Rehabilitation bei psychischen Erkrankungen und Behinderungen

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Rehabilitation und Gesundheitswesen III
Rehabilitation bei
psychischen Erkrankungen
und Behinderungen –
relevante Konzepte in der
Sozialpsychiatrie
- Kapitel 5 (Borderline) -
5. Das besondere Störungskonzept ‚Borderline‘
Das besondere Störungskonzept „Borderline“ I
• hat ebenfalls eine ‚besondere‘ Historie
• Begriff 1942 geprägt
• ursprüngliche Bedeutung: „Grenzlinie“ zwischen
Neurose und Psychose
• lange Zeit kein schlüssiges Konzept („all-in“-Kategorie)
• Neopsychoanalyse hatte Begriff okkupiert (Stichwort:
Borderline-Struktur, Borderline-Persönlichkeitsorganisation)
• Störung erkennbar an zentralen Abwehrmechanismen
(„Spaltung“/oft missverstanden)
• oder typischen Gegenübertragungsmechanismen
(Schwanken zwischen Annahme und Ablehnung)
Das besondere Störungskonzept „Borderline“ II
• Gekennzeichnet durch ungewöhnliche, z.T.
spektakuläre Symptomkomplexe
• zentral das selbstverletzende Verhalten
• „Schneiden“
• „Ritzen“
• „Schnibbeln“
• Borderline-Diagnose oft ausschließlich hieran
festgemacht
• aber…
Was sind Persönlichkeitsstörungen ?
• Qualitativer Aspekt !!
• Heuristische Anzeichen für PS:
o
o
o
o
o
o
o
PatientIn: „Ich war schon immer so !“
Bezugsperson: „Er hat das immer schon so gemacht !“
Widerstand/Verweigerung/Abbruch
plötzlicher Stillstand in der Therapie
PatientIn scheint sich der Wirkung des eigenen
Verhaltens auf andere Menschen in keiner Weise bewusst
zu sein („Merkt die das nicht ?“)
fragliche Änderungsmotivation
für den Patienten ist die Persönlichkeitsstörung so
akzeptabel und natürlich
Was sind Persönlichkeitsstörungen ?
Quantitativer Aspekt !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Persönlichkeitsstörungen
als
Extremvarianten
menschlicher Vielfalt und Besonderheit !!
Was sind Persönlichkeitsstörungen ?
• Quantitativer Aspekt !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
• Diagnostische Leitlinien der spezifischen
Persönlichkeitsstörungen
ICD 10
Allgemeine Diagnostische Leitlinien für spezifische
Persönlichkeitsstörungen gem. ICD 10 F60
1. deutliche Unausgeglichenheit (Einstellungen und
Verhalten) in mehreren Funktionsbereichen
2. Auffällige Verhaltensmuster sind andauernd und
gleichförmig, nicht nur episodisch
3. …ebenso tiefgreifend und in vielen persönlichen und
sozialen Situationen eindeutig unpassend
4. Beginn immer in Kindheit und Jugend, Manifestation im
Erwachsenenalter
5. meist subjektives Leiden, manchmal erst im Verlauf
6. meist erhebliche Einschränkung der beruflichen und
sozialen Leistungsfähigkeit
Allgemeine Diagnostische Leitlinien für spezi-fische
Persönlichkeitsstörungen gem. ICD 10 F60
… und nicht auf eine
organische psychische Störung
oder eine
Psychose
zurückzuführen !!
Unterschied Psychose und Persönlichkeitsstörung
Kriterium
Verlust des Realitätsbezugs
Unterschied Psychose und Persönlichkeitsstörung
Psychosen
Schizophrenie
affektive Psychosen
Persönlichkeitsstörungen
sog. Cluster A : Exzentrische PS
B : dramatisches, launenhaftes, von Emotionen
geprägte PS
C : Furchtgeprägte PS
SVV
"O"-Ton
"Die rote Sucht"
Ich blute, also
bin ich.
