuchungen dienten.
Die Auswahl der erfolgreichsten und kreativsten Regisseure erfolgte auf Grund
erfolgreicher Filme oder ihrem Beitrag zur Entwicklung der Filmindustrie. Der
wirtschaftliche Erfolg der Filme stand genauso im Vordergrund wie deren Kreativität
oder der Einsatz von neuen Technologien und Techniken (bspw. Green Screen, CGI,
Storyline, Schnitt). Da Kreativität definiert ist als etwas das "appropriate observers
independently agree it is creative" (Amabile, 1982), kann der Umsatz (BOS-Box
Office Sales) als Vergleichsgrösse herangezogen werden. Die angemessenen
Beobachter sind die Zuschauer, welche bereit sind, für das Konsumieren des Filmes
Geld auszugeben (Boor, 1992; Vany de und Walls, 1999; Plucker, Kaufman et al.,
2009). Gleichzeitig liegt dieser Annahme zu Grunde, dass Personen eher bereit sind
Geld für etwas Neuartiges, Überraschendes oder besonders Gutes auszugeben, was
wiederum für die Kreativität eines Filmes spricht. Sehen sich also besonders viele
4
Für Angaben zur verwendeten Forschungsmethodik und der Auswertung der Daten siehe Kapitel 1.3.4
(Forschungsmethodik)
Emotional Empathic Event
89
Menschen einen Film an, so ist das ein Hinweis darauf, dass er sich durch bestimmte
positive Merkmale von den übrigen und bisher dagewesenen unterscheidet. Basierend
auf den BOS in US Dollar wurde eine Liste mit den Top 20 Filmen5 erstellt.
Der Umsatz als einzige Kennziffer für die Kreativität eines Filmes zu verwenden ist
nicht ausreichend, da sich Zuschauer nicht nur auf Grund der Neuheit, sprich seines
kreativen Inhalts einen Film ansehen. In verschiedenen Studien wurden denn auch
Korrelationen zwischen dem Produktionsbudget (inkl. Werbeetat) und dem Umsatz
eines Filmes nachgewiesen (Simonton, 2005). Weitere Aspekte, welche den Umsatz
ebenfalls beeinflussen können, sind eine bekannte Geschichte als Grundlage (vgl.
Harry Potter), der Starfaktor von engagierten Schauspielern oder einfach der Zeitgeist,
welcher mit dem Film getroffen wird. Aus diesem Grund wurde der Umsatz nicht als
alleinige Variable gewählt, sondern durch weitere ergänzt. Eine sehr gut
dokumentierte und auch anerkannte Kennziffer für Erfolg und Kreativität ist die
Anzahl an gewonnen Auszeichnungen sowie erhaltene Filmkritiken. Bevor die Anzahl
der gewonnen Auszeichnungen bestimmt werden konnte, mussten die relevanten
Auszeichnungsorganisationen definiert werden. Auf Grund ihres Einflusses wurden
die folgenden Organisationen als relevant erachtet: The Academy of Motion Picture
Arts and Sciences (Oscars), Hollywood Foreign Press Association (Golden Globes),
British Academy of Film and Television Arts (BAFTA) sowie das Festival De Cannes
(Palme d'Or) (Simonton, 2004). Da die definierten Auszeichnungen unterschiedlich
starken Einfluss innerhalb der Branche aufweisen, wurde die Anzahl erhaltener
Auszeichnungen
mit
einem
Gewichtungsfaktor
multipliziert.
Dieser
Gewichtungsfaktor ergab sich auf Grund der Anzahl Google Hits. Suchbegriffe waren
"Academy Awards", "Golden Globes", "BAFTA Film Awards" sowie "Cannes
Awards" (Resultat der Abfrage (19.02.2010) war: Academy Awards 44.2 Mio (0.21
sek) / Golden Globes 38.8 Mio (0.17 sek) / BAFTA Film Awards 0.89 Mio und
Cannes Awards 6.7 Mio (0.29 sek). Die Resultate der Google Hits wiederspiegelte
auch das Ranking von Simonton (2004) bis auf den Unterschied, dass die Goldene
Palme von Cannes mehr Gewicht hat als die BAFTA Film Awards. Um die
Gewichtungsfaktoren zu bestimmen, wurde die Anzahl der Academy Awards Hits mit
dem Maximum auf einer 10 Punkte Skala gleichgesetzt. Die übrigen
Gewichtungsfaktoren ergaben demnach 8.78 für die Golden Globes, 1.52 für die
Goldene Palme von Cannes und 0.2 für die BAFTA Film Awards. Das Produkt des
5
Aufgrund des Zeitraumes sind die in der Zwischenzeit zu den erfolgreichsten Filmen aufgestiegenen Filme
AVATAR oder Alice im Wunderland nicht beinhaltet.
90
Fallstudien von Emotionalisierungsprozessen
Gewichtungsfaktors mit der Anzahl gewonnener Awards ergibt den gewichteten
Award Ratio pro Film.
Jeder Ansatz in sich weist gewisse Mängel auf. Deshalb wurden die beiden Ansätze
noch um einen dritten ergänzt. Neben der Bewertung des Umsatzes erfolgte wie
aufgezeigt eine Bewertung anhand der gewonnenen Auszeichnungen und als drittes
Kriterium wurde eine Liste zusammengestellt, die Filme beinhaltete, die aufgrund
ihrer speziellen Technologien oder Techniken durch Kritiker, in Zeitschriften sowie in
der Community als sehr kreativ bewertet wurden. Um einen gewissen Aktualitätsgrad
herzustellen beinhaltet die dritte Liste vor allem Filme, welche innerhalb der letzten 30
Jahre hergestellt wurden. Aus jeder der drei Listen wurden die 20 Top Filme bestimmt.
Die zu untersuchenden Regisseure wurden aufgrund der Anzahl Nennungen in diesen
drei Listen bestimmt. Insgesamt ergaben sich sieben Regisseure, welche mehr als
einmal genannt wurden. Um eine Untersuchungsmenge von 10 Regisseuren zu
erhalten wurden aus den übrigen mit nur einer Nennung zwei weitere ausgesucht und
eine Wild Card an einen Regisseur vergeben, welcher als sehr kreativ gilt, aber nicht in
den Listen erscheint. Er ist jedoch in der Grundmenge der Top 100 Filme
überdurchschnittlich vertreten.
Kreative Filme
Datenbasis: Top 100 BOS
70 Kreativität
Box Office Sales
Awards
Kritiken / Experten
(Amabile, '82)
(Simonton, '04)
(Besemer & O'Quin, '86)
Top 20
Filme
Top 20
Filme
Top 20
Filme
Top 10 kreative Filmregisseure
Top 7 Regisseure
2 Regisseure mit nur einer Nennung
1 Regisseur mit Wild Card
Abbildung 18: Selektion der relevanten Filmregisseure
Emotional Empathic Event
91
Auf Grund des beschriebenen Prozesses wurden die folgenden Regisseure als
Untersuchungsobjekte definiert (mittels Anzahl Filme in den drei Listen): Steven
Spielberg (6), Peter Jackson (6), James Cameron (5), Robert Zemeckis (4), George
Lucas (3), David Yates (2) and Gore Verbinski (2). Aus den Regisseuren mit nur einer
Nennung wurden Stanley Kubrick (1) und Quentin Tarantino (1) ausgewählt. Die
Wildcard ging an Robert Rodriguez.
4.2 Film-Crew als Innovationsteam
Den F&E-Mitarbeiter, wie er in etablierten Grossunternehmen besteht, findet man in
der Filmindustrie so nicht. Die Industrie ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl von
spezialisierten Playern, welche in einem hoch komplexen Netzwerk zusammenarbeiten. Im Gegensatz zu organisatorischen Strukturen aus dem Unternehmenskontext
muss jeder dieser Player auf seinem Fachgebiet eine hohe Innovationskraft aufweisen.
Sei dies nun die Crew, welche für die Spezialeffekte zuständig ist, die Crew für das
Set oder die Näherinnen, welche die Kleidungsstücke für die Schauspieler
produzieren. Daneben sind natürlich auch noch die ganzen vorgelagerten Stufen zu
erwähnen wie etwa Spezialisten für die Herstellung von 3D-Kamerasystemen. Auch
wenn in neueren Filmen der Anteil an Computer generierten Inhalten (CGI) massiv
zugenommen hat, so bleiben die Schauspieler und Schauspielerinnen nach wie vor
eine der zentralsten Mitarbeiterkategorien für einen Regisseur. Komplett animierte
Filme bilden hier selbstverständlich eine Ausnahme. Auch wenn Animationsfilme
heute noch nicht zu den ganz grossen Blockbustern gehören ist es in Zukunft durchaus
denkbar, dass es für gewisse Projekte gar keine Schauspieler mehr braucht.
Ein Regisseur stellt sich in der Regel für jedes neue Filmprojekt seine passende Film
Crew zusammen, so dass er kein konstantes Team führt. Für die weiteren
Ausführungen sind unter dem Begriff Mitarbeiter jeweils alle involvierten
Netzwerkpartner zu verstehen, da alle in gewisser Weise abhängig vom Regisseur sind
und massgeblich von diesem geführt werden.
4.3 Film als emotionale Sphäre
Die emotionale Sphäre ist in Bezug auf das Untersuchungsobjekt Regisseur eine
zweifache. Einerseits stehen natürlich die Zuschauer im Vordergrund, welche
letztendlich durch den Film, seine Musik und seine Bilder in einen emotionalen
Zustand versetzt werden sollen. Denn Ziel des Mediums Film ist es, die Zuschauer zu
erreichen und in seinen Bann zu ziehen. Es ist also zentral für einen Regisseur sein
92
Fallstudien von Emotionalisierungsprozessen
Publikum zu kennen, um die ihm zur Verfügung stehenden Mittel so einzusetzen, dass
er die gewünschten Reaktionen während des Konsumierens des Filmes im Zuschauer
auslösen kann.
Auf der anderen Seite besteht neben dem Publikum auch die Sphäre der Geschichte
oder des Protagonisten selbst, welcher als eine Art virtueller Kunde verstanden werden
muss. Auch dessen Ansprüche gilt es mit dem Film gerecht zu werden. Denn bei
einem Film dreht sich letztendlich alles nur um die zu Grunde liegende Geschichte,
welche erzählt wird. Im Falle eines noch lebenden Autoren oder einer reellen Person
(falls die Story auf einer wahren Begebenheit basiert) sind selbstverständlich auch
diese als Kunde zu betrachten. Deren Welt stellt gleichzeitig die emotionale Sphäre
dar, in die sich die Mitarbeiter, die Schauspieler im Speziellen, hineinversetzen
müssen. Denn nur wenn ein Schauspieler die Person, welche er oder sie spielen soll,
wirklich versteht und deren emotionale Zustände förmlich spürt oder selbst durchlebt,
wird es gelingen, die Rolle glaubwürdig zu spielen.
Für beide der genannten emotionalen Sphären betreiben die untersuchten Regisseure
einen enormen Aufwand.
Um die Welt des Zuschauers zu verstehen, werden verschiedene Methoden eingesetzt.
Manche Regisseure setzen sich bei ausgewählten Vorführungen unauffällig ins
Publikum, um die Reaktionen auf bestimmte Events live beobachten zu können. Damit
stellen Sie auch fest, ob das Publikum an der vorgesehenen Stelle lacht oder nicht oder
welche Art von Bildern und Musik besonders gut ankommen und welche nicht. Weiter
beschäftigen sich Regisseure, wie James Cameron auch intensiv mit dem Thema
Psychologie und sogar der Gehirnforschung, um mit ihren Filmen einen optimalen
Impact beim Publikum zu erzielen. Gerade in Bezug auf den Einsatz neuer
Technologien ist dies wichtig. James Cameron beispielsweise hat sich vor der
Produktion seines Blockbusters "AVATAR: Aufbruch nach Pandora" intensiv mit der
3D-Technologie beschäftigt. Einerseits hat er mit seiner eigens dafür gegründeten
Firma die heutigen 3D-Kamerasysteme massgeblich entwickelt, auf der anderen Seite
hat er sich aber auch immer gefragt, wie viel 3D der Zuschauer überhaupt verarbeiten
kann. Um eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, hat er sich damit vertraut gemacht
wie die Informationsprozesse im Gehirn ablaufen, welche Informationsflut das Auge
an das Gehirn weiterleiten kann, ohne überlastet zu werden und, ganz wichtig, ohne zu
schnell zu ermüden. Aufgrund dieser Zuschauerforschung hat er sich für einen sehr
dezenten Einsatz von 3D-Effekten entschieden, um zu verhindern, dass die Zuschauer
es als einmalige Attraktion wahrnehmen, im Weiteren aber gerne darauf verzichten
können. Bezüglich psychologischer Aspekte geht es unter anderem darum
Emotional Empathic Event
93
herauszufinden, was den menschlichen Geist anregt und was abstossend wirkt. Dies
spielt im konkreten Fall dann eine Rolle, wenn es darum geht, wie viel Information das
Publikum erhalten soll und wie viel es selbst mitdenken muss oder darf. Gibt man zu
viel, wird es langweilig, gibt man zu wenig, verliert man den Zusammenhang. Es
stellen sich also Fragen nach dem "Wie?" es gelingt, zwischen dem Publikum und der
Geschichte eine emotionale Bindung aufzubauen und für die notwendigen
Überraschungsmomente zu sorgen, die das Publikum erleben möchte.
Weiter gehört auch das intensive Studium des jeweiligen Genres dazu, um zu
erkennen, was denn die relevanten Werte und Markenzeichen für die jeweilige Art
Film sind. Wie ist das Genre entstanden, wer hat es massgeblich geprägt, welche Art
Schnitt wird verwendet und welche Zielgruppe wird damit bedient, sind Fragen,
welche an dieser Stelle gestellt werden müssen. Um dem Zielpublikum noch näher zu
kommen, begeben sich die meisten der untersuchten Regisseure auf Tuchfühlung mit
eingefleischten Fans. Sie führen persönliche Gespräche, um zu erfahren, was sich ein
echter Fan wünschen würde, und lesen Foren, um Anregungen und Kritik der Fans zu
erhalten.
Die emotionale Sphäre für das konkrete Filmprojekt selbst bildet die Geschichte, kurz
die Story. Nach Aussage aller untersuchten Filmregisseure bildet die Story das zentrale
Element, an welchem alle Aktivitäten ausgerichtet werden müssen. Damit dies
möglich ist, müssen alle Beteiligten die Geschichte verinnerlicht und verstanden
haben. Deshalb ist bereits die Auswahl der Geschichte eine zentrale Aufgabe für die
Regisseure. Nur eine Story, welche es erlaubt, eine emotionale Bindung zwischen dem
Thema oder den darin vorkommenden Charakteren aufzubauen, verspricht erfolgreich
zu werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Geschichte selbst geschrieben oder
durch eine Drittperson verfasst wurde. Das Konzept der Empathie ist in diesem
Zusammenhang das Schlüsselelement und findet auf drei verschiedenen Ebenen statt.
Auf der ersten Ebene steht die Empathie für den Autor, um sicherzustellen, dass
wirklich verstanden wurde, was jener dem Leser mitteilen wollte. Ist dies geschehen,
folgt auf der zweiten Ebene die Empathie mit der Geschichte als Ganzes und auf der
letzten Ebene Empathie für die Charaktere, die dargestellt werden sollen. Um einen
erfolgreichen Film produzieren zu können, benötigt es ein tiefes Verständnis auf allen
drei Ebenen. Ist beispielsweise nur die Empathie für die Protagonisten vorhanden,
kann es sein, dass zwar die Schauspieler für ihre Rolle perfekt vorbereitet sind, aber
der Film insgesamt im falschen Kontext und mit der falschen Technologie umgesetzt
wird.
94
Fallstudien von Emotionalisierungsprozessen
Auch wenn Filmemachen in vielen Fällen bedeutet, virtuelle Welten zu erschaffen und
zu zeigen, so ist es aus psychologischer Sicht wichtig, dass die Geschichten so real wie
möglich dargestellt werden. Das Publikum muss glauben können, dass die gezeigten
Elemente real sind, selbst wenn es genau weiss, dass diese computeranimiert sind. Um
realistische Spezialeffekte oder auch zukünftige Technologien im Film darstellen zu
können, unternehmen die untersuchten Filmemacher jeweils eine ausgiebige Suche
nach bereits heute bestehenden Fakten. Es werden Interviews mit Forschern
durchgeführt, welche sich derzeit bereits mit der Materie befassen, es werden aktuell
bestehende Systeme genauestens studiert und Studien zu zukünftigen Trends gesucht
oder selbst erstellt. In bestimmten Fällen wie beispielsweise dem komplett
computergenerierten Gorilla "King Kong" von Peter Jackson, wurden echte
Berggorillas im Zoo sowie der freien Wildbahn genauestens beobachtet, um ihren
virtuellen Artgenossen so real wie möglich darstellen zu können. Ist der Film eine
Dokumentation, gleichen die Vorbereitungen oft jenen des investigativen
Journalismus. Akten werden gelesen, Gespräche mit Zeitzeugen geführt, Fotos und
Bilder gesichtet sowie mit Historikern zusammengearbeitet. In bestimmten Fällen wird
sogar mit heute bestehenden Organisationen, wie beispielsweise der NASA,
zusammengearbeitet, um einen noch tieferen Einblick in Prozesse und Abläufe zu
erhalten.
Selbst wenn gewisse Filmemacher die existierenden Pfade verlassen möchten, um
etwas ganz Neues zu kreieren, so müssen sie sehr genau wissen, was heute bereits alles
existiert. Aussagen verschiedener Regisseure bestätigen, dass es in jedem Fall gewisse
Anknüpfungspunkte für das breite Publikum braucht, damit dieses nicht "abgehängt"
wird.
Erst wenn das Projekt auf allen Ebenen der Empathie verstanden wurde und auch der
notwendige theoretische und praktische Tiefgang bezüglich der Materie vorhanden ist,
können in sich konsistente emotionale Sphären erstellt werden, die es der Crew
erlauben, sich in die für sie relevanten Zustände zu versetzen. Als Sphären dienen
dabei meist reale Sets und Umgebungen, Bilder, Comics, Visualisierungen durch
Designer, Storyboards, Storytelling und Musik.
4.4 Emotionalität am Beispiel der Filmproduktion
Die Initiierung von Emotionalität findet auf zwei Ebenen statt. Einerseits müssen
zuerst die Crew und vor allem die Schauspieler in die entsprechenden Zustände
versetzt werden, um ihre Rollen glaubwürdig spielen oder darstellen zu können und
andererseits soll das Endprodukt Film die Zuschauer emotional berühren und in den
Emotional Empathic Event
95
Bann ziehen. Während für letztere nur das Medium Film inkl. Musik zur Verfügung
steht, ist es für die Crew die gesamte Bandbreite an Instrumenten, die genutzt werden
können, um Emotionen zu fördern. Die untersuchten Beispiele haben denn auch
gezeigt, dass Regisseure alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um die
gewünschte emotionale Bindung herzustellen.
Zu Beginn des Prozesses steht die Auswahl oder das Schreiben der Geschichte, welche
verfilmt werden soll. Bereits hier gibt es unter den Filmemachern verschiedene
Ansätze, wie die Story gefunden oder geschrieben wird. Zum einen sind da die Leser,
welche sich grundsätzlich durch eine Vielzahl von verschiedenen Geschichten
durchlesen, bis sie auf eine stossen, die sie während dem Lesen fasziniert, berührt und
inspiriert. Bereits in jenem Moment startet der Prozess der Emotionalisierung. Fortan
werden Notizen gemacht, um festzuhalten, welche Emotionen, Erinnerungen und
Gefühle während dem ersten Lesen aufkamen. Diese Notizen helfen dem Regisseur
während des ganzen Prozesses dabei, die Perspektive des Zuschauers zu behalten,
selbst nachdem er sich Monate lang intensiv mit der Thematik beschäftigt hat.
Filmemacher, welche ihre Geschichten selbst schreiben, begeben sich oftmals in
verschiedene Situationen, um neue Ideen zu erhalten. Beim einen sind dies
Alltagssituationen, in denen er gezielt den Kontakt zu seinen Kindern und der Familie
sucht, um zu erleben, was denn die Personen beschäftigt, beim anderen ist es der
Rückzug in sein Arbeitszimmer, um sich bei ausgewählter Musik in die Stimmung der
Geschichte versetzen zu lassen. Ist die Story ausgesucht, beginnt für den Regisseur
durch die tiefe Einarbeitung in das Thema der Aufbau einer emotionalen Bindung.
Steven Spielberg beispielsweise berichtet von geradezu spirituellen Erlebnissen, als er
bei den Vorbereitungen von Schindlers Liste die Orte des Geschehens besucht hat.
Der nächste grosse Schritt der Emotionalisierung folgt während den Dreharbeiten mit
den Schauspielern. Denn egal welche Story man erzählt, das Publikum muss sie als
glaubwürdig empfinden. Das heisst nicht im Sinne von, Magie gibt es oder gibt es
nicht, sondern der Kontext, in dem der Film spielt muss glaubwürdig sein. Dazu
David Yates: "I believe once you get the script right, the next biggest challenge is to
make sure that you really feel there’s an emotional truth and an emotional reality to it.
You could be defending some great kingdom from whoever, but you’ve got to believe it
matters to that person you’re seeing on the screen." Damit diese Art der
Glaubwürdigkeit entstehen kann, müssen die Schauspieler mit dem Charakter, den sie
darstellen, praktisch verschmelzen. Um dies zu erreichen, helfen beispielsweise
emotionale Sets. Emotionale Sets sind dabei so zu verstehen, dass mit verschiedenen
Mitteln versucht wird, die Schauspieler in die richtige Stimmung zu versetzen die sie
96
Fallstudien von Emotionalisierungsprozessen
für die nächste Szene benötigen. Dies fängt damit an, innerhalb der Crew
beispielsweise eine gute Stimmung "Happy Sets" zu generieren, geht über speziell
kreierte Kulissen und reale Drehorte, zu individueller Musik in der Kabine bis hin zu
Aktionen wo die Schauspieler tatsächlich in den Zustand versetzt werden, in dem sich
ihr dargestellter Charakter befindet. Im Fall des Untergangs der Titanic berichtet
James Cameron von einer Szene mit der Protagonistin Rose: "[On the set of Titanic]
we simply let Kate [Winslet] think she was nearly drowning. A little sputtering and
coughing does not count in my book, because I have almost drowned several times!"
Sehr oft wird auch das Phänomen beschrieben, dass wenn es gelingt, das richtige
Umfeld zu schaffen, und man den Schauspielern eine gewisse Freiheit lässt, sich
magische Momente einstellen, die nie in einem Drehbuch hätten niedergeschrieben
werden können.
Um das Publikum emotional zu berühren, ist es sehr wichtig, sogenannte emotionale
Anknüpfungspunkte zu kreieren, bei denen der Zuschauer Zeit hat sich mit dem
Filmcharakter zu identifizieren oder ihm nachzufühlen. Solche Anknüpfungspunkte
werden oftmals unterstrichen durch eine spezifische Wahl der Kameraperspektive,
dem Ort des Geschehens, einer bestimmten Hintergrundmusik, einem ausgeklügelten
Lichtkonzept oder eines speziellen Schnitts.
4.5 Zusammenfassung
Die Filmindustrie an sich und Hollywood im Speziellen gelten als eine der kreativsten
und emotionalsten Industrien überhaupt. Doch wie die durchgeführte Untersuchung
gezeigt hat, verdient das Filmbusiness nicht nur Geld mit Emotionen, sondern nutzt
diese zielgerichtet und erfolgreich auch für sich selbst. Von Beginn eines
Filmprojektes an haben Emotionen einen zentralen Stellenwert sowohl im Hinblick auf
die späteren Zuschauer als auch auf den Prozess des Filmemachens selbst. Ausgehend
von einem sehr tiefen und weitreichenden Verständnis für das, was der Autor mit der
Geschichte bewirken wollte, für die Geschichte selbst aber auch für die Charaktere, die
darin vorkommen, gelingt es den erfolgreichsten Regisseuren sogenannte emotionale
Sets zu kreieren. Dadurch sind sie in der Lage, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich die
gesamte Crew mit der Story identifizieren und emotional binden kann. Neben einer
tiefen Empathie für die Geschichte braucht es jedoch auch eine gewisse theoretische
und praktische Expertise in der Thematik, in welcher der Film spielt. Wird
beispielsweise ein Unterwasserfilm gedreht, ist es absolut zentral, dass man sich mit
der Materie Wasser und Tauchen intensiv auseinandersetzt. Denn nur wenn die
Geschichten glaubwürdig wirken, gelingt es, die gewünschten emotionalen Reaktionen
Emotional Empathic Event
97
beim Publikum auszulösen. Dabei machen sich die untersuchten Regisseure nicht nur
filmspezifisches Wissen zu Nutze, sondern auch Erkenntnisse aus der Psychologie und
der Gehirnforschung. Durch eine gezielte Kombination dieser Erkenntnisse gelingt es
die notwendigen Stimuli für die Crew zu initiieren, damit diese konkrete Ideen und
Lösungen generiert, um die gewünschten Reaktionen beim Publikum auszulösen. Sehr
stark wird das Konzept emotionaler Sets in der Zusammenarbeit mit Schauspielern
eingesetzt. Es dient aber auch Komponisten, Designern, Graphikern, Konstrukteuren
und vielen mehr als Ausganspunkt für die Umsetzung ihrer spezifischen Aufgaben.
Der Regisseur selbst spielt dabei die Rolle des Kommunikators und Koordinators,
welcher die emotionalen Welten der Crew immer und immer wieder vermittelt.
Die Erhebung und Aufbereitung der Fallstudien sowie die Analyse am Beispiel der
Filmindustrie lieferten Erkenntnisse, die eine erste Adaption des anfänglichen
Referenzmodells bedingen. Als Stimulus wurden in den Fallstudien nicht blosse
Informationen über die Zukunft verwendet, sondern darauf basierende virtuell erstellte
Kunden. Das heisst die vorhandenen Informationen wurden in Form von abstrakten
Kunden und deren Bedürfnissen aufbereitet. Weiter zeigen die einzelnen Fallstudien
und die Betrachtung der Filmindustrie, dass die Stimulierung der Prozessbeteiligten
innerhalb künstlich geschaffener "Emotionalen Kundenwelten" stattfand. Die
Emotionalisierung geschah dabei nicht zufallsbasiert, sondern bedingte einen
Emotionalisierungsprozess. Für die detaillierte und zielgerichtete Auswertung der
Fallstudien werden diese Dimensionen deshalb im Referenzmodell adaptiert
(Eisenhardt, 1989).
F&E
Mitarbeiter
Nicht
fokussierte
Kreativität
Virtueller Kunde
der Zukunft
Emotionalisierter
F&E Mitarbeiter
Fokussierte
Kreativität
Emotionale
Kundenwelt
Ziele
Standards
Einstellungen
Identifikation /
Transformation
Stimulus
Prozess der Emotionalisierung
Abbildung 19: Adaptiertes Referenzmodell
98
Determinanten der Emotionalisierung
5 Determinanten der Emotionalisierung
In diesem Kapitel wird, aufbauend auf einer Zusammenfassung der Einzelfallstudien,
das ursprüngliche Referenzmodell weiter adaptiert und die Determinanten für
erfolgreiche Emotionalisierungsprozesse innerhalb der F&E herausgearbeitet.
Da die Gefahr besteht, dass Ergebnisse aus den Einzelfallauswertungen auf vorschnell
gefassten Meinungen basieren, ist es von zentraler Bedeutung, dass sich der
Forschende dieser Probleme bewusst ist und sie versucht zu verhindern (Eisenhardt,
1989). Um mögliche Unzulänglichkeiten zu vermeiden, ist die sorgfältige Betrachtung
der Daten aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlichen Methoden
unabdingbar.
Im Gegensatz zu den Einzelfallstudien zwingt das strukturierte Vergleichen aus
unterschiedlichen Perspektiven den Betrachter dazu, vordergründig gewonnene
Eindrücke zu hinterfragen und zu verwerfen. Gleichzeitig wird die Glaubwürdigkeit
und Verlässlichkeit der entwickelten Theorie gesteigert. Das strukturierte Vergleichen
erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, neue Erkenntnisse zu finden, die möglicherweise
in den erhobenen Daten verborgen sind (Eisenhardt, 1989), und somit einen Beitrag
zur Erweiterung der bestehenden Wissensbasis zu liefern.
Um die Qualität sowie die Konstruktvalidität zu erhöhen, erfolgt die vergleichende
Fallstudienanalyse mit einem steten Abgleich zwischen den erhobenen Daten und der
existierenden Theorie der Emotionalisierung. Wo notwendig werden auch ergänzende
Quellen mit einbezogen (Gibbert und Ruigrok, 2010).
5.1 Faktorenspezifischer Fallstudienvergleich
Um die anschliessende Fallstudienanalyse vorzubereiten und die Lesbarkeit und
Vergleichbarkeit der Fallstudien zu erhöhen, werden die wichtigsten Faktoren der
Einzelfallstudien im folgenden Abschnitt zusammengefasst und veranschaulicht.
Dabei werden jeweils die vorhandenen Gemeinsamkeiten und Unterschiede
hervorgehoben. Die Aufbereitung der Einzelfallstudiengegenüberstellung orientiert
sich an den folgenden Fragestellungen:
• Durchführung der Emotionalisierung
o Was sind die Hauptziele hinter der Durchführung
Emotionalisierungsprojekten?
o Wie ist die Emotionalisierung auf Prozessebene strukturiert?
von
Emotional Empathic Event
99
• Organisation der Emotionalisierung
o Welche Arten der Emotionalisierung werden verwendet?
o Wer ist in Emotionalisierungsprozesse involviert?
• Was sind die Rahmenbedingungen für Emotionalisierungsprozesse?
o Welche Stellung nehmen solche Prozesse innerhalb der F&E ein?
o Was sind Treiber und Erfolgsfaktoren für Emotionalisierungsprozesse?
5.1.1 Strategische Faktoren von Emotionalisierungsprojekten
Die Initiierung des Projektes, welches die Kundenbedürfnisse der Zukunft in den
Vordergrund stellte und gleichzeitig alle involvierten Stellen und Kompetenzbereiche
integrierte, ging bei der Automobil AG klar vom Topmanagement aus. Dabei war das
Projekt in eine konzernweite Initiative zur Etablierung eines integrativen
Innovationsprozesses eingebettet. Der Zeithorizont, für welchen die Ergebnisse des
Projektes Gültigkeit haben sollten, war auf 10-15 Jahre festgelegt. Die dadurch
bestehende Topmanagementunterstützung gab der Projektleitung den notwendigen
Rückhalt, um gegenüber den Linienvorgesetzen die Forderung nach den besten und
geeignetsten Mitarbeitern vorzubringen und auch durchzusetzen. Ziel des Projektes
war, neben der konkreten Ideengenerierung, auch die Verbreitung der zentral
entwickelten Zukunftsbilder und Trends innerhalb des Konzerns und seiner Bereiche.
