M E D I Z I N KURZBERICHT Rudolf Ferlinz er Tuberkulintest hat für die klinische Diagnostik und bei epidemiologischen Fragestellungen eine zentrale Bedeutung. Die Tuberkulinreaktion beruht auf einer Überempfindlichkeit gegen Eiweißbestandteile der Mykobakterien, insbesondere von Mycobacterium tuberculosis-Komplex (M. tuberculosis, M. bovis, M africanum und M bovis BCG). Es handelt sich dabei um eine TZellvermittelte Immunreaktion vom verzögerten Typ. Diese ist im Mittel ab der sechsten bis achten Woche nach der Infektion nachweisbar. D Tuberkuline Gereinigtes Tuberkulin und Purified Protein Derivative Das gereinigte Tuberkulin (GT) und das Purified Protein Derivative (PPD) bestehen aus Tuberkuloproteinen, die durch fraktionierte Fällung aus Überständen von Tuberkulosebakterienkulturen gewonnen werden. Durch diese Methode werden unspezifische Stoffwechselprodukte weitgehend entfernt. Um das Auftreten von Kreuzreaktionen möglichst gering zu halten, sollen nur gereinigte Tuberkuline, die ausschließlich aus M. tuberculosis hergestellt sind, zur Anwendung kommen. Der internationale Standard für alle kommerziell hergestellten Tuberkuline ist Purified Protein Derivative Standard (PPD-S). Fünf Einheiten PPD-S sind bioäquivalent mit 10 TE GT Behring oder zwei TU PPD-RT 23 (Statens Seruminstitut Kopenhagen) oder den in Nordamerika verwendeten fünf TU PPD. Sensitine („Tuberkuline“) aus sogenannten atypischen Mykobakterien Die Sensitine sind nicht im Handel erhältlich. Im Bedarfsfall können Tuberkulindiagnostik sie von Statens Seruminstitut, Kophenhagen, bezogen werden. Die dort hergestellten Gruppensensitine führen die Bezeichnung RS (siehe Textkasten). appliziert. Hierzu werden 0,1 Milliliter einer in der gewünschten Verdünnung frisch hergestellten Lösung injiziert. Die Testung soll im Regelfall mit 10 TE GT Behring erfolgen. Bei Verwendung eines anderen Tuberkulins siehe ÄquivalenzdoZur Verfügung stehende Sensitine sen (GT und PPD). Tuberkulinlösungen aller KonzenMycobacterium bovis Sensitin RS 7 trationen müssen noch am Mycobacterium avium Sensitin RS 10 Tage der Auflösung verMycobacterium fortuitum Sensitin RS 20 braucht werden (zwischenMycobacterium intracellulare Sensitin RS 23 zeitliche Lagerung bei +2 bis Mycobacterium kansasii Sensitin RS 30 +8 Grad). Der IntrakutanMycobacterium scrofolaceum Sensitin RS 95 test darf von nichtärztlichem Mycobacterium marinum Sensitin RS 170 Personal unter ärztlicher Verantwortung angelegt und ausgewertet werden. Bei der Anwendung sind die BeAuswertung des stimmungen des ArzneimittelgesetMendel-Mantoux-Tests zes zu beachten. Tuberkulintestmethoden Der intrakutane Tuberkulintest nach Mendel-Mantoux Der Intrakutantest nach MendelMantoux ist der Standard der Tuberkulintestung. Er ist in jedem Fall vor einer Therapieentscheidung bei Tuberkuloseverdacht (siehe klinische Indikationen) sowie vor einer Entscheidung über eine präventive Chemotherapie anzuwenden. In der Bundesrepublik steht für die Testung nach Mendel-Mantoux „Tuberkulin GT Behring“ zur Verfügung. Das Präparat ist zur besseren Haltbarkeit getrocknet und enthält außer dem Tuberkulin noch eine stabilisierende Substanz. Es wird mittels einer Spritze (spezielle Tuberkulinspritze mit dazugehöriger Kanüle zur einmaligen Verwendung) streng intrakutan an der Volar- oder Dorsalseite des Unterarmes III. Medizinische Klinik und Poliklinik, Schwerpunkt Pneumologie (Direktor: Prof. Dr. med. Rudolf Ferlinz, Generalsekretär des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose), des Univeritätsklinikums Mainz Die Ablesung erfolgt frühstens nach 72 Stunden, also am vierten Tag, spätestens jedoch eine Woche nach der Applikation. Bei der Ablesung wird die Induration (nicht das Erythem oder ein eventuell aufgetretenes