Seite 1 von 4 I n f o r m a t i o n s m a t e r i a l v o m 0 5 . 0 2 . 2 0 1 5 Schwindel – Attacken aus dem Nichts Schwindelattacken sind einer der häufigsten Gründe, den Arzt aufzusuchen. Jeder fünfte Deutsche ist betroffen, etwas mehr Frauen als Männer. Schwindelanfälle nehmen mit dem Alter zu, dennoch bleiben auch viele junge Leute nicht verschont. Im Laufe seines Lebens kann jeder Vierte damit rechnen einmal krankhafte Probleme mit seinem Gleichgewicht zu bekommen. Wie entsteht Schwindel? Manchmal genügt es, eine sich drehende Spirale zu beobachten oder ein paar schiefe Linien, um einen Schwindel auszulösen. Das hat mit dem Zusammenspiel von Augen und Gehirn zu tun. Mit den Augen nehmen wir unsere Umgebung wahr. Die so gesammelten optischen Reize werden an das Gehirn weitergeleitet. Genau deshalb werden auch die Augenbewegungen bei Schwindelpatienten aufgezeichnet. Nehmen unsere Augen zu viele Informationen auf, gerät die Informationsverarbeitung ins Stocken und unser Körper reagiert mit Schwindelgefühlen. Oder die Informationen widersprechen sich. Wenn manche Menschen Zug, Bus oder Auto fahren, bewegt sich die Landschaft. Innen im Fortbewegungsmittel jedoch ist alles statisch. Diese Ungleichheit der Bewegungen erzeugt Schwindel. Parallel zu den Augen sind aber noch zwei weitere Sinne für unsere Balance verantwortlich: die Tiefenwahrnehmung und der Gleichgewichtssinn. Die Tiefenwahrnehmung Die Tiefenwahrnehmung wird auch als Körpergefühl oder propriozeptives System bezeichnet. Spezielle Rezeptoren leiten permanent Informationen, wie Muskelspannung, Gelenkstellung oder Gelenkbewegung an das Gehirn weiter. So bekommen wir eine Rückkopplung darüber, in welcher Stellung sich welches Körperorgan befindet. Wir spüren, ob wir stehen, liegen oder laufen, ob wir die Hand zur Faust geballt haben oder ob diese flach auf dem Tisch liegt. Das Gleichgewichtsorgan Neben Augen und Tiefenwahrnehmung ist unser Gleichgewichtsorgan für die korrekte Informationsverarbeitung und Weiterleitung ans Gehirn verantwortlich. Das Gleichgewichtsorgan sitzt unmittelbar hinter dem Ohr. Seine drei markanten Bogengänge reichen in alle Dimensionen des Raums. Darin befinden sich die Sinneszellen, Kalk-Steinchen und eine zähflüssige Masse. Mit jeder Bewegung verändern auch die Sinneszellen und Kalk-Steinchen ihre Position in der Flüssigkeit. Das funktioniert nach dem Prinzip einer Wasserwaage. All diese Veränderungen werden dann blitzschnell ans Gehirn weitergeleitet. 1 Seite 2 von 4 Störung der Systeme Übermitteln die drei Sinne – Augen, Tiefenwahrnehmung und Gleichgewichtsorgan – unterschiedliche Informationen, reagiert der Körper mit Schwindelgefühlen. Die Ursachen für solche Abweichungen können vielfältig sein: Manchmal genügt schon ein ausführliches Gespräch, um mögliche Ursachen einzugrenzen. Drehschwindel – alles dreht sich, man erlebt die Umgebung wie auf einem Karussell, der Schwindel dauert meist längere Zeit an Anfallartiger Drehschwindel – auch hier dreht sich alles, jedoch ist der Schwindelanfall sehr kurz (meist nur wenige Sekunden) und sehr heftig Schwankschwindel – der Boden unter den Füßen scheint zu schwanken, man fühlt sich wie auf einem Schiff Benommenheitsschwindel – man fühlt sich taumelig und nimmt die Umgebung wie durch einen Schleier wahr Wenn der Schwindel den Alltag beherrscht – Vestibulärer Schwindel Es geschah einfach so. Am helllichten Tag ohne Vorwarnung. Plötzlich überfällt Manuela K. ein heftiger Schwindel. Genau in dem Moment, in dem sie am Steuer ihres Autos sitzt, mitten auf der Autobahn: „Alles hat sich gedreht. Das war wie beim Karussell fahren. Das war schrecklich. Und ich hab mir gewünscht, dass es wieder aufhört.