VW-Moonraker wurde explizit vom Topmanagement als strategische Initiative ins
Leben gerufen, um den amerikanischen Markt zu erforschen und daraus
Anforderungen an zukünftige Fahrzeugmodelle abzuleiten. Der Zeithorizont, für
welchen das Projekt Ergebnisse generieren sollte, war auf 10 Jahre festgelegt. Das
Projekt war eine Initiative des damaligen Vorstandsvorsitzenden und wurde explizit
ausserhalb der bestehenden Strukturen aufgesetzt und durchgeführt. Die dazu
gesprochenen Ressourcen und Freiheitsgrade ermöglichten es dem Projektteam, völlig
unbelastet und mit neuen Ansätzen an die Problemstellung heranzugehen. Gleichzeitig
wurde auch die Sichtbarkeit innerhalb des Konzerns erhöht und die Ergebnisse für
andere Bereiche nutzbar gemacht.
Sowohl der Entscheid, die Digitalisierung des Geschäftes von CeWe Color wie auch
jener ein Projektteam in die Kundenwelten eintauchen zu lassen, waren strategischer
Natur und vom Topmanagement initiiert. Beide Initiativen verfolgten das Ziel, ein
tiefes Verständnis für neue Bereiche aufzubauen und daraus Ideen für neue Produkte
und Services zu generieren. Während es in Bezug auf die Digitalisierung vor allem um
neue Technologien und deren Potential ging, war es im hier beschriebenen Projekt das
Ziel, ein tiefes Verständnis für die emotionale Welt des Kunden zu entwickeln, um
100
Determinanten der Emotionalisierung
daraus Anforderungen für zukünftige Produkte zu generieren. Der Zeithorizont für die
Ergebnisse aus dem Kundenweltenprojekt lag zwischen sofort umsetzbar und fünf
Jahren.
Prozesse zur Emotionalisierung der Schauspieler, des Publikums und sich selbst sind
für erfolgreiche Filmregisseure ein strategisches Ziel, um ihre Visionen konkret
umzusetzen. Projekte zur Emotionalisierung der Crew werden stets durch den
verantwortlichen Regisseur initiiert und umgesetzt. Dabei geniest der Filmemacher in
der Mehrheit der Fälle auch den Support von den verantwortlichen Investoren und
Produzenten. Emotionalisierung ist in Bezug auf den Erfolg des Produktes Film eine
strategische Zielgrösse, weshalb solche Prozesse im ganzen Planungsprozess eine
prominente Stellung einnehmen und entsprechend Ressourcen zugesprochen erhalten.
5.1.2 Prozessuale Faktoren von Emotionalisierungsprojekten
Der Prozess der Emotionalisierung von F&E-Mitarbeitern findet bei der Automobil
AG nicht zu Beginn des allgemeinen Innovationsprozesses statt. Die eigentliche
Ideengenerierung ist damit nicht Startpunkt des Innovationsprozesses, sondern wird
erst nach diversen Vorbereitungsschritten durchgeführt. Dennoch findet die
Emotionalisierung innerhalb der Innovationsfrühphase statt. Erst nachdem die
zukünftigen Kundenbedürfnisse definiert und konkret ausformuliert wurden, beginnt
der Prozessschritt Ideengenerierung. Dieser Schritt selbst ist wiederum in diverse
Subprozessschritte unterteilt. Basierend auf den Ergebnissen der vorgelagerten
Aktivitäten wurden in der Phase 0 die Rahmenbedingungen festgelegt, Entscheide
betreffend dem zu involvierenden Teilnehmerfeld getroffen und die abstrakten
zukünftigen Kundenbedürfnisse in physisch erlebbare Kundenwelten transformiert.
Erst danach wurden die F&E-Mitarbeiter in vier entscheidenden Phasen in den Prozess
integriert. Zuerst wurden vorhandene Ideen und Konzepte von den F&E-Mitarbeitern
abgefragt, um einen möglichst unvoreingenommenes Generieren von Ideen zu
gewährleisten. Anschliessend folgte eine mündliche Einführung in die emotionalen
Zukunftswelten, um die F&E-Mitarbeiter auf die erlebbaren Kundenwelten
vorzubereiten. Erst im dritten Schritt erfolgte die eigentliche Emotionalisierung der
F&E-Mitarbeiter durch erlebbare Raumkonzepte und Kurzgeschichten, bei
gleichzeitiger Ideengenerierung. Dieser Schritt wurde von den Teilnehmern
selbständig durchlaufen. In einem letzten Subprozessschritt wurden die generierten
und selektierten Ideen unter Anleitung von Experten vertieft.
Emotional Empathic Event
101
"Lebe in der Welt des Kunden, um ihn zu verstehen" könnte man als Motto dem
Prozess von VW-Moonraker geben. Das Projekt, und somit auch der Prozess, fanden
vollkommen ausserhalb der Standardinnovationsprozesse bei VW statt. Nur
systematisch durchgeführte Meetings gewährleisteten den Transfer der gewonnen
Erkenntnisse in die Standardabläufe des Konzerns. Phase 0 des Projektes diente der
Projektleitung für die Vorbereitung sowie der Auswahl des Projektteams. Der Prozess
der Emotionalisierung begann für das Team mit einer Vorbereitungsphase, in welcher
die einzelnen Teammitglieder sich gegenseitig kennen lernten, mit
Hintergrundinformationen versorgt und in diversen Methoden geschult wurden. Nach
einer kurzen Eingewöhnungsphase in Amerika folgte die eigentliche
Emotionalisierung durch die aktive Interaktion mit Land und Menschen. Erkenntnisse
wurden zusammengetragen verdichtet und als zukünftige Lebenswelten in physische
Raumkonzepte transformiert. Die Generierung von Ideen war nicht eine separate und
in sich abgeschlossene Phase, sondern fand während der gesamten Phase der
Emotionalisierung statt. Dies war auch so von der Projektleitung erwünscht. In einer
dritten Phase wurden die generierten Ideen und Konzepte durch eine Evaluation in der
Realität mit ausgewählten Communities überprüft und anschliessend adaptiert. Im
Falle des Moonraker-Projektes wurden einzelne Ideen ganz konkret im Konzept Car
GX3 umgesetzt. Die letzte Phase bildete die Kommunikation der Ergebnisse zurück in
den Konzern.
Bei CeWe Color ist der Prozess der Emotionalisierung der F&E-Mitarbeiter zur
Generierung von Ideen, eingebunden in den allgemeinen Innovationsprozess und
grundsätzlich fester Bestandteil davon. Phase 0 beinhaltete die Auswahl der
Beteiligten durch das Topmanagement. Danach wurden bestehende von Kunden
produzierte "emotionale" Fotowelten betrachtet, um daraus in einer zweiten Phase
Ideen für neue oder verbesserte Produkte und Services zu generieren.
In
der
Filmindustrie
spielt
Emotionalität
während
des
gesamten
Filmerstellungsprozesses eine wichtige Rolle. Dabei werden Ideen nicht in einer
einzelnen zentralen Phase des Erstellungsprozesses generiert, sondern an
verschiedenen Stellen sporadisch erzeugt. Grundsätzlich orientiert sich die
Emotionalisierung der Crew an einigen markanten Projektschritten. Bereits in der
Phase 0 spielt die Emotionalisierung des Regisseurs selbst eine wichtige Rolle. Dabei
versetzt sich der Regisseur durch verschiedene Ansätze und Methoden in einen
Zustand, in dem er emotional auf die zu erzählende Geschichte eingestimmt ist.
Bereits die Auswahl des Projektes ist ein emotionaler Prozess. Anschliessend folgt
eine Phase der Vertiefung mit der Materie, der Geschichte sowie den Beteiligten, um
102
Determinanten der Emotionalisierung
während der Phase der Filmerzeugung die geeigneten Massnahmen treffen zu können.
Dies geschieht ebenfalls, um punktuelle emotionale Welten zu kreieren, die es der
Crew erlauben Ideen für konkrete Problemstellungen zu entwickeln. Eine Vertiefung
und Vorbereitung findet aber nicht nur in Bezug auf die Crew statt, sondern auch in
Bezug auf den späteren Betrachter, das Publikum. Denn Ziel eines Regisseurs ist es
den Kunden emotional an die verfilmte Geschichte zu binden. Aufgrund der
Vertiefung und der daraus gewonnen Erkenntnisse werden am Set emotionale Welten
geschaffen, die sowohl die Schauspieler als auch die Crew in die emotionale Welt der
Charaktere einbinden. Eine eigentliche Phase der Ideengenerierung gibt es nicht.
Während des gesamten Erstellungsprozesses werden an verschiedenen Stellen und auf
verschiedenen Ebenen Ideen für konkrete Problemstellungen generiert.
Die
folgende
Tabelle
fasst
die
prozessualen
Faktoren
von
Emotionalisierungsprozessen fallstudienweise zusammen und stellt sie einander
gegenüber.
Emotional Empathic Event
103
Tabelle 3: Prozessuale Faktoren von Emotionalisierungsprozessen
Automobil AG
VW-Moonraker
CeWe Color
Filmindustrie
Ebene
• Strat.
Konzerninitiative
• Strat.
Konzerninitiative
• Strat.
Produktentwicklung
sinitiative
• Projektspezifisch
Ort der
Initiierung
• Konzernbereich
Zukunftsforschung
• Initiierung durch
Vorstand
• Top-Management
• Regisseur
(Projektleiter)
Support
• Top-Management
• Top-Management
• Top-Management
• "TopManagement"
Fokus des
Projektes
• Inventionsgenerier
ung Produkt- und
Featureideen
• Marktverständnis und
Konzeptideen
• Produkt- und
Featureideen
• Performancesteigerung,
Ideengenerierung
Integration
• Standardprozess
• Stand alone
• Standardprozess
• Stand alone /
punktuell
Prozessschritte
• Vorbereitung
• Vorbereitung
• Emotionalisierung
• Vorbereitung
• Emotionalisierung
• Emotionalisierung
• Ideengenerierung
• Emotionalisierung
• Ideengenerierung
• Konzeptentwicklung
• Kommunikation
• Umsetzung
• Kommunikation
• Kommunikation
Art und
Weise
• Workshopkonzept
• Projekt
• Projekt
• Event
Zeitfaktor
• 5 mal 2 Tage
• 16 Monate
• n.a.
• Minuten bist Tage
Zeithorizont
Projekt
• 10-15 Jahre
• 10 Jahre
• bis 5 Jahre
• aktuell
Diffusion
•
•
•
•
• Präsentation vor
Top-Management
• Präsentationen,
Studien,
Konzeptstudien, Filme
• Eingabe in
Standardprozess,
Präsentation vor
Top-Management
• "Storytelling"
Strategie
Prozess
104
Determinanten der Emotionalisierung
5.1.3 Organisatorische Faktoren von Emotionalisierungsprojekten
Die Automobil AG emotionalisierte ihre F&E-Mitarbeiter in mehreren Schritten,
mittels unterschiedlicher Methoden und auf verschiedenen Ebenen. In einem ersten
Schritt wurden die Teilnehmer durch die entsprechenden Führungskräfte selektiert.
Dabei kann bereits die Auswahl bei den Betroffenen Emotionen auslösen. Der gesamte
Workshop wurde an einem atypischen Ort ausserhalb der gewohnten Automobil AG
Umgebung durchgeführt, was die F&E-Mitarbeiter auf einer persönlichen Ebene
beeinflusste. Innerhalb des eigentlichen Ideengenerierungsprozesses wurden drei Arten
der Emotionalisierung verwendet. Zuerst wurden die F&E-Mitarbeiter durch
mündliche Stimulation und Schilderungen mit den Konzepten und Trends der Zukunft
vertraut gemacht. Die Emotionale Zukunftswelt wurde anschliessend mittels
schriftlicher Stories aus dem Leben eines zukünftigen Kunden sowie durch sinnlich
wahrnehmbare und konkret erlebbare Raum und Erlebniskonzepte umgesetzt.
Eine starke, auf einer persönlichen Ebene stattfindende Emotionalisierung war das Ziel
des Projektes Moonraker. Die Teilnehmer sollten sich selbst als Kunden fühlen,
indem sie sich wie (potentielle) Kunden verhielten oder aktiv an deren Leben
teilnahmen. Dabei wurden Methoden eingesetzt, die sowohl geistig als auch physisch
stimulierend waren. Die Dauer des Projektes sowie die physische Dislokation der
Projektmitglieder in die Welt des amerikanischen Kunden ermöglichte eine sehr
ausgeprägte und starke Emotionalisierung auf einer persönlichen Ebene.
Bei CeWe Color fand die Emotionalisierung hauptsächlich auf einer intellektuell
abstrakten Ebene statt. Die F&E-Mitarbeiter versuchten durch das intensive Studium
von Werken, die durch bestehende Kunden selbst erstellt wurden, sich in diese
hineinzuversetzen. Allein durch das Betrachten von Bildergeschichten wurde ein
Kundenverständnis aufgebaut, welches zu Ideen für neue Produkte und
Dienstleistungen führte.
In der Filmindustrie findet die Emotionalisierung der Crew jeweils auf der
persönlichen wie auch auf der beruflichen Ebene statt. Auf der beruflichen Ebene steht
die sorgfältige Selektion der Filmcrew im Vordergrund. Die hier untersuchten
Regisseure ordnen der Zusammenstellung der Crew einen besonderen Stellenwert zu.
Auf persönlicher Ebene werden vielfältige Methoden und Instrumente eingesetzt, um
während des gesamten Prozesses die einzelnen Akteure gezielt in emotionale Zustände
zu versetzen. Neben kognitiven Methoden wie Storytelling und Musik werden auch
physisch erlebbare Instrumente wie "Happy Sets", Raum- und Lichtkonzepte,
Experimente und konkrete Erlebnisse genutzt.
Emotional Empathic Event
105
5.1.4 Personelle Faktoren von Emotionalisierungsprojekten
Im Sinne des integrierten Innovationsprozesses bei der Automobil AG wurde aus
allen betroffenen Konzernbereichen und Tochtergesellschaften Mitarbeiter für dieses
Projekt ausgewählt. Es waren Personen aus den Bereichen Nutzfahrzeuge, Elektronik,
Strategie, Innovation, Umwelt, Werkstoffe, Patentmanagement, Design,
Konzeptentwicklung und Vorentwicklung involviert. Für die Durchführung und
Moderation des Prozesses war ein externer Partner zuständig. Auch für die Umsetzung
der Raumkonzepte der emotionalen Zukunftswelten waren externe Akteure
verantwortlich. Das Topmanagement war vor allem zu Beginn sowie am Ende des
Prozesses stark involviert und fungierte in verschiedenen Promotorenrollen.
Das Moonraker Projekt wurde grundsätzlich während der gesamten Dauer nur von
einem kleinen Kernteam durchgeführt. Dieses setzte sich aus Vertretern der
verschiedensten Bereiche zusammen. So waren Personen aus dem Interieur, Exterieur,
Elektronik, Konstruktion, Design und Marketing involviert. Geführt wurde das Team
durch einen Projektleiter, welcher zuvor bei einer Konkurrenzfirma tätig war. Initiiert
wurde das Projekt direkt durch das Topmanagement. Neben dem Kernteam wurden
punktuell auch andere Akteure einbezogen. Insbesondere die Umsetzung zukünftiger
Lebensräume wurde durch externe Partnerfirmen durchgeführt, welche bei der
Umsetzung sehr grosse Freiheiten hatten. Daneben wurden verschiedene Experten zu
Spezialthemen integriert oder befragt. Eine zentrale Rolle spielten firmeneigene
Einrichtungen vor Ort, wie das lokale Designstudio.
Das Projektteam bei CeWe setzte sich grundsätzlich aus einem Kern von
Produktmanagern und drei F&E-Mitarbeitern zusammen. Initiiert wurde das Projekt
von
einem
interdisziplinär
besetzten
Entscheidungsgremium
auf
Topmanagementebene, dem so genannten Release Control Board.
Im Falle der Filmindustrie ist einzig der Regisseur eine konstante Grösse innerhalb
des Emotionalisierungsprozesses. Er wirkt dabei im Sinne eines Topmanagers als
Initiator, Projektleiter, Experte sowie Berater, wenn es darum geht, einzelne
Crewmitglieder oder ganze Gruppen emotional zu beeinflussen. Neben der
eigentlichen Crew werden auch diverse externe Experten punktuell beigezogen oder
wo notwendig befragt.
Die
folgende
Tabelle
fasst
die
organisationalen
Faktoren
von
Emotionalisierungsprozessen zusammen und stellt die Fallstudien einander gegenüber.
106
Determinanten der Emotionalisierung
Tabelle 4: Organisationale Faktoren von Emotionalisierungsprozessen
Automobil AG
VW-Moonraker
CeWe Color
Filmindustrie
Ausgestaltung
• Raumkonzept, Stories,
Licht- und Farbkonzepte,
Event
• Event,
Raumkonzepte
• Kundenkreationen
• Raum-,
Lichtkonzepte,
Story, Musik
Vermittlung
• Audio, Visuell, Erlebnis
• Audio, Visuell,
Erlebnis, Real Life
• Visuell
• Audio, Visuell,
Erlebnis
Verarbeitung
• intellektuell / virtuell
• physisch /
erlebbar &
intellektuell /
virtuell
• intellektuell /
virtuell
• physisch /
erlebbar &
intellektuell /
virtuell
Emotionale
Ebene
• beruflich und persönlich
• beruflich und
persönlich
• persönlich
• persönlich
Kundenwelt
•
Akteure
Zusammensetzung
• interdisziplinär
• inter-disziplinär
• inter-disziplinär
• bilateral
Bereiche
• F&E
• Interieur
• Produktmanager
• Regisseur
• Strategie
• Exterieur
• F&E
• gesamte Crew
• Elektronik
• Elektronik
• Design
• Design
• Konstruktion
• Umwelt
• Design
• Konzeptentwicklung
• Marketing
• Vorentwicklung
•
• Patentmanagement
• Werkstoffe
• Nutzfahrzeuge
• Hauptkonzernmarken
• Externer Moderator
Projektleitung
• Bereich
Zukunftsforschung
• Projektleiter
• n.a.
• Regisseur
Selektion
Akteure
• freiwillig und durch
Bereichsleitung
• freiwillig und
durch
Projektleitung
• durch RCB Board
• durch
Regisseur
Emotional Empathic Event
107
5.1.5 Konklusion der vergleichenden Fallstudienanalyse
Durch die strategische Stellung war die Abteilung Zukunftsforschung und
Trendtransfer geeignet, um ein Emotionalisierungsprojekt zu initiieren. Als
Konzernbereich verfügte sie über die notwendige Vernetzung innerhalb des Konzerns
und hatte den notwendigen Topmanagement-Support, um ein interdisziplinäres und
markenübergreifendes Projekt durchzuführen. Die strategische Initiative zur
Integration der konzernweiten F&E-Aktivitäten bildete den Rahmen und war
gleichzeitig auch Legitimation für einen solchen Prozess. Das Projekt war in den F&EProzess der Abteilung integriert und diente den teilnehmenden Bereichen sowie der
Abteilung Zukunftsforschung als konkreter Ideengenerierungsprozess. Dieser Prozess
fand ausserhalb der bereichsinternen F&E-Prozesse statt. Da die Abteilung
"Zukunftsforschung" nicht mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet wurde, um
die Ideen konkret umzusetzen, wurden die teilnehmenden Bereiche verpflichtet, sich
am Ende des Projektes für eine konkrete Idee zu entscheiden. Deshalb wurden die
entwickelten Top-Ideen soweit detailliert und konkretisiert, dass sie von den
umsetzenden Bereichen problemlos übernommen werden konnten. Für diesen Prozess
erfolgsrelevant war die spezifische Aufbereitung von Informationen über
Zukunftstrends und -bedürfnisse. Daraus konnte der virtuelle Kunde der Zukunft und
anschliessend dessen emotionale Zukunftswelten generiert werden. Ebenfalls
erfolgsrelevant war der Prozess der Emotionalisierung durch die Umsetzung der
abstrakten Kundenwelten in konkrete Raumkonzepte sowie die zur Verfügung
gestellten personellen, zeitlichen und finanziellen Ressourcen.
Das Projekt Moonraker fand komplett losgelöst von den übrigen
Innovationsprozessen innerhalb des Konzerns und dessen Marken statt. Die
teilnehmenden Mitarbeiter wurden für dieses Projekt komplett von ihren bisherigen
Funktionen freigestellt. Den Rahmen für das Projekt bildete die strategische Initiative,
um den amerikanischen Markt besser zu verstehen, um dadurch eine erhebliche
Absatzsteigerung zu erzielen. Die Ergebnisse und Einsichten die während des
Projektes erarbeitet wurden, dienten den übrigen Konzernbereichen und Marken als
Informations- und Ideenplattform. Punktuell gab es konkrete Ideen- und
Umsetzungsprojekte mit anderen Innovationsabteilungen. Die interdisziplinäre
Zusammensetzung des Teams, die spezifische Vorbereitungsphase, die zur Verfügung
gestellten personellen, finanziellen und zeitlichen Ressourcen sowie die
Kommunikation der Ergebnisse waren entscheidende Erfolgsfaktoren.
Das Projekt bei CeWe Color wurde auf Initiative des Top-Managements ausgelöst
und hatte einen strategischen Hintergrund. Es wurde als Ideengenerierungsprozess
108
Determinanten der Emotionalisierung
aufgesetzt, dessen Ergebnisse anschliessend in den Standardprozess eingespeist
werden sollten. Aufgrund der engen Zusammenarbeit von F&E, Produktion und
Produktmanagement sowie der Grösse von CeWe war gewährleistet, dass die
Ideengeber anschliessend auch an der Umsetzung beteiligt waren. Zentraler
Erfolgsfaktor war der intensive Prozess zur Auswertung der Kundenbilder. Dieser
ermöglichte den Projektbeteiligten tief in den virtuellen Kunden einzudringen. Als
weitere Erfolgsfaktoren sind die Interdisziplinarität, die systematische
Herangehensweise sowie die schnelle Umsetzung zu sehen.
Emotionalisierungsprozesse in der Filmproduktion sind immer Teil eines konkreten
Filmprojekts. Durch die intensive Beschäftigung mit der zu erzählenden Geschichte
gelingt es in verschiedensten Situationen und auf verschiedenen Ebenen, konkrete
Emotionen zu erzeugen, welche dem Gesamtprojekt dienlich sind. Zentraler
Erfolgsfaktor ist die Erstellung von emotionalen Welten, in welche sich Schauspieler
und Crew hineinbegeben. Die grosse Interdisziplinarität, die Einbindung diverser
Experten, die finanziellen Mittel sowie die Erfahrungen des Regisseurs und der
Crewmitglieder werden als relevante Erfolgsfaktoren betrachtet.
Die genaue Betrachtung der Einzelfallstudien führte zu Erkenntnissen über
Gestaltungselemente, welche für die betrachteten Emotionalisierungsprozesse relevant
sind, da sie als generell (in verschiedenen Kontexten) auftretende Merkmale
bezeichnet werden können.
Allen untersuchten Fallstudien ist gemeinsam, dass sie im Rahmen von strategischen
Initiativen stattgefunden haben. Dabei wurden die Ziele und Entscheidungen jeweils
durch das Top-Management vorgegeben und getroffen6. Gleichzeitig wurde in allen
Beispielen auch der Support durch das Top-Management sichergestellt. Dieser war
wichtig, um die notwendigen Ressourcen zu erhalten. Die Resultate des Prozesses oder
Projektes mussten in allen Fallbeispielen dem Top-Management vorgestellt werden.
Bei Automobil AG beispielsweise mussten sich entsprechende Kader dazu
verpflichten eine, für ihren Bereich relevante, Topidee im Anschluss an das Projekt
umzusetzen.
Neben der strategischen Verankerung ist auch die Verortung und Ausgestaltung des
Emotionalisierungsprozesses eine relevante Dimension. Während sich der Zeithorizont
für die erwarteten Resultate der Prozesse und Projekte deutlich unterscheidet, ist allen
Prozessen gleich, dass ihnen eine Phase der Vorbereitung vorausging. Dies auch dann,
wenn der Emotionalisierungsprozess die Startphase des Standardinnovationsprozesses
6
In Bezug auf die Filmindustrie wird der Regisseur mit dem Top-Management gleichgesetzt, da er je nach
Produktionskonzept die Hauptverantwortung für den Film trägt.
Emotional Empathic Event
109
bildete. Die Ausgestaltung der einzelnen Vorbereitungsphasen weist jedoch grosse
Unterschiede auf.
Im Fokus aller Prozesse stand eine effektivere Ideengenerierung im Hinblick auf den
Kunden der Zukunft. Es wurde in allen Fällen bewusst keine direkte Interaktion mit
bestehenden Kunden im klassischen Sinne durchgeführt, da davon ausgegangen
wurde, dass heutige Kunden nur einen beschränkten Mehrwert in Bezug auf
zukünftige Bedürfnisse beitragen können. Dennoch wurde erkannt, dass der Kunde
und dessen emotionale Einbindung in die eigene Produktwelt für den zukünftigen
Erfolg von entscheidender Bedeutung sein werden. Dies führte dazu, dass der virtuelle
Kunde der Zukunft durch verschiedene Konzepte abgebildet und den jeweiligen
Teilnehmern vermittelt wurde. Bei der Automobil AG beispielsweise wurde dies durch
konkrete Raum-, Licht- und Farbkonzepte gemacht. Der Kunde der Zukunft wurde
jedoch nicht als menschliches Wesen abgebildet, sondern abstrakt durch seine
emotionalen Zustände dargestellt. In Bezug auf die Ausgestaltung und Durchführung
des Emotionalisierungsprozesses sind ebenfalls Unterschiede feststellbar.
Als weitere zentrale Dimension für die erfolgreiche Durchführung von
Emotionalisierungsprozessen wurden die teilnehmenden Akteure erkannt. In drei der
vier Fallstudien wurden ausschliesslich interdisziplinäre Teams gebildet, welche
sowohl Vertreter aus der F&E wie auch aus dem Marketing oder Design beinhalteten.
Im Filmindustrie-Case wurden neben interdisziplinären Teams auch noch konkrete
bilaterale und sogar individuelle Emotionalisierungsprozesse durchgeführt.
Neben den notwendigen Rahmenbedingungen stellt der Emotionalisierungsprozess
den eigentlichen Kern dar. Die Ergebnisse zeigen zwei prozessspezifische
Gestaltungsdimensionen. Diese Dimensionen sind die Emotionale Kundenwelt sowie
die Art der Vermittlung (Stimulus) dieser Kundenwelt an die involvierten Akteure. In
jeder Fallstudie wurden Kundenwelten dazu verwendet, eine emotionale Identifikation
zwischen den Akteuren und dem Kunden der Zukunft herzustellen. Die Aufbereitung
und Ausgestaltung dieser Welten unterscheidet sich teilweise deutlich. Dennoch waren
es Kundenwelten, welche in allen vier Beispielen als Stimulus genutzt wurden. Auch
bei der Art des Stimulus, sprich wie die Kundenwelten den Akteuren vermittelt
wurden, gibt es entscheidende Unterschiede. Während im einen Fall abstrakt
konstruierte Raumkonzepte verwendet wurden, war es in der Filmindustrie das
praktische Erleben der identischen Situation des zu spielenden Charakters. Ein
weiterer Unterschied wurde in Bezug auf die Prozessschritte, sprich die Dauer der
Stimuli festgestellt. Sind bei Automobil AG mehrere Prozessschritte über verschiedene
mehrtägige Workshops verteilt, so sind es in der Filmindustrie punktuelle Events.
110
Determinanten der Emotionalisierung
Alle Fallstudien zeigen auf, dass die Diffusion der Ergebnisse des
Emotionalisierungsprozesses von entscheidender Bedeutung ist. Dies nicht nur
gegenüber dem verantwortlichen Top-Management, welches auf Grund der
strategischen Bedeutung an den Resultaten interessiert ist, sondern auch gegenüber
den umsetzenden Geschäftseinheiten und Abteilungen.
Strategie
Virtueller Kunde
der Zukunft
Emotionale Kundenwelt
Diffusion
F&E
Mitarbeiter
Emotionalisierter
F&E Mitarbeiter
Ziele
Standards
Einstellungen
Identifikation /
Transformation
Stimulus
Emotionalisierung
Abbildung 20: Referenzmodell mit Gestaltungsdimensionen
Im Folgenden werden die in der vergleichenden Fallstudienanalyse herausgearbeiteten
Gestaltungsdimensionen vertieft und mit der relevanten Literatur verglichen.
Entsprechend dem Forschungsziel dieser Arbeit werden diejenigen Determinanten für
die Emotionalisierung der F&E-Mitarbeiter identifiziert und entwickelt, welche im
Unternehmenskontext gestaltet und beeinflusst werden können.
Emotional Empathic Event
111
5.2 Erfolgsfaktoren des Emotionalisierungsprozesses
Die vergleichende Fallstudienanalyse hat gezeigt, dass es neben dem eigentlichen
Emotionalisierungsprozess auch eine Anzahl konkreter Rahmenbedingungen braucht,
um solche Prozesse erfolgreich durchführen zu können. Dies wird auch in
verschiedenen Beiträgen bestätigt. Es wurde aufgezeigt, dass ein erfolgreiches
Innovationsmanagement nicht nur den eigentlichen Ideengenerierungs- und
Ideenumsetzungsprozess betrifft, sondern alle Aktivitäten in Bezug auf die Planung,
Organisation, Durchführung und Kontrolle der betrieblichen F&E-Aktivitäten
beinhaltet (Albers und Gassmann, 2005). Die beiden Elemente Planung und
Organisation beinhalten die Gestaltungselemente der Innovationsstrategie, der
strukturellen Ausgestaltung und Integration einzelner Innovationsprozesse sowie
Human Ressource Management (HR)-Aufgaben. Diese drei Elemente haben auf den
Erfolg konkreter Emotionalisierungsprozesse einen entscheidenden Einfluss, weshalb
sie im Folgenden vertieft betrachtet werden.
Basierend auf den Erkenntnissen aus der Fallstudienanalyse werden im Folgenden
zuerst die relevanten Gestaltungselemente beschrieben, die es als Rahmenbedingungen
für solche Prozesse benötigt. Anschliessend werden die prozessspezifischen
Gestaltungselemente näher betrachtet.
5.2.1 Klare Strategie
Eine spezifische Innovationsstrategie gilt als Erfolgsfaktor für eine effiziente und
effektive betriebliche Innovationsaktivität. Dabei ist es notwendig, dass die
Innovationsstrategie, auch F&E-Strategie genannt, nicht komplett losgelöst vom
restlichen
Unternehmenskontext
gefasst
wird.
