Kultur Mittwoch, 13. April 2011 Nummer 86 21 Musik-Mosaik mit meditativem Mittelpunkt „Rundum glücklich und zufrieden“ Oratorium „Jehoschua“ von Helge Burggrabe in der Martinskirche in Sindelfingen – Erstmals mit Solotänzer aufgeführt Interview mit Helge Burggrabe Zur Eröffnung der Veranstaltungsreihe „Leere Martinskirche“ ist am Sonntag und Montag das Oratorium „Jehoschua“ von Helge Burggrabe aufgeführt worden. Hervorragende Musiker und Sänger, der Tänzer Lior Lev sowie eine aufwendige Lichttechnik sorgten für einen bunt-schillernden Gesamteindruck. SINDELFINGEN (krü). Am Sonntag und am Montag ist sein Oratorium „Jehoschua“ in der Martinskirche aufgeführt worden. „Der Aufwand hat sich gelohnt“, sagt Komponist Helge Burggrabe im Interview. Herr Burggrabe, wie sieht Ihr Fazit aus? Nach der zweiten Aufführung am Montagabend war ich rundum glücklich und zufrieden. Aus den vielen Einzelteilen ist ein Ganzes geworden. Mit der Zeit war die Begeisterung bei den Mitwirkenden gewachsen, der Gesamtzusammenhang wurde klarer, die innere Beteiligung dadurch noch größer. An manchen Stellen habe ich beim ersten Abend am Sonntag noch gedacht: Das bekommen wir noch besser hin. Am Montagabend dachte ich: So soll es sein. Das Publikum war ergriffen. Der Aufwand hat sich absolut gelohnt. Auch Matthias Hanke war glücklich, wir werden bestimmt wieder zusammenarbeiten. Von Wolfgang Teubner SINDELFINGEN. Als ein Ort der Geschichte und zugleich als Ort der Geschichten bot sich die wieder einmal „leere“ Martinskirche an. Sie war natürlich nicht wirklich leer, es waren nur keine Stühle da. Ansonsten war der große Raum am Wochenende zweimal gut gefüllt, sowohl durch die Mitwirkenden als auch durch die vielen Zuhörer und Zuseher, die sich in der Kirche bewegten, sich begegneten und immer dahin gingen, wo etwas „los“ war. Das „Jehoschua-Oratorium“ des aus Aidlingen stammenden und inzwischen in Hamburg lebenden Flötisten und Komponisten Helge Burggrabe ist bereits drei Jahre alt und hat bundesweit schon einige Aufführungen erlebt. Die Uraufführung des zweistündigen Werkes hatte in Hannover stattgefunden und stand unter der Schirmherrschaft des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Bundespräsidenten Christian Wulff. Neu an der Sindelfinger Inszenierung war die Mitwirkung des Tänzers Lior Lev, der das Geschehen aus seiner Sicht visualisierte. Dabei tanzte er eigentlich nicht, es ging mehr um Bewegungen aus der Statik heraus. Da war Pantomime dabei, starker Ausdruck und auch Ausstrahlung, wenn er von verschiedenen Plätze aus die Szenen umzusetzen und in Resonanz zum Publikum zu bringen versuchte. Der Text stammte von dem Theologen Kurt Danzer, der wörtlich einige der biblischen Gleichnisse und Wunder aus dem Leben Jesu eingebaut hatte. Dabei war zum Beispiel die Geschichte vom Blinden, der wieder sehen konnte, die Geschichte vom Zöllner Zachäus oder jene von Martha und Maria. Wolfgang Endres sprach diese Perikopen sehr deutlich und bewegend, jeweils erhöht an einer der Säulen stehend, durch einen Lichtspot ebenso in den Mittelpunkt gerückt wie die Tanz-Performance auch. Doch waren Text und Tanz ja nur der ein Teil des Mosaiks in diesem Oratorium, die vielen verschiedenen Bausteine der Musik waren ebenso dazu berufen, das Bild der Menschwerdung zu vervollkommnen. Solistisch hörte man Olivia Jeremias am Cello, Die gemeinsamen Proben mit allen Mitwirkenden haben ja erst am Freitag begonnen. Wie war das Wochenende? Sehr intensiv, wie das zu erwarten war. Für mich war toll, wie selbstverständlich Matthias Hanke viel Verantwortung übernommen hat. Ich habe versucht, in vielen Einzelgesprächen das Gesamtkonzept klarzumachen. Matthias Hanke hat die gesamte Umsetzung in die Hand genommen. Er ist eine starke Dirigentenpersönlichkeit und hat wirklich eine fantastische Probenarbeit gemacht. Besondere Darbietung in der Martinskirche: Lior Lev (vorne rechts) visualisiert die Menschwerdung Yumi Schmuck an der Klarinette und Mark Reimann an Perkussionsinstrumenten. Sie allein schon waren mit ihren technischen Möglichkeiten und „stimmlichen“ Mitteln in der Lage, dramatische und sensible musikalische „Reden“ zu halten. Die thematischen Verknüpfungen untereinander traten dabei plastisch und nachdrücklich hervor. Engagierter Chor, sehr bewegliche Streicher Die Instrumente standen oft in Korrespondenz mit drei hervorragenden jungen Sängern, der Sopranistin Geraldine Zeller, der Altistin Anneka Ulmer und dem Tenor Philipp Nicklaus. Ihr stimmliches und musikalisches Können ist nicht hoch genug zu loben, leider verstand man von ihrem Text nur sporadisch einzelne Worte. Das war auch ähnlich bei dem sehr engagiert singen- den Chor, der Capella Nuova, der sich immer wieder in das Geschehen einbrachte, begleitet von den sehr beweglichen Streichern des Stiftshof-Orchesters Sindelfingen. Helge Burggrabes Musik ist im zeitgenössischen Sinne nicht modern. Sie ist positiv rückwärtsgewandt etwa in die Zeit der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Bisweilen gab es auch Klänge aus der guten alten Tradition. Diese Musik ist in ihrer Herbheit und nur leichten Neigung zu Dissonanzen gut zu hören und zu erleben. Matthias Hanke leitete das Geschehen mit der nötigen Umsicht und der bei ihm gewohnten Zuverlässigkeit. Dazwischen hatte aber auch er Zeit, sich in der Kirche zu bewegen und am visuellen Geschehen teilzuhaben. Ein großer Teil des optischen Eindrucks kam von der aufwendig betriebenen Lichttechnik, die die Kirche – also den Altarraum, die Säulen und das Schiff – immer KRZ-Foto: Thomas Bischof wieder in andere Farben tauchte und mit Spots versah. Bei diesem Oratorium ging es nicht um musikalische „Schönheit“ oder um die Frage, ob es gefallen hat oder nicht. Hier ging es um eine prozesshafte Auseinandersetzung jedes Einzelnen mit dem geistlich-philosophisch besetzten Stoff. Das Programmblatt empfahl, sich das Libretto oder den Einführungstext aus dem Internet herunterzuladen. Das kann man nun nur noch im Nachhinein tun. Es ist sicher so, dass jeder die zwei Stunden anders empfunden, dass jeder etwas anderes davon mitgenommen hat. Wie unsicher man mit dem Abend letztlich war, zeigte schon der Applaus, der erst zögerlich, vereinzelt einsetzte, wieder verebbte, bis er schließlich wuchs und kräftig wurde: Man feierte die vielen Mitwirkenden zusammen mit dem anwesenden Komponisten zum Schluss sehr herzlich. Und wie lief es mit Lior Lev? Dass in „Jehoschua getanzt wird, war ja völlig neu. In der Tat war diese Entwicklung überaus spannend. Lior musste erst einmal richtig warm werden. Da war der Unterschied zwischen der ersten Probe und der Aufführung am Montagabend sicher am größten, da hat sich tatsächlich am Wochenende in der gemeinsamen Arbeit noch viel entwickelt und wurde wesentlicher. Wie geht es bei Ihnen jetzt weiter? Nach eine ganz kurzen Pause steuert alles auf die Aufführung meines Oratoriums „Stella Maris“ in der Dresdner Frauenkirche zu. Die ist zwar erst am 3. Juni, aber in der kommenden Woche findet eine große Vorbesprechung vor Ort statt. Im Mittelpunkt steht da die Frage, ob meine konzeptionellen Vorstellungen alle hinhauen. Sowohl der Braunschweiger Domchor als auch der Hamburger Kammerchor werden mitwirken, einer von beiden soll in der Kuppel platziert werden. Als Sprecherin ist wieder Iris Berben dabei, für sie habe ich sechs verschiedene Positionen eingeplant. Ob das alles machbar ist, muss ich vor Ort klären. Ausstellung im Bürgerhaus Volles Programm macht Rutesheim zum Violoncello-Mekka SCHÖNAICH (red). Am Donnerstag, 14. April, um 19.30 Uhr lädt die Kunst- und Werkschule Schönaich zu einer Vernissage ein. Die Ausstellung zum Thema „Vom verschneiten Winter in den Frühling“ wird im Bürgerhaus und in der schuleigenen Galerie präsentiert. Musikalisch