world report - Human Rights Watch

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H U M A N
R I G H T S
WORLD REPORT | 2014
W A T C H
E R E I G N I SS E VO N 2 0 13
Auszüge auf Deutsch
HUMAN RIGHTS WATCH
Human Rights Watch ist eine weltweit führende, unabhängige
Nichtregierungsorganisation, die sich für den Schutz und die
Verteidigung der Menschenrechte einsetzt. Indem wir die
internationale Öffentlichkeit auf Menschenrechtsverletzungen
aufmerksam machen, geben wir den Opfern eine Stimme und
ziehen die Verantwortlichen zur Rechenschaft. Durch unsere
unabhängigen Untersuchungen und die gezielte Einflussnahme
auf politische Entscheidungsträger üben wir Druck aus, um
Menschenrechtsverletzungen zu beenden.
Seit mehr als 30 Jahren arbeitet Human Rights Watch daran, die
rechtlichen und moralischen Grundlagen für dauerhaften Wandel
zu schaffen sowie Gerechtigkeit und Sicherheit für alle
Menschen weltweit einzufordern.
Human Rights Watch
Neue Promenade 5, 10178 Berlin
T: +49 (0)30 259306-0
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H U M A N
R I G H T S
W A T C H
WORLD REPORT
2014
E R E I G N I SS E VO N 2 0 13
Inhalt
Der Kampf um die Menschenrechte 2013
Massengewalt, Einschüchterung von Minderheiten und Verstöße im Anti-Terror-Kampf beenden
Einleitung von Kenneth Roth
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Die überfällige Rückkehr eines Rechts
Privatsphäre im Zeitalter der Überwachung
Essay von Dinah Pokempner
19
Menschenrechte in der Europäischen Union
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Einwanderungs- und Asylpolitik der EU
Diskriminierung und Intoleranz
Terrorismusbekämpfung
Außenpolitik der EU
Menschenrechtsfragen in EU-Mitgliedsstaaten
26
27
27
28
29
Deutschland
29
Frankreich
29
Griechenland
30
Großbritannien
32
Italien
33
Kroatien
35
Niederlande
36
Polen
36
Rumänien
37
Spanien
37
Ungarn
38
Anhang
Internationale Grundsätze für die Anwendung der Menschenrechte
in der Kommunikationsüberwachung
40
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WORLD REPORT 2014 | Auszüge auf Deutsch
Januar 2014 | HUMAN RGHTS WATCH
Essay:
Der Kampf
um die Menschenrechte 2013
Massengewalt, Einschüchterung von Minderheiten
und Verstöße im Anti-Terror-Kampf beenden
Von Kenneth Roth
Wie hat sich 2013 die Lage der Menschenrechte entwickelt? Mehrere Themen stechen hier hervor. Das unkontrollierte Töten von Zivilisten in Syrien hat weltweit für
Schrecken gesorgt, doch nicht so stark, dass sich
ausländische Staats- und Regierungschefs zum
Eingreifen genötigt sahen. Einige Beobachter verkündeten daraufhin das Aus des hoch gelobten Prinzips
der Schutzverantwortung. Auf diese hatten sich
Regierungen aus vielen Ländern vor weniger als einem
Jahrzehnt verständigt, um die Menschen vor
Massengewalt zu schützen. Doch man sollte das
Prinzip der Schutzverantwortung noch nicht
abschreiben, wie sich Ende des Jahres zeigte. Da
nämlich kam dieses Konzept in der
Zentralafrikanischen Republik, im Südsudan und in der
Demokratischen Republik Kongo zum Einsatz, als dort
Gräueltaten in großem Umfang drohten.
In mehreren Ländern hat die Demokratie Rückschläge
erlitten, aber nicht, weil sich die Machthaber offen von
ihr abwandten. Viele Anführer fühlen sich weiterhin stark
genötigt, Lippenbekenntnisse für den demokratischen
Gedanken abgeben zu müssen. Aber einige vergleichsweise junge Regierungen, etwa in Ägypten oder Burma,
haben sich auf die alleroberflächlichste Form der
Demokratie festgelegt: Sie halten Wahlen ab oder
erahnen irgendwie die Präferenzen der Mehrheit, doch
sie begrenzen nicht die Macht der Mehrheit, wie es bei
jeder echten Demokratie der Fall sein sollte. Dieser
Missbrauch des Mehrheitsprinzips findet auch dann
statt, wenn Regierungen friedliche Kritik unterdrücken,
Minderheiten ausgrenzen oder ihren Bürgern streng definierte kulturelle Regeln aufzwingen. Doch in keinem
dieser Fälle nahm die Öffentlichkeit diesen Missbrauch
der Demokratie widerstandslos hin.
Im Kampf gegen den Terrorismus wurde seit dem 11.
September 2001 auch gegen die Menschenrechte
verstoßen. Vor allem zwei Antiterrormaßnahmen der USA
wurden vergangenes Jahr öffentlich diskutiert: die elektronische globale Massenüberwachung und die gezielten
Tötungen durch Drohnen. Jahrelang hatte sich
Washington hinter die Notwendigkeit der Geheimhaltung
zurückgezogen und es so vermieden, diesen Programmen
einen eindeutigen rechtlichen Rahmen zu geben. Diese
Strategie wurde zum einen durch die Enthüllungen von
Whistleblower Edward Snowden zum
Überwachungsprogramm zunichte gemacht, zum anderen
dadurch, dass Augenzeugen zivile Opfer bei
Drohneneinsätzen meldeten. Beide Programme stehen
nun sehr stark im Rampenlicht.
Aber das globale System zum Schutz der
Menschenrechte hat bei allem Aufruhr auch wichtige
Fortschritte erzielen können. Nach zähem und enttäuschendem Start zeigte der UN-Menschenrechtsrat
endlich, was in ihm steckt, beispielsweise als er starken
Druck auf Nordkorea und Sri Lanka ausübte. Zudem gibt
es zwei neue internationale Abkommen, die einigen der
am stärksten marginalisierten Gruppen der Welt neuen
Mut machen – den Hausangestellten und den
Kleinbergbauern, die sich beim unregulierten Arbeiten
mit Quecksilber vergiften.
Schutzverantwortung: Angeschlagen,
aber noch wirkungsvoll
2005 trafen Regierungen aus aller Welt eine historische
Übereinkunft: Sollte ein Land Massengewalt nicht verhindern, würden die Völkergemeinschaft einschreiten. Seit
damals hat die Völkergemeinschaft dieses Prinzip erfolgreich zum Schutz von Menschenleben angewandt, vor
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WORLD REPORT 2014 | Auszüge auf Deutsch
allem 2007/2008 in Kenia und 2011 in der
Elfenbeinküste. Nach dem Eingreifen der Nato 2011 in
Libyen geriet das Konzept jedoch in die Kritik, weil das
Bündnis nach Ansicht vieler nicht nur Zivilisten schützte,
sondern auch auf einen Regimewechsel hinarbeitete. Die
negativen Reaktionen vergifteten die weltweiten Debatten
darüber, wie man auf die Massengewalt in Syrien
reagieren solle. Noch immer werden syrische Zivilisten
ungebremst abgeschlachtet und dass hier überhaupt
nichts geschehen ist, hat die Sorge geweckt, dass die
Doktrin am Ende ist. Das Versagen in Syrien ist zu verurteilen, sollte jedoch nicht überschatten, dass sich das
Prinzip der Schutzverantwortung 2013 in einigen Fällen
als ausgesprochen lebendig erwies. In der
Zentralafrikanischen Republik und im Südsudan haben
Afrikanische Union und der Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen rasch reagiert und Friedenstruppen entsandt,
um ethnisch oder religiös motivierte Morde an Zivilisten
zu verhindern. Und im Osten der Demokratischen
Republik Kongo entzog Ruanda auf ausländischen Druck
Rebellen, die in dieser leidgeplagten Region
Massengewalt verübten, die Unterstützung.
Syrien
Syrien war 2013 Schauplatz des mit Abstand tödlichsten
bewaffneten Konflikts. Der aus einem Aufstand erwachsene Bürgerkrieg ging in sein drittes Jahr und stach durch
die Rücksichtslosigkeit hervor, die die Regierung militärisch an den Tag legte.
Es wurden keineswegs nur gegnerische Kämpfer ins Visier
genommen, wie es das humanitäre Völkerrecht
vorschreibt, stattdessen griff die Regierung ohne jede
Rücksicht in den von der bewaffneten Opposition kontrollierten Gebieten auch Zivilisten an. Ein Hauptziel der
Regierung scheint es zu sein, möglichst viele Zivilisten in
die Flucht zu schlagen, damit die Rebellenkräfte keine
Zuflucht unter ihnen finden oder auf eine funktionierende
Wirtschaft zurückgreifen können. Kollektive Bestrafung
wurde zudem als Mittel genutzt, um die Bevölkerung
gegen die Opposition aufzubringen und allen Syrern eine
Botschaft zu senden: „Lasst ihr die Opposition schalten
und walten, werdet ihr dafür büßen!”
Das ungeheuerlichste Beispiel für diese Strategie war der
Sarin-Angriff vom 21. August auf Ghuta, einen von der
Opposition kontrollierten Vorort von Damaskus. Die
Beweislage spricht sehr stark dafür, dass dieser Angriff
von Regierungstruppen ausging. Hunderte Zivilisten
starben in dieser Nacht, darunter viele Kinder in ihren
Schlafanzügen. Örtliche Beobachter melden, dass jeden
Monat rund 5000 Menschen durch konventionelle Waffen
sterben und viele Todesfälle Verstöße gegen das
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Kriegsrecht darstellen. Rund 35 Prozent dieser Toten
sollen Zivilisten sein. Auch Oppositionstruppen waren für
Gräueltaten verantwortlich und ihr Verhalten gibt Anlass
zu wachsender Sorge, seit islamistische Extremisten an
Einfluss gewinnen, darunter auch solche mit
Verbindungen zu al-Kaida. Doch der Großteil der zivilen
Opfer geht auf das Konto der Regierung. Syrische Truppen
haben wahllos bewohnte Gegenden in
Oppositionsgebieten angegriffen und dabei ballistische
Raketen eingesetzt, Artilleriegeschosse, Streumunition,
Brandbomben, Aerosolbomben, Fassbomben und
herkömmliche Sprengbomben sowie chemische Waffen.
Teilweise wurden gezielt funktionierende Bäckereien,
medizinische Einrichtungen, Schulen und andere zivile
Einrichtungen angegriffen.
Regierungstruppen haben darüber hinaus in ihrer Obhut
befindliche Zivilisten und Kämpfer abgeschlachtet. Es
kursieren Horrorgeschichten über das Schicksal der zahllosen Menschen, die willkürlich festgenommen wurden
und in syrischen Gefängnissen gefoltert und teilweise
auch getötet wurden. Ein immer größerer Anteil der syrischen Bevölkerung ist inzwischen vertrieben (schätzungsweise 2,3 Millionen Menschen im Ausland und 6,5
Millionen im Land) und notleidend (geschätzte zehn
Millionen benötigen humanitäre Hilfe), aber die
Regierung stellt der Versorgung der Zivilisten in den
Oppositionsgebieten zahllose Hindernisse in den Weg,
obwohl der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im
Oktober freien Zugang einforderte.
Es schmerzt, dass die Völkergemeinschaft auf die
Massaker und das Leid nur begrenzt reagierte. USPräsident Barack Obama hatte den Einsatz von
Chemiewaffen als Überschreiten einer roten Linie
bezeichnet und mit einem Militäreinsatz gedroht.
Während Beobachter noch fragten, ob er nun reagieren
würde, handelten die USA und Russland im September
eine Vereinbarung aus, der zufolge Syrien sein Arsenal
chemischer Waffen herausgeben soll. Berichten zufolge
scheint Syrien größtenteils zu kooperieren, doch der
Vertrag befasst sich mit einer einzigen Waffenart, noch
dazu einer, die nur für einen Bruchteil der zivilen Opfer in
diesem Konflikt verantwortlich ist. Es wird nicht genügend Druck auf Syrien ausgeübt, das Töten von Zivilisten
auch mit herkömmlichen Waffen aufzugeben und
Hilfsorganisationen Zugang zu belagerten Städten zu
gewähren, und zwar auch grenzüberschreitend, da viele
Notleidende in Oppositionsgebieten so am einfachsten
und sichersten zu erreichen wären.
In den vergangenen Monaten haben sich die
Bemühungen um eine Lösung des Syrien-Konflikts vor
allem auf die als „Genf-2” bekannten Friedensgespräche
Januar 2014 | HUMAN RGHTS WATCH
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WORLD REPORT 2014 | Auszüge auf Deutsch
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Januar 2014 | HUMAN RGHTS WATCH
konzentriert, auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass
auf diplomatischem Weg in naher Zukunft eine
Schlichtung zwischen den Kriegsparteien gelingt. Die
Sorge, Damaskus werde die Teilnahme an „Genf-2”
absagen, diente als jüngste Ausrede dafür, dass man
nicht massiv auf Syrien einwirkt, die Ermordung von
Zivilisten einzustellen und humanitäre Hilfe ungehindert
fließen zu lassen. Die USA zögern zudem, Syriens
zentralen und einflussreichsten Verbündeten Russland
unter Druck zu setzen. Das hängt mit anderen Prioritäten
zusammen, zuletzt damit, dass man Russlands Hilfe bei
der Umsetzung der Chemiewaffen-Vereinbarung benötigte. Nur so konnte Präsident Obama vermeiden, dass
wieder lauthals das von ihm ungeliebte militärische
Eingreifen in Syrien gefordert wird. Der Iran unterstützt
Syriens Präsidenten Baschar al-Assad, aber dieser
Umstand rückte angesichts der Verhandlungen über
Teherans Atomwaffenprogramm in den Hintergrund. Das
Resultat: Auf diplomatischer Ebene gibt man sich selbstzufrieden, obwohl die syrische Regierung weiterhin größtenteils ungehindert Zivilisten ermordet.
Welche Form von Druck wäre nötig, um dem Schlachten
ein Ende zu bereiten? Bislang zeigen sich Regierungen
aus dem Westen und arabischen Ländern unwillig, auf
die aggressiveren Sanktionen gegen Banken zurückzugreifen, die sich an anderer Stelle als so erfolgreich
erwiesen haben. Russland war nicht bereit, Syrien vom
Sicherheitsrat vor dem Internationalen Strafgerichtshof
(IStGH) anklagen zu lassen, ein Waffenembargo zu
verhängen oder auch nur die Massenmorde der syrischen
Regierung zu verurteilen. Auch Washington hat sich
öffentlich bislang nicht für ein Einschalten des IStGH
ausgesprochen. Grund ist wohl offenbar auch, dass man
vermeiden will, dass Vertreter Israels dafür angeklagt
werden, Menschen in die relativ statischen Siedlungen
auf den israelisch besetzen Golanhöhen gebracht zu
haben. (Die expandierenden Siedlungen im
Westjordanland sind eine andere Angelegenheit, aber
eine Klage gegen Syrien vor dem IStGH wäre hiervon nicht
berührt.)
Auch die Nachbarn waren keine Hilfe. Libanon, Irak und
Ägypten haben sich angeblich geweigert, die Sanktionen
der Arabischen Liga umzusetzen. Sie schicken weiterhin
Öl, das Syriens Tötungsmaschinerie am Laufen hält. Die
Golf-Staaten, inklusive Saudi-Arabien und Katar, haben
Berichten zufolge für Gräueltaten verantwortliche
Extremistengruppen mit Geld und Waffen ausgerüstet
und - genauso wie Kuwait – weggesehen, wenn ihre
Bürger Geld spenden. Iran und Hisbollah unterstützen
weiterhin die syrische Regierung.
Die Völkergemeinschaft scheint nur allzu gern bereit, die
Ermordung syrischer Zivilisten andauern zu lassen. Einige
Regierungen bekräftigen sich in ihrer Apathie noch,
indem sie verbreiten, dass sich hier rücksichtslose
Kämpfer gegenseitig umbringen, sei es das syrische
Militär, die Hisbollah oder Dschihadisten. Arabische
Regierungen – ganz besonders solche aus der Golfregion
– sehen den Konflikt vor allem unter dem Aspekt der
Beziehungen zwischen Schiiten und Sunniten und dem
schwelenden Machtkampf zwischen Saudi-Arabien und
Iran um die regionale Oberhoheit. Doch in erschreckend
hohem Ausmaß ist dies ein Krieg gegen Zivilisten. Statt
Selbstgefälligkeit wäre hier Dringlichkeit angesagt.
Zentralafrikanische Republik und Südsudan
In Syrien mag sie gescheitert sein, aber in den letzten
Monaten des vergangenen Jahres zeigte das Prinzip der
Schutzverantwortung ihre noch immer beträchtliche Kraft.
Als in der Zentralafrikanischen Republik religiös motivierte Massenmorde ausbrachen, entsandten Frankreich
und die Afrikanische Union (AU) Truppen zur
Unterstützung der überforderten AU-Friedenstruppen. Die
USA stellten über 100 Mio. Dollar bereit, die UN begann,
eine eigene, dringend benötigte Blauhelm-Mission vorzubereiten. Um das Land vom Rand der Katastrophe zurückzuführen, ist noch sehr viel mehr nötig, aber die
Völkergemeinschaft hat mehr Willen gezeigt, sich ihrer
Verpflichtung zu stellen.
Mitte Dezember starben im benachbarten Südsudan
Hunderte Menschen, als sich ein politischer Konflikt zu
ethnisch motivierten Angriffen auf Zivilisten und einen
ausgewachsenen Bürgerkrieg ausweitete. Innerhalb
weniger Tage genehmigte der Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen zusätzliche 5500 Blauhelme für den Südsudan.
Das mag nicht ausreichen, um die Massenmorde zu
unterbinden oder die brisante Lage zu stabilisieren, aber
die rasche Reaktion zeigt, dass unter den richtigen
Umständen weiterhin mit der Anwendung des Prinzips
der Schutzverantwortung zu rechnen ist.
In allen Fällen ging es bei der Intervention darum, das
Abschlachten von Zivilisten durch Regierungstruppen und
Milizen ebenso zu stoppen wie von Rebellen verübte
Massaker – eine der kontroversesten Aufgaben des
Konzepts.
Ruanda und die Demokratische
Republik Kongo
Auch im Osten des Kongo reagierte die Völkergemeinschaft effektiv. Ruanda unterstützt dort seit
Langem Rebellengruppen, die durch Misshandlungen
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WORLD REPORT 2014 | Auszüge auf Deutsch
aufgefallen sind. Ruandas Hilfe hat zu den massiven
Verlusten an Menschenleben der vergangenen zwei
Jahrzehnte beigetragen. Bislang kam Präsident Paul
Kagame damit durch, weil die Völkergemeinschaft sich
schuldig fühlt, 1994 den Völkermord in Ruanda nicht
unterbunden zu haben, und weil sie den wirtschaftlichen
Fortschritt bewundert, der Ruanda unter Kagame gelang.
Erst im Juni 2012 begannen sich die Dinge zu ändern. Da
konnten Human Rights Watch und Experten der Vereinten
Nationen zwingende Beweise dafür vorlegen, dass
Ruanda die Rebellenorganisation M23 im Ost-Kongo
unterstützt, obwohl die Gruppe für Gräueltaten bekannt
ist. Erstmals kritisierten die westlichen Mächte öffentlich
Ruandas Regierung und setzten sogar einige
Hilfszahlungen aus. Mit den USA und Großbritannien
gehörten die wichtigsten Unterstützer Ruandas zu den
Kritikern. Dass es Ruanda rundweg bestritt, M23 zu unterstützen, schadete der Glaubwürdigkeit der Regierung und
machte es nur noch wichtiger, den Druck zu erhöhen, bis
die Unterstützung endet.
Ein erster Erfolg: M23 zog sich aus Goma zurück, der
wichtigsten Stadt der Region. Dennoch machte M23
weiter Jagd auf die Bewohner der Region. Der
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen reagierte: Die militärischen Möglichkeiten der im Osten Kongos stationierten Blauhelme wurden beträchtlich aufgestockt. Als
M23 dann im Oktober 2013 – weiterhin mit ruandischer
Unterstützung – eine Offensive startete, riefen USAußenminister John Kerry und sein britischer Amtskollege
William Hague bei Kagame an und sagten ihm, er solle
das unterbinden. Dieses Mal schien die Kombination aus
Druck und erhöhter militärischer Schlagkraft zu funktionieren. Ohne militärische Rückendeckung aus Ruanda
zerfiel M23 angesichts des verstärkten Widerstands der
Blauhelme innerhalb weniger Tage. Andere bewaffnete
Gruppen und auch die Armee des Kongos verüben
weiterhin Angriffe auf Zivilisten, aber zum jetzigen
Zeitpunkt scheint der Osten Kongos erstmals seit Jahren
frei zu sein von bewaffneten Gruppen, die mit
Unterstützung Ruandas der Bevölkerung zusetzen.
Missbrauch des Mehrheitsprinzips
Zur Demokratie gehören drei zentrale Bestandteile: regelmäßige Wahlen, ein Rechtsstaat und Respekt gegenüber
den Menschenrechten. Viele Diktaturen haben Angst
davor, so etwas wie freie und gerechte Wahlen zuzulassen, aber wie autoritäre Regierungen gelernt haben,
kann man Demokratie auch dem Namen nach zulassen.
So erlauben sie beispielsweise Wahlen, häufig unter
kontrollierten Bedingungen, und sonst nichts. Diese
vorgetäuschte Demokratie lehnt grundlegende Prinzipien
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ab: Man unterwirft sich nicht der Rechtsstaatlichkeit,
achtet die für Minderheiten geltenden Menschenrechte
nicht und muss auch keine offen und dauerhaft geführten
öffentlichen Debatten erdulden.
Viele vergleichsweise junge Regierungen haben vergangenes Jahr auf diese Weise das Mehrheitsprinzip missbraucht. Die Mehrheit – die manchmal durch Wahlen
zustande kam, manchmal durch eigene Einschätzung - zu
vertreten, dies war ihnen wichtiger als die Grundrechte zu
respektieren, die innerhalb einer Demokratie funktionieren sollten. Einige Staats- und Regierungschefs
verfolgten auch eine angenehm auf ihre Belange zugeschnittene Form der Demokratie, bei der es nur auf die
Stimme am Wahltag ankam. Die restliche Zeit über waren
öffentliche Debatten nicht willkommen. Das übliche
Geben und Nehmen des Politikalltags war ihnen zuwider,
also wurde versucht, öffentliche Proteste und Kritik in
Presse und sozialen Medien zu unterdrücken, obwohl
auch diese Bestandteil dessen sind, was eine echte
Demokratie ausmacht.
Am augenscheinlichsten war dies in Ägypten zu beobachten. Zunächst regierte die Muslimbrüderschaft um
Präsident Mohammed Mursi auf eine Art und Weise, bei
der sich Minderheiten und säkulare Gruppen ausgeschlossen fühlten. Nachdem die Armee im Juli Mursi
stürzte, leitete die vom Militär dominierte Regierung von
General Abdel Fattah al-Sisi eine Repressionspolitik ein,
wie sie Ägypten seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt hat.
Hunderte Demonstranten der Muslimbrüderschaft wurden
getötet.