Als
eigentliche
Funktionsbereichsstrategie muss die Innovationsstrategie in die Strategien des
übergeordneten Bereiches sowie die Unternehmensstrategie integriert und aus ihnen
abgeleitet werden. Gleichzeitig muss die Innovationsstrategie auch mit einer
möglicherweise bestehenden Technologiestrategie abgestimmt werden, um einen
entsprechenden Fokus bilden zu können. Bullinger und Renz in (Albers und
Gassmann, 2005) ordnen der Innovationsstrategie vier Substrategien zu, welche sich
gegenseitig beeinflussen und somit voneinander abhängig sind. Die Substrategien sind:
Eigenerstellungs- oder Akquisitionsstrategie (Make-or-Buy), Eigennutzung- oder
Vermarktungsstrategie (Keep-or-Sell), technologische Führer- oder Folgerstrategie
(Leader-or-Follower) sowie die sequentielle oder parallele Problemlösungsstrategie.
112
Determinanten der Emotionalisierung
Im Fokus dieser Arbeit liegt ein besonderes Gewicht auf der Substrategie Make-orBuy. Ein wichtiges Gestaltungselement ist das Woher die Ideen- und Innovationen
stammen sollen. "Make" und "Buy" sind dabei als Eckpunkte auf einem Kontinuum zu
verstehen. Durch den Paradigmenwechsel von Closed-Innovation zu Open-Innovation
(Chesbrough, 2003) hat sich das Gewicht in der wissenschaftlichen Betrachtung stark
in Richtung "Buy" verschoben. Dabei stellen aktuelle Beiträge grossteils
Kooperationsformen mit Externen in den Vordergrund. Ob eine Öffnung des
Innovationsprozesses eine Chance oder Gefahr darstellt, muss im Einzelfall durch ein
entsprechendes Gremium entschieden werden. Bezogen auf Technologien muss
unterschieden werden, ob es sich dabei um eine Schlüssel- oder Basistechnologie
handelt. Grundsätzlich gilt die Annahme, dass eine Öffnung im Bereich von
Basistechnologien sinnvoller ist, da sie weniger Gefahren birgt. Eine solche
Unterscheidung kann auch in Bezug auf die Innovationshöhe gemacht werden. Dabei
wird unterschieden zwischen radikalen und inkrementellen Innovationen. Es gilt auch
hier die Annahme, dass eine Öffnung in inkrementellen Innovationsprojekten weniger
komplex und mit geringeren Gefahren verbunden ist. Die Harmonisierung der
Innovationsstrategie mit der Bereichsstrategie sowie der Unternehmensstrategie ist
wichtig, um die notwendige Unterstützung des Top-Managements zu sichern.
Beide Automobil-Fallstudienprojekte waren direkt in der Konzernstrategie verankert
und durch Gremien aus dem Top-Management initiiert und abgesegnet worden.
Dadurch war es den Projektteams möglich, ihre Ressourcenansprüche gegen
konkurrierende Projekte durchzusetzen. Gleichzeitig wurde dadurch auch die
Unterstützung der teilnehmenden Bereiche gesichert. Auch bei CeWe Color wurde das
Projekt durch das Top-Management initiiert und das Projektteam musste seine
Resultate vor diesem Gremium präsentieren und rechtfertigen. In der Filmindustrie
war es der Regisseur, welcher die jeweiligen Prozesse initiierte und kontrollierte.
In allen untersuchten Fallstudien wurde explizit die Strategie gewählt, die
gewünschten Innovationen mit internen Ressourcen zu entwickeln. Dies obschon alle
untersuchten Firmen (teilweise extensiv) den Ansatz eines offenen
Innovationsparadigmas verfolgten und noch immer verfolgen.
Neben der beschriebenen Integration in die übergeordnete Firmen- oder
Konzernstrategie und die Top-Management-Unterstützung stehen hinter
Emotionalisierungsprozessen zwei grundlegende strategische Ziele. Einerseits soll
mittels Emotionalisierungsprozessen die Effektivität und andererseits die Effizienz der
internen Ideengenerierungsprozesse gesteigert werden. Im Folgenden werden deshalb
Emotional Empathic Event
die beiden Perspektiven Effektivität und
Emotionalisierungsprozesse vertiefend behandelt.
113
Effizienz
in
Bezug
auf
Effektivität (Die richtigen Ideen finden): Die Durchführung von
Emotionalisierungsprozessen ist, aus einer Effektivitätsperspektive betrachtet, auf das
Generieren der "richtigen" Ideen ausgerichtet. Der Prozess wird dazu genutzt, bereits
in der Innovationsfrühphase die richtigen Ideen zu finden und zu selektieren. Dadurch,
dass die Mitarbeiter in eine emotionale Kundenwelt versetzt werden, wird ein gewisser
Marktfokus induziert. Im Prinzip findet eine virtuelle Art der Kundenintegration statt.
Die Marktorientierung dient dabei als Instrument zur Risikoreduktion, da die
Erfolgswahrscheinlichkeit der umzusetzenden Ideen gesteigert werden soll. Die
Effektivitätsperspektive richtet sich deshalb nicht an den bestehenden technologischen
Kompetenzen aus, sondern an neuen, für das Unternehmen interessanten
Anwendungsfeldern. Durch die sehr gezielte Teamzusammensetzung wird die
Effektivität in Bezug auf die Auswahl der richtigen Ideen gesteigert. Diese werden
anschliessend zu Konzepten weiterentwickelt. Durch die vorhandenen Kompetenzen
und die Integration der verschiedenen am Prozess beteiligten Abteilungen wird
sichergestellt, dass anschliessend an die Ideengenerierung auch die richtigen Ideen
ausgewählt werden. Die Intention dahinter ist, dass die dadurch ausgewählten Ideen
durch ihre breite Abstützung nicht nur Marktbedürfnisse besser treffen, sondern in der
unternehmensinternen Umsetzung auch auf weniger Wiederstand stossen.
Effizienz (Wissen aktiv verbreiten und nutzen): Im Zentrum der
Effizienzperspektive stehen die Kompetenzen und das Netzwerk der involvierten
Bereiche, Abteilungen und Mitarbeiter. Eine Effizienzsteigerung wird dabei auf
mehreren Ebenen angestrebt. Durch das Erstellen von emotionalen Kundenwelten
werden in einer ersten Phase die im Unternehmen vorhandenen Marktdaten
zusammengetragen und mit der Strategie abgeglichen. Dabei wird aufgedeckt, welche
Stellen sich im Unternehmen mit den relevanten Zukunftsthemen befassen und ob
dieselben Themen mehrfach bearbeitet werden. Mögliche Redundanzen werden
aufgedeckt. Durch das anschliessende Erstellen der emotionalen Zukunftswelten
werden die zusammengetragenen Informationen in einer Form aufbereitet, welche die
zielgerichtete und effiziente Vermittlung erlaubt. Dadurch kann der Wissenstransfer
der marktbeobachtenden Elemente in die F&E reibungsloser gestaltet werden als durch
den üblichen Abgleich von Lasten-/Pflichtenheft. Dieser viel beschriebene
Transferprozess zwischen Marketing und F&E ist sehr anfällig für Reibungsverluste,
weshalb neben Job Rotation oft auch die Schaffung einer speziellen Stelle für diesen
Wissenstransfer gefordert wird (Rice, O'Connor et al., 1998). Neben einer effizienten
114
Determinanten der Emotionalisierung
Informationsnutzung von im Unternehmen vorhandenen Informationen über die
Zukunft
und
potentielle
Kunden
wird
durch
die
interdisziplinäre
Teamzusammensetzung auch deren Nutzung effizienter gestaltet. Denn durch die
persönliche Identifizierung mit den erstellten emotionalen Zukunftswelten des Kunden
werden die oft abstrakten und sehr marketinglastig aufbereiteten Marktinformationen
für alle Beteiligten verständlicher. Dies ermöglicht die spätere Weiterverbreitung der
relevanten Informationen in den verschiedenen Abteilungen. Die Teilnehmer werden
zu Wissensträgern und Ambassadors der generierten Konzepte und deren
zugrundeliegenden Kundenwelten. Neben der effizienten Informationsnutzung und verbreitung werden Emotionalisierungsprozesse auch aufgrund der erhofften
Effizienzsteigerung in Bezug auf den Umsetzungsprozess initiiert. Denn durch die
interdisziplinäre Teamzusammensetzung können relevante Informationen bereits in
einer Ideenvertiefungsphase zusammengetragen werden. Als relevante Informationen
gelten Angaben zu möglichen Kompetenzträgern (intern/extern), bereits laufenden
Initiativen zu gleichen Themen, Informationen zu Patenten, Stand der Technik etc.
Anhand dieser Informationen können generierte Ideen schneller und bereits in einem
frühen Stadium fundiert bewertet werden. Dies ermöglicht die gezieltere Platzierung
der Ideen in den für die Umsetzung verantwortlichen Bereichen und verkürzt die
Time-to-Market. Die Einbindung wirkt sich effizienzsteigernd aus, wenn sie
relevanten Entscheidungsträgern dabei hilft, langwierige administrative Hürden
abzubauen.
5.2.2 Enger Fokus
Fokussierung auf die Ideengenerierung: Alle hier untersuchten Projekte fanden
ausserhalb der standardisierten Innovationsprozesse statt, waren aber durch
verschiedene strukturelle Massnahmen mit diesen verknüpft. Bei der Automobil AG
sowie im Projekt Moonraker waren die ausführenden Projektteams nicht mit den
notwendigen Ressourcen und Kompetenzen ausgestattet, um die entwickelten Ideen in
eigener Regie umzusetzen. Die Ideen mussten deshalb über verschiedene
Schnittstellen in die betroffenen operativen Bereiche eingespeist werden. Dies wurde
durch Massnahmen wie Roadshows, Präsentationen vor Entscheidungsgremien oder
die Entwicklung erster Prototypen sichergestellt. Bei CeWe Color wurde die
Verknüpfung durch die direkte Einbindung des für die spätere Umsetzung
verantwortlichen Projektleiters sichergestellt. In der Filmindustrie wurde die
Verknüpfung mit dem Gesamtprozess durch die direkte Einbindung des Regisseurs
sichergestellt. Da der Fokus bei allen Emotionalisierungsprojekten vorwiegend auf der
Emotional Empathic Event
115
Generierung neuer Ideen lag, mussten die erarbeiteten Ergebnisse anschliessend an die
operativen Einheiten "verkauft" werden.
Das Management von Ideen innerhalb des unternehmerischen Kontextes ist nicht nur
auf die Generierung von Ideen beschränkt, sondern auch auf deren Anerkennung,
Evaluation und Selektion (Vandenbosch, Saaticioglu et al., 2006). Diverse
wissenschaftliche und praxisbezogene Beiträge betonen die Wichtigkeit der
prozessualen als auch der kulturellen Komponente, die für ein erfolgreiches
Ideenmanagement wichtig sind. Aus der prozessualen Sicht ist auffallend, dass
entwickelte Ideen in sehr zeitaufwändigen Prozessen auf verschiedenen Ebenen
vorgestellt werden müssen und eingehend überprüft werden. Amabile (1998) nennt
diesen Umstand explizit als Faktor, der sich negativ auf die Kreativität auswirkt, da er
das Level der intrinsischen Motivation der Teilnehmer senkt. Teammitglieder die
bereits zu Beginn des Kreativitätsprozesses wissen, dass die Ideen anschliessend
während Monaten oder Jahren im System verschwinden und von Personen evaluiert
werden, die nicht über das entsprechende Wissen und Verständnis verfügen, werden
nicht bereit sein, sich mit grossem Enthusiasmus am Prozess zu beteiligen.
Ideengenerierungsprozesse müssen deshalb von Beginn an auf die Verwertung der zu
entwickelnden Ideen ausgerichtet werden und gleichzeitig für alle Beteiligten
transparent sein. In kultureller Hinsicht benötigt ein erfolgreiches Ideenmanagement
ein Umfeld, welches offen ist für neue Ideen, egal ob sie von einem selbst oder von
ausserhalb stammen. Um das sogenannte Not-Invented-Here-Syndrom (NIH) zu
überwinden, werden in der Literatur neben einer Kultur der Offenheit und des
Vertrauens auch die Rolle von Promotoren oder Sponsoren sowie die Bedeutung von
angemessenen Anreizsystemen und Kommunikationsstrukturen beschrieben (Nonaka
und Takeuchi, 1995; Amabile, 1998; Jassawalla und Sashittal, 1998; Lapierre und
Giroux, 2003). Nach Amabile et al. (1996) ist das Arbeitsumfeld ebenso wichtig für
Kreativität wie die individuellen Fähigkeiten und Prädispositionen der Akteure. Denn
nur durch ein günstiges Arbeitsumfeld kann die Anschlussfähigkeit von Ideen
sichergestellt werden, um letztendlich innovative Lösungsansätze in konkrete
Produktkonzepte zu überführen.
Fokussierung auf Features und Applikationen: Bei der Automobil AG, CeWe Color
und Moonraker stand explizit das Generieren von Ideen zu neuen Produktfeatures und
Applikationen im Fokus, in der Filmindustrie überwiegte der Bezug auf die
Performancesteigerung der jeweiligen Prozessergebnisse. Dabei ist auffallend, dass in
keinem der betrachteten Projekte der Fokus auf eine konkrete Technologie gelegt
wurde, sondern auf abstrakte Konstrukte wie Applikationen oder Funktionalitäten.
116
Determinanten der Emotionalisierung
CeWe Color beispielsweise beschäftigte sich seit Jahren mit den Auswirkungen, die
eine fortschreitende Digitalisierung auf das Kerngeschäft hat und in Zukunft noch
haben wird. Obwohl die digitalen Technologien heute zu CeWe Colors
Kernkompetenzen zählen, ist die Ideengenerierung nicht auf diese Technologien
beschränkt. Im Zentrum steht nicht die Technologie an sich, sondern das Ergebnis,
sprich der konkrete Kundennutzen der damit erzeugt wird. Generiert eine neue oder
andere Technologie denselben Nutzen und ist sie der bestehenden in den relevanten
Dimensionen überlegen, zögert CeWe Color nicht, auf eine neue Technologie
umzuschwenken. Der Fokus auf das Resultat rührt bei CeWe Color daher, dass die
Industrie, in der sich das Unternehmen befindet, seit Bestehen bereits mehrere
tiefgreifende Veränderungen auf Grund des technologischen Wandels erlebt hat.
Obwohl Technologieführerschaft immer schon ein Merkmal des Unternehmens war,
wird nach der Devise gehandelt, den Kunden zu befähigen, Emotionen und
Geschichten in Form von Bildern zu erzählen und zu konservieren. Erst danach wird
nach Technologien gesucht, die bei der Umsetzung dieser Aufgabe helfen. Auch in der
Filmindustrie liegt der Fokus nicht auf der eingesetzten Technologiebasis, sondern auf
der Wirkung, welche dadurch bei den Zuschauern erzielt werden kann.
Die Fokussierung auf Ergebnisse, Nutzen, Applikationen und Funktionen kann
Unternehmen dazu befähigen, den Wert ihrer Produkte zu steigern. Es ist deshalb
sinnvoller, sich auf vorhandene Kompetenzen mit Bezug auf Applikationen und
Funktionen zu beziehen, als auf technologische Kompetenzen, die möglicherweise für
den wirtschaftlichen Erfolg der letzten Jahre verantwortlich waren (Zeschky, 2009).
Der Fokus auf die Wirkung, sprich den Nutzen von Produkten bedeutet gleichzeitig
auch eine Ausrichtung der Innovationsaktivitäten am Kunden. Unternehmen lösen sich
dadurch von ihrer produktzentrierten Sichtweise und konzentrieren sich auf die
Fähigkeiten, welche für die Entwicklung dieser Produkte notwendig waren (Hamel
und Prahalad, 1994).
5.2.3 Innovations-Akteure
Die Entscheidung, die Projekte und Prozesse mit internen Ressourcen durchzuführen,
führt zur Frage der vorhandenen Ressourcen. Die untersuchten Firmen haben sich
allesamt für interdisziplinäre Teams entschieden, welche für die Zeitspanne des
Ideengenerierungsprozesses zusammengeführt wurden (physisch und teilweise auch
organisatorisch). Anschliessend sollten alle wieder in ihre angestammten Bereiche
zurückkehren. Im Projekt Featuregenerierung der Automobil AG sowie bei CeWe
Color kehrten alle Mitarbeiter wieder in ihre angestammten Bereiche zurück.
Emotional Empathic Event
117
Dies war beim Projekt Moonraker nicht der Fall. Verschiedene Mitarbeiter verliessen
nach dem Projekt das Unternehmen und machten sich unter anderem selbständig, da
sich eine Reintegration auf Grund der Dauer des Projektes als sehr schwierig
herausstellte. Da Filmprojekte immer von zeitlich begrenzter Dauer sind, wurde
lediglich das Verweilen in der Crew während dem restlichen Verlauf des Projektes
betrachtet. Aufgrund der Spezifika sehr kurzer, punktueller und bilateraler
Emotionalisierungsprozesse war die Ausprägung der Interdisziplinarität relativ gering,
jedoch in vielen Fällen vorhanden. Beispielsweise benötigt es zur Erzeugung einer
speziellen Atmosphäre am Filmset, neben Bühnenbildnern auch Ton- und
Lichtdesigner. Die Entscheidung, interdisziplinäre Teams zu bilden, wurde in den drei
Fallstudien mit Unternehmenskontext getroffen, obwohl alle drei Firmen über eigene,
spezialisierte F&E-Einheiten verfügten. Bei der Automobil AG wurde diese
Entscheidung im Zuge der konzernweiten Bestrebungen getroffen, die F&EAktivitäten der einzelnen Bereiche und Marken stärker in jene der zentralen F&E zu
integrieren. Als weiteren Grund nannten alle drei Unternehmen die Ziele, die mit dem
Projekt verfolgt wurden. Sowohl bei der Automobil AG als auch bei Moonraker war
dies das Generieren von Ideen zum Gesamtfahrzeug, respektive die Entwicklung eines
Gesamtfahrzeugkonzeptes. Bei CeWe Color war das Ziel die Weiter- oder
Neuentwicklung der bestehenden Software. CeWe Color nannte als Grund für die
Interdisziplinarität explizit die direkte Beteiligung aller möglicherweise betroffenen
Bereiche. Damit sollte eine breitere Sichtweise auf die Problemstellung gewährleistet
werden. Gleichzeitig wurden spätere Kommunikationsprobleme zwischen den
beteiligten Bereichen minimiert. Bei den Projekten im Automobilbereich wurden
explizit verschiedene Funktionsbereiche und Personen mit verschiedenen
Fachkompetenzen eingebunden. Die Führung und Moderation der Projekte bei CeWe
Color, Moonraker und in der Filmindustrie wurde mehrheitlich durch
unternehmensinterne Kräfte sichergestellt. Bei der Automobil AG-Featuregenerierung
wurden zusätzlich noch externe Fachkräfte für die Ausgestaltung und Moderation der
Ideengenerierungsprozesse beigezogen. Das Topmanagement war in allen
Fallbeispielen von Anfang an involviert und in wichtige Entscheidungen eingebunden.
Die Intensität der Einbindung des Topmanagements war jeweils zu Beginn und Ende
der Projekte am grössten.
Der Einsatz von interdisziplinären, auch multidisziplinär genannten, Teams innerhalb
der Neuproduktentwicklung wird in diversen wissenschaftlichen Beiträgen
beschrieben und befürwortet (McDonough 2000; Vissers und Dankbaar, 2002). Unter
interdisziplinären Teams werden dabei Personengruppen verstanden, welche aus
verschiedenen funktionalen Bereichen stammen, wie beispielsweise dem Marketing,
118
Determinanten der Emotionalisierung
Engineering oder der Produktion. Solche Teams sind in der Regel zeitlich von
beschränkter Dauer und oftmals projektspezifisch zusammengestellt. Neben der
besseren interfunktionalen Integration werden die Vorteile von interdisziplinären
Teams in den folgenden Gebieten gesehen: Sie unterstützen eine bessere externe
Kommunikation (sprich Verbreitung der Ideen innerhalb des Unternehmens); sie
machen den NPD-Prozess responsiver für externe Informationen; sie erhöhen die
Anzahl und Vielfalt der generierten Ideen; sie garantieren eine grössere
Informationsvielfalt für die involvierten Mitarbeiter und sie verhindern Probleme bei
der späteren Umsetzung (Vissers und Dankbaar, 2002). Das Gegenteil von
interdisziplinären Teams sind die reinen F&E-Teams, deren Dauer üblicherweise nicht
zeitlich begrenzt ist. Vor allem innerhalb der letzten zwei Dekaden haben
Untersuchungen zu interdisziplinären Teams stark zugenommen. Verschiedene
Beiträge stellen dabei die Effizienz und Effektivität von interdisziplinären Teams in
Frage, da es neben der besseren internen Vernetzung verschiedener Funktionsbereiche,
noch eine Reihe weiterer Perspektiven gibt, aus welcher diese Teams betrachtet
werden können. In Einklang mit dem Fokus dieser Arbeit ist dabei die
Kreativitätsperspektive von besonderer Bedeutung.
Kreativität wird weitgehend als ein persönliches Phänomen verstanden (Sternberg,
1999), das zur Generierung von Ideen, sogenannten Inventionen oder Gelegenheiten
(Wecht, 2006) führt. Die in der Definition enthaltenen Bestandteile "neu" und
"brauchbar" (Amabile, 1982) weisen jedoch auf den sozialen Charakter der Kreativität
hin. Während der kreative Prozess weitestgehend intrapersonell abläuft, findet die
Bewertung des Ergebnisses immer in einem sozialen Umfeld statt. Es stellen sich
daher die Fragen nach dem Grad der Neuigkeit (wie neu) und dem Publikum, für
welches es neu ist (für Wen neu) (Johannessen, Olsen et al., 2001). Dadurch, dass in
einem interdisziplinären Team Personen mit verschiedenen Hintergründen und
unterschiedlicher Fachkompetenz aufeinandertreffen, stellt sich ebenfalls die Frage
nach der Innovationshöhe, die durch solche Teams erreicht werden kann. Denn werden
die Teams mehr aus unternehmenspolitischer Sichtweise zusammengesetzt kann es
sein, dass gewisse Teammitglieder lediglich als Repräsentanten ihrer Bereiche
fungieren. Teammitglieder multifunktionaler Teams haben oft konkurrierende soziale
Identitäten und Loyalitäten, da sie dazu tendieren, sich sowohl sozial als auch
psychologisch mehr mit ihrer Funktion, als mit dem Unternehmen zu identifizieren
(Holland, Gaston et al., 2000). Zusätzlich wird durch eine hohe Interdisziplinarität die
Kommunikation unter den Teilnehmern erschwert, weshalb Verständigungsprobleme
als Problembereich bekannt sind. Bezogen auf die Beurteilung der Neuheit der Ideen
Emotional Empathic Event
ist Interdisziplinarität ebenfalls problematisch, da die übrigen
möglicherweise nicht über das notwendige Fachwissen verfügen.
119
Teilnehmer
Weitere Hindernisse für interdisziplinäre Teams sind: widersprüchliche
organisationale Zielvorgaben, der Kampf um Ressourcen, überlappende
Verantwortlichkeiten, widersprüchliche persönliche Ziele, mangelnde Kooperation
und keine klaren Richtungsvorgaben oder Prioritäten (Holland, Gaston et al., 2000). 80
% der von Holland et al. befragten Personen gaben an, dass Konflikte zwischen den
Zielen des Teams und den funktionalen Vorgaben das grösste Hindernis darstellen
würden. Grösstenteils fehlt es an der notwendigen Zeit oder den notwendigen
Ressourcen, um sich erfolgreich in ein interdisziplinäres Team einzubringen. Der
Faktor Zeit ist jedoch zentral, da er nicht nur für die Ausführung bestimmter Aufgaben
wichtig ist, sondern auch für die Identifizierung mit dem Team. Eine Identifikation
geschieht in der Regel nur dann, wenn das Team lange genug besteht. Mit dem
Zeitfaktor einher geht der Aufbau einer gewissen Absorptive Capacity (Vissers und
Dankbaar, 2002), welche benötigt wird, um auf Ideen eingehen zu können, die nicht
von einem selbst stammen. Das Teammitglied muss also bereit sein, eine gewisse Zeit
der "Untätigkeit" zu opfern, um währenddessen Inputs von anderen Teammitgliedern
zu erhalten.
Als Erfolgsfaktoren für interdisziplinäre Teams identifizieren Holland et al. (2000) 13
Faktoren, welche in sechs unterschiedliche Bereiche aufgeteilt sind. Die sechs
Bereiche sind Aufgabenstellung, Teamzusammensetzung, Unternehmenskontext,
interne Prozesse, externe Prozesse und gruppenpsychologische Aspekte. Die
wichtigsten Erfolgsfaktoren sind Team Empowerment ( und damit kein
Mikromanagement durch die vorgesetzte Stelle), Kundenfokus, der richtige
funktionale Mix, strategische Ausrichtung der beteiligten Bereiche, Ressourcen und
Übergeordnete Ziele für das Gesamtteam.
Kern der hier untersuchten Fallbeispiele ist der eigentliche Prozess der
Emotionalisierung und Ideengenerierung. Während die Ideengenerierung in den
Fallbeispielen grösstenteils durch bekannte Kreativitätsmethoden unterstützt wurde,
stellt der Prozess der Emotionalisierung den Kern dieser Forschungsarbeit dar. Denn
in der bisherigen Literatur spielten Emotionen in Bezug auf die F&E-Mitarbeiter eine
marginale Rolle und stellen daher ein neues Phänomen dar. Die folgenden
Ausführungen
beziehen
sich
deshalb
auf
die
Kernelemente
des
Emotionalisierungsprozesses. Diese sind einerseits die Erstellung einer Emotionalen
Kundenwelt als Grundlage der Emotionalisierung, und andererseits die Vermittlung
dieser Welt an die F&E-Mitarbeiter.
120
Determinanten der Emotionalisierung
5.2.4 Emotionale Kundenwelt
Allen Fallbeispielen ist gemeinsam, dass sie als Ausgangspunkt ihrer
Ideengenerierungsprozesse den zukünftigen Kunden und seine Bedürfnisse definieren.
Sie tun dies jedoch nicht gemäss dem vorherrschenden Stage-Gate-Prozess, in
welchem die Marktforschung Kundenbedürfnisse erhebt und dann in Form eines
Pflichtenheftes der F&E vorstellt. Die untersuchten Firmen und Projekte verwendeten
einen Ansatz, welcher über die bekannte interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen
Marketing und F&E hinausgeht. Durch Introspektion und Empathie wurden vor allem
die technischen Entwickler direkt in den zukünftigen Kunden hineinversetzt, um
dadurch sequentielle Schnittstellen zu überbrücken. Dies geschah durch die
Konstruktion von emotionalen Kundenwelten. Durchgeführte Studien und Arbeiten
der verschiedensten Marktforschungsabteilungen wurden zu abstrakten, aber dennoch
erlebbaren Szenarien zusammengefasst oder die F&E-Mitarbeiter direkt in die reale
Welt der Kunden entsandt.
Bei der Automobil AG wurden Informationen aus der Trendforschung, den
Marktforschungsabteilungen sowie externen Quellen in der Abteilung
Zukunftsforschung gesammelt und zu Szenarien, Stories, Farbkonzepten und
Wortkreationen zusammengefasst. Das zentrale Sammeln und Verdichten der
Informationen garantierte die Ausrichtung an den strategischen Vorgaben des
Konzerns. Die verdichteten Informationen waren so detailliert, dass konkrete
Lebensläufe und Bedürfnisstrukturen für virtuelle Kunden erstellt werden konnten. Sie
ermöglichten es einem Team von Innendekorateuren konkrete Raumkonzepte zu
erstellen. Während des Projektes Moonraker wurden ebenfalls solche Räume erstellt.
Der Schwerpunkt des Projektes lag jedoch darauf, die eigenen Entwickler direkt in die
Welt von bestehenden und latenten Kunden hineinzuversetzen. Die Entwickler sollten
sehen, erleben und fühlen, wie es der Kunde tut. Ebensolche Konzepte wurden auch in
der Filmindustrie eingesetzt. Mit intensiver Lektüre, individuellem Coaching, realen
Drehorten, Lichtkonzepten sowie Musikeinsatz wurden die Schauspieler und
Mitarbeiter in die richtige emotionale Stimmung versetzt, um ihre Charaktere
entsprechend verkörpern zu können.
Die Intention hinter diesen Ansätzen war es, den Kunden direkt in die Köpfe der F&EMitarbeiter zu implementieren, um ein grösstmögliches Kundenverständnis durch eine
persönliche Identifikation von Seiten F&E-Mitarbeiter zu gewährleisten.
Emotional Empathic Event
121
5.2.5 Vermittlung der Emotionalen Kundenwelt
Die Schaffung und Kreation von emotionalen Kundenwelten alleine genügte nicht, um
Mitarbeiter zielführend durch den Ideengenerierungsprozess zu steuern. Die
konstruierten Welten mussten deshalb kontextspezifisch und ausgerichtet auf das Ziel
des Ideengenerierungsprozesses vermittelt werden. Diese Vermittlung fand bei allen
untersuchten Fallstudien in einem mehr oder weniger strukturierten Prozess statt. Die
Ausgestaltung des Prozesses variierte in verschiedenen Dimensionen. Grundsätzlich
lassen sich die Emotionalisierungsprozesse in vier zentrale Phasen unterteilen. In einer
ersten Phase wurde in allen Fallbeispielen die emotionale Kundenwelt erstellt. Bei der
Automobil AG wurden dazu sämtliche verfügbaren Informationen bezüglich
Marktforschung, Zukunftsforschung und gesellschaftlicher Trends gesammelt,
ausgewertet und verdichtet. Ergebnis dieser Phase waren einzelne Metatrends, aus
denen wiederum Trendausprägungen und Bedürfnisanforderungen an das Fahrzeug
abgeleitet wurden. Der Fall Moonraker weist bei der Erstellung der emotionalen
Zukunftswelten weniger klare Abgrenzungsmerkmale auf wie die Automobil AG.
Dennoch lässt sich festhalten, dass den verschiedenen Ideengenerierungsphasen immer
eine tiefgehende Vorbereitung vorausging, welche zur Erstellung von Filmen,
Bedürfnisanforderungen oder auch Raumkonzepten führte. Speziell erwähnenswert
sind dabei der direkte Kontakt mit bestehenden und potentiellen Kunden sowie das
Eintauchen der Projektmitglieder in die private Welt von ausgewählten Amerikanern.
