Perioperative und palliative Therapie des Magenkarzinoms – Update 2012 PD Dr. med. Salah-Eddin Al-Batran Krankenhaus Nordwest, Klinik für Onkologie und Hämatologie Einführung In Deutschland erkranken jährlich circa 20.000 Menschen an einem Magenkarzinom, weltweit sind es circa eine Million. Somit stellt das Magenkarzinom nach dem Bronchialkarzinom die zweithäufigste malignombedingte Todesursache dar. Hinzu kommt eine rasant steigende Inzidenz des Adenokarzinoms des Ösophagus, welches vorwiegend im distalen Anteil der Speiseröhre lokalisiert ist und zu der Gruppe der ösophagogastralen Adenokarzinome (AEG) zählt. Bedingt durch ihre besondere anatomische Lage und ihre aggressive Biologie entwickeln sich die ösophagogastralen Adenokarzinome zu einer echten interdisziplinären Herausforderung. Erfreulicherweise haben sich in den letzten Jahren deutliche Fortschritte in der Behandlung dieser Tumoren ergeben. Dazu zählen Fortschritte in der chirurgischen, der palliativen und der internistisch-onkologischen Therapie. Operable Stadien Die vorliegenden Daten sprechen dafür, dass Patienten mit lokal fortgeschrittenen (T3/4 und/oder N+), nicht metastasierten Magenkarzinomen und AEG von multimodalen Therapiestrategien (neoadjuvanten, perioperativen oder adjuvanten Therapiestrategien) stark profitieren. Der Überlebensvorteil beträgt bis zu 15% nach 5 Jahren. Deshalb ist die alleinige chirurgische Resektion bei diesen Tumoren kein gültiger Standard mehr. Wenn keine Kontraindikationen vorliegen, sollten die Patienten eine Systemtherapie erhalten. In der westlichen Hemisphäre sollte dabei nach den Daten der MAGIC und ACCORD Studien der neoadjuvanten bzw. perioperativen Therapie der Vorzug gegeben werden. Es sollten 8-9 Wochen Chemotherapie mit Cisplatin und 5-FU (CF) oder Epirubicin, Cisplatin und 5-FU (ECF) vor der Operation durchgeführt werden. Nach Abschluss der Chemotherapie sollte ein erneutes Staging und anschließend die Resektion erfolgen. Der Stellenwert der postoperativen Therapiekomponente wird kontrovers diskutiert. Patienten in ausreichendem Allgemeinzustand, die auf die präoperative Therapie mit einer fassbaren Verkleinerung des Tumors angesprochen haben, sollten postoperativ weitere 8-9 Wochen Chemotherapie erhalten. Patienten mit postoperativem Stadium 1 II/III ohne neoadjuvante Therapie (z.B. wegen Fehleinschätzung des Stadiums vor der Operation), kann nach den Ausführungen der S3-Leitlinie eine adjuvante Chemotherapie oder eine adjuvante Radiochemotherapie angeboten werden. Intensive Chemotherapeutische Kombinationen sollten in der rein adjuvanten Situation vermieden werden, da aktuelle Studien zeigen, dass diese im Vergleich 5FU/LV mit keinem Zusatzvorteil für die Patienten assoziiert sind. Im Rahmen der Chemotherapie kann Cisplatin durch Oxaliplatin ersetzt werden. Auch Capecitabin kann anstelle von 5-FU eingesetzt werden. Der neoadjuvante Einsatz von Docetaxelbasierten Kombinationen ist an Zentren mit besonderer Expertise oder im Rahmen von klinischen Studien mit besserer Effektivität im palliativen Setting gut begründbar. Metastasierte Stadien Das Arsenal therapeutischer Substanzen für die Behandlung des metastasierten oder inoperablen Magenkarzinoms bzw. AEG hat sich entscheidend durch neue zytotoxische Wirkstoffe wie Docetaxel, Oxaliplatin, Irinotecan und Capecitabin sowie den neuen zielgerichteten Wirkstoff