Ödem) gemessen. Gemessen wird der größte Querdurchmesser, senkrecht zur Längsachse des Armes. Eine Infiltration, die größer ist als 15 Millimeter auf 10 TE GT Behring, wird als Starkreaktion bezeichnet. Die Aussagekraft eines positiven oder negativen Testresultates wird wesentlich durch die jeweilige Prävalenz der Tuberkuloseinfektion mitbestimmt. In einem Umfeld mit hoher Infektionsprävalenz ist ein positives Testergebnis einer Infektion mit Mycobacterium-tuberculosis-Komplex zuzuschreiben, bei niedriger Prävalenz kann ein positives Ergebnis eher auch durch eine Infektion mit Umwelt-Mykobakterien zustande kommen. Bei Risikogruppen (Personen aus Hochprävalenzländern, Kontakte mit offen Tuberkulösen, soziale Rangruppe und HIV-Infizierte) ist nach Testung mit 10 TE GT Behring eine Induration, die größer als fünf Millimeter ist, als positiv zu bewerten. Bei Screening-Untersuchungen unbelasteter Personen ist eine Induration, die größer ist als 10 Millimter, Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 16, 19. April 1996 (61) A-1199 M E D I Z I N KURZBERICHT als positiv anzusehen. Bei einer Starkreaktion, die größer ist als 15 Millimeter und/oder Blasenbildung sowie bei Tuberkulinkonversion ist das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Tuberkulose am wahrscheinlichsten. Falls kein begründeter Verdacht auf das Vorliegen einer Erkrankung an Tuberkulose vorliegt, soll die Testung nach Mendel-Mantoux mit 10 TE GT Behring begonnen werden. Bei negativer Reaktion wird auf weitere Testung verzichtet. Sollten besondere Fragestellungen vorliegen oder ist das primäre Testergebnis nicht gänzlich negativ, wird die Testung mit gleicher Stärke wiederholt. Dies kann am Ablesetag erfolgen. Bleibt der Test auch danach negativ, sollte dies dokumentiert werden. Nur bei klinischen Fragestellungen ist eine Testung mit 100 TE zu erwägen. Dies ist im Einzelfall (zum Beispiel bei Säuglingen und bei jüngeren Kleinkindern) ärztlicherseits zu entscheiden. Ein negativer Ausfall der Testung mit 100 TE macht bei klinischer Fragestellung das Vorliegen einer Tuberkulose unwahrscheinlich (siehe jedoch „Allgemeines zur Auswertung“). Bei Testung mit 100 TE oder höheren Dosen als 100 TE nimmt die Wahrscheinlichkeit einer falsch positiven Reaktion infolge einer Infektion mit Umwelt-Mykobakterien zu. Dies ist bei der Beurteilung zu berücksichtigen. Stempeltest Der Stempeltest wird an der Unterarm- Innen- oder Außenseite appliziert. Die Haut wird im Bereich der Teststelle gespannt, der Testkörper mit der anderen Hand senkrecht aufgesetzt und etwa zwei Sekunden lang fest eingedrückt. Die Teststelle sollte man trocknen lassen und nicht verbinden. Stempeltests dürfen nur von erfahrenen Hilfskräften angelegt und abgelesen werden. Auch für Stempeltests soll grundsätzlich nur gereinigtes Tuberkulin, das ausschließlich aus M. tuber- culosis hergestellt ist, zur Anwendung kommen. Auswertung des Stempeltests Die Ablesung erfolgt frühstens nach 72 Stunden, das heißt also am vierten Tag, jedoch spätestens eine Woche nach der Applikation. Die Reaktion wird als positiv bezeichnet, wenn eine tastbare Induration von mindestens zwei Millimeter Durchmesser nachweisbar ist. Eine Rötung ohne Induration reicht jedoch nicht aus. Eine exakte Dosierung und eine quantifizierbare Ablesung sind beim Stempeltest nicht gewährleistet, Sensitivität und Spezifität sind deutlich geringer als beim Intrakutantest nach Mendel-Mantoux. Das Verfahren ist daher nach den heute geforderten Qualitätskriterien nicht mehr zu empfehlen. Lagerung Die Tuberkulin-Stempeltestkörper können ohne Wirkverlust bei Zimmertemperatur, möglichst lichtgeschützt, aufbewahrt werden. Allgemeines zur Auswertung Bei angeborenem oder erworbenem Immunmangelsyndrom (zum Beispiel