1 1. Vorlesung / 11.3.2002 / Berger PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN = Störungen, die lang anhaltend sind (im Unterschied zu akuten psychischen Erkrankungen wie z.B. Depression oder Manie) ALLGEMEINE KRITERIEN EINER PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG: 1) abweichende Erfahrungs- und Verhaltensmuster in mehreren Bereichen (Wahrnehmung / Interpretation, Affektivität, Impulskontrolle1, zwischenmenschliche Beziehungen2) 2) unflexibel in mehreren Situationen3 3) persönlicher Leidensdruck oder Auswirkungen auf andere 4) stabil, lange Dauer, Beginn in Adoleszenz 5) nicht durch andere psychische Erkrankungen oder Störungen bedingt UNTERSCHEIDE: • Persönlichkeitszüge: hat jeder Mensch; sind normalverteilt in Bevölkerung (z.B. Ängstlichkeit, Extraversion, Introversion vgl. Eysenck); flexibles Reagieren in verschiedenen Situationen ist möglich • Persönlichkeitstörungen (ICD-10 – F60): sind in Persönlichkeit verwurzelt; betreffen vor allem das Verhalten; sind lang anhaltend und unflexibel • Persönlichkeitsveränderungen: können auftreten nach besonderer Belastung Î andauernde Persönlichkeitsveränderungen nach Extrembelastung (z.B. Flüchtlinge = eventuell vorsichtiger, mißtrauischer,...) Î andauernde Persönlichkeitsveränderungen nach psychischer Erkrankung ¾ chronische Depression: negativere Einstellung, sozialer Rückzug ¾ Panikstörung und nachfolgende Agoraphobie: Patient wirkt abhängiger, obwohl er früher viel selbstständiger war 1 2 3 z.B. Gewaltausbrüche, Geldausgaben, Substanzmißbrauch z.B. Beziehungen werden nicht gehalten, andauernde Trennungen d.h. jemand macht immer wieder dasselbe, vor allem bei besonderen Anforderungen -> Alltag, Beziehungen werden dadurch ständig beeinträcht 2 ¾ Schizophrenie: oft Probleme zu unterscheiden, ob jemand ein Einzelgänger ist oder ob das schon Anzeichen einer Erkrankung ist ¾ organische / traumatische Hirnveränderung: vor allem im Frontalhirnbereich -> Patient wird expansiver, lethargischer, rücksichtsloser (klarer Beginn ist festzustellen) ¾ Schilddrüsenerkrankung: Patient wird nervöser bzw. fahriger ABER: Das alles ist KEINE Persönlichkeitsstörung! TRIADISCHES SYSTEM DER PSYCHIATRISCHEN NOSOLOGIE: Abnorme ErlebnisBelastungs-Reaktion (= Krise) Abnorme Verstandeslage (= geistige Behinderung) Abnorme Spielarten seelischen Lebens Abnorme (Persönlichkeits-) Entwicklung (= Neurose) Abnorme Persönlichkeiten (= Persönlichkeitsstörung) primäre Hirnkrankheit (hirnorganisch) körperlich begründete psychische Störungen hirnbeteiligte Körperkrankheiten (sympomatische) Zyklothymie (manisch / depressiv) endogene psychische Störungen Schizophrenien 3 GESCHICHTE DER PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN: 1804 Philipp Pinel: Manie ohne Delir (irrationales Verhalten bei normalen intellektuellen Fähigkeiten) 1837 James Prichard: spricht in „Treatise on Insanity” von moral insanity: = Irrsinn, der darin besteht, dass natürliche Gefühle, Neigungen, Anlagen, Gemütsverfassungen, moralische Einstellungen und Triebe auf krankhafte Weise pervertiert sind, jedoch ohne irgendwelche auffallende Störung oder Defekt des Intellekts und ohne wahnhafte Sinnestäuschungen oder Halluzinationen 1838 Esquinol: Monomanie (= Impulskontrollstörungen) 1891 Koch: psychopathische Minderwertigkeiten 1899 Kraepelin: 4 Typen von psychopathischen Personen: o o o o 1923 Kurt Schneider: der der der der geborene Kriminelle Labile krankhafte Lügner und Schwindler Pseudoquerulant Psychopathie (viel