Mursi hatte 2012 die Präsidentschaftswahlen nur knapp
gewonnen, in der ersten Runde kam er auf 25 Prozent, in
der Stichwahl auf 51,7 Prozent der Stimmen. Dennoch
regierte er, als seien die Rechte der Minderheit nicht von
Belang. Er rief eine verfassungsgebende Versammlung
ein, in der nach Ansicht vieler die nicht zur
Muslimbrüderschaft gehörenden Vertreter unterrepräsentiert waren. Dann boxte er per Referendum eine
Verfassung durch, bei der nach Ansicht vieler die islamistische Lesart zulasten der Grundrechte ging, speziell der
Rechte von Frauen und religiöser Minderheiten. Er verlieh
sich selbst kurzzeitig Sonderbefugnisse, die ihn bei
„Angelegenheiten der Souveränität“ über das
Rechtssystem stellten. Und er tat wenig, um die
Sicherheitskräfte zur Verantwortung zu ziehen, dabei
waren sie für Tötungen, Folter und willkürliche
Verhaftungen verantwortlich. In der Tat hatte das Militär
unter Mursi mehr Spielraum, als es je unter Präsident
Hosni Mubarak hatte, einem Ex-General. Es war der fehlgeleitete Versuch, die Stimmung nicht zu vergiften.
Januar 2014 | HUMAN RGHTS WATCH
Als im Juni 2013 Millionen Ägypter für Neuwahlen
demonstrierten, nahm das Militär dies als Freibrief, Mursi
zu stürzen. Man handle für die Bevölkerungsmehrheit,
behauptete das Militär, ohne dass dies durch Wahlen
untermauert war. Dann missachteten die Generäle die
Grundrechte noch stärker, als es Mursi je gewagt hätte.
Sie legten eine Verfassung vor, die Frauen und religiösen
Minderheiten mehr Schutz ihrer Rechte versprach, doch
die Militärgerichte für Zivilisten blieben erhalten,
außerdem wurde das Militär stärker der Überwachung
durch Zivilisten entzogen. Anschließend handelte das
Militär, als unterliege man überhaupt keinen gesetzlichen
Verpflichtungen.
wurden aus dem Verfassungsentwurf gestrichen, ebenso
das Bestrafen von Angriffen auf „heilige Werte“ – ein
schwammiger Passus, der zur Bestrafung friedlicher
Meinungsfreiheit hätte dienen können. Ein Gesetzentwurf
zur „Immunisierung der Revolution“ wurde fallen
gelassen, hätte das Gesetz doch Menschen von politischer Aktivität ausschließen können, die sich außer der
Zugehörigkeit zur falschen Partei nichts zuschulden
hatten kommen lassen.
Auch in anderen Ländern behauptete man, für die
Mehrheit zu sprechen, und ließ dabei Menschenrechte
außer Acht. In der Türkei hat Ministerpräsident Recep
Tayyip Erdogan wiederholt eine parlamentarische
Mehrheit erringen können, aber seine
Mit exzessiver und brutaler Gewalt zerschlugen die von
Regierungsmethoden scheinen immer autokratischer zu
Militärs gesteuerten Behörden Protestlager der
werden. Er zeigt abnehmende Bereitschaft,
Muslimbruderschaft in Kairo. Bis zu 1000 Menschen
Widersachern, Kritikern oder Rivalen zuzuhören.
wurden dabei getötet, wahllos und in einigen Fällen
Wendepunkt war Erdogans Vorhaben, einen der wenigen
vorsätzlich. Tausende Anführer und Gefolgsleute der
Parks im Stadtzentrum von Istanbul durch ein
Muslimbruderschaft wurden zusammengetrieben und
Einkaufszentrum zu ersetzen. Als die Polizei im Mai einen
inhaftiert. Manchmal wurde die Verhaftung offiziell
dementiert, nicht selten waren die Anklagepunkte an den kleinen Sit-in gegen das Projekt mit Gewalt zerschlug,
löste das eine deutlich größere Besetzung des Parks und
Haaren herbeigezogen oder es gab erst gar keine
Massendemonstrationen in anderen Städten des Landes
Anklage. Die Muslimbruderschaft wurde offiziell zur
aus. Erdogan behandelte die Demonstrationen wie eine
Terrororganisation erklärt, die Mitglieder wurden strafpersönliche Beleidigung und entsandte wiederholt
rechtlich belangt und teils zum Tode verurteilt, ihr
Polizei, die die Proteste auflösen sollte. Die Polizisten
Vermögen wurde beschlagnahmt. Auch die
gingen mit übermäßiger Gewalt vor und beschossen
Vermögenswerte angeschlossener medizinischer
Einrichtungen wurden eingefroren; es gab Drohungen, die Demonstranten gezielt mit Tränengaskanistern, was Tote
und Schwerverletzte nach sich zog. Auch nachdem die
Moscheen der Bruderschaft zu übernehmen und die
Proteste abebbten, übten Erdogan und sein Zirkel starken
Geistlichen auszutauschen.
Druck auf Medienunternehmen aus, die nach Erdogans
Die Regierung verabschiedete ein Gesetz, das
Meinung zu freundlich mit der politischen Opposition
Demonstrationen nur mit offizieller Genehmigung
umgingen. Obwohl er die Polizei sehr für ihren Umgang
erlaubte – aber Genehmigungen wurden nicht erteilt.
mit den Demonstranten lobte, zögerte Erdogan nicht, als
Dann wurde die Unabhängigkeit des Militärs über alles
ein Korruptionsskandal Regierungsminister und seinen
hinaus ausgeweitet, was Mubarak zugelassen hatte, und
Sohn zu erreichen drohte. Dutzende Beamte und sogar
sogar noch über Mursis Freizügigkeit hinaus. Obwohl
ein Staatsanwalt wurden degradiert.
viele fehlgeleitete Liberale diese Maßnahmen unterIn Burma schrieb die Regierung um Präsident Thein Sein
stützten, fing die Regierung an, die säkularen Aktivisten
zu unterdrücken, die drei Jahre zuvor die Speerspitze der sich Reformen auf die Fahnen geschrieben, aber noch
immer bleiben Fragen, inwieweit die Regierung bereit ist,
Tahrir-Platz-Bewegung gebildet hatten. Seit Mubaraks
offenen politischen Wettbewerb zu erlauben – und etwa
Sturz im Februar 2011 wird Ägypten das zweite Mal von
Oppositionsführerin Aung San Sui Kyi für die
einer Regierung beherrscht, die wenig motiviert scheint,
sich einzuschränken und grundlegende Rechte zu achten. Präsidentschaftswahlen zuzulassen. Besonders enttäuschend war die Reaktion der Regierung auf die
Tunesien zeigt, welch anderen Weg Ägypten hätte
Gewalttaten, die buddhistische Extremisten gegen
nehmen können. 2011 ging die islamistische EnnahdhaRohingya und andere Muslime verübten: Häufig sahen
Partei aus den ersten freien Wahlen zur
Sicherheitskräfte tatenlos zu, während der Mob angriff,
Nationalversammlung als deutlicher Sieger hervor. Die
und es wurde wenig unternommen, Übeltäter der Justiz
Wirtschaft war am Boden, die politischen Lager
zuzuführen. Sicherheitskräfte, die bei den verschiedenen
gespalten, aber dennoch verständigten sich die großen
ethnisch motivierten Bürgerkriegen in den Randgebieten
Parteien auf Kompromisse, die wichtige Rechte
des Lands Kriegsverbrechen begangen hatten, mussten
bewahren. Passagen zur „ergänzenden“ Rolle der Frau
sich nicht vor Gericht verantworten.
11
WORLD REPORT 2014 | Auszüge auf Deutsch
Aber auch Aung San Suu Kyi hat enttäuscht.
Wohlwissend, dass die Armee über ihre Kandidatur
entscheidet, hat sie die Menschenrechtsverletzungen der
Militärs nicht angeprangert. Und weil die verletzlichen
und staatenlosen Rohingya in Burma so unbeliebt sind,
hat sie sich geweigert, ihnen, als sie gewaltsam angegriffen wurden, verbal zu Hilfe zu eilen. Die
Nobelpreisträgerin verteidigt ihre Haltung damit, dass sie
immer eine Politikerin war und es auch weiterhin sei. Die
Welt ist offenbar einem Irrtum aufgesessen, als sie
glaubte, dass ein Opfer von Menschenrechtsverletzungen
diese Rechte auch gewissenhaft verteidigen würde.
In Thailand nutzte die Regierung von Ministerpräsidentin
Yingluck Shinawatra ihre Stimmenmehrheit für ein
Amnestiegesetz, von dem – nicht zufällig – ihr älterer
Bruder profitiert hätte, der ehemalige Premier Thaksin
Shinawatra, der seit 2006 im Exil lebt, weil ihm in
Thailand wegen Korruption der Prozess gemacht werden
soll. Die Ministerpräsidentin hat es jedoch mit ihrer
Stimmenmehrheit übertrieben und damit zahlreiche
Demonstrationen ausgelöst. Viele Oppositionelle wollen
jedoch scheinbar einen Staatsstreich erzwingen, weil sie
fürchten, bei Neuwahlen erneut zu verlieren. Eine derartige Strategie stünde im Widerspruch zu demokratischen
Prinzipien: Ein Wahlsieg ist kein Freibrief für Verstöße
gegen Menschenrechte, aber Wahlen sind nun einmal die
Grundvoraussetzung für Demokratie.
In Kenia hatte die Regierung um Präsident Uhuru
Kenyatta und dessen Stellvertreter William Ruto die
Wahlen mit 50,07 Prozent der Stimmen hauchdünn
gewonnen und konnte so einer Stichwahl entgehen.
Seitdem setzt die Regierung alles daran zu verhindern,
dass Kenyatta und Ruto wegen der Rolle, die sie bei der
Gewaltwelle nach den Wahlen 2007/2008 gespielt haben
sollen, vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt werden. Ruto hat ebenso wie Kenyattas Anhänger
dagegen angekämpft, dass sich ein kenianisches
Sondertribunal mit der Gewalt befasst. Sie bauten darauf,
dass der IStGH nicht aktiv werden würde. Falsch gedacht.
Nun hat der IStGH Kenyatta und Ruto angeklagt und die
beiden beschweren sich über diese „Einmischung in ihre
Regierungsfähigkeit”. Das gilt umso mehr, seit im
Oktober die islamistische Al-Schabab-Miliz ein
Einkaufszentrum in Nairobi angriff. Weiter monieren die
beiden, dass sich der IStGH ihrer Meinung nach
ausschließlich auf afrikanische Verdächtige konzentriere
– was aber doch gleichzeitig bedeutet, dass das
Augenmerk auf Opfern in Afrika liegt! Als Alternative
bieten sie nicht etwa eine Gerichtsverhandlung auf nationaler Ebene an, sondern wollen Straffreiheit.
Unausgesprochen und fälschlicherweise nehmen sie an,
12
ihr Wahlsieg wiege mehr als das Recht der Opfer und
ihrer Familien auf Gerechtigkeit. Der Versuch von
Kenyatta und Ruto, afrikanische Staaten zu einem
Massenrückzug vom IStGH zu bewegen, ist gescheitert,
aber es gelang ihnen, bei ihrem Streben nach
Straffreiheit die Afrikanische Union einzuschalten. Man
kann nur hoffen, dass anderen afrikanischen Staats- und
Regierungschefs die afrikanischen Opfer wichtiger sind
als die Mächtigen, die die Menschen zu Opfern machen.
In Russland war Präsident Wladimir Putin augenscheinlich aufgerüttelt von dem Ausmaß, in dem die Bürger
2011 und 2012 protestierten, weil sich Putins Partei
angeblich den Sieg bei den Parlamentswahlen ergaunert
hatte. Seit damals hat die Regierung einiges unternommen, um zu verhindern, dass die Opposition
weiteren Widerstand leistet. So wurden
Protestmöglichkeiten eingeschränkt, Abweichler bestraft
und kritische Nichtregierungsorganisationen, die Mittel
aus dem Ausland erhalten, als „Agenten des Auslands“
diskreditiert. Darüber hinaus hat der Kreml seiner konservativen Basis zuliebe Maßnahmen verabschiedet, die
gegen Menschenrechte verstoßen. So wurde, unter dem
Deckmäntelchen des Kinderschutzes, „homosexuelle
Propaganda“ verboten und es wurden Aktivisten wie die
Punkband „Pussy Riot“ und die
Umweltschutzorganisation Greenpeace mit unangemessen harten Anklagen belegt. Offenbar in dem
Versuch, im Vorfeld der Olympischen Winterspiele in
Sotschi ausländische Kritik zu umgehen, begnadigte
Putin dann viele von Russlands bekanntesten
Gefangenen. Aber das zeigte in erster Linie nur, wie willkürlich seine Herrschaft ist, denn das harte Durchgreifen
gegen Regierungskritiker endete damit nicht. So wurden
neue Opfer in die Drehtür des von der Politik gesteuerten
russischen Justizapparats gezogen.
In der Ukraine beschloss Präsident Viktor Janukowitsch,
sein Land nicht näher an die Europäische Union zu
führen. Die Folge waren Massendemonstrationen in Kiew.
Die Behörden ließen die Proteste größtenteils zu und als
Fälle von Polizeibrutalität gegen Demonstranten und
berichtende Journalisten weitergehende Proteste im Rest
des Landes auslösten, sagten die Behörden zu, die
Verantwortlichen für die Gewalt zur Rechenschaft zu
ziehen. Bislang haben sie jedoch vor allem versucht,
Demonstranten einzuschüchtern, die sich über stockende
Ermittlungen beschweren.
In Venezuela wurde Nicolás Maduro im April zum Sieger
der Präsidentschaftswahlen erklärt. Die Opposition zweifelte das Wahlergebnis allerdings an. Daraufhin verprügelten staatliche Sicherheitskräfte Anhänger von
Maduros Widersacher Henrique Capriles, die
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Protestaktionen gegen den Staat durchführten. Es kam zu
willkürlichen Verhaftungen. Einige der Verhafteten berichteten, man habe sie gefragt, wer ihr Präsident sei.
Antworteten sie nicht „Nicolás Maduro“, wurden sie
geschlagen. Trotz glaubwürdiger Berichte über
Missbrauchsfälle ging die Staatsanwaltschaft dem jedoch
nicht nach. Als Capriles zu einer friedlichen
Demonstration in der Hauptstadt aufrief, sagte Maduro,
er werde das nicht zulassen und gegen derartigen
„Faschismus“ „mit eiserner Faust“ durchgreifen. Alle
Schuld für Gewalttaten nach der Wahl liege bei Capriles.
Als die Opposition eine Neuauszählung der Stimmen
forderte, verweigerte der Präsident der
Nationalversammlung – ein Parteigenosse Maduros –
anderen Abgeordneten so lange das Rederecht, bis sie
einzeln Maduros Wahlsieg anerkannten. Maduros
Wohnungsbauminister drohte, alle Behördenmitarbeiter
zu feuern, die sich kritisch über die Regierung äußerten.
Auf Geheiß Maduros verabschiedeten Mitglieder der
Partei des Präsidenten im November ein Gesetz, das ihm
weitreichende Machtbefugnisse einräumt und erlaubt,
per Dekret zu regieren. Noch immer werden
Medienunternehmen, die sich kritisch über die
Regierungspolitik äußern, eingeschüchtert und sanktioniert. Menschenrechtlern wurden Klagen angedroht und
die Finanzierungsmöglichkeiten beschnitten.
Internet blockieren, taugt jedoch nicht dafür, den
Austausch zu verhindern, den Social-Media-Websites wie
Sina Weibo den Chinesen untereinander ermöglichen.
Geschätzte 400 Millionen Chinesen nutzen inzwischen
soziale Medien, Tendenz steigend. Da fällt es selbst einer
mit Zensoren so gut ausgerüsteten Regierung wie der
chinesischen schwer, Schritt zu halten. Soziale Medien
haben den Bürgern Chinas neue Wege eröffnet,
Fehlverhalten des Staats und der Behörden anzuprangern. Gelegentlich bleibt der Regierung kein anderer Weg,
als dem tatsächlich nachgehen zu müssen.
Nicht nur bei Wahlen, auch auf kultureller Ebene wird das
Mehrheitsprinzip missbraucht. Sei es, dass in SaudiArabien oder Afghanistan die Rechte der Frauen
beschnitten werden, sei es, dass in Uganda oder
Russland die Rechte von Schwulen und Lesben untergraben werden – Politiker, die Missbrauch verüben, sprechen häufig von einer dominanten oder traditionellen
Kultur, als ob dies rechtfertige, die Rechte derjenigen zu
verletzen, die von dieser Kultur abweichen, oder die
Diskriminierung dieser Personen voranzutreiben. Diese
Politiker tun normalerweise so, als würden ihnen die
Alternativen zu ihren Traditionen von außen aufgezwungen, als ob alle Homosexuellen in ihrem Land
importiert seien oder alle Frauen, die sich gegen
Diskriminierung wehren, Umsiedler seien. Der einzige
Zwang dabei geht von den dominanten Eliten dieser
In China traut sich die Regierung nicht einmal, ranghohe
Länder aus und ist gegen jene gerichtet, die es wagen,
Beamte wählen zu lassen, behauptet jedoch, die selbst
anders zu sein oder für ihre Rechte einzutreten. Niemand
ernannte Führung der Kommunistischen Partei spreche
beharrt darauf, dass eine bestimmte Frau geschlechtsstellvertretend für die Bevölkerungsmehrheit. Die neue
spezifische Rollen ablehnt oder dass bestimmte Schwule
Regierung unter Präsident Xi Jinping hat einige bescheidene Reformen durchgeführt. So wurde die „Umerziehung oder Lesben ihrer eigenen Sexualität folgen anstatt den
Vorstellungen der Regierung. Tun sie es dennoch, lassen
durch Arbeit“ abgeschafft, doch andere Methoden,
Menschen ohne Gerichtsverhandlung wegzusperren, exis- ihnen die Bestimmungen zur Vermeidung von
Diskriminierung die Wahl. Es ist ihre Wahl, nicht die einer
tieren weiter. Auch wurden die Bedingungen für chinesiRegierung. Die Völkergemeinschaft wird aktiv, wenn eine
sche Paare gelockert, ein zweites Kind zu bekommen,
doch der offizielle Zwang und die Einmischung des Staats Regierung diese Wahlmöglichkeit verhindert, nicht, um
jemandem eine bestimmte Wahl aufzuzwingen.
in derart persönliche Angelegenheiten dauern an.
Beibehalten hat die neue Regierung auch die Intoleranz
gegenüber organisierter Kritik. Vergeltungsmaßnahmen
Nationale Sicherheit: Vorwand für
sahen sich sogar Journalisten ausgesetzt, die bei
Rechtsverletzung
Medienunternehmen arbeiten, die sich mit heiklen
Im Januar 2013 begann für Präsident Obama die zweite
Themen wie dem unerklärlichen gewaltigen Reichtum
Amtszeit.
An seinen enttäuschenden Leistungen in
befassten, zu dem die chinesische Staatsführung und
Sachen nationale Sicherheit hat sich seitdem wenig
ihre Familien gekommen sind. Nobelpreisträger Liu
geändert.
Zugutehalten muss man ihm, dass er nach
Xiaobo sitzt weiterhin im Gefängnis eine elfjährige Strafe
seinem
Amtsantritt
Folter untersagte und CIA-Gefängnisse
ab, weil er für Demokratie eingetreten ist; seine Frau Liu
schließen ließ, in denen Verdächtige spurlos für Monate
Xia steht weiterhin widerrechtlich unter Hausarrest.
oder Jahre verschwanden. So endeten zwei der schändScheinbar die größte Bedrohung für die chinesische
lichsten Praktiken, die die Bush-Regierung als Reaktion
Führung ist der Aufstieg der sozialen Medien, untergräbt
auf die Anschläge vom 11. September 2001 begonnen
er doch ihr Monopol auf die öffentliche Meinung. Chinas
hatte. Doch Obama hat sich auch geweigert, jemanden
„Great Firewall“ soll den Zugang zum ausländischen
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für diese Menschenrechtsverstöße anklagen zu lassen. Er
hat Bemühungen verhindert, diese Verstöße zu untersuchen und den Opfern Wiedergutmachung zukommen zu
lassen.
befolgt werden. Noch immer sterben Zivilisten und die
Regierung Obama weigert sich bis auf wenige
Ausnahmen, öffentlich Verantwortung für die Angriffe zu
übernehmen.
Darüber hinaus hat Obama wenig für sein Versprechen
getan, das Gefangenenlager Guantanamo Bay zu
schließen. Auch ließ er weiter Verdächtige vor
Militärgerichte bringen, obwohl diese Gerichte grundlegend fehlerhaft sind und ihre Bilanz kläglich ist. In zwei
Bereichen, bei gezielten Tötungen – häufig durch
Drohnen – und bei der elektronischen
Massenüberwachung, hat er die Programme seines
Vorgängers aufgestockt und erweitert.
Washington scheint es überhaupt nicht eilig damit zu
haben, zu zeigen, dass die Verwendung von Drohnen für
Angriffe rechtmäßig ist. Momentan ist die US-Regierung
praktisch die einzige, die Drohnen für diesen Zweck
nutzt. Aber das wird sich ändern und Washington wird
zweifelsohne bedauern, Präzedenzfälle geschaffen zu
haben. Regierungen können nun jeden, den sie als
Bedrohung ansehen, als „Kämpfer“ bezeichnen, mit dem
nach den Regeln der Kriegsführung umgegangen werden
kann anstatt nach den strengeren Bestimmungen internatioanler Menschenrechtskonventionen.
Bei ihrer Drohnenpolitik hat die Regierung Obama weder
ihre eigene zu Protokoll gegebene Strategie eingehalten
noch deutlich gemacht, welche rechtliche Grundlage ihrer
Meinung nach spezielle Angriffe rechtfertigt. Formell hat
die Regierung Obama dem von der Vorgängerregierung
ausgerufenen „globalen Krieg gegen den Terror“ abgeschworen. Dennoch beteuert sie, man stehe in einem
bewaffneten, geographisch nicht eingegrenzten Konflikt
mit den Taliban, al-Kaida und deren Verbündeten. Die
Regierung hat gezielte Tötungen in Pakistan, dem Jemen
und in Somalia durchgeführt und erklärt, man stehe im
Krieg mit diesen bewaffneten Gruppen, oder sich auf die
nationale Sicherheit berufen.
Doch berücksichtigt man, dass an vielen dieser Orte die
Gewalt gegenüber den Vereinigten Staaten bestenfalls
sporadisch ist, scheint es alles andere als eindeutig,
dass hier überhaupt die freizügigeren Gesetze der
Kriegsführung anzuwenden sind. Selbst wenn: Auf dieser
Rechtsgrundlage wurden unrechtmäßig Zivilisten getötet,
ohne dass die USA dies untersucht hätten oder dass
Entschädigungsleistungen an die Opfer oder deren
Familien bekannt wurden. Auch internationale
Menschenrechtsstandards lassen den Einsatz tödlicher
Gewalt zu, allerdings nur unter einem deutlich enger
gesteckten Rahmen, nämlich nur dann, wenn die Gewalt
absolut notwendig ist, um eine unmittelbare tödliche
Bedrohung abzuwenden. So betrachtet wären noch deutlich mehr Opfer der Drohnenangriffe unrechtmäßig ums
Leben gekommen.
