20 Nachhaltiger Tourismus Energieeffizienz und Verkehrsmanagement sind die wichtigsten Bereiche, um dies sicherzustellen. Klimaschutz liegt auch im Eigeninteresse der Branche, da Tourismus einer der klimasensibelsten Wirtschaftszweige ist und den späteren Anpassungsbedarf verringert (siehe Kapitel 2.1). Der Verlust der globalen Biodiversität schreitet weiter voran. Tourismus ist dabei nur einer von mehreren Einflussfaktoren, spielt aber in bestimmten Ökosystemen, wie z.B. Meeresküsten, eine zentrale Rolle. Nachhaltiger Tourismus muss daher zum einen durch entsprechende Planung seine negativen Auswirkungen auf Natur und Landschaft möglichst weitgehend verringern. Zum anderen sollte er für den Naturschutz eine positive Kraft werden, z.B. durch Umweltbildung und eine angemessene Finanzierung der von ihm als Ressourcen genutzten Schutzgebiete (siehe Kap. 2.2). Sauberes, zum Trinken geeignetes (Süß-)Wasser ist eine weitere natürliche Ressource, deren Verknappung eine zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts darstellt. In einigen Regionen, insbesondere in ariden Küstengebieten, ist der Tourismus einer der wichtigsten Verursacher dieser Verknappung, die nicht nur eine ökologische Dimension hat, sondern auch sozialen Zündstoff birgt. In regenarmen Gebieten müssen Wassermanagement und Wassersparmaßnahmen daher ein integrales Element des nachhaltigen Tourismus darstellen (siehe Kapitel 2.5). Institutionelle Nachhaltigkeit Da das touristische Produkt in all seinen Facetten (einschl. des ursprünglichen Angebots) von einer Vielzahl von Akteuren hergestellt oder bereitgestellt wird, sind im Tourismus enorme Kooperationsanstrengungen vonnöten, um das Produkt „Destination“ erfolgreich zu gestalten und zu vermarkten. Dafür ist ein systematisches Destinationsmanagement erforderlich, welches i. Allg. von Destinationsmanagement-Organisationen (DMO) geleistet wird. Nachhaltiges Destinationsmanagement muss über die üblichen Aufgaben der Vermarktung und einer gewissen Angebotskoordination deutlich hinausgehen und die Interessen auch nicht-touristischer regionaler und evtl. überregionaler Akteure (Beispiele: Klimaschutz, Fairtrade) vertreten (siehe Kapitel 3.2). Ähnliches gilt auch für die Tourismuspolitik. Auch wenn es im internationalen Bereich eine Reihe von Großunternehmen gibt, die eine gewisse Marktdominanz erlangt haben, besteht Tourismus doch überwiegend aus kleinen und kleinsten Unternehmen mit den unterschiedlichsten Angeboten, wodurch die Branche sehr heterogen ist. Entsprechend schwer fällt es der Tourismusbranche als ganzer, gemeinsame Interessen effektiv in den politischen Prozess einzubringen. Nicht umsonst gibt es in den meisten Ländern Einführung 21 keine eigenständigen Tourismusministerien. Eine nachhaltigkeitsorientierte Tourismuspolitik, die auch auf die Interessen nicht-touristischer, aber vom Tourismus betroffener Akteure (die „Bereisten“) eingehen möchte, steht dementsprechend vor einer noch komplexeren Aufgabe (siehe Kapitel 2.5). 1.1.5 Das Konzept des Nachhaltigen Tourismus In den zahlreichen Definitionen von nachhaltigem Tourismus finden sich die gleichen Nachhaltigkeitskomponenten wie im weiter gefassten Konzept der nachhaltigen Entwicklung, die manchmal mit tourismusspezifischen Ergänzungen versehen sind oder unterschiedliche Schwerpunktsetzungen aufweisen. So zeigt bspw. die Definition der deutschen Nichtregierungsorganisation Forum Umwelt und Entwicklung von 1999 eine Betonung sozialer und ökologischer Aspekte und einen eher bewahrenden Ansatz: „Nachhaltiger Tourismus muss soziale, kulturelle, ökologische und wirtschaftliche Verträglichkeitskriterien erfüllen. Er ist langfristig, d.h. in Bezug auf heutige wie auf zukünftige Generationen, ethisch und sozial gerecht und kulturell angepasst, ökologisch tragfähig sowie wirtschaftlich sinnvoll und ergiebig.“ (zit. in STRASDAS 2001). Bei der Welttourismusorganisation UNWTO treten dagegen wirtschaftliche Interessen stärker in den Vordergrund und man ahnt, dass im Umweltbereich auch Kompromisse möglich sind: „Nachhaltiger Tourismus erfüllt die Ansprüche sowohl von Touristen als auch der Bevölkerung der Zielgebiete, wobei außerdem zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten gesichert und verbessert werden sollen. Ressourcen werden so genutzt, dass ökonomische, soziale und ästhetische Bedürfnisse befriedigt und gleichzeitig kulturelle Integrität, wesentliche ökologische Prozesse, die biologische Artenvielfalt und lebenswichtige Systeme erhalten bleiben.