16 akademie Onkologie Sichere Vorhersage Eine molekularbiologische Untersuchung im DPD-Gen kann das Ansprechen von Patienten auf eine Chemotherapie mit 5-FU prognostizieren und schwere Toxizitäten vermeiden helfen. 5-Fluorouracil (5-FU) ist auch vier Jahrzehnte nach seiner Entwicklung eine der wichtigsten Substanzen in der palliativen und adjuvanten Chemotherapie kolorektaler Karzinome. Darüber hinaus wird es bei der Behandlung anderer gastrointestinaler Tumore (Magen, Ösophagus, Pankreas) sowie des Mammakarzinoms und der KopfHals-Tumore eingesetzt. Jährlich werden in Deutschland zirka 80 000 Patienten mit einem 5-FU-haltigen Chemotherapieregime behandelt. Trotz insgesamt guter Verträglichkeit kommt es auch unter 5-FU-Chemotherapie bei zirka drei bis fünf Prozent der Patienten zu schweren toxischen Nebenwirkungen. Die Pharmakokinetik des 5-FU Wirksamkeit und/oder toxische Nebenwirkungen einer 5-FU-Therapie werden wesentlich von der Pharmakokinetik des 5-FU bestimmt. Es ist bekannt, dass zirka 80 bis 85 Prozent des applizierten 5-FU innerhalb kurzer Zeit katabolisch in der Leber inaktiviert werden. Für den 5-FU-Katabolismus spielt dabei das Enzym Dehydropyrimidin-Dehydrogenase (EC 1.3.1.2., DPD) die entscheidende Rolle, da es den ratenlimitierenden Schritt des Pyrimidinabbaus katalysiert. Ein Mangel an DPD hat eine verzögerte Inaktivierung von 5-FU zur Folge, so dass bei solchen Patienten mit der veränderten 5-FU-Pharma- 1_2010 kokinetik deutlich höhere effektive 5-FU-Konzentrationen über längere Zeit wirksam bleiben. Seit Mitte der 80er Jahre werden Fälle mit schweren Toxizitäten, zum Teil mit Versterben der Patienten, nach 5-FU-haltiger Chemotherapie mit niedrigsten oder nicht nachweisbaren DPD-Spiegeln in peripheren mononukleären Zellen des Blutes korreliert. Gendefekt: Mitschuld an den Nebenwirkungen Für einen nicht unerheblichen Teil der schwersten und zum Teil tödlich verlaufenden Nebenwirkungen bei 5FU-Chemotherapien zeichnet sich ein genetischer Defekt bei den behandelten Personen ursächlich verantwortlich. Es handelt sich dabei um eine Mutation im DPD-Gen, die einen Funktionsausfall und damit einen Mangel dieses Enzyms zur Folge hat. Es ist eine Punktmutation an einer besonderen Position im DPD-Gen: an der Grenze des Exons 14/Intron 15. Im Falle der Mutation wird die Nukleinbase G (Wildtyp, normal) durch die Nukleinbase A (Mutation) ersetzt. Durch diese eigentlich nur geringfügige genetische Änderung wird im Prozess des Ablesens zur prä-mRNA (Transkription) und nachfolgend im Prozess des Splicens (Vorbereitung/Herstellung der eigentlichen mRNA) das Exon 14 nicht erkannt und akademie 17 daher schlichtweg übersprungen (Exon-Skipping, korrekte Mutationsangabe: DPYD IVS14+1G>A). Aufgrund des Exon-14-Skippings entsteht dann eine Deletion von 165 Basen im DPD-Gen beziehungsweise eine Deletion von 55 Aminosäuren im DPD-Enzym, die zu dessen Inaktivierung und in der Folge zu den beobachteten schweren toxischen Nebenwirkungen von 5-FU-Chemotherapien führt. Fotos: FikMik, photlook, Pawel Szczesny, ktsdesign (Fotolia) DPD-Exon14-Skipping-Test Die Exon-14-Skipping Mutation ist nach heutigen Daten für zirka 30 bis 50 Prozent der schwersten Toxizitäten verantwortlich. Unsere eigenen Daten zeigen nach nunmehr mehreren 10 000 gescreenten Patienten sowie nach einer kleineren prospektiven Studie mit 1500 Patienten eine Prävalenz der Mutation im heterozygoten Zustand von 1,28 Prozent in der kaukasischen Bevölkerung. Um die Sicherheit der 5-FU-Chemotherapie zu erhöhen, wird heute der sogenannte DPD-Exon14-Skipping-Test als ZweiStufen-Diagnostik angeboten. Im ersten Schritt wird vor einer 5-FU-haltigen Chemotherapie (auch bei Capecetabine) durch moderne PCR-Technologien auf die Exon-14-Skipping gescreent. Bei Vorliegen des heterozygoten Mutationszustandes wird eine individuelle Dosisermittlung empfohlen, die durch eine pharmakokinetische Untersuchung des 5-FU-Clearings nach Gabe einer verträglich niedrigen singulären Testdosis erfolgt. Damit wird verhindert, dass ein heterozygoter Mutationsträger auf eine doch tolerable 5-FU-Therapie verzichten muss. Wird jedoch der homozygote Mutationsstatus festgestellt, darf keine 5-FU-Chemotherapie durchgeführt werden, da diese einen äußerst schweren oder sogar tödlichen Ausgang verursachen kann. Der Test kann für Patienten der gesetzlichen Krankenkassen als „O-III-Leistung“ angefordert werden und belastet mit der Ziffer 32012 das Laborbudget bei Tumorpatienten nicht. Meulengracht-Syndrom und Irinotecan Eine ähnliche pharmakogenetische Untersuchung wird bei Irinotecan-haltigen Chemotherapien angeboten. Hierbei wird die sogenannte TATA-Box im Promotor-Bereich des UDP-Glukuronosyltransferase A1 (UGT1A1) Gens untersucht. Die normale Anzahl der zu untersuchenden TADinukleotide in der Bevölkerung liegt bei 6xTA = (TA)6. Jedoch wurden bei Patienten, die Nebenwirkungen nach einer Irinotecan-haltigen Chemotherapie zeigten, im heterozygoten sowie im homozygoten Zustand die erhöhte TADinukleotid-Anzahl (TA)7 nachgewiesen. Die Ursache für die aufgetretenen Nebenwirkungen ist zum Teil in der Bedeutung der TATA-Box zu suchen: Durch die Verlängerung der TATA-Sequenz im Promotor wird die Aktivität des UGT1A1Enzyms herabgesetzt und damit die Entgiftungswirkung des Enzyms vermindert. Die erbliche Störung des Bilirubinstoffwechsels in der Leber ohne zugrundeliegende Leberkrankheit tritt meist als vorübergehender, leichter Sklerenikterus in Erscheinung – bekannt unter dem Namen Meulengrachts-Syndrom. Erst vor wenigen Jahren hat man entdeckt, dass diesem Syndrom in der Regel der oben beschriebene Promotor-Polymorphismus im UGT1A1-Gen zugrundeliegt. Kontakt Dr. Wolfgang Schwabe synlab/Oncoscreen Loebstedter Str. 93 07749 Jena Telefon: 0 36 41 – 50 74 10 E-Mail: [email protected] 1_2010