Obama deutete in einer Rede im Mai an, dass die Regeln
zur Kriegsführung ab einem nicht näher spezifizierten
Zeitpunkt nicht mehr gelten sollten. Weiter skizzierte er
Regeln, die bei Drohnenangriffen die Opfer unter
Zivilisten reduzieren sollen – Regeln, die in vielerlei
Hinsicht Menschenrechtsstandards näher sind als den
Bestimmungen zur Kriegsführung, auf die sich CIA und
Militär berufen. Aber es ist alles andere als eindeutig,
dass diese angekündigten Strategien auch tatsächlich
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Dank der Enthüllungen von Whistleblower Edward
Snowden weiß die Welt nun von der praktisch uneingeschränkten elektronischen Massenüberwachung, die die
US-Regierung gemeinsam mit einigen Verbündeten durchführt, speziell mit Großbritannien. Niemand stellt in
Frage, dass Regierungen aus Gründen der nationalen
Sicherheit nach Vorlage ihrer Beweise manchmal zielgerichtet überwachen müssen. Aber die
Massenüberwachung, die die USA ohne derartige
Einschränkungen durchführen, hat in einer modernen
Welt, in der elektronische Kommunikationsmöglichkeiten
praktisch unverzichtbar sind, das Recht auf Privatsphäre
größtenteils ausgelöscht.
Zur Rechtfertigung ihres Verhaltens beruft sich die USRegierung auf einige rechtliche Annahmen, die einer
ernsten Überprüfung nicht standhalten, auch wenn die
meisten von einem geheimen und respektvollen Foreign
Intelligence Surveillance Court ratifiziert wurden, einem
Gericht, dem nur die Argumentation der Regierung vorgetragen wird. So hat die Regierung keinerlei Hemmungen,
Metadaten über möglichst alle Telefonanrufe in den USA
zu führen, weil gemäß stark veralteter Bestimmungen
niemand ein rechtmäßiges Anrecht auf Privatsphäre hat,
was diese Informationen anbelangt. Schließlich teile man
diese Informationen ohnehin mit seinem Telefonanbieter.
Obwohl ein hoher Prozentsatz der globalen Online- und
Telefonkommunikation über die USA läuft, stellt sich die
Regierung auf den Standpunkt, dass nicht in den USA
lebende Ausländer keinerlei Recht auf Privatsphäre
haben – nicht einmal, was den Inhalt ihrer
Kommunikation anbelangt. Und die Regierung macht es
sich bequem: Das Recht auf Privatsphäre sei nicht
betroffen, so lange man Kommunikationsinformationen
nur sammle. Es greife erst, wenn man die Daten prüfe! Als
sei es okay, wenn die Regierung die Schlafzimmer aller
Menschen per Videokamera überwache, die Aufnahmen
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speichere und sich nur dann ansehe, wenn ein zwingender Grund vorliegt.
Die weltweite Empörung über das Herumtrampeln auf der
Privatsphäre lässt hoffen, dass ein Wandel eintritt. So
haben Brasilien und Deutschland beispielsweise eine
Resolution bei der Vollversammlung der Vereinten
Nationen eingebracht. In dem einstimmig verabschiedeten Aufruf heißt es, Verletzungen der Privatsphäre
müssten weiter geprüft werden im Kontext inländischer
und extraterritorialer Überwachung und auch auf
Massenebene. Diese Entwicklung ist begrüßenswert, gibt
es doch wenig Transparenz, inwieweit neben den USA
und ihren engsten Verbündeten auch andere Regierungen
Überwachungsmaßnahmen vorgenommen haben. Trotz
aller Proteste ist es beunruhigend, dass Länder, die sich
an die Menschenrechte halten, so wenig Bereitschaft
zeigen, dem Informanten Snowdon Unterschlupf vor den
Bemühungen der USA zu gewähren, ihn wegen Spionage
vor Gericht zu bringen. Genutzt hat das leider Russland:
Das Land hat Snowden vorläufiges Asyl gewährt und
präsentiert sich nun als Vorkämpfer für den Schutz der
Privatsphäre.
Man muss Obama zugutehalten, dass er einen
Reformausschuss ins Leben gerufen hat, der auch 46
Änderungen der Strategie vorschlug – ein sehr guter
Ausgangspunkt für eine Reform. So forderte der
Ausschuss unter anderem, dass die Regierung nicht
länger massenhaft Metadaten sammelt, dass die
Privatsphäre von Nicht-US-Bürgern besser geschützt wird
und dass ihr Handeln transparenter wird. Noch ist jedoch
unklar, ob irgendeine dieser Empfehlungen umgesetzt
wird. Die USA sind zu weit gegangen und nun besteht die
Gefahr, dass andere Regierungen – teilweise auch solche
mit wenig Achtung vor den Menschenrechten –
erzwingen, dass Nutzerdaten innerhalb ihrer eigenen
Grenzen bleiben. Das Potenzial für mehr Internetzensur
nimmt so zu.
Mehr Schutz für die Menschenrechte
Der Schutz der Menschenrechte hängt von vielen
Elementen ab: Die Szene der Aktivisten und NGOs muss
lebendig sein, die Öffentlichkeit muss an die Bedeutung
von Grundrechten glauben, Regierungen müssen dafür
eintreten, diese Prinzipien zu bewahren. Außerdem ist
eine internationale Infrastruktur entstanden, die den
Schutz der Menschenrechte stärken soll. Zwei
Entwicklungen aus dem vergangenen Jahr sind dabei
besonders hervorzuheben: Erstens wird der UNMenschenrechtsrat in Genf wie erhofft immer stärker zu
einer führenden multilateralen Institution, die für den
Schutz der Menschenrechte eintritt. Zweitens wurden
zwei neue Abkommen beschlossen, die den Schutz
einiger der am stärksten gefährdeten gesellschaftlichen
Gruppen verbessern sollten.
UN-Menschenrechtsrat macht Mut
Nach furchtbarem Start zeigte der Rat im vergangenen
Jahr mehr Potenzial. 2006 war der Menschenrechtsrat als
Nachfolger der Menschenrechtskommission der
Vereinten Nationen gegründet worden. Die Kommission
hatte an Glaubwürdigkeit verloren, nachdem ihr repressive Regierungen in Scharen beitraten und versuchten,
mit ihren Stimmen Rügen abzuwenden. Beim Rat sind die
Aufnahmebedingungen strenger, aber in den ersten
Jahren war er dennoch wenig erfolgreicher als sein
Vorgänger.
In den vergangenen Jahren hat der Rat jedoch gezeigt,
was in ihm steckt. Wichtig war, dass die USA dem Rat
beigetreten sind, nachdem Obamas Vorgänger Bush das
Gremium hatte links liegen lassen. Auch andere
Regierungen spielten eine wichtige Rolle, beispielsweise
Mexiko, die Schweiz, Chile, Botswana, Brasilien,
Argentinien, Mauritius, Benin, die Malediven, Costa Rica
sowie mehrere EU-Staaten. Gemeinsam konnten sie politische Gräben überwinden und die Apathie abschütteln,
die in der Vergangenheit oft ein effektives Arbeiten
verhindert hatte. Selbst traditionell eher zurückhaltendere Länder wie Nigeria und Thailand konnten zu mehr
Produktivität bewegt werden.
Die positivsten Ergebnisse zeigten sich im Fall Sri Lankas.
2009 starben dort zum Ende des Konflikts mit den Tamil
Tigers rund 40 000 Zivilisten. Was machte der Rat? Er
gratulierte der Regierung als erstes zu ihrem Sieg. Doch
in den vergangenen zwei Jahren wurde die Regierung Sri
Lankas gedrängt, ihr Versprechen einzuhalten,
Kriegsverbrechen beider Seiten zu untersuchen und die
Verantwortlichen vor Gericht zu bringen.
Ein weiterer von mehreren positiven Schritten: Im März
2013 wurde ein Untersuchungsausschuss gegründet, der
Beweise für Menschenrechtsverbrechen Nordkoreas
sammelt. Das ist der erste Schritt hin zu einer möglichen
Anklage der Verantwortlichen.
Diese und ähnliche Schritte zeigen, dass im Rat eine
Mehrheit existiert, die für den Schutz der
Menschenrechte eintritt. Daran ändert auch nichts, dass
Ende 2013 Länder wie China, Kuba, Russland und SaudiArabien in den Rat gewählt wurden, die in der
Vergangenheit einer strikten Einhaltung der
Menschenrechte ablehnend gegenüberstanden. Mit den
richtigen diplomatischen Anstrengungen kann diese
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WORLD REPORT 2014 | Auszüge auf Deutsch
Mehrheit aktiviert werden, um auf die schwersten
Menschenrechtskrisen zu reagieren.
Zwei neue Abkommen zum Schutz der
Menschenrechte
Zu den schutzbedürftigsten Arbeitnehmern gehören die
Abermillionen Frauen und Mädchen, die weltweit als
Reinigungskräfte und Pflegepersonal in Haushalten
arbeiten. Sie arbeiten isoliert und seit jeher abgeschnitten von dem grundlegenden Schutz, der den
meisten anderen Arbeitnehmern durch nationales Recht
gewährt wird. Das Risiko, wirtschaftlich ausgebeutet zu
werden, ist bei ihnen hoch, ebenso das Risiko des
körperlichen oder sexuellen Missbrauchs und des
Menschenhandels. Viele Regierungen zögern bislang, die
Arbeitsbedingungen in Privathaushalten zu regulieren,
und die Arbeitgeber tischen gerne das Märchen auf, dass
diese Arbeiter wie Familienmitglieder behandelt werden.
Diese Zustände sollten sich im Rahmen des
Übereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation
über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte
ändern, das seit September 2013 gilt. Das Abkommen
schützt Arbeitnehmer vor Missbrauch und Schikane und
gewährt ihnen zentrale Rechte wie einen freien Tag pro
Woche, eine Begrenzung der Arbeitszeit und einen
Mindestlohn. Hauspersonal, Gewerkschaften,
Migrantenorganisationen und Menschenrechtsaktivisten
nutzen die Konvention als Hebel, um nationale Reformen
zu fordern. Seit das Übereinkommen vor zwei Jahren
verabschiedet wurde, haben Dutzende Länder wichtige
Reformen beschlossen, von weitreichenden neuen
Gesetzen in den Philippinen und Argentinien bis zu
neuen Schutzmaßnahmen in der Verfassung Brasiliens.
Noch ist viel zu tun, aber der bisherige Zustand, dass
Hausangestellte im Landesrecht als Arbeitnehmer zweiter
Klasse behandelt werden, ändert sich.
Fortschritte hat die Welt auch beim Umgang mit
Quecksilber und den Gefahren der Quecksilbervergiftung
erzielt. Hier herrscht Einigkeit, dass die Menschen das
Recht auf die bestmöglichen Gesundheitsstandards
haben. Beim Großteil des weltweiten Kleinbergbaus wird
Gold mithilfe von Quecksilber gewonnen. Quecksilber ist
giftig und besonders für Kinder schädlich, es kann zu
lebenslangen körperlichen und geistigen Schäden
führen. Im Oktober wurde ein Abkommen verabschiedet,
das Regierungen verpflichtet, die gefährlichsten
Verwendungszwecke von Quecksilber im Bergbau abzuschaffen und andere, quecksilberfreie Arten des
Goldschürfens zu fördern.
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Zusammenfassung
2013 war ein unruhiges Jahr mit zahlreichen Gräueltaten
in einigen Ländern und einem Vormarsch von
Repressalien in anderen Staaten. Dennoch war 2013 auch
ein Jahr, in dem die Befürworter der Menschenrechte sich
vehement widersetzten. In einigen Fällen konnten sie
einen Sieg davontragen. Häufig führten die
Auseinandersetzungen nicht sofort zu einem Sieg, aber
erschwerten den Missbrauch zumindest – eine Strategie,
die langfristig eher dazu führt, dass die
Menschenrechtsverletzungen abklingen.
Das Prinzip der Schutzverantwortung stand zweifelsohne
unter Druck. Der Preis, den die syrische Bevölkerung
dafür bezahlen musste, war unsäglich hoch. Aber die
Doktrin zeigte sich als so widerstandsfähig, dass sie von
Massenverfolgung bedrohten Menschen in mehreren afrikanischen Ländern Unterstützung brachte. Eine beträchtliche Zahl von Staats- und Regierungschefs beschloss,
die Mehrheitsverhältnisse nach eigenem Gusto zu
messen und entsprechend zu regieren, ohne dabei diejenigen Rechte zu respektieren, die die Beteiligung aller
Teile der Gesellschaft am politischen Leben vorsehen
oder es zumindest allen Bürgern ermöglichen, frei von
Missbrauch durch den Staat zu leben. Öffentliche
Proteste führten allerdings dazu, dass den Staats- und
Regierungschefs die erhoffte Legitimierung ihres
Vorgehens versagt blieb. Das altbekannte Problem, das
im Namen der Terrorbekämpfung Menschenrechte
verletzt werden, verlagerte sich auf die elektronische
Massenüberwachung und gezielte Tötungen durch
Drohnen. Der traditionelle Versuch, rechtliche Fragen mit
dem Verweis auf die nationale Sicherheit abzuwürgen, ist
ganz klar gescheitert. Das Jahr brachte alles in allem
mehr als genug Leid, bot jedoch auch die Hoffnung, dass
daran gearbeitet wird, diese
Menschenrechtsverletzungen einzudämmen.
Kenneth Roth ist Executive Director von Human Rights Watch
Januar 2014 | HUMAN RGHTS WATCH
Essay:
Die überfällige Rückkehr eines Rechts
Privatsphäre im Zeitalter der Überwachung
Von Dinah PoKempner
„Technik ist in die heiligen Abschnitte des Privatlebens
eingedrungen. Unerwünschte Enthüllungen gefährden
unsere Sicherheit, unsere Würde und unsere grundlegendsten Werte. Das Gesetz muss sich dieser
Herausforderung stellen und unsere Rechte schützen.“
Klingt das nicht vertraut? Dabei stammt das Zitat von
Samuel Warren und Louis Brandeis, die 1890 in einem
Artikel für den „Harvard Law Review“ das „Recht auf
Privatsphäre“ verkündeten. Heute stehen wir wieder an
einem derartigen Scheideweg. Bei den technischen
Neuerungen, die ihnen damals als Bedrohung
erschienen, handelt es sich um Fotografie und den
Aufstieg der Massenpublikationen. Das mag uns eher
antiquiert vorkommen, doch die Bedrohung, die unerwünschte Enthüllungen für die emotionale, geistige
und sogar körperliche Gesundheit darstellen, war
damals scheinbar genauso groß wie im digitalen
Zeitalter.
Unsere neue Anfälligkeit kommt in einer Phase, in der
nahezu alle Aspekte des täglichen gesellschaftlichen
Lebens ins Internet umziehen. Parallel dazu sind Firmen
und Regierungen inzwischen in erschreckendem Maße
imstande, diese Flut digitaler Informationen anzuhäufen
und zu durchsuchen. Das verleiht ihnen die Macht, uns
außergewöhnlich detailliert zu „kennen“.
Wir leben in einer Welt, in der wir unser Leben über
soziale Medien mit anderen teilen und immense Mengen
an persönlichen Informationen preisgeben im Tausch für
eine möglichst reibungslose und bequeme OnlineErfahrung. Einige Fragen inzwischen, ob da Privatsphäre
als Konzept überhaupt noch Relevanz hat. Aber es ist
nicht nur relevant, sondern auch von zentraler
Wichtigkeit.
Privatsphäre ist ein Schlüsselrecht. Von ihm hängt ab,
inwieweit wir nahezu jedes andere Recht ausüben
können, nicht zuletzt das Recht, uns mit den Menschen
unserer Wahl auszutauschen und zu umgeben, politische
Entscheidungen zu fällen, unsere Religion auszuüben,
medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen,
Bildungsangebote zu nutzen, herauszufinden, wen wir
lieben, und unser Familienleben zu gestalten.
Privatsphäre ist nichts weniger als der Schutzraum, in
dem wir herausfinden, was wir denken und wer wir sind.
Sie ist der Dreh- und Angelpunkt unserer Autonomie als
Individuum.
Privatsphäre ist ein Recht, das wir oftmals als gegeben
ansehen. Wie wichtig sie ist, hat sich 2013 durch das
Bekanntwerden amerikanischer Regierungsunterlagen
gezeigt. Edward Snowden, ein ehemaliger Mitarbeiter der
National Security Agency (NSA), veröffentlichte einen
steten Strom an Enthüllungen, die im „Guardian“ und
anderen führenden Nachrichtenpublikationen aus aller
Welt abgedruckt wurden. Diese von Geheimdokumenten
gestützten Enthüllungen zeigten, dass die USA,
Großbritannien und andere Regierungen flächendeckend
weltweit Daten abfingen, größtenteils frei von rechtlichen
Zwängen oder gesetzlichen Kontrollen. Das ganze erfolgte
ohne Rücksicht auf die Rechte von Millionen unbescholtener Menschen, denen nichts vorgeworfen wurde.
Der große Reiz des digitalen Zeitalters besteht in der
Aussicht, Informationen mühelos und grenzüberschreitend teilen zu können. Das ist gleichzeitig seine große
Gefahr. Während das Wissen der Welt sich in den
Cyberspace verlagert, steigen entsprechend die
Überwachungsmöglichkeiten. Die USA sind führend, was
das Abfischen der globalen Datenströme anbelangt, aber
andere Länder und Akteure dürften aufholen. Schon jetzt
fordern einige, dass mehr Daten in ihrer Reichweite
bleiben. Letztlich wird es keinen sicheren Ort geben,
wenn Privatsphäre als strikt nationales Thema angesehen
wird, das vielen Ausnahmeregelungen unterliegt und
lasch beziehungsweise gar nicht reguliert wird.
Human Rights Watch äußerte sich 2013 wiederholt zu den
Folgen, die Snowdens Enthüllungen zu
Massenüberwachung für die Menschenrechte haben,
ebenso zur Notwendigkeit, Whistleblower zu schützen. In
diesem Essay untersuchen wir, wie sich die
Gesetzgebung in Sachen Privatsphäre entwickelte und
wie es heute weitergehen muss, damit Privatsphäre weltweit und für alle Menschen von den Regierungen respektiert wird. Das globale, massenhafte Sammeln von Daten
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WORLD REPORT 2014 | Auszüge auf Deutsch
bedroht die Menschenrechte und die Demokratie. Wieder
muss sich das Gesetz der Herausforderung stellen.
Ein Konzept entsteht: Das Recht, „in Ruhe
gelassen zu werden“
In vielen Staaten wurden seit langem die Werte anerkannt, auf denen das gesetzliche Recht auf Privatsphäre
basiert: Ehre, ein guter Ruf, die Unantastbarkeit von Heim
und Familienleben. Doch es waren die Vereinigten
Staaten, wo sich nach dem Aufruf von Warren und
Brandeis das Recht herauskristallisierte, auf Schutz der
Privatsphäre zu klagen.
Richter Cooley beschrieb 1882 Privatsphäre als das
Recht, „in Ruhe gelassen zu werden“. Im Lauf des
nächsten Jahrhunderts ließ das Deliktrecht Klagen gegen
unerwünschte öffentliche Enthüllungen oder die nicht in
beiderseitigem Einverständnis erfolgende Nutzung
privater Informationen zu. Viele der Kläger waren
Berühmtheiten oder Menschen, die diesen Status
vermeiden wollten. Die entstehende Rechtsdoktrin zielte
darauf ab, guten Ruf und Ehre des Einzelnen zu schützen.
Rasch kollidierte sie mit der Pressefreiheit und dem Recht
der Öffentlichkeit auf Information – vor allem dann, wenn
Zeitungen über Themen von allgemeinem öffentlichen
Interesse berichten wollten und peinliche Enthüllungen
über öffentliche Personen dabei eine Rolle spielten.
Die Rechtsprechung in den USA ging respektvoll mit den
Bedenken der Meinungsfreiheit um und ließ den Medien
in der Praxis viel Freiraum. In Europa lag der Schwerpunkt
eher auf dem Schutz des guten Rufs und der Wahrung
persönlicher Informationen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gewann Privatsphäre mit
dem Aufkommen des modernen Überwachungsstaats an
Boden als Abgrenzung vor dem Eindringen der Regierung.
Das „Dritte Reich“ nutzte bei der Verfolgung stark
Volkszählungsdaten, während viele kommunistische
Staaten ausgeklügelte Systeme zur Überwachung und
Datensammlung entwickelten, um ihre Bevölkerung
kontrollieren und Dissens im Keim ersticken zu können.
Derartige Einschränkungen existieren heute in China,
Vietnam, Nordkorea, Turkmenistan und Kuba.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hielt das Recht auf
Privatsphäre Einzug in vielen internationalen
Menschenrechtsinstrumenten und nationalen
Verfassungen. Häufig wurde es dabei formuliert als
Verbot der Einmischung in „Privatsphäre, Familie, Heim
oder Korrespondenz“ sowie dem traditionelleren Schutz
vor Angriffen auf „Ehre und guten Ruf“.
Privatsphäre galt nie als absolutes Recht. Im Völkerrecht
kann es vermindert oder eingeschränkt werden, wenn
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eine schwere öffentliche Notlage das Überleben eines
Landes gefährdet. Selbst dann jedoch muss der Notfall
öffentlich verkündet werden und die Einschränkungen
dürfen nicht größer sein, als es die Bedrohung erfordert.
Sie müssen diskriminierungsfrei sein und mit dem
Völkerrecht im Einklang stehen, darunter auch der
Wahrung der Menschenrechte.
Ohne derartigen Notfall darf ein Eindringen in
Privatsphäre, Familie, Heim und Korrespondenz nicht willkürlich erfolgen. Es muss gesetzlich geregelt werden und
eindeutig dargelegt sein, wie und wann diese Gesetze
voraussichtlich zur Anwendung kommen. Die Gesetze
müssen legitime Interessen in einer demokratischen
Gesellschaft schützen, etwa die öffentliche oder nationale Sicherheit. Sie müssen für diesen Zweck notwendig
und angemessen sein sowie gerichtlicher Kontrolle und
Rechtsmitteln unterliegen. Diese Grundprinzipien finden
sich in den meisten gerichtlichen Bewertungen unterschiedlicher Aspekte der Privatsphäre wieder.
Neue Technologien und „vernünftige“
Erwartungen
Wie der Staat – meist im Zusammenhang mit strafrechtlichen Ermittlungen – Durchsuchungen vornehmen darf,
hat einen wichtigen Aspekt des Schutzes der
Privatsphäre mitgestaltet. Für Durchsuchungen wurde die
Zustimmung eines Richters nötig, und in einigen
Rechtssystemen gelten nicht genehmigte
Durchsuchungen als Verbrechen. Das Briefgeheimnis
wurde um neue Technologien wie das Telefon erweitert
und Gesetze legen fest, wann die Behörden Verdächtige
abhören dürfen.
Doch der Schutz der Privatsphäre hinkt oftmals dem technischen Wandel hinterher. Im „Olmstead“-Fall von 1928
urteilte der Oberste Gerichtshof der USA, dass es nicht
gegen das Verfassungsrecht auf Schutz von Person,
Heim, Dokumenten und Eigentum verstößt, wenn in
einem Strafrechtsfall Beweise vorgelegt werden, die aus
einer nicht genehmigten Abhöraktion stammen. 1967
schlug der Gerichtshof einen anderen Kurs ein und legte
fest, dass ein Mensch vernünftigerweise Privatsphäre
erwarten könne, wenn er in einer öffentlichen
Telefonzelle telefoniere. Aus diesem Beispiel von
gesundem Menschenverstand entwickelte sich eine
Doktrin, wann die Macht des Staats, Durchsuchungen
auch ohne entsprechenden richterlichen Beschluss
durchzuführen, zu beschränken sei. Während im amerikanischen Recht das eigene Heim größtenteils unantastbar
bleibt, gilt dies nicht für Dinge, die außerhalb des Hauses
oder öffentlich einsehbar sind (an der Straße stehende
Mülleimer, der Rücksitz eines Autos).