Bei CeWe Color fand vor der eigentlichen Ideengenerierung eine tiefgehende Analyse
einer Vielzahl von Kunden hergestellten Fotobüchern statt.
Die Integration von Kunden in den Innovationsprozess gilt als positiv und wird in
diversen wissenschaftlichen Beiträgen auch nachgewiesen (von Hippel, 1986; Gruner
und Homburg, 1999; Gassmann, Enkel et al., 2005; Wecht, 2006). Dennoch gilt eine
allgemeine und uneingeschränkte Einbindung nicht als empfehlenswert. Deshalb
wurden die ursprünglichen Erkenntnisse und Gedanken zu sogenannten Lead-Usern in
verschiedensten Beiträgen analysiert und spezifiziert. Neben spezifischen
Kundenrollen wurden auch Kundenintgrationsmethoden entwickelt, die aufzeigen,
wann welche Art der Kundenintegration sinnvoll ist und wann nicht. Diese
Vertiefungen des Lead-User-Ansatzes nach von Hippel (1986) führten zur Erkenntnis,
dass sich die Integration von Kunden in radikale Innovationsprojekte sehr viel
schwieriger gestaltet, als dies bei inkrementellen Innovationen der Fall ist. Grund
dafür ist die Tatsache, dass es für radikale Ideen oft noch gar keine Kunden gibt, da
Märkte oder Anwendungsmöglichkeiten noch nicht vollständig spezifizierbar sind.
122
Determinanten der Emotionalisierung
Um den Kundenfokus dennoch sicherzustellen, nutzen Unternehmen verschiedenste
Informationsquellen zur Antizipation der zukünftigen Bedürfnisse.
Emotionen sind Bedürfnis und Bedürfnissauslöser zugleich. Emotionen, verstanden als
Handlungstendenz (Frijda, 1986) in Richtung eines gewünschten Zielzustandes, wirkt
als Auslöser für konkrete Bedürfnisse, um dieses Ziel zu erreichen. Gleichzeitig kann
der gewünschte emotionale Zielzustand als Bedürfnis verstanden werden. Eine
Integration des zukünftigen Kunden in Form emotionaler Zustände erscheint deshalb
sinnvoll. Gelingt es dem Entwicklungsteam sich mit den emotionalen Zuständen zu
identifizieren, werden sie selbst zum Kunden der Zukunft. Durch die Vermittlung der
emotionalen Zustände des zukünftigen Kunden werden diese Emotionen in den
Entwicklern selbst ausgelöst. Emotionen sind ein sehr vielschichtiges, individuelles
und zu einem grossen Teil auch kulturell geprägtes Phänomen. Basierend auf dem
Konzept der emotionalen Erfahrung und dem emotionalen Erlebnis werden drei
grundlegende Komponenten unterschieden, welche bestimmend sind für die situative
Emotionalität. Es sind dies die "Kernkomponenten", die "Kontextkomponenten" und
die "Objektkomponenten" (Frijda, 1986). Die Kernkomponenten sind diejenigen,
welche einer Situation ihren emotionalen Charakter verleihen, da sie die emotionale
Relevanz betreffen und das emotionale Erlebnis per se konstituieren. Sie werden in
dieser Arbeit durch die Emotionalen Kundenwelten verkörpert. Die
Kontextkomponenten definieren die Art der Emotion und wirken sich auf das Gefühl
aus, welche Reaktionen in einer bestimmten Situation angebracht sind und welche
nicht. Es sind somit handlungsrelevante Komponenten. Die Kontextkomponenten
können mit den Rahmenbedingungen des Emotionalisierungsprozesses gleichgesetzt
werden. Die Kernkomponenten werden zu einem gewissen Teil durch die
Kontextkomponenten definiert, da die identische Situation nicht in jedem Kontext
gleich relevant wahrgenommen wird. Die Objektkomponenten beziehen sich auf die
Natur des emotionalen Objektes und die dadurch ausgelösten Reaktionen.
In Bezug auf Innovation beeinflussen Emotionen vor allem die Motivation von
Führungskräften und Mitarbeitern. Dabei sind zwei Faktoren von besonderer
Bedeutung. Die Situation muss von den Beteiligten einerseits als
veränderungsbedürftig, und andererseits als veränderungsfähig betrachtet werden
(Krause, 2004). Es ist davon auszugehen, dass Innovationsverhalten nur dann
ausgelöst wird, wenn eine ausreichende Situationskontrolle wahrgenommen wird bei
gleichzeitiger Wahrnehmung einer Veränderungsbedürftigkeit. In betrieblichen
Innovationsprozessen ist dem Faktor der Veränderungsfähigkeit eine hohe Bedeutung
zuzuordnen. Um die Erfolgswahrscheinlichkeit von Innovationen zu erhöhen, sollten
Emotional Empathic Event
123
die Ausprägungen Veränderungsbedürftigkeit und Veränderungsfähigkeit hoch sein.
Dies löst positive Emotionen aus, was wiederum das individuelle Innovationsverhalten
steigert. Die Veränderungsbedürftigkeit einer Situation korreliert dabei mit der
Komponente der Wichtigkeit/Relevanz von Frijda (1986). Diese besagt, dass eine
Situation nur dann emotional sein kann, wenn sie für das Individuum von Interesse ist
und somit dessen Aufmerksamkeit verlangt. Ist eine Situation von Interesse, steigt
auch die Motivation sich mit dieser Situation auseinanderzusetzen. Es ist deshalb
wichtig für Emotionalisierungsprozesse, dass Teammitglieder selektioniert werden,
welche motiviert und offen sind für die Situation und deren Stimuli.
Ursprung von Emotionen sind immer bestimmte stimulierende Events. Diese Events
und Vorkommnisse wirken jedoch nur dann als Auslöser für emotionale Zustände,
wenn sie relevant sind in Bezug auf individuelle Ziele, Standards und Einstellungen
und wenn sie eine Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung mit der
Befriedigung dieser Ziele, Standards und Einstellungen signalisieren. Kommt eine
Übereinstimmung zu Stande, so resultiert daraus eine Veränderung der
Handlungsbereitschaft. Handlungsbereitschaft umfasst sowohl die Tendenz für eine
bestimmte Handlung wie auch die blosse Veränderung des sogenannten
Aktivierungsstatus. Die Veränderung der Handlungsbereitschaft beinhaltet nicht nur
die aktive Veränderung, sondern auch das nicht Vorhandensein einer
Handlungsbereitschaft in einem sogenannten Deactivation Mode (Frijda, 1986). Der
Zusammenhang von Stimuli und der darauffolgenden Reaktion ist der zentrale Punkt
in der Emotionstheorie. Beide Komponenten definieren sich nicht nur durch eine
einzige spezifische Ausprägung, sondern sind abhängig von einer Vielzahl von
Einflüssen und Rahmenbedingungen. Als Stimuli im eigentlichen Sinne darf deshalb
nicht ein einzelner Event verstanden werden, sondern immer eine Konstellation von
verschiedenen Signalen.
124
Determinanten der Emotionalisierung
5.3 Adaption des Referenzmodells
Die vertiefende Fallstudienanalyse hat gezeigt, dass Emotionalisierungsprozesse dann
erfolgreich sind, wenn sowohl die strukturellen als auch die prozessualen Faktoren
aufeinander abgestimmt sind und ineinandergreifen. Nur wenn die organisationalen
Umstände passen und auch die individuellen Eigenschaften der Teilnehmer vorhanden
sind, gelingt es, emotionale Zustände zu generieren und für die Ideengenerierung zu
nutzen. Aus einer betrieblichen Sicht sorgt die strategische Verankerung dafür, dass
solche Prozesse einerseits durchgeführt werden dürfen, und andererseits mit den
notwendigen Ressourcen und Informationen ausgestattet werden. Gleichzeitig erwies
sich eine temporäre Abgrenzung gegenüber dem Tagesgeschäft als sinnvoll, um die
Kompetenzen der interdisziplinären Teams vollständig nutzen zu können. Aus
individueller Sicht sind Emotionalisierungsprozesse im Unternehmenskontext nur
dann erfolgreich, wenn die Selektion der Teammitglieder spezifisch auf diese
ausgerichtet ist. Teammitglieder sollten nicht aus unternehmenspolitischen Gründen
für solche Projekte nominiert werden. Es sollten Mitarbeiter sein, welche eine gewisse
Offenheit gegenüber Neuem aufweisen. Zudem sollte bei der Selektion der
Teammitglieder vermehrt auf deren Ziele, Standards und Einstellungen geachtet
werden. Eine erfolgreiche Emotionalisierung bedingt dass die verwendeten
Kundenwelten für die Teammitglieder eine gewisse Relevanz aufweisen.
Die Fallstudien haben weiter gezeigt, dass die organisationalen Faktoren erfüllt sein
müssen, jedoch nicht ausreichend sind. Die zentralen Elemente der Emotionalisierung
stellen die eigentliche emotionale Kundenwelt sowie die Art und Weise der
Vermittlung dieser Welt an die Teilnehmer dar. Die hier untersuchten Beispiele haben
gezeigt, dass durchaus verschiedene Arten von Kundenwelten erstellt werden können,
diese jedoch eine Auswirkung auf die Projektdauer und die Vermittlungsart haben. Es
ist deshalb unerlässlich, die Art der Kundenwelt auf die Projektziele und
Teammitglieder abzustimmen, um ein optimales Resultat zu erzielen.
Basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen aus den Fallstudien erfolgt an dieser
Stelle eine entsprechende Verfeinerung des ursprünglichen Referenzmodells. Dies
aufgrund der Tatsache, dass verschiedenste Rahmenbedingungen nicht nur erfüllt sein
müssen, sondern auch vorgeben, wie der konkrete Emotionalisierungsprozess
ausgestaltet ist und durchgeführt wird. Emotionalisierungsprozesse werden als relevant
erachtet, um Innovationen hervorzubringen, die radikaler und für den Kunden von
höherem Nutzen sind und somit den langfristigen Erfolg sichern.
Emotionalisierungsprozesse sind deshalb von strategischer Bedeutung und müssen
durch das Top-Management initiiert werden.
Emotional Empathic Event
125
Abbildung 22 fasst die Erkenntnisse aus den Fallstudien zusammen und definiert das
abschliessende Referenzmodell erfolgreicher Emotionalisierungsprozesse im
betrieblichen Umfeld.
Auswahl
Emotionalisierungstyp
F&E
Mitarbeiter
Virtueller Kunde
der Zukunft
Teamselektion
Diffusion
Business Unit
Strategische
Entscheidung
Ziele
Standards
Einstellungen
Identifikation /
Transformation
Stimulus
Emotionalisierung
Abbildung 21: Abschliessendes Referenzmodell
Emotionale
Zukunftswelt
Diffusion
Top Mgt
Emotionalisierter
F&E Mitarbeiter
126
Determinanten der Emotionalisierung
5.4 Zusammenfassung
Die Fallstudien aus Kapitel vier wurden in einem zweistufigen Prozess analysiert.
Anhand des Referenzmodells erfolgte zuerst eine Einzelfallaufarbeitung und
anschliessend eine vergleichende Analyse, basierend auf den relevanten Kriterien aus
Literatur und Praxis. Ziel dieser Analyse war es, diejenigen Faktoren zu identifizieren,
welche einen entscheidenden Einfluss auf die Erfolgswahrscheinlichkeit von
Emotionalisierungsprozessen haben. Gleichzeitig wurden auch konkrete Hinweise auf
die Ausprägungen der jeweiligen Gestaltungsebenen und Gestaltungsfaktoren
gewonnen. Basierend auf diesen Erkenntnissen wurde das ursprüngliche
Referenzmodell adaptiert und die Dimensionen durch ihre relevanten
Gestaltungsfaktoren ergänzt. Somit wurde ein konkretes Gestaltungsmodell für
Emotionalisierungsprozesse im Innovationskontext entwickelt.
Basierend auf der Analyse der Fallstudien wurden zwei Dimensionen identifiziert,
welche eine Unterteilung von Emotionalisierungsprozessen in vier verschiedene Typen
erlaubt. Zunächst werden deshalb im nachfolgenden Abschnitt vier spezifische
Emotionalisierungstypen entwickelt und beschrieben, bevor intensiver auf den Prozess
der Emotionalisierung und damit auf das umfassende Gestaltungsmodell eingegangen
wird.
Emotional Empathic Event
127
6 Auslöser der Emotionalisierung
6.1 Typologisierung von Emotionalisierungsprozessen
In dieser Arbeit wird ein besonderer Fokus auf die Art und Weise gelegt, wie die
rationale und emotionale Perspektive in F&E-Projekten miteinander verknüpft werden
müssen, um einen crossvergenten Zustand zu bilden. Es geht um die Fragen, wie diese
Crossvergenz entsteht und ob es dazu verschiedene Ansätze gibt. Die Analyse der
Fallstudien hat gezeigt, dass es in der Praxis durchaus unterschiedliche Ansätze gibt,
wie Firmen solche Emotionalisierungsprozesse umsetzen. Durch die Ausrichtung an
zwei
Dimensionen
lassen
sich
vier
unterschiedliche
Typen
von
Emotionalisierungsprozessen identifizieren. Die Dimensionen sind die Art der
Emotionalisierung auf persönlicher Ebene sowie die Anzahl der Stimuli. Bevor die vier
Typen spezifisch beschrieben werden, sind zuerst die beiden Dimension zu erläutern
und mit der relevanten Literatur abzugleichen.
Art der Emotionalisierung:
Emotionen werden dann ausgelöst, wenn gewisse Konstellationen an
situationsbezogenen Stimuli einen Einfluss auf individuelle Anliegen aufweisen. Es
muss daher grundsätzlich eine Situation bestehen, derer sich das Individuum bewusst
ist und die als relevant empfunden wird. Stimuli sind deshalb eher im Sinne von
Events zu verstehen. Solche Events können in Gestalt von sensorisch wahrnehmbaren
physischen Ereignissen auftreten, die jedoch nur dann Emotionen auslösen, wenn die
Ereignisse entweder in einem räumlichen oder zeitlichen Kontext stehen oder aber in
einen Bedeutungskontext gestellt werden können (Frijda, 1986). Beispielsweise wird
"alleine sein" anders empfunden, als alleine zu sein, nachdem der Partner einen
verlassen hat oder gar gestorben ist. Keine Schmerzen zu haben wird anders
wahrgenommen, als keine Schmerzen zu haben nach dem einem Schmerzen zugefügt
worden sind. Ereignis oder Event ist deshalb zutreffend, weil es sehr oft die
Veränderung ist, welche die Aufmerksamkeit verlangt. Nur was sich verändert, zählt.
Situationen als Stimulus sind von Bedeutung, weil oft erst der situative Kontext
entscheidend ist. Es kommt darauf an, ob Möglichkeiten bestehen, mit der Situation
umgehen zu können oder sie komplett zu vermeiden. Oft spielt auch die Gesamtheit
der bisherigen Interaktionen mit einem bestimmten Objekt eine entscheidende Rolle
(Frijda, 1986). Es ist deshalb entscheidend, was das Ereignis dem Subjekt tun kann
und was das Subjekt mit dem Ereignis tun kann und will.
128
Auslöser der Emotionalisierung
Ereignisse und Situationen müssen nicht zwingend real existieren, um emotionale
Reaktionen auslösen zu können. Es reicht bereits die blosse Vorstellung, das Denken,
wie eine bestimmte Situation sein könnte oder gewesen ist, um emotionale Reaktionen
auszulösen. Allein der Gedanke, dass es einem geliebten Menschen schlecht gehen
könnte, reicht aus, um traurig zu machen. Bereits der Gedanke, dass unter dem Stein
eine Spinne sein könnte, lässt Personen mit einer Spinnenphobie davor
zurückschrecken den Stein aufzuheben. Die blosse Vorstellung der Spinne erzeugt
denselben Angstzustand, als ob die Spinne wirklich gesehen wird.
Emotionen können demnach entweder durch physisch wahrnehmbare und real
existierende Ereignisse ausgelöst werden oder durch die blosse Vorstellungskraft. In
Bezug auf die folgenden Typologien werden deshalb praktisch/existente und
virtuell/imaginäre Arten der Emotionalisierung unterschieden.
Anzahl der Stimuli:
Die emotionale Intensität ist kein eindimensionales Konzept, sondern hängt von einer
Vielzahl von Faktoren und Rahmenbedingungen ab. Dennoch ist die Anzahl der
Stimuli, denen ein Individuum ausgesetzt ist, relevant für die Nachhaltigkeit
emotionaler Zustände. Neben der Anzahl wird angenommen, dass auch die Intensität
der Stimuli einen Einfluss auf die Intensität der ausgelösten Emotionen hat. Obschon
die Intensität der Stimuli in gewissen Situationen zu intensiveren Emotionen führt, ist
dies nicht grundsätzlich der Fall. Ein solcher Zusammenhang wurde vor allem in
Bezug auf Events und Stimuli, die aversive Reaktionen auslösen, festgestellt. So
korreliert die Intensität von Elektroschocks oder Lärm positiv mit der Intensität der
physiologischen Reaktion (Tursky, 1974). In Bezug auf die Anzahl oder Dauer
eingesetzter Stimuli wurde festgestellt, dass diese ebenfalls positiv mit
langanhaltenden psychologischen Symptomen korreliert. Dies vor allem im
Zusammenhang mit negativen Erlebnissen, wie beispielsweise der Anzahl von
wirklichen Kampfeinsätzen von Soldaten. Die dadurch verursachten Angstzustände
traten auch noch lange nach den Einsätzen auf. Durch langanhaltendes Stimulieren
sowie eine hohe Anzahl von Stimulationen können nachhaltige Veränderungen in den
betroffenen Individuen ausgelöst werden. Diese Annahme gilt grundsätzlich auch für
positive Emotionen. Handelt es sich jedoch immer um den identischen Stimulus, so
nimmt die Intensität der Reaktion stetig ab. Die ausgelösten Emotionen werden
schwächer. Dies wird in der Psychologie auf die Erwartungshaltung zurückgeführt. Je
nachdem ob der Stimulus oder Reiz stärker oder schwächer ist als erwartet, fällt die
emotionale Reaktion darauf stärker oder schwächer aus. Wichtiger noch als die
Emotional Empathic Event
129
Erwartungshaltung ist die Bedeutung des Reizes in Bezug auf die relevanten
Einstellungen und Ziele (Frijda, 1986). Wirklich gravierende Events sind oft nur
deshalb gravierend, weil sie mehr als eine relevante Einstellung oder mehrere Ziele
beeinflussen.
Im betrieblichen Umfeld hat die Anzahl der Emotionalisierungen mittels Stimuli noch
eine andere Dimension, nämlich die der Dauer des Projektes. Je nach dem, wie viel
Zeit und Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, ist die Dauer, für welche die
Teilnehmer emotionalisiert werden können, kürzer oder länger. In Bezug auf die
verschieden Emotionalisierungstypen werden deshalb kurze und lange Projektdauer
mit einer tiefen oder hohen Anzahl Stimuli gleichgesetzt.
Diese Arbeit betrachtet Emotionalisierungsprozesse aus einer betriebswirtschaftlichen
Perspektive, weshalb sich die Typologien nicht ausschliesslich an den
Emotionsaktivierungsmodellen der Psychologie und Neurologie orientieren (Izard,
1993). Dennoch werden diese Theorien, wo für diese Arbeit als sinnvoll erachtet, in
die folgenden Ausführungen mit einbezogen. Die vergleichende Analyse der
Fallstudien hat ergeben, dass sich grundsätzlich vier Typen von
Emotionalisierungsprozessen unterscheiden lassen. Es sind dies der "Schocker" der
"Verführer", der "Transformator" und der "Durchdringer". Diese vier Typen werden
im Folgenden beschrieben und auf ihren Einfluss auf die Ziele dieser Arbeit hin
analysiert. Generell lässt sich für alle Typen feststellen, dass ihr Erfolg, und damit die
Wirksamkeit, stark von verschiedenen Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren
bestimmt wird. Diese können Eigenschaften der Teammitglieder, der allgemeine
Innovationsprozess, die zur Verfügung gestellten Ressourcen sowie die
vorherrschende Unternehmenskultur sein.
Art der Emotionalisierung
praktisch/
existent
Schocker
Transformator
virtuell/
imaginär
Verführer
Durchdringer
tief
Abbildung 22: Typologien der Emotionalisierung
hoch
Anzahl Stimuli
130
Auslöser der Emotionalisierung
6.2 Emotionalisierung durch Schock
Eine in der Psychologie ausführlich beschriebene Art, Emotionen auszulösen, ist
diejenige durch Schock. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf negativen Emotionen
wie Angst oder Schmerz, weil sich diese besonders gut und zuweilen auch einfach
auslösen lassen. Zu diesem Zweck werden in der Psychologie oft Experimente mit
Elektroschocks, plötzlichen Attacken oder unentrinnbarem Lärm beschrieben (Polivy,
1981; Frijda, 1986). Schocks treten unerwartet und plötzlich auf und sind
normalerweise von kurzer Dauer. Emotionalisierungsprozesse des Typs "Schocker"
sind deshalb von kurzer Dauer und für die teilnehmenden Akteure durch real erlebbare
Stimuli gekennzeichnet. Generell steht sowohl für die Vorbereitung als auch für die
Durchführung des Prozesses wenig Zeit zur Verfügung. Es werden Stimuli verwendet,
die nur von kurzer Dauer sind und die Beteiligten sehr direkt und situativ betreffen.
Dadurch wird eine direkte Reaktion und Verhaltensänderung in den Akteuren
ausgelöst. Schocks sind vor allem dann geeignet, wenn man unmittelbare Resultate,
beispielsweise in Form einer Performancesteigerung, benötigt oder das Verhalten der
beteiligten Akteure nur für kurze Zeit verändern will. Aufgrund der möglichen
intensiven Reaktion auf Schocks sollten solche Prozesse nur sehr sparsam und
wohlüberlegt eingesetzt werden. Als sehr anschauliches Beispiel für die
Emotionalisierung durch Schock kann eine Szene aus der Produktion des Filmes
Titanic von James Cameron angeführt werden. Die Hauptdarstellerin Kate Winslet
sollte das beinahe Ertrinken ihres Charakters Rose spielen. Damit dies möglichst
realitätsnah aussah, liess der Regisseur die Schauspielerin spüren, wie sich dies
anfühlt. Gedreht wurde im Wasser. Dazu der Regisseur:
[On the set of Titanic] we simply let Kate [Winslet] think she was nearly
drowning. A little sputtering and coughing does not count in my book, because I
have almost drowned several times.
"Schocks" sind dann wirkungsvoll, wenn es darum geht, sehr schnell eine Idee zu
kreieren, welche man für das Weiterführen des Prozesses benötigt. In der
Filmindustrie werden durch "Schocks" induzierte Verhaltensänderungen oft als
"Magic Moments" bezeichnet. Die Nutzung im allgemeinen Ideengenerierungsprozess
ist eher schwierig und erfordert spezifische Kompetenzen sowohl von Seiten der
Beteiligten als auch der Projektleitung.
Emotional Empathic Event
131
Anforderungen an die Beteiligten
"Schocks" stellen für die Beteiligten, zumindest kurzzeitig, eine enorme Belastung dar.
Oftmals nicht nur psychisch, sondern auch physisch. Werden Emotionalisierungen
durch Schock zu oft und über eine lange Zeit durchgeführt, kann das zu anhaltenden
Veränderungen in der Persönlichkeitsstruktur der Betroffenen führen. Die beteiligten
Akteure in solchen Prozessen sollten deshalb über eine starke Persönlichkeit verfügen
und bereits im Voraus über mögliche Auswirkungen des Prozesses informiert werden.
Grundsätzlich sollten in solchen Prozessen nur Mitarbeiter involviert sein, welche sich
freiwillig dazu bereit erklärt haben.
Anforderungen an die Projektleitung
Eine Emotionalisierung durch "Schock" bedingt eine sehr tiefgehende Kenntnis der
Persönlichkeitsstrukturen der Beteiligten, um zu wissen, wem welche Belastung
zugemutet werden kann. Es müssen Vorkehrungen getroffen werden, um mögliche
negative Auswirkungen zu verhindern oder zumindest abzufangen. Dies ist dann
entscheidend, wenn mit negativen Emotionen gearbeitet wird. Will man die durch
Schock induzierten Emotionen über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten, um sie
für eine weitere Ideengenerierung zu nutzen, bedingt dies eine hohe Kompetenz im
Bereich der Moderation und dem Einsatz von Kreativitätstechniken.
6.3 Emotionalisierung durch Verführung
Emotionalisierungsprozesse des Typs "Verführer" zeichnen sich ebenfalls durch eine
relativ kurze Dauer aus. Im Gegensatz zum Typus "Schocker" können die verwendeten
Stimuli nur begrenzt real erlebt werden und müssen von den Beteiligten in einem
kognitiven Prozess virtuell verarbeitet werden. Virtuell bezieht sich dabei auf die
emotionale Kundenwelt, in welche die Beteiligten versetzt werden sollen. Da diese
Zukunftswelt nicht 1:1 erlebt werden kann, muss sie durch die Beteiligten mittels
eigener Vorstellungskraft erschaffen werden. Die gewünschten Emotionen und
Gefühle werden durch einen Akt der Überzeugung und des Verarbeitens induziert. Sie
werden durch den Prozess erlernt. Ein solches Erlernen von Emotionen, die über einen
längeren Zeitraum anhalten oder wieder aufgefrischt werden sollen, benötigt Stunden
bis Tage. Damit die Emotionalisierung in dieser relativ kurzen Zeitdauer durchgeführt
werden kann, benötigt dieser Emotionalisierungstyp gezielt aufeinander abgestimmte
Stimulierungskonzepte. Diese sind in der Regel mehrschichtig und können auf eine
abstrakte Art und Weise auch erlebbar gemacht werden. Die Mehrzahl der Stimuli
132
Auslöser der Emotionalisierung
zielt jedoch darauf ab, die Beteiligten darin zu unterstützen, sich in die Welt des
Kunden hineinversetzen zu können. Dieser Prozess durchläuft mehrere Phasen, wobei
von Beginn an gewisse Trigger verwendet werden, die eine einfachere "ReEmotionalisierung" zu einem späteren Zeitpunkt ermöglichen. Solche Trigger, können
Stichworte, Farben oder auch Musik und Düfte sein. Ein durchgängiges Verwenden
dieser Trigger über alle Phasen erlaubt die "erlernte Emotion" zu einem späteren
Zeitpunkt innerhalb des Ideengenerierungsprozesses wieder vereinfacht zu induzieren.
Dadurch, dass sich die Beteiligten sehr viel intensiver mit der emotionalen Welt des
Kunden auseinandersetzen und die ausgelösten Emotionen mit Hilfe von bestimmten
Triggern erlernt werden, ist dieser Typ gut für die konkrete Ideengenerierung geeignet.
Während beim Typ "Schocker" die sofortige Reaktion auf den Stimulus gewünscht
wird, ist es beim Typ "Verführer" der kurzfristig anhaltende emotionale Zustand. Um
diesen jedoch im betrieblichen Umfeld für die Ideengenerierung nutzen zu können,
bedarf es zusätzlich den Einsatz von ausgewählten Kreativitätsmethoden. Durch die
Identifizierung mit dem zukünftigen Kunden auf einer persönlichen Ebene gelingt es
fach- oder funktionsspezifische Kommunikationsbarrieren zu überbrücken. Dazu
müssen die Beteiligten jedoch aus den betroffenen Bereichen rekrutiert werden. Der
Emotionalisierungstyp "Verführer" eignet sich besonders gut für Prozesse, in denen
grosse Mengen von Daten über zukünftige Trends und Kundensegmente zur
Verfügung stehen. Diese werden benötigt, um die entsprechenden
Emotionalisierungstrigger sowie die verschiedenen Stimuli zu kreieren. Gleichzeitig
erfordert dieser Typ ausreichend Ressourcen, um einerseits ein schlagkräftiges Team
für die Ideengenerierung zusammenzusetzen, und andererseits die virtuellen
Kundenwelten zu erschaffen. Aufgrund der virtuell imaginativen Verortung des
Kunden im Kopf des Entwicklers eignet sich dieser Typ für das Generieren von
langfristigen Ideen.
Anforderungen an die Akteure
Durch eine gut vorbereitete und dosierte Emotionalisierung der Beteiligten sind
negative Effekte, wie jene beim "Schocker", nicht zu erwarten. Die beteiligten
Mitarbeiter benötigen eine grosse Offenheit gegenüber neuen Methoden und müssen
die Grundbereitschaft aufweisen, sich in andere Personen hineinversetzen zu lassen.
Aus diesem Grund sollten die Beteiligten für diesen Typ der Emotionalisierung sehr
gezielt ausgewählt werden. Zusätzlich ist es für die Phase der Ideengenerierung von
Vorteil, wenn die entsandten Mitarbeiter über eine gewisse Erfahrung in ihrem
Funktionsbereich verfügen und im Unternehmen gut vernetzt sind.
Emotional Empathic Event
133
Anforderungen an die Projektleitung
Um Emotionalisierungsprozesse des Typs "Verführer" durchführen zu können, muss
die Projektleitung über die notwendige Kompetenz verfügen, Informationen über die
Zukunft (intern/extern) so zu verdichten, dass Kundenwelten daraus generiert werden
können. Zusätzlich benötigen solche Prozesse die Unterstützung durch
Machtpromotoren, um die notwendigen Ressourcen zu erhalten. Gerade in Bezug auf
strategische Initiativen ist eine Unterstützung durch das Top-Management von
Bedeutung. Denn nur dadurch gelingt es, die Beteiligten von den Zukunftswelten und
der Notwendigkeit solcher Prozesse zu überzeugen. Bezogen auf den
Ideengenerierungsprozess ist vonseiten der Projektleitung zudem ein tiefes
Verständnis für Kreativitätsprozesse erforderlich, um die emotionalisierten Mitarbeiter
effektiv zu nutzen.
6.4 Emotionalisierung durch Durchdringung
Der Typ "Durchdringer" zeichnet sich, im Gegensatz zum "Verführer", durch einen
noch stärkeren Fokus auf die Emotionalisierung durch Imagination aus. Die Welt des
Kunden muss bei diesem Typ praktisch ausschliesslich durch die Vorstellungskraft der
beteiligten Akteure erschaffen werden. Deshalb müssen die beteiligten Akteure sich
intensiv mit dem vorhandenen Material auseinandersetzen und es tiefgehend
analysieren. Dadurch werden mögliche Emotionen des Kunden bewusst identifiziert
und verinnerlicht. Durch den Prozess der Analyse und die intellektuelle Verarbeitung
der gewonnenen Erkenntnisse werden die Teilnehmer emotional durchdrungen und
berührt. Der Emotionalisierungsprozess durch Analyse und wenig erlebbare Stimuli
benötigt sehr viel mehr Zeit als die zwei zuvor beschriebenen Typen.