HIV-Infektion) sowie unter immunsuppressiver Therapie kann die Reaktion auf Tuberkulin trotz Infektion fehlen. Nach Virusinfekten (zum Beispiel Masern, Röteln, Windpocken und schweren grippalen Infekten), insbesondere nach Schutzimpfungen gegen Masern, Röteln, Mumps, bei lymphatischen Systemerkrankungen mit Verlust der zellulären Immunität sowie bei Sarkoidose kann sie (vorübergehend) vermindert sein oder fehlen. Eine fehlende Reaktion schließt eine Tuberkulose nicht in jedem Fall aus, insbesondere nicht bei Miliartuberkulose und Meningitis tuberculosa. Sehr früh-postprimäre Generalisationen können auftreten noch bevor eine immunologische Umstimmung des infizierten Organismus erfolgt ist. A-1200 (62) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 16, 19. April 1996 In diesen Fällen fehlt die Tuberkulinreaktion. Wiederholte Tuberkulintestungen können nur bei Infizierten eine verstärkte Reaktion hervorrufen („Booster-Effekt“). Dies darf nicht mit einer Tuberkulinkonversion verwechselt werden. Wiederholungstestungen sollen deshalb möglichst am anderen Arm erfolgen. Bei negativem Ausfall eines Tuberkulintests kann bereits am Ablesetag der nächste Test mit der gleichen oder einer höheren Konzentration durchgeführt werden. Nicht mit Mykobakterien Infizierte können auch durch wiederholte Tuberkulintestungen nicht sensibilisiert werden. Eine Tuberkulintestung kann ohne Bedenken während einer Schwangerschaft erfolgen. Als Konvertor gilt jeder Reagent, bei dem der Umschlag der Tuberkulinreaktion innerhalb von zwei Jahren nach mindestens einer als negativ beurteilten Tuberkulinprobe festgestellt wird. Indikation und Anwendung des Tuberkulintests Epidemiologische Indikation Bei Studien zur Ermittlung des Durchseuchungsgrades von Bevölkerungssegmenten sind in den Untersuchungsbedingungen Testart, Dosis, Ablesetag (identisch für die gewählte Kampagne) im voraus verbindlich festzulegen. Die Reaktionsstärke muß für die Testung nach MendelMantoux in Millimeter-Induration (siehe auch der intrakutane Tuberkulintest nach Mendel-Mantoux) angegeben werden. Für die Umgebungsuntersuchung ist der Test nach Mendel-Mantoux mit 10 TE GT Behring die Methode der Wahl und grundsätzlich durchzuführen. Bei Umgebungsuntersuchungen sowie bei beruflicher Exposition ist bei wiederholter Tuberkulintestung im Falle eines positiven Ausfalles bei vorher fehlender Reaktion im Einzelfall zwischen Konversion und Booster-Effekt zu unterscheiden. Bei Untersuchungen, die entweder gesetzlich oder berufsgenossenschaftlich vorgeschrieben sind, ist der Test nach Men- M E D I Z I N KURZBERICHT del-Mantoux mit 10 TE GT Behring anzuwenden. Klinische Indikation Die Tuberkulindiagnostik ist heute in allen Altersgruppen wichtig. Bei klinischem oder röntgenologischem Verdacht einer Tuberkuloseerkrankung wird folgendes Vorgehen empfohlen: Wegen möglicherweise überschießender Reaktion soll die Testung nach Mendel-Mantoux mit einer TE GT Behring begonnen werden. Bei fehlender Reaktion ist der Test mit 10 TE zu wiederholen. Bei besonderer Fragestellung kann zusätzlich mit 100 TE getestet werden. Nach Tuberkulinkonversion im Kindesalter ist eine intradomiziläre und intrafamiliäre Umgebungsuntersuchung angezeigt. Dasselbe gilt sinngemäß für Starkreagenten, auch ohne Kenntnis des Zeitpunktes der Konversion. Bei Tuberkulinkonversion oder Starkreagenten im Kindesalter ist auch nach Ausschluß einer behandlungsbedürftigen Erkrankung eine präventive Chemotherapie zu erwägen. Bei Tuberkulinkonversion oder Strakreagenten im Erwachsenenalter ist eine Thorax-Röntgenaufnahme erforderlich. Ist hierbei kein krankhafter Befund festzustellen, ist eine zwölfmonatige Überwachung erforderlich. Eventuell ist eine präventive Chemotherapie angezeigt (siehe DZK-Richtlinien zur Chemotherapie