Januar 2014 | HUMAN RGHTS WATCH
Bei der Frage, was vernünftigerweise als Privatsphäre
angesehen werden kann, hat die Rechtsauffassung
häufig nicht Schritt halten können mit raschen technologischen Veränderungen oder auch nur den Erwartungen
der Öffentlichkeit. Brandeis, der später an den Obersten
Gerichtshof berufen wurde, sah dieses Problem kommen.
In seinem berühmten „Olmstead-Sondervotum“ sagte er
voraus: „Eines Tages mag es Möglichkeiten geben, wie
die Regierung Dokumente vor Gericht reproduzieren
kann, ohne sie vorher aus Geheimfächern zu ziehen,
Dokumente, die es möglich machen, den Geschworenen
die intimsten Ereignisse des Heims zu eröffnen.“ Und
weiter schrieb er: „Kann es sein, dass die Verfassung vor
derartigen Verletzungen der Sicherheit des Einzelnen
keinen Schutz bietet?“
In unserer Zeit, da massenhaft Daten abgefangen
werden, ist Brandeis’ Sorge absolut berechtigt. Für
Abhörmaßnahmen wurden schließlich richterliche
Anordnungen notwendig, aber da neue Gesetzen für viele
Formen digitaler Informationen nur lasche Standards
vorgeben, metastasierte die Überwachung im 21.
Jahrhundert.
Privatsphäre: Geheimhaltung oder
Selbstbestimmung?
Die Doktrin von der vernünftigerweise zu erwartenden
Privatsphäre führte in der US-Rechtsprechung dazu, dass
viele Arten von Geschäftsunterlagen nicht vor einer
Durchsuchung ohne richterliche Anordnung geschützt
sind. Die Logik dahinter besagt, dass jemand, der
Informationen freiwillig mit Dritten teilt, keinen Einwand
erheben darf, wenn die Informationen publik werden.
Es wird gerne erwidert, dass man zwar einem
Unternehmen persönliche Informationen mitteilen kann,
daran aber nicht zwingend die Erwartung gekoppelt ist,
dass diese Daten dem Staat vorgelegt werden. Ganz im
Gegenteil: Normalerweise erwarten wir bei unseren
geschäftlichen Transaktionen ein gewisses Maß an
Diskretion und Vertraulichkeit. Berücksichtigt man, wie
viele notwendige Transaktionen des modernen Lebens
ein beträchtliches Maß an Offenlegung erfordern, ist es
auch nicht ganz richtig zu behaupten, die Preisgabe
persönlicher Informationen im Zuge geschäftlicher
Unterlagen erfolge völlig „freiwillig“.
Das US-Gesetz setzt den Schutz der Kommunikation
inzwischen mit Geheimhaltung gleich. Dieser Ansatz sei
für das digitale Zeitalter schlecht geeignet, sagte kürzlich
Richterin Sonia Sotomayor. In Europa ist das Gesetz
einen anderen Weg gegangen, angeführt vom deutschen
Persönlichkeitsrecht, das dem Schutz der
Menschenwürde und des Rechts auf freie Entfaltung der
Persönlichkeit dient. 1983 kippte das
Bundesverfassungsgericht das Volkszählungsgesetz und
formulierte das Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung.
Der europäische Ansatz ging von der Ansicht aus, der
Einzelne habe das Recht, die von verschiedenen
Institutionen gehaltenen Daten einzusehen und zu korrigieren. Letztlich habe er auch das Recht, über die
Verwendung und die Löschung dieser Daten zu
bestimmen. Ineinandergreifende regionale Richtlinien
und Standards entwickelten sich, unterlagen aber nationalen Unterschieden in der gesetzlichen Formulierung
und der Anwendung. In den USA dagegen setzt sich der
Datenschutz aus einer Vielzahl schwer durchschaubarer
Landesgesetze und Gesetze zur Regelung bestimmter
Branchen zusammen. Häufig stehen dabei eher
Datenmissbrauch und Datenbetrug im Mittelpunkt als
das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Doch auch der europäische Weg ist nicht frei von Kritik:
Damit der Staat gegebenenfalls darauf zugreifen kann,
müssen Firmen Daten über den von ihnen für nötig erachteten Zeitraum hinaus speichern. Die Kontrolle des Staats
unterliegt dabei von Land zu Land unterschiedlichen
Standards. Es wird immer komplizierter, die Kontrolle
über die eigenen persönlichen Daten zu behalten, denn
die Datensammlung findet nicht länger an zentralen
Orten statt, sondern in der „Datenwolke“, wodurch noch
mehr Jurisdiktionen, Akteure und Gesetze beteiligt sind.
Anonymität als ultimativer Datenschutz
Eine der sichersten Methoden, die Kontrolle über die
eigenen Daten zu behalten, besteht darin, bei der
Kommunikation die eigene Identität zu verschleiern.
Dieser Ansatz fand in den USA schneller Zuspruch als
andernorts, was wohl auch der Historie geschuldet ist:
Viele der Gründer der Nation veröffentlichten revolutionäre Aufrufe unter Pseudonym.
Nun galt Anonymität nie als absolutes oder eigenständiges Recht, aber der Oberste Gerichtshof der USA hat sie
schon vor Langem als in hohem Maße schützenswerten
Teil der Redefreiheit anerkannt. Das hängt auch damit
zusammen, dass Anonymität die Meinungsäußerung
fördern kann, wie Richter John Paul Stevens 1995 schrieb:
„Anonymität (…) bietet persönlich unbeliebten Autoren
die Möglichkeit, dass die Leserschaft die Botschaft nicht
deshalb schon verurteilt, weil sie die Verfechter nicht
mag.“
Angesichts der wachsenden Menge online verfügbarer
Daten und den Fortschritten, die beim Sammeln und
21
WORLD REPORT 2014 | Auszüge auf Deutsch
Durchsuchen von Datenbanken erzielt wurden, wird
Anonymität immer wertvoller – und gefährdeter. Sie ist
von zentraler Bedeutung dafür, dass Menschen Ideen
öffentlich ohne Furcht vor Vergeltung oder Verfolgung
teilen können.
Im April 2013 schrieb Frank LaRue, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Meinungsfreiheit und freie
Meinungsäußerung, über den „ernüchternden Effekt“,
den Einschränkungen der Anonymität auf die freie
Äußerung von Informationen und Ideen haben. Fordern
Firmen die tatsächlichen Namen für die Anmeldung, um
persönliche Informationen sammeln und durchsuchen zu
können, übernehmen sie laut LaRue ein hohes Maß an
Verantwortung dafür, derartige Informationen zu schützen
und geheim zu halten.
lassen. Ihnen werde das Recht zu heiraten verwehrt, sie
würden am Arbeitsplatz diskriminiert und ihnen würden
Sozialleistungen vorenthalten. Privatsphäre ist laut
Gerichtshof das Recht, Einzelheiten der eigenen Identität
als menschliches Individuum festzulegen. Transsexuelle
haben dem Gericht zufolge im selben Maße, wie sie
andere Gesellschaftsgruppen genießen, das Recht auf
Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und eine körperliche und moralische Sicherheit.
Die Denkweise hinter „Toonen“ und „Goodwin“ fließt
auch in zwei Themen ein, mit denen sich Human Rights
Watch zuletzt schwerpunktartig befasst hat: Unsere
Forderung, einfachen Besitz und Konsum von Drogen zu
legalisieren sowie unsere Forderung, freiwillige Sexarbeit
Erwachsener zu entkriminalisieren.
Drogenkonsum und auch freiwillige Sexarbeit können
Gesundheit und Sicherheit ernsthaft gefährden (und auch
das Risiko von HIV und Aids erhöhen), aber treibt man
die Personengruppen in den Untergrund, ist das normaDas Beispiel Durchsuchungsrecht zeigt, wie sich die
lerweise ausgesprochen kontraproduktiv bei den
Interpretation von Privatsphäre in der realen Welt auf die
Bemühungen, Schaden zu behandeln, zu lindern oder zu
Anwendung in der virtuellen Welt auswirkt. Die Gesetze,
vermeiden. In beiden Fällen kann eine Kriminalisierung
die die persönlichsten körperlichen Attribute und
eine ganze Reihe nachrangiger Verstöße gegen das
Entscheidungen eines Menschen betreffen – etwa
Menschenrecht verursachen oder noch erschweren, sei
Wahlfreiheit bei Heirat, Abtreibungen, das Gründen einer
es die Anfälligkeit für Gewalt durch Privatpersonen,
Familie oder medizinische Behandlung, definieren
Polizeimissbrauch, diskriminierende Umsetzung von
Privatsphäre als Möglichkeit, die eigene körperliche
Gesetzen sowie Anfälligkeit für Erpressung, Kontrolle und
Autonomie und bevorzugte Identität zu wahren, nicht als
Missbrauch durch Kriminelle. Das sind schwere und
Isolierung oder Geheimhaltung. Insofern sind diese
häufig auftretende Folgen. Zusammen mit dem starken
Gesetze auch für den Schutz von Autonomie und Identität
persönlichen Interesse, das die Menschen daran haben,
im Cyberspace von Bedeutung.
eigene Entscheidungen ihren Körper betreffend fällen zu
Eine wichtige Entscheidung mit Blick auf die Sicherheit
können, bedeutet dies, dass es für den Staat übertrieben
der Person ist der Fall „Nicholas Toonen gegen
und nicht angemessen ist, gegen beide Praktiken mithilfe
Australien“ von 1994. Der UN-Menschenrechtsausschuss des Strafrechts vorzugehen.
ist für die Auslegung des Internationalen Pakts über
Das Vorgehen bei der körperlichen Selbstbestimmung
bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) zuständig. Er
birgt direkte Relevanz für die Privatsphäre in der Onlinewies damals Tasmaniens Strafrecht in Bezug auf Sodomie
Welt. Die reale und die virtuelle Welt sind natürlich miteizurück und erklärte, es stehe außer Frage, dass sexuelle
nander verwoben: Entscheidungen, die wir offline in
Handlungen, die in beiderseitigem Einvernehmen und
Bezug auf unsere Freunde, Arbeit, sexuelle Identität
privat zwischen Erwachsenen erfolgen, unter das Konzept
sowie unsere religiösen und politischen Ansichten
der Privatsphäre fallen. Die Argumentation, das Gesetz
treffen, spiegeln sich in unseren Online-Daten und
diene dazu, die Verbreitung von HIV und Aids einzuunserer Internet-Kommunikation. Die unerwünschte
dämmen, wurde zurückgewiesen, weil es zu diesem
Offenlegung unserer Privatdaten kann die körperliche
Zweck weder vernünftig noch angemessen sei und eher
und moralische Sicherheit untergraben, die, wie im
dazu führe, dass eine anfällige Bevölkerungsgruppe in
„Goodwin“-Urteil dargelegt, ein zentrales Ziel des
den Untergrund getrieben werde.
Schutzes der Privatsphäre ist. Offenlegung kann uns
Ähnlich verwies der Europäische Gerichtshof für
daran hindern, uns frei von Zwängen persönlich zu
Menschenrechte 2002 bei „Goodwin gegen das
entfalten. Derartige Abwägungen führten überhaupt erst
Vereinigte Königreich“ darauf, wie Transsexuelle nach
dazu, dass Gesetze zum Datenschutz verabschiedet
einer Geschlechtsumwandlung leiden müssen, können
wurden.
sie das Geschlecht auf ihrer Geburtsurkunde nicht ändern
Sicherheit der Person: Autonomie, Schutz
und Identität
22
Januar 2014 | HUMAN RGHTS WATCH
Das „goldene Zeitalter“ der Überwachung
Zwei wichtige Entwicklungen haben die Diskussionen
über Privatsphäre stark beeinflusst und eine Phase eingeläutet, die einige als „goldenes Zeitalter der
Überwachung“ bezeichnen. Das war zum einen die
Verlagerung fast aller Aspekte des gesellschaftlichen,
wirtschaftlichen und politischen Lebens in die OnlineWelt. Ein Angriff auf Online-Aktivitäten – oder eine
Überwachung dieser Aktivitäten – kann praktisch jedes
Menschenrecht gefährden, sei es bürgerrechtlicher, politischer, wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Natur.
eingebaut haben, um vergleichsweise freie Hand bei der
Erfassung von Massendaten zu haben.
Das erste große Schlupfloch: Die USA gewähren im
Ausland lebenden Ausländern keine Verfassungsrechte,
sei es Schutz vor willkürlicher Durchsuchung, sei es
Datenschutz oder Meinungsfreiheit (bis hin zu anonymer
Meinungsäußerung). Auch erkennen die USA nicht an,
dass Verpflichtungen, die sich aus dem Zivilpakt
ergeben, auch exterritorial anzuwenden sein sollen. Das
US-Recht lässt es vielmehr zu, Auslandsaufklärung auch
ohne richterliche Anordnung durchzuführen.
Voraussetzung ist eine Zustimmung des Geheimgerichts
Zum anderen sind hier die enormen Fortschritte gemeint,
FISC zu Maßnahmen, die das Sammeln von Informationen
die bei unserer Fähigkeit gemacht wurden, mit miniim Ausland zum Ziel haben. Das Sammeln von
malem Aufwand und geringen Kosten Daten zu speichern,
Kommunikationsdaten von US-Bürgern oder in den USA
zu durchsuchen, zu ordnen und zu analysieren. Das hat
lebenden Ausländern soll dabei möglichst minimiert
große Auswirkungen für das Sammeln und Speichern von
werden. Ausländer haben überhaupt keinen Schutz vor
Daten und stellt einen gewaltigen Anreiz zum Horten von
dem Sammeln von Informationen, aber es gibt darüber
Informationen dar - ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da
hinaus auch zahlreiche Ausnahmen, die es der USweite Teile unseres Lebens durch online gestellte Daten
Regierung erlauben, Daten ihrer eigenen Bürger zu speioffen gelegt werden können. Regierungen wie die americhern – darunter auch verschlüsselte Kommunikation
kanische wenden darüber hinaus beträchtliche
und Kommunikation zwischen Anwalt und Klient.
Ressourcen dafür auf, stets Zugriff auf unsere Daten zu
Das zweite große Schlupfloch: Nach Auffassung der UShaben. Sie arbeiten mit Hintertüren bei Technologie und
Regierungen
sind Metadaten – also die zu jeder
Datensammelpunkten und knacken starke
Botschaft
gehörenden
Informationen wie Datum, Zeit,
Verschlüsselungsmethoden.
Ort, Sender, Empfänger – Geschäftsunterlagen, die
Schon bevor Edward Snowden ab Juni 2013 enthüllte, in
gegenüber Dritten offengelegt werden und damit einem
welch massivem und globalen Umfang die amerikanische
deutlich geringeren Schutz unterliegen als der eigentliche
National Security Agency (NSA) überwacht, gab es Sorgen
Inhalt, und zwar sowohl durch die Verfassung als auch
über den Schutz von Online-Kommunikation und digidurch Abschnitt 215 des Bundesgesetzes „Patriot Act“.
talen Informationen. Aber seit Snowden an die
Doch Metadaten können auf längere Sicht ein unglaubÖffentlichkeit ging, gibt es heftige Debatten zu der Frage,
lich detailliertes Bild davon zeichnen, wo sich jemand
ob eine Massenüberwachung jemals gerechtfertigt ist
bewegt, mit wem er spricht, mit wem er interagiert und
und ob sich die Privatsphäre überhaupt wirksam vor
was ihn beschäftigt.
Regierungen und Firmen schützen lässt, die unbedingt
Allein schon diese beiden Ausnahmen lassen gewaltigen
bespitzeln wollen.
Freiraum für Massenüberwachung, aber die Regierung
Wieder einmal stellen wir fest, dass Gesetz und Gerichte
legt selbst die ohnehin schon großzügigen Gesetze noch
nicht Schritt gehalten haben.
sehr flexibel aus. Bei der Erteilung eines Auftrags zur
Auslandsaufklärung müssen weder bestimmte
Rechtliche Schlupflöcher für Überwachung Ermittlungen oder Personen genannt werden, sondern nur
allgemeine Ziele. Und die zielgerichtete Überwachung
In den meisten Rechtssystemen ist Spionage eine
Straftat, im Völkerrecht jedoch ist sie nicht verboten und setzt voraus, dass man sich zu 51 Prozent sicher ist, dass
die Personen, deren Daten gesammelt werden sollen, im
die meisten Regierungen praktizieren sie bis zu einem
Ausland lebende Ausländer sind. Bei 51 Prozent ist die
gewissen Maß. Die USA sind allerdings in einer einmaTrefferquote nur marginal höher als bei einem Münzwurf.
ligen Position, eine weltweite Überwachung durchzuFISC hat festgelegt, dass sämtliche Metadaten-Unterlagen
führen – Geburtsort des Internets und Heimat wichtiger
großer amerikanischer Telefonunternehmen wie Verizon
Internetbranchen, außerdem läuft ein Großteil der weltfür
Geheimdienst- oder Spionageermittlungen relevant
weiten Onlinekommunikation durch Amerikas Territorium
sein
könnten – eine gelinde gesagt interessante
und Einrichtungen. Insofern lohnt es, sich anzusehen,
Auslegung des Begriffs „relevanto“.
welche Schlupflöcher die USA in ihre Rechtsdoktrinen
23
WORLD REPORT 2014 | Auszüge auf Deutsch
Und es gibt noch ein großes Schlupfloch gegenüber den
nationalen und internationalen Rechtsverpflichtungen:
Durch Abkommen zum Austausch nachrichtendienstlicher Erkenntnisse lassen sich eigene rechtliche Zwänge
bei der Datensammlung gut umgehen. Das scheint bei
der Zusammenarbeit von USA und Großbritannien der Fall
gewesen zu sein.
Inwieweit das Datensammeln europäischer Staaten,
darunter auch die NSA-Partner, mit der Europäischen
Menschenrechtskonvention verträglich ist, wurde noch
nicht überprüft. Der Fall „Klass gegen Deutschland“ zeigt
jedoch, dass eine gründlichere Überprüfung folgen
könnte. Im genannten Fall betonte der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte, es müsse „adäquate
und effektive“ Garantien gegen Missbrauch geben, damit
bei der Überwachung das Recht auf Privatsphäre gewahrt
bleibe. Wegen der Gefahr, die Geheimüberwachung für
die Demokratie darstelle, sollen Staaten im Namen des
Kampfs gegen Spionage und Terrorismus nicht jede
Maßnahme einführen dürfen, die ihnen als angemessen
erscheint, so das Gericht.
Dem US-Kongress liegen Reformpläne für die rechtlichen
Grundlagen der Massenüberwachung vor, aber bislang
würde kein Gesetzentwurf die Privatsphäre im Ausland
lebender Ausländer schützen. Doch in einer Welt, in der
Kommunikation und Überwachung global ist, müssen
allgemeingültige Standards greifen, die nicht zu schnell
umgangen oder gebeugt werden können. Entwickelt sich
der Schutz der Privatsphäre als Recht nicht weiter und
stopft diese Lücken, könnte das Recht durchaus obsolet
werden.
Globale Kommunikationen, globale
Verpflichtungen
Was also ist zu tun?
Man müsse einfach mit der Realität einer alles durchdringenden Onlineüberwachung leben, argumentieren einige.
Die Öffentlichkeit habe geringere Erwartungen, was
Privatsphäre anbelange, heißt es. Aber das ist weder
zutreffend noch dispositiv. Unser Verständnis von
Privatsphäre ist gewachsen, weit hinaus über das „Recht,
allein gelassen zu werden“, und hin zum Recht auf freie
Entfaltung. Es umfasst das Recht, wählen zu können, mit
wem wir Intima teilen und welche Identität wir gegenüber
unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen
vermitteln. Übertragen auf die digitale Welt verleiht uns
die Privatsphäre etwas Schutz vor unerwünschten
Beobachtern. Sie bringt die grundlegende Freiheit mit
sich, sich frei entfalten und unabhängige Gedanken
formulieren zu können.
24
Auf die globale Überwachung muss umfassend und
global reagiert werden. Als weltweit führende Nation in
Sachen Cybertechnologie und Massenüberwachung fällt
vor allem den USA eine besondere Verantwortung zu. Wie
Edward Snowden enthüllt hat, sind sie deutlich zu weit
gegangen. Die USA müssen damit. Zu den Schritten, die
Human Rights Watch fordert, gehört, dass für die
Erfassung von Metadaten eine richterliche Zustimmung
vorliegen muss. Es muss eingesehen werden, dass schon
beim Sammeln von Daten (und nicht erst beim
Betrachten oder Verwenden) die Privatsphäre verletzt
wird. Es muss das FISC-Gericht so reformiert werden,
dass es die Arbeit der NSA ausgewogener und transparenter kontrollieren kann. Es müssen Whistleblower
geschützt werden, die unrechtmäßige geheimdienstliche
Praktiken aufdecken.
Die Pflicht, Rechte in einer Welt globaler Kommunikation
zu schützen, darf nicht an der Grenze stoppen. Das
müssen wir anerkennen. Im 20. Jahrhundert ging das
Völkerrecht davon aus, ein Staat müsse in erster Linie die
Rechte aller Menschen gewährleisten, die sich in seinem
Territorium aufhalten oder unter seiner Jurisdiktion beziehungsweise seiner wirksamen Kontrolle stehen. Das ist
auch schlüssig, denn ein Staat kann nicht die Rechte von
Menschen im Ausland schützen, ohne die Souveränität
eines anderen Lands zu verletzen. Aber es gibt
Umstände, in denen eine Regierung ihre Verpflichtungen
gegenüber den Menschenrechten über ihre Grenzen
hinaus tragen muss – zum Beispiel dann, wenn ihre
Polizei oder ihr Militär im Ausland eine Person einfängt.
Was jedoch, wenn sie die Kommunikation von Millionen
Menschen im In- und Ausland einfängt?
Gesammelte und archivierte persönliche Daten verleihen
mit der Zeit eine derartige Macht, das Leben der
Menschen zu verfolgen, zu analysieren und öffentlich zu
machen, dass man argumentieren könnte, das sei eine
Form wirksamer Kontrolle. Manchen von uns mag es egal
sein, wer ihre Facebook-Einträge sieht, aber die
Sicherheit und die Menschenwürde vieler Menschen aus
aller Welt hängt davon ab, dass man einschränken kann,
wer über ihre politischen Präferenzen, ihre sexuellen
Neigungen, ihre religiöse Haltung und andere persönliche
Dinge Bescheid weiß.