umrahmt wird die Vernissage vom Gitarrenduo Wolf & Risse. Elf Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem Aquarellkurs bei Gabi Heckmann stellen bis 30. Mai aktuelle Werke aus. In bewährten Aquarelltechniken und unterschiedlicher Motivwahl haben sich die Ausstellenden mit der Thematik auseinandergesetzt. Bereits im Jahr 2009 und 2010 konnten in diesem Rahmen Arbeiten aus verschiedenen Acrylmalkursen gezeigt werden. Zu sehen sind die ausgestellten Werke außerhalb der Ferien montags bis freitags von 9 bis 12 Uhr, dienstags von 18 bis 20 Uhr und nach Vereinbarung. Mehr Infos unter www.kws-schoenaich.de im Internet. RUTESHEIM (red/krü). Im Jahr 2009 ist Matthias Trück in seinem Heimatort zum ersten Mal das Wagnis eingegangen – und hatte Erfolg. Die Cello-Akademie Rutesheim, getragen vom gleichnamigen Verein, lässt seitdem das Örtchen Rutesheim für eine Woche pro Jahr zum Violoncello-Mekka werden. Die dritte Auflage des Festivals mit Konzerten, Aktionen und Meisterkursen findet vom 21. bis 27. April im Schulzentrum statt. Wieder ist jede Menge geboten. Zum einen sind da die Meisterkurse: 63 Studenten aus aller Welt nehmen teil. Trück hat fünf Dozenten zur Akademie eingeladen. Wolfgang Emanuel Matthias Trück Zum dritten Mal findet vom 21. bis 27. April die Cello-Akademie statt – Meisterkurse, Konzerte und Projektarbeit im Schulzentrum Schmidt (Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Weimar), Jens Peter Maintz (Universität der Künste Berlin), László Fenyö (Hochschule für Musik Frankfurt/Main), Wen-Sinn Yang (Hochschule für Musik München) und Claudio Bohórquez (Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin) geben den Teilnehmern wertvolle Tipps, um ihr Cellospiel nachhaltig zu verbessern. Eine Neuerung in diesem Jahr besteht in dem Angebot „Cello-Orchester BadenWürttemberg“. 120 Cellisten im Alter von 7 bis 71 Jahre, die meisten zwischen 12 und 16 Jahre alt, viele davon aus dem Kreis Böblingen, haben sich für dieses Projekt angemeldet. Unter der Leitung von Ekkehard Hessenbruch, Leiter der „Freien Musikschule Engelberg“, werden sie zusammen musizieren. Zusätzlich zum Kurs für Cello-Orchester gibt es Angebote für Cello-Ensembles jeder Größe. Allesamt werden in einem großen Konzert am Samstag, 23. April, um 20 Uhr vor Ort auftreten. Der Eintritt ist frei, Spenden werden erbeten. Sowieso bilden die abendlichen Konzerte ab 20 Uhr in der Halle Bühl II den täglichen Abschluss der Cello-Akademie. Zur Eröffnung des Festivals hat Matthias Trück den italienischen Ausnahmecellisten Giovanni Sollima eingeladen, der ein Programm ganz nach dem Geschmack des Festivalleiters macht – ohne jegliche Scheuklappen: Akustisch verstärkt und mit Live-Elektronik präsentiert Sollima ein Programm von Barock bis Rock, bei dem auch Stücke von Jimi Hendrix und Nirvana gespielt werden. Am Sonntag, 24. April, kommt es zum Kammermusikabend mit den Dozenten der Meisterkurse. Alle fünf Hochschullehrer treten solo oder in Begleitung der Korrepetitoren der Akademie auf. Am Montag steht ein Kammermusikabend mit den Studenten an, das Programm wird in den ersten Tagen der Meisterkurse von den Dozenten entwickelt. Am Dienstag findet ein Orchesterkonzert mit den Dozenten statt, die an diesem Abend mit der Württembergischen Philharmonie Reutlingen unter der Leitung von Christoph Adt auftreten. Zur Uraufführung kommt das Cellokonzert von Enjott Schneider, das er eigens für dieses Konzert und den Dozenten László Fenyö geschrieben hat. Am Mittwoch, 27. April, dürfen ausgewählte Studenten noch einmal mit der Württembergischen Philharmonie konzertieren. Gespielt werden berühmte Cellokonzerte, wobei jeder Student einen Satz interpretieren wird. www.bb-live.de KREISZEITUNG online Weitere Informationen im Internet www.cello-akademie-rutesheim.de „Seele des Orchesters“ gefällt als Solist Jan-Benjamin Homolka aus Böblingen