der Tuberkulose, 1995; Empfehlungen zur Umgebungsuntersuchung bei Tuberkulose , 1996). Eine Röntgenkontrolle muß nach drei und sechs Monaten und abschließend nach einem Jahr vorgenommen werden. Bei Auftreten klinischer Symptome muß eine kurative antituberkulöse Chemotherapie eingeleitet werden. Nebenwirkungen Bei richtiger Handhabung ist der Tuberkulintest ungefährlich. Nach exakter Anwendung der beschriebenen Methode zu diagnostischen Zwecken kommen unerwünschte Lokal- und Allgemeinreaktionen äußerst selten vor. Vereinzelt auftretende Starkreaktionen sind nicht zu vermeiden. Sie klingen unter symptomatischer Behandlung jedoch ab. Die Probanden sind vor Anlegen des Testes über die Möglichkeit von Starkreaktionen und zweckmäßiges Verhalten in einem solchen Falle aufzuklären. Tuberkulintest und BCG-Impfung Neugeborene können ohne vorherigen Tuberkulintest mit BCG geimpft werden. Ein Kontakt des Impflings mit einer Infektionsquelle ist vor Auftreten der Tuberkulinreaktion zu vermeiden. Jenseits der sechsten Lebenswoche und für alle übrigen Lebensalter ist unter den Bedingungen der Bundesrepublik Deutschland daran festzuhalten, daß nur nichtinfizierte Personen geimpft werden. Dies muß durch eine Testung nach MendelMantoux gesichert werden. Die Nachprüfung der erzielten Tuberkulinempfindlichkeit soll frühstens drei Monate nach der Impfung mit 10 TE GT Behring nach MendelMantoux erfolgen. Vor jedem Tuberkulintest ist nach einer früheren BCG-Impfung zu fragen (Impfnarbe bei in der Bundesrepublik Geimpften meist an der Außenseite des Oberschenkels links in Trochanterhöhe, sonst im Oberarm-Schulterbereich links). Nach einer BCG-Impfung kann im allgemeinen auf die Dauer von 5 bis 10 Jahren mit einer Tuberklinreaktion gerechnet werden. Eine Tuberkulinreaktion nach BCG-Impfung im Rahmen der Routinediagnostik erfordert nicht automatisch eine Röntgenuntersuchung. Bei Starkreagenten ist jedoch eine Röntgenuntersuchung zum Ausschluß einer pulmonalen Tuberkulose erforderlich. Bei Umgebungsuntersuchungen sind auch BCG-Geimpfte zu testen. Bei vorhandener Tuberkulinreaktion ist in diesen Fällen eine Röntgenuntersuchung erforderlich, da die BCGImpfung nicht mit Sicherheit eine In- fektion oder Erkrankung verhindern kann. Es gelten bei diesem Personenkreis dieselben Richtlinien wie für Nichtgeimpfte. Duldungspflicht der Tuberkulinprobe Das Bundesseuchengesetz, in der Fassung vom 18. Dezember 1979 (BGB1.I.S.2262) besagt: §47 (4): „Schüler dürfen durch eine perkutane oder intrakutane Tuberkulinprobe auf Tuberkulose untersucht werden. Personen, denen die Sorge für die Person eines Schülers zusteht, sind verpflichtet, diese Untersuchung zu dulden.“ (5): „Das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2, Abs.2, Satz 1 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt.“ Demnach sind intrakutane Tuberkulinproben duldungspflichtig. Sie dürfen erforderlichenfalls bei Kindern und Jugendlichen durchgeführt werden. Grundsätzlich sollte angestrebt werden, bei Minderjährigen die Einwilligung der Sorgeberechtigten zu erhalten. Die „Richtlinien zur Tuberkulindiagnostik“ wurden im Auftrag des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose ausgearbeitet von: Prof. Dr. Rudolf Ferlinz, Mainz Dr. E. Blackkolb, Marburg Prof. Dr. H. Lindemann, Gießen Dr. K. Magdorf, Berlin, Dr. H. L. Rieder, Bern Dr. K. Wolf, Wien Zitierweise dieses Beitrags: Dt Ärztebl 1996; 93: A-1199–1201 [Heft 18] Anschrift für die Verfasser: Prof. Dr. med. Rudolf Ferlinz Generalsekretär des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose III. Medizinische Klinik und Poliklinik, Schwerpunkt Pneumologie Universitätskliniken Langenbeckstraße 1 55131 Mainz Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 16, 19. April 1996 (65) A-1201