Vorsätzlich schädliche Handlungen wie Erpressung, die
gezielte Verfolgung mit Drohnen oder Nötigung setzen
voraus, dass man über persönliche Informationen des
Gegenübers verfügt. Selbst achtloser Umgang mit Daten
oder falsche Interpretation kann furchtbaren Schaden
anrichten. Sammelt ein Staat ohne guten Grund massenhaft Kommunikationsdaten von Bürgern eines anderen
Staats, schadet er ihrer Sicherheit, ihrer Autonomie und
Januar 2014 | HUMAN RGHTS WATCH
ihrem Recht, Grundrechte auszuüben. Regierungen
sollten allen Personen, in deren Privatsphäre sie
eindringen, denselben rechtlichen Schutz wie ihren
Bürgern gewähren. Das wäre das Mindeste.
Die Gesetzentwürfe, die derzeit dem Kongress vorliegen,
wollen einiges von dem Missbrauch beenden, den die
Massenüberwachung durch die NSA angerichtet hat.
Allerdings zwingt kein Entwurf die USA, die Privatsphäre
im Ausland lebender Ausländer zu schützen. Die europäischen Regierungen waren schnell dabei, die Exzesse der
NSA zu verurteilen, haben bislang jedoch nicht die
eigenen Praktiken der Massenüberwachung im In- und
Ausland einer grundlegenden Überprüfung unterzogen –
auch nicht mit Blick auf die Frage, in welchem Maße sie
bei der Datenerhebung der USA mitgeholfen haben oder
davon profitierten.
angeregt, auch mit Blick auf Auswirkungen der exterritorialen Überwachung. Passend dazu fordern Akteure der
Zivilgesellschaft, die staatlichen Überwachungsmethoden
einer Reform zu unterziehen. Das geht von einer gemeinsamen Erklärung führender Internetfirmen bis zu einer
Petition, in der sich 562 bekannte Autoren aus 80
Ländern an Staats- und Regierungschefs wenden.
Derartige Entwicklungen können den internationalen
Konsens in rechtlichen Fragen stärken und die
Machtverhältnisse wieder zugunsten des Individuums
verschieben.
Das Jahr 2013 könnte als Jahr der Wende in die
Geschichte eingehen, als das Jahr, in dem in aller Welt
Menschen aufstanden, um ihr Recht auf Privatsphäre
einzufordern. Das kann jedoch nur dann geschehen,
wenn die Debatten in globale Standards und umsetzbare,
wirkungsvolle nationale Gesetze münden. Wir können
Bis Einigkeit erzielt wird, dass alle Staaten mit exterritonicht darauf warten, dass Einzelne wie Edward Snowden
rialen Überwachungsfähigkeiten in der Pflicht sind, die
Dinge enthüllen; wir müssen gründlichere Ermittlungen
Privatsphäre aller in ihrer Reichweite befindlichen
fordern, die das volle Ausmaß transparent machen, in
Personen zu wahren, wird noch Zeit nötig sein, aber es
dem Regierungen und Firmen Daten sammeln und
gibt mehrere ermutigende Signale, dass das Ziel erreicht
auswerten. Jeder Staat sollte sich verpflichten, seine
werden kann. 2009 forderte Martin Scheinin, UNPraktiken und Gesetze auf transparente und öffentliche
Sonderberichterstatter für Menschenrechte im Kampf
Weise kontrollieren zu lassen. Ziel muss es sein, sowohl
gegen den Terrorismus, Soft Laws (nicht rechtsverbindPrivatsphäre und Sicherheit als auch technische
liche Übereinkünfte) für Datenschutz und
Innovation voranzutreiben, damit wir besser leben
Datenüberwachung. 2013 bekräftigte
können und unsere Rechte als Menschen geachtet
Sonderberichterstatter LaRue die Notwendigkeit, dass der
werden.
Menschenrechtsauschuss der Vereinten Nationen seinen
Beim Recht auf Privatsphäre geht es nicht einfach darum,
General Comment mit Blick auf das Recht auf
die Menschen in Ruhe zu lassen; es geht auch darum,
Privatsphäre überarbeitet.
dass sie nach eigenen Vorstellungen kommunizieren,
Bürgerrechtsexperten haben kürzlich mögliche
sprechen, denken und leben können, ohne dass sich der
Grundlagen für einen Konsens veröffentlicht. Zum einen
Staat willkürlich einmischt. Die technologische
die „Tshwane Principles on National Security and the
Revolution ist überall und wir müssen unser Bestes
Right to Information“ (Tshwane-Prinzipien zu nationaler
geben, damit das Gesetz Schritt halten kann – wieder
Sicherheit und dem Recht auf Information), die vom
einmal.
Rechtsausschuss der Parlamentarischen Versammlung
Dinah PoKempner ist General Counsel von Human Rights Watch.
des Europarats unterstützt werden. Zum anderen die
„International Principles on the Application of Human
Rights to Communications Surveillance“ (Internationale
Prinzipien zur Anwendung der Menschenrechte bei der
Kommunikationsüberwachung), größtenteils eine
Sammlung und Neuformulierung grundlegender
Prinzipien im Zusammenhang mit dem Recht auf
Privatsphäre, Transparenz und die Regulierung von
Überwachung im Völkerrecht.
Im November 2013 legten Brasilien und Deutschland in
der Uno-Vollversammlung eine Resolution vor, die einen
Konsens bei Verstößen gegen den Datenschutz bei digitaler Überwachung in In- und Ausland herbeiführen soll.
In der Resolution werden fortlaufende Berichte über
Massenüberwachung und das Recht auf Privatsphäre
25
WORLD REPORT 2014 | Auszüge auf Deutsch
Menschenrechte
in der Europäischen Union
Inmitten von Wirtschaftskrise und kontroversen
Sparmaßnahmen stellten Diskriminierung, Rassismus
und Homophobie in der Europäischen Union (EU) auch
im vergangenen Jahr ein erhebliches Problem dar.
Besonders Roma, Migranten und Asylsuchende waren
von Ausgrenzung betroffen.
Der Rat der Europäischen Union hat erstmals anerkannt, dass weitaus mehr getan werden muss, um zu
gewährleisten, dass die EU angemessen auf
Menschenrechtsverletzungen innerhalb der Union
reagiert. Es wird weiterhin diskutiert, mit welchen politischen Mitteln die EU antworten soll, wenn ein
Rechtsstaat in die Krise gerät. Unterdessen bedienten
sich zahlreiche Mitgliedsstaaten weiter menschenrechtswidriger Praktiken, ohne dass die EUInstitutionen und andere Mitgliedsstaaten mit
angemessenen Maßnahmen reagierten.
Einwanderungs- und Asylpolitik der EU
Mit der Verabschiedung eines Asyl-Pakets durch das
Europäische Parlament, mit dem die Dublin-Vorschriften
sowie die Richtlinien zu Asylverfahren und
Aufnahmebedingungen überarbeitet wurden, unternahm
die EU im Juni letzte Schritte zur Einrichtung des
Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Das Asyl-Paket
enthielt zwar eine Reihe von Verbesserungen, schafft
jedoch auch eine breite Grundlage für die Inhaftierung
von Asylsuchenden. Zudem verpflichtet es die
Mitgliedsstaaten nicht, eine kostenlose Rechtsberatung
zur Verfügung zu stellen und nimmt auch besonders
schutzbedürftige Asylsuchende wie Folteropfer und unbegleitete Kinder nicht von den beschleunigten Prozeduren
aus.
Die im Juli in Kraft getretenen Dublin III-Vorschriften
halten an der Grundregel fest, dass das Ersteinreiseland
innerhalb der EU für die Bearbeitung des Asylantrags
verantwortlich ist. Verbessert wurden einige
Schutzbestimmungen, darunter das Recht auf
Information, eine persönliche Befragung und
Beschwerdemöglichkeiten im Falle einer Verlegung. Vor
einer Überführung in einen anderen EU-Staat müssen die
Mitgliedsstaaten nunmehr prüfen, ob den Betroffenen
dort eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung.
Im Juni entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH),
26
dass ein Mitgliedsstaat die Asylansprüche unbegleiteter
Kinder auch dann prüfen muss, wenn diese bereits in
anderen Ländern einen Antrag gestellt haben.
Im November entschied der EuGH, die sexuelle
Orientierung eines Antragstellers/einer Antragstellerin
könne als Asylgrund genügen, wenn diese/r aus einem
Land stamme, in dem gleichgeschlechtliches
Sexualverhalten strafrechtlich verfolgt wird. Dabei
betonte das Gericht, dass von keinem Menschen erwartet
werden dürfe, seine sexuelle Orientierung zu verheimlichen.
Die EU-Mitgliedsstaaten gingen sehr unterschiedlich mit
Asylsuchenden aus Syrien um. Beispielsweise versprach
die schwedische Regierung, allen Menschen aus Syrien,
die bislang einen befristeten Aufenthaltstitel erhalten
haben, dauerhafte Aufenthaltsgenehmigungen zu
erteilen. Demgegenüber versuchte Griechenland, syrische
Asylsuchende in die Türkei abzuschieben. Während
Deutschland und Österreich sagten zu, 5.000 beziehungsweise 500 syrische Geflüchtete aufzunehmen.
Kamen die meisten anderen EU-Mitgliedsstaaten nicht
über symbolische Zusagen hinaus.
Im Juni forderten die Europäische Kommission und die
EU-Außenbeauftragte eine konzertierte Reaktion auf die
Krise in Syrien mit Schwerpunkt auf der humanitären
Versorgung der Geflüchteten in den Nachbarstaaten. Sie
unterstrichen die Notwendigkeit eines abgestimmten
Vorgehens der Mitgliedsstaaten.
Die Zahl der Migranten, die Europa auf dem Seeweg
erreichten, stieg im vergangenen Jahr an. Bis Ende
Oktober kamen mehr als 35.000 Migranten und
Asylsuchende auf Booten an. Schätzungsweise 500
Menschen kamen bei der Überfahrt ums Leben, allein
360 von ihnen bei einem Bootsunglück im Oktober. Im
Juli verbot der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte (EGMR) Malta, eine Gruppe Somalier
nach Libyen abzuschieben.
Bei Redaktionsschluss dauerten die Verhandlungen über
neue Richtlinien für die EU-Grenzschutzagentur Frontex
an. Ein Vorschlag der Europäischen Kommission soll die
Rolle von Frontex bei Such- und Rettungsaktionen auf See
und bei Ausschiffungen klären. Allerdings sieht er auch
vor, dass die Agentur auf hoher See aufgegriffene
Januar 2014 | HUMAN RGHTS WATCH
Personen nach einer oberflächlichen Prüfung ihres
Schutzanspruchs sowie der Situation im betreffenden
Land in Drittstaaten abschieben kann. Im April empfahl
der damalige europäische Bürgerbeauftragte nach einer
Untersuchung, die Rechtsgrundlagen für Frontex-Einsätze
und die Verantwortung der Agentur für Rechtsbrüche zu
klären.
Im September forderte das Europäische Parlament neue,
über den Aktionsplan der Europäischen Kommission
hinausgehende strategische Richtlinien für den Schutz
unbegleiteter Kinder. Auch der
Menschenrechtskommissar des Europarats Nils
Muižnieks erinnerte die Staatengemeinschaft daran, dass
das Interesse der Kinder bei der Umsetzung einwanderungspolitischer Vorschriften Vorrang habe.
Der UN-Sonderberichterstatter für die Rechte von
Migranten François Crépeau kritisierte, dass die
Einwanderungspolitik der EU von Sicherheitsbedenken
geprägt sei und sich einseitig auf die Sicherung der
Außengrenzen sowie auf Haft und Abschiebung konzentriere. In einem im April veröffentlichten Bericht empfahl
Crépeau, Schutzmaßnahmen zu verbessern, unter
anderem durch Alternativen zur Haft und die Aufnahme
von Menschenrechtsregeln in Kooperationsabkommen
mit nicht-EU-Staaten im Bereich Migration. Er appellierte
zudem an die Europäische Kommission,
Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedsstaaten
einzuleiten, welche die Rechte von Migranten verletzen.
Politiker in Großbritannien und die Behörden im spanischen Katalonien schlugen vor, muslimische
Gesichtsschleier zu verbieten. Im Schweizer Kanton
Tessin (nicht der EU zugehörig) stimmten die Wähler bei
einem Referendum im September für ein Verbot. Im
November befasst sich der EGMR mit der Klage einer
Frau, die sich gegen Frankreichs Verbot von
Gesichtsschleiern in der Öffentlichkeit richtete. Sie
machte geltend, das Gesetz verstoße gegen ihr Recht auf
Privat- und Familienleben und gegen ihre Religions- und
Meinungsfreiheit.
Eine im Mai veröffentlichte Umfrage der EUGrundrechteagentur kam zu dem Ergebnis, dass 47
Prozent der lesbischen, schwulen, bi- und transsexuellen
Teilnehmenden in den vergangenen 12 Monaten diskriminiert oder belästigt worden waren. 25 Prozent gaben an,
sie seien in den vorausgegangenen fünf Jahren
gewaltsam angegriffen worden oder ihnen sei Gewalt
angedroht worden. Aus einer anderen Umfrage der
Grundrechteagentur im November ging hervor, dass 21
Prozent der jüdischen Befragten in den vorausgegangenen 12 Monaten antisemitische Beleidigungen erlebt
hatten oder belästigt worden waren, während zwei
Prozent angaben, sie seien im gleichen Zeitraum körperlich angegriffen worden.
Roma litten überall in der EU unter Diskriminierung und
Armut. Im Juni veröffentlichte die Europäische
Kommission Empfehlungen zur wirksamen Umsetzung
von Strategien für die Integration von Roma in den
Mitgliedsstaaten.
Im September behauptete der französiDiskriminierung und Intoleranz
sche Innenminister, die meisten Roma wollten sich nicht
Die EU-Institutionen und der Europarat zeigten sich
integrieren. Im gleichen Monat wurde bekannt, dass die
besorgt über fremdenfeindliche Ressentiments und
schwedische Polizei mit illegalen Roma-Registern
Gewalt. Im März forderte das EP in einer Resolution, soge- arbeitet. Nachdem zahlreiche Medien fälschlicherweise
nannte Hassverbrechen angemessen zu dokumentieren,
berichteten, in Griechenland und Irland seien blonde,
strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen. Zudem solle blauäugige Kinder von Roma-Familien entführt worden,
für die Betreuung, den Schutz und die Entschädigung der warnte der Menschenrechtskommissar des Europarats
Opfer gesorgt werden. Im Juni sprach sich der Rat der EU
Muižnieks im Oktober vor verantwortungsloser
dafür aus, extreme Formen der Intoleranz wie Rassismus, Berichterstattung.
Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Homophobie
Im Februar ratifizierte Portugal als erster EUstärker zu bekämpfen. Im Mai forderte der
Mitgliedsstaat die Konvention des Europarats zur
Menschenrechtskommissar des Europarats Muižnieks,
Prävention
und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen
Polizei, Staatsanwälte und Richter systematisch und
und häuslicher Gewalt. Italien folgte im September.
kontinuierlich aus- und weiterzubilden, um Vorurteile
innerhalb der Strafverfolgungsbehörden wirksam zu
bekämpfen.
Nachdem es in Italien wiederholt zu rassistischen
Anfeindungen gegen einen dunkelhäutigen Minister
gekommen war, unterzeichneten im September 17 EUMinister eine Erklärung, in der sie Intoleranz und
Extremismus verurteilen.
Im November urteilte der EGMR, Griechenland verstoße
gegen das Diskriminierungsverbot und das Recht der
Beschwerdeführer auf Schutz von Privat- und
Familienleben, weil es gleichgeschlechtliche Paare von
eingetragenen Lebenspartnerschaften ausschließe.
27
WORLD REPORT 2014 | Auszüge auf Deutsch
Terrorismusbekämpfung
Im Dezember 2012 sprach der EGMR sein erstes Urteil
über die europäische Mitverantwortung am
Verschleppungs- und Haftprogramm der CIA. Das Gericht
entschied, Mazedonien habe gegen das Folterverbot
verstoßen und die Rechte des deutschen Staatsbürgers
Khaled el-Masri auf Freiheit und Sicherheit, einen wirksamen Rechtsbehelf und Schutz von Privat- und
Familienleben verletzt. Die mazedonischen Behörden
hatten el-Masri im Jahr 2003 widerrechtlich festgehalten,
in US-Gewahrsam übergeben und seine
Misshandlungsvorwürfe nicht angemessen untersucht.
In zwei ähnlichen Fällen war bei Redaktionsschluss noch
kein Urteil ergangen: Die Klagen der ehemaligen
Guantánamo-Häftlinge Abu Zubaydah (gegen Polen und
Litauen) und Abd al-Rahim al-Nashiri (gegen Polen und
Rumänien). Der Menschenrechtskommissar des
Europarats Muižnieks und das Europäische Parlament
wiederholten im September beziehungsweise Oktober
ihre Forderung, die Verantwortlichen für die
Zusammenarbeit europäischer Staaten mit der CIA zur
Rechenschaft zu ziehen. Zudem forderten sie die USA
auf, bei den Ermittlungen zu kooperieren.
Im September initiierte das EP eine Untersuchung der
Auswirkungen des Überwachungsprogramms der
Nationalen Sicherheitsbehörde der USA (National
Security Agency, NSA) auf die Privatsphäre von EUBürgern. Voraussichtlich im Januar 2014 wird das
Parlament in dieser Frage seine Schlussfolgerungen und
Empfehlungen verabschieden.
Außenpolitik der EU
Die EU-Mitgliedsstaaten und -Institutionen setzten im
Laufe des Jahres 2013 einige erfreuliche Initiativen um.
So richteten sie den Europäischen Fonds für Demokratie
ein und schufen zwei neue EU-Richtlinien über LGBTIRechte sowie zur Religions- und Glaubensfreiheit.
Insgesamt legten sie in Menschenrechtsfragen jedoch
nicht das Engagement und die Einigkeit an den Tag, die
vor der Verabschiedung des Strategischen Rahmens für
Menschenrechte und Demokratie durch die EUAußenminister im Juni 2012 zu beobachten waren.
Die 28 Mitgliedsstaaten der EU und ihre Institutionen
machen weiterhin nicht von ihrer gemeinsamen
Verhandlungsmacht Gebrauch. In Menschenrechtsfragen
vermochten sie es nicht, gegenüber strategischen
Partnern wie Russland und China mit einer Stimme zu
sprechen und einen gemeinsamen Ansatz zu finden,
obwohl das Europäische Parlament sie ebendies angemahnt hatte. Zwar sprach die EU-Außenbeauftragte in
28
einigen Stellungnahmen Probleme an, ein prinzipientreues und einheitliches Vorgehen der EU, das
Menschenrechtsbedenken auf höchster Ebene in politischen Dialogen und öffentlichen Debatten mit Russland
und China verankert, war jedoch nicht zu erkennen.
Die EU war auch im letzten Jahr der größte humanitäre
Geber in Syrien. Doch obwohl sich die Union erklärtermaßen zum Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) und
zum Prinzip der strafrechtlichen Verantwortlichkeit bei
schweren Verbrechen bekennt, sorgte die
Außenbeauftragte nicht dafür, dass die Union mit
gemeinsamer Stimme und Strategie auftritt. Beides
könnte dazu beitragen, dass die Verbrechen in Syrien vor
den IStGH gebracht werden. 27 EU-Mitgliedsstaaten – alle
außer Schweden – schlossen sich einer Initiative der
Schweiz an, die den Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen dazu auffordert, den IStGH mit der
Untersuchung der Lage in Syrien zu beauftragen.
Nachdem bewaffnete islamistische Gruppen Gebiete im
Norden Malis besetzt hatten, kam Frankreich dem Gesuch
des malischen Präsidenten um militärische Unterstützung
nach und leitete die „Operation Serval“ ein. Wenig später
entsandte auch die EU eine Mission, die malische
Sicherheitskräfte ausbilden und beraten soll. Die
Schulungen beinhalten auch eine Komponente
„Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht“.
Im Jahr 2013 begann eine neue Ära in den Beziehungen
zwischen der EU und Burma. Im April hob die EU alle
Sanktionen gegen Mitglieder und Beschaffungsstellen
der burmesischen Armee und Regierung auf, mit
Ausnahme des Exportverbots für Waffen. Im Juli billigten
die EU-Außenminister eine Rahmenvereinbarung über die
Politik der EU gegenüber Burma und über Hilfen an das
Land. Im gleichen Monat verurteilte das Europäische
Parlament in einer Resolution die „schwerwiegenden
Menschenrechtsverletzungen und die Gewalt gegen die
muslimischen Rohingya in Burma/Myanmar“. Die
Europäische Kommission stellte 14,5 Millionen Euro für
humanitäre Unterstützung bereit, zusätzlich zu den 5,5
Millionen Euro, die bereits im Dezember 2012 vergeben
worden waren. Diese Gelder sollen vor allem im
Rakhaing- bzw. Kachin-Staat und in den östlichen
Grenzregionen zugutekommen. Im UN-Menschenrechtsrat
und in der Generalversammlung unterstützte die EU
weiterhin kritische Resolutionen zu Burma.
Beim Ministertreffen des EU-Golfkooperationsrats in
Bahrain im Juni wurden Menschenrechtsfragen offenbar
ausgeklammert. Trotz wiederholter Apelle des
Europäischen Parlaments und aus den Reihen der
Zivilgesellschaft, versäumten die EU-Außenbeauftragte
und die Mitgliedstaaten es, ihren gemeinsamen Einfluss
Januar 2014 | HUMAN RGHTS WATCH
geltend zu machen und sich deutlich und öffentlich für
die sofortige und bedingungslose Freilassung inhaftierter
bahrainischer Aktivisten stark zu machen. Drei der
Inhaftierten besitzen neben der bahrainischen auch eine
EU-Staatsbürgerschaft.
Während des gesamten Jahres 2013 erweckte die EU den
Eindruck, als verfüge sie über keinerlei Strategie, um auf
Fortschritte in Ländern hinzuwirken, in denen die
Menschenrechte systematisch verletzt werden, etwa in
Äthiopien, Usbekistan, Turkmenistan, den Vereinigten
Arabischen Emiraten und Saudi Arabien.
Im Umgang mit Menschenrechtsproblemen in
Zentralasien, im Kaukasus und Nicht-EU-Staaten in
Osteuropa verfolgte die EU unterschiedliche, teilweise
widersprüchliche Ansätze. So hob sie ein seit 2011
geltendes Einreiseverbot für den weißrussischen
Außenminister auf, damit dieser im Juli als erster weißrussischer Spitzenpolitiker seit 2010 nach Brüssel reisen
konnte. Zugleich betonte die EU im Jahresverlauf wiederholt, dass der Dialog nur dann wieder aufgenommen
werde, wenn Weißrussland die Zielvorgaben der EU in
Bereich der Menschenrechte erreiche, einschließlich der
unverzüglichen Entlassung politischer Gefangener.
Menschenrechtsfragen in
EU-Mitgliedsstaaten
Deutschland
Asylsuchende und Geflüchtete initiierten im ganzen Jahr
Proteste und Hungerstreiks gegen die schlechten
Bedingungen in den Aufnahmeeinrichtungen und die
Einschränkungen ihrer Freizügigkeit und ihres
Arbeitsmarktzugangs.
abgeschoben werden können. Dennoch schoben die
Behörden im April 127 und im Juli erneut 90 Personen
nach Serbien und Mazedonien ab. Mindestens drei
Bundesländer schoben Roma weiter ohne angemessene
Risikoüberprüfung in den Kosovo ab, obwohl sie dort
diskriminiert werden und die Integrationsmaßnahmen
unzureichend sind.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte berichtete im
Juni, dass die Praxis des Ethnic Profiling, also polizeilicher Personenkontrollen auf Grund ethnischer
Merkmalen, weit verbreitet ist, insbesondere zum Zweck
der Einreisekontrolle an Verkehrskontenpunkten. Das
Institut empfahl, die entsprechenden Gesetze und politischen Richtlinien zu reformieren.