breiteres Verständnis als heute! [Heute: Psychopath = vor allem asozial]) Dimensionaler Verlauf zwischen gesund und krank; Typenkonzept entwickelt. Plastische Beschreibungen der Patienten -> ist schwierig in Diagnostik umzusetzen; drum gibt es heute Kriterien wie in ICD und DSM. 1978 ICD-9 1980 DSM-III (erstmals Kriterien zur Diagnose von Persönlichkeitsstörungen) BEZIEHUNGEN ZWISCHEN PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN UND PSYCHIATRISCHEN ERKRANKUNGEN: • In den Klassifikationsschemata (ICD und DSM) befinden sich die psychiatrischen Erkrankungen auf Achse I • Die Persönlichkeitsstörungen befinden sich auf Achse II -> sind schwieriger zu behandeln; können psychiatrische Erkrankungen modulieren (z.B. wenn jemand eine Panikstörung hat, sind die einzelnen Episoden relativ umschrieben, zwischendurch kann auch Besserung eintreten. Bei Persönlichkeitsstörung: früher Beginn, keine Episoden, sondern sie sind etwas Durchgehendes bzw. Gelichbleibendes) 4 WOZU PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN DIAGNOSTIZIEREN? wird vor allem diagnostiziert in: • • • forensischer Bereich (Gutachten, Therapie, Prognose) klinischer Bereich (Therapie und Prognose, „komplexe Fälle“4) Forschung (Epidemiologie, Ätiologie, kontrollierte Therapie-Studien) z.B. Bei Patienten mit Panikstörung zu 90% Behandlungserfolg; das ist aber nicht so, wenn Patient mit Panikstörung gleichzeitig eine Persönlichkeitsstörung hat. Fazit: Es ist wichtig, Persönlichkeitsstörung zu diagnostizieren, damit man weiß, dass Patient z.B. nicht so leicht auf Therapie ansprechen wird. HÄUFIGKEIT: * ambulante Patienten: 23 - 81% * stationäre Patienten: 19-87% * in Gesamtbevölkerung: 10-18% } Schwankungen hängen mit Art der } primären Störung zusammen Î Ist primäre Störung Alkoholabhängigkeit -> höherer Prozentsatz der Patienten mit zusätzlicher Persönlichkeitsstörung; Î ist primäre Störung Angststörung -> Prozentsatz der Patienten mit zusätzlicher Persönlichkeitsstörung ist geringer Merke: Meist hat jemand die Persönlichkeitsstörung nicht allein, sondern es ist eine primäre Störung [eine Achse I – Störung] dabei. EINTEILUNG DER PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN: Man unterscheidet 3 Cluster: • • • Cluster A = sonderbar / exzentrisch Cluster B = dramatisch / emotional / extrovertiert Cluster C = ängstlich / furchtsam Persönlichkeitsstörung kann Verlauf einer anderen Störung ungünstig beeinflussen; Patienten mit Persönlichkeitsstörungen sprechen z.B. verzögert auf Depressions-Behandlung an (sowohl auf medikamentöse als auch auf Psychotherapie). Patienten mit Persönlichkeitsstörung sind of Patienten mit schlechter Compliance (z.B. bei Diabetes). Sind sehr schwierige Patienten (z.B. sind böse, wenn sie nicht gleich dran kommen, arbeiten nicht mit dem Arzt mit) 4 5 Cluster A = sonderbar / exzentrisch DSM IV ICD -10 * paranoide PS: * paranoide PS: Î Mißtrauen und Argwohn, andere wären böswillig (aber keine fixen Wahnsysteme wie bei Paranoia); besonders eifersüchtig, ständige Verdächtigungen des Partners -> Probleme in Beziehungen, im Alltag, im Beruf.) * schizoide PS: * schizoide PS: Î soziale Distanz, eingeschränkter Ausdruck von Emotionen (Patienten = Einzelgänger, die GERN allein sind, leben allen und sind zufrieden damit. Empfinden Emotionen nicht so stark und wenn, so können sie sie nicht ausdrücken; Folge = Kommunikationsprobleme) * schizotypische PS: * (F21: schizotype Störung5): Î soziale Angst, Verzerrung von Denken und Wahrnehmung, exzentrisch