EMBARGO BIS 11. Oktober 2012, 20.00 MESZ Klosterneuburg, 11. Oktober 2012 Eine zusätzliche Dimension in der Gastrulation Science Ausgabe mit Schwerpunkt auf „Kräfte in der Entwicklung“ präsentiert zwei Publikationen von Carl-Philipp Heisenberg Die aktuelle Ausgabe von Science präsentiert eine Sammlung von Artikeln zu „Kräfte in der Entwicklung“. Zwei davon sind Publikationen der Gruppe von Carl-Philipp Heisenberg am Institute of Science and Technology (IST) Austria. Diese ermöglichen neue Einblicke in die Kräfte, die die Gastrulationsbewegungen im Zebrafisch-Embryo beeinflussen. Die erste Publikation, über die Rolle der Kortexspannung in der Zellsortierung, erschien bereits am 23. August online auf Science Express (DOI: 10.1126/science.1225399). Die zweite Publikation, die die Kontraktilität während der Zebrafisch-Epibolie untersucht, wird heute zum ersten Mal veröffentlich. In dieser Arbeit, die gemeinsam mit der Forschungsgrupp von Stephan Grill am Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in Dresden publiziert wird, entdeckt die Gruppe eine zusätzliche Dimension der Kontraktilität, die die ZebrafischGastrulation antreibt. Die drei embryonalen Keimblätter – Ektoderm, Mesoderm und Endoderm – entstehen während der Gastrulation. Während dieses Vorgangs gleicht die Form des Embryos der einer Kugel. Zu Beginn der Gastrulation ist das obere Drittel dieser Kugel von einer hautähnlichen Schicht bedeckt, der sogenannten Enveloping Cell Layer oder EVL. Durch einen Vorgang, der EVL Epibolie genannt wird, bedeckt diese viskoelastische Schicht schließlich den gesamten Embryo, um diesen zu schützen. „Man kann sich das vorstellen, wie wenn man sich eine Badehaube aufsetzt“, illustriert Carl-Philipp Heisenberg. Der Rand dieser Kappe ist selbst kontraktil, und es wird angenommen, dass er die notwendige Kraft liefert, um die EVL über unteren zwei Drittel des kugelförmigen Embryos zu ziehen. Bislang herrschte die Ansicht, dass der kontraktile Rand einfach durch eine einfache Raffung funktioniert, indem er sich entlang des Umfangs des kugelförmigen Embryos zusammenzieht. Diese Verkürzung würde die Kappe über den Rest des Embryos ziehen, sobald die EVL den Äquator der Kugel überschritten hat. In ihrer Publikation untersuchen die Forschergruppen um Carl-Philipp Heisenberg und Stephan Grill nun die Kräfte die für EVL-Epibolie in Zebrafisch-Embryonen notwendig sind. Sie zeigen, dass der Rand der EVL tatsächlich kontraktil ist, da sich dort Aktin und Myosin Proteine in einer kreisförmigen Struktur befinden, die Aktomyosin-Ring genannt wird. Aktin und Myosin sind Bestandteile des Zellskeletts, in dem Aktin Netzwerke formt, die vom Motorprotein Myosin zusammengezogen werden, ähnlich der Muskelkontraktion. Eine Störung des Aktomyosin-Rings führt zu Verzögerungen im Epibolie-Prozess. Das zeigt, dass die Kontraktion von Aktomyosin für diesen Vorgang notwendig ist. Um aber nun zu verstehen, wie die Kontraktion des Ringes dazu führt, dass die für Epibolie benötigte Kraft erzeugt wird, maßen die Forscher die Kräfte innerhalb des Aktomyosin-Ringes. Zu diesem Zweck durchtrennten sie die Aktomyosin Strukturen mittels Lasernanochirurgie. Die Idee ist, dass der Aktomyosin-Ring – falls er tatsächlich durch einfache Raffung funktioniert – aufgeht, sobald er durchschnitten wird. In der Tat zeigten die Experimente eine signifikante Spannung entlang des Umfangs des Aktomyosin-Rings. Zu ihrer Überraschung entdeckten die Forscher aber auch bedeutende Kräfte, die in die senkrechte Richtung wirken, entlang der Breite des Aktomyosin-Ringes. Diese experimentellen Ergebnisse stellen die bisherige Sicht, dass der Aktomyosin-Ring einfach durch eine einfache Raffung entlang des Umfangs agiert, klar in Frage. Tatsächlich zeigten hochauflösende Aufnahmen der Aktomyosin-Verteilung, dass der Aktomyosin-Ring sich nicht nur entlang seines Umfangs, sondern auch entlang seiner Breite zusammenzieht. Die Verkürzung des Aktomyosin-Rings entlang seiner Breite resultiert in einer Kraft, die die EVL direkt über die Kugel zieht, wenn ihr durch Reibung des Zytoplasmas um den Aktomyosin-Ring entgegengewirkt wird. „Wenn Sie so wollen“, so Carl-Philipp Heisenberg, „fügt das der Kontraktion von Aktomyosin-Ringen eine zusätzliche Dimension hinzu.“ Wichtig ist, dass dieser neue krafterzeugende Mechanismus – im Gegensatz zur Raffung – unabhängig von der kugelförmigen Geometrie des Embryos funktionieren sollte. Um das zu testen, ließen die Forscher die Embryonen eine zylindrische Form annehmen, in der es nicht möglich ist, den EVL-Prozess durch Raffung zu erzeugen. Sie beobachteten, dass die EVLEpibolie nahezu ungestört verlief, und zeigten so die Wichtigkeit des neu entdeckten, geometrieunabhängigen, krafterzeugenden Mechanismus für die Funktion des Aktomyosin-Ringes in der EVL-Epibolie. Kontraktile Aktomyosin-Ringe, wie der am Rand der EVL, sind auch in anderen biologischen Prozessen zu finden, wie etwa der Wundheilung und Zellteilung. Bild: Epibolie in Aktion: Bilder der Gastrulation eines Zebrafisch-Embryos, der membrangebundenes grünes fluoreszierendes Protein exprimiert, aufgenommen mit einem Konfokalmikroskop. Zu Beginn der Gastrulation (oben links) bedeckt die EVL ein Drittel des Embryos. Am Ende der Gastrulation (unten rechts) bedeckt die EVL den größten Teil des kugelförmigen Embryos. Weitere Informationen: Oliver Lehmann, Media Relations E-Mail: [email protected] | Tel: +43/(0)2243/9000-1006 | Mobil: +43/(0)676/40 12 562 IST Austria Das Institute of Science and Technology (IST Austria) in Klosterneuburg ist ein Forschungsinstitut mit eigenem Promotionsrecht. Das 2009 eröffnete Institut widmet sich der Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften, Mathematik und Computerwissenschaften. Das Institut beschäftigt ProfessorInnen nach einem Tenure-Track-Modell und Post-DoktorandInnen sowie PhD StudentInnen in einer internationalen Graduate School. Neben dem Bekenntnis zum Prinzip der Grundlagenforschung, die rein durch wissenschaftliche Neugier getrieben wird, hält das Institut die Rechte an allen resultierenden Entdeckungen und fördert deren Verwertung. Der erste Präsident ist Thomas Henzinger, ein renommierter Computerwissenschaftler und vormals Professor der University of California in Berkeley, USA, und der EPFL in Lausanne, Schweiz. www.ist.ac.at