“ Die Berufsschullehrerin schiebt es auf ihren Kreislauf und den Stress im Alltag. Ausruhen wird sicher helfen, um den Spuk zu vertreiben. Doch der Schwindel kommt wieder. Ohne Vorwarnung und immer häufiger. Es beginnt ein wahrer Arztmarathon und Manuela K. hört viele Diagnosen: ein verkürzter Sehnerv oder Probleme mit der Halswirbelsäule. Doch immer wieder entpuppt sich die scheinbare Lösung als Fehlanzeige. Schließlich überweist sie ein Arzt ins Schwindelzentrum in Jena. In Gesprächen wird entdeckt, dass Verwandte von Manuela K. unter Migräne leiden. Also könnte ihr Schwindel eine vestibuläre Migräne sein, eine spezielle Form von Kopfschmerz. Ihr Arzt hat es ihr so erklärt: „Vestibuläre Migräne heißt, dass die Migräneattacken, die andere Patienten als Kopfschmerz empfinden, sich bei mir in heftigen Schwindelattacken äußern, über einen ausgeprägten Drehschwindel.“ Schwindel – wann zum Arzt? Dauert der Schwindel nur kurz oder ist die Ursache bekannt (neue Brille, Fahrt im Auto, Höhenschwindel an einer Felsklippe) genügt es, auf die jeweilige Ursache zu reagieren und wenn möglich zu vermeiden. Tritt der Schwindel allerdings ohne jeden Anlass auf, ist Vorsicht geboten. Spätestens wenn sich eine solche Schwindelattacke ohne ersichtlichen Grund wiederholt, sollte man einen Arzt konsultieren. Auch wenn der Schwindel über längere Zeit anhält oder wenn andere Beschwerden, wie Übelkeit, Fieber, Atemnot, Hörprobleme oder Ohrgeräusche hinzukommen, sollte man seinen Hausarzt darüber informieren. Ob das tatsächlich die Ursache ist, testen die Ärzte aus, mit einem Medikament gegen vestibuläre Migräne. Und dieses wirkt tatsächlich, womit die Diagnose klar ist. Sie leidet am Vestibulärer Schwindel. Nun nimmt sie täglich Tabletten. Ihr geht es viel besser, aber die Sorge, dass der Schwindel wieder kommen könnte, beschäftigt sie dennoch. Im Gespräch mit einer Psychologin lernt sie sich selbst besser kennen. Und sie weiß nun zum Beispiel, dass sich ihre Attacken bei Stress verstärken. Mit Job, Kindern und Hausbau – schwierig zu vermeiden. Im Schwindelzentrum in Jena lernt sie daher Entspannungsübungen, welche ihr genau in - Sehstörungen Ausfall oder Störung des Gleichgewichtsorgans Störung der Reizverarbeitung im Gehirn Psychische Störungen Arten des Schwindels Je nachdem, was bei einem Schwindelanfall gesehen und erlebt wird, unterscheidet man verschiedene Arten von Schwindel. Die häufigsten sind: 2 Seite 3 von 4 den Momenten helfen, wenn der Stress übermächtig zu werden droht. Von der Angst zu liegen – der gutartige Lagerungsschwindel Jede Nacht stopfte sich Gerd K. mehrere dicke Kissen unter Nacken und Rücken, denn er hatte Angst. Angst vor heftigen Schwindelanfällen. Die kamen immer dann, wenn er flach auf dem Rücken liegend, den Kopf nach links drehte. Der Rentner erinnert sich: „Als ob sie in einen Abgrund stürzen, alles dreht sich. Sie versuchen sich krampfhaft irgendwie festzuhalten. Und wenn sie dann niemanden haben oder sie haben keinen Ansprechpartner, der die Angst nehmen kann – dann ist das einfach schrecklich!“ Drei Jahre schlief er deshalb lieber halb im Sitzen. So lange, bis er durch Hauptsache Gesund erfährt, dass gleich in seiner Nähe, nur wenige Kilometer von seinem Heimatort entfernt, das Schwindelzentrum Jena ist, welches Patienten wie ihn umfassend berät und behandelt. Die Experten haben schnell den Verdacht, dass es ein sogenannter Lagerungsschwindel sein könnte. Dahinter verbirgt sich eine Störung im Gleichgewichtsorgan. Gerade im Alter können sich dort Kalk-Brocken lösen und verrutschen. Sie reizen die Sinneszellen und dadurch entsteht ein Schwindelgefühl. Durch einen sogenannten Befreiungstest, kann man testen, ob tatsächlich verrutschte Kalk-Brocken im Gleichgewichtsorgan die Ursache sind. Dabei sitzt der Patient auf einer Liege und der Oberkörper wird beherzt hin und her gedreht. Bei manchen bewirkt diese Lagerungsübung sogar eine spontane Heilung, das Gleichgewichtsorgan wird quasi freigeschüttelt. Und Gerd K. hat dieses Glück, seine Beschwerden sind weg. Nach drei Jahren Leiden. Noch heute ist der ehemalige Patient verblüfft: „Ich habe gestaunt. Das gibt’s doch gar nicht, hab ich gedacht. Ich fühle mich wie neugeboren. Jetzt kann ich auch hier im Garten wieder alles machen und fühle mich fit.