SVV
- schneiden mit scharfen Gegenständen wie z.B. Rasierklingen
und Messern
- mit Scherben die Haut einritzen
- Wiederholtes Kopfschlagen
- Ins-Gesicht-schlagen
- In-die-Augen-bohren
- Beißen in Hände, Lippen oder andere Körperpartien
- oberflächlichen Hautverletzungen
- Verbrühungen
- sich mit Zigaretten oder einem Bügeleisen Verbrennungen
zufügen
- Abbeißen von Fingerkuppen
- Verletzungen durch Kopfschlagen
- extremer exzessiver Sport
- extreme ungesunde Ernährung + viel zu wenig Schlaf
Häufigkeit SVV-Methoden
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•
72 % Hautschnitte
35 % Verbrennungen
30 % sich selbst schlagen
22 % Verhinderung von Wundheilung
22 % Zerkratzen der Haut
10 % Haare ausreißen
8 % selbst Knochen brechen
85 % der Verletzungen entfallen auf die
Extremitäten, 15 % auf den Rumpf
Zahlen zu SVV
• Häufigkeit: 0,7 - 1,5 % Prävalenz (deutsche
Wohnbevölkerung)
• 4-10 % der 15-16-Jährigen
• life-time-Prävalenz in Europa 45,9 % (!!!)
• weiblich : männlich = 5 : 1
• 50 % beginnen im Alter von 14 J.
• 90 % beginnen vor dem 18. LJ
• über 40 % verletzen sich 5 Jahre oder länger
• 15 % länger als 10 Jahre
• in mehr als 50 % der Fälle ist das SVV in der Familie
nicht bekannt bzw. wird heimlich praktiziert
• 93 % der Betroffenen äußern, dass SVV abhängig/
süchtig macht, 5 % sind sich nicht sicher
SVV ist kein
Suizidversuch,
sondern eine gelernte
Möglichkeit der
Affektregulation !!!
SVV als Affektregulation
• durch Schmerz Ausschüttung körpereigener Opioide
• mit bekannten Auswirkungen auf negative Emotionen
und Schmerzwahrnehmung
• Betroffene werden ruhiger, "vernünftiger", können mit
sich besser umgehen, sich kontrollieren
• Lernprinzip: negative Verstärkung/indirekte Belohnung
(analog Suchtverhalten)
• auch klassische Konditionierung (Blut, Farbe rot,
Utensilien)
• körpereigene Opioide fördern Dissoziation
• seltsamerweise beendet SVV öfter dissoziative
Zustände
• nach SVV oft "seelischer Kater" (nach Ende des
"Glücksgefühls")
Das "Doppelbödige" des SVV
1. eine Form der Selbstfürsorge  Umgang mit
Druckgefühlen, Spannungen, nicht aushaltbaren
Erregungszuständen (einschl. Dissoziation)
2. besondere Außenwirkung (wenn nicht heimlich)
 als Signal, als Vorwurf, als Möglichkeit,
Zuwendung zu erfahren, in der Regel anfänglich
sekundäres Motiv (operante Konditionierung)
Sid Vicious, Sex Pistols
Lady Di
Alfred Kinsey
Angelina Jolie
Johnny Depp
Sichtweise BPS im ICD 10
Zwei Kardinalsymptomkomplexe:
Stimmungsschwankungen
und
Impulsivität
Diagnostische Kriterien für BPS gemäß DSM IV
(1) Ein verzweifeltes Bemühen, ein reales oder imaginäres
(2)
(3)
(4)
(5)
Verlassenwerden zu verhindern .
Ein Muster von instabilen, intensiven zwischenmenschlichen
Beziehungen, das sich durch einen Wechsel zwischen den
beiden Extremen Überidealisierung und Abwertung
auszeichnet.
Identitätsstörung: Anhaltend und deutlich gestörtes, verzerrtes
oder instabiles Selbstbild bzw. Gefühl für die eigene Person (z.B.
Gefühl, nicht zu existieren oder das Böse zu verkörpern).
Impulsivität bei mindestens zwei potentiell selbst-schädigenden
Aktivitäten (z.B. Geldausgeben, Sexualität, Substanzmissbrauch,
Ladendiebstahl, rücksichtsloses Fahren, Fressanfälle).
Wiederholte Suiziddrohungen, -gesten, oder -versuche oder
selbstverstümmelnde Verhaltensweisen.