Anforderungen an die Akteure
Bei diesem Typ der Emotionalisierung benötigen die involvierten Mitarbeiter eine
besonders ausgeprägte Kompetenz der Empathie. Da die Mitarbeiter die Analyse und
Verarbeitung der Stimuli zu einem hohen Grad eigenständig bewältigen müssen,
benötigen sie zusätzlich ein hohes Mass an Eigenmotivation. Um die Ausrichtung an
der Vision und Strategie des Unternehmens zu gewährleisten, sollten die
selektionierten Mitarbeiter diese kennen. Eine gute persönliche Vernetzung ist
ebenfalls ein Erfolgsfaktor für diesen Typen der Emotionalisierung.
134
Auslöser der Emotionalisierung
Anforderungen an die Projektleitung
Die Projektleitung muss bei diesem Typ vor allem die Ressourcen zur Verfügung
stellen, welche die Akteure benötigen. Dies sind in erster Linie Zeit für die
tiefgreifende Durchdringung sowie der Zugang zu den benötigten Informationen.
Zudem sollte die Projektleitung die Unterstützung des Top-Managements sichern, um
zu gewährleisten, dass die Ergebnisse mit den Richtungsvorgaben des Unternehmens
übereinstimmen. Ebenfalls kommt der Projektleitung bei der Verbreitung und
Kommunikation der generierten Ideen eine entscheidende Rolle zu.
6.5 Emotionalisierung durch Transformation
Der vierte Typ der Emotionalisierung ist der "Transformator". Er zeichnet sich durch
eine lange Emotionalisierungsdauer und real erlebbare Stimuli aus. Die Akteure
werden bei diesem Typus nicht nur virtuell, sondern auch real in die Welt des Kunden
hineinversetzt. Die lange Dauer während derer die Akteure immer wieder realen
Stimuli ausgesetzt werden, führt zu einer besonders nachhaltigen Veränderung der
Persönlichkeitsstrukturen. Dazu werden die Akteure vollständig aus ihrem bisherigen
Umfeld herausgelöst und komplett in die Welt des zukünftigen Kunden versetzt. Diese
Welt kann aufgrund ihres Bestehens in der Zukunft nicht als Ganzes erlebt werden,
denn der Kunde der Zukunft ist ja heute noch nicht existent. Deshalb nimmt der
"Transformator" auch Elemente aus dem "Verführer" auf, indem er vor allem zu
Beginn des Emotionalisierungsprozesses mit Stimuli arbeitet, welche die Akteure
intellektuell anregen. Damit dies möglich ist, müssen grosse Mengen an Daten über
mögliche Trends, Zukunftsszenarios, Märkte und Kunden sowohl von internen wie
auch von externen Quellen vorhanden sein. Durch die sorgefältige Auswertung und
Verdichtung dieser Daten werden dann die relevanten Trends identifiziert und die
potentiellen Kunden der Zukunft definiert. Auf Grund der abstrakten Eigenschaften
sucht der Transformator anschliessend nach heute bestehenden Segmenten und
Kundengruppierungen, welche zumindest Teile der definierten Zukunftswelt
repräsentieren. In diese partiellen Kundenwelten werden die Akteure anschliessend für
einen gewissen Zeitraum entsandt. Dadurch werden sie mittels realen Stimuli
emotionalisiert. Anschliessend gilt es diese Gesamtheit der gefühlten Emotionen im
Einzelnen zu reflektieren und nur die für die Zukunftswelt relevanten Teile zu
extrahieren. Dieses Vorgehen wird beim Transformator in mehreren Iterationen
wiederholt und mit verschiedenen virtuell imaginativen Emotionalisierungsmethoden
ergänzt. Resultat des Prozesses ist, dass die Akteure am Ende selbst zum Kunden der
Zukunft werden. Um die gewonnenen Erkenntnisse für die Ideengenerierung und
Emotional Empathic Event
135
Informationsgewinnung nutzen zu können, müssen die involvierten Akteure immer
wieder an verschiedenen Kreativitätssessions teilnehmen, um im emotionalisierten
Zustand Ideen zu generieren. Der Transformator bildet die stärkste Form der
Emotionalisierung und stellt besonders hohe Anforderungen an die beteiligten
Mitarbeiter sowie die Projektleitung.
Anforderungen an die Akteure
Dadurch, dass Transformationsprozesse zu besonders tiefgreifenden Veränderungen
der eigenen Persönlichkeitsstruktur führen können, ist die Selektion der
entsprechenden Mitarbeiter noch entscheidender als bei den drei übrigen Typen. Die
möglichen Kandidaten müssen sich bereits im Voraus im Klaren sein, dass die
Teilnahme an einem solchen Prozess ihr berufliches wie auch privates Leben
grundlegend verändern kann. Dazu müssen sowohl sie selbst als auch ihr Umfeld
bereit sein. Die Teilnahme ist nur auf freiwilliger Basis zu gestalten.
Unternehmenspolitische oder prestigegetriebene Beweggründe sind zu vermeiden.
Weiter bedingt ein solcher Prozess eine grosse Offenheit der Beteiligten für neue
Erfahrungen und Einsichten sowie eine hohe Lernbereitschaft für neue Methoden der
Kreativität und Marktforschung. Um die Schnittstelle zum restlichen Unternehmen
sicherzustellen, sollte darauf geachtet werden, dass die Akteure ausgeprägte
Kommunikationskompetenzen aufweisen und gut im Unternehmen vernetzt sind
(fachlich wie politisch). Dabei sollten sie noch nicht zu stark vom Unternehmen
geprägt sein, da sonst die notwendige Flexibilität für Neues verloren geht.
Anforderungen an die Projektleitung
Transformationsprozesse müssen aufgrund ihrer möglichen Tragweite in jedem Fall
durch das Top-Management unterstützt werden. Gleichzeitig ist die strategische
Verankerung ein zentraler Erfolgsfaktor, um die gewonnen Erkenntnisse und Ideen in
die bestehende Organisation zurückzuspielen. Neben den enormen Ressourcen welche
dieser Typ der Emotionalisierung benötigt, ist durch das Top-Management ebenfalls
sicherzustellen, dass involvierte Mitarbeiter nach dem Ende des Projektes das
Unternehmen nicht verlassen. Der Transformationsprozess benötigt die intensivste
Vorbereitungszeit aller vier Typen, was bei der Initiierung eines solchen Prozesses
berücksichtigt werden muss. Weiter stellt die Projektleitung bei diesem Typus die
wichtigste Schnittstelle zur restlichen Organisation dar. Die Akteure selbst agieren
grundsätzlich losgelöst von den bestehenden Strukturen.
136
Auslöser der Emotionalisierung
6.6 Zusammenfassung
Die Auswertung der gesammelten Fallstudieninformationen und der anschliessende
Abgleich mit den erhobenen Daten aus der Filmindustrie zeigte, dass sich vier
Grundtypen von Emotionalisierungsprozessen unterscheiden lassen. Aufgrund der Art
der Emotionalisierung sowie der Anzahl der Stimuli mittels derer Personen
emotionalisiert werden lassen sich der Verführer, der Durchdringer, der Schocker und
der Transformator unterscheiden. Jeder dieser Typen stellt spezifische Anforderungen
an die Projektleitung und die jeweiligen Innovations-Akteure. Basierend auf den
jeweiligen Ausprägungen der in diesem Kapitel vorgestellten Typologien eignen sich
diese als Hilfestellung bei der Auswahl und Definition von beabsichtigten
Emotionalisierungsprozessen. Sie zeigen, welche Eigenschaften die zu
selektionierenden Mitarbeiter aufweisen sollten und geben bis zu einem gewissen Grad
auch die Struktur für den eigentlichen Emotionalisierungsprozess vor. Deshalb sollte
bereits in der Vorbereitungsphase von Emotionalisierungsprozessen eine Entscheidung
bezüglich der Emotionalisierungstypologie getroffen werden.
Emotional Empathic Event
137
7 Gestaltungsmodell für Emotional Empathic Events
Die bisherigen Erkenntnisse haben gezeigt, dass verschiedene Ansätze bestehen, wie
F&E-Mitarbeiter in der Innovationsfrühphase emotionalisiert werden können. Im
Zentrum aller hier beschriebenen Ansätze steht der Moment, in dem die verschiedenen
Emotionen konkret ausgelöst werden. Moment deshalb, da es sich bei der eigentlichen
Emotionalisierung um keinen Prozess handelt. Denn Emotionen entstehen in jenem
Moment, in dem die entsprechenden Stimuli auf die relevanten Ziele, Standards und
Einstellungen der einzelnen Mitarbeiter treffen. In Bezug auf den Fokus dieser Arbeit
wird der Moment der Emotionalisierung im Folgenden als Emotional Empathic
Event bezeichnet. "Emotional" weil es das Ziel ist möglichst gezielt Emotionen in den
Mitarbeitern auszulösen; "Empathic" weil die gewünschten Emotionen nur dann
aufkommen, wenn sich die Mitarbeiter komplett in den Kunden der Zukunft
hineindenken und hineinversetzen können; und letztlich "Event", da diese
Emotionalisierung als ein zeitlich klar begrenztes Ereignis stattfindet.
Bis es jedoch zum entscheidenden Emotional Empathic Event kommt, bedarf es
zwingend einer Reihe von weiteren Gestaltungsfaktoren und Prozessschritten. Nach
der grundsätzlichen Entscheidung einen Emotional Empathic Event durchzuführen,
muss sich das Top-Management, unter Berücksichtigung der Unternehmensstrategie
und der zur Verfügung stehenden Ressourcen, auf einen bestimmten
Emotionalisierungstypen festlegen. Die Teamzusammensetzung ergibt sich dann
aufgrund der Anforderungen an die Effizienz- und die Effektivitätsziele des Prozesses
sowie der getroffenen Typenwahl. Mit der Erstellung der emotionalen Zukunftswelt
werden die festgelegten Emotionalisierungstypen operativ umgesetzt. Durch den
gezielten Einsatz von auf den Prozess zugeschnittenen Kreativitätsmethoden sowie der
anschliessenden Diffusion der generierten Ideen in das Unternehmen kann der
Emotional Empathic Event seine Wirkung vollständig entfalten. Dabei gilt es zu
berücksichtigen, dass die Rahmenfaktoren Unternehmens-, Bereichs- und
Innovationskultur, Technologiestrategie und Marktumfeld den Erfolg von
Emotionalisierungsprozessen entscheidend beeinflussen können.
Es zeigte sich, dass die Diffusion von Wissen über langfristige Markt- und
Kundentrends zwischen den Marktforschungs- und F&E-Abteilungen durch den
Einsatz von Emotional Empathic Events effizienter und effektiver gestaltet werden
kann. Die Durchführung solcher Events bedingt jedoch eine sorgfältige Gestaltung des
Prozessaufbaus sowie einer geführten und strukturierten operativen Durchführung. Die
konkreten Schritte, die dazu notwendig sind, werden im folgenden Abschnitt
ausführlich erläutert.
138
Gestaltungsmodell
Prozess der Emotionalisierung
Nach der Betrachtung der verschiedenen Gestaltungsfaktoren folgt nun eine
Betrachtung des zeitlichen Ablaufs und somit des Prozesses, der zum Emotional
Empathic Event führt. Die bisherigen Betrachtungen konzentrierten sich auf einzelne
Prozesselemente
im
Sinne
von
Emotional-Empathic-Event-spezifischen
Gestaltungsfaktoren. Wie die Analyse der erhobenen Fallstudien ergeben hat, sind
diese Elemente immer in einen strukturierten Prozessablauf integriert, welcher
mehrere Phasen und Prozessschritte umfasst. Die folgenden Ausführungen beziehen
sich auf die notwendigen Prozessphasen sowie deren zugehörigen Prozessschritte und
bringen sie in eine zeitliche Abfolge. Basis für diese Überlegungen sind die
theoretischen Grundlagen aus der Kundenintegrationsliteratur (Wecht, 2006) sowie die
empirischen Daten, welche in dieser Arbeit erhoben wurden. Dies geschieht im
Hinblick auf die anschliessenden Handlungs- und Gestaltungsempfehlungen.
Für die Einordnung sowie die Ausgestaltung des Emotionalisierungsprozesses dient
die allgemeine Innovations-, Kooperations- und Kreativitätsliteratur als Grundlage.
Verschiedene Arbeiten in diesen Bereichen, beschäftigen sich mit der Analyse sowie
der organisationalen Ausgestaltung von Prozessen. Aufgrund der starken
Kundenorientierung, welche Emotionalisierungsprozesse aufweisen, orientiert sich
diese Arbeit an den grundlegenden Phasen der Kundenintegration, welche durch
Phasen aus der Kreativitätsforschung ergänzt werden. Während die übergeordneten
Phasen der Kooperationsliteratur zur allgemeinen Prozessgliederung herbeigezogen
werden können, sind die einzelnen Prozessschritte für Emotionalisierungsprozesse
sehr spezifisch.
Emotional Empathic Event
139
7.1 Phasen der Emotionalisierung
In der Literatur existieren zahlreiche Phasenmodelle für Innovations- und
Kooperationsprozesse (Wecht, 2006). Grundsätzlich lassen sich drei Phasen
identifizieren, wie auch bereits zu Beginn dieser Arbeit ausgeführt wurde. Neben der
Dimension der Zeit (frühe Innovationsphase, Entwicklungsphase und Lancierung am
Markt) werden die Phasen auch aus einer auf die Handlung bezogenen Dimension
betrachtet. Wecht (2006) spricht in diesem Zusammenhang von Gestaltungs-,
Lenkungs- und Entwicklungsphase. Diese Phasen können wiederum in diverse
Teilprozesse unterteilt werden, die sich jeweils an der vorherrschenden Organisationsund Projektstruktur ausrichten. Für den hier beschriebenen Prozess der
Emotionalisierung mit dem Emotional Empathic Event als Kern bietet sich die
Unterteilung in vier grundlegende Phasen an. Die ersten drei Phasen richten sich nach
jenen des Kundenintegrationsprozesses und konnten in allen vier Fallstudien
nachgewiesen werden.
¾ Initiierungsphase
¾ Vorbereitungsphase
¾ Umsetzungsphase (Realisierungsphase)
In Bezug auf die Ideengenerierung mittels Emotionalisierungsprozessen bedingt es
noch eines vierten Prozessschrittes, um die in den Schritten 1-3 erarbeiteten Resultate
in die entsprechenden Abteilungen und Entscheidungsgremien zu transferieren (Kohli
und Jaworski, 1990).
¾ Diffusionsphase
Jede dieser vier Prozessphasen beinhaltet eine unterschiedliche Anzahl Teilprozesse,
die für einen erfolgreichen Emotionalisierungsprozess konstituierend sind. Dennoch
sind nicht alle Teilprozesse spezifisch für den Emotional Empathic Event, weshalb sie
nachfolgend lediglich kurz beschrieben werden, aber keinen Einzug in das generische
Gestaltungsmodell gefunden haben.
Das in dieser Arbeit entwickelte Gestaltungsmodell folgt einem situativen Ansatz. Der
situative Gestaltungsansatz geht davon aus, dass bei jeder Anwendung (Gestaltung)
die individuellen Gegebenheiten und Erfordernisse berücksichtigt werden müssen.
Rahmenbedingungen, Ziele, Inhalte und Vorgehen, müssen deshalb immer situativ
festgelegt werden (Wojda, Herfort et al., 2006).
Gestaltungsmodell
Initiierung
140
Entscheidung zur
Durchführung
Fokus und
Ergebniserwartung
Auswahl
Emotionalisierungstyp
Diffusion
Business Unit
Vorbereitung
Virtueller Kunde
der Zukunft
Methodenauswahl
Emotionalisierter
F&E Mitarbeiter
Ideengenerierung
Ideenselektion
Diffusion
Top Mgt
Umsetzung
Emotionalisierung
Ziele
Standards
Einstellungen
Identifikation /
Transformation
Stimulus
Emotionale
Zukunftswelt
Emotionalisierungsprozess
F&E
Mitarbeiter
Teamselektion
Datensammlung
Emotionale Zukunftswelt
Auswahl
Emotionalisierungstyp
Strategische
Entscheidung
Teamselektion
Ideenvertiefung
Diffusion
Emotionalisierung
Diffusion Top Mgt
Diffusion in BU
Initiierung der Umsetzung
Abbildung 23: Phasen der Emotionalisierung
7.1.1 Initiierungsphase
Die erste Phase steht im Zeichen der Initiierung von Emotionalisierungsprozessen.
Zumeist ausgehend von Einzelpersonen oder kleinen Gruppen entsteht die Idee oder
Vision für ein Emotionalisierungsvorhaben. Diese Idee geht üblicherweise einher mit
der Erkenntnis über die Notwendigkeit eines solchen Vorhabens. Über den Prozess der
gemeinsamen Willensbildung wird aus dieser Vision ein erstes strategisches Konzept
entwickelt, welches die Absicht zum Einsatz von Emotionalisierungsprozessen
konkretisiert. Gleichzeitig werden erhoffte Ziele und Nutzen spezifiziert. Um der Idee
den gewünschten Schub zu verleihen, ist es oft notwendig, geeignete Partner mit
Entscheidungskompetenz zu gewinnen (Wojda, Herfort et al., 2006), es sein denn bei
der kleinen Gruppe handle es sich bereits um konkrete Entscheidungsträger. Um die
notwendige interne Unterstützung zu erhalten, ist oft ein nicht zu unterschätzender
Aufwand zur Bewusstseinsbildung und zur Steigerung der Akzeptanz bei den
beteiligten Interessensgruppen notwendig. Insbesondere im spezifischen Umfeld der
technikgetriebenen F&E-Abteilungen ist mit Widerständen zu rechnen, wenn es darum
geht, sich verstärkt durch Emotionen inspirieren und leiten zu lassen. Da bei
Emotionalisierungsprozessen einerseits verschiedene Bereiche und Abteilungen
Emotional Empathic Event
141
involviert sind, und andererseits in die Persönlichkeitsstruktur der beteiligten
Mitarbeiter eingegriffen wird, ist es notwendig, bereits vorgängig erste Abschätzungen
über Chancen und Risiken solcher Prozesse zu treffen. Diese ersten Abklärungen
liefern Argumente, welche bei der Gewinnung der verschiedenen Interessensgruppen
von Vorteil sein können. Aufgrund der im Fokus dieser Arbeit liegenden Entwicklung
von Ideen, die sich an langfristigen Trends orientieren, ist eine konkrete Entscheidung
für die Durchführung von Emotionalisierungsprozessen stets im Einklang mit der
bestehenden Unternehmens- und Technologiestrategie zu fällen. Der Bezug zu
vorhandenen Visionen und Strategien ist nicht nur wichtig für die Gewinnung der
internen Interessensgruppen, sondern gibt auch den Rahmen vor, in welchem die
Prozesse stattfinden. Zudem gibt die Ausrichtung an der Unternehmens- und
Technologiestrategie eine Hilfestellung bei der Definition der Ergebniserwartungen
und der Auswahl des dafür geeigneten Emotionalisierungstypen. Den Abschluss des
ersten Schrittes bildet der konkrete Entscheid zur Durchführung von
Emotionalisierungsprozessen, welche auf den allgemeinen Innovationsprozess
abgestimmt sind. Dieser Entscheid sollte vom Top-Management und der
Projektleitung gemeinsam gefällt werden.
Der nächste Schritt stellt die Definition des konkreten Fokus sowie die
Konkretisierung der Ergebniserwartungen dar. Ergebniserwartungen lassen sich
grundsätzlich in Ergebnis-, Aufwands- und Zeitziele unterteilen (Wecht, 2006). In
dieser Phase stehen die Ergebnis- und Zeitziele im Vordergrund, da der entsprechende
Emotionalisierungstyp stark von diesen abhängig ist. Die definierten Ziele dienen
gleichzeitig auch als Orientierungsgrösse für die Auswahl und Bewertung der
involvierten Unternehmensbereiche und Mitarbeiter sowie den Massstab für die
Bewertung des Prozesses am Projektende. Bezogen auf den Fokus des
Emotionalisierungsprozesses gilt es festzulegen, auf welcher Ebene Ideen und
Informationen generiert werden sollen. Handelt es sich um Ideen zu komplett neuen
Produktkategorien, zu bestehenden Produktkategorien, zu einzelnen Produkten oder
gar zu konkreten Produktfeatures. Die Ergebnisziele definieren die Form und den
Konkretisierungsgrad der generierten Ideen. In Ergänzung dazu ergeben sich daraus
diejenigen Unternehmensbereiche, die in den konkreten Emotionalisierungsprozess
eingebunden werden müssen.
Aufgrund der definierten Ziele sowie den strategischen Rahmenbedingungen gilt es im
nächsten Schritt, einen der vier Emotionalisierungstypen (siehe Kapitel 6) zu wählen.
Diese Entscheidung bedingt zwingend die Einbindung des Top-Managements, da sie
142
Gestaltungsmodell
bestimmend ist für den gesamten weiteren Prozessverlauf und einen erheblichen
Einfluss hat auf die benötigten Ressourcen.
Nach der gemeinsamen Willensbildung, dem Entscheid, Emotionalisierungsprozesse
durchzuführen, der übergeordneten Definition der Ergebniserwartung sowie der
Auswahl des geeigneten Prozesstypen erfolgt im nächsten Prozessschritt die Auswahl
und Selektion der beteiligten Bereiche sowie der einzelnen Innovations-Akteure.
7.1.2 Vorbereitungsphase
Anschliessend an die Initiierungsphase gilt es für die Projektleitung die geeigneten
Prozessteilnehmer zu identifizieren und für das initiierte Vorhaben zu gewinnen. Die
Zusammensetzung der Akteure stellt einen zentralen Erfolgsfaktor für
Emotionalisierungsprojekte dar (vgl. Kapitel 5.1). Potentielle Teilnehmer müssen
sowohl intern als auch extern gesucht werden und unter Berücksichtigung der
definierten Ergebnisziele sowie des gewählten Emotionalisierungstypen auf ihre
Eignung überprüft werden. Dabei ist einerseits zu überprüfen, welchen Beitrag
mögliche Teilnehmer zur Erfolgswahrscheinlichkeit der definierten Ziele leisten
können, und andererseits deren Eignung aufgrund der notwendigen
Persönlichkeitsmerkmale.
Unter
Berücksichtigung
des
gewählten
Emotionalisierungstypen ist bereits in dieser Phase zu beachten, eine Strategie für die
spätere Verwendung der Projektteilnehmer zu formulieren, um spätere Abgänge von
Mitarbeitern zu verhindern. In Bezug mit den definierten Zielen steht auch die
Auswahl der involvierten Bereiche und Abteilungen im Hinblick auf die spätere
Diffusion der erarbeiteten Ergebnisse.
Ebenfalls in die Phase der Vorbereitung einzuordnen ist das Zusammentragen der inund ausserhalb des Unternehmens vorhandenen Daten über die Trends und Märkte der
Zukunft. Dieser Schritt kann parallel zur Teamselektion stattfinden. Aufgrund der
strategischen Relevanz der hier beschriebenen Emotionalisierungsprozesse ist es
zentral, dass die gesammelten Daten von hoher Qualität sind. Sie können von internen
Abteilungen, aber auch von externen Institutionen stammen. Neben Informationen
über die zukünftige Marktentwicklung sollten auch Technologietrends und allgemeine
Informationen aus dem Bereich der Zukunftsforschung (Politik, Demographie,
Umwelt etc.) berücksichtigt werden. Da die Informationsqualität ein zentraler
Erfolgsfaktor für die Erstellung der jeweiligen emotionalen Zukunftswelten darstellt,
muss die Erhebung und Auswertung in enger Abstimmung mit der Projektleitung und
durch eine entsprechend qualifizierte Abteilung vorgenommen werden. Gerade in
Grossunternehmen sind die relevanten Daten in verschiedensten Abteilungen
Emotional Empathic Event
143
vorhanden, jedoch oftmals nur schwer aufzuspüren und zugänglich. Deshalb ist es
wichtig, dass solche Prozesse durch das Top-Management entsprechend unterstützt
werden. Der Datensammlung ist, je nach gewähltem Typ, genügend Raum zu geben,
sowie die notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um fehlende
Informationen möglicherweise selbständig zu erheben. Nach Abschluss der
Informationsbeschaffung sind die Daten durch die Projektleitung zu bewerten und auf
ihre Vollständigkeit hin zu überprüfen.
Ist die Datensammlung abgeschlossen, folgt die Auswertung und Verdichtung der
Informationen zu Emotionalen Zukunftswelten. Diese sind auf die formulierten
Strategien abzustimmen. Dieser Prozessschritt ist, neben der eigentlichen
Emotionalisierung, der zentralste innerhallb des Emotionalisierungsprozesses. Die
Qualität und Ausgestaltung der emotionalen Kundenwelt (vgl. Kapitel 5.2) ist
erfolgsentscheidend für den späteren Ideengenerierungsprozess. Da der Kunde der
Zukunft in der Regel nicht fassbar ist, wird er auf abstrakte emotionale
Wunschzustände aggregiert, sprich auf die emotionale Kundenwelt. Dazu werden
mittels Deduktion aus den vorhandenen Informationen verschiedene, das Unternehmen
betreffende Szenarien erstellt. Diese Szenarien umfassen Themenfelder,
Kundensegmente, Lebensformen, Farbkonzepte, Lebensstile, Bilder etc. Es ist darauf
zu achten, dass die Szenarien von strategischer Relevanz sind, um die Verankerung im
Top-Management sicherzustellen. Das blosse Generieren der abstrakten emotionalen
Kundenwelten genügt jedoch nicht, um als Stimulus für den in der Umsetzungsphase
folgenden Emotional Empathic Event zu dienen. Dazu müssen die generierten
Szenarien und Konzepte "erlebbar" gemacht werden. Sei dies praktisch oder virtuell.
"Erlebbar machen" bedeutet, dass die Akteure die abstrakten Zukunftswerte- und bedürfnisse nicht nur verstehen, sondern auch verinnerlichen, selber erfahren und
fühlen können. Dabei ist darauf zu achten, dass die jeweiligen Welten möglichst
überschneidungsfrei formuliert sind. Die Akteure werden sonst während der
Emotionalisierung durch Interferenzen gestört und damit die Ergebnisse des Prozesses
möglicherweise verzerrt. Das konkrete Erleben einer Zukunftswelt kann
beispielsweise in Form von erlebbaren Räumen (Raumkonzepte), realen Erlebnissen
oder starken virtuellen Stimulierungen erfolgen.
Sind erste Konzepte für erlebbare Kundenwelten vorhanden, folgt die Auswahl
geeigneter Methoden und Kreativitätstechniken. Diese müssen auf die jeweiligen
Erlebniskonzepte abgestimmt sein sowie eine Ideengenerierung im Sinne der
formulierten Ergebnisziele ermöglichen. In diesem Schritt muss auch entschieden
werden, inwieweit externe Akteure bei der Umsetzung mit einbezogen werden sollen.
144
Gestaltungsmodell
Sei dies als Prozesscoach oder bei der Implementierung der Erlebniskonzepte.
Ebenfalls muss sich die Projektleitung Gedanken zu den dafür geeigneten
Örtlichkeiten machen. Der Durchführungsort ist in Bezug auf die optimale
Unterstützung bei der Emotionalisierung zu wählen, muss jedoch in Abhängigkeit der
zugesprochenen Ressourcen geschehen.
Am Ende der Vorbereitungsphase sind die relevanten Akteure bestimmt und selektiert,
die emotionalen Zukunftswelten erstellt und in ein erlebbares Konzept übertragen. Die
Örtlichkeiten und Methoden für die Umsetzung sind definiert. Diese Phase bedarf auf
Grund der gesteigerten Erwartungshaltung einer erhöhten Aufmerksamkeit. Denn in
dieser Phase werden die Grundlagen für die weitere Entwicklung von
Emotionalisierungsprozessen erarbeitet. Je nach Typenwahl ist auf Grund der
Komplexität bei der Erstellung von erlebbaren emotionalen Kundenwelten mit einem
erheblichen Zeitaufwand zu rechnen. Dies gilt es bei der Planung zu berücksichtigen.
7.1.3 Umsetzungsphase
In der Umsetzungsphase geschieht die eigentliche Emotionalisierung der Akteure
sowie die Ideengenerierung und -vertiefung. Nachdem die Vorarbeiten abgeschlossen
sind, beginnt die eigentliche Kernaktivität des Emotionalisierungsprozesses, deren
Zentrum der Emotional Empathic Event darstellt. Abgestimmt auf den übergeordneten
Innovationsprozess sowie den entsprechenden Emotionalisierungstypen und die
beteiligten Akteure wird die Emotionalisierung mit anschliessender Ideengenerierung
operativ umgesetzt. Vor dem eigentlichen Emotional Empathic Event ist es, je nach
gewähltem Typ, sinnvoll, einen geeigneten Einstieg zu wählen. Dieser sollte
hauptsächlich darauf ausgerichtet sein, die Teilnehmer aus ihrem Alltag zu lösen, das
gemeinsame Kennenlernen zu ermöglichen und die Offenheit und das Vertrauen
innerhalb der Gruppe zu stärken. Gleichzeitig kann durch ein gemeinsames Erlebnis
(Spiel oder Event) das "Out of the Box"-Denken der Teilnehmer gefördert werden.
Ebenso müssen im Rahmen des Einstiegs die Rahmenbedingungen sowie die Regeln
erläutert und festgelegt werden. Ein solcher Einstieg entspricht dem State-of-the-Art
bei der Durchführung von Kreativitätsprojekten oder Kreativitätsworkshops, weshalb
er nicht als spezifische Phase im Gestaltungsmodell enthalten ist. Zudem ist der
Einstieg nicht für alle Typen gleich relevant. Der Schocker beispielsweise ist weit
weniger darauf angewiesen als der Verführer.
Der eigentliche Kern des Emotionalisierungsprozesses bildet der einzelne Emotional
Empathic
Event,
sprich
der
Moment
der
Emotionalisierung.
Ein
Emotionalisierungsprozess kann dabei durchaus mehrere solcher Momente beinhalten.
Emotional Empathic Event
145
Die Emotionalisierung geschieht, wenn die Teilnehmer in die vorbereiteten
emotionalen Zukunftswelten versetzt werden. Diese abstrakten Welten des Kunden der
Zukunft dienen als Stimulus oder Impuls für die Teilnehmer, um sich mit diesen zu
identifizieren. Eine Identifikation und letztlich emotionale Transformation zum
Kunden der Zukunft erfolgt jedoch nur, wenn der Stimulus die bestehenden Ziele,
Standards und Einstellungen der jeweiligen Akteure trifft. Es ist davon auszugehen,
dass nicht jeder Teilnehmer die genau gleichen Emotionen entwickelt, da die
persönlichen Merkmale bei jedem Teilnehmer verschieden sind. Durch die
Identifikation und den anschliessenden Transformationsprozess werden die
Teilnehmer "emotional aufgeladen" und dadurch ein Stück weit selbst zum Kunden
der Zukunft. Dieser Zustand muss für den nachfolgenden Prozessschritt der
Ideengenerierung zwingend aufrecht erhalten werden.