“ Mit Bewegung gegen Schwindel Wer sich regelmäßig bewegt und seine Balance trainiert, kann nicht nur Schwindelattacken vorbeugen, sondern auch während eines Schwindelanfalls koordinierter reagieren. Gleichzeitig dienen diese Übungen auch der Sturzprophylaxe für ältere Menschen. Folgende Übungen werden vom Schwindelzentrum Jena für den Hausgebrauch empfohlen: 1. Arm ausstrecken und den Daumen mit den Augen fixieren 2. Ausgestreckten Arm von rechts nach links bewegen - Augen folgen dabei strikt dem Daumen bis zu der Position, wo Sie ihn noch gut sehen können - Der Kopf bewegt sich dabei nicht mit! - am Ende jeder Bewegung für ein paar Sekunden stoppen 3. Anschließend Bewegen des ausgestreckten Armes von oben nach unten und dabei Verfolgen des Daumens mit den Augen 20mal pro Richtung 1. Arm austrecken und Daumen mit den Augen fixieren 2. Kopf nach rechts und links drehen, sowie nach oben und unten und anschließend das Ohr zur jeweiligen gleichseitigen Schulter - Augen bleiben während Bewegung strikt auf dem Daumen, welcher sich jetzt nicht bewegt Jede Kopfbewegung circa ein bis zwei Minuten 1. Beide Arme ausstrecken und die Daumen mit den Augen fixieren 2. Gemeinsames Drehen des Oberkörpers mit dem Kopf nach rechts und links - Kopf und Augen folgen den Daumen eine Minute 3 Seite 4 von 4 1. Rechten Arm in einer diagonalen Bewegung von rechts hinten oben in Richtung linkem Fuß nach links vorn unten bewegen - Kopf und Oberkörper machen die Bewegung mit - Daumen während der ganzen Zeit mit den Augen fixieren 2. Anschließend gleiche Übung für die andere Seite jede Seite zehnmal wiederholen Gegenstand im Halbkreis über Kopf von der einen Hand in die andere geben - Augen und Kopf folgen immer dem Gegenstand zwei Minuten und länger 1. Auf einen Drehstuhl setzen 2. Einen in etwa 0,5 bis 1 Meter entfernten Fixationspunkt auf Augenhöhe auswählen (zum Beispiel Lichtschalter oder Türklinke) 3. Punkt so lange wie möglich mit den Augen fixieren, während Sie mit den Füßen den Stuhl in eine Richtung im Kreis drehen - in dem Moment, wo der Fixationspunkt das Blickfeld verlässt, das Blickziel durch schnelle Kopfbewegung und mit Augen wieder einfangen mehrmals nach rechts und nach einer Pause mehrmals nach links Bei Ausfall eines der Gleichgewichtsorgane häufiger in die Richtung des Ausfalls drehen! 1. Hüftbreit oder schmaler hinstellen 2. Im Wechsel auf die Zehenspitzen (Ballen) und Fersen bewegen - dabei so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig festhalten - Bewegung langsam ausüben und versuchen die Position kurz zu halten zehnmal jede Position 1. Auf ein Bein stellen und seitliche Gewichtsverlagerung üben 2. Versuchen, so lange wie möglich auf einem Bein stehen zu bleiben - so wenig wie möglich dabei festhalten 3. Anschließend das Gleiche auf der anderen Seite durchführen 4. Gelingt der Einbeinstand gut: dabei Drehen des Kopfes, Schließen der Augen oder Einbeinstand auf Kissen ausführen zehnmal pro Seite Gäste im Studio Prof. Hubertus Axer, Schwindelzentrum Jena, FA für Neurologie und Anatomie Hans-Berger-Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Jena Tobias Jahrmarkt, Physiotherapeut, Hans-Berger-Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Jena Buchtipp Wertvolle Tipps, wie Sie dank einfacher Hausmittel Ihre Selbstheilungskräfte aktivieren und Ihren Körper wieder ins Gleichgewicht bringen können, finden Sie auch im neuen Hauptsache Gesund-Buch „Meine besten Hausmittel“. Erhältlich im Buchhandel und im MDR-Shop. ISBN: 978-3-89883-272-4; 19,95 Euro Kontakt MDR FERNSEHEN, Redaktion Wirtschaft und Ratgeber „Hauptsache Gesund“ Internet: www.mdr.de/hauptsache-gesund | E-Mail: [email protected] Thema der Sendung vom 12.02.2014: “ Alkohol – Wie viel ist noch gesund?“ 4