Trastuzumab erweitert. Diese neuen therapeutischen Optionen müssen im Rahmen individualisierter und multimodaler Therapiekonzepte genutzt werden. Es muss für jede klinische Situation eine individuelle therapeutische Strategie gewählt und durchgeführt werden. Das geeignete Behandlungskonzept berücksichtigt die Her2-Expression als molekularen Marker, patientenbezogene Faktoren wie z.B. Alter, Allgemeinzustand, Komorbiditäten, aber auch klinische Parameter wie Ausmaß und Lokalisation des Primärtumors und der Metastasen. Patienten mit nachweisbarer Her2- Überexpression sollten mit Trastuzumab in Kombination mit Capecitabin/Cisplatin oder 5-FU/ Cisplatin behandelt werden. Vor allem ältere Patienten (> 65 Jahre) oder Patienten mit Kontraindikationen gegen Cisplatin (z.B. Glomeruläre Filtrationsrate < 60 ml/min oder Herzinsuffizienz) sollten Oxaliplatin anstelle von Cisplatin erhalten. Durch den Einsatz von Capecitabin anstelle von 5-FU kann auf die Implantation eines venösen Portsystems verzichtet werden. Docetaxel- basierte Dreifachkombinationen können relativ rasch (in der Regel innerhalb von 6 Wochen) Tumorrückbildungen erzielen und sind nachweislich effektiver als die Zweifachkombination mit Cisplatin/5-FU. Sie stellen daher eine Option für Patienten in einem guten Allgemeinzustand ohne Komorbiditäten und für Patienten, bei denen ein hoher Remissionsdruck besteht (z.B. bei drohender, tumorbedingter Obstruktion), dar. Auch Patienten mit „limitierter Metastasierung“, wie z.B. Patienten mit 2 ausschließlich lymphatisch-paraaortaler Fernstreuung oder Patienten mit lokal fortgeschrittenem, fraglich R0-resektablem Tumor ohne Fernmetastasen, sollten von der wirksamen Induktion mit Docetaxel/ Platin/5-FU wie z.B. DCF oder FLOT (eventuell gefolgt von chirurgischen und/oder strahlentherapeutischen Maßnahmen) besonders profitieren. Die Therapiedauer wird abhängig vom Ansprechen, eventuellen therapieassoziierten Toxizitäten und der subjektiven Einstellung des Patienten individuell angepasst. Bei Progress während oder nach der Erstlinientherapie sollte bei ausreichendem Allgemeinzustand dem Patienten eine Zweitlinientherapie – je nach Vortherapie mit Irinotecan oder Taxanen jeweils mit oder ohne n5-FU – angeboten werden. Auch weitere Therapielinien können in Erwägung gezogen werden. Ausblick Eine weitere Verbesserung der Therapieergebnisse beim Magenkarzinom und AEG kann durch den Einsatz der molekular-gezielten Therapie und die stetige Weiterentwicklung der personalisierten Medizin erreicht zielgerichtete Wirkstoff, für den eine Verbesserung werden. der Der Behandlung erste von ösophagogastralen Tumoren nachgewiesen werden konnte, ist der Her2-Antikörper Trastuzumab. Außerdem wurde gezeigt, dass der gegen den vascular endothelial growth factor (VEGF) gerichtete Antikörper Bevacizumab wirksam ist, indem er die Ansprechraten und das progressionsfreie Überleben verbessert, obwohl das Gesamtüberleben nicht signifikant verlängert wird. Weitere biologische Wirkstoffe befinden sich in der klinischen Entwicklung, deren molekulare Zielstrukturen vielfältig sind. Dazu gehören z.B. c-MET, EGFR, VEGF oder sein Rezeptor (VEGFR), die Cyclooxygenase- 2 (COX-2), der Insulin-like growth factor 1 receptor (IGF-1R) und sein assoziiertes Signalsystem, das mammalian target of rapamycin (mTOR) sowie Komponenten und Regulatoren des Zellzyklus. 3