Nachdem die Teilnehmer sich über ihre Emotionen bewusst geworden sind und sich in
einem emotionalisierten Zustand befinden, folgt die Ideengenerierung mittels
ausgesuchten Kreativitätsmethoden. In diesem Prozessschritt generieren die
Teilnehmer entweder alleine oder in Kleingruppen Ideen. Dabei steht die Frage im
Zentrum, wie die erlebten Emotionen durch entsprechende Produkte, Features oder
Technologien hervorgerufen oder unterstützt werden können. Es ist wichtig, dass die
Ideen festgehalten und wenn möglich direkt visualisiert werden. Dabei ist durch die
Projektleitung sicherzustellen, dass die ausgewählten Methoden zu einer möglichst
hohen Anzahl an Ideen führen. Diese Phase kann auch durch externe Moderatoren
unterstützt werden.
Nach der Ideengenerierung folgt die Ideenselektion durch das Vorstellen der Ideen vor
der Gesamtgruppe. Dabei können Ideen noch weiter ergänzt oder vertieft und die
Kompetenzen der ausgesuchten Akteure optimal genutzt werden. Anschliessend
erfolgt ein mehrstufiges Priorisieren der Ideen durch die Akteure aufgrund der in der
Vorbereitungsphase definierten Bewertungskriterien. Am Ende dieses Prozessschrittes
ist die Grundlage für die Vertiefung der priorisierten Ideen geschaffen.
Im Prozessschritt der Ideenvertiefung wird noch einmal speziell auf die Kompetenz
der ausgewählten Akteure zurückgegriffen, indem die Ideen soweit vertieft und
ergänzt werden, dass sie in die jeweiligen Ideenmanagementsysteme gelangen können.
Dabei sollten die Ideen in einer Art und Weise festgehalten werden, dass sie als
Entscheidungsgrundlage für die entsprechenden Gremien dienen können.
Am Ende der Umsetzungsphase sollten die generierten Ideen soweit ausgearbeitet
sein, dass sie einerseits dem involvierten Topmanagement vorgestellt und "verkauft",
146
Gestaltungsmodell
und andererseits in die übrige Organisation hineingetragen werden können. Damit ist
die Grundlage für die Diffusion der Ergebnisse geschaffen.
7.1.4 Diffusionsphase
Das Generieren von Informationen über den Kunden der Zukunft, die Ausgestaltung
und Vermittlung von emotionalen Zukunftswelten sowie das Generieren von Ideen
reicht nicht aus, um Innovationen hervorzubringen. Denn die Kommunikation der
Ergebnisse und Erkenntnisse in die relevanten Business Units und die entsprechenden
Entscheidungsgremien ist Grundvoraussetzung für die spätere Umsetzung (Kohli und
Jaworski, 1990; Sternberg, 1999). Die Sicherstellung der Diffusion der Ergebnisse ist
noch höher zu gewichten, wenn es sich um Informationen handelt, welche ausserhalb
der eigentlichen Standardprozesse generiert wurden, da sie sonst dem Not-InventedHere-Syndrom anheimfallen können. Da es sich bei den hier beschriebenen
Emotionalisierungsprozessen immer um solche Prozesse handelt, die nicht dem
Standard entsprechen und Informationen in einer Art und Weise aufbereiten, die für
Aussenstehende schwer verständlich sind, kommt der Diffusionsphase eine besondere
Bedeutung zu. Die Diffusion erfolgt dabei in zwei Prozessschritten und auf mehreren
Ebenen.
In einem ersten Prozessschritt der Diffusionsphase werden die ausgearbeiteten und
vertieften Ideen dem für den Prozess verantwortlichen Top-Management vorgestellt.
Die Art und Weise wie dies gemacht wird, hängt von den produzierten Ergebnissen ab.
Die Ergebnispräsentation dient einerseits zur Überprüfung der im Vorfeld festgelegten
Ziele durch das Top-Management und gleichzeitig, um dieses von den Ideen zu
überzeugen und den notwendigen Support für die Implementierungsphase zu erhalten.
Die Präsentation vor dem Management signalisiert den involvierten Akteuren, dass
ihre geleistete Arbeit als wichtig erachtet wird, und das Management hat zusätzlich die
Möglichkeit, gegebenenfalls noch offene Punkte direkt zu klären oder eigene
Ergänzungen einzubringen. Neben dem Top-Management sollten zwingend auch die
relevanten Schnittstellenpartner involviert sein, welche die operative Implementierung
der Ideen letztendlich durchführen müssen. Die gemeinsame Diskussion mit den
Ideengebern ermöglicht eine weitere Vertiefung und die anschliessende Selektion der
Ideen für die Implementierung.
Danach folgt die Diffusion der Ergebnisse und des Wissens über den zukünftigen
Kunden in die restliche Organisation. Diese sollte durch eine entsprechende
Kommunikationsstrategie sichergestellt werden und kann durch die Beteiligten
geschehen, die wieder in ihre Stammfunktionen zurückkehren. Möglichkeiten sind
Emotional Empathic Event
147
beispielsweise interne Roadshows, Informationsveranstaltungen, interne und externe
Presseberichte oder der Einsatz von beteiligten Akteuren als Ambassadors. Speziell zu
beachten gilt es, dass die Bereiche, welche die Ideen umsetzen, sehr viel stärker
bearbeitet werden müssen, um ein möglicherweise auftretendes NIH zu verhindern.
Sind die Ideen selektiert und die umsetzenden Unternehmensbereiche bestimmt,
beginnt die operative Implementierung. Dabei gilt es, die verschiedenen Aspekte der
Organisation, des Innovations-, Personal-und Finanzmanagements zu berücksichtigen.
Der Fokus dieser Arbeit liegt auf der Innovationsfrühphase, weshalb die
Implementierung hier nicht weiter vertieft wird.
7.2 Propositionen für ein ganzheitliches Konzept
Der folgende Abschnitt befasst sich mit der Bildung von Propositionen zur
Entwicklung eines ganzheitlichen Konzepts. Diese basieren auf den Fallstudiendaten
sowie dem daraus abgeleiteten Gestaltungsmodell. Dabei wird nach den
Empfehlungen von Eisenhardt (1989) und Yin (2009) vorgegangen, die aufzeigen,
dass Theoriebildung nur dadurch geschehen kann, als dass die bestehenden Konstrukte
vertieft und verbessert werden. Dies geschieht durch die Verfeinerung von
bestehenden Definitionen und das Sammeln von konkreten Daten, welche durch
Messung des Konstrukts in spezifischen Fällen entstehen. Die folgenden Propositionen
basieren auf der vertieften Auseinandersetzung mit den vorhandenen Daten der daraus
abgeleiteten Konstrukte sowie den gebildeten Modellen und deren Beziehungen
untereinander. Dies führt zu Propositionen, die eine Theoriebildung erlauben in Bezug
auf die Art und Weise, wie der Kunde der Zukunft mittels
Emotionalisierungsprozessen in den Ideengenerierungsprozess der F&E-Abteilung
integriert werden kann.
7.2.1 Gestaltungsfaktoren für Emotional Empathic Events
Die vergleichende Fallstudienanalyse hat gezeigt, dass für die erfolgreiche
Durchführung nicht nur die entsprechenden Prozessschritte durchlaufen werden
müssen, sondern dass Emotional Empathic Events nur in einem dafür förderlichen
Umfeld stattfinden können. Die relevanten Faktoren für ein solches Umfeld sind
klassischerweise eine entsprechende Kultur sowie die damit verknüpfte Strategie
(Chesbrough, 2003; Wecht, 2006). Der dritte Faktor, die Struktur, wird in Bezug auf
Emotional Empathic Events nicht so stark gewichtet, wie das in der
148
Kundenintegrationsliteratur normalerweise der Fall ist. Denn
Emotionalisierungstyp spielt sie eine stärkere oder schwächere Rolle.
Gestaltungsmodell
je
nach
Die Thesen und Aussagen beziehen sich auf die Analyse der spezifischen
Fallstudienprojekte und haben keine Gültigkeit für Innovationsprojekte der
untersuchten Firmen im Allgemeinen.
Propositionen zu Kultur
Die Organisations- oder Unternehmenskultur besteht aus der Gesamtheit aller in einem
Unternehmen entstandenen und zu einem bestimmten Zeitpunkt wirksamen
Wertvorstellungen, Verhaltensvorschriften und Einstellungen, sprich den wirksamen
Werten und Normen (Vahs und Trautwein, 1999). Durch die kollektive Verankerung
im Denken und Handeln aller Mitglieder einer Organisation bestimmt die
Unternehmenskultur nach innen gerichtet das Verhalten und nach aussen hin die Art
und Weise, wie das Unternehmen mit seiner Umwelt interagiert. Auch wenn in Bezug
auf die Unternehmenskultur oft von einem einheitlichen "Phänomen" gesprochen wird,
das im Sinne des Unternehmensgeistes das kollektive Handeln bestimmt (Vahs und
Trautwein, 1999; Wecht, 2006), so bestehen in einem Unternehmen eine Reihe von
Bereichs- oder Querschnittskulturen, welche in Wechselwirkung zur übergeordneten
Unternehmenskultur stehen. Im Fokus dieser Arbeit stehen vor allem die Werte und
Normen in Bezug auf Innovation, die sogenannte Innovationskultur. Vahs und
Trautwein (1999) definieren in ihrem Beitrag Innovationskultur wie folgt: "Unter
Innovationskultur sind alle Normen, Wertvorstellungen und Denkhaltungen zu
verstehen, die das Verhalten der am Neuerungsprozess beteiligten Personen prägen."
Da Innovationsprozesse üblicherweise nicht nur von einem einzigen Bereich, sondern
in interdisziplinären Teams durchgeführt werden, ist es entscheidend, dass alle
Beteiligten dieselbe Kultur verinnerlicht haben und diese auch leben. Ist das der Fall,
kann eine Innovationskultur dabei helfen, die Strategien und Pläne für
Neuentwicklungsprojekte einfacher und schneller zu implementieren (Pervaiz, 1998).
Eine Innovationskultur kann demnach die Effektivität innerhalb des
Innovationsprozesses steigern. Im Folgenden wird in Bezug auf Innovationskultur
davon ausgegangen, dass es sich um eine in sich geschlossene Kultur handelt, welche
die Grundeinstellung des gesamten Unternehmens bezüglich Kreativität, Innovation
und Neuproduktentwicklung wiederspiegelt.
Die erfolgreiche Durchführung eines Emotional Empathic Events, wie er in dieser
Arbeit entwickelt und beschrieben wurde, bedingt eine Unternehmenskultur im
Emotional Empathic Event
149
Allgemeinen und einer Innovationskultur im Speziellen, welche eine interdisziplinäre
Zusammenarbeit erlaubt und fördert. Sie muss es zudem erlauben, externe Anreize als
wünschenswert zu betrachten und diese in den internen Innovationsprozess mit ein zu
beziehen. Nur wenn sowohl das Unternehmen selbst als auch die individuellen
Mitarbeiter offen sind für externe Ideen, Anregungen und Bedürfnisse, kann ein
Emotional Empathic Event dazu genutzt werden, zielgerichtete Ideen für Produkte und
Dienstleistungen zu entwickeln.
Um eine solche Innovationskultur und Offenheit zu erreichen, bedarf es diversen
Faktoren auf betrieblicher und individueller Ebene. Auf individueller Ebene sind dies
Faktoren der individuellen Persönlichkeitsstruktur sowie der kognitiven Fähigkeiten
und auf Unternehmensebene die notwendige Struktur sowie eine entsprechend
innovationsfördernde Kultur (Pervaiz, 1998). Gerade die kulturellen Ausprägungen
wie Vertrauen, Freiheit des Handelns und Risikobereitschaft oder
Zukunftsorientierung werden besonders hervorgehoben. Ebenfalls nicht zu
vernachlässigen ist die Vorbildfunktion des Managements bei der Bildung von
Innovationskulturen. Gelingt es, eine gemeinsame Vision sowie eine klare Mission
aufzubauen, können die Projektbeteiligten ihre Aktivitäten, selbst in Abwesenheit von
Führungspersonen, in deren Sinne koordinieren.
Um die benötigte Offenheit und Freiheit des Handelns zu gewährleisten, setzte
Moonraker einerseits auf die strukturelle Komponente und andererseits die
Teamzusammensetzung. Strukturell wurde dem Projektteam durch die komplette
Loslösung aus den operativen Tätigkeiten sowie der Installation der Projektbasis in
einem eigens dafür angemieteten Haus in Kalifornien der notwendige Freiraum
geboten, um "Out-of-the-Box" zu denken. Diese Thinking-Out-of-the-BoxKomponente wurde auch bei der Zusammensetzung des Projektteams gezielt gesteuert,
als man sich für einen Projektleiter entschied, welcher zuvor unter anderem bei einem
Konkurrenzunternehmen tätig war. Er war also noch nicht so stark von der VWeigenen Kultur geprägt und deshalb eher bereit, Bestehendes zu hinterfragen. Eine zu
starke kulturelle Prägung kann in solchen Projekten durchaus eine Gefahr darstellen,
wenn zu wenig Bereitschaft besteht, die Dinge (auch gut Funktionierendes) zu
hinterfragen und auf ihre Zukunftstauglichkeit hin zu überprüfen (Pervaiz, 1998). Die
Vertrauenskomponente wurde in allen Fallbeispielen zu einem grossen Teil durch den
jeweiligen Topmanagement-Support sichergestellt. Dadurch dass die Projekte und
Prozesse jeweils zumindest durch Teile der Unternehmensführung initialisiert,
gefördert und überwacht wurden, wurde den Teilnehmern signalisiert, dass ihre
Tätigkeit ein entsprechendes Gewicht hat. Im Beispiel der Filmindustrie ist es der
150
Gestaltungsmodell
jeweilige Regisseur, welcher die am Set vorherrschende Kultur massgeblich vorgibt.
Die Schauspieler und Techniker, welche sich für ein entsprechendes Filmprojekt
verpflichten, wissen deshalb bereits im Voraus, auf welche Arbeitsweise und
Arbeitskultur sie sich einstellen müssen. Ein solches Vorwissen ist im betrieblichen
Umfeld sehr viel schwieriger zu erreichen, da die Strukturen und
Anstellungsverhältnisse oft komplexer und weniger projektorientiert sind.
Speziell in interdisziplinären Teams und wenn Externe in den Innovationsprozess
eingebunden werden, ist es wichtig, dass diese ernstgenommen und durch die
unternehmenseigenen Teammitglieder akzeptiert werden. Die untersuchten
Unternehmen stellten dies sicher durch eine vorgängig sorgfältig durchgeführte
Auswahl sowie den klaren Support durch das Management. Dies wirkte auch als
Signal gegenüber den übrigen Unternehmensbereichen.
Die eigenen Untersuchungen sowie diverse wissenschaftliche Beiträge haben klar
gezeigt, dass die Etablierung und nachhaltige Implementierung einer offenen
Innovationskultur nur durch ein aktives Vorleben sowie den Einsatz normativer
Instrumente möglich ist (Pervaiz, 1998; Wecht, 2006). Ein wesentlicher Erfolgsfaktor
für den Einsatz von Emotional Empathic Events ist deshalb die Etablierung einer
offenen und vertrauensvollen Innovationskultur.
P 1:
Den Grundstein für die erfolgreiche Durchführung von Emotional Empathic Events,
bildet eine durch das Top-Management vorgelebte, offene Innovationskultur, die den
Mitarbeitenden dazu befähigt, den Kunden der Zukunft mittels emotionaler Empathie
in den Ideengenerierungsprozess zu integrieren.
Propositionen zur Strategie
Wie bereits im Kapitel 5 gezeigt, ist die strategische Verankerung von Emotional
Empathic Events zentral für deren Erfolg. Strategische Entscheidungen sind per
Definition solche, die für das Überleben einer Organisation wichtig sind (MüllerStewens und Lechner, 2003). Überlebenswichtige Entscheidungen können dabei auf
verschiedenen Ebenen gefällt werden. Die Ebene selbst hat dabei nur eine beschränkte
Aussagekraft in Bezug auf die Relevanz der Entscheidung. Strukturell und
hierarchisch
betrachtet,
unterscheidet
man
Unternehmensstrategien
und
Geschäftseinheitsstrategien (Müller-Stewens und Lechner, 2003). Diese beiden
grundlegenden Ebenen werden zuweilen noch durch Strategien auf Bereichsebene
oder durch Funktionsstrategien mit Querschnittcharakter ergänzt (Albers und
Emotional Empathic Event
151
Gassmann, 2005). Bezogen auf die Unternehmens- und Geschäftseinheitsstrategie ist
festzuhalten, dass die Unternehmensstrategie immer eine koordinierende und
steuernde Wirkung auf die einzelnen Geschäftseinheitsstrategien haben sollte. Je nach
Geschäftseinheit mit dem dazugehörigen Geschäftsfeld gibt es unterschiedliche
strategische Ausprägungen, wie der Markt bearbeitet werden kann. Bezogen auf den
Fokus dieser Arbeit steht vor allem die sogenannte Differenzierungsstrategie im
Vordergrund. Diese sollte bereits auf der Ebene des Gesamtunternehmens definiert
werden und den Geschäftseinheiten vorgeben, dass Initiativen unterstützt werden
sollen, die dazu beitragen, Marktanteile durch markante Unterschiede in den für den
Kunden relevanten Leistungs- und Nutzendimensionen zu gewinnen.
Ausgehend von der Vorgabe, sich durch Veränderungen in den relevanten
Nutzendimensionen von der Konkurrenz zu unterscheiden, müssen die dafür
relevanten Suchfelder definiert werden. Diese wiederum dienen den
Geschäftseinheiten und Funktionsbereichen als Ausgangspunkt für ihre Forschungsund Entwicklungsaktivitäten. Die Suchfelder helfen ebenfalls dabei die durch die
Marktforschung gesammelten Informationen zu Szenarien und emotionalen
Zukunftswelten zu kondensieren, die für das Unternehmen relevant sind. Der
Grundsatz der Differenzierung sollte neben den Suchfeldern auch in den einzelnen
Funktionsstrategien berücksichtig werden. Für die Funktionsstrategien zu Technologie
und Innovation ist es wichtig, dass Differenzierung nicht nur auf den Einsatz neuer
Technologien bezogen wird, sondern sich ebenso stark auf den Kundennutzen
fokussiert. Eine Ausrichtung am Kundennutzen impliziert bis zu einem gewissen Grad
die Öffnung der Innovationsprozesse im Sinne der Kundenintegration nach Wecht
(2006). Weder eine Differenzierungsstrategie noch eine Öffnung des
Innovationsprozesses bedeutet, dass alle Entwicklungstätigkeiten externe Experten
integrieren oder sich nur am Kundennutzen ausrichten müssen. Grundsätzlich ist
projekt- und situationsspezifisch zu entscheiden, welches die angemessenste Strategie
ist, um die vorgegebenen Ziele zu erreichen.
Eine erfolgreiche Umsetzung von Emotional Empathic Events bedingt eine
Unternehmensstrategie, die Mehrwert durch Differenzierung schaffen will und eine
Öffnung der betrieblichen Prozesse fördert. Zusätzlich benötigen solche Events auch
eine Innovationsstrategie, die sich konsequent am erwarteten Kundennutzen ausrichtet
und die betriebsinterne Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Geschäftsbereichen
und Geschäftseinheiten fördert. Dies wirkt sich auf die im Unternehmen
vorherrschende Kultur aus. Bei der Automobil AG waren die Events direkt in die
konzernstrategische Initiative zur Integration der konzernweiten F&E-Aktivitäten
152
Gestaltungsmodell
integriert. CeWe stellte mit der Mission "Wir müssen Geschichtenerzählen
ermöglichen und vereinfachen" (CTO, 1997) den Kundennutzen explizit in den
Vordergrund und verlieh dem Projekt durch die Initiierung im entsprechenden
Gremium die notwendige strategische Relevanz. Die Initiierung des Projektes
Moonraker fand durch den Vorstandsvorsitzenden persönlich statt und war somit
direkt in den konzernstrategischen Initiativen verankert.
P 2:
Die explizite Verankerung in einer kundenorientierten, offenen und an der
Konzernstrategie ausgerichteten Innovationsstrategie ist eine notwendige
Voraussetzung für die erfolgreiche Durchführung von Emotional Empathic Events.
P 3:
Emotional Empathic Events müssen direkt durch das Top-Management initiiert oder
diesem direkt unterstellt sein, um ihr gesamtes Potential entfalten zu können.
Propositionen zu den Emotionalisierungstypen
Basierend auf den grundsätzlichen Vorgaben der verschiedenen strategischen
Komponenten sowie den daraus abgeleiteten Zielen und Ergebniserwartungen müssen
die Entscheidungen für den adäquaten Emotionalisierungstypen getroffen werden.
Kultur, Strategie und Ergebniserwartung sind die Grundlage für die Durchführung von
Emotional Empathic Events. Sie geben jedoch noch nicht konkret vor, wie deren
Ausgestaltung sein soll. Dazu benötigt es die Entscheidung bezüglich eines der vier
Emotionalisierungstypen. Eine Entscheidung bedeutet nicht, dass nicht auch
Teilaspekte der übrigen drei Typen eingesetzt werden können. Die Auswahl eines
bestimmten Haupttypen ist jedoch bestimmend für die Ausführungen der weiteren
Prozessschritte und die einzusetzenden Ressourcen. Zudem ist die Typenwahl
richtungsweisend für die Suche und Selektion der Teammitglieder sowie die
Konstruktion
der
emotionalen
Zukunftswelten.
Die
Auswertung
der
Fallstudienbeispiele hat gezeigt, dass die Entscheidung für einen bestimmten
Emotionalisierungstypen immer auch in Abhängigkeit der unternehmensinternen
Fähigkeiten und Kernkompetenzen sowie dem jeweiligen Projektumfeld getroffen
werden muss. Besonders im Hinblick auf die zeitliche Dimension von Emotional
Empathic Events ist die Marktsituation sowie das Wettbewerbsumfeld von nicht zu
unterschätzender Bedeutung. So wurde beispielsweise beim Projekt Moonraker
Emotional Empathic Event
153
aufgrund des mangelnden Wissens über den amerikanischen Markt sowie der stark
deutsch geprägten Kultur bewusst entschieden, ein Projekt im Sinne des
Transformators zu lancieren. CeWe wiederum hat sich mit Blick auf die eigenen
Kernfähigkeiten die starke Vernetzung mit externen Know-how-Trägern sowie
aufgrund der intern vorhandenen Daten für den Typen des Durchdringers entschieden.
Ebenfalls auf Grund der Ressourcen und vor allem weil die Resultate relativ zeitnah
erzielt werden mussten, entschied man sich in der Filmindustrie oft für den Typen des
Schockers.
P 4:
Der Emotionalisierungstyp ist für die spätere Teamselektion sowie die Ausarbeitung
der Emotionalen Zukunftswelten zentral und gibt den Prozess der operativen
Umsetzung weitgehend vor.
Propositionen zur Teamselektion
Nach dem Abgleich der Projektziele mit den übergeordneten Strategien, der
Festlegung
der
Projektziele
sowie
der
Auswahl
des
geeigneten
Emotionalisierungstypen beginnt die Suche und Auswahl der geeignetsten
Teammitglieder sowie der weiteren Akteure. Der ausgewählte Emotionalisierungstyp
gibt dabei die grundsätzlichen Selektionskriterien für die Akteure vor. Dennoch ist
jeweils fallspezifisch eine eigene Suchstrategie zu entwickeln, um sicherzustellen, dass
diejenigen Mitarbeitenden identifiziert werden können, die für den Prozess am besten
geeignet sind. Die Kriterien müssen nicht nur die Anforderungen berücksichtigen, die
der Emotional Empathic Event an die Akteure stellt, sondern auch jene in Bezug auf
die unterschiedlichen Rollen, welche die Akteure innerhalb des Teams einnehmen.
Wie die Analyse der Fallstudien gezeigt hat, bedingt eine erfolgreiche Durchführung
ein interdisziplinäres Team, das die benötigten Kompetenzen vereint, um die
vorgegebenen Ziele zu erreichen. Kompetenzen beziehen sich dabei nicht nur auf das
fachliche Know-how, sondern auch auf die sozialen Fähigkeiten, sich in ein Team
einzubringen, sowie die gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse anschliessend in die
Funktionsbereiche hineinzutragen. Dabei ist zu beachten, dass interdisziplinäre Teams
neben den anerkannten Vorteilen auch Nachteile aufweisen, die es von Anfang an zu
berücksichtigen gilt. Neben persönlichen und geschäftlichen Zielkonflikten sind dies
konfligierende Loyalitäten und soziale Identitäten sowie Ressourcenkonflikte
(Holland, Gaston et al., 2000). Sowohl in der Suchphase wie auch in der
Selektionsphase der Akteure müssen neben dem Konfliktpotential auch die Vorteile
154
Gestaltungsmodell
der funktionalen und persönlichen Unterschiede von interdisziplinären Teams
berücksichtigt werden. Speziell die Überwindung von Funktions- und
Bereichsbarrieren ist ein zentrales Ziel von Emotional Empathic Events. Explizit zu
beachten gilt es bei der Selektion der Akteure deshalb auch deren unternehmensinterne
Vernetzung sowie die Fähigkeit, die Ergebnisse anschliessend im restlichen
Unternehmen zu verbreiten. Dies gilt vor allem in Bezug auf die Schnittstelle
zwischen den F&E-Abteilungen und jenen des Marketings (Souder, 1988).
Bei CeWe erfolgte die Auswahl und Selektion der Akteure vor allem im Hinblick auf
die spätere Umsetzung der Ergebnisse. So wurden neben den involvierten Abteilungen
auch die für die Umsetzung verantwortlichen Mitarbeitenden integriert. In der
Filmindustrie werden die interdisziplinären Teams vor allem auf Grund ihrer
fachlichen Fähigkeiten ausgesucht, um sicherzustellen, dass die Vorgaben des
Regisseurs bestmöglich umgesetzt werden können.
P 5:
Je gezielter die Akteure in Bezug auf den jeweiligen Emotionalisierungstypen und
ihre vorgesehene Rolle ausgewählt werden, desto höher ist die
Erfolgswahrscheinlichkeit von Emotional Empathic Events.
Propositionen zu Emotionalen Zukunftswelten
Die Schnittstelle zwischen F&E-Einheiten und dem Marketing gilt schon seit
mehreren Jahrzehnten als entscheidender Erfolgsfaktor für die Entwicklung von neuen
Produkten und Dienstleistungen (Souder, 1988; Brockhoff, 1989; O'Connor, 1998;
Holland, Gaston et al., 2000). Während sich unzählige wissenschaftliche Beiträge
damit auseinandersetzen, wie Informationen über den Markt gewinnbringend in den
Innovationsprozess einbezogen werden können, geschieht dies in der Praxis
mehrheitlich noch immer über den Abgleich zwischen Lasten- und Pflichtenheft.
Ansätze, den beschriebenen Graben zu überwinden, sind interdisziplinäre Teams und
Entscheidungsgremien , interdisziplinäre Personen (Rice, Kelly et al., 2001) sowie
diverse Methoden der Kundenintegration. Einer der Hauptvorteile, welcher in der
Berücksichtigung von Marktinformationen bereits in der frühen Innovationsphase
gesehen wird, ist die Steigerung der Effizienz, aber auch der Effektivität des gesamten
Innovationsprozesses. Wie die erhobenen Fallstudien eindrücklich zeigen, ist es heute
nicht mehr ausreichend nur die bekannten Methoden und Instrumente einzusetzen. Es
braucht neue Ansätze, welche über die bekannte interdisziplinäre Zusammenarbeit
zwischen Markforschung, F&E und Marketing hinausgehen. Vor allem dann, wenn
Emotional Empathic Event
155
auch in Zukunft auf den Markt ausgerichtete Ideen generiert werden sollen. Treiber für
die Notwendigkeit von neuen Ansätzen ist unter anderem die steigende Bedeutung von
Emotionen. Dass Emotionen bei der Produktnutzung und -kauf eine wichtige Rolle
spielen, ist im Marketing und Design weitgehend bekannt und auch erforscht. Was
jedoch bisher sowohl in der Wissenschaft wie auch in der Praxis weitgehend
unbeachtet blieb, ist welche Rolle Emotionen in F&E-Prozessen zur Entstehung
radikaler Produktideen spielen.
Die tiefgehende Fallstudienanalyse hat gezeigt, dass die Unternehmen mittels
verschiedenen Ansätzen versuchen, den Kunden der Zukunft in den
Entwicklungsprozess einzubinden. Diese Ansätze sind unter dem Konstrukt
"Emotionale Zukunftswelten" zusammengefasst. Der Kunde wurde nicht wie in
klassischen Kundenintegrationsprozessen direkt befragt, sondern über seine
emotionalen Zustände abgebildet. Emotionale Zustände sind deshalb sinnvoll, da in
Bezug auf radikale Innovationen der Kunde entweder noch nicht bekannt ist oder noch
gar nicht existiert. Obschon Emotionen an sich nur von sehr kurzer Dauer sind, so
bestimmen sie bereits seit jeher das menschliche Handeln und das gesellschaftliche
Zusammenleben. Emotionen sind in ihren Merkmalen grundsätzlich universell gleich
(Frijda, 1986). Die Situationen, in welchen Emotionen auftreten, sind jedoch ein
weitgehend kulturell geprägtes und individuelles Phänomen. Aufgrund ihrer
dauerhaften Existenz eignen sich Emotionen gut, um einen heute noch nicht
existierenden Kunden abzubilden. Denn es ist davon auszugehen, dass sich heute
existierende Emotionen auch in Zukunft in derselben Art und Weise manifestieren
werden. In den Fallstudien wurden heute existierende Informationen über latente
Bedürfnisse sowie kulturelle, ökonomische, soziale und technische Entwicklungen so
verarbeitet, dass sie Situationen wiedergeben, in denen ein bestimmtes Subjekt klar
definierte Emotionen erleben möchte. Solche Situationen werden in dieser Arbeit als
Emotionale Zukunftswelten bezeichnet.
Die Erstellung Emotionaler Zukunftswelten geschieht dabei mittels Deduktion, wobei
aus den verschiedenen Informationen über die Zukunft (Trendstudien,
Extrapolationen, Technologieroadmaps und Megatrends) verschiedene Szenarien
erstellt werden. Diese wiederum werden in Verbindung mit Bedürfnisstrukturen zu
bestimmten Themenfeldern, Kundensegmenten, Lebensformen, Farbkonzepten oder
Anforderungen verdichtet. Anschliessend werden Emotionen abgeleitet, welche in
diesen Situationen grundsätzlich als wünschenswert wahrgenommen werden.