“ (zit. in STRASDAS 2011). Außerdem werden die Ansprüche von Touristen gleichberechtigt neben die der Einheimischen gestellt – eine Abwägung der Freizeitinteressen meist wohlhabender Menschen gegen die Lebensinteressen oft marginalisierter Bevölkerungsgruppen in touristischen Zielgebieten, die nicht unproblematisch ist. Hiermit ist der Aspekt der Suffizienz angesprochen (siehe Kap. 1.1). Im Sinn eines nachhaltigen Konsums kann nämlich grundsätzlich die Frage gestellt werden, ob Urlaubsreisen als ein nicht lebensnotwendiges Konsumgut von Wohlstandsgesellschaften etwa mit Zielen des Klimaschutzes überhaupt vereinbar sind. Sieht man Tourismus dagegen in erster Linie als Wirtschaftszweig mit erheblichem Nutzen für periphere Regionen an, dann stellt sich die Situation wesentlich komplexer dar. Beispielsweise müsste in diesem Fall nach wirtschaftlichen Alternativen gefragt werden (mehr dazu in Kap. 2.1). In diesem Zusammenhang ist es auch interessant zu diskutieren, ob nachhaltiger Tourismus mit Massentourismus vereinbar ist oder ob es sich um eine alternative Nischenstrategie handelt. Frühere Ansätze betrachteten nachhaltigen Tou- 22 Nachhaltiger Tourismus rismus auf der einen und Massentourismus auf der anderen Seite als komplette, nicht überbrückbare Gegensätze. Später herrschte eine Haltung vor, die ein Kontinuum und fließende Übergänge zwischen den beiden Polen sah (WEAVER 2012). Derzeit wird Nachhaltigkeit eher als Entwicklungsrichtung denn als statischer Zustand gesehen. Zudem wurde deutlich, dass Massentourismus zwar konzentriert massive negative Auswirkungen haben kann, doch gilt dies auch für unkontrollierten Individualtourismus, der stärker in die Fläche geht. Massentourismus kann unter der Suffizienz-Perspektive als grundsätzlich problematisch angesehen werden, doch gibt es auch Stimmen, die es als soziale Errungenschaft ansehen, dass breite Bevölkerungsschichten es sich leisten können, zu verreisen. Nachhaltiger Massentourismus bedarf einer entschiedenen Steuerung und hat den Vorteil der räumlichen Konzentration. Gelingt dies, dann erzielt man damit eine größere Breitenwirkung als mit dem Agieren in kleinen Nischen. Letztere bieten jedoch den Vorteil, dass sie meist innovativer und von nachhaltigkeitsaffineren Akteuren geprägt sind. Letztlich erscheint eine Kombination beider Strategien als am effektivsten. Nachhaltigkeit findet sich heute in den Leitbildern vieler Tourismusorganisationen und -verbände. Den Anfang – von einigen Vorreitern abgesehen – machten die UNWTO und der World Travel & Tourism Council (WTTC) mit ihrer „Agenda 21 for the Travel & Tourism Industry“, aus der später der „Global Code of Ethics for Tourism“ hervorging. Die UNWTO hat auch zahlreiche Handreichungen zur Umsetzung eines nachhaltigen Tourismus herausgebracht, u.a. „Making Tourism more Sustainable – A Guide for Policy-makers“ (2005), welche alle zentralen Elemente von wirtschaftlicher Machbarkeit über lokale Partizipation bis hin zu Umweltschutz enthält. Anlässlich der Konferenz Rio +20 im Jahr 2012 wurden die Nachhaltigkeitsziele des Tourismus von der UNWTO und dem United Nations Environment Programme (UNEP) in Verbindung mit dem Leitbild der Green Economy gebracht. Es wurden zahlreiche Maßnahmen für verstärkte touristische Investitionen in Umwelttechnologien und zur Förderung regionaler Wertschöpfung vorgeschlagen. Zugrunde liegt die Idee eines nachhaltigen Wachstums, also ein „schwaches“ Nachhaltigkeitsverständnis. Weiterhin hat auf globaler Ebene der Global Sustainable Tourism Council (GSTC) Rahmenkriterien für Nachhaltigkeits-Zertifizierungen im Tourismus entwickelt (www.gstcouncil.org). Auch in Deutschland finden sich diverse Leitbilder für nachhaltigen Tourismus. Bereits 1997 wurde die „Umwelterklärung der Deutschen Tourismuswirtschaft“ mit zehn Leitsätzen veröffentlicht, die zum damaligen Zeitpunkt allerdings noch keine sozialen Nachhaltigkeitsgrundsätze enthielt. Aktueller ist das Positionspapier des Deutschen Tourismusverbandes „Tourismus und nachhaltige Entwicklung in Deutschland“ (DTV 2012). Darin definiert der DTV nachhaltigen Tou- Einführung 23 rismus in Destinationen folgendermaßen: „Der Nachhaltigkeitsgedanke mit seinen drei Säulen – ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit – ist fest in entsprechenden Konzepten der Tourismusregion verankert und wird bereits angewendet. Es gilt, die Bedürfnisse der Gäste und der lokalen Bevölkerung mit denen des Natur- und Umweltschutzes zu verbinden und dabei eine langfristig wirtschaftliche sowie sozial verträgliche Entwicklung anzustreben. Nachhaltiger Tourismus trägt erheblich zu einer dauerhaften Wertschöpfung und zum Wohlstand der Bevölkerung bei. Er ist zugleich Impulsgeber für eine nachhaltige Regionalentwicklung im ländlichen Raum.“ Weniger ausgeprägt ist der Nachhaltigkeitsgedanke bei Verbänden von großen Reiseveranstaltern und Transportunternehmen, wie dem Deutschen Reiseverband (DRV) oder dem Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW), die stärker im Konflikt mit Klimaschutzzielen und Ansprüchen lokaler Wertschöpfung und Mitbestimmung im globalen Kontext stehen (siehe Kapitel 2.1.7). Eine Ausnahme ist der Reiseveranstalterverband forum anders reisen, der mit der Verabschiedung eines umfassenden und auch sehr konkreten Nachhaltigkeits-Kriterienkatalogs im Jahr 1998 zu den Vorreitern eines nachhaltigen Tourismus gehörte. Alle Mitglieder sind verpflichtet, sich hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit zertifizieren zu lassen (www.forumandersreisen.de). Literatur Beyer, M., Häusler, N., Strasdas, W. 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