zeigt beim Goldberg-Konzert, wie vielfältig das Horn klingen kann Von Jan Renz SINDELFINGEN. Das Waldhorn kann viel, man hört das nur selten. Im Normalfall ist es Teil des Orchesters, und zwar ziemlich weit hinten. Deshalb wird es noch immer unterschätzt. Robert Schumann nannte das Waldhorn immerhin die „Seele des Orchesters“. Es kann aber auch als stolzer Solist hervortreten. Das zweite Goldberg-Konzert dieses Jahres war geradezu eine Liebeserklärung an dieses Instrument: Es ist viel wandlungsfähiger als man denkt, und sehr sensibel: Mit seinem weichen Klang mischt es sich gut mit anderen Instrumenten: etwa Argumente So machen lokale Konzertreihen doppelt Spaß: Wenn sie neben der kulturellen Belebung vor Ort auch noch musikalischen Talenten aus der Umgebung eine Plattform bieten. So kann sich der Nachwuchs beweisen – und lernt dazu. Von Robert Krülle der Orgel. Deshalb standen sich diese Instrumente am Sonntag in der Versöhnungskirche gegenüber, besser gesagt: Sie gingen ineinander auf. Das bruchlose, farbige Zusammenspiel beider Instrumente war der Reiz des Abends. Obwohl es am Sonntag allein in Sindelfingen viel Konkurrenz gab – in der Stadthalle musizierte das Stuttgarter Kammerorchester, in der Martinskirche erklang ein Burggrabe-Oratorium – , war das Konzert sehr gut besucht. Das lag am ungewöhnlichen Programm, aber auch an der Besetzung: Der junge Hornist Jan-Benjamin Homolka, 1987 geboren, stammt aus Böblingen und hat am Albert-Einstein-Gymnasium (AEG) Abitur gemacht. Er sammelte erste Erfahrungen im AEG-Orchester und im Ensemble der Martinskirche und studiert gegenwärtig in Stuttgart. Dort lernte er 2007 den ein Jahr jüngeren Organisten Tim Teschner kennen, und seitdem treten sie zusammen auf. Am Goldberg durchmaßen sie in etwas mehr als einer Stunde fast 400 Jahre Musikgeschichte. Die Beispiele waren so aufschlussreich gewählt, dass man gerne mehr gehört hätte. Die alte Musik aus dem Barock (Cesare, Loeillet, Krebs) besaß melodischen Charme, die der Gegenwart klangliche Reize. Darauf ließen beide Musiker sich ein. Immer wieder überraschte die Variabilität des Horns: Es kann fest und strahlend wie eine Trompete klingen, markig wie eine Posaune oder aber füllig und romantisch weich. Das alles beherrscht Jan-Benjamin Homolka, und immer erkennt man seinen Ton. Besonders scheint er die Romantik zu lieben, etwa Camille Saint-Saens Romanze F-Dur oder August Körlings Pastorale. Da spannt er mit sonorem Ton die weitesten Linien, nur selten verunglückt ein Detail. Die Orgel reagierte darauf überraschend warm. Organist Tim Teschner trat auch als Solist hervor: in Buxtehudes Toccata in F-Dur und Bachs Fuge in g-Moll. Buxtehude wurde ja schon zu Lebzeiten als „weltberühmt“ bezeichnet, Johann Sebastian Bach bewunderte ihn. Teschner arbeitete bei beiden Werken die Vielgestaltigkeit des Klangs und der Form heraus, ohne dass die Musik auseinanderfiel. Farben und Tempowechsel setzte er subtil ein. Die schwierigste Aufgabe für beide Musiker war sicher Bernhard Krols „Missa muta“ aus dem Jahr 1972. Krol ist ein Kenner Starkes Duo in der Versöhnungskirche: Jan-Benjamin Homolka (links) und Tim Teschner des Instruments, denn er war Hornist beim Radiosymphonieorchester Stuttgart und den Berliner Philharmonikern. Letztes Jahr feierte er in Stuttgart seinen 90. Geburtstag. Er reizt die Möglichkeiten des Horns aus: Es klingt hässlich und schön, düster und hell, leise und laut, mit expressiven Gesten und riesige Tonräume durchmessend. Von der Orgel ist man extreme Klänge gewöhnt, vom Foto: red Horn nicht. Das Krol-Werk scheint die Summe seiner Möglichkeiten zu enthalten. So hört man dieses Instrument selten. Die zweite Zugabe war pfiffig gewählt und passte zum Programm und zum Konzertort Goldberg: das Quodlibet aus Bachs „Goldberg“-Variationen. Ganz leise, ganz klangvoll musizierte das Horn und ergänzte noch einmal die Orgel.