Abschliessend werden für die Teilnehmer real erlebbare Situationen geschaffen, in
denen die zuvor definierten Emotionen ausgelöst werden. Somit werden die
156
Gestaltungsmodell
emotionalisierten Akteure selbst zum Kunden der Zukunft. Der Kunde der Zukunft
gelangt in die Köpfe der F&E Mitarbeitenden. Die konkrete Umsetzung und
Gestaltung der hier beschriebenen Emotionalen Zukunftswelten benötigt, je nach
Emotionalisierungstyp, einen unterschiedlichen Aufwand und gegebenenfalls auch das
Beiziehen von externen Experten (bspw. Dekorateure, Designer, Architekten,
Soziologen etc.).
Die Konstruktionsphase der Emotionalen Zukunftswelten ist entscheidend für den
Erfolg des eigentlichen Emotional Empathic Events. Deshalb ist dieser Phase
innerhalb des Gesamtprozesses auch die entsprechende Priorität und, je nach
Emotionalisierungstyp, der entsprechende zeitliche Rahmen einzuräumen.
P 6:
Nur wenn die den Bedürfnissen zugrunde liegenden Emotionen identifiziert und
verstanden werden, können Emotionale Zukunftswelten erfolgreich konstruiert
werden. Je gezielter und tiefgreifender Emotionale Zukunftswelten konstruiert sind,
desto erfolgreicher ist die Emotionalisierung der Akteure.
Propositionen zur Emotionalisierung
Das aus der Literatur abgeleitete Referenzmodell zeigt, dass Emotionen nur dann
entstehen, wenn ein bestimmter Stimulus relevant ist in Bezug auf die Ziele, Standards
und Einstellungen der beteiligten Akteure. Der Moment, in dem der Abgleich und die
Identifikation zwischen dem Stimulus und den Zielen, Standards und Einstellungen
stattfindet, ist der Kern der hier beschriebenen Methodik, der sogenannte Emotional
Empathic Event. Den Stimulus stellen die Emotionalen Zukunftswelten dar. Die
individuellen Ziele, Standards und Einstellungen repräsentieren sowohl die
persönliche Prägung der Mitarbeiter, werden aber gleichzeitig stark durch das
Arbeitsumfeld beeinflusst. So übt die Unternehmens- und Bereichskultur einen
erheblichen Einfluss darauf aus, was die Mitarbeiter betrieblich als wünschenswert
oder gut empfinden und was nicht. Dies muss bereits bei der Erstellung der
Emotionalen Zukunftswelten berücksichtigt werden, um später den richtigen Stimulus
einsetzen zu können. Während es sehr schwierig ist, genaue Angaben zu den
persönlichen Einstellungen von Mitarbeitenden zu machen, ist das Identifizieren von
vorherrschenden Unternehmens- und Bereichskulturen gut möglich. Voraussetzung ist
eine entsprechende informelle Vernetzung innerhalb des Unternehmens, so dass auch
nicht explizierte, aber gelebte Subkulturen identifiziert werden können. Gelingt dies,
kann der Emotional Empathic Event gezielt initiiert werden. Die Akteure können sich
Emotional Empathic Event
157
mit dem Stimulus identifizieren, Emotionen werden ausgelöst und real erlebt. Auf
individueller Ebene werden die F&E Mitarbeitenden durch die Berührung mit dem
abstrakten Kunden der Zukunft zu "Emotionalisierten F&E Mitarbeitenden". Findet
diese Transformation nicht statt, so sind die nachfolgenden Phasen sehr viel weniger
zielgerichtet und nicht in der Lage, den gewünschten Mehrwert zu liefern.
P 7:
Die Erfolgswahrscheinlichkeit von Emotional Empathic Events ist höher, wenn die
Emotionale Zukunftswelt sowohl für die individuellen als auch die unternehmerischen
Ziele, Standards und Einstellungen relevant ist.
Für die auf den Kunden der Zukunft ausgerichteten Ideengenerierungsprozesse ist die
Emotionalisierung von zentraler Bedeutung und bestimmt massgeblich den Erfolg der
nachfolgenden Prozessschritte. Im Gegensatz zu den eher praktisch erlebbaren
Zukunftswelten, wie sie bei den Typen Schocker und Transformator eingesetzt
werden, ist das Wissen über die zentralen Ziele und Einstellungen beim Verführer und
Durchdringer sehr viel wichtiger. Dies, da die Zukunftswelten künstlich und auf
abstrakte Art und Weise erstellt werden müssen. So ist es beispielsweise einfacher,
Akteure auf ein Pferd zu setzen und zu sagen, sie mögen sich jetzt als Reiter fühlen,
als diese Emotionen durch abstrakte und künstlich geschaffene Raum- und
Farbkonzepte auszulösen.
P 8:
Die Qualität der generierten Ideen hängt massgeblich von der Transformation vom
F&E-Mitarbeitenden zum "Emotionalisierten F&E-Mitarbeitenden" ab. Nur wenn sich
die Akteure mit den Emotionalen Zukunftswelten identifizieren können, findet eine
Transformation statt.
Propositionen zur Diffusion
Emotionalisierung und Ideengenerierung alleine sind nicht ausreichend für das
Hervorbringen von neuen Produkten oder Dienstleistungen. Denn zumeist sind die
Ideenteams nicht gleichzeitig auch die Umsetzungsteams. Die in der Umsetzungsphase
generierten und vertieft ausgearbeiteten Ideen müssen anschliessend in den dafür
verantwortlichen Bereichen umgesetzt und zur Marktreife gebracht werden. Damit die
Realisierung von Ideen stattfinden kann, benötigt es klare Verantwortlichkeiten sowie
die notwendigen Ressourcen. Diese können im Unternehmenskontext üblicherweise
nicht durch die Ideenteams selbst zugeteilt werden. Die Diffusion der erarbeiteten
158
Gestaltungsmodell
Ergebnisse ist deshalb bereits in den vorangehenden Phasen entsprechend
vorzubereiten. Die Analyse der Fallstudien sowie der einschlägigen Literatur hat
gezeigt, dass die Diffusion in zweierlei Hinsicht von Bedeutung ist. Einerseits müssen
die Ergebnisse den relevanten Entscheidungsgremien, und andererseits den
letztendlich umsetzenden Unternehmensbereichen präsentiert werden. Neben den
Ergebnissen müssen aber auch die marktrelevanten Informationen über den Kunden
der Zukunft in das restliche Unternehmen diffundieren (Jaworski und Kohli, 2001).
Die Präsentation vor den relevanten Entscheidungsgremien kann dabei auf
unterschiedliche Art und Weise stattfinden. Sie sollte jedoch nicht über die üblichen
Ideenmanagementsysteme geschehen. Auf Grund der Radikalität und der strategischen
Bedeutung der hier beschriebenen Prozesse sollte die Vorstellung persönlich und
durch die Prozessbeteiligten selbst vorgenommen werden. Zusätzlich kann eine
Eingabe der Ideen in ein bestehendes Ideenmanagementsystem stattfinden. Die Art
und Weise, wie die Ideen anschliessend an den Ideenmanagementprozess verbreitet
und kommuniziert werden sollen, ist bereits in der Initiierungsphase festzulegen.
Damit wird es dem Projektteam ermöglicht, den gesamten Prozess entsprechend auf
diese Ziele auszurichten. Bei den Präsentationen sollte, wenn nicht bereits aufgrund
der Gremienzusammensetzung vorgegeben, zwingend das Top-Management integriert
werden. Die Diffusion der Ergebnisse und des Wissens über den Kunden der Zukunft
und dessen Emotionale Welten in die einzelnen Geschäftseinheiten und
Geschäftsbereiche sollte durch die jeweiligen Projektbeteiligten stattfinden.
P 9:
Die Diffusion der Ergebnisse aus dem Emotional Empathic Event Prozess muss in
zweierlei Hinsicht geschehen. Einerseits zu den Entscheidungsgremien und
andererseits in die für die Umsetzung zuständigen Geschäftseinheiten. Eine
erfolgreiche Diffusion erfordert in beiden Fällen eine persönliche Kommunikation als
Hauptelement. Weitere Kommunikationsmittel müssen ergänzend hinzugezogen
werden.
Emotional Empathic Event
159
7.2.2 Zusammenfassung
Das Kapitel 7 beinhaltet das Herleiten eines konkreten Gestaltungsmodells auf Grund
der zuvor durchgeführten vergleichenden Fallstudienanalyse. Dabei werden vier
konstituierende Phasen identifiziert, die für die Durchführung von Emotional
Empathic Events durchlaufen werden müssen. Die Phasen wiederum sind gegliedert in
verschiedene Prozessschritte von denen Einzelne allgemein bekannt sind, jedoch
spezifisch für den hier beschriebenen Ansatz adaptiert werden müssen. Die zu
adaptierenden Prozessschritte, sind somit Emotional-Empathic-Event-spezifisch und
finden deshalb Einzug in das entwickelte Gestaltungsmodell. Basierend auf der
Verfeinerung der im Gestaltungsmodell entwickelten Konstrukte werden verschiedene
Propositionen entwickelt, die der Theoriebildung zu Emotionalisierungsprozessen
dienen. Tabelle 4. fasst die entwickelten Propositionen noch einmal zusammen.
160
Gestaltungsmodell
Tabelle 5: Determinanten und Propositionen
Gestaltungsfaktoren
No.
Propositionen
P1.
Den Grundstein für die erfolgreiche Durchführung von Emotional
Empathic Events bildet eine durch das Top-Management vorgelebte,
offene Innovationskultur, die den Mitarbeitenden dazu befähigt, den
Kunden der Zukunft mittels emotionaler Empathie in den
Ideengenerierungsprozess zu integrieren.
P2.
Die explizite Verankerung in einer kundenorientierten, offenen und an der
Konzernstrategie ausgerichteten Innovationsstrategie ist eine notwendige
Voraussetzung für die erfolgreiche Durchführung von Emotional Empathic
Events.
P3.
Emotional Empathic Events müssen direkt durch das Top-Management
initiiert oder diesem direkt unterstellt sein, um ihr gesamtes Potential
entfalten zu können.
P4.
Der Emotionalisierungstyp ist für die spätere Teamselektion sowie die
Ausarbeitung der Emotionalen Zukunftswelten zentral und gibt den
Prozess der operativen Umsetzung weitgehend vor.
P5.
Je gezielter die
Akteure in Bezug auf den jeweiligen
Emotionalisierungstypen und ihre vorgesehene Rolle ausgewählt werden,
desto höher ist die Erfolgswahrscheinlichkeit von Emotional Empathic
Events.
P6.
Nur wenn die den Bedürfnissen zugrunde liegenden Emotionen
identifiziert und verstanden werden, können Emotionale Zukunftswelten
erfolgreich konstruiert werden. Je gezielter und tiefgreifender Emotionale
Zukunftswelten konstruiert werden, desto erfolgreicher ist die
Emotionalisierung der Akteure
P7.
Die Erfolgswahrscheinlichkeit von Emotional Empathic Events ist höher,
wenn die Emotionale Zukunftswelt sowohl für die individuellen als auch
die unternehmerischen Ziele, Standards und Einstellungen relevant ist.
P8.
Die Qualität der generierten Ideen hängt massgeblich von der
Transformation vom F&E-Mitarbeitenden zum "Emotionalisierten F&E
Mitarbeitenden" ab. Nur wenn sich die Akteure mit den Emotionalen
Zukunftswelten identifizieren können, findet eine Transformation statt.
P9.
Die Diffusion der Ergebnisse aus dem Emotional Empathic Event-Prozess
muss in zweierlei Hinsicht geschehen. Einerseits zu den
Entscheidungsgremien, und andererseits in die für die Umsetzung
zuständigen Geschäftseinheiten. Eine erfolgreiche Diffusion erfordert in
beiden Fällen eine persönliche Kommunikation als Hauptelement. Weitere
Kommunikationsmittel müssen ergänzend hinzugezogen werden.
Kultur
Strategie
Emotionalisierungstypen
Teamselektion
Emotionale
Zukunftswelten
Emotionalisierung
Diffusion
Emotional Empathic Event
161
8 Implikationen
8.1 Implikationen für die Management Theorie
Der Beitrag dieser Arbeit zur bestehenden Management Theorie erfolgt in zweifacher
Hinsicht. Der Hauptteil besteht darin, die identifizierte wissenschaftliche Lücke zu
schliessen. Basierend auf den daraus gewonnenen Erkenntnissen werden neue Fragen
aufgeworfen, die es in zukünftigen Forschungsvorhaben zu untersuchen gilt.
Konkret liefert diese Arbeit einen theoretischen Beitrag im Bereich des
Innovationsmanagements und dem Management von radikalen Produktinnovationen
im Speziellen. Sie umfasst die folgenden Themengebiete:
Crossvergente Innovationskultur
Die vieler Orts beschriebenen unterschiedlichen Kulturen und Denkweisen von
Marketing und F&E-Abteilungen haben dazu geführt, dass die Schnittestelle zwischen
diesen beiden Unternehmensbereichen eine erhöhte Aufmerksamkeit erfahren hat. Die
bis anhin verwendeten Ansätze liegen dabei mehrheitlich auf den beiden
Extrempositionen des Kontinuums zwischen Divergenz und Konvergenz. Vertreter,
welche vor allem die Divergenz ins Zentrum stellen, argumentieren, dass die
unterschiedlichen Denkweisen und Kulturen zentral sind für die Entwicklung von
Innovationen. Speziell im Bezug auf die F&E zeigt sich, dass der
Ingenieursperspektive und Technologieorientierung eine zentrale Bedeutung
zugeschrieben wird. Die Schnittstelle zwischen Marketing und F&E wird folglich nur
durch sporadische Berührungspunkte sichergestellt, an denen formal über bestimmte
Kriterien, Anforderungen und Ziele verhandelt wird. Bekanntestes Beispiel dafür ist
der Prozess zur Definition des Pflichtenheftes. Konvergenz auf der anderen Seite
würde bedeuten, dass innerhalb eines Unternehmens entweder die eine oder andere
Perspektive dominant ist. Also eine typischerweise entweder markt- oder
technologiegetriebene Kultur. Die Ergebnisse der vorliegenden Forschungsarbeit
zeigen nun jedoch auf, dass es durch den gezielten Einsatz von
Emotionalisierungsprozessen, sprich Emotional Empathic Events, gelingt, zumindest
punktuell eine Innovationskultur zu etablieren, welche zwischen diesen beiden
Extrempositionen liegt. Je nach Dauer und Intensität des Einsatzes von
Emotionalisierungsprozessen entwickelt sich eine Innovationskultur, welche nicht nur
punktuell die Marketingperspektive einnimmt oder akzeptiert. Speziell beim Typ
"Transformator" hat sich gezeigt, dass sich durch die Emotionalisierung auf einer
162
Implikationen
individuellen Ebene beide Perspektiven synergetisch verbinden. Dadurch entsteht eine
einzigartige Kultur, welche sich von den radikalen Grundsätzen der beiden
Ursprungsperspektiven grundlegend unterscheidet. Dieser Zustand kann auf
individueller Ebene auch noch Jahre nach dem eigentlichen Emotional Empathic Event
anhalten. Das Phänomen einer crossvergenten Innovationskultur erweitert die
bisherigen Betrachtungsperspektiven und leistet somit einen Beitrag zur Entwicklung
dieses Forschungsfeldes.
Kundenintegration in radikale Innovationsprojekte
Die Integration von Kunden in den Innovationsprozess wird seit den 70er Jahren als
Instrument beschrieben, um Produktinnovationen schneller und gezielter umzusetzen.
Dabei wird der Kunde auch als wichtiger Ideengeber beschrieben, der im Sinne eines
Lead-Users sowohl allgemeine Trends früh erkennt, und andererseits bereits eine
eigene Lösung oder Lösungsidee dazu entwickelt hat. Eine Integration von Kunden
wird vor allem dann als sinnvoll erachtet, wenn es sich um die Weiterentwicklung von
bestehenden Produkten handelt oder neue Produkte möglichst zeitnah entwickelt
werden sollen. Die Kundenintegration ist daher charakteristisch für den Bereich
inkrementeller Innovationen sowie für Märkte, die durch eine hohe
Innovationsgeschwindigkeit gekennzeichnet sind. In Bezug auf radikale Innovationen
und damit langfristige Produktentwicklungsprozesse wurde der Einbezug von Kunden
bisher als nicht sinnvoll erachtet. Ein Hauptgrund dafür ist, dass der Kunde von
radikalen Produktentwicklungsprojekten oft noch gar nicht existiert, da die Umsetzung
der entwickelten Ideen Jahre bis Jahrzehnte in Anspruch nehmen kann. Ein weiterer
Grund ist die starke Technologieorientierung, die solche Projekte aufweisen. Radikale
Ideen stammen bisher üblicherweise aus den Forschungsabteilungen der Unternehmen
und sind dermassen stark technologiegetrieben, dass Märkte erst im Nachhinein
identifiziert und entwickelt werden können und müssen. Eine zu stark
technologiegetriebene Entwicklung birgt jedoch unternehmerische Risiken, da grosse
Mengen an Ressourcen und Kapital über eine lange Zeitspanne gebunden werden und
der Erfolg ungewiss ist.
Die relevante Literatur zeigt auf, dass Ergebnisse aus den verschiedenen
Marktforschungsbereichen und -einheiten stärker berücksichtigt und in den
Entwicklungsprozess mit einbezogen werden müssen, um diese Risiken zu
minimieren. Stark ausgeprägte Kulturunterschiede zwischen Marktforschung und der
F&E
behindern jedoch bis heute den reibungslosen Transfer von
Marktforschungsergebnissen in die frühe Innovationsphase radikaler F&E-Projekte.
Emotional Empathic Event
163
Die Dissemination von Marktinformationen in F&E-Abteilungen fand deshalb eine
besondere Beachtung in dieser Arbeit. Unter anderem war es ein Ziel dieser Arbeit,
einen Lösungsansatz zu finden, wie dieser Prozess zielgerichtet und effizient
durchgeführt werden kann. Dabei wurde eine Methode entwickelt, welche über die
bekannten Lösungsansätze der bestehenden Literatur hinausgeht.
Um den bekannten Graben zwischen Marktforschungseinheiten und der F&E zu
überbrücken oder zu schliessen, finden sich in der einschlägigen Literatur mehrheitlich
Ansätze zu interdisziplinären Teams oder interdisziplinären Personen (Rice, Kelly et
al., 2001). Dadurch soll eine Übersetzungsleistung zwischen den beiden
unterschiedlichen
Disziplinen
gewährleistet
werden.
Interdisziplinäre
Entscheidungsgremien sollen gewährleisten, dass die Ideen bei ihrer Selektion aus
verschiedenen Perspektiven beurteilt werden. Interdisziplinäre Personen dienen als
Verbindung und Vermittler zwischen den beiden Welten. Was bisher jedoch nur wenig
berücksichtigt wurde, sind Ansätze, wie die mehrheitlich technologiegetriebenen F&EMitarbeiter direkt in Kontakt mit zukünftigen Kunden kommen können. Die Literatur
bietet hierzu nur beschränkte Lösungsansätze im Kontext radikaler
Produktinnovationen.
Durch die Übertragung des Konzeptes der Emotionen aus Psychologie, Marketing und
Design konnte aufgezeigt werden, dass Emotionen ein passendes Instrument
darstellen, um den zukünftigen Kunden direkt in die F&E zu integrieren. Die
Ergebnisse dieser Arbeit zeigen auf, wie die Phasen der Suche, Verbreitung und
Verarbeitung von Informationen über den zukünftigen Kunden miteinander verbunden
werden können, um eine gezielte Initiierung von radikalen Produktinnnovationen zu
gewährleisten.
Die existierende Literatur und Forschung im Bereich der Kundenintegration fokussiert
sich vor allem auf die Identifikation von möglichen Kunden und die Bewertung des
Mehrwerts, den diese Kunden innerhalb des Produktentwicklungsprozesses liefern
können. Dabei werden die zu integrierenden Kunden in verschiedene Typen unterteilt,
denen innerhalb des Innovationsprozesses verschiedene Rollen zugeteilt sind
(Sandmeier, 2006; Wecht, 2006).
Diese Arbeit liefert einen Beitrag im Bereich der Kundenintegration, indem die
entwickelte Methode eine abstrakte Integration des Kunden auch in die frühe
Innovationsphase radikaler Produktentwicklungsprozesse ermöglicht. Dies ist
kontraintuitiv, da bisherige Forschungsergebnisse eine Kundenintegration in solche
Prozesse verneinen.
164
Implikationen
Gestaltungsmodell für die Emotionalisierung von F&E-Mitarbeitern
Als Ansatz für die Dissemination von Marktforschungsergebnissen in die F&E wurde
das Konzept der Emotionalisierung aus dem Bereich des Marketing und Designs
identifiziert und in den Neuproduktentwicklungsprozess übertragen. Dabei dienen
emotionale Zustände als abstraktes Abbild des zukünftigen Kunden. Emotionale
Zustände haben sich als geeignetes Konzept erwiesen, da sie einerseits sehr beständig
sind und andererseits sehr vielseitig eingesetzt werden können. Obwohl im Einzelfall
immer nur von kurzer Dauer, sind Emotionen und deren Ausprägungen seit Bestehen
der Menschheit relativ konstant. Es kann daher angenommen werden, dass sich
beispielsweise die Emotion Angst auch noch in fünfzig Jahren anfühlt und äussert, wie
sie es heute tut. Einschränkungen für deren Einsatz geben Emotionen keine vor, da sie
nichts über die Art und Weise aussagen, wie sie hervorgerufen werden. Dies kann
durch rein technologische Aspekte geschehen, durch Designaspekte oder durch eine
entsprechende Kommunikation. Somit wird keiner der am Prozess beteiligten Parteien
die Brille der anderen aufgezwungen. Der Ansatz der Emotionalisierung bietet neue
Einblicke in die Art und Weise, wie Kunden in radikale Innovationsprojekte
eingebunden werden können, um dadurch die Effizienz und Effektivität zu steigern.
Die Adaption der Produktemotionalisierung auf den Produktentwicklungsprozess
ermöglichte die Entwicklung eines konkreten Gestaltungsmodells, des sogenannten
Emotional Empathic Events. Das Modell des Emotional Empathic Events zeigt
konkret auf, wie Marktforschungsergebnisse aufbereitet werden müssen, um
erfolgreich in die Frühphase von Innovationen eingebunden zu werden, ohne dass sie
in den F&E-Abteilungen auf Widerstand im Sinne des NIH-Syndroms stossen. Die
Integration des Kunden auf diese Weise ermöglicht die zielgerichtete und an der
langfristigen Unternehmensstrategie ausgerichtete Ideengenerierung zu Beginn von
radikalen Innovationsprojekten. Der entwickelte Ansatz eröffnet neue Potentiale durch
die effektivere Nutzung von im Unternehmen vorhandenen Informationen über die
Zukunft.
Diese Arbeit ist eine der ersten, welche sich mit der Thematik der Emotionalisierung
von F&E-Teams im Kontext radikaler Innovationen beschäftigt und ein konkretes
Gestaltungsmodell dafür entwickelt.
Die untersuchten Daten erweitern nicht nur die Theorie der Kundenintegration,
sondern liefern auch im Bereich des Innovationsprozesses und der Marktorientierung
neue Erkenntnisse. Emotional Empathic Events sind in der Lage, bisher bestehende
Medienbrüche und potentielle Schnittstellenprobleme innerhalb des klassischen
Innovationsprozesses zu überbrücken. In Bezug auf Marktorientierung liefert die
Emotional Empathic Event
165
Methode des Emotional Empathic Events einen Ansatz, wie im Unternehmen und
dessen Umwelt vorhandene Informationen zielgerichtet in den Innovationsprozess
einbezogen werden können, ohne dabei auf einzelne Personen als
Schnittstellenmanager zurückgreifen zu müssen. Der Ansatz des Emotional Empathic
Events basiert auf einem Konzept, das aus dem Marketing und dem Produktdesign auf
den F&E Prozess adaptiert wurde. Dadurch werden die bisherigen F&E-bezogenen
Betrachtungsperspektiven erweitert.
8.2 Implikationen für die Management Praxis
Neben den theoretischen Erkenntnissen geben die Daten auch verschiedene Einsichten
für das konkrete Management von Emotionalisierungsprozessen. Das folgende Kapitel
fasst die zentralen Aussagen und Gestaltungsempfehlungen noch einmal zusammen7.
In dieser Arbeit wurde untersucht, wie es erfolgreichen Firmen gelingt, ausgewählte
F&E-Mitarbeiter zu emotionalisieren, um dadurch die Effizienz und Effektivität ihrer
Ideengenerierungsprozesse zu erhöhen. Untersucht wurden dabei lediglich Projekte,
welche bezogen auf die jeweiligen Firmen zu radikalen Ergebnissen führten und über
die normale Innovationstätigkeit der inkrementellen Weiterentwicklung hinausgingen.
Betrachtet wurde dabei ausschliesslich die Frühphase des Innovationsprozesses, sprich
jene der Ideengenerierung. Das Praxisphänomen, dass man zu viele Ideen hat, jedoch
nicht die richtige, diente als Ausgangslage. Zusätzlich zu den Firmen wurden
erfolgreiche Regisseure untersucht, da es sich bei der Filmindustrie um eine
ausgesprochen kreative Industrie handelt, in der Emotionen eine entscheidende Rolle
spielen. Dies gilt es bei den folgenden Ausführungen zu beachten.
Zentrale Aussagen und Erkenntnisse
Emotionalisierungsprozesse benötigen die uneingeschränkte Unterstützung des
Topmanagements. Dies bedeutet, dass noch bevor solche Prozesse initiiert werden,
eine grundsätzlich positive Einstellung zur Marktorientierung innerhalb der
Unternehmensführung vorhanden sein muss. Es muss durch das Management erkannt
worden sein, dass Emotionen, sprich die Vergeistigung von Produkten, in Zukunft eine
immer wichtigere Rolle spielen werden, um sich von der Konkurrenz zu
differenzieren. Eine marktorientierte Unternehmenskultur, welche offen ist für
Einflüsse und Ideen von aussen, bildet die Basis. Ist eine solche Kultur etabliert,
7
Im Anhang findet sich zusätzlich eine Emotional Empathic Event -Checkliste für Manager
166
Implikationen
bedeutet dies implizit auch, dass die Mitarbeiter entsprechend angehalten und befähigt
werden, sich nach den Kundenbedürfnissen auszurichten und Lösungen nicht nur aus
einer rationalen, technologiegetriebenen Perspektive zu entwickeln. Dennoch fördert
die Methode des Emotional Empathic Events technologiegetriebene Innovationen, da
Marktinformationen in den Prozess integriert werden, ohne dabei die Quelle der
Innovation in die Marketingabteilungen zu verschieben. In jedem Fall aber müssen die
Mitarbeiter eine Situation vorfinden, welche sowohl veränderungsbedürftig wie auch
veränderungsfähig ist.
Der Einsatz von Emotional Empathic Events muss mit der Unternehmensstrategie
abgeglichen werden und bedarf einer strategischen Entscheidung durch das TopManagement. Die Verknüpfung mit der langfristigen strategischen Ausrichtung ist
wichtig, weil dadurch die relevanten Informationen in den Prozess integriert werden
und eine spätere Verwertung der entwickelten Ideen einfacher umzusetzen ist. Da
Emotional Empathic Events oft ausserhalb der gewachsenen Strukturen stattfinden und
einen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung der beteiligten Mitarbeiter ausüben,
ist ein strategischer Entscheid notwendig. Die Entscheidung für einen bestimmten
Emotionalisierungstypen beeinflusst sowohl die Selektion der Akteure als auch das
Prozessergebnis. Basierend auf der strategischen Ausrichtung und dem vorgegebenen
Projektziel sollte der passende Emotionalisierungstyp ausgewählt und umgesetzt
werden. Ein Mix einzelner Elemente verschiedener Typen ist denkbar, muss jedoch
immer auf die Akteure abgestimmt sein. Die Typenwahl ist im Hinblick auf die
vorhandenen oder einzusetzenden Ressourcen ausschlaggebend. Die Wahl des Typen
gibt auch vor, welche Massnahmen für die Reintegration der Mitarbeiter in die
Linienfunktionen zu treffen sind. Eine Reintegration der Mitarbeiter ist zwingend, um
die Erfahrungen auch weiterhin für das Unternehmen nutzen zu können. Die
Massnahmen sind zwingend bereits vor dem Start des eigentlichen Projektes
einzuleiten. Die Selektion der Akteure muss aufgrund ihrer Eignung für den Prozess
geschehen und nicht aus unternehmenspolitischen Gründen. Die richtige Mischung
aus Fachkompetenz, Offenheit für Neues und Vernetzung im Unternehmen ist
entscheidend. Da diese Prozesse ausserhalb des Alltagsgeschäftes ablaufen und
teilweise tief in die Persönlichkeitsstruktur der Akteure eingreifen, ist es wichtig, dass
Mitarbeiter selektiert werden, die eine hohe Veränderungsbereitschaft aufweisen.
Die Qualität der Emotionalen Zukunftswelten ist abhängig von den vorhandenen
Daten über zukünftige Trends in Märkten, Gesellschaft, Umwelt und Politik. Vom
Einsatz von Emotional Empathic Events im Sinne einer reinen Kreativitätsmethode ist
deshalb abzuraten. Nur bei ausreichender Vorbereitung ist deren Einsatz sinnvoll. Die
Emotional Empathic Event
167
Emotionalisierung der Akteure und die Nutzung des dadurch freigesetzten Potentials,
ist das zentrale Element von Emotional Empathic Events. Der Erfolg ist abhängig von
einem tiefen Verständnis der Projektleitung für die Ziele, Standards und Einstellungen
der Mitarbeiter sowie den vorhandenen Moderationskompetenzen. Aus diesem Grund
muss die Projektleitung entsprechend auf ihre Aufgaben vorbereitet und
möglicherweise durch externe Fachkräfte ergänzt werden. Die Emotionalisierung
selbst hat keinen Mehrwert, wenn dieser Zustand anschliessend nicht aktiv genutzt
wird, um zielgerichtete Ideen zu generieren. Durch die aktive Konstruktion von
Kundenwelten im Kopf der Entwickler, werden diese befähigt, Ideen zu Funktionen
und Features zu entwickeln, für deren Umsetzung sie anschliessend die
entsprechenden Technologien definieren. Um die Ideengenerierung gezielt zu
unterstützen, sollten bekannte Kreativitätsmethoden verwendet werden. Emotionale,
aus Sicht des Kunden generierte Ideen alleine, stellen noch keinen Erfolg dar. Erst
wenn die Ergebnisse aus dem Projektteam in das restliche Unternehmen kommuniziert
und anschliessend umgesetzt werden, sind sie erfolgreich.