Obwohl gegenteilige Informationen veröffentlicht wurden,
wies die Regierung wies Vorwürfe zurück, die deutschen
Geheimdienste und die Polizei hätten von der
Überwachungstechnologie der USA profitiert und mit
ihren Geheimdiensten zusammengearbeitet.
Im September ratifizierte Deutschland die ILO-Konvention
über die Rechte von Hausangestellten. Im Dezember
billigte der Bundestag ein Gesetz, mit dem klargestellt
wurde, dass Eltern das Recht haben, ihre Söhne aus religiösen Gründen beschneiden zu lassen, solange dabei
medizinische Standards gewahrt werden.
Frankreich
Das Europäische Zentrum für die Rechte der Roma und
die Liga für Menschenrechte berichteten, dass zwischen
Januar und September 13.400 Roma aus informellen
Siedlungen vertrieben wurden. Im Vorjahr betrafen die
Zwangsräumungen insgesamt 9.400 Personen. Im August
bezeichnete die Nationale Beratungsausschuss für
Menschenrechte es als „administrative Belästigung“,
dass die französischen Behörden massenhaft
Abschiebungsanordnungen gegen Roma ausgestellt
hatten. Die Kommission forderte die Regierung auf, die
Zwangsräumungen von Armenvierteln und besetzten
Häusern zu beenden, solange den Betroffenen keine
adäquaten Ersatzunterkünfte angeboten werden. Zudem
solle die Regierung die Reisefreiheit und Freizügigkeit von
EU-Bürgern respektieren.
Im Mai begann der Prozess gegen eine mutmaßliche
Angehörige und vier mutmaßliche Komplizen einer
Neonazi-Zelle, der die Ermordung von neun Migranten
und einer Polizistin zur Last gelegt wird. Eine nationale
Untersuchungskommission empfahl im August, die
Praktiken der deutschen Polizei zu verbessern.
Insbesondere mahnte sie an, Hassverbrechen größere
Aufmerksamkeit zu schenken, die Diversität innerhalb
der Polizei zu verbessern und bei der Ausbildung von
Polizisten einen Schwerpunkt auf die Menschenrechte zu
legen. Gesetzentwürfe, mit denen das Strafmaß für
rassistisch motivierte Verbrechen erhöht beziehungsweise „Hassverbrechen“ als spezifischer Tatbestand
eingeführt werden sollte, lehnte der Bundestag ab.
Im Oktober befand der EGMR, Frankreich habe das Recht
auf Privat- und Familienleben einer Gruppe französischer
Roma verletzt, als die Behörden deren Vertreibung von
einem Grundstück anordneten, auf dem sie jahrelang
gelebt hatten.
Im April trat in Baden-Württemberg eine Verordnung in
Kraft, nach der eine individuelle Risikoüberprüfung
durchgeführt werden muss, bevor Roma in den Kosovo
Im Rahmen der UPR-Prüfung durch den UNMenschenrechtsrat akzeptierte Frankreich im Juni die
Empfehlung Rates, ethnisch selektive
29
WORLD REPORT 2014 | Auszüge auf Deutsch
Personenkontrollen, sogenanntes Ethnic Profiling, zu
beenden. Die Regierung kündigte an, den
Verhaltenskodex von Polizei und Gendarmerie zu überarbeiten, unternahm jedoch keine zusätzlichen Schritte, um
diskriminierende Identitätskontrollen zu verhindern. Im
Oktober wies ein Pariser Gericht die Beschwerde
mehrerer Personen ab, die gegen Ethnic Profiling geklagt
hatten. Die Richter führten als Begründung an,
Nichtdiskriminierungsnormen seien in diesem Fall nicht
anwendbar.
Im Mai äußerte sich das UN-Komitee gegen das
Verschwindenlassen besorgt darüber, dass in Frankreich
bei beschleunigten Asylverfahren keine Möglichkeit
besteht, eine Beschwerde mit aufschiebender Wirkung
einzureichen. Dadurch komme es zu Abschiebungen in
Länder, in denen den Betroffenen eine Verschleppung
drohe. Das Komitee kritisierte zudem, dass zu häufig
Personen in Polizeigewahrsam genommen würden.
Im Juli kam es im Pariser Vorort Trappes zu Unruhen,
nachdem die Polizei eine Frau angehalten hatte, die
einen Gesichtsschleier trug. Ein 14-Jähriger verlor ein
Auge, als er offenbar von einem Gummigeschoss der
Polizei getroffen wurde. Menschenrechtsorganisationen
verzeichneten eine Zunahme der Anzahl von Übergriffen
auf Muslime, insbesondere auf muslimische Frauen.
Im April äußerte sich der französische Ombudsmann
besorgt über die etwa 3.000 unbegleiteten
Flüchtlingskinder im Übersee-Departement Mayotte, von
denen Hunderte völlig auf sich allein gestellt sind.
Im Juli änderte das Parlament den Tatbestand der
Präsidentenbeleidigung, nachdem der EGMR im März
entschieden hatte, dass dieser die Meinungsfreiheit
unzulässig einschränke.
In April stellte das Parlament gleichgeschlechtliche Ehen
gesetzlich gleich. SOS Homophobie, eine Organisation,
die sich gegen homophobe Diskriminierung und Gewalt
einsetzt, verzeichnete bis November über 3.200 homophobe Vorfälle, vergleichen mit insgesamt rund 2.000 im
gesamten Jahr 2012. Im März kündigte die Regierung an,
ab 2014 Statistiken zu homophober Gewalt zu veröffentlichen.
Im August führte die Regierung den Tatbestand der
„Versklavung“ gesetzlich ein, mit dem Zwangsarbeit,
Versklavung und die Ausbeutung von versklavten
Personen unter Strafe gestellt werden.
In zwei unabhängigen Fällen urteilte der EGMR im
September und November, dass Frankreich gegen das
Folterverbot verstoßen würde, falls das Land nicht von
der Abschiebung eines abgewiesenen, tamilischen
30
Asylsuchenden nach Sri Lanka bzw. eines kongolesischen Staatsbürgers in die Demokratische Republik
Kongo absehe.
Nach Berichten über das massenhafte Abfangen von
Kommunikationsdaten durch US-amerikanische und britische Geheimdienste stritt Premierminister Ayrault in
einem im Juli veröffentlichten Artikel in der Zeitung Le
Monde ab, dass die französischen Geheimdienste in
Frankreich systematisch Kommunikationsdaten sammeln.
Bei Redaktionsschluss prüfte das Parlament einen
Gesetzesentwurf, der die Kontrolle der Geheimdienste
geringfügig verbessern soll.
Griechenland
Das dritte Jahr der Wirtschaftskrise in Griechenland war
geprägt von politischer Unsicherheit. Im Mai warnte der
Unabhängige Experte der UN für Auslandsschulden und
Menschenrechte, die Bedingungen des
Eurorettungspakets könnten die Achtung der
Menschenrechte untergraben. Die plötzliche Schließung
der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt im Juni weckte
Bedenken hinsichtlich der Medienfreiheit und führte zu
einer Regierungsumbildung.
Obwohl die Polizei im Januar Sondereinheiten gegen
rassistische Straftaten bildete und einige Täter verhaftet
wurden, dauerten die Angriffe auf Migranten und
Asylsuchende an. Ein Netzwerk von
Nichtregierungsorganisationen verzeichnete bis Ende
August 104 Vorfälle. Augenscheinlich nahmen auch die
gewaltsamen Angriffe auf Lesben, Schwule, Bisexuelle
und Transgender zu. Der griechische Ombudsmann
warnte im September, rassistische Gewalt und die
Straffreiheit für die Täter gefährdeten den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Rechtsstaatlichkeit. Im
November legte die Regierung einen Gesetzentwurf vor,
der zwar Hassrede und Anstiftung zu Gewalt unter Strafe
stellt, die Probleme in der bestehenden Gesetzgebung
und Rechtspraxis im Hinblick auf rassistische Gewalt
jedoch nicht löst. Im gleichen Monat wurden zwei
Angeklagte nach einem im Jahr 2008 in Kraft getretenen
Gesetz verurteilt, das eine rassistische Motivation als
erschwerenden Tatumstand berücksichtigt.
Im September erstach ein mutmaßliches Mitglied der
Partei „Goldene Morgenröte“ in Athen einen linken
Aktivisten. Die Regierung reagierte mit einem massiven
Polizeieinsatz gegen die Partei, ließ den Parteiführer und
fünf Parlamentsabgeordnete verhaften und klagte sie
wegen der Führung einer kriminellen Vereinigung an. Eine
interne Untersuchung der Polizei kam im Oktober zu dem
Ergebnis, dass zehn griechische Polizeibeamte
Verbindungen zu Goldene Morgenröte unterhielten.
Januar 2014 | HUMAN RGHTS WATCH
31
WORLD REPORT 2014 | Auszüge auf Deutsch
Im Juni begann die neue Asylbehörde in Athen mit der
Bearbeitung von Anträgen. Im Rest des Landes und in
den Hafteinrichtungen blieb der Zugang zu Asyl
schwierig. Im vergangenen Jahr veröffentlichte Zahlen
zeigen, dass der Anteil der in erster Instanz anerkannten
Im April wurden drei griechische Vorarbeiter verhaftet, die
Schutzgesuche in Griechenland der geringste in der
auf 100 bis 200 bangladeschische Erdbeersammler
ganzen EU war (0,9 Prozent im Jahr 2012).
geschossen hatten, als diese ihre nicht ausgezahlten
Im Mai urteilte der EGMR zum dritten Mal seit 2008, dass
Löhne eingefordert hatten. Die 35 verletzen Personen
die Segregation von Roma in Griechenlands Schulen eine
erhielten aus humanitären Gründen eine
unzulässige Diskriminierung darstellt. Der
Aufenthaltsgenehmigung. Die Vorarbeiter und der
Menschenrechtskommissar des Europarats Muižnieks
Besitzer der Plantage befinden sich derzeit in
äußerte sich besorgt zu den anhaltenden Berichten über
Untersuchungshaft.
Misshandlungen von Roma durch die
Im Juli kritisierte das Gemeinsame Programm der
Strafverfolgungsbehörden. In den ersten neun Monaten
Vereinten Nationen zur Bekämpfung von HIV/AIDS, die
des Jahres gab es 1.131 Polizeieinsätze in Roma-Camps
Wiedereinführung eines Gesetzes zum
im ganzen Land, was Bedenken laut werden ließ, die
Gesundheitsschutz, das in der Vergangenheit dazu
Polizei selektiere Zielpersonen nach ethnischen Kriterien.
genutzt wurde, mutmaßliche Sexarbeiter zu verhaften
Im März äußerte das UN-Komitee zur Beseitigung der
und zwangsweise auf HIV zu testen. Zudem ist weiterhin
ein Gesetz in Kraft, das der Polizei ermöglicht, Ausländer Diskriminierung von Frauen (CEDAW) Bedenken über
Griechenlands Umgang mit Gewalt gegen Frauen.
auf der Grundlage vage definierter Risiken für den
Insbesondere kritisierte der Ausschuss, dass statistische
Gesundheitsschutz festzunehmen.
Daten fehlten. Weiter forderte er die Behörden auf, zu
Im Oktober stellte der EGMR fest, das oberste griechische
gewährleisten, dass die Betroffenen rasch entschädigt
Gericht habe gegen das Recht eines HIV-Infizierten auf
und geschützt und die Täter verfolgt und bestraft werden.
Nichtdiskriminierung und Schutz des Privatlebens
verletzt, weil es der Klage des Mannes gegen seinen
Großbritannien
Arbeitgeber nicht stattgegeben habe. Das Unternehmen
Führende Minister übten immer wieder heftige Kritik am
hatte den Kläger auf Grund seiner Krankheit entlassen.
britischen Menschenrechtsgesetz (Human Rights Act) und
Verschärfte Sicherheitsmaßnahmen an der Grenze zur
am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Türkei zwangen irreguläre Migranten und Asylsuchende,
Innenministerin Teresa May kündigte an, die konservative
insbesondere Menschen aus Syrien, über Inseln im
Partei werde das Gesetz im Falle ihrer Wiederwahl im Jahr
Ägäischen Meer einzureisen. Bei der Überfahrt starben
2015 streichen und möglicherweise aus der Europäischen
mindestens zehn Personen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk
Menschenrechtskonvention austreten.
äußerte sich besorgt über die Vorwürfe, die griechischen
Rückschritte gab es auch bei der strafrechtlichen
Behörden hätten Migranten, darunter auch Flüchtlinge
Verantwortlichkeit für Antiterrormaßnahmen und
aus Syrien, zur Umkehr zurück in die Türkei gezwungen.
Menschenrechtsverletzungen in Übersee. Ein im April
Die UN-Arbeitsgruppe zu Willkürlicher Inhaftierung, der
verabschiedetes Gesetz erweiterte die Möglichkeiten, aus
UN-Sonderberichterstatter Crépeau und der
Gründen der nationalen Sicherheit geheime Anhörungen
Menschenrechtskommissar des Europarats Muižnieks
vor Zivilgerichten durchzuführen. Die Regierung verankritisierten menschenrechtswidrige Polizeikontrollen und lasste keine weitere Untersuchung der britischen
willkürliche Verhaftungen im Zuge der andauernden
Beteiligung am CIA-Programm für
Polizeioperation „Xenios Zeus“ gegen irreguläre
Gefangenenüberstellungen und die Folter von
Migranten. Sie wiesen zudem darauf hin, dass Migranten Verdächtigen in Übersee. Auch der Zwischenbericht der
und Asylsuchende unter unwürdigen Bedingungen festge- abgebrochenen Gibson-Untersuchung wurde bislang
halten und oft systematisch und überzogen lange inhafnicht veröffentlicht.
tiert würden. Der EGMR verurteilte Griechenland in drei
Der UN-Ausschuss gegen Folter forderte Großbritannien
getrennten Fällen wegen unmenschlicher und erniedriim Mai auf, die Vorwürfe wegen Folter und anderer
gender Behandlung in der Abschiebe- und Einreisehaft. In
Misshandlung während der Militärintervention im Irak in
der Einrichtung in Amgydalia kam es im August zu einem
den Jahren von 2003 bis 2009 umfassend zu untersuHäftlingsaufstand.
chen. Im selben Monat stellte das Oberste Gericht fest,
dass nur in einem einzigen Fall der Tod eines irakischen
Im November wurden zwei Mitglieder der Goldenen
Morgenröte vor einem Parteibüro in Athen ermordet, ein
dritter wurde schwer verletzt. Bislang hat Vorfall noch
keine Verhaftung nach sich gezogen.
32
Januar 2014 | HUMAN RGHTS WATCH
Staatsbürgers in britischer Gefangenschaft angemessen
untersucht wurde. In einer zweiten Entscheidung im
Oktober ordnete es eine öffentliche Untersuchung
mutmaßlicher Tötungen von Irakern durch britische
Streitkräfte an. Im März begann eine öffentliche, von
einem Richter geleitete Untersuchung der Folter- und
Hinrichtungsvorwürfe gegen britische Soldaten, die im
Jahr 2004 bis zu 20 Iraker getötet haben sollen. Im
November verurteilte ein Militärgericht einen britischen
Marinesoldaten, der im September 2011 einen verletzen
afghanischen Gefangenen in Afghanistan getötet hatte.
Der jordanische Geistliche Abu Qatada wurde im Juli an
Jordanien ausgeliefert, wo er wegen
Terrorismusvorwürfen angeklagt ist. Die Abschiebung
erfolgte auf der Grundlage eines Vertrags, der Qatada ein
faires Gerichtsverfahren zusichert. Dennoch bleibt zu
befürchten, dass in dem Verfahren unter Folter erpresste
Beweise verwendet werden.
Antiterrorgesetz zulässige Dauer. Das Oberste Gericht
prüfte Mirandas Beschwerde gegen seine Inhaftierung im
November. Im Oktober erwähnte Premierminister David
Cameron ausdrücklich den Guardian, als er drohte, die
Regierung könne unbestimmte Maßnahmen gegen
Zeitungen ergreifen, die bei ihrer Berichterstattung über
die Massenüberwachung keine „soziale Verantwortung“
zeigten.
Im Mai forderte der UN-Ausschuss gegen Folter einen
„umfassenden Rahmen für die Übergangsjustiz“ in
Nordirland. Eine interfraktionelle Gruppe der nordirischen
Exekutive plante, zum Jahresende Empfehlungen zu den
noch strittigen Themen zu veröffentlichen.
Im Februar setzte das Oberste Gericht Abschiebungen
von Tamilen nach Sri Lanka aus, bis die Überarbeitung
der Länderrichtlinien zu Sri Lanka durch das
Einwanderungstribunal abgeschlossen sei. Die im Juli
veröffentlichten neuen Richtlinien erkannten Folter,
Bestechung und fehlende Behandlungsmöglichkeiten für
Im Juli wurde die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt.
geistige Erkrankungen als wichtige Faktoren an, reduIm November begann der Prozess gegen zwei Männer, die
zierten jedoch gleichzeitig den Personenkreis ein, deren
den britischen Soldaten Lee Rigby im Mai in London
Asylanträge Aussicht auf Erfolg haben.
brutal ermordet haben sollen. In den Monaten nach
seiner Verhaftung kam es vermehrt zu Angriffen gegen
Italien
Muslime und islamische Einrichtungen, darunter auch
Bis zum Oktober hatten mehr als 35.000 Personen Italien
Brandanschläge. In London verzeichnete die Polizei bis
auf dem Seeweg erreicht, deutlich mehr als im verganzum Oktober einen Anstieg der Straftaten gegen Muslime
genen Jahr. Ein Viertel der Flüchtlinge und Migranten
um 51 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
stammte aus Syrien. Verschiedene Stellen berichteten,
Im Juli forderte der UN-Ausschuss für die Beseitigung der die Regierung habe angeordnet, Handelsschiffe sollten
Diskriminierung der Frau die britische Regierung auf, den aus Seenot gerettete Migranten in libysche Häfen
negativen Auswirkungen der Budgetkürzungen bei staatli- bringen, sofern diese die nächstgelegenen seien. Dabei
chen Leistungen für Frauen entgegenzuwirken, insbeson- könnte es sich um Refoulement handeln.
dere bei Frauen mit Behinderungen und älteren Frauen.
Am 31. März lief der Nordafrika-Notfallplan zur Aufnahme
Im September kritisierte der UN-Sonderberichterstatter
von Migranten offiziell aus, der im Jahr 2011 während des
über das Recht auf Wohnraum Raquel Rolnik die Folgen
Konflikts in Libyen initiiert und später mehrmals verländer Sparmaßnahmen. Er betonte, dass Beweise dafür
gert worden war. Dies führte zur Schließung von
vorliegen, dass Roma, Migranten und Asylsuchende auf
Notunterkünften. Abgewiesene Asylsuchende durften
dem Wohnungsmarkt diskriminiert werden.
sich entweder erneut bewerben oder erhielten eine
Menschenrechtsgruppen beklagten eine Zunahme der
einjährige Aufenthaltsgenehmigung und 500 Euro. Viele
Menschenrechtsverletzungen gegen Migranten, die als
reisten in andere europäische Staaten. Im September
Hausangestellte arbeiten, seit dieser Gruppe im Jahr 2012 kündigte die Regierung an, die Zahl der Plätze in
das Recht abgesprochen wurde, den Arbeitgeber zu
Aufnahmeeinrichtungen für Asylsuchende und
wechseln.
Geflüchtete von 3.000 auf 16.000 zu erhöhen. Das UNIm September forderten die UN-Sonderberichterstatter für Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR), das den Schritt
begrüßte, hatte bereits im Juli betont, dass das italieniMeinungsfreiheit bzw. Menschenrechte und
sche Aufnahmesystem umfassend reformiert werden
Terrorismusbekämpfung Auskunft über die Festnahme
muss, um die völlig unzureichenden Hilfsmaßnahmen für
von David Miranda im August. Miranda ist der Partner
Flüchtlinge zu verbessern.
eines Guardian-Reporters, der über die
Überwachungsprogramme der USA berichtet hatte. Er
wurde neun Stunden lang am Flughafen Heathrow festgehalten, die maximale, nach dem britischen
Im April kritisierte UN-Sonderberichterstatter Crépeau die
italienische Einwanderungshaft, insbesondere die
schlechten Lebensbedingungen und den unzureichenden
33
WORLD REPORT 2014 | Auszüge auf Deutsch
34
Januar 2014 | HUMAN RGHTS WATCH
Zugang zur Justiz. Inhaftierte protestierten in mehreren
Einrichtungen, unter anderem nach dem Tod eines
Marokkaners in der Aufnahmeeinrichtung in Crotone im
August. Crépeau kritisierte erneut die automatischen
Sammelabschiebungen nach Griechenland und das
Fehlen von Schutzbestimmungen in Abkommen über
„schnelle Rückführungen“ mit Tunesien und Ägypten.
Weiterhin forderten er und das UNHCR Italien auf, ein
effektives Verfahren zur Altersfeststellung einzuführen
und zu gewährleisten, dass Kinder angemessen
geschützt werden.
Drei UN-Experten äußerten sich besorgt über die illegale
Abschiebung der Frau und der Tochter des kasachischen
Regierungskritikers Mukhtar Ablyazov aus Rom im Mai
und kritisierten den Vorgang als „außerordentliche
Überstellung“. Im Juli erkannte die Regierung an, dass die
kasachischen Behörden in unzulässiger Weise an der
Abschiebung beteiligt waren, und hob die
Abschiebeanordnung auf. Allerdings befinden sich die
Frau und das Kind derzeit noch immer in Kasachstan, wo
sie Reisebeschränkungen unterliegen.
Im November kritisierte ein Bericht des Europäischen
Komitees zur Verhütung von Folter die Überbelegung von
Gefängnissen sowie Misshandlungen, vor allem von
Ausländern, durch Polizei und Carabinieri.
Die Abgeordnetenkammer des Parlaments billigte im
September die Ausweitung der Schutzbestimmungen
gegen Hasskriminalität auf Lesben, Schwule, Bisexuelle
und Transgender (LGBT). LGBT-Organisationen kritisierten
eine Bestimmung der neuen Vorschrift, die noch vom
Senat bestätigt werden muss und vorsieht, dass eine
Reihe von Organisationen nicht wegen krimineller
Hassrede belangt werden können.
Im Februar verurteilte ein Berufungsgericht drei USBürger, darunter den ehemaligen Leiter der CIAAußenstelle in Rom, weil sie an der Entführung eines
ägyptischen Geistlichen im Jahr 2003 in Mailand beteiligt
waren. Damit hob das Gericht die frühere Entscheidung
auf, die Verantwortlichen auf Grund ihrer diplomatischen
Immunität nicht zu verfolgen. Unabhängig davon sprach
das Gericht auch fünf Mitarbeiter des italienischen
Geheimdiensts schuldig, deren Beteiligung im Rahmen
des Staatsgeheimnisses verschleiert worden war.