Neigung zum Magischen, Hellsehen, Okkultismus, Zauberei; einzelne Wahrnehmungsstörungen, die aber nicht den Grad von Halluzinationen erreichen; sind oft seltsam exzentrisch angezogen. Sympotmatik = nur wenig ausgeprägt. [Das ist das, was in den USA als Borderline-Cases bezeichnet wurde; schaut aus wie Neurose, dahinter steckt aber eine Psychose; starke Beziehung zu Schizophrenien, obwohl Patienten nicht wie Schizophrene wirken, sondern wie Patienten mit anhaltender Neurose] Cluster B = dramatisch / emotional / extrovertiert DSM - IV ICD – 10 * histrionische PS: * histrionische PS: Î übermäßige Emotionalität (oberflächlich!); benötigen übertriebene Aufmerksamkeit. Will immer im Mittelpunkt stehen, auffällige Kleidung; wirken sehr emotional, aber Emotionen sind nicht tiefgehend. * narzißtische PS: * narzißtische PS: Î Großartigkeitsgefühle, Bedürfnis bewundert zu werden6, Mangel an Empathie, benutzt andere Ist im ICD den Schizophrenien zugeordnet. Passiert das nicht -> Enttäuschung und Neid (Patient will z.B. immer als erster behandelt werden, macht große Probleme als Patient; kann z.B. überhaupt nicht warten, will dauernd bewundert und besonders behandelt werden) 5 6 6 * antisoziale PS: * dissoziale PS: (= Psychopathie) Î Missachtung und Verletzung der Rechte anderer, Impulsivität, Aggressivität, auch immer wieder kriminelle Handlungen, rücksichtsloses Verhalten, kein Vorausplanen sondern unmittelbare Bedürfnisbedfriedigung * Borderline: * emotional instabil: (impulsiver und Borderline-Typ) Î Instabilität in Beziehungen, im Selbstbild, in Affekten, Impulsivität. Kurzfristige Beziehungen, die zwischen Idealisierung und Verachtung schwanken, ständiger Wechsel von Trennung und Versöhnung (in ALLEN Beziehungen, auch in beruflicher Hinsicht). Haben keine klaren Vorstellungen von ihren Erwartungen an das Leben und sich selbst; ist deshalb schwierig zu diagnostizieren, da Persönlichkeitsstörung in Pubertät anfängt und hier solche Schwankungen typisch sind -> Persönlichkeitsstörung kann man erst im Erwachsenenalter sicher diagnostizieren. Schneller Wandel in Affekten (innerhalb von wenigen Stunden); Stimmungsverbesserung durch Alkohol und/oder Drogen; impulsive Handlungen (z.B. auch Selbstverletzungen), auch Selbstmordversuche, Intoxikationen; Suiziddrohungen vor allem bei Konflikten in persönlichen Beziehungen Cluster C = ängstlich / furchtsam DSM - IV ICD - 10 * selbstunsichere PS: * ängstliche PS: Î soziale Hemmung, Unzulänglichkeitsgefühl, Angst vor negativer Beurteilung und Zurückweisung (Angst, sich öffentlich zu präsentieren, Kontakt aufzunehmen). Starke Überschneidung mit generalisierter Form der Sozialphobie – ist eigentlich eine Angststörung, ABER: früher Beginn und lang anhaltendend (= Kennzeichen einer Persönlichkeitsstörung!) * dependente PS: * abhängige PS: Î unterwürfig und anklammernd, Bedürfnis versorgt zu werden (Betroffener = unfähig, allein zu leben und zu existieren) * zwanghafte PS: * anankastische PS: Î ständig beschäftigt mit Ordnung, Perfektionismus und Kontrolle. Patient benötigt lange Zeit zur Vorbereitung – kann vor lauter Planen und Genausein nichts durchführen; oder: stellt so hohe Ansprüche (vor allem auch moralischer Natur!) an sich und andere, dass Zusammenleben mit ihm sehr schwierig wird. Unterschied zu Zwangserkrankung: Bei Zwangserkrankung gibt es Zwangshandlungen und Zwangsgedanken -> muss hier nicht vorhanden sein! 7 PATHOGENESE DER PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN: bisher ungeklärt vermutlich biologische Disposition (biologische Befunde, „Temperament“) und entwicklungsbedingte maladaptive Schemata -> Interaktion beider Faktoren z.B. selbstunsichere PS: erhöhte Ängstlichkeit bereits in Kindheit feststellbar, sorgsam aber überkritische (strafende) Eltern -> Verstärkung z.B. antisoziale PS: biologische Befunde, keine stabilen Beziehungen in Kindheit (wechselnde Bezugspersonen, Heimaufenthalte), dadurch verminderte Beziehungsfähigkeit und mangelndes Wertesystem (haben kein stabiles Über-Ich) THERAPIE VON PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN: CLUSTER A: Störung Psychotherapie Pharmakotherapie paranoid Realitätskontrolle, Vertrauensbildung niedrig dosierte Neuroleptika schizoid soziale Fertigkeiten schizotypisch kognitive Fertigkeiten niedrig dosierte Neuroleptika Störung Psychotherapie Pharmakotherapie anti- / dissozial soziale Fertigkeiten ? Kognitionen (weiß man nicht) Empathie / Gruppe (meist im forensischen Bereich) Teamerleben [am ehesten erfolgreich = Intervention in früher Jugend!] Borderline psychodynamische Therapie (KERNBERG) DBT = dialektische BorderlineTherapie (LINEHAN) CLUSTER B: SSRIs (= selektive Serotonin Reuptake Hemmer) gering dosierte Neuroleptika [Tranquilizer sind sehr ungeeignet, bewirken noch stärkere Abnahme der Impulskontrolle!] 8 histrionisch psychodynamische Therapie kognitive Therapie bei Depressiven -> Antidepressiva narzißtisch psychodynamische Therapie kognitive Therapie bei Depressiven -> Antidepressiva Störung Psychotherapie Pharmakotherapie selbstunsicher psychodynamische Therapie kognitive Therapie Exposition SSRIs, MAOIs (= Monoamin Oxidase Hemmer) abhängig psychodynamische Therapie kognitive Therapie Antidepressiva ? zwanghaft psychodynamische Therapie kognitive Therapie ? (weiß man nicht) CLUSTER C: Fazit: Es gibt durchaus Möglichkeiten, bei Persönlichkeitsstörungen etwas zu ändern (früher glaubte man, das ginge nicht) Persönlichkeitsstörungen werden ichsynthon erlebt (d.h. man ist halt so) -> darum geht der Betroffene nicht von selbst in die Behandlung! DISSOZIALE PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG: mindestens 3 Kriterien: 1) herzloses Unbeteiligtsein gegenüber den Gefühlen anderer 2) verantwortungslose Haltung und Missachtung sozialer Normen (z.B. betrunken oder besonders rücksichtslos Auto fahren) 3) Unfähigkeit zur Aufrechterhaltung dauerhafter Beziehungen 4) niedrige Frustrationstoleranz; Aggressivität 5) fehlendes Schuldbewusstsein und Unfähigkeit aus negativer Erfahrung zu lernen (z.B. beuten andere aus und geben ihnen die Schuld, dass sie sich eben ausbeuten lassen; fehlende Empathie) 6) deutliche Neigung, andere zu beschuldigen und Rationalisierungen für das Verhalten anzubieten ad 2) Oft begehen sie immer wieder kriminelle Delikte; ABER: kriminelles Delikt ist KEIN Indiz für Vorliegen einer antisozialen PS, kann auch aus Drogensucht, etc. passieren; bei 40% der Kriminellen liegt aber eine antisoziale Persönlichkeitsstörung vor. 9 Früher (vor ca. 100 Jahren) dachte man antisoziale PS = angeboren, dann gab man die Schuld der Umwelt.... Heute weiß man: es gibt Biologische Befunde: Cholesterin niedrig Serotonin niedrig Testosteron hoch [höhere Aggressivität; größere Häufigkeit bei Männern] MAO-Aktivität niedrig Puls niedrig Hautwiderstand niedrig EEG (langsame Wellen) unteraktiviert • Zwillingsuntersuchungen haben ergeben, dass 42% durch genetische • Adoptionsstudien: biologische Riskofaktoren für antisoziale PS in