Die Diffusion der Ergebnisse ins Top-Management sowie die umsetzenden Bereich,
sollte grundsätzlich über persönliche Kommunikation erfolgen. Um dem NotInvented-Here-Syndrom vorzubeugen, sollten die zur Umsetzung ausgewählten Ideen
möglichst durch Vertreter des Projektteams vorgestellt und erklärt werden. Dies
verhindert eine Verwässerung der Ergebnisse und erhöht die Geschwindigkeit des
Ideenbewertungsprozesses.
Abschliessend ist zu sagen, dass der wohl wichtigste Erfolgsfaktor für Emotional
Empathic Events jener ist, dass Emotionen im Unternehmen zugelassen und als positiv
erachtet werden. Dies nicht nur in den Marketing- und Designabteilungen, sondern
über alle Bereiche und Hierarchiestufen hinweg. Nur wenn in den traditionell
technologiedominierten Bereichen Emotionen als etwas Sinnvolles und
Wünschenswertes erachtet werden, kann das volle Potential von Emotional Empathic
Events ausgeschöpft werden. Bleiben F&E-Abteilungen emotionsfreie Zonen, so
müssen Produkte auch in Zukunft jeweils ex-post emotional aufgeladen werden, der
eigentliche Produktkern bleibt emotionsfrei.
168
Implikationen
8.3 Grenzen der Arbeit
Kritik in Bezug auf den Fokus: Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf Grund der
erhobenen Fallstudiendaten ausschliesslich auf den Bereich der Produktinnovation in
B-to-C-Märkten. Ob und wie das Konzept des Emotional Empathic Events auch in den
Bereichen der Prozess-, Service- und Geschäftsmodellinnovation eingesetzt werden
kann, muss in weiteren Forschungsvorhaben spezifisch untersucht werden.
Kritik in Bezug auf die Forschungsmethodik: Die Datengrundlage ist mit vier
Fallstudien begrenzt, weshalb eine Überprüfung der Emotionalisierungstypen auf einer
breiteren empirischen Grundlage notwendig erscheint. Aufgrund der relativ geringen
Datengrundlage geben die Ergebnisse nur einen beschränkten Einblick in das
komplexe Phänomen der Emotionalisierung und deren Verwendung im
Unternehmenskontext. Im Sinne der Generalisierbarkeit der hier vorgestellten
Ergebnisse sind weitere Arbeiten zu diesem Ansatz wünschenswert. Zudem stellt sich
für zukünftige Forschungsvorhaben die Frage, ob es möglicherweise
industriespezifische Unterschiede in Bezug auf den Prozess sowie auch auf die Typen
der Emotionalisierung gibt. Eine Überprüfung mit Industriefokus könnte die in dieser
Arbeit entwickelte Typologie unterstützen und wertvolle Erkenntnisse für die Theorie
der Kundenintegration sowie auch für die Managementpraxis liefern.
Kritik in Bezug auf die Kundenintegration: Die in dieser Arbeit entwickelte Methode
zur Integration von zukünftigen Kunden in den Produktentwicklungsprozess durch
Emotionalisierung basiert auf einer Datengrundlage, welche noch keine langfristige
Erfolgsüberprüfung zulässt. Sie gibt deshalb zu einem Grossteil Erwartungen der
betroffenen Teammitglieder und verantwortlichen Manager wieder. Dabei werden die
gemachten Erlebnisse mit Referenzprozessen und Methoden verglichen, die bisher von
den Befragten durchlaufen wurden. In weiteren Forschungsarbeiten gilt es zu
analysieren, ob die beiden Komponenten Effizienz und Effektivität sowie die
Erfolgswahrscheinlichkeit der generierten Ideen durch den Einsatz von Emotional
Empathic Events tatsächlich positiv beeinflusst werden.
Emotional Empathic Event
169
8.4 Ausblick
Die traditionelle Vorstellung des Individuums als perfekt rationales Wesen, das über
lange Zeiten in sich konsistente Präferenzen aufweist und stets nur daran interessiert
ist, seinen Eigennutzen zu maximieren, wurde in den letzten zwei Jahrzehnten immer
mehr aufgeweicht. Durch das Konzept der "Begrenzten Rationalität" (March, 1978)
wurde versucht, die bis dahin als inexistent geltenden kognitiven Konflikte und
emotionalen Komponenten innerhalb des Prozesses der Entscheidungsfindung zu
berücksichtigen. Dennoch gilt emotional gesteuertes Verhalten nach wie vor als
irrational, weshalb auch das Konzept der "Begrenzten Rationalität" versucht,
Emotionen möglichst nicht als Variable in den Entscheidungsprozess zu integrieren.
Denn dadurch würde eine Erklärung der getroffenen Entscheidungen nur unnötig
verkompliziert oder gar verunmöglicht. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit haben
jedoch gezeigt, dass Emotionen gerade in etablierten Märkten eine immer wichtigere
Rolle spielen. Dies speziell in Bezug auf die eigentliche Produktentwicklung. Während
emotionale Aspekte der Präferenzkonstruktion im Kopf des Kunden aus
Marketingperspektive längst bekannt sind und auch aktiv zur Beeinflussung der
Kunden genutzt werden, sind diese innerhalb des technologiegetriebenen F&EUmfelds oftmals verpönt. Daher handelt es sich bei der Konstruktion von emotionalen
Kundenwelten im Kopf der F&E-Mitarbeiter um ein weitgehend unbekanntes
Phänomen. Die in dieser Forschungsarbeit vorgestellten Ergebnisse deuten darauf hin,
dass Emotionen unter bestimmten Voraussetzungen erfolgreich in betrieblichen
Prozessen genutzt werden können. Die bisher geltende Prämisse, dass mangelnde
Rationalität zu suboptimalen Entscheidungen führt, scheint an Bedeutung zu verlieren.
Diese Arbeit zeigt auf, dass durch eine Institutionalisierung von Emotionalität aus den
bisher als Störfaktor betrachteten Emotionen eine Ressource für nachhaltigen
Unternehmenserfolg wird. Es ist daher davon auszugehen, dass betrieblich
institutionalisierte Emotionen in Zukunft zunehmend in Forschungsarbeiten adressiert
werden. Nachfolgend werden deshalb Trends beschrieben, welche aus Sicht des
Autors für dieses Forschungsfeld bestimmend sind.
Die stetig fortschreitende Internationalisierung von F&E-Aktivitäten und
Forschungsstandorten führte in den letzten Jahrzehnten dazu, dass immer mehr
virtuelle F&E-Teams gebildet werden. Neben vielen Vorteilen, welche dezentralisierte
F&E-Teams bieten, liegt einer ihrer Hauptnachteile in der nicht vorhandenen sozialen
Präsenz. Diese ist jedoch für Prozesse, in denen der Austausch von implizitem Wissen
eine entscheidende Rolle spielt, zentral. Da ein solcher Austausch speziell zu Beginn
von Innovationsprojekten, sprich in der Ideengenerierungsphase, unabdingbar ist,
170
Implikationen
bedeuten dezentrale Teams weniger Kommunikation und mangelnde
Emotionalisierung. Es braucht daher Lösungen, um auch virtuelle Teams wieder
verstärkt zu emotionalisieren. Emotional Empathic Events stellen eine solche
Möglichkeit dar, um Emotionen als Informationsträger und vertrauensbildende
Faktoren einzusetzen. Die emotionale Perspektive wird deshalb gerade in einem
internationalen F&E-Umfeld in Zukunft verstärkt an Bedeutung gewinnen.
Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen, dass Emotionen bisher praktisch ausschliesslich
in B-to-C-Märkten eine Rolle spielen. Innerhalb dieser Märkte liegt der Fokus auf
Produkt- und Featureinnovationen. Aktuelle Trends des Innovationsmanagements
deuten jedoch darauf hin, dass Produktinnovationen in Zukunft nicht mehr ausreichen
werden, um sich langfristig vom Wettbewerber zu differenzieren. Service und
Geschäftsmodellinnovationen gewinnen an Bedeutung. Geschäftsmodellinnovationen
bedingen gegenüber der klassischen Produktinnovation komplett andere Fähigkeiten
und Prozesse. Es stellt sich deshalb die Frage, welche Rolle Emotionen innerhalb
dieser Prozesse spielen und ob durch deren Einsatz ein entsprechender Mehrwert
erzielt werden kann.
Die Erstellung emotionaler Zukunftswelten basiert auf den durch das Unternehmen
gesammelten Informationen über die Zukunft. Die Ergebnisse dieser Untersuchung
zeigen, dass es für die Entwicklung emotionaler Zukunftswelten einerseits
entscheidend ist, welche Qualität die Informationen aufweisen und andererseits wie
die Daten interpretiert und ausgewertet werden. In diesem Zusammenhang zeichnen
sich mehrere Trends ab. Es stellt sich beispielsweise die Frage, wie und in welchem
Umfang auch kleinere Unternehmen an gesicherte Informationen über die Zukunft
gelangen.
Nicht
jedes
Unternehmen
unterhält
eigene
Trendund
Zukunftsforschungsabteilungen. Will ein Unternehmen dennoch an solche
Informationen gelangen, müssen diese zwangsläufig extern beschafft werden. Es ist
deshalb davon auszugehen, dass die Öffnung von Innovationsprozessen fortschreiten
wird. Gerade wenn Informationen von ausserhalb des Unternehmens in
Innovationsprozesse mit einbezogen werden, ist deren Auswertung und Interpretation
von entscheidender Bedeutung. Während Unternehmen heute über ausgereifte
Systeme und Methoden verfügen, um die Entwicklungen der nächsten 3-5 Jahre
abzuschätzen, fehlen solche für langfristige Zeiträume. Die zukünftige
Herausforderung für Unternehmen wird es sein, Annahmen über Zeiträume von
beispielsweise 25 Jahren in Konzepte zu übersetzen, die direkt in den
Innovationsprozess einbezogen werden können. Diese müssen von den Mitarbeitern
Emotional Empathic Event
171
verstanden und akzeptiert werden. Die Wissenschaft ist hier gefordert, entsprechende
Konzepte und Ansätze zu entwickeln.
Emotionen sind sehr individuell und praktisch untrennbar mit dem menschlichen
Dasein verknüpft. Wie die Fallstudien gezeigt haben, lassen sich Emotionen auf
abstrakter Ebene dazu verwenden, menschliches Verhalten in bestimmten Situationen
zu antizipieren und sogar zu steuern. Während die in dieser Arbeit untersuchten
Beispiele ausschliesslich Fälle sind, in denen der Kunde letztlich auch der
Verbraucher/ Anwender ist, stellt sich die Frage, welche Rolle Emotionen im B-to-B
Geschäft spielen. Es ist davon auszugehen, dass Emotional Empathic Events auch in
diesen Märkten erfolgreich eingesetzt werden können, wenngleich ein geringerer
Wirkungsgrad erwartet wird.
Nicht zuletzt wirft der Umgang mit Emotionen innerhalb des Unternehmenskontextes
auch Fragen über die moralische und ethische Verantwortung gegenüber den
Mitarbeitenden
auf.
Unternehmen,
welche
sich
entscheiden
Emotionalisierungsprozesse einzusetzen, müssen sich diesen Fragen stellen und
entsprechende Lösungskonzepte erarbeiten.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass dieses Forschungsprojekt Fragen
adressiert, die von bereichsübergreifender Relevanz sind und sowohl wissenschaftliche
wie auch unternehmerische Lücken adressieren. Die Literatur zur Rolle von
Emotionen innerhalb des Neuproduktentwicklungsprozesses ist noch wenig
entwickelt. Die Ergebnisse, welche in dieser Arbeit präsentiert werden, geben einen
ersten Einblick in die Möglichkeiten von Emotionen innerhalb des
Innovationsmanagements. Es ist zu hoffen, dass zukünftige Forschungsvorhaben diese
ersten Erkenntnisse weitergehend vertiefen, um dadurch die Effizienz und Effektivität
radikaler Innovationsprozesse weiter zu steigern. Das entwickelte Konzept stellt in
diesem Sinne einen Leitfaden für das Management emotionaler Prozesse innerhalb der
unternehmenseigenen F&E dar. Gleichzeitig dient diese Arbeit als Ausganslage für
weitere Forschungsaktivitäten zu diesem hoch relevanten und interessanten
Themengebiet.
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Emotional Empathic Event
185
Anhang
Checkliste und Leitfaden für Emotional Empathic Events des Typs
"Verführer"
Auf der Basis der gewonnenen Erkenntnisse wird im folgenden Kapitel ein konkreter
Leitfaden für die Managementpraxis vorgestellt. Der Leitfaden besteht aus den
zentralen Fragen, die aus der Managementperspektive in jeder Phase zu stellen sind.
Diesen folgen Musterantworten die einen direkten Bezug zum Emotional Empathic
Event haben. Die Antworten sowie die Fragen sind dabei nicht direkt auf die
erhobenen Daten zurückzuführen, sondern basieren auf persönlichen Einschätzungen
und Erfahrungen des Autors. In Kombination mit der in dieser Arbeit entwickelten
Methodik, bietet der Leitfaden eine fundierte Grundlage, um Emotional Empathic
Events zu planen, vorzubereiten und durchzuführen. Die im Folgenden gemachten
Angaben erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Initiierungsphase
Phase
Zentrale Fragen
Musterantworten
Ist unser Unternehmen bereit,
um Emotionalisierungsprozesse
zu akzeptieren?
Ja. Wir verfügen über eine offene,
veränderungsfähige und interdisziplinäre
Innovationskultur. Mit unserer
Forschungstätigkeit wollen wir einen echten
Mehrwert für den Kunden kreieren.
Steht das Top-Management
hinter einem solchen Konzept?
Ja. Das Top-Management erachtet
Emotionen im Sinne der Marktorientierung
als strategischen Beitrag zur Differenzierung
gegenüber dem Wettbewerber.
In welchem Kontext findet der
Prozess statt und wo wird dieser
Prozess organisatorisch
aufgehängt? Wer ist Process
Owner, wer soll ihn steuern?
Es gilt Branchen- und Unternehmenseigenheiten zu berücksichtigen. Auch
verschiedene Promotorenmodelle,
unternehmens-politische Machtverhältnisse
und die Top-Management-Präsenz gilt es in
Betracht zu ziehen.
Kann der beabsichtigte
Emotionalisierungsprozess mit
bestehenden Strategien in
Ja. Sowohl die allgemeine
Unternehmensstrategie wie auch die daraus
abgeleiteten Substrategien Innovations- und
186
Anhang
Einklang/Verbindung gebracht
werden?
Technologiestrategie, unterstützen einen
solchen Prozess. Der Prozess selbst kann
einen Beitrag zur Verknüpfung dieser
Strategien leisten. Der Prozess ist von
strategischer Bedeutung.
Mit welchem Ziel soll der
Prozess initiiert werden?
Kurzfristiger Output? Kulturelle
Veränderungen? Anregung für
beteiligte Bereiche?
Ziel des Emotionalisierungsprozesses ist die
effizientere Ideengenerierung für Produkte
und Features, für den Kunden der Zukunft.
Dabei sollen die relevanten
Unternehmensbereiche miteinander
verknüpft und bestehende Barrieren und
Schnittstellenproblematiken behoben
werden. Der Prozess soll langfristig die
vorherrschende Innovationskultur
beeinflussen.
Was ist der Fokus und welche
Ergebnisse werden aus dem
Prozess erwartet?
Im Fokus stehen radikale Produkt- und
Featureideen, welche langfristig im
Unternehmen umgesetzt werden sollen.
Ergebnis können Konzeptstudien, Prototypen
oder ausgearbeitete Machbarkeitsstudien
sein. Die Top-Ideen müssen dem TopManagement präsentiert werden. Einfache
Ideen müssen ins bestehende
Ideenmanagementsystem eingegeben werden
können. Selektionskriterien für die
Vertiefung der generierten Ideen sind mit der
relevanten Strategie sowie den vorhandenen
Anforderungen abgeglichen und bekannt.
Welche finanziellen und
zeitlichen Ressourcen stehen zur
Verfügung?
Es sind ausreichend finanzielle Mittel
vorhanden und für die Durchführung des
Prozesses stehen einige Monate zur
Verfügung. Der Zugriff auf die benötigten
Humanressourcen ist sichergestellt.
Welcher Emotionalisierungstyp
soll durchgeführt werden?
Es wird der Verführer gewählt, da die
einzelnen Akteure jeweils nur für eine kurze
Dauer in die emotionale Kundenwelt
hineinversetzt werden sollen. Dabei sollen
sie jedoch nicht zu stark in ihrer
Emotional Empathic Event
187
Vorbereitungsphase
Persönlichkeitsstruktur verändert werden.
Welches sind die relevanten Die optimale Besetzung besteht aus einem
Mix
zwischen
Akteure für diese Art von interdisziplinären
unternehmensinternen Fachkräften aus den
Prozess?
relevanten
Produktsowie
Marktforschungsbereichen.
Je
nach
Themengebiet und internem Know-how ist
es empfehlenswert, unternehmensexterne
Experten hinzuzuziehen (Lead-User oder
Wissenschaftler). Um ein Out-of-the-BoxDenken zu forcieren ist darauf zu achten,
auch Nichtexperten in den Prozess zu
integrieren.
Es
ist
auch
möglich,
verschiedene Gruppen von Akteuren zu
bilden. Beispielsweise eine interdisziplinäre
Gruppe, eine reine F&E-Gruppe sowie eine
Gruppe von externen Nichtexperten.
Wie
sollen
die
Akteure
ausgewählt
werden?
Bewerbung? Kompetenzprofile?
Vorschlagswesen? Freiwillig?
Die Auswahl sollte auf Grund von
persönlichem Interesse der Teilnehmer und
deren Kompetenz geschehen.
Eine Auswahl gegen den Willen und aus
politischen Gründen ist prozessschädlich.
Welche Daten über den Kunden Als Basis für die später zu generierenden
Zukunftswelten
sind
der Zukunft fliessen in den Emotionalen
Informationen aus den verschiedenen
Prozess ein?
Marktforschungseinheiten des Unternehmens
zu verwenden. Diese können aus der
Marktforschung, dem Marketing, Verkauf,
Trendforschern,
Zukunftsforschungsabteilungen
oder
beispielsweise
der
Technologietrendforschung
stammen.
Ergänzt werden sollten die Informationen mit
externen Studien über gesellschaftliche,
demographische und politische Trends.
Es
ist
empfehlenswert
reine
Marktinformationen mit solchen aus der
188
Anhang
Technologieentwicklung (eigene und fremde
Branchen) zu ergänzen oder zu durchsetzen.
Bei der Sammlung, Analyse, Interpretation
und Transformation der Ergebnisse sollten
die entsprechenden Fachkräfte involviert
werden.
Wie
sollen
Emotionale
Kundenwelten ausgestaltet sein?
Worauf
ist
bei
deren
Ausgestaltung zu achten?
Für die Erstellung der emotionalen
Zukunftswelten
sollte
ein
"bedürfnisorientierter"
Ansatz
gewählt
werden. Dabei werden die vorhandenen
Daten in konkrete Stimuli in Form von
Bildern,
Fallstudien,
Kurzfilmen,
Erlebnismaterial, Events, Storylines etc.
umgesetzt.
Material das beispielsweise dazu verwendet
werden kann ist: noch nicht veröffentlichte
Prototypen,
Materialproben,
Entwicklungsvorrichtungen,
neueste
Innovationen,
Gerüche,
Musik,
Raumkonzepte usw.
Dabei ist darauf zu achten, dass die Stimuli
auf die Ziele, Standards und Einstellungen
der Akteure ausgerichtet sind und die
Bedürfnisse des virtuellen Kunden abstrakt
wiedergeben.
Wo soll die Emotionalisierung Bei der Auswahl des Durchführungsortes
sollte darauf geachtet werden, dass die
stattfinden?
Akteure ausserhalb ihres gewohnten
Arbeitsumfeldes sind. Zusätzlich muss der
gewählte Ort die generierten Zukunftswelten
aufnehmen und wiedergeben können. Es ist
also darauf zu achten, dass genügend
Freiheitsgrade
für
eine
mögliche
Raumgestaltung sowie die Durchführung der
Events vorhanden sind.
die
Phase
der
eigentlichen
Welche Methoden sollen für die Für
Durchführung gewählt werden? Emotionalisierung der Teilnehmer ist auf
bekannte
Kreativitätsund
Emotional Empathic Event
189
Ideengenerierungsmethoden
zurückzugreifen. Wichtig ist darauf zu
achten, dass die Methoden die jeweilige
Bedürfnisstruktur
und
Zukunftswelt
unterstützen. Beispiele können sein: Osborn,
Erlebnissynektik, Brainstorming etc.
Die Methoden sollten auch innerhalb des
Workshops aufeinander abgestimmt sein.
Dazu
sind
die
jeweiligen
Moderationsmethoden zu bestimmen. Wie
soll die Gruppe geführt werden?
Umsetzungsphase
Wie soll die Emotionalisierung Die konkrete Emotionalisierung der Akteure
sollte in einem mehrphasigen Workshop
konkret stattfinden?
stattfinden, in dem erst nach einer Klärung
des Gesamtprozesses, einem gemeinsamen
Kennenlernen sowie dem gedanklich
geschaffenen Freiraum die eigentlichen
Stimuli eingesetzt werden.
Die Akteure sollten in Kleingruppen von 3-6
Personen
mit
den
Zukunftswelten
konfrontiert werden. Dabei sollten die Welten
so ausgestaltet sein, dass sie sowohl
individuell als auch in der Gruppe erlebt
werden können. Erst nach der Stimulierung
und dem Klarwerden über die eigenen
ausgelösten Emotionen werden Ideen
generiert. Dies geschieht analog zu bekannten
Ideengenerierungsansätzen.
Wie sollen aus den generierten Die Auswahl sollte einerseits aufgrund der
festgelegten
Zielvorstellungen
Ideen die richtigen ausgewählt zuvor
erfolgen, und andererseits kann dazu das
werden?
Know-how der beteiligten Akteure aktiv
genutzt werden.
Es ist empfehlenswert, zwischen der
Ideengenerierung und der finalen Auswahl
und Vertiefung noch Recherchephasen
einzuplanen. In diesen können allfällige
190
Anhang
Ideen auf bereits bestehende Patente oder
Lösungen geprüft werden.
Diffusionsphase
Wie soll die
stattfinden?
Ideenvertiefung Das Resultat der Ideenvertiefung sollten die
festgelegten Ergebnisse sein. Der Prozess ist
entsprechend
den
festgelegten
Erwartungshaltungen auszulegen.
Wie ist die Diffusion der Die erarbeiteten Ergebnisse sind dem
Topund
Ergebnisse ins Topmanagement involvierten
Schnittstellenmanagement
in
einer
zu gewährleisten?
persönlichen Präsentation vorzustellen. Dabei
sind erste Prototypen oder ausgereifte
Zeichnungen der Ideen vorteilhaft. Die
beteiligten Akteure sollten wenn möglich
anwesend sein, um mögliche Fragen direkt
beantworten zu können, und andererseits um
zu signalisieren, dass die Ideen wirklich als
relevant erachtet werden.
Wodurch kann die Diffusion in
die
umsetzenden
Bereiche
unterstützt und gewährleistet
werden?
Die Diffusion in die umsetzenden Bereiche
sollte auf mehreren Ebenen sichergestellt
werden: Erstens durch Verpflichtung des
Bereichsmanagements,
zweitens
durch
persönliche Präsentationen in Form von
Roadshows oder Innovationdays und drittens
durch die aus den Bereichen stammenden
Akteure selbst.
Emotional Empathic Event
191
Liste der Interviewpartner
Phase 1:
Firma
Name
Position/Bereich
Ort
Zeitraum
Endress&Hauser
anonym
Director Technology
Gespräche
2007-2008
Endress&Hauser
anonym
Director Global
Industry Management
Gespräche
2007-2008
Endress&Hauser
anonym
Bereichsleiter
Marketing Technik
Gespräche
2007-2008
Bosch Packaging
anonym
Vice President
Packaging Systems
Gespräche
2007-2008
Zumtobel
anonym
Leiter Central R&D
Gespräche
2007-2008
Bühler AG
anonym
Managing Director
Feed & Oil Milling
Gespräche
2007-2008
Bühler AG
anonym
Director Business
Development &
Marketing
Gespräche
2007-2008
Weinig AG
anonym
Bereichsleiter
Marketing / PR
Gespräche
2007-2008
Phase 2
Firma
Name
Position/Bereich
Ort
Zeitraum
Automobil AG
anonym
Group Research
Gespräche
2007-2008
Automobil AG
anonym
InnovationsModulmanagement
Gespräche
2007-2008
Fahrzeug AG
anonym
Technologieforschung
Gespräche
2007-2008
Fahrzeug AG
anonym
Manager Innovation
Management
Interview
26.09. 2007
Fahrzeug AG
anonym
Entwicklungsstrategie,
Ziele, Prozesse
Interview
26.09.2007
Fahrzeug AG
anonym
Entwicklung,
Marktstudien
Interview
26.09.2007
Fahrzeug AG
anonym
Entwicklung, Interieur
Interview
26.09.2007
192
Anhang
Fahrzeug AG
anonym
Entwicklung,
Electronics
Interview
26.09.2007
CeWe Color
Dr. Reiner Fageth Head Technology,
Research and
Development
Telefoninterview 22.10.2010
CeWe Color
Thomas Grunau
Head Marketing
Telefoninterview 22.10.2010
VW Moonraker
Oliver Schmidt
Produktmanagement
Aggregate / Team
Moonraker
Gespräch
Telefoninterview 05.05.2011
Emotional Empathic Event
193
Datenbasis für die Case Study Filmindustrie
Abbildung 24: Auszug der Bewertungsmatrix Filmindustrie
Tabelle 6: Ausgewählte Regisseure
Regisseur Anzahl Nennungen in den drei Listen Steven Spielberg 6
Peter Jackson 6
James Cameron 5
Robert Zemeckis 4
Georges Lucas 3
David Yates 2
Gore Verbinski 2
Stanley Kubrick 1
Quentin Tarantino 1
Robert Rodriguez (Sin City) 1
194
Anhang
Tabelle 7: Filmliste nach Box Office Sales
R. BOS8
8
Film
Regisseur
1 Titanic
James Cameron
2 LOTR: The Return of the King
Peter Jackson
3 Pirates of the Caribbean: Dead Man's Chest
Gore Verbinski
4 The Dark Knight
Christopher Nolan
5 Harry potter and the Sorcerer's Stone
Chris Columbus
6 Pirates of the Caribbean: At World's End
Gore Verbinski
7 Harry Potter and the Order of the Phoenix
David Yates
8 Harry Potter and the Half-Blood Prince
David Yates
9 Star Wars: Episode I - The Phantom Menace
George Lucas
10 LOTR: The Two Towers
Peter Jackson
11 Jurassic Park (1993)
Steven Spielberg
12 Shrek 2
Andrew Adamson/Kelly
Asbury/Conrad Vernon
13 Harry Potter and the Goblet of Fire
Mike Newell
14 Spider-Man 3
Sam Raimi
15 Ice Age: Dawn of the Dinosaurs
Carlos Saldanha
16 Harry Potter and the Chamber of Secrets
Chris Columbus
17 LOTR: The Fellowship of the Ring
Peter Jackson
18 Finding Nemo
Andrew Stanton
19 Star Wars: Episode III - Revenge of the Sith
George Lucas
20 Transformers: Revenge of the Fallen
Michael Bay
R. BOS steht für den Rang gemäss Box Office Sales Liste
Emotional Empathic Event
195
Tabelle 8: Filmliste nach gewichtetem Award Ratio
R. BOS
Film
Regisseur
2 LOTR: The Return of the King
Peter Jackson
1 Titanic (inno)
James Cameron
100 Dances with Wolves
Kevin Costner
34 Forrest Gump (inno)
Robert Zemeckis
23 Star Wars IV - A New Hope (1977)
(inno)
George Lucas
87 Gladiator
Ridley Scott
74 Saving Private Ryan
Steven Spielberg
126 Mary Poppins 1964
Robert Stevenson
30 E.T.
Steven Spielberg
94 The Exorcist 1973
Wiliam Friedkin
28 The Lion King
Roger Allers / Rob Minkoff
17 LOTR: The Fellowship of the Ring
Peter Jackson
66 Terminator 2: Judgement Day (inno)
James Cameron
86 The Matrix 1999 (inno)
Andy & Lana Wachowski
107 Who Framed Roger Rabbit 1988
Robert Zemeckis
77 Jaws
Steven Spielberg
68 Aladdin
Ron Clements / John Musker
93 The Bourne Ultimatum
Paul Greengrass
11 Jurassic Park (1993) (inno)
Steven Spielberg
56 King Kong (2005)
Peter Jackson
196
Anhang
Tabelle 9: Filmliste nach innovativer Technologie & Technik
R. BOS
Film
Regisseur
115 Pulp Ficton 1994
Quentin Tarantino
109 Close Encounters of the Third Kind 1977
Steven Spielberg
133 Aliens 1986
James Cameron
131 Earthquake 1974
Mark Robson
139 2001: A Space Odyssey 1968
Stanley Kubrick
130 Alien 1979
Ridley Scott
123 Death Becomes Her 1992
Robert Zemeckis
112 Total Recall 1990
Paul Verhoeven
114 The Prince of Egypt 1998
Brenda Chapman / Steve Hickner
116 Toy Story 1995
John Lasseter
140 The Abyss 1989
James Cameron
147 An American Werewolf in London 1981
John Landis
156 Citizen Kane 1941
Orson Welles
120 12 Monkeys 1995
Terry Gilliam
134 O Brother, Where Art Thou? 2000
Joel Coen
121 Sin City 2005
Robert Rodriguez
145 Blade Runner 1982
Ridley Scott
106 Back to the Future, Part II 1989
Robert Zemeckis
102 The Mummy 1999
Stephen Sommers
103 Monsters vs. Aliens 2009
Rob Letterman / Conrad Vernon
Emotional Empathic Event
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210
Anhang
Christoph Meister
Geboren am 5. Juli 1979 in Schaffhausen (Schweiz)
Ausbildung
2007-2011
Universität St. Gallen (HSG)
Promotionsstudium
&
wiss.
Technologiemanagement (ITEM)
2005-2007
Mitarbeiter
am
Institut
für
Universität St. Gallen (HSG)
Masterstudium in Informations-, Medien- und Technologiemanagement
(IMT)
2002-2005
Universität St. Gallen (HSG)
Bachelorstudium in Betriebswirtschaftslehre
2000-2002
Schweizer Armee
Offizierslaufbahn
1995-2000
Kantonsschule, Schaffhausen
Matura
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