Im Januar ratifizierte Italien als erster EU-Mitgliedsstaat
die ILO-Konvention zur menschenwürdigen Arbeit für
Hausangestellte. Im Oktober gab das Parlament einem
Erlass der Regierung aus dem August Gesetzeskraft, und
schuf damit neue rechtliche Handhabe gegen häusliche
Gewalt und Stalking, einschließlich höherer Strafen in
bestimmten Fällen und der Erteilung humanitärer Visa für
Opfer ohne Aufenthaltstitel. Der UN-Experte Joy Ngozi
Ezeilo forderte die Regierung im September auf, alle
Formen des Menschenhandels mit einem landesweiten
Vorgehen zu bekämpfen, insbesondere Menschenhandel
zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung oder zur
Beschaffung von Arbeitskräften.
Kroatien
Kroatien trat im Juli trotz weiterhin bestehender
Menschenrechtsbedenken der EU bei. Im März forderte
die Europäische Kommission Verbesserungen in den
Bereichen Justiz, Strafverfolgung von Kriegsverbrechen
und Minderheitenschutz.
Die Strafverfolgung von Kriegsverbrechen wurde auf
nationaler und internationaler Ebene fortgesetzt. Im
Januar verurteilte ein Bezirksgericht den kroatischen
Staat zur Entschädigung der serbischen Kinder, die bei
dem Angriff auf Varivode im Rahmen der „Operation
Sturm“ im Jahr 1995 ihre Eltern verloren hatten.
Die Zahl freiwilliger Rückkehrer nach Kroatien stieg im
vergangenen Jahr an. In den ersten fünf Monaten des
Jahres kamen 358 Menschen zurück, im gesamten Jahr
2012 waren es 132. Dabei blieb die Reintegration von
Angehörigen der serbischen Minderheit problematisch. In
einigen Regionen des Landes wurden sie weiterhin diskriminiert, waren Anfeindungen ausgesetzt und konnten ihr
Recht auf Wohnraum nicht geltend machen. Im November
stoppte der Stadtrat von Vukovar die Einführung der
Zweisprachigkeit, nachdem es zu Protesten gegen
Straßenschilder in kyrillischer Schrift gekommen war.
Roma, insbesondere staatenlose Roma, begegneten
weiter erheblichen Schwierigkeiten beim Zugang zu
grundlegenden staatlichen Leistungen wie
Gesundheitsversorgung, soziale Unterstützung und
Bildung.
Nur wenige Menschen beantragten in Kroatien Asyl, bis
Mitte Oktober betrug ihre Zahl 928. Die drittgrößte
Gruppe waren Personen aus Syrien. Trotz der geringen
Zahlen waren die Aufnahmeeinrichtungen überfüllt und
es gab Berichte, wonach Asylsuchende in geschlossenen
Hafteinrichtungen untergebracht wurden. Insbesondere
unbegleitete Kinder wurden unzureichend geschützt. Ihre
staatlich ernannten Vormunde waren oft schlecht
geschult und wohnten weit entfernt von den
Einrichtungen, in denen die Kinder lebten und die als
Unterkünfte oftmals ungeeignet waren.
Das Wahlrecht von Menschen mit geistigen
Behinderungen wurde im Dezember 2012 wiedereingeführt. Aber selbst die Pläne, Tausende Menschen aus der
Abhängigkeit von ihrem gesetzlichen Vormund zu
35
WORLD REPORT 2014 | Auszüge auf Deutsch
befreien, sahen vor, dass Gerichte die Rechtsfähigkeit der
Betroffenen massiv einschränken können. Das im Jahr
2011 eingeleitete Vorhaben, die Versorgung von Personen
mit geistigen Behinderungen aus Krankenhäusern auszulagern, wurde nur schleppend umgesetzt. Im Mai
begannen zwei Projekte mit insgesamt 400 Teilnehmern,
während weiterhin fast 9.000 Menschen mit geistigen
Behinderungen in geschlossenen Einrichtungen leben.
Infolge eines Urteils des Obersten Gerichtshofs im
Dezember 2012 wurde die türkische Journalistin Vicdan
Özerdem aus der Haft entlassen und nach Deutschland
überführt, wo sie politisches Asyl erhielt. Özerdem
befand sich seit Mitte 2012 in Haft, weil sie in die Türkei
abgeschoben werden sollte, wo sie als Terroristin verfolgt
wird. Dieses Vorgehen der kroatischen Behörden war
international auf Kritik gestoßen.
Niederlande
Die Einwanderungs- und Asylpolitik der Niederlande gibt
weiterhin Anlass zu Kritik. Im Juni kritisierte das UNKomitee gegen Folter, dass unbegleitete Kinder und
Familien mit Kindern, deren Alter behördlich festgestellt
werden muss, oft länger als die gesetzlich erlaubten 18
Monate in Einreisehaft blieben. Das Komitee beanstandete zudem die Haftbedingungen und die Behandlung
der Inhaftierten. Es empfahl der niederländischen
Regierung, konsequent auf Alternativen zur Haft zurückzugreifen. Im Mai traten in Rotterdam und am Flughafen
Schiphol inhaftierte Migranten in den Hungerstreik, um
gegen die schlechte Behandlung zu protestieren.
Bei Redaktionsschluss prüfte das Parlament einen
Gesetzesentwurf, der irregulären Aufenthalt im Land zu
einer Straftat erklärt, die mit Bußgeldern von bis zu 3.900
€ bzw. bis zu sechs Monaten Haft für Wiederholungstäter
geahndet werden kann. Das Ministerium für Sicherheit
und Justiz formulierte für die Polizei die Zielvorgabe, jährlich 4.000 irreguläre Migranten festzunehmen.
Noch im Juni wurden auch Asylanträge, die von unbegleiteten Kindern gestellt wurden, im beschleunigten
Asylverfahren bearbeitet. Antragssteller im Alter von über
16 Jahren, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, konnten
mit sofortiger Wirkung abgeschoben werden. Ausnahmen
von dieser Regelung waren nur möglich, wenn im
Herkunftsland keine angemessene Betreuung zur
Verfügung stand oder wenn das Kind nicht in der Lage
war, für sich selbst zu sorgen. Der niederländische
Beauftragte für Kinderrechte kritisierte, in diesem
Verfahren werde das Interesse des Kindes nicht angemessen berücksichtigt.
Im April bestätigte die Regierung, dass fast 300 Personen
trotz laufender Asylverfahren fälschlicherweise als
36
„abschiebefähig“ eingestuft wurden. Unter ihnen befand
sich auch ein Russe, der im Januar in Abschiebehaft
Selbstmord beging. Im September kündigte die Regierung
an, die Inhaftierung von Asylsuchenden künftig einzuschränken.
Im gleichen Monat gewährte die Regierung 620 Kindern
(und 690 Angehörigen) eine dauerhafte
Aufenthaltserlaubnis, die seit mindestens fünf Jahren in
den Niederlanden gelebt und Asylanträge gestellt hatten.
Damit wurde jedoch nur die Hälfte der Anträge, die im
Rahmen der Maßnahme eingereicht wurden, bewilligt.
Die niederländische Regierung hatte Ende 2012
entschieden, dass abgelehnte Asylbewerber nach
Somalia abgeschoben werden dürfen. Dennoch verhinderten Berufungsgerichte solche Abschiebungen über
das gesamte letzte Jahr. Im September, unmittelbar
nachdem der EGMR in einem Verfahren gegen Schweden
entschieden hatte, dass Rückführungen aufgrund der
verbesserten Sicherheitslage in der somalischen
Hauptstadt zulässig seien, führten die Niederlande erste
Abschiebungen nach Somalia durch. Im November wurde
ein Somalier drei Tage nach seiner Abschiebung durch
eine Bombenexplosion in Mogadischu verletzt.
Bei Redaktionsschluss prüfte der Senat einen
Gesetzesentwurf, mit dem die operative
Geschlechtsumwandlung als Voraussetzung für die
Änderung des Geschlechtseintrags in
Ausweisdokumenten abgeschafft werden soll. Die erste
Kammer hatte den Entwurf bereits im Februar angenommen.
Polen
Die seit fünf Jahren laufenden Ermittlungen zu CIAGeheimgefängnissen in Polen wurden fortgesetzt und
blieben intransparent. Im November drängte das UNKomitee gegen Folter darauf, die Untersuchung in einem
angemessenen Zeitraum abzuschließen. Im Frühjahr
wurde bekannt, dass die Anklage gegen den ehemaligen
Leiter des polnischen Geheimdienstes, welche nie offiziell bestätigt worden war, fallen gelassen werden sollte.
Im Oktober erkannte die Generalstaatsanwaltschaft einen
in Guantánamo inhaftierten jemenitischen Staatsbürger
offiziell als Opfer an.
Im Januar sprach ein Berufungsgericht den Betreiber der
Website Antykomor.pl von dem Vorwurf frei, den
Präsidenten diffamiert zu haben. Nach seiner erstinstanzlichen Verurteilung im September 2012 hatte die
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa die polnische Regierung aufgefordert, den
Straftatbestand der Verleumdung abzuschaffen.
Januar 2014 | HUMAN RGHTS WATCH
Im Februar verurteilte der EGMR Polen wegen Verstoßes
gegen das Verbot unmenschlicher und erniedrigender
Behandlung, weil die polnischen Behörden eine querschnittsgelähmte Person in einem Gefängnis festgehalten
haben, das für Menschen mit Behinderungen ungeeignet
war.
besorgt über die Auswirkungen der Sparmaßnahmen auf
schutzbedürftige Gruppen wie Kinder und Menschen mit
Behinderungen. Er kritisierte auch die Straflosigkeit für
Angehörige der Strafverfolgungsbehörden, denen
Misshandlungen und Folter vorgeworfen werden.
Das Parlament lehnte zwar ein von zivilgesellschaftlichen
Gruppen gefordertes Gesetz zum Erlass von
Hypothekenschulden ab, verabschiedete im Mai jedoch
einige Maßnahmen zur Eindämmung der Immobilienkrise,
die eine bessere juristische Prüfung von
Hypothekenverträge erlauben. Damit reagierte die
Der Senat prüft ein neues Gesetz zur Einrichtung von
Regierung auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs,
Hochsicherheitsgefängnissen für Straftäter, die als
der im Mai befunden hatte, die bestehenden Gesetze
Bedrohung für das Leben, die Gesundheit oder die sexuverletzten EU-Verbraucherschutzrichtlinien. Die neuen
elle Freiheit ihrer Mitbürger bzw. von Kindern eingestuft
Vorschriften sehen zudem Maßnahmen zur Minderung
werden. Obwohl der Gesetzentwurf Schutzbestimmungen
von Hypothekenschulden vor und erweitern das
enthält, könnte er zu einer unbegrenzten Inhaftierung von
Moratorium für Zwangsräumungen.
Personen führen, die ihre Strafe bereits verbüßt haben.
Der spanische Bürgerbeauftragte rief die Polizei im Mai
Rumänien
auf bei Personenkontrollen schriftliche Belege auszuIm Januar stellte die Europäische Kommission fest, mit
stellen, welche die ethnische Herkunft und/oder
der Umsetzung ihrer Empfehlungen habe Rumänien die
Nationalität der kontrollierten Person sowie die Gründe
Verfassungskrise des Jahres 2012 zwar abgewendet, die
der Kontrolle dokumentieren. Im Juni erklärte der
Probleme in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit,
Vertreter der Zentralregierung im katalonischen Lleida,
Unabhängigkeit der Gerichte und Stabilität bestünden
die Polizei gehe bei einwanderungsbezogenen
jedoch fort und gingen zumindest teilweise auf die
Personenkontrollen auch nach ethnischen
Einschüchterung und Belästigung von Richtern zurück.
Auswahlkriterien vor.
Das Parlament prüft derzeit einen Gesetzentwurf, der vor
Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und
Gender-Identität schützen und den Tatbestand der
Belästigung erweitern soll.
Roma wurden auch im vergangenen Jahr diskriminiert und
waren von Zwangsräumungen betroffen, die oft kurzfristig
und ohne Bereitstellung von Ersatzunterkünften durchgeführt wurden. Im August zerstörten die Behörden 15
Unterkünfte in der Roma-Siedlung in Craica nahe der
Stadt Baia Mare. Die Räumung der verbleibenden 15
Familien stand bei Redaktionsschluss noch aus. Im
September vertrieben die Lokalbehörden in Eforie Sud
100 Roma aus ihren Unterkünften, darunter 60 Kinder. Im
selben Monat erklärte der Staatssekretär für
Minderheiten, er würde seine Kinder nicht auf Schule mit
hohem Roma-Anteil schicken. Damit verstärkte er
Vorurteile und lieferte Argumente für die Ausgrenzung im
Bildungswesen.
Spanien
Im Januar kritisierte der UN-Sonderberichterstatter für
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Mutuma Ruteere,
dass sich die Situation von Migranten in Spanien
verschlechtert habe. Viele seien arbeitslos, hätten nur
eingeschränkt Zugang zu Gesundheitsversorgung.
Wohngebiete mit hohem Migrantenanteil würden de facto
ausgegrenzt, Ressentiments gegen Roma seien weiter
verbreitet. Im Oktober äußerte sich der
Menschenrechtskommissar des Europarats Muižnieks
Im Oktober forderte ein argentinisches Gericht unter
Berufung auf die universelle Gerichtsbarkeit die
Auslieferung zweier wegen Folter gesuchter ehemaliger
Beamter des Franco-Regimes. Im November rief der UNAusschuss über das Verschwindenlassen die spanische
Regierung auf, alle Fälle zu untersuchen, unabhängig
davon, wann die betroffenen Personen verschwunden
sind. Der Ausschuss betonte, Isolationshaft verletze das
Verbot von geheimer Inhaftierung im Rahmen der UNKonvention gegen das Verschwindenlassen.
Im Februar erklärte der spanische Oberste Gerichtshof
einen Erlass der Stadtverwaltung von Lleida in Katalonien
für ungültig, der das Tragen gesichtsverdeckender
Schleier verboten hatte. Das Dekret verletzte nach
Einschätzung der Richter die Religionsfreiheit. Die
Regionalregierung gab im Juli bekannt,
Gesichtsbedeckungen in der Öffentlichkeit aus
Sicherheitsgründen verbieten zu wollen. Im August wurde
bekannt, dass die katalonische Polizei Daten über vollverschleierte Frauen sammelt.
Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter
äußerte sich im April besorgt über die mutmaßliche
Misshandlung von Terrorverdächtigen in Isolationshaft
bzw. von Personen in Polizeigewahrsam. Das Komitee
37
WORLD REPORT 2014 | Auszüge auf Deutsch
kritisierte auch die Bedingungen in den Gefängnissen
und die „gefängnisähnliche“ Atmosphäre in
Aufnahmeeinrichtungen für Migranten.
Im Oktober bestätigte der EGMR sein Urteil aus dem Jahr
2012, wonach die rückwirkende Verlängerungen von
Gefängnisstrafen und die Einschränkung der
Bewährungsfähigkeit von Personen, die wegen terroristischer Vergehen verurteilt wurden, die Verfahrensrechte
der Betroffenen verletzt. In Folge des Urteils wurden bis
Mitte November 31 Gefangene entlassen, darunter auch
24 Mitglieder der ETA.
Das Innenministerium berichtete im September, seit
Januar hätten rund 3.000 Migranten versucht, in die
spanische Enklave Melilla zu gelangen – doppelt so viele
wie im gleichen Zeitraum im Vorjahr. Mehr als Dreiviertel
von ihnen seien an der Einreise gehindert worden. Den
spanischen Strafverfolgungsbehörden wird weiter vorgeworfen, sie führten Sofortabschiebungen durch und
lieferten die Migranten so dem Risiko der Misshandlung
durch die marokkanische Polizei aus.
Ungarn
noch hoben sie die Einschränkungen für politische
Werbung in privaten Medien vollständig auf.
Roma begegneten auch im vergangenen Jahr
Diskriminierung und Belästigung. Der Bürgermeister der
Stadt Ozd im Norden Ungarns ließ Roma-Siedlungen mit
schätzungsweise 500 Familien vom öffentlichen
Wassernetz trennen. Im Januar befand der EGMR Ungarn
für schuldig, zwei Roma-Schüler diskriminiert zu haben,
weil die Behörden diese in Sonderschulen eingewiesen
hatten. Im Juli bestätigte das Gericht das von einem
ungarischen Gericht erlassene Verbot der Ungarischen
Garde, einer Roma- und Juden-feindlichen Gruppierung.
Im August verurteilte ein Budapester Gericht vier Männer
wegen Mordes, die an rassistischen Übergriffen in den
Jahren 2008 und 2009 beteiligt gewesen waren, bei
denen sechs Roma getötet wurden, darunter auch ein
Kind.
Der Antisemitismus in Ungarn bleibt problematisch. Die
Polizei ermittelt derzeit wegen des Übergriffs auf den
Präsidenten der Raoul Wallenberg-Stiftung am Rande
eines Fußballspiels im April, bei dem auch „Sieg Heil“Rufe laut geworden waren.
Die Regierung nahm erneut Gesetzesänderungen vor,
welche die Rechtsstaatlichkeit bedrohen und den Schutz
der Menschenrechte schwächen. Durch die im März
verabschiedeten Verfassungsänderungen wurde die
Unabhängigkeit der Justiz weiter ausgehöhlt, wichtige
Kompetenzen des Verfassungsgerichts beschnitten und
Bestimmungen eingeführt, die zuvor verfassungswidrig
gewesen wären.
Im März forderte der UN-Ausschuss für die Beseitigung
der Diskriminierung der Frau die ungarischen Behörden
auf, den gesetzlichen Schutz für die Opfer häuslicher
Gewalt zu verbessern und die Kapazität der
Aufnahmeeinrichtungen zu erhöhen. Im Juli wurde häusliche Gewalt als Straftatbestand eingeführt, was härtere
Strafen ermöglicht und die Strafverfolgung der Täter
erleichtert. Die Regelung schließt zudem Paare ohne
Obwohl im März geringfügige Änderungen im
gemeinsamen Wohnsitz und ohne gemeinsame Kinder
Medienrecht vorgenommen wurden, ist die zentrale
aus und gilt nur bei wiederholtem Missbrauch. Im
Kontrollinstanz, der Medienrat, weiterhin nicht politisch
September empfahl der UN-Ausschuss für die Rechte von
unabhängig. Journalisten können auch weiterhin mit
Menschen mit Behinderung, eine Regelung in der
überzogenen Bußgeldern sanktioniert werden. Die
Verfassung zu überarbeiten, die das Wahlrecht von
Kriterien, nach denen Medieninhalte reguliert werden,
Menschen einschränkt, die von einem rechtlichen
sind immer noch unklar. Im März konnte der unabhängige Vormund vertreten werden. In sechs Fällen forderte der
Nachrichtensender Klubradio nach vier positiven
Ausschuss, Personen wieder ins Wahlregister aufzuGerichtsentscheiden seine Lizenz erneuern.
nehmen.
In Reaktion auf die internationale Kritik und nahm die
Regierung im September einige kosmetische
Verfassungsänderungen vor. Dem vorausgegangen waren
eine ausführliche Stellungnahme der VenedigKommission des Europarats und ein vernichtender
Bericht des Europäischen Parlaments, die Bedenken
hinsichtlich der Unabhängigkeit der Justiz, der rechtlichen Anerkennung von Religionsgemeinschaften und
politischer Werbekampagnen geäußert hatten. Die
Verfassungsänderungen setzten jedoch weder der
Diskriminierung von Religionsgemeinschaften ein Ende
38
Im Juli führte die Regierung die Möglichkeit wieder ein,
Asylsuchende aufgrund übermäßig weit gefasster
Umstände zu inhaftieren. Im Oktober forderte die UNArbeitsgruppe zu Willkürlicher Inhaftierung wirksamere
Maßnahmen, um die willkürliche Inhaftierung von
Asylsuchenden und irregulären Migranten zu verhindern.
Bis Ende August hatten 15.069 Personen in Ungarn Asyl
beantragt, darunter 588 Menschen aus Syrien. Dies
entspricht einem erheblichen Zuwachs gegenüber dem
Vorjahreszeitraum, in dem die Zahl der Asylanträge nur
1.195 betragen hatte.
Januar 2014 | HUMAN RGHTS WATCH
39
WORLD REPORT 2014 | Auszüge auf Deutsch
Anhang
Internationale Grundsätze
für die Anwendung der Menschenrechte
in der Kommunikationsüberwachung
Translation revised by Digitalcourage e.V
ENDGÜLTIGE VERSION VOM 10. JULI 2013
Im September nahm das Parlament ein Gesetz an, das
den Regionalbehörden regionalen Regierungen ermöglicht, Obdachlosigkeit mit Bußgeldern, Verpflichtung zu
gemeinnütziger Arbeit oder sogar Gefängnisstrafen zu
ahnden.
Während die Technologien, welche die staatliche
Kommunikationsüberwachung unterstützen, verbessert
werden, vernachlässigen die Staaten sicherzustellen,
dass Gesetze und Verordnungen in Bezug auf
Kommunikationsüberwachung in Einklang mit internationalen Menschenrechten stehen und die Rechte auf
Privatsphäre und Meinungsfreiheit beachtet werden.
Dieses Dokument versucht zu erklären, wie internationale Menschenrechte in der aktuellen digitalen
Umgebung anwendbar sind, besonders vor dem
Hintergrund des Wachstums und des Wandels der
Technologien und Methoden der
Kommunikationsüberwachung. Diese Grundsätze
können zivilgesellschaftlichen Gruppen, der Wirtschaft,
Staaten und anderen einen Rahmen liefern, mit dem sie
bewerten können, ob aktuelle oder geplante
Überwachungsgesetze oder -praktiken im Einklang mit
den Menschenrechten stehen.
Diese Grundsätze sind das Ergebnis einer globalen
Beratung mit Gruppen der Zivilgesellschaft, der
Wirtschaft und internationalen Experten für Recht,
Politik und Technologien in der
Kommunikationsüberwachung.
Einleitung
Privatsphäre ist ein Grundrecht, das wesentlich ist für
den Erhalt von demokratischen Gesellschaften. Es ist
grundlegend für die menschliche Würde und verstärkt
andere Rechte, wie Meinungs-, Informations- und
Versammlungsfreiheit, und es ist nach internationalen
Menschenrechtsgesetzen anerkannt.[1]Aktivitäten, die
40
das Recht auf Privatsphäre begrenzen, einschließlich
Kommunikationsüberwachung, können nur dann als
gerechtfertigt gelten, wenn sie gesetzlich vorgeschrieben
sind, sie notwendig sind, um ein legitimes Ziel zu erreichen, und sie dem Ziel, welches sie verfolgen, angemessen sind.[2]
Vor der öffentlichen Einführung des Internets schufen fest
etablierte legale Grundsätze und der
Kommunikationsüberwachung innewohnende logistische
Hürden Grenzen für die staatliche
Kommunikationsüberwachung. In gegenwärtigen
Dekaden haben die logistischen Barrieren der
Überwachung abgenommen und die Anwendung der
gesetzlichen Grundsätze in neuen technologischen
Kontexten sind unklarer geworden. Die Explosion der
Inhalte digitaler Kommunikation und Information über
Kommunikation, sogenannte „Verbindungsdaten“ Informationen über die Kommunikation eines
Individuums oder Nutzung elektronischer Geräte - die
sinkenden Kosten der Speicherung und des Dataminings
und die Bereitstellung von persönlichen Inhalten durch
Drittanbieter machen staatliche Überwachung in einem
beispiellosen Ausmaß möglich[3]Dabei haben
Konzeptualisierungen der bestehenden
Menschenrechtsgesetze nicht Schritt gehalten mit den
modernen und sich verändernden Möglichkeiten der
Kommunikationsüberwachung des Staates, der Fähigkeit
des Staates, aus verschiedenen Überwachungstechniken
gewonnene Informationen zu kombinieren und zu organisieren, oder der erhöhten Sensibilität der Informationen,
die zugänglich werden.