Diagnostische Kriterien für BPS gemäß DSM IV
(6) Instabilität im affektiven Bereich: Ausgeprägte
Stimmungsschwankungen (z.B. intensive episodische
Dysphorie, Reizbarkeit oder Angst), wobei diese
Zustände gewöhnlich ein paar Stunden, selten länger
als einige Tage andauern.
(7) Chronisches Gefühl der Leere.
(8) Übermäßige, starke Wut oder Unfähigkeit, die Wut zu
kontrollieren (z.B. häufige Wutausbrüche, andauernde
Wut oder wiederholte Prügeleien).
(9) Vorübergehende, stress-abhängige schwere
dissoziative Symptome oder paranoide
Wahnvorstellungen.
Borderline - Persönlichkeitsstörung
BPS =
Dysfunktion des emotionsregulierenden
Systems
als Folge
o biologischer Unregelmäßigkeiten
o bestimmter dysfunktionaler Umweltbedingungen
o deren Interaktion
Borderline - Persönlichkeitsstörung
Teufelskreis
Emotionale
Dysfunktion
invalidierende
Umwelt
Borderline - Persönlichkeitsstörung
Emotionale Dysfunktion/-regulation
1. emotionale Verletzbarkeit
2. Unfähigkeit, Emotionen zu steuern/
defizitäre Emotionsmodulation
1. emotionale Verletzbarkeit

ausgeprägte Empfindlichkeit

extreme/intensive Emotionen

verlangsamte Rückkehr zur
emotionalen Baseline
2. Unfähigkeit, Emotionen zu steuern/
defizitäre Emotionsmodulation
mangelnde Unterdrückung unangemessenen Verhaltens
als Folge starker Gefühle
defizitäre Selbstregulation physiologischer Erregung
fehlende Fähigkeit zum Aufmerksamkeitswechsel
kaum geordnete Schritte zur Erreichung eines
stimmungsunabhängigen Zieles
Invalidierende (entwertende) Umwelt
Traumata, Missbrauch, Misshandlung (!!)
Unvorhersehbarkeit/Unkontrollierbarkeit negativer
Ereignisse
Inkonsistente Informationen über
Selbstbild/Selbstwirksamkeit
Überwiegen negativer Emotionen
Intoleranz gegenüber heftigen Emotionen
Intoleranz gegenüber negativen Emotionen
moderate negative Gefühlsäußerungen werden ignoriert
zu viel shaping
zu wenig modeling
zuviel Kontrolle
Attribuierung heftiger Emotionen auf willkürliche
Verhaltenskategorien („Du kannst wenn Du willst“)
emotionale Erfahrungen werden auf sozial inakzeptable
Eigenschaften attribuiert („Du willst ja nur Deinen Willen
durchsetzen)
Therapieschritte gemäß DBT
1. Verringerung von Suizidversuchen und SVV
2. Verringerung therapieschädigenden Verhaltens
3. Verringerung aller die Lebensqualität der Betroffenen
herabsetzenden Verhaltensweisen
4. Fertigkeitentraining in der Gruppe
5. Aufbau positiver Lebensperspektiven
6. ev. Traumatherapie (verhaltenstherapeutisch)
Neurobiologie Emotionale Dysregulation
• BPS -PatientInnen zeigten signifikant gesteigerte
Herzschlagraten nach Konfrontation mit emotionalen Stimuli
als Gesunde  affektive Übererregbarkeit
• Neuroanatomie: Störungen der reziproken Hemmung
limbischer Areale (Amygdala) und des PFC
• PET: Hyperaktivität der Amygdala beim Betrachten affektiv
belastender Bilder
• Volumenminderung Amygdala und Hippocampus (
Selbstberuhigung, GABA)
• Hyperreagibilität der HPA*-Stressachse mit erhöhten KortisolWerten bei BPS-Pat. mit Missbrauchserfahrung (auch im
Vergleich zu gesunden Probanden mit Missbrauchserfahrung)
• Überaktivität/-empfindlichkeit des noradrenergen Systems
(ähnlich sensation seeking bzw. bei ADHS) umstritten
*Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse
Therapielelemente
1. Fertigkeitentraining
2. Kontingenzmanagement
3. Expositionstraining
4. Kognitive Umstrukturierung
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