Herkunfts- und Ursachen erklärbar sind (Rest durch die Umwelt) Adoptivfamilie hoch -> Betreffender wird ziemlich sicher antisoziale PS bekommen; rechtzeitige positive Intervention hat Hoffnung auf Erfolg! BORDERLINE PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG (DSM IV): mindestens 5 Kriterien: 1) panische Bemühungen, Verlassenwerden zu vermeiden (z.B. Suiziddrohungen) 2) instabile und intensive zwischenmenschliche Beziehungen 3) Identitätsstörung (z.B. Ausbildungen beginnen und wieder abbrechen; Person weiß keine Antwort auf die Frage „Was sind Sie für ein Mensch?“) 4) Impulsivität in mindestens 2 Bereichen (z.B. Alkohol- und/oder Drogenmissbrauch, sexuelle Ausschweifungen, bulimische Attacken, Spielsucht) 5) wiederholte Suiziddrohungen, -gesten oder –verhalten (z.B. Selbstverletzungen wie Schneiden, Verbrennen; mehrere Selbstmordversuche; ABER: Suizidalität ist nicht lang anhaltend wie z.B. bei Depressionen, sondern vergeht und entsteht sehr rasch) 6) wechselhafter Affekt (rasch, oft ohne konkreten Anlass) 7) anhaltendes Gefühl der Leere 8) unangemessene, intensive Wut (z.B. Gegenstände gegen die Wand werfen) 9) vorübergehende, reaktive paranoide oder dissoziative Symptome (Weggetretenfühlen) • • Bezug zu affektiven Störungen (z.B. vgl. Pkte. 6 und 7); oft auch Probleme in Kindheit (z.B. sexueller oder physischer Missbrauch) 10 Pathogenese: 1) psychophysiologisches Defizit der Emotionsregulation 2) nonvalidierende Umwelt (z.B. Trivialisierung von Emotionen – „Führ dich nicht so auf!“ -> Betroffener kann seine Emotionen nicht wahrnehmen) 3) Folge: emotionale Vulnerabilität bei mangelhafter Ausprägung von Coping-Strategien führt zu Unfähigkeit, mit intensiven Affekten umzugehen 4) erlerntes dysfunktionales Verhalten zur Spannungsreduktion (parasuizidales Verhalten, Drogeneinnahme, Essstörung) führt zu intrapsychischen und interaktionellen chronifizierten Störungen 5) hohe Tendenz, neue Lernerfahrungen zu vermeiden und dysfunktionale Coping-Strategien beizubehalten • Kann auch als posttraumatische Störung aufgefasst werden, da ja oft Missbrauch vorangeht! Reaktion auf Stressor: Borderline – PS: • • Emotion • Selbstverletzung (Schneiden, Verbrennen) Drogen (Alkohol, Medikamente) Dissoziation (weggetreten sein) normal Problem / Stressor Ö Erkennen / Auseinandersetzung In Behandlung geht es darum, diesen Ablauf an konkreten Situationen deutlich zu machen und dem Patienten Einsicht in dieses Verhalten zu vermitteln (= wichtig, da großer Risikofaktor, der zum Selbstmord führen kann) -> Patient kann Emotionen dann besser einordnen. Erst in weiterer Folge Bearbeitung der zugrundeliegenden traumatischen Erfahrungen (nicht zuerst, denn sonst kann es sein, dass Patient die Behandlung abbricht!). Geeignete Therapie = DBT von Linehan 11 GEISTIGE BEHINDERUNG Î deutliche unterdurchschnittliche intellektuelle Leistungsfähigkeit; IQ von ca. 70 und weniger bei individuell durchgeführtem Intelligenztest (bei Kleinkindern durch klinische Beurteilung der deutlich unterdurchschnittlichen intellektuellen Leistungsfähigkeit) Î gleichzeitige Defizite oder Beeinträchtigungen der gegenwärtigen sozialen Anpassungsfähigkeit (d.h. die Fähigkeit einer Person, die sozialen Normen ihres Umfelds altersgemäß zu erfahren, ist in mindestens 2 der folgenden Bereiche eingeschränkt: Kommunikation, Eigenständigkeit, häusliches Leben, soziale / zwischenmenschliche Fertigkeiten, Arbeit, Gesundheit, Schule, usw.) Î Beginn vor dem 18. Lebensjahr (später im Leben -> Demenz) Intelligenz = normalverteilt -> Mittelwert = 100, Standardabweichung = 15 INTELLIGENZMINDERUNG: 2 Hauptkomponenten: ¾ niedrige kognitive Fähigkeit ¾ verminderte soziale Kompetenz Kategorie Intelligenzminderung F 70 leicht 50 – 69 9 bis unter 12 F 71 mittelgradig 35 – 49 6 bis unter 9 F 72 schwer 20 – 34 3 bis unter 6 F 73 schwerst unter 20 unter 3 F 7x.0 F 7x.1 IQ für Erwachsene: mentales Alter keine oder nur geringe Verhaltensstörung deutliche Verhaltensstörung, die Beobachtung und Behandlung erfordert Frühere Unterscheidung: Debilität – Imbezilität – Idiotie = heute nicht mehr gebräuchlich! 12 URSACHEN: * * * * * * genetische Störung (z.B. Stoffwechselstörung) frühe Störung in Embryonalentwicklung Schwangerschafts- und perinatale Probleme körperliche Erkrankung im Kindesalter Umwelt und psychiatrische Erkrankung unbekannt 5% 30% 10% 5% 15 – 20% 30 – 40% 1) Genmutationen: autosomal-rezessiv autosomal-dominant X-chromosomal-rezessiv Phenylketonurie 2) Chromosomenabberrationen: autosomale Trisomie gonosomale Monosomie gonosomale Polysomie Down-Syndrom Turner-Syndrom Klinefelter-Syndrom 3) exogene Faktoren: Viren (z.B. Röteln) Protozoen Chemikalien Medikamente Strahlen (-> Mikroencephalie) 4) perinatale Störungen: Hypoxisch-ischämische Encephalopathie intracerebrale und intrakraniale Blutungen Erkrankungen des Früh- und Neugeborenen 5) postnatale Störungen: Hirnverletzung Intoxikation Sauerstoffmangel DIAGNOSE: • • • Entwicklung, Beobachtung Intelligenztest (HAWIE, Ryven-Matrizen-Test) Merkfähigkeit, Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Orientierung, Verständnis und Integration von Informationen Differentialdiagnose: Bei Diagnose der geistigen Behinderung muss ausgeschlossen werden; • • • • • hysterische Pseudodebilität (Ganser-Syndrom) sozial bedingte Leistungsminderung ausgeprägte Hospitalismusformen Grenzformen der infantilen Demenz (funktionelle) Intelligenzminderung im Rahmen von psychiatrischen Erkrankungen (z.B. bei Depressionen) 13 Untersuchung geistig behinderter Menschen: • wichtige Befunde der somatischen Untersuchung (Kopfumfang, körperliche Anomalien, Funktion des Zentral-Nerven-Systems, Funktion des Peripheren Nerven-Systems; Analyse des Bewegungsverhaltens; sonstige organische Befunde (z.B. Herz, Nieren) • Beobachtung des Verhaltens (z.B. Kontrollfähigkeit) SYNDROME BEI GEISTIGER BEHINDERUNG: • autistisches Verhalten: kein Blickkontakt, Ablehnung von körperlicher Berührung, Rückzug • stereotype Verhaltensweisen: Kopfschütteln, Masturbieren; Hyperaktivität • aggressives und autoaggressives Verhalten: Selbstschädigung, Beißen, Schlagen; komplexe partielle psychomotorische Anfälle (hier eventuell antiepileptische Behandlung notwendig) • psychotische Symptome: bei 10 – 15% Pfropfpsychose (d.h. intellektuelle Behinderung mit zusätzlicher Psychose); depressive Symptome (Schlafstörungen) [Merke: Mit Antidepressiva kann man Verhalten und intellektuelles Niveau etwas verbessern!] • neurologische Störungen: Einnässen, Einkoten, mutistisches Verhalten, Appetitstörung BEHANDLUNG: Es gibt keine spezielle! • sozial: Î Integration nach Möglichkeit Î Sondereinrichtungen Î geschützter Arbeitsplatz • medikamentös: Î wenn erforderlich nach Syndrom, z.B. ¾ Neuroleptika (bei psychotischen Symptomen= ¾ Antidepressiva ¾ Antiepileptika (bei Anfällen) ¾ Stimulantien [z.B. Methylphenidat] (nur bei sehr wenigen, z.B. bei Aufmerksamkeitsstörung; ist aber mit großer Vorsicht zu genießen!) ¾ Nootropika (helfen aber wenig bis nix)