Die Häufigkeit, mit der Staaten Zugang zu
Kommunikationsinhalten und –metadaten suchen, steigt
dramatisch - ohne angemessene Kontrolle.[4] Wenn
Kommunikationsmetadaten aufgerufen und analysiert
werden, kann damit ein Profil einer Person, einschließlich
des Gesundheitszustandes, politischer und religiöser
Ansichten, Verbindungen, Interaktionen und Interessen,
Januar 2014 | HUMAN RGHTS WATCH
Traditionell wurde die Invasivität der
Kommunikationsüberwachung auf Basis von künstlichen
und formalen Kategorien bewertet. Bestehende rechtliche
Rahmenbedingungen unterscheiden zwischen „Inhalt“
oder „Nicht-Inhalt“, „Teilnehmerinformation“ oder
„Metadaten“, gespeicherten Daten oder
Übertragungsdaten, Daten, die zuhause gespeichert
werden oder die im Besitz eines dritten Diensteanbieters
sind.[7] Allerdings sind diese Unterscheidungen nicht
mehr geeignet, den Grad des Eindringens der
Kommunikationsüberwachung in das Privatleben von
Einzelpersonen und Verbänden zu messen. Während seit
Damit Staaten tatsächlich ihren internationalen
Langem Einigkeit darin besteht, dass
menschenrechtlichen Verpflichtungen in Bezug auf
Kommunikationsinhalte per Gesetz signifikanten Schutz
Kommunikationsüberwachung nachkommen, müssen sie
verdienen wegen ihrer Fähigkeit, sensible Informationen
den im Folgenden genannten Grundsätzen entsprechen.
zu offenbaren, ist es nun klar, dass andere Informationen
Diese Grundsätze gelten für die Überwachung der
aus der Kommunikation - Metadaten und andere Formen
eigenen Bürger eines Staates, die in seinem eigenen
der nicht-inhaltlichen Daten - vielleicht sogar mehr über
Hoheitsgebiet ausgeführt wird, sowie der Überwachung
eine Einzelperson enthüllen können, als der Inhalt selbst
anderer in anderen Gebieten. Die Grundsätze gelten
und verdienen daher einen gleichwertigen Schutz. Heute
außerdem unabhängig vom Zweck der Überwachung könnte jede dieser Informationsarten für sich allein oder
Strafverfolgung, nationale Sicherheit oder sonstige
gemeinsam analysiert die Identität einer Person, deren
behördliche Ziele. Zudem gelten sie sowohl für die
Verhalten, Verbindungen, physischen oder gesundheitliAufgabe des Staates, die Rechte des Einzelnen zu respekchen Zustand, Rasse, Hautfarbe, sexuelle Orientierung,
tieren und zu erfüllen, als auch für die Verpflichtung, die
nationale Herkunft oder Meinungen enthüllen, oder die
Rechte des Einzelnen vor Missbrauch durch nicht-staatAbbildung einer Person mithilfe der Standortbestimmung,
liche Akteure, einschließlich der Wirtschaft, zu
ihrer Bewegungen oder Interaktionen über einen
schützen.[6] Der private Sektor trägt die gleiche
Zeitraum,[8] ermöglichen oder auch von allen Menschen
Verantwortung für die Wahrung der Menschenrechte,
an einem bestimmten Ort, zum Beispiel bei einer öffentliinsbesondere in Anbetracht der Schlüsselrolle, die sie bei
chen Demonstration oder anderen politischen
der Konzeption, Entwicklung und Verbreitung von
Veranstaltung. Als Ergebnis sollten alle Informationen,
Technologien spielt, und damit Kommunikation ermögwelche sich aus der Kommunikation einer Person
licht und bereitstellt und - wo erforderlich - mit staatliergeben, diese beinhalten, reflektieren, oder über diese
chen Überwachungsmaßnahmen zusammenarbeitet.
Person stattfinden, und welche nicht öffentlich verfügbar
Dennoch ist der Umfang der vorliegenden Grundsätze auf
und leicht zugänglich für die allgemeine Öffentlichkeit
die Pflichten des Staates beschränkt.
sind, als „geschützte Informationen“ angesehen werden.
Ihnen sollte dementsprechend der höchste gesetzliche
Veränderte Technologie und Definitionen
Schutz gewährt werden.
erstellt werden. So werden genauso viele oder sogar noch
mehr Details offengelegt, als aus dem Inhalt der
Kommunikation erkennbar wäre.[5] Trotz des riesigen
Potenzials für das Eindringen in das Leben eines
Menschen und der abschreckenden Wirkung auf politische und andere Vereinigungen, weisen rechtliche und
politische Instrumente oft ein niedrigeres Schutzniveau
für Kommunikationsmetadaten auf und führen keine
ausreichenden Beschränkungen dafür ein, wie sie später
von Behörden verwendet werden, einschließlich wie sie
gewonnen, geteilt und gespeichert werden.
„Kommunikationsüberwachung“ umfasst heutzutage
Überwachung, Abhören, Sammlung, Analyse, Nutzung,
Konservierung und Aufbewahrung von, Eingriff in oder
Zugang zu Informationen, welche die Kommunikation
einer Person in der Vergangenheit, Gegenwart oder
Zukunft beinhaltet, reflektiert oder sich daraus ergibt.
“Kommunikation“ beinhaltet Aktivitäten, Interaktionen
und Transaktionen, die über elektronische Medien übertragen werden, wie z. B. Inhalt der Kommunikation, die
Identität der an der Kommunikation Beteiligten, die
Standort-Tracking, einschließlich IP-Adressen, die Uhrzeit
und die Dauer der Kommunikation und Kennungen von
Kommunikationsgeräten, die während der
Kommunikation verwendet werden.
Bei der Beurteilung der Invasivität der staatlichen
Kommunikationsüberwachung, ist es notwendig, dass
beides betrachtet wird: sowohl das Potenzial der
Überwachung, geschützte Informationen offenzulegen,
sowie der Zweck, zu der Staat die Information sammel..
Kommunikationsüberwachung, die voraussichtlich zur
Offenlegung von geschützten Informationen führt, die
eine Person dem Risiko der Ermittlung, Diskriminierung
oder Verletzung der Menschenrechte aussetzen kann,
wird eine ernsthafte Verletzung des Rechts des Einzelnen
auf Privatsphäre darstellen und außerdem die Nutzung
anderer Grundrechte untergraben, unter anderem das
Recht auf freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit
und politische Partizipation. Dies liegt darin begründet,
41
WORLD REPORT 2014 | Auszüge auf Deutsch
dass diese Rechte erfordern, dass Menschen in der Lage
sind, frei von der abschreckenden Wirkung der staatlichen Überwachung zu kommunizieren. Eine Festlegung
sowohl des Charakters als auch der Einsatzmöglichkeiten
der gesuchten Informationen wird somit in jedem
Einzelfall notwendig.
Bei der Annahme einer neuen Technik der
Kommunikationsüberwachung oder der Ausweitung des
Anwendungsbereichs einer bestehenden Technik sollte
der Staat sicherstellen, ob die Informationen, die wahrscheinlich beschafft werden, in den Bereich der
„geschützten Informationen“ fällt, bevor er sie einholt,
und sie zur Kontrolle der Justiz oder anderen demokratischen Kontrollorganen vorlegen. Wenn man bedenkt, ob
eine Information, die man mithilfe von
Kommunikationsüberwachung erhalten hat, auf die
Ebene der „geschützten Informationen“ aufsteigt, sind
sowohl die Form als auch der Umfang und die Dauer der
Überwachung relevante Faktoren. Weil tiefgreifende oder
systematische Überwachung die Fähigkeit hat, private
Informationen weit über seine einzelnen Teile hinaus zu
offenbaren, kann es Überwachung der nicht geschützten
Informationen auf ein Niveau von Invasivität heben, das
starken Schutz verlangt.[9]
Die Festlegung, ob der Staat die
Kommunikationsüberwachung, die geschützte
Informationen betrifft, durchführen darf, muss im
Einklang mit den folgenden Grundsätzen stehen.
Die Grundsätze
Gesetzmäßigkeit: Jede Beschränkung des Rechtes auf
Privatsphäre muss gesetzlich vorgeschrieben sein. Der
Staat darf in Abwesenheit eines bestehenden öffentlich
verfügbaren Rechtsaktes, welcher den Standard der
Klarheit und Genauigkeit erfüllt, und der ausreicht, um
sicherzustellen, dass Einzelne eine Benachrichtigung
erhalten und seine Anwendung vorhersehen können,
keine Maßnahmen einführen oder durchsetzen, die das
Recht auf Privatsphäre beeinträchtigen. Angesichts der
Geschwindigkeit des technologischen Wandels sollten
Gesetze, die das Recht auf Privatsphäre beschränken,
regelmäßig durch Instrumente eines partizipativen legislativen und behördlichen Prozesses überprüft werden.
Rechtmäßiges Ziel: Gesetze sollten nur
Kommunikationsüberwachung durch spezifizierte
Behörden erlauben, um ein legitimes Ziel zu erreichen,
welches einem überragend wichtigen Rechtsgut, das in
einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist,
entspricht. Es darf keine Maßnahme angewendet werden,
die auf der Grundlage von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht,
Sprache, Religion, politischer oder sonstiger
42
Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft,
Vermögen, Geburt oder des sonstigen Status diskriminiert.
Notwendigkeit: Gesetze, die
Kommunikationsüberwachung durch den Staat erlauben,
müssen die Überwachung darauf begrenzen, was zweifellos und nachweislich notwendig ist, um das legitime
Ziel zu erreichen. Kommunikationsüberwachung darf nur
durchgeführt werden, wenn es das einzige Mittel zur
Erreichung eines rechtmäßigen Ziels ist, oder wenn es
mehrere Mittel gibt, es das Mittel ist, welches am
unwahrscheinlichsten die Menschenrechte verletzt. Der
Nachweis der Begründung dieser Rechtfertigung in
gerichtlichen sowie in Gesetzgebungsverfahren liegt beim
Staat.
Angemessenheit: Jeder Fall der gesetzlich autorisierten
Kommunikationsüberwachung muss geeignet sein, das
spezifische legitime Ziel, welches festgelegt wurde, zu
erfüllen.
Verhältnismäßigkeit: Kommunikationsüberwachung
sollte als hochgradig invasive / (or: eindringende)
Handlung angesehen werden, die in das Recht auf
Privatsphäre und die Freiheit der Meinungsäußerung
eingreift und die Grundlagen einer demokratischen
Gesellschaft bedroht. Entscheidungen über
Kommunikationsüberwachung müssen durch Abwägen
der gesuchten Vorteile gegen die Schäden, die den
Rechten des Einzelnen und anderen konkurrierenden
Interessen zugefügt würden, getroffen werden, und
sollten eine Betrachtung der Sensibilität der
Informationen und der Schwere der Verletzung des
Rechts auf Privatsphäre einbeziehen.
Dies erfordert insbesondere: Sollte ein Staat Zugang zu
oder die Nutzung von geschützten Informationen
anstreben, die durch Kommunikationsüberwachung im
Rahmen einer strafrechtlichen Untersuchung gesammelt
wurden, dann muss dies auf der zuständigen, unabhängigen und unparteiischen gerichtlichen Entscheidung
begründet sein, dass:
1.
es eine hohe Wahrscheinlichkeit gibt, dass ein
schweres Verbrechen begangen wurde oder
begangen werden wird;
2.
der Beweis eines solchen Verbrechens durch den
Zugriff auf die geschützten Daten erhalten werden
würde;
3.
andere verfügbare und weniger invasive
Ermittlungsmethoden ausgeschöpft sind;
4.
die abgerufenen Informationen in vernünftiger
Weise auf diejenigen begrenzt werden, die für die
Januar 2014 | HUMAN RGHTS WATCH
mutmaßliche Straftat relevant sind, und jede
weitere gesammelte Information sofort vernichtet
oder zurückgegeben wird; und
5.
Informationen nur von der festgelegten Behörde
abgerufen und nur für den Zweck, für den die
Genehmigung erteilt wurde, verwendet werden.
Wenn der Staat mit Kommunikationsüberwachung
Zugang zu geschützten Informationen zu einem Zweck
erlangen will, der eine Person nicht der Strafverfolgung,
Ermittlung, Diskriminierung oder Verletzung der
Menschenrechte aussetzt, muss der Staat einer unabhängigen, unparteiischen und zuständigen Behörde
Folgendes nachweisen:
1.
andere verfügbare und weniger invasive
Ermittlungsmethoden wurden in Betracht gezogen;
2.
die abgerufenen Informationen werden in vernünftiger Weise auf die relevanten begrenzt und jede
zusätzlich gesammelte Information wird sofort
vernichtet oder dem betroffenen Individuum zurückgegeben; und
3.
Informationen werden nur von der festgelegten
Behörde abgerufen und nur für den Zweck
verwendet, für den die Genehmigung erteilt wurde.
Zuständige gerichtliche Behörden: Bestimmungen in
Bezug auf die Kommunikationsüberwachung müssen von
zuständigen gerichtlichen Behörden, die unparteiisch
und unabhängig sind, festgelegt werden. Die Behörde
muss:
1.
getrennt sein von der Behörde, welche die
Kommunikationsüberwachung durchführt,
2.
vertraut sein mit den relevanten Themen und fähig
sein, eine gerichtliche Entscheidung über die
Rechtmäßigkeit der Kommunikationsüberwachung,
die benutzte Technologie und Menschenrechte zu
treffen, und
Gericht,[10] außer in Notfällen, wenn für Menschenleben
Gefahr in Verzug ist. In solchen Fällen, muss innerhalb
einer vernünftigen und realisierbaren Frist eine rückwirkende Autorisierung eingeholt werden. Lediglich das
Risiko der Flucht oder Zerstörung von Beweismitteln soll
niemals als ausreichend für eine rückwirkende
Autorisierung angesehen werden.
Benachrichtigung des Nutzers: Personen sollten über die
Entscheidung der Autorisierung einer
Kommunikationsüberwachung informiert werden. Es
sollten ausreichend Zeit und Informationen zur Verfügung
gestellt werden, so dass die Person die Entscheidung
anfechten kann. Des Weiteren sollte sie Zugang zu dem
Material bekommen, welches für den Antrag der
Autorisierung vorgelegt wurde. Eine Verzögerung der
Benachrichtigung ist nur unter folgenden Bedingungen
gerechtfertigt:
1.
Die Benachrichtigung würde den Zweck, für den die
Überwachung genehmigt ist, ernsthaft gefährden
oder es besteht eine unmittelbare Gefahr für
Menschenleben, oder
2.
Die Erlaubnis einer Verzögerung der
Benachrichtigung wird durch die zuständige
Justizbehörde zum Zeitpunkt der Genehmigung der
Überwachung erteilt; und
3.
Die betroffene Person wird benachrichtigt, sobald
die Gefahr aufgehoben ist, oder innerhalb einer
vernünftigen realisierbaren Frist, je nachdem,
welches zuerst zutrifft, aber in jeden Fall zu dem
Zeitpunkt zu dem die Kommunikationsüberwachung
abgeschlossen ist. Die Verpflichtung zur
Benachrichtigung liegt beim Staat, aber in dem Fall,
dass der Staat dem nicht nachkommt, sollten
Kommunikationsdiensteanbieter die Freiheit haben,
Personen über die Kommunikationsüberwachung
freiwillig oder auf Anfrage zu benachrichtigen.
Transparenz: Staaten sollten bezüglich der Nutzung und
des Umfangs der Techniken und Befugnisse der
Kommunikationsüberwachung transparent sein. Sie
Rechtsstaatliches Verfahren: Ein rechtsstaatliches
sollten mindestens die gesammelten Informationen über
Verfahren verlangt, dass Staaten die Menschenrechte
die Anzahl der genehmigten und abgelehnten Anfragen,
jedes Einzelnen respektieren und garantieren, indem sie
eine Aufschlüsselung der Anfragen nach Dienstanbieter
rechtmäßige Prozesse versichern, die jegliche
und nach Ermittlungsart und -zweck veröffentlichen.
Beeinträchtigung der Menschenrechte ordnungsgemäß
Staaten sollten Personen genügend Informationen liefern,
und gesetzlich spezifiziert regeln, die konsistent durchge- um zu gewährleisten, dass sie den Umfang, die Art und
führt werden, und die der allgemeinen Öffentlichkeit
Anwendung der Gesetze, welche die
zugänglich sind. Insbesondere bei der Bestimmung
Kommunikationsüberwachung erlauben, zu verstehen.
seiner oder ihrer Menschenrechte hat jeder das Recht auf Staaten sollten Diensteanbieter befähigen, die von ihnen
ein faires und öffentliches Verfahren innerhalb einer
angewendeten Prozesse zu veröffentlichen, wenn sie
angemessenen Frist von einem unabhängigen, zustänstaatliche Kommunikationsüberwachung bearbeiten, an
digen und unparteiischen rechtmäßig gegründeten
3.
über entsprechende Ressourcen verfügen, um die
ihr übertragenen Aufgaben auszuführen.
43
WORLD REPORT 2014 | Auszüge auf Deutsch
diesen Prozessen festzuhalten und Berichte der staatlichen Kommunikationsüberwachung zu veröffentlichen.
Öffentliche Aufsicht: Staaten sollten unabhängige
Aufsichtsmechanismen schaffen, die Transparenz und
Verantwortung der Kommunikationsüberwachung
gewährleisten.[11] Aufsichtsmechanismen sollten die
Befugnis haben, auf alle potenziell relevanten
Informationen über staatliche Maßnahmen, wenn
notwendig auch auf geheime oder als Verschlusssachen
gekennzeichnete Informationen zuzugreifen; zu beurteilen, ob der Staat seine rechtmäßigen Fähigkeiten
legitim nutzt; zu beurteilen, ob der Staat die
Informationen über den Einsatz und den Umfang der
Techniken und Befugnisse der
Kommunikationsüberwachung transparent und genau
veröffentlicht hat; und regelmäßige Berichte und andere
für die Kommunikationsüberwachung relevante
Informationen zu veröffentlichen. Unabhängige
Kontrollmechanismen sollten in Ergänzung zur Aufsicht
geschaffen werden, die bereits über einen anderen Teil
der Regierung zur Verfügung steht.
Integrität der Kommunikation und der Systeme: Um die
Integrität, Sicherheit und Privatsphäre der
Kommunikationssysteme zu gewährleisten, und in
Anerkennung der Tatsache, dass Abstriche bei der
Sicherheit für staatliche Zwecke fast immer die Sicherheit
im Allgemeinen infrage stellen, sollten Staaten die
Dienstleister oder Hardware- oder Softwarehändler nicht
zwingen, Überwachungs- oder Beobachtungsfunktionen
in ihre Systeme einzubauen oder bestimmte
Informationen lediglich für Zwecke der staatlichen
Überwachung zu sammeln oder zu speichern. A priori
Vorratsdatenspeicherung oder Sammlung sollte nie von
Dienstleistern gefordert werden. Personen haben das
Recht, sich anonym zu äußern; Staaten sollten daher auf
die zwingende Identifizierung der Nutzer als
Voraussetzung für die Leistungserbringung
verzichten.[12]
Schutzmaßnahmen für die internationale
Zusammenarbeit: Als Reaktion auf die Veränderungen der
Informationsflüsse und Kommunikationstechnologien
und -dienstleistungen, kann es notwendig sein, dass
Staaten Hilfe von einem ausländischen Dienstleister
anfordern. Dementsprechend sollten die gemeinsamen
Rechtshilfeverträge und andere Vereinbarungen, die von
den Staaten eingegangen wurden, sicherstellen, dass in
Fällen, in denen die Gesetze mehr als eines Staates für
die Kommunikationsüberwachung angewendet werden
können, derjenige verfügbare Standard mit dem höheren
Schutzniveau für den Einzelnen angewendet wird. Wo
Staaten Unterstützung für Zwecke der Strafverfolgung
44
suchen, sollte der Grundsatz der beiderseitigen
Strafbarkeit angewendet werden. Staaten dürfen gemeinsame Rechtshilfeprozesse und ausländische Anfragen
nach geschützten Informationen nicht nutzen, um inländische gesetzliche Beschränkungen der
Kommunikationsüberwachung zu umgehen. Gemeinsame
Rechtshilfeprozesse und andere Vereinbarungen sollten
klar dokumentiert werden, öffentlich zugänglich sein und
dem Schutz des fairen Verfahrens unterliegen.
Schutzmaßnahmen gegen unrechtmäßigen Zugang: Die
Staaten sollten Gesetze erlassen, welche illegale
Kommunikationsüberwachung durch öffentliche oder
private Akteure kriminalisieren. Die Gesetze sollten
ausreichende und erhebliche zivil-und strafrechtliche
Sanktionen, Schutz für Whistleblower und Wege für die
Wiedergutmachung von Betroffenen enthalten. Die
Gesetze sollten vorsehen, dass alle Informationen,
welche in einer Weise gesammelt wurden, die mit diesen
Grundsätzen unvereinbar ist, in einem Verfahren als
Beweise unzulässig sind, genauso wie Beweise, die von
solchen Informationen abgeleitet sind. Die Staaten
sollten außerdem Gesetze erlassen mit der Maßgabe,
dass das Material zerstört oder der Person zurückgegeben werden muss, nachdem das durch
Kommunikationsüberwachung gesammelte Material, zu
dem Zweck genutzt wurde, zu welchem es bereitgestellt
wurde.
Diese Grundsätze finden Sie auch im Internet unter:
https://de.necessaryandproportionate.org
H U M A N
R I G H T S
W A T C H
Titelfoto: Syrien — Zwei Jungen in einem Schulgebäude in Aleppo, das durch einen Angriff der
Regierungstruppen beschädigt wurde. Februar 2013.
© 2013 Nish Nalbandian/Redux
Foto Rückseite: Südsudan — Ein unverheiratetes Mädchen inmitten einer Rinderherde in der Nähe von
Bor, der Hauptstadt des Bundesstaats Jonglei. Rinder haben in der Landbevölkerung im Südsudan
eine große soziale, wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung. Die Tiere werden als Mitgift bei
Eheschließungen genutzt, was entscheidend zum Problem der Kinderehen beiträgt. Februar 2013.
© 2013 Brent Stirton/Reportage. Getty Images für Human Rights Watch
HUMAN RIGHTS WATCH
Neue Promenade 5
10178 Berlin
www.hrw.org/de
E R E I G N I SS E VO N 2 0 13
WORLD REPORT
| 2014
Grafik Design: Rafael Jiménez
Dieser 24. Jahresbericht fasst die wichtigsten Menschenrechtsentwicklungen des Jahres 2013 in über 90 Staaten und Territorien
weltweit zusammen. Er basiert auf den umfangreichen Recherchen
der Mitarbeiter von Human Rights Watch im vergangenen Jahr, die
meist in enger Kooperation mit regionalen
Menschenrechtsorganisationen durchgeführt wurden.
Auszüge auf Deutsch
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